7. Berliner Runde zur Zukunft der Pflege
Digitalisierung - DIE Lösung für den Fachkräftemangel?
Das Wort Digitalisierung ist seit geraumer Zeit in aller Munde und es scheint in fast alle Lebensbereiche auszustrahlen. Davon ist der Bereich der Pflege nicht ausgenommen. Hier finden Entwicklungen in unterschiedlichen Segmenten statt, bis hin zu der Vision, dass künftig menschenähnliche Roboter statt Pflegepersonen pflegebedürftige Menschen versorgen werden.
Für die einen ist das der Blick in eine herausfordernde und spannende Zukunft, für andere ist eine solche Vorstellung mit Unsicherheit und Ängsten verbunden.
Doch was bedeutet Digitalisierung in der Pflege wirklich, wie gestaltet sich derzeit die technische Bandbreite? In welchen pflegerischen Bereichen kann digitale Technik umgesetzt werden und Unterstützung sowohl für pflegebedürftige Menschen als auch für die Pflegenden leisten? Welche Chancen und Risiken birgt eine solche Technologie und was sind Rahmenbedingungen für ihren Einsatz? Können technische Systeme bedenkenlos in der Pflege eingesetzt werden, wie erfolgt die ethische Bewertung von Technikeinsätzen bei und an pflegebedürftigen Menschen?
Diesen Fragen hat sich im Rahmen eines sachlichen und fachlichen Austauschs am 18. Oktober 2019 die Berliner Runde gewidmet, zu der die Sozial- und Gesundheitsministerien aus RLP und NRW alle Interessierten herzlich einluden.
Das Veranstaltungsformat „Berliner Runde zur Zukunft der Pflege“ hat sich zwischenzeitlich als eine wichtige länderübergreifende Veranstaltung erfolgreich etabliert und ermöglicht einen konstruktiven und durchaus kritischen Dialog zu aktuellen Themen mit Akteuren der Bundes- und Landespolitik wie auch der pflege- und gesundheitspolitischen Verbände. Im Rahmen der Veranstaltung werden zentrale Fragestellungen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und diskutiert.
Ziel der diesjährigen Veranstaltung war es, zum einen die Formen von Digitalisierung in der Pflege darzustellen und zum anderen einen sachlichen Diskurs rund um das Thema digitale und technische Unterstützungssysteme in der Pflege anzuregen.
Referentinnen und Referenten - Vitae und Präsentationen
VDI/VDE Innovation + Technik GmbH; Demografie, Cluster und Zukunftsforschung, Berlin
Vita
Maxie Lutze berät und forscht seit 2011 im Bereich „Demografie, Cluster und Zukunftsforschung“ der VDI/VDE-IT sowie am Institut für Innovation und Technik (iit).
Als Diplom-Informatikerin und Human-Factors Expertin beschäftigt sie sich mit der partizipativen und zielgruppenorientierten Entwicklung digitaler Technologien.
Ihre Arbeit widmet sie der Frage wie können Menschen von digitalen Technologien profitieren?
Sie ist Autorin der wissenschaftlichen Expertise „Assistenztechnologien und Pflegebedürftigkeit: Nutzen, Potenziale und Handlungsbedarfe“. Für das Bundesministerium für Bildung und Forschung verantwortet sie das Themenfeld „Pflegeinnovationen 2030“ und begleitet das Cluster „Zukunft der Pflege“ sowie die Themen Robotik und Künstliche Intelligenz.
Die fachliche Vernetzung von Wissenschaft und Praxis gehört dabei zu ihrer Mission. Dafür gestaltet Frau Lutze passgenaue Formate und unterstützt den Austausch.
Statement
Erfahrungen sammeln, Erkenntnisse teilen und Ergebnisse bewerten!
Nicht die besten Algorithmen gestalten die Pflege zukunftsfähig, sondern Menschen, denen es gelingt, Menschen und digitale Technologien zu integrieren. Für einen sinn- und nutzenstiftenden Einsatz digitaler Technologien braucht es Innovationskultur, Bildung und Evidenz.
Universität Osnabrück
Vita
Manfred Hülsken-Giesler ist Professor für Pflegewissenschaft am Institut für Gesundheitsforschung und Bildung der Universität Osnabrück. Er studierte Pflegewissenschaft, Sozialwissenschaften, Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften an der Universität Bremen und promovierte im Jahr 2007 an der Universität Osnabrück. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der theoretisch wie empirisch gestützten Technikentwicklung, -erprobung und -bewertung für Pflege und Gesundheit, der Zukunftsforschung in Pflege und Gesundheit sowie der grundlagentheoretisch begründeten Weiterentwicklung von Pflege und Pflegewissenschaft. Hülsken-Giesler ist Mitglied der Sachverständigenkommission zur Erstellung des Achten Altersberichtes der Bundesregierung zum Thema „Ältere Menschen und Digitalisierung“ und vielfach als Gutachter und wissenschaftlicher Berater für Bundesministerien, Stiftungen und einschlägige Forschungsprojekte tätig.
Statement
Die aktuelle Dynamik im Bereich der Entwicklung und Erprobung von digitalen Technologien für die Pflege fordert dringlich dazu auf, Reflexionen darüber anzustellen, welche technischen Innovationen sinnvoll in die Arbeits- und Lebenswelten von älteren und ggf. pflegebedürftigen Menschen sowie ihren informellen und professionellen Helfern einzupassen und wie diese Einpassungen ggf. vorzunehmen sind. Das Potenzial einer digital gestützten Pflegearbeit wird sich erst dann entfalten, wenn Reflexionen dieser Art sich nicht primär am Maßstab etablierter Strukturen und Prozesse oder des technisch Machbaren orientieren, sondern vielmehr gefragt wird, welche Impulse digitale Unterstützungssysteme für soziale Innovationen geben können, in wie weit sie also ggf. neue Arbeitsprozesse, neue Kommunikationsprozesse oder auch neue Verantwortlichkeits- und Aufgabenverteilungen unter Bedingungen zunehmend komplexer Pflegearrangements im Hilfe-Mix von informellen, professionellen und digital gestützten Unterstützungsnetzwerken ermöglichen. Erst über diese weitreichenden Reflexionen wird sich auch das Potenzial einer sozio-technischen Weiterentwicklung der Pflege unter Gesichtspunkten der Qualitätssicherung, der Fachkräftebedarfe oder auch der interdisziplinären Kooperation im Versorgungsteam klären lassen.
Bethel.regional, Projekt Bethel, Düsseldorf
Vita
- Studium der Gerontologie (Diplom) an der Universität Vechta
- Promotion in Diakoniewissenschaft am Institut für Diakoniemanagement und Diakoniewissenschaft der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel
- Tätigkeiten u. a. in der Pflege- und Wohnberatung sowie der stationären Altenhilfe
- Seit 2011 tätig für die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in den Bereichen Unternehmensentwicklung und Projektmanagement, aktuell Leitung eines Projekts zum Aufbau von Angeboten in der Eingliederungshilfe im Rheinland
- Ausgezeichnet mit dem Wichernpreis 2019 für die Dissertation „Technik, die begeistert!? Ethische Reflexion technischer Unterstützung in der Diakonie ausgehend vom Capabilities Approach nach Martha Nussbaum“
Statement
Die Digitalisierung erscheint im Sozial- und Gesundheitswesen oft als DIE Lösung für eine Vielzahl von Problemen. Fachkräfte sollen durch Technologien entlastet, pflegebedürftige Menschen im Alltag unterstützt und Kosten dabei möglichst noch eingespart werden. Ob sich all diese Hoffnungen tatsächlich erfüllen, wird sich zeigen. Aktuell werden zumindest Technologien entwickelt und erprobt, die in Zukunft in Bereichen der Pflege eingesetzt werden können, die bisher ausschließlich zwischenmenschlicher Unterstützung vorbehalten waren. Damit verbindet sich eine Vielzahl ethischer Fragen: Wie können pflegebedürfte Menschen in ihrer „digitalen Teilhabe“ besser unterstützt werden? Wer finanziert derartige Systeme? Wer erhält Zugang dazu? Wer trägt die Verantwortung für die Handlungen solcher Technologien und ggf. für ihre Fehler? Woran bemisst sich der Einsatz technischer Unterstützungssysteme und wo sollten Grenzen gesetzt werden? Die meisten dieser Technologien sind aktuell noch in der Erprobungsphase und Fragen der Finanzierung sind noch ungeklärt, so dass eine flächendeckende Nutzung bisher nicht erfolgt. Die Pflege sollte die Zeit bis zu einem breiteren Einsatz neuer Systeme aber nutzen, um derartige ethische Fragestellungen zu reflektieren und ihr Professionsverständnis mit Blick auf zukünftige Rahmenbedingungen zu aktualisieren.
Philosophisch Theologische Hochschule Vallendar
Vita
- Wissenschaftliche Mitarbeiterin (seit 2015) an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar Fakultät Pflegewissenschaft, Lehrstuhl Gemeindenahe Pflege
- Wissenschaftliche Mitarbeiterin (2012-2015) an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg, Institut für Pflegewissenschaft
- Lehrerin für Gesundheitsberufe (2011-2012) an den Schulen für Allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege und für Kinderkrankenpflege an den Salzburger Landesklinken
- Gesundheits- und Krankenschwester (2005-2014) an den Salzburger Landeskliniken
Statement
Zur Unterstützung pflegepraktischer Tätigkeiten sowie zur Erfassung pflegerischer Leistungen werden zunehmend neue, d.s. computergestützte Technologien eingesetzt. Theoretischen Strömungen zufolge sind technische Artefakte dabei keineswegs als neutrale Dinglichkeiten zu sehen. Betrachtet man beispielsweise das wechselseitige Verhältnis ambulant Pflegender zu mobilen Endgeräten (konkret Smartphones), so lassen sich deutliche Veränderungen in der Arbeitsorganisation, der Leistungsdokumentation sowie in der Kommunikation (besonders bei problembehafteten Situationen) beobachten. Mobile Endgeräte werden dabei oft wenig reflektiert an bestehende, analog gedachte Arbeitsprozesse angedockt und verändern damit die Arbeit auf der Mikroebene. Über die Durchgängigkeit in die betriebliche Ebene (Mesoebene) eröffnen sie Optimierungspotenzial und automatisierte Legitimationszwänge, z.B. für Arbeits- und Betreuungszeiten, die von Pflegenden teilweise als Kontrollmechanismen verstanden werden. Den betrieblich begründeten Optimierungsbestrebungen der ambulanten Pflegedienste stehen Strategien zur Erhaltung von Gestaltungsspielräumen auf Seiten professionell Pflegender dialektisch gegenüber.
Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar
Vita
- Wissenschaftliche Mitarbeiterin (seit September 2016) an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar am Lehrstuhl für gemeindenahe Pflege
- Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege (2015-2016) an der Schule des Katholische Klinikums Koblenz-Montabaur und der Schule der Rhein-Mosel-Fachklinik
- Gesundheits- und Krankenpflegerin in verschiedenen Funktionen und Einrichtungen (2011-2014)
- Masterstudium Pflegewissenschaft (2013-2015) an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar
- Diplomstudiengang Wirtschaftswissenschaften an verschiedenen Hochschulen (2005-2012)
Statement
„Doch was bedeutet Digitalisierung in der Pflege wirklich, wie gestaltet sich derzeit die technische Bandbreite? In welchen pflegerischen Bereichen kann digitale Technik umgesetzt werden und Unterstützung sowohl für pflegebedürftige Menschen als auch für die Pflegenden leisten? Welche Chancen und Risiken birgt eine solche Technologie und was sind Rahmenbedingungen für ihren Einsatz? Können technische Systeme bedenkenlos in der Pflege eingesetzt werden, wie erfolgt die ethische Bewertung von Technikeinsätzen bei und an pflegebedürftigen Menschen?“ Bereits an diesen Fragen aus der Ankündigung der Veranstaltung wird deutlich, dass ein kompetenter Umgang mit digitalen Technologien eine systematische Vorbereitung auf allen Ebenen pflegerischer Versorgung erfordert (Peters/ Hülsken-Giesler 2018). In den Berufsgesetzen und Curricula findet dies noch wenig Beachtung (Kuhn et al. 2019). In diesem Sinne sind Technikkompetenzen mit Blick auf verschiedene Qualifikationsniveaus in der Pflege noch zu erarbeiten und entsprechende Angebote in Bildungsgänge zu integrieren (GI 2017). Mit Blick auf die Veränderungen der Arbeitswelt und der Forderung des lebenslangen Lernens geht es ebenso darum, Pflegende dazu zu befähigen digitale Lernangebote zur eigenen Weiterqualifizierung auszuwählen und zu nutzen.
Diözesan - Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V.
Vita
- Referentin für Qualitätsberatung im Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V. Pflegefachperson, Evaluatorin, Gesundheitswissenschaftlerin.
- Leitung und Koordination u. a. wissenschaftlicher Projekte zur Qualität in der Versorgung und Förderung des Theorie-Praxis-Transfers.
- Mitglied in wissenschaftlichen Beiräten.
Statement
„Mit den aktuellen Entwicklungen in der Pflege wird neben der zunehmenden Digitalisierung auch der Einsatz humanoider Roboter diskutiert. In der Pflege(aus)bildung sind humanoide Roboter nutzbar, wenn sie innerhalb eines Lernkonzeptes die Rolle eines Tutors übernehmen und somit die Anwendung der Lerninhalte in die Praxis unterstützen.“
Landesgeschäftführerin der BARMER in Rheinland-Pfalz und im Saarland
Vita
Dunja Kleis ist Landesgeschäftsführerin der BARMER in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Sie studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Trier. Nach Abschluss des Studiums im Jahr 1993 begann Kleis ihre Laufbahn bei der BARMER. Als Landesgeschäftsführerin leitet sie heute die BARMER-Landesvertretung Rheinland-Pfalz/Saarland mit Sitz in Mainz. Die Landesvertretung ist Ansprechpartner für Institutionen, politische Gremien und Verbände, unter anderem auch im Bereich Pflege.
Statement
Digitale Lösungen zur Förderung der Gesundheit von Pflegeheimbewohnern sind derzeit noch nicht sehr weit verbreitet. Einen ersten Schritt dies zu ändern, hat die BARMER zusammen mit dem Spiele-Entwickler RetroBrain unternommen. Die beiden Partner testen in bundesweit 100 Pflegeheimen, wie sich die geistigen und körperlichen Fähigkeiten von Pflegeheimbewohnern durch den Einsatz der therapeutischen Spielkonsole memoreBox verbessern lassen. Drei davon befinden sich in Rheinland-Pfalz. Die Charité Universitätsmedizin Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin und die Alice Salomon Hochschule Berlin begleiten den Test wissenschaftlich. Die memoreBox ist keine handelsübliche Spielkonsole, sondern ein computergesteuertes Bewegungsspiel mit therapeutisch abgestimmten Übungen für pflegebedürftige Menschen. Die Spiele integrieren therapeutische, präventive und rehabilitative Elemente, die aus Erkenntnissen der Geriatrie, der Neuropsychologie sowie der Physio- und Musiktherapie entwickelt wurden. Sie schulen die Beweglichkeit und den Gleichgewichtssinn, können aber auch kognitive Fähigkeiten wie planvolles Handeln und die Lernfähigkeit anregen. Auch fördert das Spielen die soziale Interaktionsfähigkeit. Die Pflegeheimbewohner nehmen die Spielkonsole gut an, denn Menschen haben in jedem Alter einen natürlichen Spieltrieb.
Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e. V., Köln
Vita
Michael Isfort arbeitet und lebt in Köln. Er ist Professor an der Katholischen Hochschule NRW im Fachbereich Gesundheitswesen und ist in Personalunion stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.V.
Nach einer Pflegeausbildung und einer praktischen Tätigkeit auf einer Intensivstation nahm er 1995 ein Studium der Pflegepädagogik und eine nachfolgende Beschäftigung als Lehrer an einer Krankenpflegeschule auf. 2000 folgte der Wechsel als erster wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung. Er promovierte an der Universität in Witten/Herdecke bei Sabine Bartholomeyczik zum Thema Personalbemessung und Patientenklassifikation auf Intensivstationen.
In zahlreichen Projekten hat er sich mit den Fragen der beruflichen Pflege und Konzepten der Versorgung beschäftigt. U.a. ist er federführend bei der Themenreihe "Pflege-Thermometer" des DIP.
In zahlreichen Projekten nimmt das DIP die Fragestellungen der Verbindung von Pflege und Technikentwicklung auf und erprobt u.a. vernetze Seniorenhaushalte oder Robotikentwicklungen.
Michael Isfort ist Mitautor des Memorandums "Arbeit und Technik 4.0 in der professionellen Pflege".
Statement
Die zentrale Frage ist nicht mehr, ob Technik in die Pflegearbeit integriert werden wird, sondern die, wie Technologien als sozio-technische Innovationen verstanden und sinnvoll in die Arbeit der professionelle Pflegenden eingebunden werden können. Technik wird nicht "Einzug" halten oder eingeführt werden. Technikentwickler und Pflegende werden sich aufeinander zu bewegen müssen, um die Chancen zu nutzen und Risiken abzuwehren.