Geht hinaus an Hecken und Zäune...

Das Gleichnis vom großen Gastmahl

Das Gleichnis vom großen Gastmahl findet sich sowohl bei Matthäus als auch bei Lukas. Der Maler hat sich bei der Wiedergabe der Lukasversion etwas besonderes einfallen lassen: Sind die mittelalterlichen „Comic - Streifen“ gewöhnlich alle von links nach rechts zu lesen, so folgt der Maler hier auf wirklich originelle Weise der Logik des Textes und lässt den Betrachter den „Weg“ durch diese Bildseite suchen und schließlich mit einem Aha-Erlebnis finden.
 
Betrachten wir die Bildseite als Ganzes, so fällt uns links (im unteren und mittleren Streifen) eine eindeutig nach oben strebende Bewegung der Armen, Kranken und Gelähmten auf, die sich mühselig auf Krücken und niedrigen Handstützen fortbewegen. Im oberen Streifen sehen wir sie dann, die „PAUPERES“ zu Tische sitzen. Unser Auge langt dann nach rechts schauend beim Gastgeber (HOMO QUIDAM) an, dessen Absicht es ist, „die Vielen“ zum Mahle zu laden. Schon bringt der Speisemeister in einer goldenen Schüssel die Vorspeise. Aber links vom Gastgeber ist noch viel Platz frei geblieben an der reich gedeckten Tafel(ADHUC LOCUS).Deshalb schickt der Herr seinen Diener noch einmal hinaus auf die Straße, „und nötige die Leute zu kommen, damit mein Haus voll wird (Lk 14, 23).

Andeutungsweise hat der Maler dem Diener einen weißen Stab verkehrt herum in die Hand gegeben. Ja, den Wanderstab wird die Dienerschaft des Gastgebers noch brauchen, um sich aufzumachen, um weitere Gäste einzuladen:

Denn die, die im zweiten und dritten Bildstreifen geladen worden waren, hatten alle eine einleuchtende Ursache, warum sie die Einladung nicht annehmen konnten:

-          „Ich habe einen Acker gekauft und muss unbedingt hingehen und ihn besichtigen.“
-          „Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und bin eben auf dem Weg , sie zu prüfen.“ (Auf dem Bild können wir einen dunkelbraunen Ochsen gerade noch erkennen, der von einem hellbraunen fast verdeckt ist. Dieser wiederum verschwindet fast ganz hinter dem rotbraunen, der im Vordergrund detailliert wiedergegeben ist.
-          Der dritte Geladene auf dem unteren Bildstreifen ist gerade mit seiner Braut auf der „Hochzeitsreise“, auf einem stolzen Apfelschimmel reitend, dessen Zaumzeug mit Goldnägeln verziert ist! (Heute wäre es ein funkelnagelneuer weißer Cadillac oder ein Ferrari).

Nein, versteht sich, sie haben Besseres vor, als die Einladung zum himmlischen Festmahl anzunehmen!. Die Armen aber, die Krüppel, Blinden und Lahmen, im dritten Bildstreifen eingeladen von einem Knecht, leisten der Einladung bereitwillig Folge.

Teils aus eigener Anstrengung, teils von anderen gestützt, aber alle von der Gnade Gottes nach oben gezogen, sind sie am Tisch des Herrn angelangt, die „Pauperes“ Stellvertretend für die anderen darf der Arme, der neben dem Hausherrn sitzt, dessen Händedruck spüren. Ja, der Herr zieht ihn sogar am Handgelenk näher zu sich, als wolle er ihm zu verstehen geben: „Du bist mir wertvoll; du gehörst hierher!“

Der festlich bereitete Tisch, die Goldschalen, sowie die mit einem Kreuz gezeichneten Brote deuten auf den eucharistischen Tisch hin, und darüber hinaus auf die Gemeinschaft im Himmel.

Die Aufwärtsbewegung der Armen vom unteren und mittleren Bildstreifen nach oben, bis sie schließlich mit Gott im Himmel zu Tische sitzen, illustriert das Hauptthema des Magnifikat: „Er erhöht die Niedrigen.“ (Lk 4, 52)

Und wenn es im Magnifikat weiter heißt: „Hungrige beschenkt er mit seinen Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen“ (Lk 4, 53), so verstehen wie durch den mittelalterlichen Illustrator des Gleichnis vom großen Gastmahl auf einmal besser: dass nicht Gott es ist, der beschlossen hat, die Reichen leer ausgehen zu lassen, sondern dass diesen der irdische Besitz so wichtig ist, dass sie die Einladung Gottes nicht richtig wahrnehmen und ihr daher auch nicht Folge leisten.

Dann werden wiederum sie „Arme“ sein und wahrscheinlich, wie die Armen auf dieser Bildseite, mit allen Kräften dem Festsaal zustreben, um an der freudigen Mahlgemeinschaft teilzunehmen. Und wenn die armen Reichen weiterhin ahnungslos bleiben sollten, so erinnert der mittelalterliche Maler sie durch die auffälligen merkwürdig nach oben wallenden farbigen Wellen an die unendliche Liebe unseres Gottes, der alle Menschen an sich ziehen möchte. „Wenn du die Gabe Gottes kennen würdest ...“ (Joh 4,10)

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