Die Orgel auf dem Königschor wurde am 22. November 2008 geweiht, dem Gedenktag der Hl. Cäcilia. Sie steht in der zweiten nördlichen Arkade des Dom-Langhauses vor der Vierung und damit fast mittig in der 110 Meter langen Kathedrale. Ihr 13 Meter hoher Frontprospekt aus Pfälzer Eichenholz schließt optisch bündig mit der Pfeilerflucht ab und ist deshalb vom Hauptschiff aus nicht zu sehen. Dafür ragt das Orgelgehäuse mit seinem klingendem Rückprospekt sichtbar in das nördliche Seitenschiff hinein und ermöglicht so eine optimale Schallabstrahlung in den Kirchenraum. Passend zur romanischen Schlichtheit hat der Prospekt eine dezente Formsprache und die Gehäuseoberflächen wurden von Hand mit der Ziehklinge verputzt.
Die Klanggestaltung der Orgel ist vielfältig angelegt und orientiert sich nicht an einem direkten Vorbild, wie es etwa im Speyerer Dom existiert haben könnte. Kein Historismus, sondern Reverenzen an bestimmte Epochen der Orgelbaugeschichte und äußere Aspekte bestimmten ihre Planung und Konstruktion: Einflüsse der umgebenden Kulturlandschaften, die Raumakustik sowie die Aufgaben des Instruments bei Gottesdiensten und Kirchenkonzerten. Die Eigenschaften einer großen 1-manualigen Orgel aus dem klassischen Pfälzer Orgelbau standen Pate für die Disposition der Register in Hauptwerk und Positiv. Typisch ist hier zum Beispiel die Doppeldeutigkeit des Registers Salicional, das nicht die Eleganz französischer Streicherstimmen, sondern eine eher herbe Tonsprache - angesiedelt zwischen Flöte und Streicher - besitzt. Die enge Nachbarschaft zu Frankreich fand in der Klanglichkeit des Schwellwerks ihren Niederschlag: Die Ästhetik der Orgeln von François Callinet (Elsass) und Aristide Cavaillé-Coll wurde aufgegriffen und weiterentwickelt. Ein ausgeklügeltes System von einzeln oder kombiniert bedienbaren Jalousien der Front-, Seiten- und Dachschweller ermöglicht eine feine Dynamikabstufung in der großen Akustik des Kaiserdomes.
Übergeordnet kennzeichnen klassische Prinzipien des süddeutschen und französischen Orgelbaus die Klanggestaltung: vier verschiedene ("unterscheidliche") labiale 8-Fuß-Stimmen (Principal, Flöte, Streicher, Gedeckt), drei 4-Fuß-Stimmen (Oktave, Flöte und ein Register in konischer Bauform) sowie französische Aliquotstimmen, Cornett, Mixturen und Zungenstimmen in französischer Bauweise. Das 3-manualige Instrument ist in kunsthandwerklicher Massivbauweise ausgeführt, so wie sich die Orgelbauwerkstatt Seifert an den Vorbildern des 18. Jahrhunderts orientiert, ohne auf die Errungenschaften der Neuzeit zu verzichten. So ist in die Orgel ein digitales Bussystem integriert worden, um sie auch vom Spieltisch der neuen Hauptorgel auf der Westempore anspielen zu können, und das die elektrische Spiel- und Registertraktur sowie die Setzerkombination steuert. Hierdurch ergeben sich viele zusätzliche innovative Bedienmöglichkeiten für die Praxis der Organisten.
Eine Besonderheit der Orgel auf dem Königschor sind fünf "mitteltönig" gestimmte Register, die ein eigenständiges Werk im Instrument bilden. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, die viele Jahrhunderte umfassende Tradition der Kirchenmusik (im Speyerer Dom) authentisch wiederzugeben.
Inspiriert vom Principal-Register als Urklang des Musikinstruments Orgel und verbunden mit der Rückbesinnung auf die Idee eines gotischen Blockwerks, wurden die Pfeifen des mitteltönigen Werks aus Orgelmetall mit einem Bleianteil von 82 Prozent in Annäherung an historische Vorbilder angefertigt. Als wichtige Erfahrung dienten den Orgelbauern dabei die Arbeiten für das John-Cage-Orgelprojekt, bei denen eine Auseinandersetzung mit der von Michael Praetorius beschriebenen gotischen Orgel im Dom von Halberstadt (Nicolaus Faber 1361) notwendig war. Die mitteltönige Stimmung mit rein gestimmten Terzen war über acht Jahrhunderte lang im Orgelbau gebräuchlich und eignet sich vor allem für das Zusammenwirken mit Vokalmusik in den Kirchentonarten und für Choralvorspiele aus dem Früh- und Hochbarock. Auch für die Intonation und Begleitung von Kirchenliedern in den gebräuchlichen Tonarten ist diese Stimmart ideal.
Das Hauptmerkmal der Mitteltönigkeit sind rein gestimmte große Terzen, zu Ungunsten anderer Tonintervalle. In der mitteltönigen Stimmart gibt es keine enharmonische Verwechslung, weil jede Tonhöhe innerhalb der Skala eindeutig bestimmt ist. So kann etwa ein Fis nicht als Ges umgedeutet werden. Die Klaviaturteilung wurde mit einer echten "kurzen Oktave" ohne Subsemitonien (geteilten Obertasten) realisiert. Die "kurze Oktave" dient zum Greifen von Bassfiguren, es fehlen die Töne Cis, Dis, Fis und Gis. Mit Zügen in den Klaviaturbacken der Manuale I und II kann der Gang beim Niederdrücken der Tasten begrenzt werden. Das ermöglicht eine besonders feine Spielart, wie sie bei der Interpretation von Werken aus der Alten Musik gefordert ist.
Lothar Heinle
Disposition der Orgel auf dem Königschor