"Keine Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung"

Bischof Ackermann im Interview zur Wallfahrt ins Heilige Land

Herr Bischof, im Rahmen der Sternwallfahrt der Diözesen der Kölner Kirchenprovinz ins Heilige Land haben Sie unter anderem Bethlehem, den Ölberg,  Nazareth und die Gegend um den See Genezareth besucht.  Welches Gefühl ist es, an den Stätten zu sein, an denen Jesus gewirkt und gelebt hat?

Ackermann: Eine Fahrt ins Heilige Land macht deutlich, wie konkret der Glaube an die Menschwerdung Gottes ist. Hier spürt man, dass die Schauplätze des Evangeliums keine imaginären Orte, sondern reale Gegebenheiten sind.

Für mich war es der zweite Besuch im Heiligen Land. Diesmal ist mir besonders aufgegangen, auf welch engem Raum, in welch schlichten Verhältnissen und in welch kurzer Zeit sich das irdische Leben Jesu abgespielt hat. Im krassen Unterschied dazu steht die geradezu explosionsartige Wirkung, die diese Botschaft in die ganze Welt hinein entfaltet hat. Das ist für mich ein starker Beweis für ihre Glaubwürdigkeit. Eine erfundene Geschichte hätte mit Sicherheit nie eine solche Wirkung haben können!

Wie kann eine Pilgerreise ins Heilige Land Pilgerinnen und Pilger aus Deutschland in ihrem Glauben stärken?

Ackermann: Während der Fahrt hat mir eine Frau gesagt: „Für mich ist diese Reise wie ein fünftes Evangelium.“ Das heißt doch: Bei einer solchen Pilgerreise bekommt die Botschaft Jesu eine ungeahnte Anschaulichkeit und verbindet sich auf neue Weise mit der eigenen Glaubenserfahrung. Wichtig ist darüber hinaus die Erfahrung: Ich stehe mit meinem Glauben nicht allein. Da sind andere an meiner Seite.

Schließlich war unsere Pilgergruppe auch davon beeindruckt, wie stark der Glaube an Gott den Lebensalltag der Menschen prägt. Dies ist natürlich besonders spürbar in Jerusalem, der Stadt der drei großen abrahamitischen Religionen. Der Gebetsruf des Muezin, die orthodoxen Juden im Stadtbild und das Glockengeläut der christlichen Kirchen sprechen auf ihre je eigene Weise vom Glauben an die Gegenwart Gottes.

Wenn man von Deutschland aus auf das Heilige Land schaut, scheint es, dass Extremismus und Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten in letzter Zeit eher wachsen.  Teilen Sie diese Einschätzung und was müsste geschehen, um aus dem Teufelskreis gegenseitigen Misstrauens und wachsender Gewaltbereitschaft heraus zu kommen?

Ackermann: Ob Extremismus und Gewaltbereitschaft insgesamt wachsen, wage ich nicht zu beurteilen. Die Mehrheit der Bevölkerung auf beiden Seiten ist der Gewalt überdrüssig. Es gibt keine Alternative zum Frieden. Freilich gibt es extreme Gruppen unter Muslimen und Israelis, die die Spannungen immer wieder anheizen. Wir haben es in Jerusalem erlebt: Eine unglaubliche Zahl an Sicherheitskräften wurde aufgeboten, um die Lage beim Freitagsgebet der Muslime während des jüdischen Laubhüttenfestes stabil zu halten. Der Teufelskreis der Gewalt lässt sich nur durchbrechen, wenn und in dem Maß, in dem auf beiden Seiten Vertrauen wächst.

Einer unserer israelischen Reiseführer, dem ich dieselbe Frage stellte, gab mir zur Antwort: Wir brauchen auf beiden Seiten starke politische Führungspersönlichkeiten, die den Mut zum ersten Schritt haben.

Selbst US-Präsident Barack Obama ist bei seinem jüngsten Treffen mit Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu beim Versuch gescheitert, Weichen für neue Friedensverhandlungen zu stellen. Welche Möglichkeiten hat die westliche Politik?

Ackermann: Sicher ist es so, dass an erster Stelle die USA Einfluss auf die Konfliktparteien, insbesondere die israelische Politik, nehmen kann. Es ist zu hoffen, dass Präsident Obama seinen eingeschlagenen Weg beharrlich fortsetzt und sich nicht zu schnell entmutigen lässt. Die EU und auch Deutschland müssen in ihrer Nahostpolitik verdeutlichen, dass letztlich kein Weg daran vorbei führt, dass palästinensische und israelische Politiker sich an einen Tisch setzen müssen. Ohne schmerzhafte Kompromisse wird es nicht gehen.

Schließlich können westliche Staaten Organisationen, Initiativen, und Projekte in Israel und Palästina fördern, die sich für Begegnungen, Austausch und Frieden einsetzen. Dies geschieht ja Gott sei Dank bereits und sollte in seiner Wirkung nicht unterschätzt werden.

Aufgrund des Holocausts kann man zuweilen den Eindruck haben, dass deutsche Politiker sich grundsätzlich schwer damit tun, die israelische Politik zu kritisieren bzw. auch politischen Druck auf Israel auszuüben.  Täuscht dieser Eindruck und wie „unbelastet“ können sich auch deutsche Bischöfe zur israelischen Politik äußern?

Ackermann: Bischöfe sind keine Politiker. Deshalb bin ich zurückhaltend damit, mich zum politischen Tagesgeschäft zu äußern. Das heißt nicht, dass wir nicht Stellung beziehen sollten. Es ist möglich, die israelische Politik zu kritisieren. Selbst Repräsentanten Israels, wie etwa der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, ermutigen dazu. Wichtiger ist die Frage, in welcher Form, mit welcher Sensibilität sie geäußert wird. Vor dem Hintergrund des Holocausts und der deutsch-israelischen Geschichte ist es offensichtlich, dass Einfühlungsvermögen und Umsicht geboten sind. Alles andere wäre ein Mangel an Respekt. So sollte man es bei einer solchen Kritik vermeiden, in pauschalisierender Weise vom „Judentum“ zu sprechen.

Die Mauer...

In Deutschland haben wir gerade den 20. Jahrestag des Mauerfalls gefeiert.  Die Israelis sind dagegen dabei, eine Mauer zu errichten. Papst Johannes Paul II. hat schon 2003 gesagt: „Das Heilige Land braucht keine Mauern, sondern Brücken.“ Müsste die Kritik am Mauerbau, gerade auch aus Deutschland, nicht sehr viel schärfer ausfallen?

Ackermann: Bei unserem Besuch in Bethlehem sind wir der Mauer aus nächster Nähe begegnet. Der Anblick ist wirklich erschreckend, weil man die Angst spürt, von der dieses Bauwerk diktiert ist. Zugleich bekommt man eine Vorstellung davon, wie massiv die Mauer den Lebensraum der Palästinenser einschränkt. Ich sehe nicht, wieso wir als Deutsche besonders dazu berechtigt oder aufgefordert wären, diesen Mauerbau zu kritisieren.

Bei uns war die Situation der innerdeutschen Grenze insofern anders, als die Mauer gewaltsam ein einziges Volk trennte. Wir können allerdings aus der Erfahrung unserer Geschichte den Konfliktparteien sagen: So hoch und so bewacht die Mauer auch sein mag, sie wird letztlich nichts nützen, und: Sie wird nicht ewig stehen!

Ein Journalist formulierte vor kurzem: „Jedes neue Haus in einer israelischen Siedlung (in den palästinensischen Gebieten) ist ein Stein mehr auf der immer höher werdenden Mauer, die die Palästinenser von dem Ziel des eigenen Staates trennt.“ Gibt es aber aus Ihrer Sicht, auch als Präsident der Deutschen Kommission „Justitia et Pax“, eine Alternative zu einer Zwei-Staaten-Lösung?

Ackermann: Nein, dazu gibt es keine realistische Alternative. Israelis und Palästinenser müssen einander als gleichberechtigte Partner ernst nehmen, auch in ihrem Bestreben nach einem eigenen Staat. Alle anderen zurzeit diskutierten Möglichkeiten werden dieser Perspektive nicht gerecht.

Inwieweit hat „Justitia et Pax“ grundsätzlich das Heilige Land im Blick?

Ackermann: In der Menschenrechts- und Friedensarbeit von Justitia et Pax liegt ein Fokus auf der Situation im Heiligen Land. Dies konkretisiert sich unter anderem darin, dass mein Vorgänger Erzbischof Marx als Vorsitzender der Deutschen Kommission regelmäßig an den internationalen Bischofstreffen in Jerusalem teilgenommen hat. Diese finden seit 1998 statt und haben ja auch das Ziel, Solidarität mit den Christen im Heiligen Land zu zeigen. Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hat vor einigen Jahren eine Solidaritäts- und Dialogreise nach Israel und Palästina unternommen. Dabei wurden Menschenrechts- und Friedensorganisationen sowie kirchliche Partner besucht.

Die Zahl der Christen im Heiligen Land ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Viele sind aus Angst vor Gewalt ausgewandert. Kann diese Entwicklung überhaupt gestoppt werden?

Ackermann: Ich weiß es nicht. Der Anteil der Christen an der Bevölkerung beträgt aktuell leider nur noch rund zwei Prozent. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die arabischen Christen gegenüber Israelis und Muslimen in einer doppelten Minderheitensituation sind. Man kann sicher niemanden zwingen zu bleiben, zumal wenn es kaum berufliche Chancen für Christen gibt.

Mit unserer Sternwallfahrt wollten wir ein kleines Zeichen der Ermutigung und der Solidarität setzen. Bei den Borromäerinnen des Gästehauses St. Charles, in dem wir in Jerusalem untergebracht waren, ist uns dies gelungen. Die Schwestern haben uns gesagt, dass unser Kommen für sie eine wichtige Bestärkung gewesen sei, da sie schon seit Jahren keine so große Pilgergruppe mehr in ihrem Haus beherbergt hätten.

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