Die Zeichen der Zeit
Bei der ersten Vollversammlung war eine große Zahl der Synodalen dafür, zunächst die prägenden Entwicklungen unserer Zeit anzuschauen und im Licht der Offenbarung Gottes zu deuten.
Bei zwei Arbeitsgruppentagen haben viele Synodale (jeweils über 200) über die Zeichen der Zeit, die sich in den prägenden Entwicklungen zeigen, diskutiert. Der Geschäftsführende Ausschuss präsentiert der zweiten Vollversammlung eine Zusammenstellung:
Diese Zusammenstellung versteht sich als Vorlage, die in der Synode weiter diskutiert werden soll. Wir stellen die einzelnen Bereiche hier kurz vor und verweisen jeweils zum Dokument mit dem vollständigen Text der Vorlage.
Im Licht des Evangeliums sehen wir in der Individualisierung, die sich in den letzten Jahrzehnten in unserem Land radikal vollzogen hat, ein Zeichen der Zeit, insofern die Individualisierung uns daran erinnert, dass Gott jeden einzelnen Menschen ganz persönlich anschaut und anspricht. ... Jeder Mensch ist einmalig; jeder Mensch ist in die Freiheit gerufen. Der Respekt davor wird uns neu bewusst.
Mit der starken Individualisierung ist ein größeres Maß an Freiheit und persönlichen Entscheidungsmöglichkeiten verbunden als in früheren Zeiten. Mehr Freiheit und mehr individuelle Entscheidungs-Notwendigkeit bedeuten nicht selten auch eine zunehmende Belastung, die Menschen an ihre Grenzen führt.
Bei aller Individualisierung sehen wir auch bei den Menschen unserer Zeit die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Heimat. Gott hat den Menschen als Gemeinschaftswesen erschaffen, und Jesus hat die Menschen in die Gemeinschaft des Glaubens gerufen.
Grundsätzlich sehen wir uns in unserem Reden und Handeln herausgefordert, zukünftig mehr auf den Einzelnen schauen. Verschiedene Aspekte sind dabei zu berücksichtigen...
Im Licht des Evangeliums sehen wir in der Pluralisierungein Zeichen der Zeit, insofern sich in ihr die Kreativität der Schöpfung zeigt. Gottes Möglichkeiten sind unüberschaubar. Gott gibt uns Menschen Anteil daran. Wir können uns gegenseitig in der Vielfalt bereichern.
Wir sehen aber auch, dass Pluralität für viele Menschen sehr anstrengend ist. Bei der Frage, was im Leben Orientierung und Ordnung gibt, ist das Angebot größer und die richtige Entscheidung schwieriger geworden.
Im Licht des Evangeliums sehen wir im Wandel der Geschlechterrollen ein Zeichen der Zeit, insofern er die Gleichwertigkeit von Frau und Mann mit ihren vielfältigen Charismen in den Blick rückt, die sich dem Schöpferwillen Gottes verdankt. Gottes Geist ist ausgegossen über alle. Die Vielfalt der Gnadengaben hat Konsequenzen für Kirche und Welt.
Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild. Als Gottes Ebenbild haben Menschen ihre Würde; diese Würde gibt Frauen und Männern gleiche Rechte. Mit ihren je eigenen weiblichen und männlichen Eigenschaften setzen Christinnen und Christen sich fruchtbar in Partnerschaft, Familie, Beruf und Kirche ein.
Herausforderungen (in Stichworten):
Frauen und Männer bereichern mit ihren individuellen Fähigkeiten und von Gott gegebenen Gaben die Dienste. Daher ist die Kirche im Bistum Trier herausgefordert
Weitere Stichworte: auch Männer müssen ihre Rolle finden - „Führen“ und „Geführt-Werden“ keine Orientierung - Vielfalt der Geschlechterrollen auch in der Familie positiv wahrnehmen - „Verbotsmoral“ wird der positiven Lebenskraft "Sexualität nicht gerecht - Respekt vor verschiedenen sexuellen Identitäten... - Kirche Anwältin für Akzeptanz unterschiedlicher Formen von Partnerschaft?
Wir sehen in den kirchlichen und außerkirchlichen Ansätzen von Religiosität unserer Tage ein Zeichen der Zeit, insofern persönliche und individuelle spirituelle Erfahrungen an Gewicht gewinnen; nach wie vor sind Rituale und Symbole an Lebenswenden und in existentiellen Situationen bedeutsam. Dies zeigt, dass auch die Menschen unserer Tage offen für Transzendenz sind, dass sie über die Dinge und Grenzen dieser Welt hinausschauen und nach Gott suchen.
In der immer größeren Vielfalt von Glaubenserfahrungen, von religiösen Symbolen und Ritualen und angesichts der Vielfalt der Sinn-Anbieter wird die Suche nach Gott gleichzeitig immer diffuser und unbestimmter, vielleicht auch unverbindlicher.
Die individuelle Sinnsuche der Menschen ist auch unsere eigene Suche nach Antworten auf die großen Lebensfragen; wir sehen in ihr ein Zeichen der Zeit. Sie macht die Botschaft Jesu aktuell, nach der das Reich Gottes schon angebrochen, aber noch nicht vollendet ist.
Wir nehmen aber auch wahr, dass Menschen ihre Religiosität in der modernen Welt ohne Bindung an eine Glaubensgemeinschaft leben können. Manche wollen Religion und jede Spur von Religion und Glauben sogar aus dem öffentlichen Leben verbannen.
Herausforderungen:
In den vielschichtigen Phänomenen des demografischen Wandels ein eindeutiges Zeichen der Zeit zu finden, tun wir uns schwer.
Sicher fordert uns die alternde Gesellschaft in Deutschland zu einem erneuerten Miteinander von Jung und Alt heraus; zugleich verlangt unsere Zuwanderungsgesellschaft aber auch nach einem besseren Miteinander von hier geborenen und eingewanderten Menschen. In beiden Herausforderungen liegen bisher ungenutzte Chancen. Die biblische Botschaft gibt uns dazu Anknüpfungspunkte: gerade die Jungen, die Alten und die "Fremden" sind in besonderer Weise offen für den Anruf und die Pläne Gottes.
Möglicherweise liegt in dem demografischen Wandel aber auch ein Zeichen, das uns zum Widerstand herausfordert: Als Christen bejahen wir das menschliche Leben in allen seinen Phasen und Situationen; dazu gehören beispielsweise auch Krankheit, Demenz, Arbeitslosigkeit, Burn Out, Fremdheit, gescheiterte Beziehungen… Wir sehen in jedem Leben ein Geschenk, das seinen wirklichen Sinn findet, wenn wir es mit anderen teilen; das gilt insbesondere auch für unsere Hoffnung auf ein Leben jenseits des Todes. Wird dies in unserer Gesellschaft sichtbar? ... Wir sehen ein vielfältiges Mit- und Gegeneinander von Jung und Alt ... Wir hören die Frage, wie das Leben in unserer Gesellschaft so gestaltet werden kann, dass alle Generationen und Kulturen zu ihrem Recht kommen.
Würde und Wert jedes Lebens in jeder Lebensphase kommen neu in den Blick. ... unabhängig davon, ob es viele oder weniger Junge und Alte gibt, ob sie "deutsch geborene oder deutsch gewordene" Menschen sind oder in welcher Lebenswirklichkeit und Beziehungs-Situation (Familie, Single, Patchwork etc.) sie leben.
Wir sehen eine Herausforderung an die Christinnen und Christen im Bistum Trier, die Grenzen zwischen den Generationen und Kulturen überbrücken und überwinden zu helfen. Drei Punkte sind dabei besonders wichtig (hier nur Stichworte):
„Aus der Messe auf die Straße“ - „Neues Ehrenamt“ - „Lobbyarbeit“ (Neben dem ganz konkreten diakonischen Einsatz muss Kirche noch stärker öffentlich und offiziell Position beziehen für die Wertschätzung und Würde jedes Menschen in jeder Lebensphase ...)
Im Licht des Evangeliums sehen wir in der Flexibilisierung ein Zeichen der Zeit, insofern der einzelne Mensch ... nicht von vornherein auf einen vorgezeichneten Lebensweg festgelegt ist. Es gibt viele Möglichkeiten, eigene Interessen zu entfalten und das Leben vielfältig zu gestalten.
Auch Gruppen und Institutionen befinden sich in einem ständigen Wandlungsprozess. Andererseits fühlen sich Menschen zunehmend überlastet und getrieben, fremdbestimmt oder „wie im Hamsterrad“ des Lebens.
Es hängt stark vom sozialen und finanziellen Hintergrund ab, ob Chancen und Begabungen überhaupt entfaltet werden können. Kinder werden in Familien- und Lebenssituationen hineingeboren, die ihren Lebensweg vorzeichnen und „persönliche Entfaltung“ allzu oft nahezu ausschließen (z.B. Armut, Migration, Jugendarbeitslosigkeit).
In der Kirche gibt es eine Spannung zwischen Regelwerken einerseits und dem Wunsch nach mehr Flexibilität andererseits.
Menschen sehnen sich nach Stabilität und Verlässlichkeit; sie wünschen sich Identität und suchen nach Oasen und Geborgenheit. Die Botschaft Jesu bietet sich an als Unterbrechung, als Halt und Orientierung. Sie kann Mut und Kraft geben den eigenen Weg im eigenen Tempo zu gehen.
Herausforderungen (hier in Stichworten):
Im Licht des Evangeliums sehen wir in der Medien- und Kommunikations-Gesellschaft ein Zeichen der Zeit, insofern es heute unterschiedliche Formen gibt, die dem Menschen Begegnung mit anderen Menschen vereinfachen und es erleichtern, beinahe beliebig viel Wissen zu erwerben. Die neuen sozialen Medien ermöglichen eine stärkere Vernetzung von Menschen weltweit. Es steigen die Möglichkeiten, Kontakt zu bekommen und zu pflegen und sich gut zu informieren – jedenfalls für diejenigen, die das wollen und technisch und wirtschaftlich dazu in der Lage sind.
Der Mensch ist nach unserem christlichen Menschenbild auf das Du und das Miteinander ausgerichtet; die Verbesserung von Vernetzungs- und Kommunikationsmöglichkeiten entspricht grundsätzlich diesem zutiefst menschlichen Wunsch nach Gemeinschaft.
Die Medien- und Kommunikationsgesellschaft hat aber auch negative und zwiespältige Auswirkungen. ... Selbstbestimmung... in Gefahr - ... Zwang, immer „online“ sein zu müssen... - Sicherheit privater Daten... - Gefahr, von... Abhängigkeit... - wichtig..., auch diese („neuen“) Medien verantwortungsvoll einzusetzen.
Herausforderungen für das Handeln der Kirche im Bistum Trier (hier in Stichworten):
Im Licht des Evangeliums sehen wir in der Ökonomisierung ein Zeichen der Zeit, insofer der Mensch immer auch dazu bestimmt ist, mit Anstrengung und Mühe (Gen 1; Gen 3) zu arbeiten und durch sein Wirtschaften sich und den Seinen das Auskommen zu sichern. Wohlstand wird dabei oft als ein Zeichen des Segens Gottes verstanden.
Der Mensch lebt aber nicht vom Brot allein. Das Leben ist kostbar – ob mit oder ohne „Leistung“. Das Leben kennt auch Freundschaft, zweckfreies Tun, freie Zeit, Musik und Kunst. Der Unmut darüber nimmt zu, wie der Mensch sich die Erde untertan macht. Die Dominanz des ökonomischen Gewinn- und Nützlichkeitsdenkens in allen Lebensbereichen wird heute stärker wahrgenommen als früher; sie lässt Zweifel aufkommen an einer ausgewogenen Balance etwa zwischen Arbeit und anderen Werten, aber auch zwischen Egoismus und sozialer Verantwortung.
Wir nehmen auch wahr, dass Politik und Kirche den rasanten Entwicklungen in der globalisierten Wirtschaft allzu oft oder sogar meistens hinterherlaufen. Ihre Versuche, ein ausschließlich profitorientiertes Wirtschaften zu verändern oder wenigstens dessen menschenverachtende Folgen und Bedingungen zu korrigieren und für eine weltweite Gerechtigkeit einzutreten, erscheinen oft nur wie nachträgliche und zu geringfügige Maßnahmen.
Herausforderungen für das Handeln der Kirche im Bistum Trier:
Im Licht des Evangeliums sehen wir in der Bedrohung des Lebens ein Zeichen der Zeit, insofern das Leben endlich und zerbrechlich ist – trotz allen Fortschritts. Endlichkeit und Zerbrechlichkeit stehen aber nicht im Widerspruch dazu, dass das Leben jedes einzelnen Geschöpfes gut (Gen 1) und wertvoll ist. Die Würde des Menschen bleibt bewahrt auch in seiner Zerbrechlichkeit in Krankheit und Not.
Wir sehen allerdings auch: Oft ist es der Mensch selbst, der die Bedrohung des Lebens herbeiführt, im fahrlässigen Umgang mit der Schöpfung, in Gewaltexzessen und Kriegen, in ungerechten Lebensverhältnissen, in der Ausgrenzung von Menschen.
Nicht der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ (Papst Franziskus auf Lampedusa) anheimzufallen: Das sehen wir als ein Zeichen der Zeit. Die Rede Christi beim Weltgericht (Mt 25) spricht eine klare Sprache: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“.
Herausforderungen für das Handeln der Kirche im Bistum Trier: (hier in Stichworten)