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Die Einweihung des
jüdischen Gemeindezentrums in Ulm am 5. Mai 2002
Ein besonderer Tag in der Geschichte des württembergischen
Judentums nach 1945
Über die Eröffnung des neuen jüdischen Gemeindezentrums in Ulm, das am 5.
Mai 2002 eröffnet wurde, ein Artikel aus der Südwestpresse Ulm vom 6. Mai 2002
(Text ist leicht gekürzt):
Israelitische Glaubensgemeinschaft weiht Gemeindezentrum ein
Ein Neubeginn jüdischen
Lebens
Fast alle
Mitglieder in den vergangenen Jahren aus Osteuropa emigriert
Für
die Juden in Ulm war gestern ein denkwürdiger Tag. Erstmals seit der Zerstörung
der Synagoge auf dem Weinhof durch die Nazis im Jahr 1938 haben sie wieder einen
Gebetsraum. Das Gemeindezentrum ... soll ein Raum zum Reden,
Beten und Feiern sein. von CHRISTOPH MAYER
Wenn Juden religiöse
Feste feiern, dann hat das mit der bei solchen Anlässen oft ehrfürchtigen
Steifheit christlicher Glaubensgemeinschaften wenig gemein: Jiddische Lieder
schmachtend und klatschend eröffneten die rund 160 Ulmer Bürger jüdischen
Glaubens gestern ihr Gemeindezentrum... In der Tat ein
freudiger Anlass - und ein historisches Ereignis: Zum ersten Mal seit der Zerstörung
der Synagoge auf dem Weinhof im November 1938 durch die Nazis haben Ulmer Juden
wieder einen Gebetsraum und ein religiöses Zentrum. "Ein Freudentag und
ein Neubeginn für das jüdische Leben in Ulm", sagte Barbara Traub,
Sprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs.
Die hiesige jüdische
Gemeinde - bisher noch nicht eigenständig, sondern nur Stuttgarter Außenstelle
- ist nicht historisch gewachsen. Fast alle Mitglieder sind in den vergangenen
Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Ulm gekommen. "Die Menschen
brauchen einen Raum, in dem sie ihren religiösen, kulturellen und sozialen Bedürfnissen
nachgehen können", sagte Traub. Gottesdienste, Hebräisch- und
Tora-Unterricht wird es fortan im Gemeindezentrum geben, das allerdings auch als
geselliger Treffpunkt dienen soll und vom seit zwei Jahren in Ulm lebenden
Rabbiner Shneur Trebnik geleitet wird.
Wichtigstes
Anliegen der orthodox ausgerichteten Israelitischen Religionsgemeinschaft sei
es, den Ulmer Juden "religiöse Praxis" nahe zu bringen, sagt Traub.
In der atheistischen Sowjetunion aufgewachsen, fehle vielen die religiöse
Bindung, "obwohl sich die Menschen durchaus bewusst waren, Juden zu
sein". Wie beispielsweise die 19-jährige, in Kiew geborene Gymnasiastin
Diana B, die zukünftig regelmäßig ins Gemeindezentrum gehen will: "Ich
bin zwar keine so gläubige Jüdin", sagt sie. "Aber ich will meine
Geschichte kennenlernen und die Tradition weitergeben." Eine Synagoge im
strengen Sinn ist das Gemeindezentrum nicht. Es fehlt eine so genannte
Frauenempore, ebenso die Mikwe, ein Tauchbad für religiöse Waschungen. Männer
und Frauen, die bei Gottesdiensten separat sitzen, werden stattdessen durch
einen Vorhang voneinander getrennt. Finanziert wurde das Zentrum durch Zuschüsse
des Landes und durch die Stadt Ulm, die die Räume zur Verfügung stellt.
Die Geschichte der
Ulmer Juden reicht weit zurück. Von 1238 datiert der älteste schriftliche
Beleg, im 15. Jahrhundert erreichte das jüdische Leben seinen Höhepunkt. Am
Judenhof gab es ein Wohnviertel samt Tanzhaus und Spital, der Zugang zu Handel
und Zünften blieb den Bewohnern der freien Reichsstadt allerdings Jahrhunderte
lang verwehrt. Erst 1861 wurde der erste Jude in den Bürgerausschuss gewählt.
Nach der Zerstörung der Synagoge erlosch das jüdische Leben in Ulm. 112
Menschen wurden in Vernichtungslagern ermordet, nur vier überlebten den
Holocaust. Beim gestrigen
Festakt, an dem auch die Dekane Hans-Hermann Keinath und Josef Kaupp teilnahmen,
erinnerte OB Ivo Gönner an diese dunkle Vergangenheit: "Wir dürfen nie
vergessen und verschweigen, was Bürger in Ulm anderen Bürgern angetan
haben." Die Wiedergründung der jüdischen Gemeinde sei für ihn eine
"Herzensangelegenheit" gewesen, sagte er. "Seien Sie unsere geschätzten
und geschützten neuen Mitbürger."
KOMMENTAR: Eine Bereicherung
von
CHRISTOPH MAYER
Nicht nur für die Ulmer Juden, sondern für alle
Ulmer war gestern ein freudiger Tag. Dass es mehr als 63 Jahre nach der
Pogromnacht und der darauf folgenden Vernichtung jüdischen Lebens wieder ein
israelitisches Gemeindezentrum gibt, ist eine kulturelle Bereicherung für die
Stadt und ihre Menschen. Und hoffentlich ein weiterer Baustein auf dem Weg zum
friedlichen und gleichberechtigten Miteinander der Religionen und Kulturen. Das
gilt auch im Hinblick auf die geplante Moschee in der Einsteinstraße, die ja
leider Gottes nicht unumstritten ist. Das Bekenntnis zu anderen Religionen ist also stark im
Kommen in Ulm, und das darf man freilich auch kritisch sehen. Stichwort
Desintegration und Fundamentalismus: Insbesondere bei einigen der hier lebenden
Türken sind seit Jahren vermehrt Abkapselungstendenzen zu beobachten, wo Öffnung
angezeigt wäre.