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Bretzenheim mit
Finthen
und Gonsenheim (Stadt
Mainz)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Bretzenheim bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938.
Ihre Entstehung geht in die Zeit des 16./18. Jahrhunderts zurück.
Erstmals werden 1517 und 1580 Juden am Ort genannt, die sich hier
vermutlich nach der Austreibung der Juden aus den Städten niederlassen konnten.
Auch im 17. Jahrhundert waren Juden am Ort.
Eine erste Blütezeit der Gemeinde
scheint es im 18. Jahrhundert gegeben zu haben, als 1742 immerhin
neun jüdische Familien gezählt wurden. In der Zeit des 18. Jahrhunderts
mussten die in Bretzenheim lebenden Familien wie andernorts auch besondere
Abgaben zahlen: in Bretzenheim war es u.a. das Neujahrsgeld für den
Ortspfarrer oder die Bezahlung eines silbernen Bechers zum Amtsantritt einer neu
erwählten Äbtissin des Klosters Dalheim. Ende des 18. Jahrhunderts verzogen
die meisten jüdischen Einwohner im Zusammenhang mit den kriegerischen Unruhen
nach Mainz, sodass Anfang des 19. Jahrhunderts (1801/02) nur noch drei jüdische
Familien mit zusammen 15 Personen gezählt wurden. In Mainz hielten die
Bretzenheimer Familien untereinander zusammen: 1810 hatten 31 ehemalige
Bretzenheimer Juden den "Dritten Israelitischen Krankenpflege-Verein e.V.
Chewra von Bretzenheim" ("Bretzenheimer Kippe") gegründet. Diese
"Kippe" stand in den folgenden Jahrzehnten der orthodox geprägten
Israelitischen Religionsgemeinschaft in Mainz nahe (1910 konnte die "Bretzenheimer
Kippe" ihr 100jähriges Bestehen feiern, siehe Bericht unten).
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt:
1808 41 Personen in zehn Familien, 1836 65 jüdische Einwohner, 1861 Höchstzahl
von 84 (4,6 % von insgesamt 1.820 Einwohnern, in 16 Familien), 1871 77, 1880 55
(2,1 % von 2.612), 1900 44 (1,1 % von 3.810), 1905 44, 1910 42 (0,8 % von
5.133). Durch die Abwanderung - insbesondere nach Mainz - ist die Zahl der jüdischen
Einwohner seit den 1860er-Jahren zurückgegangen.
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule, ein rituelles Bad und einen Friedhof.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts ein Religionslehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und
Schochet tätig war (siehe Ausschreibungen der Stelle unten von 1859 und 1870).
Als die Zahl der jüdischen Gemeindeglieder und der schulpflichtigen Kinder
zurückging, wurde der Unterricht durch auswärtige Lehrer übernommen.
Die in Finthen lebenden jüdischen Personen hatten keine Einrichtungen und
bildeten mit Bretzenheim eine Gemeinde ("Jüdische Gemeinde
Bretzenheim-Finthen"). Die jüdischen Familien lebten in beiden Orten vom Viehhandel, waren aber
auch als Kaufleute, Metzger tätig.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der
jüdischen Gemeinde: der Gefreite Bernhard Lorch (geb. 12.12.1896, gef.
3.9.1918), Sally Wolf (geb. 25.1.1890 in Bretzenheim, gef. 4.12.1916), Arthur
Zacharias (geb. 18.11.1896 in Bretzenheim, gef. 15.4.1918),
Berthold Zacharias (geb. 29.7.1892 in Bretzenheim, gef. 6.6.1916), Ludwig Wendel
(). Der bei Arnsberg genannte Otto Schweig stammt aus Bretzenheim
(Nahe).
Um 1925, als noch 60 Gemeindeglieder zur jüdischen
Gemeinde Bretzenheim-Finthen gehörten (1 % der Gesamteinwohnerschaft von etwa
6.000), waren Mitglieder des Gemeindevorstandes: Ludwig Koch, Willi Wolf,
Leopold Grau und als Rechner Jakob Moses. Den Religionsunterricht der schulpflichtigen
jüdischen Kinder erteilten Lehrer L. Kahn (Hechtsheim) und Lehrer D. Lorge
(Mainz). Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Mainz. 1932 waren die
Gemeindevorsteher Leopold Grau (1.), Bernhard Zacharias (2.) und B. Marx (3.).
In Bretzenheim lebten noch 27 der Gemeindeglieder, in Finthen 14. Im Schuljahr
1932/33 war nur noch ein schulpflichtiges jüdisches Kind zu unterrichten.
Nach 1933 konnten noch mehrere der jüdischen Einwohner
emigrieren (vier Familien in die USA), andere verzogen in verschiedene Städte in
Deutschland. 1942 wurden die noch am Ort lebenden jüdischen Einwohner
deportiert.
Von den in Bretzenheim geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Mathilde Fischer geb. Marx
(1880), Albert
Gerson (1883), Jenni Grau (1890), Johanna Grau geb. Lorch (1864), Margot Günther (1921), Norbert Günther (1923), Eduard Hirsch
(1881), Simon Hirsch (1876), Julius Koch (1876), Albert Lorch (1863), Emil Lorch (1863),
Moritz Marx (1872), Johanna
Thalheimer geb. Marx (1867), Bernhard Zacharias (1889),
Selma Zacharias geb. Grünwald (1888).
Hinweise: es kann in den angegebenen Listen in einzelnen Fällen zu
Verwechslungen mit Bretzenheim (Kreis Bad
Kreuznach) kommen.
Bei der Einarbeitung der Kennkarten (siehe unten) fiel auf, dass mehrere der
genannten Personen, die nach den Kennkarten in Bretzenheim geboren sind, im
Gedenkbuch mit Geburtsort "Mainz" eingetragen sind.
Von den in Finthen geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Josef Grau (1862), Richard
Grau (1897), Simon Grau (1873), Elise Henlein geb. Simon (1873), Max Henlein (1880), Leopold
Kahn (1868), Johanna Kaufmann geb. Marx (1862), Käthe Klein geb. Grau (1899),
Johanna Lukas geb. Grau (1860), Ella Marx (1903), Leopold Marx (1899), Amalie
Schüller geb. Marx (1864), Eva Vogel geb. Marx (1860), Betty Winterfeld geb.
Marx (1901).
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibung der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1859 / 1870
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. März 1859: "In
Bretzenheim (für Brotzenheim) ist die Vorbeter-, Lehrer- und Schächterstelle
mit einem Einkommen von 300 Gulden vakant. Bewerber mögen innerhalb vier
Wochen ihre Meldungen frankiert dem unterzeichneten Rabbinate einsehenden.
Das Großherzogliche Kreisrabbinat Mainz." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Januar 1870: "In
der israelitischen Gemeinde zu Bretzenheim bei Mainz ist die Stelle eines
Religionslehrers, Vorsängers und Schochet vakant. Fixer Gehalt 250
Gulden, Nebenakzidenzien circa 100 Gulden. Bewerber (jedoch nur ledige)
wollen ihre Zeugnisse einsenden an den Vorstand." |
Aus dem jüdischen Gemeindeleben
1810 wird von jüdischen Männern aus Bretzenheim der
3. Israelitische Krankenpflegeverein in Mainz gegründet ("Bretzenheimer
Kippe")
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6. Januar 1911:
"Mainz, 29. Dezember (1911). Am 15. Kislew (16. Dezember
1910; der 15. Kislew hundert Jahre zuvor war am 12. Dezember 1810)
waren hundert Jahre verflossen, dass eine Anzahl wackerer Männer den
Dritten Israelitischen Krankenpflegeverein ins Leben gerufen haben. Es
waren Männer aus dem nahen Vorort Bretzenheim, die kurz vorher in
unsere Stadt gezogen waren, und aus diesem Grunde enthält die
Festschrift, die der Verein jetzt herausgegeben hat, auch einen Rückblick
auf die Geschichte der Juden in Bretzenheim. Nach einer Notiz aus
dem Jahre 1517 empfing bereits in früheren Jahrhunderten der Erzpriester,
wenn er das Sendgericht zu Bretzenheim abhielt, von jedem Juden einen
Goldgulden. 1784 erhielten die Juden vom Kurfürsten das Recht, liegende
Güter zu erwerben. Die Schrift enthält eine Fülle hierauf bezüglichen
interessanten Materials, es würde uns aber zu weit führen, wollten wir
auch nur kurz auf den Inhalt näher eingehen. Die Schrift hat Herrn Oskar
Lehmann zum Verfasser, der seit einer längeren Reihe von Jahren in diesem
Verein allsabbatlich mit großem Beifall aufgenommene religiöse Vorträge
hält. Auch die Geschichte des Vereins selbst, die in der Festschrift
niedergelegt ist, ist insofern für weitere Kreise bemerkenswert, als sie
kurze Biographien der früheren Vereinsrabbiner mitteilt. Ein
Festgottesdienst bildete die würdige Einleitung der Feier. Nach Absingung
von Choralgesängen und der Rezitierung von Psalmen, gedachte man der
Gründer in einem Haskarat Neschamoth-Gebete, worauf Herr Lehmann folgende
Ansprache hielt: Abraham wunderte sich - führte er aus - dass er zu 100
Jahren noch einen Sohn erhalten sollte, so wunderte sich auch mancher,
dass dieser alte Verein noch existiere, aber gerade in seinem Alter liegen
die Wurzeln seiner Kraft, wie überhaupt in dem Alter der jüdischen
Vereine der Stolz des Judentums liege. Denn lange, bevor man in
nichtjüdischen Kreisen an Krankenversicherung,
Arbeitslosenunterstützung, Invaliditätsversicherung dachte, ist dieser
Gedanke in jüdischen kreisen in die Wirklichkeit umgesetzt worden, auch
hier ist der jüdische Geist der Kultur der übrigen Welt vorausgeeilt.
Isaak erntete das Hundertfache und verteilte es an hundert Stadttoren, so
auch der Mainzer Verein: was er in 100 Jahren einnahm, verteilte er an 100
Türen der Armen. Wechselgesang einiger Psalmen und Choralgesang schlossen
diese Feier, bei der die Rabbinate und Vorstände der beiden Mainzer
Gemeinden vertreten waren. Ein Festessen, das am folgenden Tage stattfand,
verlief in animiertester Stimmung; es wurden viele geistreiche Worte
gesprochen und anerkennende Schreiben der staatlichen und städtischen
Behörden verlesen. Auch die jüdischen Schwesternvereine, Logen usw.
sandten herzliche Glückwunschschreiben." |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Frau Wendel wirbt für ihre Stickereien (Paroches
= Toraschreinvorhang und Mäntelchen = Mäntel für Torarollen)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. August 1904:
"Frau Ludwig Wendel,
Bretzenheim bei Mainz, Grabenstraße,
empfiehlt
sich zur Anfertigung aller Art Stickereien auch jüdisch wie Paroches,
Mäntelchen etc. zu billigen Preisen". |
Kennkarten
aus der NS-Zeit |
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Am 23. Juli 1938 wurde
durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von
Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht
eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen
Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch"
galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste
Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt.
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv
zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände:
Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV:
Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm.
Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de |
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Kennkarten
zu Personen,
die in Bretzenheim geboren sind |
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KK (Mainz
1939) für Eduard Hirsch (geb.
14. September 1881 in Bretzenheim), Kaufmann,
wohnhaft in Mainz, am 30. September 1942
deportiert ab Darmstadt vermutlich nach
Treblinka, umgekommen |
KK (Mainz
1939) für Julius Koch (geb.
21. August 1876 in Bretzenheim), wohnhaft
in Worms und Mainz, 1942 deportiert in das
Vernichtungslager Auschwitz, ermordet
am 14. September 1943 |
KK (Main 1939)
für Albert Lorch (geb.
19. Juli 1863 in Bretzenheim), Weinhändler,
wohnhaft in Mainz, am 27. September 1942
deportiert ab Darmstadt in das Ghetto Theresienstadt,
wo er am 6. Januar 1943 umgekommen ist |
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KK (Mainz 1939)
für Emil Lorch (geb. 19. Januar
1863 in Bretzenheim), wohnhaft in Mainz; am
27. September 1942 deportiert ab Darmstadt in
das Ghetto Theresienstadt, wo er am
8. Dezember 1942 umgekommen ist
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KK
(Mannheim 1939) für Moritz Marx (geb.
26. Dezember 1872 in Bretzenheim), Kaufmann,
wohnhaft in Bretzenheim und Mannheim, am
22. Oktober 1940 deportiert in das Internierungslager
Gurs, später Rivesalter, Nexon und Noé,
umgekommen am 24. September 1942 in Saint-Dié. |
KK (Mainz
1939) für
Bernhard Benno Wendel
(geb. 6. Oktober 1908 in Bretzenheim),
kfm. Angestellter
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KK (Mainz
1939) für Bernhard Zacharias
(geb. 15. November 1879 in Bretzenheim,
am 25. März 1942 deportiert ab
Mainz - Darmstadt in das Ghetto Piaski,
umgekommen
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Zur Geschichte des Betsaal/der Synagoge
Eine Synagoge beziehungsweise ein Betsaal soll bereits im 16. Jahrhundert,
genauer 1580 in Bretzenheim vorhanden gewesen sein (Angabe
bei Arnsberg s. Lit. S. 93). Nachdem Mitte des 18. Jahrhundert neun
jüdische Familien gezählt (1742) wurden, haben diese einen Betsaal
eingerichtet: Dazu stellte der jüdische Viehhändler Sandter Lorch 1738
der Gemeinde für 20 Jahre ein Haus als "Schul" (d.h. als Synagoge)
zur Verfügung. Bereits damals kamen auch die in Finthen und Mombach lebenden
jüdischen Personen zum Gottesdienst nach Bretzenheim. 1784 beschloss die
jüdische Gemeinde den Bau einer Synagoge. Ende März 1785 wurde ein
Grundstück an der Ecke Wilhelmstraße/Oberpforte erworben. Drei Jahre später
konnte am 27. Juni 1788 die Einweihung der Synagoge gefeiert
werden. Die "Privilegierte Mainzer Zeitung" berichtete am 1. Juli 1788
über die Prozession mit den drei Torarollen durch den Ort zur Synagoge:
"Die zu Bretzenheim bei hiesiger Stadt von der dahiesigen
Judengemeinde mit gnädigster Erlaubnis neuerbaute Synagoge wurde verflossenen
Freitag mit viel Feierlichkeit geöffnet; die Zeremonien dabei verrichtete wegen
Krankheitsumständen des Oberlandesrabbiners, der Unterrabbiner Herz David
Scheuer, ein Sohn des verstorbenen Rabbiners. Um 3 Uhr Nachmittags versammelten
sich sämtlich einheimischen Juden sowohl, als einige hundert umliegende Fremde,
und holten die drei in einem Haus gestandene geschriebene Tora unter einem
reichen Verdeck, dann das ausgeziert vorgetragene auf Hebräisch und Deutsch
geschriebene Gebet für Seine Kurfürstl. Gnaden und des Herrn Koadjuktor
Erzbischöfl. Gnaden, wie auch den Schlüssel zu der Synagoge, fast durch den
ganzen Ort, unter einem angestimmten Lobgesang von dem hiesigen Vorsänger unter
Zustimmung der Instrumentalmusik, ab, und als vor der Türe der Synagoge
anlangten, wurde des 122. Psalm abgesungen, sodann ging der Zug in die neue
Synagoge hinein".
In den Kriegsjahren 1794/95 wurde die Synagoge - wie viele Häuser in
Bretzenheim - zerstört, die Ruine wurde 1795 abgebrochen. 1802 wird das
Grundstück als "öder Platz" bezeichnet. In den folgenden Jahren fand
der Gottesdienst wieder in einem Privathaus statt. Erst nach 1811 konnte
auf den Fundamenten des zerstörten Gotteshauses wieder eine neue Synagoge
erstellt werden. Das Jahr der Einweihung ist nicht bekannt (vor 1821).
Im August 1838 stand ein besonderes Ereignis an. In der Bretzenheimer
Synagoge wurde eine neue Torarolle eingeweiht. Mit einer großen Prozession
wurde die Torarolle durch das Dorf getragen und schließlich in den Toraschrein
eingelegt. Zahlreiche Gäste waren aus der jüdischen Gemeinde Mainz nach
Bretzenheim gekommen, um jedoch weniger die Einbringung der neuen Tora zu
erleben als vielmehr die zu diesem Anlass angekündigte deutsche Predigt
des jungen Theologen Dr. Kahn, ein damals unter den jüdischen Gemeinden noch
aufsehenerregendes Ereignis. Die "Allgemeine Zeitung des Judentums"
berichtete in Ihrer Ausgabe vom 4. September 1838:
Mainz, 13. August. Ein israelitisch-religiöses Fest
(besser ein israelitisches Volksfest) wurde dieser Tage in Bretzenheim
bei Mainz gefeiert, welches in einiger Beziehung eine Erwähnung verdient. Es
wurde eine neu geschriebene Tora eingeweiht, bekanntlich bei den Bewohnern des
platten Landes eine Veranlassung zu festlicher Ausgelassenheit. Letztere zog die
zahlreichen Festgäste aus Mainz - zu ihrer Ehre sei's gesagt - nicht an,
sondern man ging hin, um die Reden des jungen jüdischen Theologen Dr. Kahn zu
hören, der bei dieser Gelegenheit zum ersten Male als Kanzelredner sich
produzieren sollte. Eine deutsche Predigt in einem jüdischen Gotteshause ist
bei uns leider! noch eine Seltenheit. Wenn Ihnen das ein Rätsel ist, so
trösten Sie sich damit, dass es mir nicht weniger unbegreiflich ist. Die
Seelenzahl unserer israelitischen Gemeinde (sc. Mainz) beläuft sich auf 2.000,
darunter eine Anzahl hochgebildeter jüdischer Bürger, dabei eine reiche und
für das Bessere empfängliche Gemeinde, eine Regierung, die die Aufklärung
aufrichtig will, eine heitere, loyale, freisinnige Umgebung. Und dennoch keine
deutsche Predigt, dennoch kein gebildeter Seelenhirte!! Ich werde Ihnen die
Gründe ein andermal anführen, da sie heute außerhalb dem Bereiche meines
Berichtes liegen. Ich komme zu Herrn Dr. Kahns Predigt zurück. Derselbe redete
zwei Mal zu dem zahlreichen Publikum, einmal am Vorabende des Feste, in dem
Lokale, wo die herrlich geschmückte, neue Tora stand, und dann am Feste in der
Synagoge. Beide Reden waren wohl gewählt, dem Gegenstande sehr angemessen, und
inhaltsschwer, und Herr Dr. Kahn hat sich dadurch de Verständigen als einen
gebildeten, kenntnisreichen und hoffnungsvollen jungen Mann dokumentiert. Mit
Text und Abfassung der Predigt, in der eine gesunde Logik und eine tiefe
Kenntnis der Bedürfnisse und Wünsche des heutigen Judentums hervorleuchteten,
verschone ich Sie; es genüge, wenn ich Sie versichere, dass des jungen Mannes
Worte einen mächtigen Eindruck auf Christen und Juden zurückließen und dass
er seinen Beruf als Kanzelredner glänzend bewährte. Auch der hiesige greise
Rabbine sprach in öffentlicher Synagoge, deutsch so gut es ging, aber was er
sprach war wohlgemeint und beherzigenswert. Dieser alte Rabbine ist ein
ehrenwerter Mann, tolerant sogar, und vor allen Dingen brav und rechtlich. Wir
würden ihm aber dreifach lobende Prädikate beilegen, wenn er die Hand dazu
böte, dass jeden Samstag, oder wenigstens alle vierzehn Tage von einem
gebildeten Theologen eine deutsche Predigt vor der zahlreichen Gemeinde gehalten
würde. Aber ich glaube nicht, dass er das je tun wird. - Was nun das Fest
selbst betrifft, so könnte ich Ihnen erzählen, dass die neue Tora
prozessionsmäßig durch das Dorf getragen wurde, dass den Zug eine zahlreiche,
festlich gekleidete Menge begleitete, dass von der israelitischen Schuljugend
unter Leitung des geschickten Vorsängers Lehmeyer, deutsche Choräle gesungen
wurden, dass Zug und Anordnung würdig, selbst musterhaft waren; ferner könnte
ich Ihnen erzählen, dass nach dem religiösen Teile des Festes tüchtig
geschmaust und getanzt wurde, und dass man fröhlich war nach Herzenslust.
Allein alles dieses mag ich hier nicht ausführen, und nur auf Eins will ich
mich beschränken. Die Kosten dieser ganzen festlichen Veranstaltung, mit
Inbegriff des Honorars für das Schreiben der neuen Tora, trugen einige wenige
junge Männer und Mädchen, die sämtlich unvermögend sind, und die bereits
drei Jahre lang für dieses Fest wöchentlich vier Kreuzer von ihrem Ersparnis
zurücklegten. |
Die Bretzenheimer Synagoge bestand über 120 Jahre, in denen sie mehrfach
renoviert und modernisiert wurde. 1912 wurde die Anzahl der Sitzplätze
von 34 auf über 50 erhöht, an jeder Seite standen fünf bis sechs Bänke; die
Frauen saßen in langen Sitzreihen.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge durch Nationalsozialisten
geschändet, die Inneneinrichtung zertrümmert, die Torarollen auf der Wilhelmstraße
verbrannt. Das Gebäude selbst wurde wegen Brandgefahr für die umliegenden
Gebäude nicht angezündet. Im März 1939 wurde das Anwesen für 1.500 Mark an
eine Privatperson verkauft, von dieser 1942 an den Inhaber der benachbarten
Gaststätte weiterverkauft. Bei einem
Luftangriff wurde das Gebäude wenig später durch eine Luftmine schwer
beschädigt und 1946 abgebrochen. Im Zuge des
Restitutionsverfahrens wurde vom Eigentümer des Grundstückes eine weitere
Entschädigungszahlung in Höhe von 1.500 DM geleistet.
In den 1960er-Jahren wurde das
Grundstück neu bebaut. Dabei wurden auch die Fundamente der ehemaligen Synagoge
beseitigt. Eine Gedenktafel am Wohnhaus erinnert an die Synagoge.
Adresse/Standort der Synagoge: Ecke Wilhelmstraße/Oberpforte
(früher Eingang Friedrichstraße)
Fotos / Darstellungen:
(Fotos: Michael Ohmsen, September 2011; Link
zur Fotoseite zu Mainz von M. Ohmsen)
|
|
|
Blick auf das neu
bebaute Synagogengrundstück mit einem Gedenkstein und der Inschrift:
"Hier stand die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Bretzenheim. Sie
wurde 1788 erbaut und 1795 in den Napoleonischen Kriegen Zerstört. Der
Wiederaufbau erfolgte um 1820. Nationalsozialisten und Sympathisanten
beschädigten die Synagoge in der Pogromnacht am 9.11.1938. Der völlig
Abriss erfolgte kurz danach." |
Erinnerungsarbeit vor
Ort - einzelne Berichte
September 2009:
"Stolpersteine" - auch für Bretzenheim
geplant |
Aus einem Artikel in der "Allgemeinen
Zeitung" vom 11. September 2009 (Artikel nur teilweise
zitiert):
"Stolpersteine" bald auch in Bretzenheim -
(ok). Die in Mainz vielerorts installierten "Stolpersteine", die an die jüdischen Opfer der NS-Gewalt erinnern sollen, wird es nach dem Willen der Verwaltung wohl auch bald in Bretzenheim geben. Die CDU hatte zuvor einen entsprechenden Antrag im Ortsbeirat formuliert.
"Eine Zusammenstellung von NS-Opfern speziell für Bretzenheim existiert im Archiv allerdings nicht", heißt es in einer Stellungnahme der Verwaltung. Recherchen dazu könne der Bretzenheimer Verein für Heimatgeschichte betreiben, so der Vorschlag...
Der weitere Inhalt des Artikels bezieht sich auf andere im Ortsbeirat
besprochene Themen. |
|
September/Oktober 2018:
"Stolpersteine" werden auch in
Gonsenheim verlegt |
Artikel von Petra Jung in der "Allgemeinen
Zeitung" vom 23. August 2018: "Stolpersteine: Gedenken an NS-Opfer wie in
Stein gemeißelt.
Die Stolpersteinverlegung ist das Ergebnis der Ausstellung 'Gonsenheimer
Erinnerungen – Jüdische Nachbarinnen und Nachbarn zwischen Integration und
Ausgrenzung'.
GONSENHEIM - 'Gonsenheimer Erinnerungen – Jüdische Nachbarinnen und
Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung' lautet der Titel der
Wanderausstellung, die seit August letzten Jahres durch den Stadtteil
'tourt' und auf große Resonanz stößt. Und die nun auch für eine über die
Ausstellung hinaus bleibende Erinnerung sorgt: Der Kölner Künstler Gunter
Demnig wird auch in Gonsenheim Stolpersteine verlegen. Kooperationspartner
sind neben dem Verein 'GonsKultur' das Institut für Geschichtliche
Landeskunde (IGL) an der Universität und der Verein für Sozialgeschichte
Mainz e. V. Die Ausstellung hatten zudem auch der Ortsbeirat, die
Kirchengemeinden sowie der Heimat- und Geschichtsverein unterstützt. Ein
Stolperstein kostet 120 Euro. Ein Teil der Gonsenheimer Stolpersteine ist
bereits finanziert, für die weiteren Steine sowie für die Erstellung eines
Ausstellungskataloges werden noch Sponsoren gesucht.
Gymnasiasten des OSG begleiten das Projekt. Die Verlegung der
Stolpersteine in Gonsenheim ist auf den 25. Oktober terminiert. Ab 9 Uhr an
diesem Tag wird Demnig in der Friedrich- und in der Jahnstraße insgesamt
sieben Steine verlegen, die an das Schicksal von sieben ehemaligen jüdischen
Nachbarn erinnern werden. 'Die Stolpersteine werden dort verlegt, wo der
letzte frei gewählte Wohnsitz der deportierten und ermordeten oder
emigrierten Juden war', sagt Helmut Hochgesand, der die Ausstellung einst
mitinitiiert hatte. Vorbereitet und aktiv mitgestaltet wird die Verlegung
von Schülern des Otto-Schott-Gymnasiums (OSG), die sich seit Beginn des
neuen Schuljahres intensiv mit der jüdischen Geschichte Gonsenheims
auseinandersetzen. 'Es ist einfach toll, wie die Schule sich dieses Themas
annimmt und es intensiv begleitet', sagt Carolin Schäfer, Assistenz der
Geschäftsführung des IGL. Auch die Kuratoren der Wanderausstellung des IGL,
die derzeit bis zur Verlegung der Stolpersteine im Oktober im Foyer des OSG
gezeigt wird, unterstützten dieses Unterfangen. Am Vorabend der
Stolpersteinverlegung (Mittwoch, 24. Oktober) lädt das IGL gemeinsam mit den
anderen Kooperationspartnern und dem OSG zu einem Informations- und
Vortragsabend in die Mensa des OSG ein, bei dem neben einem Vortrag des
Künstlers und der Ausstellungskuratoren auch eine szenische Lesung zum
Schicksal von sechs jüdischen Nachbarn aus der Gonsenheimer Jahnstraße von
Helmut Hochgesand zu hören und sehen sein wird; auch führen Schüler des OSG
Besucher durch die Ausstellung."
Link zum Artikel |
|
2018 in Gonsenheim:
Wanderausstellung "Gonsenheimer Erinnerungen. Jüdische Nachbarinnen und
Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung". Dazu Informationen
eingestellt über die vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der
Universität Mainz e.V. erarbeitete Ausstellung (pdf-Datei).
|
|
Links und
Literatur
Links:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen.
1971 Bd. II,93-94. |
| Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz/Staatliches Konservatoramt
des Saarlandes/ Synagogue Memorial Jerusalem (Hg.): "...und dies
ist die Pforte des Himmels". Synagogen in Rheinland-Pfalz und dem
Saarland. Mainz 2005. S. 123 (mit weiteren Literaturangaben).
|
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 115-116. |
| Dieter Krienke: Die Synagogen der Mainzer Vororte
Bretzenheim, Ebersheim, Hechtsheim und Kastel. In: Die Mainzer Synagogen.
Hrsg. von Hedwig Brüchert im Auftrag des Vereins für
Sozialgeschichte Mainz e.V. Mainz 2008. Weitere Informationen zu diesem Buch
bei den Literaturangaben auf der Seite zu den Synagogen
in Mainz. |
|
Katalog
zur Ausstellung "Gonsenheimer Erinnerungen. Jüdische Nachbarinnen und
Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung". Hg. vom Institut für
Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V., Mainz 2018.
Herausgeber und Projektleitung: Dr. Kai-Michael Sprenger. Kuratoren: Lisa
Groh-Trautmann, Christoph Schmieder, Jasmin Gröninger.
Die Publikation ist für € 6,- beim IGL erhältlich:
https://www.igl.uni-mainz.de/service/kontakt/.
|
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Bretzenheim
Hesse. Jews lived there from the 16th century. Numbering 84 (4,6 % of the total
in 1861, the community dwindled to 26 in 1933. Most Jews emigrated after Kristallnacht
(9-10 November 1938), the last few being deported in 1942.
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
|