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Gilserberg mit
Stadtteil Winterscheid (Schwalm-Eder-Kreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Gilserberg bestand eine jüdische Gemeinde bis nach 1933.
Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurück, doch
könnten auch bereits im 17. Jahrhundert Juden am Ort gelebt haben. Nach Angaben
einiger ehemaliger jüdischer Familien am Ort sollen ihre Vorfahren bereits um
1700 hier gelebt haben.
Die Zahl der jüdischen Einwohner entwickelte sich im 19. Jahrhundert wie
folgt: 1835 34 jüdische Einwohner, 1861 54 (10,7 % von insgesamt 505
Einwohnern), 1871 50 (11,8 % von 425), 1885 47 (9,7 % von 487), 1895 71 (15,2
% von 468), 1905 71, 1910 61 (10,8 % von 563). Auch im heutigen Stadtteil
Winterscheid wohnten wenige jüdische Personen / Familien, darunter Familie
Wilhelm Stahl (siehe Bericht zu seiner Goldenen Hochzeit unten).
Die
jüdischen Familien lebten überwiegend vom Handel mit Vieh, Kolonialwaren und
Textilien. In den 1920er-Jahren und teilweise bis in die 1930er-Jahre gehörte
jüdischen Familien eine Drogerie, je ein Geschäft für Eisenwaren und
Holzhandel, Kolonialwaren und Textilien sowie ein Schuhgeschäft. Fast alle
Familien hatten neben ihren Gewerbebetrieben auch eine kleine Landwirtschaft.
An
Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine
jüdische Schule (seit 1841 Israelitische Elementarschule), ein rituelles
Bad und seit 1924/25 auch einen Friedhof.
Zur Besorgung religiöser Einrichtungen der Gemeinde war ein Lehrer angestellt,
der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (siehe Ausschreibungstexte der
Stelle unten). Die Gemeinde
gehörte zum Rabbinatsbezirk Oberhessen (Sitz in Marburg).
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Felix Isenberg (geb.
16.2.1888 in Gilserberg, gef. 30.6.1917). Sein Name steht auf dem
Gefallenendenkmal 1914-1918 (Sandsteinsäule vor dem Eingang der Kirche von
Gilserberg). Außerdem ist gefallen: Unteroffizier Felix Stahl (geb. 12.6.1892
in Gilserberg, vor 1914 in Zimmersrode wohnhaft, gef. 4.11.1915).
Um 1925 wurden 62
jüdische Einwohner gezählt (9,1 % von insgesamt ca. 680 Einwohnern).
Vorsitzender der Synagogengemeinde war Moses Stahl (siehe die Berichte zu seiner
Person unten). 1932 war Vorsitzender der
Gemeinde Siegmund Stern, Schatzmeister war Herz Stern.
1933 lebten noch 37 jüdische Personen in Gilserberg, die fast alle
zwischen 1937 und 1939 nach Frankfurt oder Marburg verzogen. Teilweise konnten
sie auswandern (die meisten in die USA), einige sind später deportiert und ermordet
worden.
Von den in Gilserberg geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Jenny Cohen geb. Isenberg
(1892), Erna Duneck geb. Feibusch (1892), Hedwig Heimenrath (1881), Meta
Heimenrath (1887), Rosa Salomon geb. Stern (1891), Friedel Lotte Stern (1932),
Helmut Stern (1924), Hermann Stern (1893), Karolina
Stern geb. Jakob (1897), Paula Wolff geb. Plaut (1901).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1884 /
1891
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Oktober 1884:
"Die israelitische Religionslehrer- und Vorsängerstelle zu
Gilserberg im Kreise Ziegenhain, Regierungsbezirk Kassel, soll anderweitig
besetzt werden. Besoldung jährlich 600 Mark neben freier Wohnung und
Feuerung.
Bewerber werden aufgefordert, ihre mit den nötigen Prüfungs-
und Führungszeugnissen versehenen Gesuche binnen drei Wochen
einzureichen.
Marburg, den 18. September 1884. Israelitisches Vorsteher-Amt Dr. Munk." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. Februar 1891:
"Bekanntmachung. Die israelitische Lehrer- und
Vorsängerstelle zu Gilserberg, mit welcher neben Dienstwohnung und freier
Feuerung eine kompetenzmäßige Besoldung von jährlich 750 Mark verbunden
ist, soll zum 1. April dieses Jahres anderweitig besetzt werden.
Bewerber
werden aufgefordert, ihre mit den erforderlichen Prüfungs- und sonstigen
Zeugnissen zu versehenden Meldungsgesuche binnen 3 Wochen an uns
einzureichen.
Marburg, 4. Februar 1891. Israelitisches Vorsteheramt. Dr. Munk." |
Anzeige von Lehrer Plaat (Plaut?, 1924)
Anmerkung: beim Tod von Salomon Stahl (siehe unten) spricht ein Lehrer Plaut
aus Treysa; war dieser möglicherweise vor Treysa in Gilserberg
tätig?
Anzeige in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift des
"Central-Vereins") vom 20. März 1924:
"Suche für meinen Sohn
Lehrstelle
in Manufakturwarengeschäft. Samstage und Feiertage
geschlossen.
Lehrer Plaat, Gilserberg (Bezirk Kassel)." |
Berichte zu einzelnen Personen in der Gemeinde
Über Moses Stahl: 87. Geburtstag (1925), 88. Geburtstag (1926), 89. Geburtstag
(1927), 90. Geburtstag (1928) und sein Tod
(1929)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Juli 1925: "Gilserberg,
28. Juni (1925). Der frühere Viehhändler und jetzige Rentner Moses
Stahl, beging in bester Gesundheit und Geistesfrische seinen 87.
Geburtstag. Er bekleidete lange Jahre das Amt des Gemeindeältesten und
trat vor einigen Jahren, als das Alter ihn dazu zwang, zu Gunsten seines
Sohnes, Jakob Stahl, zurück." |
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Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. Juli 1926:
"Gilserberg, 24. Juni (1926). Der älteste hiesige Einwohner, der
frühere Viehhändler, jetzige Auszüger Moses Stahl feierte in seltener
körperlicher Rüstigkeit und geistiger Frische seinen 88. Geburtstag. Der
alte Mann liest noch täglich seine Zeitung, ohne sich einer Brille zu
bedienen und ist noch zeitweise in der Landwirtschaft seines Sohns Jakob
Stahl recht tätig. |
|
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Juni 1927:
"Gilserberg, 26. Juni (1927). Seinen 89. Geburtstag beging in bester
Rüstigkeit und Geistesfrische Herr Rentner Moses Stahl dahier, der
älteste Einwohner unseres Ortes. 40 Jahre bekleidete er das Amt des
Gemeindeältesten." |
|
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 24. Juni 1927: "Gilserberg. Am 24. Juni
vollendet der Senior der hiesige jüdischen Gemeinde und auch des Ortes überhaupt,
Moses Stahl, sein 89. Lebensjahr. Stahl erfreut sich trotz seines
hohen Alters noch voller körperlicher und geistiger Frische. 40 Jahre hat
er der Gemeinde als Gemeindeältester vorgestanden und er konnte im
Dezember 1918 im Verein mit seiner leider vor einem Jahre verstorbenen
Gattin das Fest der goldenen Hochzeit begehen. Wir wünschen dem so
beliebten Herrn einen recht heiteren Lebensabend." |
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Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 15. Juni 1928: "Gilserberg. Am 24. Juni
1928 begeht in seltener körperlicher und geistiger Frische der älteste
Einwohner der jüdischen Gemeinde und des ganzen Ortes Moses Stahl die
Feier seines 90. Geburtstages. Herr Stahl erfreut sich im ganzen Orte
allgemeiner Beliebtheit. Lange Jahre wirkte er als Gemeindeältester. Am
29. August 1918 konnte er die Feier seines 40-jährigen Dienstjubiläums
begehen. Am 10. Dezember 1918 konnte er im Verein mit seiner Gattin die
goldene Hochzeit feiern. Am 28. August 1926 wurde ihm die bis dahin stets
so rüstige Gattin durch den Tod entrissen (im 82. Lebensjahre). Nunmehzr
ist es ihm vergönnt, im Kreise von Kindern und Enkeln die Feier seines
90. Geburtstages zu begehen." |
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Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. September
1929: "Gilserberg, 20. Februar (1929). Im fast vollendeten 91.
Lebensjahre verschied der älteste Einwohner unseres Ortes, Moses Strahl.
Er hatte mit seiner Gattin vor einiger Zeit das Fest der goldenen Hochzeit
feiern können. 40 Jahre war er Gemeindeältester. Wegen seiner
Hilfsbereitschaft wurde er allgemein bei Juden und Christen geschätzt. Seine
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
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Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung"
vom 8. Februar 1929: "Gilserberg (Persönliches). Im 91.
Lebensjahre verstarb der frühere Gemeindeälteste M. Stahl. Vier
Jahrzehnte hat er die religiösen Interessen der kleinen Gemeinde mit
Umsicht und Energie vertreten. Im Jahre 1918 konnte er mit seiner Gattin,
die ihm vor zwei Jahren in die Ewigkeit vorausging, das Fest der goldenen
Hochzeit feiern. Trotz seines hohen Alters war der Greis bis kurz vor
seinem Tode noch verhältnismäßig gesund und geistig rege. Das großer
Trauergefolge, das seiner Bahre folgte, bezeugte allgemeine Beliebtheit
und Achtung, deren er sich in weiten Kreisen
erfreute." |
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Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 1. Februar 1929: "Aus Gilserberg. Im
fast vollendeten 91. Lebensjahre verstarb der älteste Einwohner unseres
Ortes und auch wohl der näheren Umgebung, Moses Stahl. Mit seiner
ihm vor etwa zwei Jahren im Tode vorausgegangenen Gattin feierte der
Verstorbene im Jahre 1928 das Fest der goldenen Hochzeit. Vierzug Jahre
war Stahl Gemeindeälteste der hiesigen israelitischen Gemeinde. Wegen
seiner Hilfsbereitschaft war er im hiesigen Ort allgemein geschätzt und
geachtet." |
Zum Tod von Salomon Stahl (1928)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. Dezember 1928: "Gilserberg,
19. November (1928). Vor wenigen Tagen starb hier der in weitesten Kreisen
bekannte und beliebte Kaufmann Salomon Stahl, der viele Jahre
Gemeindeältester der hiesigen Gemeinde war und sich um dieselbe sehr
verdient gemacht hat. Das große Leichengefolge bewies das große Ansehen,
dessen sich der Verstorbene zu erfreuen gehabt hatte. Vor dem Trauerhause
und am Grabe hielten die Lehrer Plaut - Treysa
und Spier - Gemünden Worte der Trauer, die allgemeinen Beifall fanden. Seine
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
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Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 16. November 1928: "Gilserberg. Hier
starb dieser Tage der in weitesten Kreisen bekannte und beliebte Herr
Salomon Stahl. Er war langjähriger Vorsteher der hiesigen Gemeinde und
hat sich sehr um dieselbe verdient gemacht. von der großen Beliebtheit
des Verstorbenen zeugte das große Leichengefolge. Die Herren Lehrer
Plaut (Treysa) und besonders Spier
(Gemünden) sprachen in
herzlichster Weise am Grabe Worte des Gedenkens." |
Goldene Hochzeit von Wilhelm Stahl und Elisabeth geb.
Naumann in Winterscheid (1931)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 6. Februar 1931: "Gilserberg. Die
Eheleute Wilhelm Stahl und Frau Elisabeth geb. Naumann, in Winterscheid,
feierten in voller Gesundheit das Fest der goldenen Hochzeit. Dem
noch sehr rüstigen Jubelpaar wurden zahlreiche Ehrungen
zuteil." |
70. Geburtstag von Jakob Stern II (1931)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 30. März 1931: "Gilserberg. Am 26.
März (8. Nissan) begeht der Kaufmann Jakob Stern II in seltener
körperlicher und geistiger Frische die Feier seines 70. Geburtstages.
Stern bildet mit das Rückgrat der israelitischen Gemeinde, die nur noch
aus wenigen Familien besteht. Eine Reihe von Jahren war Stern als Vorbeter
an den Jomim Nauroim (= hohe Feiertage im Herbst) tätig, desgleich auch
als Bal Taukeoh (= Schofarbläser). Auch heute noch versieht er diese
Ehrenämter zur vollsten Zufriedenheit der Gemeinde. Auch über den Kreis
seiner Gemeinde hinaus erfreut sich Stern einer großen Beliebtheit, und
zwar nicht allein bei seinen Glaubensgenossen, sondern auch bei den
anderen Konfessionen. Seit Jahren vertritt er die Belange der jüdischen
Gemeinde in der Gemeindevertretung und ist auch dort sehr geschätzt.
Mögen dem Geburtstagskinde noch viele Jahre in solcher Rüstigkeit
beschieden sein." |
Zum Tod von Levi Stahl (1931 in Kassel; Levi Stahl
stammt aus Gilserberg)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 14. August 1931: "Todesfall. Nach 4
1/2 jähriger schwerer Krankheit verschied Herr Levi Stahl im 76.
Lebensjahre. In Gilserberg geboren, verbrachte er den größten
Teil seines Lebens in Kassel. Bis vor seiner schweren Erkrankung
war er rastlos tätig. Mit dem Erzvater Jakob konnte er von sich sagen:
'Wo ich am Tage war, verzehrte mich die Hitze und der Frost in der Nacht,
und es wich der Schlaf von meinen Augen.' Wegen seines Fleißes und seiner
strengen geschäftlichen Reellität erwarb er sich das Vertrauen seiner
Kundschaft. Der Inhalt seines Lebens war Arbeit und treue Fürsorge für
die Seinen. Seine hervorragenden geistigen Fähigkeiten stellte er
jederzeit in den Dienst seiner Mitmenschen, indem er ihnen immer gern mit
Rat und Tat zur Seite stand. Hierdurch und durch sein freundliches Wesen
erwarb er sich die Wertschätzung aller derer, die mit ihm in Berührung
kamen." |
Viehhändler Stahl wurde beim Ausladen von Kühen
schwer verletzt (1931)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 11. September 1931: '"Gilserberg. Beim
Ausladen von Kühen auf dem hiesigen Güterbahnhof wurde dem Viehhändler
Stahl von hier übel mitgespielt. Als er den Wagen öffnete, um eine
losgerissene Kuh in Empfang zu nehmen, warf sie ihn zur Seite stürmte aus
dem Wagen und sprang die 1,5 m hohe Laderampe herunter auf das Gleis, ohne
Schaden zu nehmen. Sodann rannte das wildgewordene Tier an den
Eisenbahnschienen entlang. Als Stahl ihm entgegentreten wollte, warf es
ihn die Böschung hinunter und bearbeitete ihn mit Hörnern und Füßen
derart, dass er von den Insassen eines Berliner Autos schwer verletzt
aufgehoben und in die Marburger Klinik geschafft werden
musste." |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Verlobungsanzeige von Selma Stahl und David Katzenstein
(1925)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Juli 1925: "Statt
Karten.
Selma Stahl - David Katzenstein. Verlobte.
Gilserberg, Bezirk Kassel. Juni 1925. Rhina
Kreis Hünfeld." |
Hochzeitsanzeige von Fritz und Jenny Stern (1924)
Anzeige in der "CV-Zeitung" vom 17. Juli 1924:
"Fritz Stern - Jenny Stern. Vermählte.
Neuwied am Rhein - Gilserberg
(Bezirk Kassel).
Trauung: Mittwoch, 16. Juli, Adlers Kurhotel, Bad Nauheim." |
Sonstiges
Warnung vor dem Gasthaus Steller (1927)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 1. April 1927: "Gilserberg.
Jüdische Reisende, die das Gasthaus Steller in Gilserberg
aufsuchen, müssen gewärtigen, von deutschvölkischer Seite belästigt zu
werden, da unter Führung des Sohnes des Besitzers dort die
Hakenkreuzler verkehren." |
Zur Geschichte der Synagoge
Eine erste Synagoge (Betsaal) unbekannten Baujahres war
Mitte des 19. Jahrhunderts (möglicherweise schon mehrere Jahrzehnte zuvor) im Haus
des Abraham Stahl eingerichtet. Da der Betsaal in seinem Besitz war,
bezahlte die Gemeinde für die Benutzung des Raumes eine Mietgebühr. Im Januar
1848 kündigte Abraham Stahl der Gemeinde. Hierauf ergriff der
Gemeindevorstand die Initiative zum Bau einer neuen Synagoge. Man wollte ein
bestehendes Gebäude kaufen, in dem die Synagoge, die Schule und die
Lehrerwohnung untergebracht werden konnten. Ein Wohnhaus mit Scheuer und Stall
wurde auch gefunden. Es sollte 300 Taler kosten. Der Umbau zum jüdischen
Gemeindezentrum wurde auf weitere 350 Taler kalkuliert, was der
Gemeindevorsteher durch eine Umlage und ein Darlehen aufbringen wollte. Freilich
waren die Gemeindemitglieder damit nicht einverstanden. Es sollte nach einem
günstigeren Gebäude Ausschau gehalten werden. Ein solches konnte freilich
nicht gefunden werden. Eine neue Lage ergab sich dadurch, dass Abraham Stahl im Mai
1848 verstarb. Sein Sohn Simon Stahl erlaubte offenbar die weitere
Benützung des bisherigen Betsaales.
Erst in den 1890er-Jahren kam es zu dem schon 1848 geplanten Kauf eines
bestehenden Hauses zum Umbau für eine Synagoge, ein Schulzimmer und die
Lehrerwohnung. Für die Sanierung und den Umbau des Gebäudes errechnete
Techniker Schneider vom Landratsamt Ziegenhain jedoch einen so hohen Betrag,
dass es die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde überstieg. Nachdem man
sich geeinigt hatte, eine umfassende Erneuerung nur im Bereich des Unterbaus
vorzunehmen, konnten die Bauarbeiten beginnen. Im Oktober 1897 konnte
Lehrer Plaut zur Erteilung des Religionsunterrichtes in neuen Räumen für die
Schule einziehen. Vier Monate später wurde am 12. Januar 1898 das
neue jüdische Gemeindezentrums feierlich eingeweiht.
Über die Einweihung dieser neuen Synagoge durch den Marburger
Provinzial-Rabbiner Dr. Munk liegen zwei Berichte vor:
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. Januar 1898: "Gilsenberg (verschrieben für Gilserberg), 12. Januar
(1898). Heute wurde hierselbst die neu erbaute Synagoge eingeweiht, die die
hiesige aus nur 10 Familien bestehende Gemeinde unter großen Opfern erbaut hat.
Die Einweihung erfolgte durch den Herrn Provinzial-Rabbiner Dr. Munk aus
Marburg; als Ehrengäste waren Herr Pfarrer Volkenand, sowie der Bürgermeister
und der evangelische Lehrer des Ortes eingeladen und erschienen. Zunächst fand
in der alten Synagoge der Abschiedsgottesdienst statt. Im Anschlusse an die Orte
"Denn mit Freude zieht aus und in Frieden..." verstand es der Herr
Redner zu zeigen, wie die Gemeindemitglieder trotz der Freude über den nunmehr
vollendeten Neubau doch von Wehmut erfüllt sein müssten, ein Haus zu
verlassen, das der Erinnerungen an freudige und auch traurige Ereignisse so
viele für sie habe. Kein Auge blieb bei diesen Worten tränenleer. Nachdem die Sifrei
HaTora (Torarollen) unter Chorgesang ausgehoben, setzte sich der Zug von der
alten Synagoge nach dem neuen Bet HaKnesset (Haus der Versammlung =
Synagoge) in Bewegung. Unter den Worten eines sinnigen Gedichtes wurde der Schlüssel
dem Herr Provinzialrabbiner überreicht, der das Gotteshaus mit den Worten
öffnete: Säh HaSchaar laAdonai Zadikim jawou bo ("Dies ist das Tor
zum Herrn, Gerechte ziehen durch es hinein"). Nachdem Ma Towu
("Wie lieblich...) gesungen und die Torarollen in den Aron haKodesch (Toraschrein)
eingehoben worden waren, bestieg der Herr Provinzialrabbiner die
blumengeschmückte Kanzel und sprach ein warmempfundenes, inhaltreiches Gebet,
welchem eine tiefdurchdachte Predigt folgte, der die Worte der laufenden Sidra...
zu Grunde lagen. In dieser zeigte der verehrte Redner, wozu das Gotteshaus
dienen soll, wie die Gottesverehrung nicht nur in demselben ihren Platz hat,
sondern, dass die ganze Welt den Juden ein Gotteshaus sein muss. Die Rede war
mit vielen schönen Pesukim und mit zahlreichen Midraschim
durchflochten und ausgeschmückt und zeigte den ehrwürdigen Redner wieder als
tiefen Denker, und als Meister und Beherrscher des Wortes. Die Rede wurde durch
den Gesang eines Chorals eingeleitet und mit Absingung des 100. Psalms
beschlossen. Herr Lehrer Plaut hatte es verstanden, trotz der wenigen ihm zur
Verfügung stehenden Kräfte einen ansprechenden Chorgesang zu Gehör zu
bringen. Der schon genannte Pfarrer Volkenand betrat nunmehr die Kanzel, um als
Lokalschulinspektor die Bedeutung der in demselben Hause untergebrachten
Volksschule zu beleuchten und insbesondere die Eltern zu ermahnen, das von dem
Lehrer in der Schule begonnene Werk der sittlich-religiösen Erziehung im Hause
fortzusetzen und mit der Schule Hand in Hand zu gehen. Es berührte äußerst
wohltuend, von einem nichtjüdischen Geistlichen an gottgeweihter Stätte
derartige Worte der Anerkennung für bewiesene Opferfreudigkeit und warmherzige
Ermahnung am Festhalten am ererbten Väterglauben aussprechen zu hören. Die
offizielle Feier fand mit dem Mincha-Gebet ihren Schluss, der - wie üblich -
Musik und Festbankett folgte. G.O." |
|
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 28. Januar
1898: "Gilserberg, 12. Januar (1898). Der heutige Tag war für
die hiesige kleine israelitische Gemeinde ein Ehrentag; es wurde nämlich
die neue Synagoge eingeweiht, die unter großen Opfern aus eigenen Mitteln
der Gemeindeglieder hergerichtet und prächtig ausgestattet worden ist.
Der Provinzial-Rabbiner Dr. Munk - Marburg hielt in dem bisherigen
Betlokal eine ergreifende Abschiedsrede, die die Zuhörer zu Tränen
rührte. In feierlichem Zuge, in welchem wir den Ortsgeistlichen, den
Lehrer und den Bürgermeister bemerkten, wurden die Torarollen nach der
neuen Synagoge getragen. Vor derselben überreichte eine Festdame unter
passender Ansprache dem Herrn Dr. Munk den Schlüssel, der dann nach
kurzen Worten das Gotteshaus erschloss. Der geräumige Tempel vermöchte
kaum die große Anzahl der Festteilnehmer zu fassen, die unter
gespanntester Aufmerksamkeit der Festrede des Herrn Dr. Munk lauschten
über den Text: 'Mose, Mose, ziehe deine Schuhe von deinen Füßen, denn
der Ort, darauf du stehst, ist heiliger Boden.' Nach Beendigung er
ergreifenden, zu Herzen dringenden Festpredigt sprach der Ortsgeistliche
in seiner Eigenschaft als Lokalschulinspektor zur Weihe des neuen
Schulsaales, der in demselben Gebäude sich befindet, herzliche Worte zu
Kindern und Eltern. Die Worte dieses Herrn machten auf die Zuhörer einen
tiefen, wohltuenden Eindruck. Die üblichen Gesänge wurden von einem zu
diesem Zweck gebildeten Synagogenchor vortrefflich zu Gehör gebracht. Ein
Ball endete die erhebende Feiert, die der nur zehn Familien zählenden
Gemeinde ein ehrendes Zeugnis von Opferwilligkeit, Einigkeit und
Gastfreundschaft ausstellt." |
Über das zur Synagoge umgebaute Gebäude
liegt bei Thea Altaras (1994 S. 49) folgende Beschreibung vor: "Der
Haupteingang mit Doppeltür und kleinem Windfang führte in die Synagoge, die an
der nordwestlichen Seite des Gebäudes platziert war und einen beinahe
quadratischen Grundriss hatte (ca. 7,5 x 6,5 m). The Toraschrein befand sich
neben dem Kamin, mittig an der nordöstlichen Wand, das Vorlespult unmittelbar
davor, entsprechend waren die Sitzbänke (Stände), die 40 Männern Sitzplätze
boten, angeordnet... Die zweiseitige, auf vier Stützen ruhende Empore war
entlang der südwestlichen und nordwestlichen Wand angebracht und über den Flur
im Obergeschoss erreichbar. Der Eingang zum Obergeschoss war an der Rückseite
des Gebäudes vorgesehen und vom Hof aus zugänglich. Die Empore hatte 40
Frauenplätze.
Da das Obergeschoss auf der Rückseite nur um 2 Stufen über der Erde erhöht
lag, war der Zugang zu der Empore und zum Schulzimmer beinahe ebenerdig, was von
großem Vorteil war. Gegenüber der Empore, durch Flur von dieser getrennt,
befand sich nämlich ein großer Schulraum mit einer ca. 38 qm großen Fläche.
Mit der im Flur, in der Mitte des Gebäudes, befindlichen Treppe konnte man
sowohl die Lehrerwohnung im zweiten Geschoss als auch die Vorratsräume im
Keller erreichen."
Zur Anordnung der Fenster ebd.: "Mit Ausnahme der zwei hohen
Rundbogenfenster der Synagoge hatten die übrigen Fenster eine rechteckige und
übliche Form. Die Eigenart des Synagogensaales waren vor allem die
Umfassungswände, die, mit Ausnahme der Türöffnung, fensterlos und
vollgemauert waren. Die Unterkante der zwei großen Rundbogenfenster war
gleichzeitig die Oberkante des Unterbaus, die Fensteröffnungen bei der Empore
hatten dagegen die übliche Brüstungshöhe..."
Beim Novemberpogrom 1938 kam aus Oberbeisheim eine
SA-Abteilung in der Absicht, die Synagoge in Gilserberg zu zerstören. Ein Teil
der
Inneneinrichtung wurde zerstört. Doch konnte eine Brandstiftung durch das beherzte
Eintreten eines nichtjüdischen Nachbarn verhindert werden. Die Torarollen waren schon zuvor nach Kassel "in Sicherheit" gebracht
worden, wo sie jedoch bei den dortigen Zerstörungsaktionen beim
Novemberpogrom 1938 vernichtet wurden. Nach einem anderen Bericht wurden einige
Tage nach dem Pogrom durch Jugendliche Torarollen durch die Hauptstraße
geschleift.
Kurze Zeit nach der Pogromnacht wurde das in den Besitz der
Ortsgemeinde gekommene Synagogengebäude als "Spritzenhaus" der
Feuerwehr zweckentfremdet.
Nach 1945 war es
einige Zeit Kindergarten. Das Grundstück wurde 1951 an einen Privatmann
verkauft, der unter Verwendung der Umfassungsmauer der ehemaligen Synagoge hier
ein Wohn- und Geschäftshaus (Apotheke) erstellte.
Heute befindet sich hier eine Fahrschule/Wohnhaus.
Adresse/Standort der Synagoge: Bahnhofstraße 13 (früher Dorfstraße 40)
Fotos
Historische Aufnahmen
der Synagoge 1928/30 |
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Es
handelt sich bei den obigen Fotos um screenshots aus der Isenberg Family Film Collection",
Film: "Isenberg family visits relatives in Gilserberg; cemetery; synagogue"
Link zur Sammlung: http://www.ushmm.org/online/film/search/result.php?titles=Isenberg+Family+Film+Collection
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Nach 1945
(Foto aus Altaras s.Lit. 1994 S. 49) |
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Blick auf das an
Stelle der ehemaligen Synagoge stehende Gebäude (Juni 1988);
nur noch die
Grundmauern der Synagoge sind erhalten. |
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Foto Frühjahr 2010
(Foto: Hahn, Aufnahmedatum 8.4.2010) |
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Das Geschäft von Jacob
Stern
(Quelle: wie Synagogenfotos oben
bzw. Foto rechts aus der Dokumentensammlung
United States Holocaust Memorial Museum) |
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Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
März 2024:
Verlegung von "Stolpersteinen" in
Gilserberg |
Artikel in hna.de vom 26. März 2024: "Gilserberg.
Stolpersteinverlegung mit Künstler Gunter Demnig in Gilserberg
70 Menschen wohnten der ersten Stolpersteinverlegung vor dem ehemaligen Haus
der Familie Stern in der Bahnhofstraße in Gilserberg bei.
Gilserberg – Bürgermeister Rainer Barth dankte den Akteuren: 'Erinnerung
soll uns wachhalten, damit Ähnliches nie wieder passieren kann. Die
Stolpersteine sind dafür besonders gut geeignet, weil Geschichte nur
wirklich erfahrbar werden kann, wenn sie auf einzelne Personen bezogen ist
und ortsbezogen vermittelt werden kann.' Gunter Demnig berichtete, dass er
den ersten Stolperstein Ende 1992 in Köln eingegraben habe, inzwischen seien
es annähernd 105.000 nicht nur in Deutschland. Diese Art des Gedenkens, das
Verbrechen vor die Haustüre zu bringen, mache er vor allem für die jungen
Menschen und die Angehörigen als Zeichen, dass die jüdischen Nachbarn nicht
vergessen sind. Der Künstler verlegte drei Stolpersteine für die Familie
Stern, weitere sollen folgen.
Louis Liebmann Stern, geboren 1879 in Gilserberg, führte das
väterliche Geschäft für Kolonial-, Manufaktur- und Eisenwaren fort und
betrieb wie die meisten Gilserberger Juden auch etwas Landwirtschaft. 1936
wurde er verhaftet, weil er angeblich das Ansehen der Wehrmacht verunglimpft
hatte. In der Haft wurde er schwer misshandelt.
Ida Stern und ihren Söhnen gelang die Flucht. Als gebrochener Mann
kehrte er zurück und floh mit seiner Frau Ida, geboren 1885 in Battenberg,
und den Kindern Hans und Gunther nach Frankfurt, wo er am 3. November 1938
an den Folgen der Körperverletzungen im Krankenhaus verstarb. Ida Stern
gelang mit ihrem Sohn Gunther die weitere Flucht in die USA. Sie starb am 9.
Januar 1968 in Los Angeles.
Hans Stern wurde 1923 in Marburg geboren. Er besuchte die Volksschule
in Gilserberg, bis ihm dies 1933 aus rassistischen Gründen verboten wurde.
Seine Tante in Marburg nahm ihn auf. 1936 kehrte er nach Gilserberg zurück,
um dort seine Bar Mitzwa zu feiern. Am 6. Juni 1939 konnte er über einen
Kindertransport nach Liverpool das Land verlassen. Von dort siedelte er im
1940 in die USA über, wurde Soldat und kam so gegen Ende des Krieges in
seine alte Heimat. In Gilserberg wurde John Stern, wie er sich nun nannte,
von alten Bekannten, die ihn vor zehn Jahren noch gedemütigt hatten, mit
schlechtem Gewissen freudig begrüßt. Er starb am 19. Dezember 2018 in den
USA.
Gedenkstein soll ein Zeichen der Mahnung und Verpflichtung sein. Auch
der Platz vor der früheren Synagoge ist nun ein Ort des Erinnerns. Das
Gebäude hatte der Vater von Louis Liebmann Stern erworben und der Gemeinde
als Gotteshaus mit Schulraum überlassen, die es am 12. Januar 1898 feierlich
einweihte. Das Haus wurde während des Novemberpogroms durch den Einsatz des
Bürgermeisters nicht zerstört und nach dem Krieg als Gemeindekindergarten
und Apotheke genutzt."
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Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. 1 S. 262-263. |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 73-74. |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 49-50. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S. 172. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 407-408. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Gilserberg
Hesse-Nassau. Established around 1830, the community numbered 71 (15 % of the
total) in 1895 and 35 (6 %) in 1933. Torah scrolls previously moved to Kassel
were destroyed on Kristallnacht (9-10 November 1938). By December 1939,
all the Jews had left, mostly emigrating, 17 to the United States.
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