Predigt im Weihnachtshochamt 2014 im Trierer Dom

Ansporn zu mehr Glaube, Hoffnung, Liebe

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Wahrscheinlich gibt es in diesem Jahr keine Weihnachtspredigt, in der nicht in irgendeiner Weise Bezug genommen wird auf die Problematik der Flüchtlinge. Dazu war und ist das Thema in den letzten Monaten einfach zu präsent. Über 50 Millionen Menschen sind auf der Flucht, weil sie in ihrer Heimat keine Lebensperspektive mehr sehen, weil sie benachteiligt, bedrängt oder sogar mit dem Tod bedroht werden. Die Bilder von Menschen auf der Suche nach einer neuen Heimat sind für uns nicht mehr ferne Bilder aus dem Fernsehen. Das Thema ist längst vor unserer Haustüre angekommen. Zigtausende Menschen haben im zu Ende gehenden Jahr bei uns um Aufnahme angesucht, ob sie nun direkt aus den Krisengebieten Syrien oder Irak kamen oder ob sie aus anderen Ländern den Weg zu uns gefunden haben, nicht wenige über das Mittelmeer.

Zu sehr vermischt sich das weihnachtliche Motiv von dem Paar, das auf der Suche nach einer Bleibe ist, mit den Bildern unserer Tage als dass man daran vorbeigehen könnte. Und wir wissen, dass es bei Josef und Maria nicht bloß bei der Suche nach einer Herberge bleiben wird. Schon bald werden sie zur Flucht gezwungen, weil ein gewalttätiger und misstrauischer König sich von ihrem Kind in seinem Machtanspruch bedroht fühlt.

Erschreckende Bilder

Vor kurzem stieß ich in einem christlichen Magazin auf einen Bildbericht, der mich schockiert hat. In diesem Beitrag fanden sich Fotos von Gemälden zu Märtyrern der frühen Kirche. Wir kennen solche Bilder, die oft sehr drastisch verschiedene Arten der Folterung und des Martyriums der frühchristlichen Märtyrer darstellen. Direkt daneben standen in dem Beitrag aktuelle Fotos von den Gräueltaten der IS-Milizen im Nordirak. Erschreckend, wie sehr sich die Bilder glichen. Besonders erschüttert aber war ich, als mir bewusst wurde, dass ich bisher die Bilder der frühchristlichen Martyrien immer nur als Bilder der Vergangenheit angeschaut habe, als Bilder, die einem irgendwie einen frommen Schauer über den Rücken jagen, aber Gott sei Dank Szenen aus längst vergangener Zeit darstellen. Durch den Zeitungsbericht wurde mir deutlich, dass solche beruhigenden Überlegungen nicht mehr gelten: Einschüchterungen, Folterungen, Enthauptungen, Kreuzigungen, ja selbst die Niedermetzelungen von Kindern sind für Christen wieder blutige Realität, und nicht nur für sie. Denken wir nur an die Jesiden.

Nicht unbeteiligt bleiben

Wer sich diese Realität bewusst macht und nur halbwegs menschlich empfindet, der kann nicht unbeteiligt zur Seite stehen. Menschen zu helfen, die diesen und ähnlichen Bedrängnis entfliehen, ist schlicht ein humanitäres Gebot. Um wie viel mehr ruft uns dies als Christen in die Pflicht. Insofern braucht es keine großen Anstrengungen, um aktuelle Bezüge zwischen der Flüchtlingsfrage und der weihnachtlichen Botschaft herzustellen.

Wir würden aber der Weihnachtsbotschaft nicht gerecht, liebe Schwestern und Brüder, wenn wir in ihr nur so etwas sehen würden wie ein frommes Mittel zur Verstärkung der Spendenfreudigkeit und Hilfsbereitschaft! Dann würden wir die Botschaft zu einem bloßen Mittel zum Zweck degradieren. Sie ist aber unendlich viel mehr! Die Botschaft ist nicht nur eine moralische Hilfe für die Flüchtlingsfrage, sondern die Flüchtlingsthematik ihrerseits hilft uns, die Weihnachtsbotschaft besser zu verstehen, anders gesagt, Aspekte an ihr zu entdecken, die wir vielleicht bisher nicht so deutlich gesehen oder die wir wieder vergessen haben.

Was meine ich damit? Der Gedanke des „Aufnehmens“ ist für das Johannesevangelium ein zentrales Motiv. Wir haben es gehört: „Er, das Licht, kam in die Welt. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1,9-11). Der Johannesprolog spricht von zwei Gruppen von Menschen: Von denen, die Gott nicht aufnehmen und von denen, die ihn aufnehmen. Wir wissen, wer mit diesen beiden Gruppen gemeint ist: Die, die ihn damals nicht aufnahmen, sind die Hohenpriester und führenden Repräsentanten Israels. Und nach ihnen sind es alle, die sich der Botschaft Jesu gegenüber verschließen oder sie sogar bekämpfen. Zu denjenigen, die Gott aufnehmen, gehören an erster Stelle Maria und Josef, dann die Jünger, die Jesu Ruf folgen, und schließlich alle, die seitdem seiner Botschaft glauben.

Gott tritt immer vermittelt an uns heran

„Und du? Zu welcher Gruppe gehörst du?“ Wenn jemand uns so fragen würde, wäre unsere Antwort wohl klar: „Selbstverständlich zur Gruppe derjenigen, die Gott aufnehmen. Sonst wäre ich doch nicht hier im Dom!“ Der Fragesteller könnte aber weitergehen und sagen: „Und wieso bist du dir da so sicher? Bist du Gott schon begegnet? Hat er dich persönlich darum gebeten, dass du ihn aufnimmst?“ Dann würde unsere Antwort kleinlauter ausfallen, denn wir müssten zugeben, dass Gott noch nie unmittelbar bei uns angeklopft und um Aufnahme gebeten hat. So einfach ist es nicht. Denn Gott tritt immer vermittelt an uns heran, spricht zu uns in Zeichen. Selbst in der Heiligen Schrift, von der wir bekennen, dass sie das Wort Gottes ist, spricht er uns an mit menschlichen Worten. Und wenn wir ihn aufnehmen in der Eucharistie, der dichtesten Form seiner Gegenwart, so sehen wir doch nur die kleine Hostie aus Brot. Und denken wir an die Begebenheiten im Evangelium, in denen Jesus ausdrücklich zeigt, wo und wie man ihn und Gott, seinen Vater, aufnehmen kann: Als er etwa ein Kind in die Mitte der Jünger stellt und ihnen sagt: Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.” (Mk 9,37) Oder nehmen wir Jesu Rede vom Endgericht, in der der König zu denen, die auf der rechten Seite stehen, sagt: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben, ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen …“ (Mt 25,35) Und auf die erstaunte Frage der Erwählten, wann das denn gewesen sei, antwortet Jesus: „Was ihr einem der Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40), anders gesagt: In dem Geringsten, den ihr an- und aufgenommen habt, habt ihr mich aufgenommen.

Herausforderungen spüren

Liebe Schwestern und Brüder, das Jahr 2014 hat mit einer besonderen Intensität unseren Blick auf die Menschen gerichtet, die ihre Heimat verlassen haben, um an anderen Orten, etwa auch bei uns, um Aufnahme bitten. Damit weitet es unseren Blick für die vielfältigen Weisen, wie Gott zu uns kommen und aufgenommen werden will. Ja, er kommt durch die Worte der Heiligen Schrift zu uns und in der Feier des Glaubens. Aber er kommt auch in Menschen zu uns, und dabei meine ich nicht nur Menschen, die uns mit Verständnis und Liebe begegnen und bei denen es uns leicht fällt, sie aufzunehmen. Gott kann auch bei uns anklopfen durch Menschen, mit denen wir nicht gerechnet haben, die wir vielleicht als Störenfriede empfinden, als anstrengend, vielleicht sogar als lästig ...! Jeder kennt solche Menschen aus seiner Umgebung. Wenn Gott sich naht, dann muss das nicht immer mit irgendeiner Art von frommem Gefühl einhergehen. Entscheidend ist, ob Personen oder Situationen uns zu mehr Glaube, zu mehr Hoffnung, zu mehr Liebe herausfordern und anspornen! Wenn wir uns in diesem Sinne herausgefordert spüren, dann können wir davon ausgehen, dass sich Gott naht und bei uns um Aufnahme bittet.

Göttliche Liebeslist

In den vor uns liegenden Tagen der Weihnachtszeit werden wir wieder eine Vielzahl von Krippendarstellungen sehen: auf Weihnachtskarten und Bildern, in Wohnzimmern und Kirchenräumen … Darunter sind Krippen, die auf das Wesentliche reduziert sind und Krippen mit ausgedehnten Landschaften und vielen, vielen Figuren … Bis heute fasziniert mich die Vielfalt der Krippendarstellungen. Natürlich, die Grundkonstellation ist immer dieselbe, aber in der Ausgestaltung dieser Grundsituation sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Zu den individuellen, kommen noch die regionalen und die kulturellen Unterschiede. Was für ein Ideenreichtum! Das alles ist nur möglich, weil wir eben kein Foto jener ersten Weihnachtsnacht haben. Gut so! Das ist kein Zufall. Für mich steckt dahinter eine wunderbare göttliche List. Wie wir kein Foto des Kindes haben, so haben wir auch keines des erwachsenen Jesus. Dadurch werden wir davor bewahrt, uns festzulegen und zu sagen: „Nur in dem, der so aussieht, erkenne ich Gott. Und nur er darf von mir erwarten, aufgenommen zu werden.“

Göttliche Liebeslist verhindert eine solche Haltung. Gottes Liebeslist treibt uns immer wieder an, Ausschau danach zu halten, wo Gott uns sein Gesicht zeigt und auf uns zukommt. Vielleicht gehört aber gerade auch das zu der „Macht“ der Kinder Gottes (Joh 1,12), wie es zur „Macht“ von Kindern überhaupt gehört: Dass sie neugierig sind und lernbereit und aus dem Staunen nicht herauskommen über die Möglichkeiten, die Gott mit dieser Welt hat. Amen

Weiteres:

Weihnachtshochamt 2014

in der Predigt