Fastenpredigt "Synode – gemeinsam unterwegs" 23. März 2014 (Sr. M. Scholastika Jurt OP)

Heilende Liebe - Gemeinschaft in Christus und Gastfreundschaft

Liebe Brüder und Schwestern,

sehr herzlich grüße ich Sie, und ich möchte mit einer Erfahrung beginnen, von der Henri Boulad, Jesuit und ehemaliger Leiter der Caritas in Ägypten, erzählt:

„Am Tor der Jesuitenkirche in Kairo gibt es eine alte Frau, die Fachah heißt und ein Zeitungsblatt verkauft. Sie schielt, sie sieht schlecht, sie wäscht sich nur alle paar Monate, sie riecht sehr stark, und sie liebt mich. Jedes Mal, wenn sie mich sieht, stürzt sie auf mich zu, ruft freudig „Pater Boulad!" und küsst mich ab.
Daraus hat sich für mich eine Frage ergeben. Ausgehend von Fachah habe ich meinen Glauben neu überprüft. Ich habe mir gesagt: „Ist sie für dich das Antlitz Jesu? Ist sie für dich Jesus auf deinem Weg?" Sonntag für Sonntag stelle ich mit ihr diese Prüfung an.
Und sie hilft mir, im Glauben vorwärts zu kommen.
Es ist leicht, das Antlitz Gottes zu erkennen, wenn es sich in Frische und Schönheit manifestiert. Eine schöne junge Frau ist eine schöne junge Frau, da gibt es nichts zu deuteln, das ist einfach. Aber wenn sich das Antlitz Gottes in einem entstellten, hässlichen, alten, abstoßenden Gesicht zeigt, das schlecht riecht, tritt das Element des Glaubens auf den Plan.“

Diese Erfahrung stellt auch mich auf die Füße:
Wer ist bei mir willkommen, wo und bei wem spüre ich eine innere Öffnung und Offenheit, wo, bei wem eine Sperre, gar Widerstand?

  • Ich muss nicht bis Kairo gehen - Frau Fachah gibt es in meiner Nähe... Switch

    ... Vielleicht nicht gar so auffallend und überschwänglich und doch konfrontierend: Ich lebe in Koblenz mit 60 Mitschwestern zusammen, mit Frauen, die sich nicht gesucht haben und doch lebenslang miteinander einen Weg zu gestalten suchen, Frauen, deren Unterschiedlichkeit oft reibt und sticht. Schwestern sind wir, nicht zuerst Freundinnen oder Kumpel. Jede mit ihrem eigenen Hintergrund, mit ihren persönlichen Lebenserfahrungen, die gezeichnet sind von wirklicher Schönheit, von vitaler Leidenschaft, von Glück und innerem Reichtum, oft von einer tief eingewurzelten Sehnsucht, von Witz und Humor, jedoch auch von Verwundung, Schmerz und Trauer, von belasteter und belastender Geschichte. Die jüngste ist 25 Jahre alt, die älteste 98.

    Wir Dominikanerinnen leben nach der Regel des hl. Augustinus. Ein Grundwort daraus ist:

    Seid ein Herz und eine Seele auf dem Weg zu GOTT.

    Nicht mit einigen Bestimmten, von mir Ausgesuchten. Nein, mit allen. Auch mit der, die ständig die Nase hochzieht – auch in der Stille, im Gebet. Mit jener, die das Waschen nicht erfunden hat; mit jener, die meint, die Welt täglich neu denken zu müssen; und mit der Mitschwester, die mir stets und ständig eine Frage bleibt. Dann die andere, die immerzu kämpft um ihren Platz. Auch mit der, die so ganz anders in der Kirche groß geworden ist als ich, die sich mehr leiten lässt von der Angst als von der Liebe. Und auch die gibt es, bei der ich innerlich die Luft anhalte, wenn sie mir auf dem Flur begegnet. Im Gebet, im Chorgestühl sitzt sie mir dann wieder gegenüber, jahrein, jahraus. Und bei Tisch kann sie heute meine Nachbarin sein. Keine Fluchtversuche. Was hilft es! Die Anfrage von Henri Boulad ist geweckt:

    „Ist sie für mich das Antlitz Jesu? Ist sie für mich Jesus auf meinem Weg?"

  • Gemeinschaft in Christus - im Alltag Switch

    Und mich gibt es auch, für Einzelne bestimmt oft auch eine Zumutung, ein Störenfried...

    Die Welt im Kleinen also sind wir, gewöhnliche Leute sind wir. So gesehen ist da wenig Heiliges, viel Alltag. Das Zusammenleben eine tägliche Herausforderung. – Dennoch bleiben wir gemeinsam auf dem Weg.
    Jeden Morgen laden wir uns gegenseitig ein und beginnen mit dem Psalmvers:

    Kommt, lasst uns jubelnd vor dem Herrn, lasst uns zujauchzen dem Fels, unseres Heiles!,

    auch wenn wir in der Frühe noch müde sind, etwas schlaftrunken. Es geht nicht nach Lust und Laune, nein, letztlich geht es um diese stete Bereitschaft: „Herr, öffne meine Lippen, damit ich Dein Lob verkünde.“ Und am Abend: „In Deine Hände lege ich mein Leben.“

    Unser Refektorium sollte Tag für Tag Raum der Agape sein. Fortsetzung des Geschehens, das wir in der Eucharistie feiern: heiliges, geteiltes Wort, geteiltes Brot, geteilte Liebe. Bereiten sollten wir uns für Begegnungen selbstloser Zuwendung. Im Miteinander, in den Gesprächen. In den Blicken. In der Hilfsbereitschaft. Auch im Schweigen. Wir können es nicht einfach, es ist ein Üben.

    Ordensleben ist ein tägliches Üben. Letztlich jedes Leben, meine ich.
    Einüben, was Paulus uns im Philipperbrief mitgibt (Phil 2,1-5):

    Wenn es also Ermahnung in Christus gibt, Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes, herzliche Zuneigung und Erbarmen, dann macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig, dass ihr nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei tut.
    Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst.
    Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen.
    Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht.

    Gemeinschaft in Christus. Nicht leicht, dieses Leben, und doch seltsamerweise erfüllend. Weil ein Anderer dahinter steht, ein Anderer dahinter lebt und atmet und mit uns geht, weil ein Anderer uns zieht. Dieser Andere, den wir suchen: Christus. Wir haben ihn nicht. Er bleibt der Unfassbare, der Unermessliche, der alles Sprengende, und doch gibt er Raum für das konkrete Miteinander. Ohne ihn ist Chaos, ist Streit, geht es doch so oft um Rechthaberei.

  • Die Suche ist unsere Lebensbewegung. Switch

    Jesus holt Menschen zu sich in die Mitte, und in der Begegnung, durch die Berührung, durch einen Blick, im Gespräch werden sie heil. Durch und durch. So wie heute Morgen aus dem Evangelium die Begegnung am Jakobsbrunnen. Jesus und die Frau aus Samarien:

    Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten?

    Doch Jesus lässt sich jedoch nicht beirren, er bleibt ihr einfühlsam nahe und gibt ihr Boden, sich der eigenen Wahrheit stellen zu können, jener Wahrheit, die sie freimacht. Oder er holt den Zachäus vom Baum und lädt sich dann selber ein an seinen Tisch.

    Jesus zerreißt alte Rechnungen, wie es Wilhelm Bruners in einem Gedicht ins Wort bringt. Er reißt auf, was uns selbst von uns wegbringt. Was uns selber zu Fremden macht. Freunde nennt er uns, nicht Knechte, und er ist es, der uns zusammenruft, ecclesia, die Herausgerufenen, er ist es, der uns zusammenbringt, sei es in einem Kloster, sei es in unseren Gemeinden, in der Gemeinschaft der Kirche:

    Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt.
    Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau;
    denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus.

    Das ist die neue, österliche Schöpfung, die neue Familie, die neue Gemeinschaft. Hier beginnt diese Suche nach Weitung, nach dem, was im Tiefsten „katholisch“ heißt. Das Wort aus dem Galaterbrief ist wie ein weiterer Grundton auf dem Weg der Synode: eins werden in Christus, wo auch immer der Einzelne steht und fragt, woraus er lebt, was ihn bewegt.

    Jeder Mensch will und braucht echte Gemeinschaft. Auch wenn ein unsagbarer Freiheitsdrang in uns wohnt und wir uns immer wieder nach Zeiten der Unabhängigkeit sehnen, brauchen wir so sehr das innere Gefühl des Ankommendürfens, des Angekommenseins, der Beheimatung: Wem darf ich gehören? Zugehören? Wohin gehöre ich?

  • Jeder Mensch will und braucht echte Gemeinschaft. Switch

    Auch wenn ein unsagbarer Freiheitsdrang in uns wohnt und wir uns immer wieder nach Zeiten der Unabhängigkeit sehnen, brauchen wir so sehr das innere Gefühl des Ankommen-Dürfens, des Angekommen-Seins, der Beheimatung: Wem darf ich gehören? Zugehören? Wohin gehöre ich?

    Jeder Mensch braucht diesen Raum des Bleibens, um sich nicht zu verlieren, um sich verwurzeln zu können und sich dann aus diesem Gehaltensein frei zu bewegen.

    Wer einmal in der Fremde war, wer an einem ihm fremden Ort neu begonnen hat – sei es in der Arbeit oder durch eine Bindung – weiß, was es heißt, in eine Gemeinschaft aufgenommen zu werden, Beziehungen knüpfen zu dürfen, die tragen. In der Lesung hörten wir es:

    Ihr seid selber Sklaven gewesen in Ägypten, in der Fremde,
    unter Fremdherrschaft, Ihr wisst, was es heißt.
    So nehmt Euch der Fremden an, liebt sie wie Euer Eigenes.

    Fremde, Andersdenkende, Anderslebende lösen oft Ängste aus, Verunsicherung, Irritationen. Fremdes stört uns. Doch wer den eigenen inneren Reichtum, das eigene Geschenk des Glaubens kennt, braucht ihn nicht zu verteidigen wie eine Beute.
    Nur in einer gesunden Offenheit gelingt das Zuhören, das sich Zuneigen, angstfrei, interessiert, mit der Haltung eines Lernenden, einer Lernenden. Eines Jüngers, einer Jüngerin Jesu.

    Und nur wer sich hat, kann sich geben. Ohne Berechnung und ständige Absicherung. Hingabe nennen wir es im Kloster. Wer sich hat, kann auch außer sich sein, aus dem Häuschen sein. Kann Türen öffnen, die im eigenen Haus, in den Gemeinden und Gemeinschaften, die des Herzens, die zuerst, nur der kann sich öffnen und Teilhabe schenken am eigenen Leben. Heilende Liebe.

    Dieser Mensch kann offen bleiben für das Klopfen der Welt an die eigene Tür. Wissen wir denn, wer draußen steht, was er will? Wissen wir etwas von dem, der uns aufsucht? Wer es ist, der uns braucht?

    immer klopfst du an
    nachbar gott
    und störst mich
    wenn ich atme und trinke und esse

    und immer wieder
    öffnest du für einen
    bruchteil meines lebens
    ungebeten die tür und
    streust mir glück
    ins herz

    Bernhard Huber

Weiteres: