P. Franz Meures SJ, geistlicher Begleiter der Synode im Bistum Trier, bei der ersten Vollversammlung am Freitag, 13. Dezember 2013, in Trier, St. Maximin
P. Meures hat seinen im ersten Plenum frei vorgetragenen Text leicht überarbeitet und gegliedert.
Wenn wir uns in der Kirche auf den Weg machen, etwas Wichtiges zu beraten oder zu planen, fällt häufig das Stichwort: „Es ist wichtig, dass dies als geistlicher Prozess geschieht!“
Gerne würde ich hier im Saal eine kleine Umfrage machen: „Können Sie mir bitte kurz erklären, was ein geistlicher Prozess ist?“ Das ist nicht leicht zu erklären. Alle kennen wir bei Sitzungen des Pfarrgemeinderates oder bei ähnlichen Treffen die Gewohnheit, am Anfang ein Gebet zu sprechen oder – wie man heute sagt – einen geistlichen Impuls zu geben. Danach aber geht die Sitzung los wie immer - business as usual – und es wird deftig disputiert. Gewiss ist es gut, am Anfang ein geistliches Wort zu hören – aber das ist nicht schon der Beginn eines geistlichen Prozesses.
Fragen wir uns: Nach welchen Spielregeln verlaufen eigentlich die vielen Gremien und Räte in der Kirche? Ist das wie im Parlament? Für die Synode gibt es ein Statut, inzwischen auch eine Geschäftsordnung. Werden wir wie der Kreistag von Trier oder der Landtag in Mainz oder Saarbrücken von der Basis her beraten? Oder gleicht die Synode eher den Tarifverhandlungen, wo die Leute von der Basis der Geschäftsleitung noch ein paar Zugeständnisse abringen wollen...?
Ein geistlicher Prozess ist etwas anderes. Sie können es derzeit fast täglich jeden Tag im Fernsehen erleben: Fast jedes Mal, wenn Papst Franziskus auftritt, gerät etwas in Bewegung. Eine einzige Person bringt etwas in Bewegung – bei sehr vielen Leuten innerhalb der Kirchen, aber auch außerhalb dieser. Bei dem, was geschieht, merken die Leute, dass es direkt etwas mit Jesus Christus zu tun hat und mit dem, was er wollte. Erinnern Sie sich an die Fußwaschung im Jugendgefängnis bald nach seiner Amtseinführung. Die jungen Leute werden dies nie vergessen. Franziskus stößt mit solchen Gesten – weit über die Grenzen der Kirche hinaus – einen geistlichen Prozess an. Das ist der erste Gedanke.
Der zweite ist: Als diese Basilika errichtet wurde – als Reichsbasilika, Reichskloster –, da tobte in der Kirche gerade der Investiturstreit. Dessen zentrale Frage lautete: Wer darf in der Kirche wem Vollmacht verleihen?
Wir haben soeben den Bischof von Trier gesehen, wie er jedem und jeder den Synodenschal umlegte. Ein spektakulärer Akt in diesen historischen Gemäuern! Dieser Ritus symbolisiert unser Verständnis von Synode. Alle sind wir getauft, alle haben wir den Heiligen Geist empfangen und alle haben wir eine Beziehung zu Gott. Der Schal an alle Synodalen besagt: Nicht die Kirchenleitung hat den Heiligen Geist gepachtet, sondern wir alle können miteinander suchen und finden. „Hört, was der Geist den Gemeinden sagt!“ Das hat Bischof Stephan in den Vorbereitungen immer wieder gesagt: „Hört, was er sagt!“
Dabei gilt auch: Sie sind nicht hier als Vertreter einer bestimmten Berufsgruppe oder Region der Diözese, für die Sie bestimmte Interessen durchsetzen sollen. Sondern Sie sind hier, um zu lauschen und zu hören: Wie spricht denn der Heilige Geist heute in der Diözese Trier? Wie spricht er durch die Synodalinnen und Synodalen, und durch die anderen, die ja einbezogen werden sollen?
Geistlicher Prozess heißt: Miteinander hören auf das, was der Geist den Gemeinden sagt.
„Wille Gottes“ - das ist ein ganz großes Wort. Ich würde es ja nicht benutzen, wenn nicht Jesus Christus uns im Vaterunser diese Bitte als tägliches Gebet anvertraut hätte: „Dein Wille geschehe“. – Schauen wir auf das Leben Jesu. Er selbst hat diese Bitte gelebt: Er war ganz aktiv bei den Leuten, ließ sich von deren Situation betreffen, hat mit ihnen gelitten und mit ihnen geweint. Dann aber zog er sich immer wieder zum Gebet zurück, um im Gebet mit seinem Vater zu klären: Was mache ich hier? Ist das richtig? Ist es das, wozu ich gesandt bin?
Die Synode wird ein solcher Ort sein, an den wir uns immer wieder zurückziehen und uns fragen: Was machen wir eigentlich? Wie läuft das? Ist das richtig so? Ist das der Weg, den Gott uns in die Zukunft weist?
Die Suche nach Gottes Willen bedeutet wiederum, sich zu öffnen. Diese Suche kann nicht heißen: „Ich muss jetzt um jeden Preis meine Meinung durchbringen“. Sondern es geht um die gemeinsame Frage: Was könnte es denn sein, womit wir heute als Kirche zukunftsfähiger werden?
Selbst hier im ehemaligen Kloster St. Maximin, das seit der Säkularisierung gewissermaßen eine „Ruine“ ist, können wir die Frage nach dem Willen Gottes stellen. Heute ist dieses ehemalige Gotteshaus eine Sporthalle. Doch trotz der Säkularisierung lebte die Kirche weiter. Wir dürfen hoffen, dass der Heilige Geist in den nächsten zwei Jahren gelegentlich hier wieder Einzug hält, damit wir die richtigen Fragen stellen. - Ich bin da ganz zuversichtlich.
Also, geistlicher Prozess heißt Suchen nach dem Willen Gottes.
„Du gehst mit uns auch durch unsere Zeit“: Seit mehr als einer Stunde begleitet dieser Satz unsere Versammlung auf der Projektionswand vorne in der Synodenaula. „Du gehst mit“ - „Geistlicher Prozess“ heißt auch, daran zu glauben, dass Gott uns führt.
Wir sind gewöhnt, unsere Geschichte und unser persönliches Leben einfach nach menschlichen Maßstäben zu beurteilen. Nur manchmal bei Festen oder Jubiläen, z.B. bei Goldenen Hochzeiten, hören wir eine andere Sicht der Dinge: „Heute möchte ich auch Gott danken. Denn ich bin fest überzeugt, dass Gott uns diesen ganzen Weg geführt hat.“ Mit diesem Wort bekennt jemand, dass er daran glaubt, dass Gott sein Leben führt.
Dieser Glaube ist elementar für die Synode. Wenn dieser Glaube nicht da sein wollte, dann sollten wir - etwas scharf gesagt - keine Synode halten. Es geht um den Glauben, dass Gott uns führt! Würde dieser Glaube fehlen, dann müssten wir uns in folgender Weise verhalten: Im Blick auf die derzeitige Lage der Diözese säßen hier 280 kluge und erfahrene kluge Leute beisammen. Diese müssten ihren ganzen Grips zusammentun – und müssten die Dinge selbst in die Hand nehmen. So etwas würde großartig schief gehen! Nein, so geht es nicht!
Es geht um etwas anderes: Natürlich sollen wir unsere ganze Erfahrung und unseren ganzen Grips zusammennehmen – jedoch in folgender Haltung: „Herr, zeige du uns deine Wege! Wir glauben, dass du uns führst.“ In einer solchen Haltung vertrauen wir auf einen anderen und müssen nicht alles selber machen.
Vorhin in der Liturgie habe ich diese Haltung im Gebet so formuliert: „Wir können die Welt nicht retten. Wir können die Kirche nicht retten. Wir können uns selber nicht retten. Du bist unser Retter und Erlöser! Wir aber bieten an, bei Deinem Werk mitzuhelfen – als Deine Jüngerinnen und Jünger.“
Darum geht es: Gott selbst führt uns.
Wenn ich in eine Sitzung gehe, frage ich mich bei der Vorbereitung manchmal: Was will ich jetzt genau sagen? Und wie sollte ich es sagen? Ich will ja, dass ich damit durchkomme. Für die Synode wäre diese Einstellung wenig hilfreich.
Wenn Sie herkommen und in einen Arbeitskreis oder eine Kommission teilnehmen, gehen Sie an erster Stelle, um gut zuzuhören. In jeder Konferenz gibt es Vielredner. Die melden sich immer gleich zu Wort und haben ganz Wichtiges zu sagen. Schon bald melden sie sich wieder. Das mag so laufen. – Für einen guten Verlauf der Synode ist es jedoch notwendig, dass wir auch denen zuhören, die ganz selten etwas sagen; dass wir besonders auf die achten, die sich gar nicht trauen oder gar nicht die richtigen Worte finden; auf die achten, die womöglich gar nicht das nicht das Vokabular haben, um das auszusprechen, worum es ihnen geht; aber die vielleicht etwas ganz Wichtiges kapiert haben.
In der Benediktsregel, der Ordensregel der Benediktiner, heißt es: Wenn das Kapitel, also die ganze Klostergemeinschaft, zu wichtigen Beratungen zusammenkommt, dann soll der Abt jeden dazu auffordern, seine Meinung zu sagen. Der Abt soll zuerst die Jüngeren um ihre Meinung bitten, „weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist“ (RB 3,3)
Der Heilige Geist offenbart sich häufig durch die Stimme der Jüngsten und Unerfahrensten - welch ein Wort! Nicht die alten Schlachtrösser haben das erste Wort – die kommen ja auch noch dran und können manches zurechtrücken, wenn es denn notwendig sein sollte. Doch die Jüngeren sollen zuerst sprechen.
Wenn wir in einer Versammlung nach Gottes Willen spüren, dürfen wir uns gestatten, auch den Stummen zuzuhören. Vielleicht würde es auch helfen, persönlich einmal einen Dementen, der kaum mehr etwas Vernünftiges mehr sagen kann, eine Stunde anzuschauen und zu spüren: Was sagt der mir? Was sagt der mir über das Leben, über das Dasein vor Gott? Der sagt sehr viel!
Ich erinnere mich an eine gruppendynamisch sehr spannende Konferenz. Am Schluss gab es eine Auswertung, und einer kam an die Reihe und weinte ganz laut, weil er sich heftige Dinge hatte anhören müssen. Als er aufhörte zu weinen, sagte der Moderator sagte: „Danke, Sie haben uns sehr viel gesagt.“
Das meine ich mit „Hören“. Nicht nur, was glänzend formuliert ist, gilt, sondern sehr viel anderes darf wahrgenommen werden.
Mit dem Alter kann sich auch der sogenannte „Altersstarrsinn“ entwickeln, d.h. je älter man wird, desto mehr hat man sich in seinen Meinungen festgelegt und beharrt darauf. Beim Beratungsprozess der Synode jedoch sind alle eingeladen sind, sich noch mal neu zu öffnen.
In den ignatianischen Regeln zur Geistlichen Unterscheidung heißt dies „Indifferenz“. Das bedeutet, sich noch einmal von jenen Haltungen, Affekten und Vorlieben zu lösen, die uns daran hindern könnten, überhaupt frei auf neue Lösungen zuzugehen. Wer ehrlich fragt, was es heißt, Christus zu folgen, kommt nicht umhin, sich frei zu machen und von Vertrautem zu lösen. So sagt Jesus zu einem, der bereit ist, Neues zu wagen: „Willst du vollkommen sein, verkaufe alles was du hast, gib das Geld den Armen … und folge mir nach.“ (Mt 19,21). Oft merken wir erst, wie sehr wir an Gewohntem festhalten wollen, wenn wir zu Alternativen eingeladen werden.
Sich indifferent machen heißt: vorgefasste Meinungen, Überzeugungen und Erwartungen zu relativieren oder gar hinter sich lassen. Nur so können wir offen werden für die zentrale Frage der Synode: Was will Gott jetzt von uns? Was ist hier und jetzt das Bessere, damit wir wirklich im Geiste Jesu Christi handeln?
Indifferenz: Andere Meinungen gelten lassen, loslassen können, sich öffnen…
Damit ein geistlicher Prozess in einer Gruppe oder Gemeinschaft in Gang kommen und Fahrt aufnehmen kann, braucht es eine dreifache Aufmerksamkeit. Ich nenne dies die „Drei Pole der Aufmerksamkeit“ und habe sie in einer Grafik dargestellt.
Der geistliche Prozess aufgrund der „drei Pole der Aufmerksamkeit“ bedeutet also: Wenn wir einerseits die Fakten und die Realität ernstnehmen, zugleich achtsam sind auf die inneren Resonanzen (im Individuum wie in der Gruppe) und Hörer des Wortes Gottes sind, Menschen, die nach ihm suchen, dann sind wir auf der Suche nach dem „Willen Gottes“ in unserer heutigen Realität.
Das sind die Punkte, auf die ich Sie heute zum Einstieg aufmerksam machen möchte.
Ich möchte mit folgendem schließen - nicht in meiner Rolle als Geistlicher Begleiter der Synode, sondern als jemand, der in der Diözese Trier aufgewachsen und ihr verbunden ist: Ich möchte Bischof Stephan ganz herzlich danken.
Ich habe mehrere Interviews gelesen, die Sie, Herr Bischof, in den letzten Tagen gegeben haben. Immer wieder wurden Sie gefragt: „Was soll denn bei der Synode herauskommen?“ „Was wird das Ergebnis in dieser oder jener Frage sein? “ „Was meinen Sie, Herr Bischof, wo führt das hin?“ Und unser Bischof hat immer geantwortet: „Lassen Sie mich in Ruhe! Wir müssen doch erst einmal aufeinander hören. Wir kommen doch jetzt erst zusammen. Ich muss erst genauer erfassen: Was ist denn los bei den Leuten in meiner Diözese. Und dann werden wir abwägen, was das Bessere im Herrn ist.“
Lieber Bischof Stephan, ich möchte Dir herzlich danken, dass Du diese Bereitschaft zum Zuhören mitbringst und in dieser Bereitschaft die Synode einberufen hast.
Dankeschön!