Schriftlesungen: Jes 52,7-10/ Hebr 1,1-6/ Joh 1,1-18)
Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Es war der heilige Franz von Assisi, der im Jahr 1223 die erste lebende Krippe herrichten ließ, um das Geschehen von Betlehem so anschaulich wie möglich nachzuvollziehen. Seit jener Weihnachtsnacht in dem kleinen Flecken Greccio in Umbrien hat die Weihnachtskrippe ihren Siegeszug durch die ganze Welt angetreten und ist aus unseren Kirchen und Häusern nicht wegzudenken.
Von Franziskus wird berichtet, dass sein Mitbruder Leo ihn einmal gebeten habe zu erklären, worin die vollkommene Freude bestehe. Daraufhin habe Franziskus ihm folgende Beispielgeschichte erzählt: Leo, stelle Dir vor, wir kämen am Ende eines kalten und regnerischen Tages müde und hungrig an die Pforte unseres Klosters S. Maria degli Angeli. Wir würden an der Pforte klopfen und den Pförtnerbruder um Einlass bitten. Der aber würde uns, weil wir so mit Schlamm beschmutzt sind, nicht erkennen und fragen: Wer seid ihr? Wir würden ihm antworten: Zwei deiner Brüder! Er aber würde uns nicht glauben und sagen: Das ist nicht wahr. Ihr seid zwei Betrüger und wollt euch nur Almosen ergaunern. Schert euch weg! Er würde die Türe schließen und uns draußen stehen lassen. Wir aber würden ein zweites Mal klopfen und ihn bitten, er solle uns doch um der Liebe Christi willen einlassen. Er aber würde uns als lästige Dummköpfe beschimpfen, ärgerlich herauskommen, uns an unseren Kapuzen packen und uns mit einem Stock verprügeln. Wenn wir das, Bruder Leo, mit Geduld und Fröhlichkeit ertragen, dann haben wir die vollkommene Freude! (vgl. Fioretti, c. VIII)
Ist das, liebe Schwestern und Brüder, nicht eine befremdliche Definition für das, was „vollkommene Freude“ sein soll? Würden wir bei dieser Beispielerzählung nicht einen ganz anderen Ausgang erwarten? Würden wir nicht erwarten, dass Franziskus etwa sagen würde: „Durchnässt, hungrig und müde an einem unserer Klöster anzukommen, anzuklopfen, und dann vom Pförtnerbruder eingelassen zu werden, ein warmes Bad nehmen zu können, und freundlich im Kreis der Brüder bewirtet zu werden, das ist die vollkommene Freude. Denn das wäre ein Vorgeschmack des Himmels.“ Ja, so etwas würden wir erwarten. Das entspräche unserer menschlichen Ur-Sehnsucht: Aufnahme zu finden, angenommen zu sein, Menschen um uns zu haben, die uns - nicht nur durch Worte - signalisieren: „Es ist gut, dass es dich gibt. Du gehörst zu uns.“ In dieser Erfahrung der menschlichen Annahme liegt der Urgrund aller Freude.
Das Gleichnis des Franziskus aber stellt uns scheinbar das genaue Gegenteil als Vorbild hin. „Befremdlich, aber doch irgendwie typisch“, so mögen Sie denken. „Hier wird wieder einmal der Weg einer Entsagung gepredigt, den ich, der ich kein Heiliger bin‚ nicht gehen kann (oder vielleicht auch gar nicht gehen will).“ Es wäre aber ein Trugschluss, so zu denken. Denn wir würden in Franziskus nur einen Moralapostel und Asketen sehen. Er selbst hat durchaus nicht die frohe Gemeinschaft der Brüder verachtet. Und es war ihm wohl bewusst, dass es schöner ist, bei den Brüdern und Schwestern Aufnahme zu finden als abgewiesen zu werden. Doch er hat auch gewusst und selbst schmerzlich erfahren, dass dies nicht immer so ist. Wie oft ist unsere Bereitschaft, einander auf- und anzunehmen, schwankend und schwach.
Umso beruhigender und befreiender ist es daher, wenn ich weiß, da ist einer, der mich bedingungslos annimmt. Eine solche Annahme kann aber nur von Gott selbst kommen: Er, der Dreifaltige, der in sich Beziehung ist und Gemeinschaft, er ist die Annahme und Liebe in Person. Ausgerechnet er ist derjenige, der als Kind von Betlehem erfahren musste, dass die Welt offensichtlich keinen Platz für ihn hat. Was Lukas in der Suche nach einer Herberge erzählerisch ausdrückt, hat der Evangelist Johannes ganz grundsätzlich formuliert: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11). Die Welt will Gott nicht einlassen. Er klopft an der Pforte, aber sie wird ihm nicht geöffnet (vgl. Offb 3,20).
Glücklicherweise ist dieser Vers aus dem Johannesevangelium nicht das letzte Wort über unsere Welt. Vielmehr fährt Johannes fort: „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1,12). Dieser Satz ist Verheißung für die Zukunft und Tatsache zugleich. An Weihnachten feiern wir, dass sich nicht die ganze Welt verschlossen hatte gegen das Kommen Gottes. Da sind die Personen an der Krippe, allen voran Maria und Josef, die Hirten und die Könige. Sie haben Gott aufgenommen. Durch sie erhält Gott Zutritt in diese Welt. Bei ihnen verhallt das Klopfen Gottes nicht ungehört. Sie öffneten die Türen ihrer Herzen dem, der in seinem Willen von Ewigkeit her beschlossen hatte, sich uns Menschen zu eröffnen. In Betlehem tun sich die Türen zwischen Gott und Mensch auf, und sie werden sich nie wieder ganz gegeneinander verschließen.
Liebe Schwestern und Brüder, von Weihnachten her verstehen wir besser den Sinn dessen, was Franziskus seinem Mitbruder Leo klarmachen wollte: Die vollkommene Freude ist nicht eine Freude, die alle menschlichen Bedürfnisse nach Zuwendung und Annahme abgelegt hätte. Nein. Sie ist auch keine Freude, die nicht um Enttäuschungen wüsste. Nein, sie ist die Freude, die in Gott selbst verankert ist. Sie ist die Freude, die sich selbst dann noch willkommen und angenommen weiß, wo sie bei Menschen auf verschlossene Türen und Herzen stößt. Damit ist aber auch klar: Diese Grundhaltung ist ein Geschenk. Sie ist das Geschenk von Weihnachten.
Die Freude von Weihnachten ist unendlich mehr als ein Wohlgefühl und gute Laune, sie ist krisentauglich. Und: Diese Freude, die aus dem Angenommensein durch Gott entspringt, enthält eine unbändige Kraft: Sie macht uns erstens fähig, uns selbst anzunehmen. Sie hilft uns aber auch, die anderen anzunehmen. „Nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat“, sagt der Apostel den Christen in Rom (Röm 15,7). Es gibt Menschen, bei denen fällt es uns leicht, sie anzunehmen. Aber es gibt auch die anderen: diejenigen, mit denen wir uns schwer tun, die uns lästig sind, die kritisch sind, nicht wohlgesonnen oder sogar abweisend. Jeder kennt solche Pfortenbruder-Typen aus dem Beispiel des Franziskus.
Und dann gibt es Menschen, die einfach anders sind als wir, uns fremd. Auch sie dürfen erwarten, dass wir sie annehmen um der Liebe Gottes willen, nach dessen Bild wir Menschen geschaffen sind und der selbst für uns Mensch geworden ist. Ich denke hierbei an eine Gruppe, die wir gerade von der Weihnachtsbotschaft her nicht vergessen dürfen. Ich denke an die Männer und Frauen, aber auch Kinder und Jugendlichen, die in unser Land kommen und um Aufnahme bitten, weil sie auf der Flucht sind vor politischer, religiöser oder ethnischer Verfolgung oder auf der Suche nach menschenwürdiger Arbeit.
Wir wissen um die Herausforderungen und Schwierigkeiten, die die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Migranten vielfach bedeutet. Dennoch dürfen wir uns nicht damit abfinden, dass Menschen an den Grenzen des „Hauses“ Europa inhaftiert und gedemütigt werden oder gar ihr Leben verlieren, weil sie zurückgedrängt werden. Auf erschreckende Weise sind wir im zurückliegenden Jahr sozusagen vor unserer eigenen Haustür massiv mit der brutalen Fratze fremdenfeindlicher und rechtsextremistischer Überzeugungen konfrontiert worden. Dagegen gilt es gerade von Weihnachten her eine Kultur der Annahme und Anerkennung stark zu machen. Wir großen christlichen Kirchen setzen uns auf vielfältige Weise dafür ein, begehen jedes Jahr eine besondere interkulturelle Woche, um auf dieses Anliegen aufmerksam zu machen. In diesem Jahr hieß das Leitwort „Herzlich willkommen – Wer immer du bist“.
Wie oft, liebe Schwestern und Brüder, werden wir in diesen weihnachtlichen Tagen wörtlich oder sinngemäß singen: „Sei uns willkommen, Herre Christ!“ Wir wollen es ihm aus ganzem Herzen singen im Staunen darüber, dass er einer von uns wurde und doch der ganz Andere bleibt. Wir wollen es singen in der Überzeugung, dass uns Gott nicht nur vom Kind in der Krippe aus entgegenblickt, sondern aus jedem menschlichen Antlitz, mag es uns vertraut oder fremd sein. Wenn wir dies tun, dann wird die Freude der Weihnacht nicht auf die Festtage beschränkt bleiben, sondern wachsen hin zur vollkommenen Freude, die Gott für uns bereithält. Amen.