Gemeinsame Sehschule:

„Nach den Zeichen der Zeit forschen und sie im Licht des Evangeliums deuten“

Der erste "Arbeitsgruppentag" der Bistums-Synode am 1. Februar 2014 war ursprünglich geplant als erstes Treffen der Sachkommissionen; nachdem aber das erste Synodenplenum im Dezember sich zu einer gewissen Entschleunigung der Synode entschlossen hatte, wurde dann eine Klausur-Tagung der Synodalen (ohne Gäste und ohne große öffentliche Berichterstattung) angesetzt. Wir dokumentieren hier den Impuls zur Eröffnung des Klausur-Tages - den Vortrag von Generalvikar Dr. Georg Bätzing
beim ersten Arbeitsgruppentag der Synodalen am 1. Februar 2014.

(Der mündliche Vortrag folgte diesen fünf Wegmarken:)

  • 1. Wir beginnen ein Experiment – oder: ein Exerzitium, einen Übungsweg. Switch

    Die Themenfelder für die Beratungen der Synode sind durch einen breiten Rücklauf aus dem Bistum bestätigt. Der Bischof hat es übernommen, diese zu präzisieren und zu konkretisieren, damit bei der 2. Vollversammlung entsprechende Sachkommissionen eingerichtet werden können. Die vier großen Themenbereiche sind:

    1)    Kirche in der Welt von heute.
    2)    Glauben leben lernen.
    3)    Den Glauben feiern in Gottesdienst und Gebet.
    4)    Die Gaben im Volk Gottes entdecken und fördern.

    Die Frage ist: Wie gehen wir an die Arbeit zu diesen Themenfeldern? Bei unseren Vorarbeiten in der Vorbereitungskommission wurde in einem anderen Zusammenhang die Einsicht formuliert, die aber auch hier Gültigkeit hat: „Wenn wir so anfangen, wie wir immer anfangen, werden wir auch so weiter machen wie immer.“

    Ich will ein Bild aus der Webkunst vorschlagen: mit den Themenfeldern ist der Rahmen gesteckt, die Kettfäden in Längsrichtung liegen vor uns. Ein festes Gewebe entsteht durch Kette und Schuss; jetzt gehen wir daran, die Querfäden einzuweben. Wir entwickeln Kriterien, vorgängig zur Arbeit in den Sachkommissionen und als gemeinsame Vergewisserung der Synode als Ganzer, die unseren Blick, unsere Perspektive auf die Fragen und Themen prägen. „Seit dem seligen Papst Johannes XXIII. und dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird diese Art von christlicher Situationsanalyse bezeichnet als das Forschen nach den Zeichen der Zeit“ (Silvesterpredigt Bischof Dr. Stephan Ackermann).

     In den Konzilstexten findet sich die Formulierung unter der wir unseren Arbeitsgruppentag heute verstehen, in der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ (GS 4) heißt es: „Zur Erfüllung … ihres Auftrags obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten.“

  • 2. Silvesterpredigt des Bischofs: „Zeichen der Zeit“. Verständnis und Bedeutung für die Synode Switch

    Bischof Stephan Ackermann hat das programmatische Wort aus den Konzilstexten in seiner Silvesterpredigt aufgenommen und den Auftrag, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen“ für die Synode konkretisiert und damit das Instrument für die Weiterarbeit auf dem synodalen Weg geschärft.

    • „Für unsere Synode ist dieser Begriff aber nur dann als ‚Sehhilfe’ tauglich, wenn wir uns auf ein gemeinsames Verständnis festlegen. Dazu möchte ich einen Vorschlag machen.“ (Silvesterpredigt)
    • Der Bischof schaut auf den Ursprung des Begriffs in den Evangelien. Mt 16,3 und Lk 12,56: Jesus wird in seiner Autorität angefochten. Die Menschen erkennen in ihm nicht den Messias Gottes. Da erinnert er die Leute, dass sie die Wetterzeichen sehr wohl zu interpretieren wissen: „Ihr Heuchler! Das Aussehen der Erde und des Himmels könnt ihr deuten. Warum könnt ihr dann die Zeichen dieser Zeit nicht deuten?“
    • „Im Tiefsten ist nämlich er das eigentliche und entscheidende Zeichen der Zeit. Er ist in Person das Zeichen dafür, dass Gott sich seines Volkes angenommen hat (Lk 7, 16) und seine Herrschaft bzw. das Reich in Jesus wirklich angebrochen ist.“ (Silvesterpredigt)
    • Das bedeutet aber: die reinen Zeiterscheinungen „haben noch nicht die Qualität von Zeichen im Sinne des Glaubens. Ereignisse, geschichtliche Entwicklungen und Trends erlangen erst die Qualität von Zeichen, wenn sie sich im Licht des Glaubens – konkreter gesagt: von Jesus und seiner Botschaft her – deuten lassen.“
    • Zeichen der Zeit im eigentlichen Sinn sind Hinweise auf das Kommen des Reiches Gottes in Jesus Christus.
    • Wenn wir darum jetzt prägende Entwicklungen unserer Zeit in den Blick nehmen, dann nutzen wir soziologische und humanwissenschaftliche Analyen, um die Phänomene gut anzuschauen. Aber wir gehen über die soziologische Darstellung hinaus und zielen auf eine geistlich-spirituelle Betrachtung der Situation, in der wir stehen.
      Ein weiterer Blick in die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils macht das deutlich: „Im Glauben daran, dass es vom Geist des Herrn geführt wird, der den Erdkreis erfüllt, bemüht sich das Volk Gottes, in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind. Der Glaube erhellt nämlich alles mit einem neuen Licht, enthüllt den göttlichen Ratschluss …“
    • Als Ausgangspunkt kommen die „prägenden Entwicklungen“ in den Blick, die bereits bei der 1. Vollversammlung eine Rolle gespielt haben:
      • Pluralisierung und Individualisierung;
      • demografischer Wandel;
      • Leben in einer Kommunikations- und Mediengesellschaft;
      • Flexibilisierung;
      • bedrohtes Leben;
      • Ökonomisierung vieler Lebensbereiche;
      • Wandel der Geschlechterrollen;
      • Religiosität.
    • Wir rechnen damit, dass diese Entwicklungen als solche nicht einfach Zeichencharakter haben, sie sind ambivalent. Wir suchen zu unterscheiden. Wir befragen diese Entwicklungen daraufhin, wo sie für uns zu „Zeichen der Zeit“, Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes werden. „Dies setzt freilich die Überzeugung voraus, dass der Herr auch in unserer Zeit ‚am Werk ist’ (Joh 5,17), dass mit anderen Worten Gottes Reich sich auch in unserer Zeit immer noch und immer wieder neu Bahn bricht“.
    • Wir suchen in den Strömungen unserer Zeit nach Zeichen, die uns den Weg weisen „zu mehr Glaube, mehr Hoffnung und mehr Liebe“ (Silvesterpredigt). Wir suchen aufmerksam nach lichtvollen Hinweisen, aber auch nach Brüchen, Anlässen zum Widerspruch …, also nach dem, was auf das ganz und gar „Neue“ hindeutet, das uns Jesus Christus gebracht hat.
    • Wir wählen als „Methode“ das Schema, das uns P. Meures mitgegeben hat als Hinweis auf die Frage, wie geistliche Prozesse in Gang kommen; das interaktive Dreieck: äußere Ereignisse – innere Ereignisse – die Offenbarung Gottes. (Grafik rechts)
  • 3. Einige Bilder als Verständnishilfe Switch

    Wir halten unsere Prägungen und Zeitströmungen ins Licht des Evangeliums und suchen danach, wo sie transparent werden für Gottes Reich und die Gegenwart Jesus Christi.

    Wir kauen sie durch wie Schwarzbrot, bis sich der Geschmack des vom Sauerteig durchwirkten Teiges einstellt.

    In gemeinsamer „Sehschule“ stehen wir vor einem Gemälde und tauschen unsere persönlichen Wahrnehmungen dazu aus; zugleich spüren wir dem Perspektivwechsel nach, der sich einstellt, wenn wir die Sichtweise anderer Menschen aufnehmen.

    Wir schälen, um an den Kern zu kommen. P. Alfred Delp SJ: „Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt uns dies gleichsam entgegen. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen. Wir erleben sie nicht durch bis zu dem Punkt, an dem sie aus Gott hervorströmen.“ (in einem Kassiber [geheime Nachricht aus dem Gefängnis], geschrieben im November 1944 im Gefängnis Berlin-Tegel, knapp drei Monate vor seiner Hinrichtung)

    Wir entschlüsseln unsere Gegenwartssituation, um den Weg auf Gottes Reich hin zu öffnen.

    Wir loten aus, um die religiöse Tiefendimension zu entdecken.

  • 4. Der Arbeitsgruppentag: Beginn einer geistlichen Übung Switch

    Was wir heute beginnen, ist also im wahrsten Sinn des Wortes eine geistliche Übung.

    • Dabei geht es nicht um einen Rundumschlag, einen allgemeinen Austausch. Allerwelts-Einschätzungen und Meinungen helfen uns nicht. Beim Jammern und Beklagen belassen wir es nicht!

    Wir vertrauen und bitten,
    dass es uns gelingt,
    in den prägenden Entwicklungen
    Gottes Zeichen der Zeit zu entdecken.

    • Damit das gelingt, bitte ich Sie um die Haltung, sich auf den Weg einzulassen, den die Gruppenmoderatoren/innen anleiten. Wie jede Übung folgt auch die heutige bestimmten Spielregeln. Sie helfen, dass wir konzentriert und konkret bei unserem Auftrag bleiben: bei der prägenden Entwicklung, für die ich mich entschieden habe – bei der Aufmerksamkeit für meine inneren Regungen und die womöglich ganz anderen der Menschen in meiner Gruppe – und beim Wort Gottes, das uns trifft.
  • 5. Deutung der Zeichen der Zeit : eine gewagte interpretatorische Aufgabe ohne Schlusswort Switch

    Das heißt auch: Wir werden heute nicht fertig!

    Die Gruppenmoderatoren/innen nehmen die Aufgabe wahr zu sichern, was die einzelnen Gruppen „entdecken“. Wo zeigen sich Zeichen der Zeit?

    Das gilt es dann nach diesem Tag über die Erfahrung der einzelnen Gruppen hinaus miteinander zu kommunizieren, zu bedenken, weiter zu verdichten. Denn wir haben uns vorgenommen, als ganze Synode in die „Sehschule“ zu gehen mit der Bitte an den Herrn:

    „Lass uns besser die Zeichen verstehen,
    die du uns in unserer Zeit gibst!“

     

     

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