Präses Immer steuerte die rheinische Kirche durch eine schwierige Zeit politischer Umbrüche, die seine Leitung der Landeskirche stark prägte. Unter ihm wurde die rheinische Kirche zu einem wichtigen gesellschaftlichen Diskussionspartner.
Karl Eduard Immer, so der vollständige Name, wurde am 28.5.1916 im ostfriesischen Rysum (heute Gemeinde Krummhörn) als Sohn des reformierten Pfarrers Karl Immanuel Immer (1888-1944) in eine Familie geboren, die über mehrere Generationen Pfarrer hervorgebracht hat. Von 1914 bis 1925 bekleidete der Vater die Pfarrstelle in Rysum, so dass der Junge die ersten Lebensjahre in dem Dorf in der Nähe von Emden verbrachte. Mit dem Wechsel des Vaters in die Gemeinde Barmen-Gemarke zog die Familie ins Wuppertal. Politisch gehörten die Sympathien des Vaters den Deutschnationalen, und folglich wurde der „nationale Aufbruch“ 1933 im Elternhaus zunächst begrüßt. Auch der Sohn sympathisierte mit der braunen Parteijugend und nahm 1935 sogar am Reichsparteitag in Nürnberg teil.
Inzwischen war der Vater allerdings auf Distanz zur NSDAP gegangen und hatte vor allem zu den „Deutschen Christen“ und der von ihnen beherrschten evangelischen Kirche in Preußen eine offene Gegnerschaft entwickelt. In so genannten „freien Synoden“, die zuerst im Januar und Februar 1934 in der Gemeinde Barmen-Gemarke stattfanden und von Pfarrer Immer organisiert wurden, sammelten sich die Gegner der Deutschen Christen und bildeten die „Bekennende Kirche“. Zunächst geschah das nur rheinlandweit, aber vom 29.-31.5.1934 trafen sich Delegierte aus vielen evangelischen Kirchen ganz Deutschlands zur „Barmer Bekenntnissynode“. Unter dem Einfluss des Schweizer Theologen Karl Barth (1886-1968) verabschiedete die Synode die „Barmer Theologische Erklärung“, die in sechs Thesen die Irrlehren der Deutschen Christen verwarf. Um den genauen Wortlaut dieser Thesen wurde zwischen lutherischen und reformierten Theologen während der Synode heftig gerungen. Der endgültige Text stand erst in der Nacht fest, der Gymnasiast Karl Immer schrieb ihn noch in derselben Nacht auf der Schreibmaschine und vervielfältigte ihn, damit er am folgenden Tag von den 139 Synodalen einstimmig verabschiedet werden konnte.
Nach dem Abitur studierte Karl Immer evangelische Theologie an der Kirchlichen Hochschule, die die Bekennende Kirche in Wuppertal-Barmen errichtet hatte, und später in Halle, wo er 1943 zum Lizenziaten der Theologie promoviert wurde. Als Vikar schloss er sich der „Bruderschaft rheinischer Hilfsprediger und Vikare“ der rheinischen Bekennenden Kirche, der späteren „Kirchlichen Bruderschaft im Rheinland“ an, deren Vorsitz er 1953 übernahm. Zu dem Zeitpunkt war er bereits Pfarrer in Duisburg-Neudorf. Bundesweit hatte er 1952 als Leiter einer „Arbeitsgemeinschaft für Frieden und gegen deutsche Wiederaufrüstung“ mit einem Flugblatt auf sich aufmerksam gemacht, in dem mit dem Hinweis auf die Barmer Theologische Erklärung eine deutsche Wiederbewaffnung energisch abgelehnt und die Duisburger Jugend zur Verweigerung des Militärdienstes aufgefordert wurde. Als die kommunistische „Neue Volkszeitung“ diese Aktion als Unterstützung ihrer Propaganda interpretierte, machte Immer deutlich, dass sein Aufruf sich ebenso an die jungen Männer in der DDR richtete.
Überhaupt bezogen Immer und die „Kirchliche Bruderschaft“ früh Stellung gegen die Westbindung der jungen Bundesrepublik. Um die Wiedervereinigung der zwei deutschen Staaten nicht zu verspielen, befürworteten sie deren Neutralität. In der rheinischen Kirche konnte Immer sich mit dieser Position, die selbst bei vielen Mitgliedern der Kirchenleitung Anhänger fand, nicht vollständig durchsetzen, aber doch viel Zustimmung auf sich ziehen. Seine innerkirchlichen Gegner bezeichneten ihn und die Kirchliche Bruderschaft als „alte Kämpfer der BK“ und warfen ihnen vor, etwa mit ihren Personalvorschlägen eine „konsequente Politik der Sieger des Kirchenkampfes nach 1945“ zu betreiben. Sie bestritten auch den Anspruch Immers und seiner Freunde, den Widerspruch gegen die militärische Aufrüstung und vor allem gegen die atomare Bewaffnung zum „status confessionis“ zu erheben, also in dieser Gegnerschaft ein entscheidendes Kennzeichen des rechten christlichen Glaubens zu sehen und alle Kontrahenten, die die militärische Aufrüstung der Bundesrepublik befürworteten, insbesondere den Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU, als „unchristlich“ darzustellen.
Bei der Wahl zum nebenamtlichen Mitglied der rheinischen Kirchenleitung 1958 setzte sich Immer mit deutlicher Mehrheit gegen den Exponenten des konservativen Lagers durch. Zehn Jahre später wurde er, dem durch seine linksprotestantische Haltung bereits der Beinamen „der rote Immer“ beigelegt wurde, zum hauptamtlichen Oberkirchenrat gewählt. Zuständig war er unter anderem für die rheinischen Studentengemeinden, die in jenen unruhigen Jahren häufig die Zentren des studentischen Protests waren. Zwar zeigte Immer mehr Verständnis als die übrigen Mitglieder der Kirchenleitung für die Unruhe und den Protest der Studenten, rückte aber jetzt von deren radikalen Widerspruch und manchmal sogar gewalttätigen Widerstand deutlich ab.
In einer politisch kontrovers diskutierten Richtungsentscheidung wählte die rheinische Landessynode Immer 1971 zum Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Als Kompromisskandidat stach er im zweiten Wahlgang drei weitere Mitbewerber, darunter den Bonhoeffer-Biographen Eberhard Bethge (1909-2000) und den populären Hamburger Theologie-Professor Helmut Thielicke (1908-1986), aus. Allerdings konnte Immer die konservativen Kreise in der rheinischen Kirche auch als neuer, gemäßigterer Präses nicht für sich gewinnen. Bei seiner Wiederwahl 1973 war er der einzige Kandidat, erhielt aber 58 Nein- von insgesamt 253 abgegebenen Stimmen.
Immer steuerte die rheinische Kirche durch ein krisenhaftes Jahrzehnt. Geprägt war die Zeit seiner Kirchenleitung vom politischen Aufbruch der frühen 1970er Jahre unter der ersten sozial-liberalen Regierung, von der Ölkrise mit ihren wirtschaftlichen Problemen und von der Gefahr durch den Terrorismus der RAF. Präses Immer verstand seinen Glauben und sein kirchliches Amt als einen auch in die Politik hineinwirkenden Auftrag, denn „nachdem die Politisierung unser gesamtes Leben erfasst hat, können wir unser Christsein nicht entpolitisieren.“ In den aufgeregten Debatten jener Jahre war er um Mäßigung und Ausgleich bemüht, scheute sich aber auch nicht, zu den drängenden Fragen seiner Zeit klar Stellung zu beziehen. So unterstützte er zum Beispiel die Ostpolitik der Regierung Brandt. Gegenüber Reformimpulsen wie dem des Wagnisses von mehr Demokratie und des Abbaus von Bürokratie blieb er skeptisch, auch innerkirchliche Reformen kamen unter ihm kaum voran. Dafür förderte er das konkrete soziale Handeln der Kirche und brachte zum Beispiel Hilfsprogramme seiner Kirche gegen die in seiner Amtszeit einsetzende Massenarbeitslosigkeit, insbesondere für arbeitslose Jugendliche, auf den Weg.
Unter den innenpolitischen Problemen, mit denen die Kirche damals konfrontiert war, war der Terrorismus beherrschend. Einige Terroristen entstammten Pfarrhäusern oder waren jedenfalls in einem „evangelischen Milieu“ aufgewachsen. Als der Berliner Bischof Kurt Scharf (1902-1990) inhaftierte Terroristen besuchte und deshalb heftig kritisiert wurde, erklärte sich Immer solidarisch mit ihm, „denn es ist die Aufgabe der Kirche, in einer polarisierten Gesellschaft sich der Randgruppen anzunehmen“. Andererseits wandte sich der Präses gegen Sympathiebekundungen rheinischer Theologiestudenten mit den Zielen der Terroristen.
Schon vorher hatte er sich von radikalen Auffassungen der Jugend distanziert und etwa den „Radikalenerlass“ der Bundesregierung auch für die Kirche verteidigt. Die Mitgliedschaft eines Pfarrers in der DKP wie der NPD sei schon aus seelsorgerlichen Gründen mit seinem Amt unvereinbar. Allerdings hielt die Kirchenleitung die Mitwirkung von Pfarrern bei Bürgerinitiativen für möglich, auch wenn diese von der DKP getragen würden.
Ein besonderes kirchliches Problem jener Jahre war die Bekämpfung des Rassismus und der Apartheidspolitik in Südafrika. Die Forderung, dem Sonderfonds zu ihrer Bekämpfung auch Kirchensteuermittel zur Verfügung zu stellen, wurde immer wieder erhoben. Immer hielt an der Gewaltfreiheit fest und lehnte es ab, Steuermittel der Landeskirche für den bewaffneten Kampf zu verwenden. Doch gab er dem Druck von Gemeinden und Kirchenkreisen nach und erlaubte, dass diese ihrerseits anders verfuhren.
Präses Immer steuerte die rheinische Kirche durch eine politisch erregte Zeit. Deren soziale und ökonomische Probleme prägten seine Leitung, vielleicht mehr, als er es selbst wollte. Unter ihm entwickelte sich die rheinische Kirche zum gesellschaftlichen Diskussionspartner, der sich neben anderen Partnern, aber nicht mehr in herausgehobener Position am politischen Gespräch beteiligte. Im Prozess einer fortschreitenden Pluralisierung der Gesellschaft übernahm die evangelische Kirche – anders als nach dem Ersten Weltkrieg - damit zwar Mitverantwortung für das Gemeinwohl, aber um den Preis einer gewissen Vernachlässigung von Theologie, biblischer Exegese und Verkündigung. Die Konzentration auf die Christologie wurde abgelöst von einem „Reden und Tun der Kirche ... in den soziologischen Strukturen dieser Welt“, wie Immer 1975 selbst urteilte.
Dieses kritische Urteil bedarf einer Einschränkung: 1980 verabschiedete die rheinische Synode eine „Erklärung zum Verhältnis von Christen und Juden“. Darin wurde die Mitverantwortung der Kirche für den Holocaust benannt, die besondere Erwählung Israels betont und festgehalten, dass erst darauf die „Hineinnahme der Kirche durch Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk“ erfolgt sei. Die rheinische Kirche verzichtete deshalb auf die Judenmission.
Die Erklärung wurde gerade von der Universitätstheologie heftig kritisiert. Präses Immer war zwar um Ausgleich bemüht, hielt aber dennoch an ihr fest. Die rheinische Erklärung wurde wegweisend für ähnliche Erklärungen in anderen Landeskirchen, zum Beispiel in Baden, in Berlin-Brandenburg, Pommern und der Pfalz.
Karl Immer starb nach längerer Krankheit am 3.1.1984 in Düsseldorf.
Werke
Immer, Karl (Hg.), Kirche in diesen Jahren. Ein Bericht. Präses D.Dr. Joachim Beckmann zum 70. Geburtstag, Neukirchen 1971.
Was mir mein Glaube und meine Kirche bedeuten, Neukirchen 1973.
Literatur
Kaminsky, Uwe, Kirche in der Öffentlichkeit – Die Transformation der Evangelischen Kirche im Rheinland (1948-1989), Bonn 2008.
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Wittmütz, Volkmar, Karl Immer, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/karl-immer/DE-2086/lido/57c927fb429701.37725836 (abgerufen am 21.06.2022)