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Baden-Württemberg
Waldkirch (Kreis
Emmendingen)
Jüdische Geschichte
Übersicht:
Zur jüdischen Geschichte
in Waldkirch
In Waldkirch lebten Juden bereits im Mittelalter. 1349 kam es
im Zusammenhang mit der Pestzeit zu einer Judenverfolgung. Seit 1386 lassen sich
wieder jüdische Einwohner nachweisen. 1424 wurden die Juden der Stadt
vermutlich gleichzeitig mit den Freiburger Juden ausgewiesen. Gegen Ende des 15.
Jahrhunderts waren wiederum mehrere jüdische Familien in der Stadt. 1504 erfolgte die Ausweisung der
jüdischen Einwohner wegen eines angeblichen Ritualmordes; im Zusammenhang mit
den Beschuldigungen werden Jud Laembli und seine zwei Söhne genannt.
An die mittelalterliche Geschichte erinnern durch erhaltene Flurnamen noch zwei
abgegangene jüdische Friedhöfe. Ein älterer Friedhof (Flurname "Judenkirchhof")
war vermutlich die bis 1349 verwendete Begräbnisstätte (Lage in einer
Waldparzelle im Altersbachtal, am Fuße des Kandels). Der jüngere Friedhof (nicht
mehr offiziell verwendeter Flurname
"Judenkirchhöfle"; auf ehemals herrschaftlich Kastelbergischem Gebiet) wurde vermutlich im 15. Jahrhundert genutzt (Lage in der Ebene nahe der
Elz; das Gewann diente nach Ausweisung der Juden dem Schinder zum Begraben des verendeten
Viehs).
Vom 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war keine Niederlassung von Juden in
der Stadt möglich. Im Artikelbrief der Oberamtleut Castelberg und Schwarzenberg
von 1571 war für die Waldkircher Einwohner bestimmt (Art. 41): "soll
niemand mit den Juden weder kaufen, verkaufen, entleihen noch in all anderweg
einlassen und mit ihnen handeln bei Strafe X Pf.R." 1679 beschloss der Rat
der Stadt Waldkirch: "Wenn die Juden hierher kommen, sollen sie, wie vor
diesem mit Begleitung des Stadtknechts gehalten und von ihnen stündlich 3
Batzen abgefordert werden". 1773 wurde die Taxe auf 1 Batzen ermäßigt.
Die in Waldkirch ankommenden Juden handelten damals entweder mit Rohedelsteinen
oder Diamantenstaub; beides wurde als Material für die Waldkircher
Edelsteinschleifereien verwendet.
Nach der Mitte des 19. Jahrhundert kam es zum Zuzug weniger jüdischer
Personen/Familien, ohne dass es zur Entstehung einer jüdischen Gemeinde
gekommen ist. Die Zahl der jüdischen Einwohner blieb gering; es wurden
gezählt: 1871 drei jüdische Einwohner, 1875 zwei, 1895 drei, 1900 fünf, 1905
fünf, 1910 vier.
1908 errichtete die Fa. Mechanische Weberei M. Rothschild & Söhne (Hauptwerk in Uhingen,
Kreis Göppingen) eine Baumwollspinnerei in Waldkirch-Batzenhäusle, die mit 10290 Spindeln nach dem Ersten Weltkrieg eine der größten
Fabriken Badens in jüdischem Besitz wurde (Inhaber Arthur Rothschild). Am 1.
Dezember 1936 wurde Arthur Rothschild gezwungen, das Fabrikanwesen inklusive
Maschinen und Geschäftsanteilen an die Firma Spinnweberei Walter Otto in
Klingenstein zu verkaufen. Nach dem Krieg kehrte er zurück und setzte sich für
eine Rückführung seines Besitzes ein. 1950 konnte die Firma ihren Betrieb
wieder aufnehmen.
Bei den Volkszählungen 1925 und 1933 wurden keine jüdischen Einwohner in der
Stadt erfasst.
Berichte aus der
jüdischen Geschichte in Waldkirch
In jüdischen Periodika des 19./20.
Jahrhunderts wurden noch keine Berichte zur jüdischen Geschichte in
Waldkirch gefunden. |
Hinweis auf Karl Jäger aus Waldkirch, den Mörder der
litauischen Juden
Karl Jäger (geb. 1888 in
Schaffhausen, gest. 1959 im Gefängnis Hohenasperg): lebte seit 1891 in
Waldkirch (wo der Vater als Musikschullehrer und Dirigent der Stadtmusik
wirkte); Soldat im Ersten Weltkrieg; seit 1923 Mitglied der NSDAP und Begründer
der Ortsgruppe Waldkirch-Breisgau, nach 1931 Aufbau eines SS-Sturmes. 1936
begann die hauptamtliche Karriere des "Waldkircher Hitler", wie
er genannt wurde, in der SS. Im Sommer 1941 erhielt Jäger den Befehl, das
Einsatzkommando 3 aufzustellen; zu seinen Aufgaben gehörte die
"polizeiliche Sicherung" des litauischen Gebietes und damit die
Ermordung von Juden, Partisanen und kommunistischen Funktionären; nach
seinem eigenen Bericht ("Jäger-Bericht") wurden bereits bis 1.
Dezember 1941 137.346 Menschen ermordet. Seit Mai 1944 war Jäger
kommissarischer Polizeipräsident von Reichenberg im Sudetenland. Nach
1945 lebte er unerkannt in der Heidelberger Gegend; nach seiner Verhaftung
im April 1959 und dem bevorstehenden Prozess starb er an Suizid im
Gefängnis Hohenasperg. |
Weitere Informationen u.a. über den Wikipedia-Artikel
"Karl Jäger"
Artikel
"Der Waldkircher Hitler" in Spiegel-online
Artikel
"Der unauffällige Massenmörder aus der Nachbarschaft"
(ScienceBlogs)
und zahlreiche weitere - über Suchmaschinen - auffindbare Artikel |
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Literaturhinweis: |
Wolfram Wette:
Karl Jäger. Mörder der litauischen Juden. Mit einem
Vorwort von Ralph Giordano. 284 S. zahlr. Abb. Fischer Taschenbuch-Verlag,
Frankfurt am Main 2011.
Aus einer Buchbesprechung von Heiko Haumann: "Wolfram Wette hat ein
bewegendes Buch vorgelegt, das die Vorzüge einer mehrperspektivischen
Geschichtsschreibung beweist. Es ist ein Meilenstein bei der Erforschung der
nationalsozialistischen Täter und des Umgang mit Erinnerung. Wir brauchen
dieses Buch über Karl Jäher, weil es für die Opfer wichtig ist, die unter
seiner Verantwortung unvorstellbare Qualen erleiden mussten und ermordet wurden.
Wir brauchen es, um nachvollziehen zu können, wie ein 'ganz normaler Mensch',
ein Mensch wie wir, zum Mörder werden konnte. Wir brauchen es, um nicht selbst
einen Panzer um unsere Erinnerung zu legen, sondern uns offen mit der Geschichte
auseinander zusetzen, damit wir auch offen mit heutigen Problemen umgehen
können - Erinnerung bestimmt unser Handeln."
Dazu auch u.a. ausführliche Artikel in der "Badischen
Zeitung" vom 12. April 2011
und in der Zeitschrift "Der Sonntag in Freiburg" www.der-sonntag.de
vom 17.4.2011 S. 3. |
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Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte |
Hinweis auf die Denkmalenthüllung
in Waldkirche am 29. Januar 2017: Am Sonntag, dem 29. Januar
2017 wurde ein Mahnmal in Waldkirch enthüllt, zum Gedenken an die mehr als 138.000 Menschen, überwiegend Juden, die in Litauen unter der Verantwortung
des Waldkircher Bürgers Karl Jäger in wenigen Monaten 1941/42 ermordet wurden.
Dank dem nicht nachlassenden Einsatz unterschiedlicher Waldkircher Gruppierungen über einen Zeitraum von 28 Jahren
kam es zu diesem, vom Gemeinderat befürworteten Mahnmal mitten in der
Stadt neben dem Elztalmuseum bei St. Margarethen.
In Zusammenhang mit der Mahnmalenthüllung wurde am 27. Januar, dem
"Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" der Film
"Karl Jäger und wir" gezeigt. Der Film dokumentiert eine Auseinandersetzung mit dem Geschehen in Litauen, von jugendlichen und erwachsenen Laien aus Waldkirch produziert, in Zusammenarbeit mit
'BLACK DOG'. |
Dazu eingestellt: Text der
"Ideenwerkstatt Waldkirch in der NS-Zeit": "Ein
Blick zurück auf die Entstehungsgeschichte des Mahnmals"
(eingestellt als pdf-Datei) |
Links: http://www.stadt-waldkirch.de/,Lde/enthuellung+mahnmal.html
https://rdl.de/beitrag/nach-langem-kampf-wird-nun-waldkirch-ss-massenm-rder-karl-j-ger-erinnert
Fotos in der Website von Alexander Schoch: https://alexander-schoch.de/2017/01/30/einweihung-des-mahnmals-zu-gedenken-der-ermordeten-menschen-in-litauen-in-waldkirch/
Artikel von Heinz Siebold in der "Stuttgarter Zeitung" vom 27.
Januar 2017: "Das
Mahnmal klagt auch einen Sohn der Stadt an..." |
Artikel von Ruben Frankenstein beim
hagalil.com vom 5. Juni 2017 über das "Waldkircher Mahnmal"
(mit Fotos): http://www.hagalil.com/2017/06/waldkircher-mahnmal/ |
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Literaturhinweis:
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Wolfram
Wette: "Enthüllung. Opfergedenken und Tätererinnerung in
Waldkirch". Hrsg. von der Stadt Waldkirch. Waldkircher
Stadtgeschichte Bd. 3. 216 S. mit 95, meist farbigen Abb., mit Personen-
und Ortsregister. Verlag Regionalkultur Ubstadt-Weiher 2018. ISBN
978-3-95595-061-0 € 16.90.
Buchbesprechung von Wolfgang Dästner, Freiburg: "Am Dienstag, dem 30. Januar 2018, wurde im Barocksaal des Elztalmuseums das Buch "Enthüllung.
Opfergedenken und Tätererinnerung in Waldkirch " von Prof. Wolfram Wette der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Buch widmet sich der Geschichte des Waldkircher Mahnmals für die 1941 in Litauen ermordeten Juden, das am 29. Januar 2017
'ENTHÜLLT' worden war. Oberbürgermeister Roman Götzmann (SPD), dessen hilfreiche Unterstützung hier zu würdigen ist, stellte in seiner Rede zunächst das Buchprojekt vor. Die hohe Wertschätzung dieser Publikation lässt sich auch daran ermessen, dass Sibylle Thelen von der Stuttgarter Landeszentrale für politische Bildung einen Vortrag zur "Erinnerungskultur in Baden-Württemberg" hielt, in dem sie die vorbildliche Arbeit der
'Ideenwerkstatt Waldkirch in der NS-Zeit' in den Jahren 2011–2017 würdigte.
Prof. Wolfram Wette berichtete sodann über die jahrelangen Recherchen, Vorarbeiten und Widerstände in Waldkirch, die letztendlich zu einem
bewundernswerten sichtbaren Ergebnis führten: der Errichtung des Mahnmals, an dem der litauischen Juden gedacht werden kann, die den mörderischen Verbrechen des Waldkirchers Karl Jäger zum Opfer gefallen waren. Waldkirch ist durch dieses Mahnmal um eine Gedenkstätte reicher geworden.
Die Stadt kann aber zugleich auch als ein besonderer Ort in die Geschichte der Erinnerungskultur eingehen, der es gelungen ist, der Opfer zu gedenken, ohne dabei den Täter aus dem Blick zu verlieren. Die Schönheit des Mahnmals erinnert an die Opfer. Der Täter aber wird nicht verschwiegen, und dass er aus dieser Stadt stammte, schmerzte die Bürgerschaft über lange Zeit hin. Die außerordentlichen Forschungen des Historikers Wolfram Wette machten es aber möglich zu begreifen, wie ein zunächst angesehener Mitbürger in die zeitgeschichtlichen Wirren hineingeriet und sich zum Mittäter der Verbrechen der Nationalsozialisten entwickelte.
Die in dem Buch zusammengestellten Texte und Fotos werfen ein Licht auf die vielgestaltige Erinnerungsarbeit. Erfreulich ist, dass auch bei einer geschichtspolitisch hochbrisanten und schwierigen Problematik ein allmählicher Meinungswandel möglich wird. Auf das sichtbare Ergebnis in der Nähe des Museums und der bedeutenden Barockkirche
St. Margarethen des Baumeisters Peter Thumb kann die kleine südbadische Stadt mit Stolz hinweisen: Sie ist in mehrfacher Hinsicht bereichert worden, und die vielen Gäste werden die Schönheit dieses Ensembles schätzen.
Die Waldkircher Erinnerungsarbeit steht nicht allein da, denn sie findet in einer Zeit statt, in der auch an anderen Orten die lang gemiedene Täterforschung ins Bewusstsein gerückt wird. Professor Wette wies darauf hin, dass in Baden-Württemberg derzeit mehr als 100 Forscher dabei sind, die Geschichte von
'Tätern, Helfern und Trittbrettfahrern' der NS-Zeit in ihrem näheren Umfeld zu
ermitteln.
Die Dokumentation kann Anregungen geben, wie über die Erforschung der Täterbiographien hinaus eine längerfristige Auseinandersetzung mit dieser Thematik geführt werden kann.
'Wer den Weg verstehen will, den die deutsche Gesellschaft damals gegangen ist – in die Diktatur, in den Zweiten Weltkrieg und in den Holocaust –, kommt nicht daran vorbei, sich mit den unterschiedlichen Formen der Täterschaft zu beschäftigen.' (S. 14)" |
Fotos
Es sind keine
Fotos zur jüdischen Geschichte in Waldkirch vorhanden. |
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Lage der abgegangenen jüdischen Friedhöfe
(die Pfeile markieren die Lage)
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Germania Judaica II,2 S. 861; III,2 S.1550-1551 (nach
den hier gemachten Angaben wurden die in Waldkirch im MA verstorbenen Juden auf dem alten Friedhof in Dettelsbach bei Waldshut
beigesetzt). |
| Fridrich Pfaff: Die Kindermorde zu Benzhausen und
Waldkirch im Breisgau. Alemannia - Zeitschrift für Sprache, Kunst und
Altertum. 27. Band. Freiburg 1900. S. 247-297 (sehr ausführliche
Darstellung). |
| Max Wetzel: Waldkirch im Elztal. Stift, Stadt und
Amtsbezirk. I. Teil. 1912. S. 124-127. |
| Hermann Rambach, Die Waldkircher Juden im Mittelalter, in: Das
Elztal. Beilage zur Waldkircher Volkszeitung. 30. Januar 1954 Nr. 1 und 2.
Online
zugänglich als pdf-Datei. |
| Michael Longerich, Judenverfolgungen in Baden im 14.
Jahrhundert am Beispiel von Breisach, Endingen, Freiburg und Waldkirch, in:
s'Eige zeige. Jahrbuch des Landeskreises Emmendingen 4/1990 S.33-46. |
| Daniel Bauerfeld / Lukas Clemens (Hrsg.):
Gesellschaftliche Umbrüche und religiöse Netzwerke. Analysen von der Antike
bis zur Gegenwart. Bielefeld 2014. Beitrag von Kathrin Geldermans-Jörg:
Schreiben, sag, berichte, antwort. Kommunikationswege und soziale Netzwerke
am Beispiel des Waldkircher Ritualmordverfahrens (1504/05). S.
173-206. |
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