Die Wormser Synagoge
2009/2013 (Fotos in höherer Auflösung von Michael Ohmsen; diese und weitere Fotos siehe
Fotoseiten
von M. Ohmsen zu Worms)
Außenansichten
der Wormser Synagoge
Innenansichten:
Blick zum Toraschrein
Jüdische
Geschichte in Worms
- Fotos von 2005 / 2011
(Fotos - wenn nicht anders angegeben - Hahn, Aufnahmedatum 2.-4.8.2005;
Fotos mit *) von Klara Strompf, Aufnahmen vom 2.12.2011)
*
Die "Judengasse" in
Worms
Straßenschild
"Synagogenplatz"
Synagogenplatz mit Synagoge
(Fahnen zum "Raschi-Jahr" 2005
Eingang zur
(Männer-)Synagoge
Hinweistafel zur Geschichte
des Hauses
Aufnahmen von
Süden / Südwesten mit dem Anbau der "Raschi-Kapelle"
Historische
Inschriften
Im Betsaal der Männer
Blick in den Betsaal der
Frauen
Blick zum Toraschrein (Aron
HaKodesch)
Vorlesepult und Toraschrein
Vorlesepult (Bima)
*
Chanukkaleuchter rechts
vor dem Toraschrein
Gedenktafeln mit den Namen der
in
der Shoa ermordeten Wormser Juden
Gedenklicht für die
Opfer der
Shoa
Raschi-Kapelle
*
Eingang zur "Raschi-Kapelle"
"Raschi-Kapelle"
mit "Raschi-Stuhl"
*
Das Raschi-Haus
Torarolle und
andere Judaica im Ausstellungsbereich des Raschi-Hauses
*
*
Installationen im Museumsbereich, links jüdische Familie, rechts die Wormser
Synagoge
Raschi-Statue von
Wolf Spitzer aus Speyer mit Hinweistafel
*
Abgang zur Mikwe
Tauchbecken
"Geschichtsfenster"
im Dom zur Erinnerung an Pogrome und Judenverfolgungen
Die Levy'sche
Synagoge -
erbaut 1875 in der Judengasse (Karte: Sammlung Hahn,
Foto: Hahn)
Beiträge zu den jüdischen Altertümern,
insbesondere zur Synagoge und dem gottesdienstlichem Leben in Worms in jüdischen
Periodika des 19./20. Jahrhunderts Ohne Beiträge zur Geschichte des alten Friedhofes, siehe
Seite zum Friedhof.
Die nachfolgenden Text wurden freundlicherweise von Susanne Reber
abgeschrieben und mit Anmerkungen versehen.
Die Sage von Rabbi Juda Chasids Mauer bei der Synagoge
in Worms - in Gedichtform (von 1843) Anmerkung: Rabbi Juda Chassid = Jehuda ben Samuel he-Chasid (geb. 1140-50
in Speyer, gest. 1217 in Regensburg) war einer der bedeutendes Vertreter
einer Bewegung des hochmittelalterlichen Judentums, die als Reaktion auf die
Judenverfolgungen der Zeit der Kreuzzüge ab 1096 der streng rationalen
Gelehrsamkeit eine mystisch-spirituelle Frömmigkeit, Askese und Märtyrerverehrung
entgegensetzten. Siehe Wikipedia-Artikel
"Juda ben Samuel".
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 11. Dezember 1843:
"Rabbi Juda Chasid's Mauer zu Worms. (Eine jüdische Sage von
A. Trendlau).
*) Nach Maase Nissim No. 8. - Mit einiger Veränderung auch Schalsch.
Hakk. S. 42. - Der Rabbi starb 1217 zu Regensburg. - Aus einer noch
ungedruckten zweiten Sammlung jüdischer Sagen und Legenden.
Hin zur Frauen-Synagoge, Die zu Worms am Rhein,
Führt ein Gässchen, ihr zur Linken, Dunkel schmal und klein.
Hier verweilt dein Führer, deutet Auf die Mauer dran,
'Rabbi Juda Chasid's Mauer!' Sagt der alte Mann.
Eine Blende ist es aber, Was dein Aug' erblickt,
Wie von einem Menschenkörper, Rückwärts
eingedrückt.
Und befragt dein Blick den Alten, Was dies heißen soll?
So beginn er, aufwärtsschauend, Leis' und wehmutsvoll:
'Dies ist auch noch so ein Denkmal, Aus der düstern Zeit,
Wo zum Bösen und der Gegner Allzeit war bereit.'
'Aber auch ein herrlich Zeichen Von der Macht des Herrn!
Unsrer Zeit, acht, ohne Glauben, Bleibt das Wunder fern-'
-
'Auf
dem Weg zur Synagoge Ging einst hier ein Weib,
Die den besten Gottessegen Barg im Mutterleib.'
'Plötzlich kommt ein Mensch gefahren, Lenkt ins Gässchen ein;
Nein ein Mensch nicht, nur ein Dämon Kann's gewesen
sein.'
'Wütend treibt er seine Pferde Auf das Weib hinan,
Wo im Nu ein Doppelleben Er zerdrücken kann.'
'Totenblass drängt sich die Arme An den kalten Stein;
Schließt, abwehrend, ihre Hoffnung Mit den Händen
ein.'
'Schon ist ihr der Wüt'rich nahe, Hört sie seinen Spott;
Und empfiehlt in Todesängsten Leib und Seele Gott.'
'Sieh, da weicht zurück die Mauer, Gibt ihr gnädig Schutz,
Und der Stein erbarmt sich ihrer Menschenwut zum Trutz.'
'Und vorüber rollt's verderben Rühret sie nicht an;
Denn sie barg im Mutterschoße Einen großen Mann.'
'Wohl war Rabbi Juda Chasid Solchen Wunders wert,
Und die Mauer trägt den Namen, Den die Welt verehrt.'"
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 12. April 1847: "Worms, 18 März (1847). Der Prediger
A. Adler hat veranstaltet, dass von Ostern ab Sonntag Nachmittag ein
deutscher Gottesdienst stattfinde."
Anmerkung: zu Prediger A. Adler vgl.
http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?gnd=1064856276
Artikel in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter"
vom 9. September 1845:
"Die Toten von Worms.
In der alten Synagoge glänzt der Kerzen heller Schein,
Wirft sein Licht, das glanzerfüllte, auf der Beter ernste Reih'n;
Weiß die Farbe der Versöhnung, weiß die Farbe des Gewandes,
Also schwingt sich ihre Seele in das Reich des Gotteslandes.
Tiefe Stille, leises Schluchzen bietet der Versöhnungstag.
Und in manch verstocktem Herzen wird die bittre Reue wach;
Nicht bloß von der Kerzen Scheine sieht man jedes Aug' entflammt,
Nein! die Nähe ist's des Gottes, der versöhnet und
verdammt!
Und es tönt im Liede also: Herr, du mögest dich erbarmen,
Mögest rette deine Kinder mit der Adlers Fittichsarmen,
Mögest froh und frei vermehren deines Volkes heil'gen Samen,
Und so sprechet darauf Alle ein vernehmbar lautes: Amen!
Amen, tönt's - doch welch ein Summen, welch ein wunderlich
Gebrause,
Wogt und wallet auf und nieder in dem alten Gotteshause,
Keiner regt sich, und verhüllet sich die Häupter mit den Fäden,
Die von unserem Gottesbunde, Stumm und doch so deutlich reden.
Immer enger wird's den Betern, immer wächset das Gedränge,
Und es staunet Jeder zagend ob des Gotteshauses Enge,
Und es tönt im Liede weiter: Herr vom Leben und vom Sterben,
Lass am Tage des Gerichts uns der Väter Tugend erben!
Blick herab mit deiner Gnade auf das Herz, das schuldbefleckte,
Das von eitlem Wahn befangen, sich mit Schmach der Sünd'
bedeckte.
Allerbarmer! Allerhalter! lass für unsre schweren Sünden,
Uns, dein Volk, das lang geliebte, endlich doch Versöhnung
finden.
Da noch einmal tönt es Amen! - aber welch ein Donnerrufen.
Gleich dem Lied der Engelsscharen an des Gottesthrones Stufen.
Gleich dem schweren Ruf an jene, die das Urgesetz gebrochen,
Also ward das Amen, Amen, von der Menge jetzt
gesprochen.
Sieh! es fallen hier die Hüllen - und ein Schädel taucht empor,
Hier ein andrer - und es klappert der Gerippe grauser Chor!
Ja! aus ihren Gräbern stiegen sie, die lange schon verweset,
Deren Geist seit langen Zeiten schon vom Fleische ward erlöset.
Allen graust es, doch der Rabbi, er der fromme Knecht des Herrn,
Bleibet ruhig - seiner Seele ist die Furcht vor Geistern fern,
Und er ruft mit lauter Stimme: 'Seid ihr von dem Herrn entboten?'
'Ja wir sind es', tönet dumpf es in dem weiten Reich der Toten.
'Nun so geht in Gottes Namen'! - Welch Geschwirre, welche Gebrause.
Bald ist wieder luft'ge Weite in dem alten Gotteshause,
Denn der Abgeschiedenen Körper sind zur selben Zeit verschwunden
Und sie haben ihre Ruhe in des Grabes Schoß gefunden.
Also hat es sich begeben einst zu Worms, dem alten, freien.
Also haben sich vereinet die zwei feindlichen Parteien.
Tote haben mit Lebend'gen dort gefleht zum Himmelsheere.
Aus dem Grabe drang ein Rufen: 'Gebet Gott allein die
Ehre!'.
Zacharias."
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 15. August 1853: "Worms, im Juli (1853). Es hat sich hier
ein Komitee zur Renovierung jüdischer Altertümer gebildet und hat zu
diesem Behufe einen Aufruf an die jüdischen Gemeinden Deutschlands und
der angrenzenden Länder erlassen. Das Komitee besteht aus den Herren: J.
Bamberger, Rabbiner und Vorsitzender, Dr. Heichelheim,
Stellvertreter; S. Raß, Kontrolleur; N. Frank, Sekretär
und aus den beisitzenden Mitgliedern Dr. Lewysohn, Prediger; M.
Cahn; M. Mannheimer und M. Edinger. - Der Aufruf ist
begleitet von einer Zuschrift an die resp. Vorsänge und einem offenen
Briefe der hiesigen beiden Geistlichen an die Herren Rabbiner und Prediger
der resp. Gemeinden. Es mag dem Korrespondenten gestattet sein auch hier
einige Worte über den angeregten Zweck zu äußern.
Worms ist die älteste Gemeinde in Deutschland; die in verschiedenen
Monographien der hiesigen Stadt niedergelegten historischen Data setzen
die Existenz der hiesigen Gemeinde in das vorschriftliche Zeitalter und
ist hierorts auch ein Leuchenstein im Stadthause eingemauert, dessen
Aufsicht ein Alter von 16 Hundert Jahren bekundet. Außer den Gräbern
vieler Märtyrer und Heroen der jüdischen Literatur, von welchen im
gedachten Aufruf Einige namentlich erwähnt sind, sind die
Raschi-Monumente besonders berühmt. Es existiert noch die Kapelle und der
in derselben eingemauerte Stuhl, welcher jener allbekannte und berühmte
Gelehrte eingenommen; auch ist noch das Haus (Klause) vorhanden, in
welchem die Jeschiba, deren Lehrer Raschi war, gewesen ist. Alle diese und
ähnliche zahlreiche Monumente haben dem nagenden Zahn der Zeit nicht
widerstehen können; es sollen daher dieselben auf eine einfache, aber
würdige Weise wieder hergestellt werden. Worms ist für die Besucher der
herrlichen Rheinlande wegen seiner historischen Erinnerungen ein
mächtiger Anziehungspunkt, und jeder Wissbegierige durchreist nicht Worms
ohne die ehrwürdige Synagoge und die angrenzenden Altertümer zu
besuchen; es vergeht keine Woche, wo nciht Geistliche und Laien
verschiedener Konfession dieselben angelegentlich betrachten und
bewundern: es ist daher eine moralische Verpflichtung des Judentums
Einiges für die Erhaltung der gedachten Altertümer zu tun. Wir rechnen
umso mehr auf die Teilnahme unserer deutschen Glaubensbrüder, da uns
schon von außerhalb der deutschen Grenze mannigfache Teilnahme und Ermunterung
zugekommen sind. Wir fügen dieser Mitteilung noch hinzu, dass ein
Gedenkbuch in der Raschikapelle niedergelegt wird, in welches die Namen
sämtlicher Gebet - ohne Unterschiede des Betrages - eingezeichnet werden
und dass alljährlich ein öffentlicher Gottesdienst zum Andenken an die
Geber abgehalten werden soll. Soll das
Judentum anderen Konfessionen nicht nachstehen, die zur Erhaltung ihrer
Altertümer das Möglichste tun, so ist der Wunsch gewiss gerechtfertigt,
dass ein Jeder mit Wort und Tat den löblichen Zweck
unterstützt!
Der betreffende 'Aufruf' lautet folgendermaßen.
Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass kein Volk der Erde das Andenken
an seine Verstorbenen mehr ehrt, als Israel. So wie der sterbende Israelit
schon Gegenstand der frömmsten Aufmerksamkeit und von Freundeshand in die
Ewigkeit geleitet wird, so bleibt sein Andenken den Seinen auf ewige
Zeiten heilig und wird, durch Handlungen der Pietät fortgepflanzt,
gleichsam der schützende Genius der Familie.
Männer aber, welche die Väter, d.h. die geistigen Erzieher für ganz
Israel waren, verdienen diese Pietät im höchsten Grade. Alle Völker
ehren ihre großen Männer durch Monumente, sie glauben, und mit vollem
Rechte, sich selbst damit zu ehren.
Wenn wir nun auch nach dem Ausspreche des jerusalemischen Talmuds ...
prunkende Monumente nicht setzen sollen, so ist es aber doch gewiss im
höchsten Grade Pflicht und Schuldigkeit, schon bestehende Denkmäler dem
Verfall zu entreißen, und was die Vergangenheit uns an solchen
überlieferte, der Nachwelt zu erhalten.
Worms, die älteste israelitische Gemeinde in Deutschland, birgt eine
große Menge solcher Denkmäler der Vorzeit. So steht noch heute die
Synagoge von Raschi (die Klause) und dessen Lehrhaus (Raschi-Stuhl).
Auf dem Friedhof befindet sich eine große Zahl von Leichensteinen
berühmter Männer, welche hier gelebt und gelehrt haben, und teilweise
als Märtyrer für den Glauben gestorben sind, unter denen die von ... Maharam
von Rothenburg, Eliahu Baal Schem (Elia ben Moses Lonas), Maharil (Jakob
ben Moses halevi) und noch zahlreiche Große... Rothschild, genannt Mendel
Aschkenasi sind, welche ewig ehrwürdige Denkmäler unstreitbar dem
Verfalle anheim gegeben sind, wenn dem nicht, wenn dem nicht in aller
Kürze begegnet wird.
Wir erlauben uns daher, uns mit einem Aufrufe an ganz Israel zu wenden und
alle Gemeinden und Individuen aufzufordern, zur Erhaltung derselben
beizutragen.
Unsere Gemeinde würde sich dieser Pflicht allein unterziehen; aber
einerseits machen es ihr, schwere, auf ihr noch heute ruhende, aus der
Vorzeit herrührende Lasten unmöglich, die dadurch entstehenden
bedeutenden Kosten allein zu bestreiten, andererseits sind jene
leuchtenden Lehrer und ihr Andenken Gemeingut von ganz Israel, und wir
sind es der Gesamtheit schuldig, Keinen, nah oder entfernt, reich oder arm
- der Beitrag sei groß oder klein - von der Beteiligung an dem alle
ehrenden Werke auszuschließen.
Es sollen also durch diese Beiträge jene Grabmäler auf dem hiesigen
Friedhofe hergerichtet und Raschi's Lehrstuhl und Synagoge
renoviert werden.
Da diese Synagoge sich in einem alten, ebenfalls mit Verfalle drohenden
Gebäude befindet, und dieses nur unter der ausdrücklichen Bedingung
überlassen worden ist, dass die Synagoge von Raschi darin
erhalten, das Gebäude selbst aber einem frommen, wohltätigen Zwecke
geweiht bleibe, so soll das Letztere zugleich würdig hergestellt werden;
der etwaige Überschuss der freiwilligen Beiträge aber soll zu einem der
Idee und der Verehrung von Raschi entsprechenden Zwecke allgemeiner
Wohltätigkeit oder Verbreitung jüdischer Gelehrsamkeit verwendet
werden.
Die näheren Bestimmungen hierüber sollen hiernächst nach einer Beratung
mit einem Ausschusse der auswärtigen Förderer dieser Angelegenheit
getroffen werden. Die Namen aller Geber werden in ein zu dem Ende
hinterlegtes Gedenkbuch eingetragen, und alljährlich soll in Raschis
Synagoge zum Andenken an die Geber ein feierlicher Gottesdienst abgehalten
werden.
Überzeugt, dass mit diesem frommen Unternehmen dem Wunsche aller unserer Glaubensgenossen
begegnet wird, haben die Unterzeichneten keinen Anstand genommen, sich zu
einem Komitee zu bilden, das bereit ist, die eingehenden Beiträge entgegen
zu nehmen, und seinerzeit pünktliche Rechnung über deren Verwendung
abzulegen.
Möge an dem zu verewigenden Andenken jener großen Männer der Glaube und
die Zuversicht Israels erstarken und jene Verheißung sch verwirklichen.
-
'Wer Mildtätigkeit zu üben und stets Liebe zu erreichen strebt, der
findet Leben, Glück und Ehre.' Worms, im Juli
1853."
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 20. August 1855: "Worms, im Juli (1855). Zur
Renovation der hiesigen Altertümer ging an Beiträger ferner ein: Von
Herrn R. N. in Cammin 65 Thaler (wovon 64 Thlr. 5 Sgr. für die
Grabsteine und 25 Sgr. für die übrigen Altertümer bestimmt sind), und
von Herrn Dr. Beer in Dresden 3 Thlr. Hierzu laut Nr. 23 dieses
Blattes 2118 Fl. 55 Kr., zusammen 68 Thlr. und 2119 Fl. 55 Kr.; Summa 2237
Fl. 55 Kr. - Der erste Spatenstich zur Renovation der Raschi-Kapelle
geschah am 12. dieses Monats und hoffen wir, dass dieselbe bis 25. - es
möge uns zum Guten gereichen - renoviert sein wird; wir werden
alsdann nicht verabsäumen, eine detaillierte Rechnung in diesen Blättern
zu geben.
Das Komitee zur Renovation der hiesigen Altertümer."
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 1. Oktober
1855: "Worms, im September (1855). ... Kurz vor
Vollendung der Raschikapelle, der man in spätestens drei Wochen
entgegensieht, erhielt das Komitee noch fünf Pfd. Sterling aus
London..."
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 23. Januar 1861: "Worms. Dem alten Gottesdienste
unserer hiesigen Gemeinde droht der Sturm der Reform.
Unsere Gebete, die, geschöpft aus der Fülle des göttlichen Wortes,
gegründet auf die Lehren unserer Weisen, und fast in ganz Israel
angenommen und heilig gehalten, sollen nun nach neuester Facon teil
abgeändert, teils ausgelassen und Neues wieder hinzugefügt werden, und
zwar nach dem Muster der Mannheimer, Frankfurter, Breslauer und Koblenzer
Synagogen.
Die ewigen Wahrheiten des Judentums, in Verbindung mit den eigenen Worten
der heiligen Schrift in edler Einfalt und kraftvoller Kürze vortragend,
begründeten und beförderten diese Gebete, die Einigkeit des Glaubens,
und waren das schöne, engverknüpfende Band aller jüdischen
Gemeinden.
Über jeden Wechsel der Zeit erhaben, sind diese herrlichen Gebete auch
jetzt noch eben so erbauend, als sie es unsern frommen Vorfahren
waren.
Dessen ungeachtet will die Willkür an diese ehrwürdigen Denkmäler der Vergangenheit
Hand anlegen, um dem Zeitgeiste ein Opfer zu bringen. -
Die Orthodoxie in unserer Gemeinde wird diesem Streben entgegenzutreten
wissen.
Die Synagoge soll und muss in ihrer Lehre und Anordnung, die Gemeinschaft
des jüdischen Glaubens auf das Feststehende und Ewige des Judentums
gründen; es soll durch die Gleichförmigkeit desselben, nicht
allein eine gemeinschaftliche Überzeugung, sondern auch eine heitere
Seelenruhe und fromme Zuversicht in den entsprechenden Gedanken
erzeugt werden, dass es dieselben Lobpreisungen, Danksagungen, Bitten und
Fürbitten sind, welche unsere Vorfahren seit Jahrhunderten, ja seit
Jahrtausenden beteten, und die nach uns unsere Kinder - so Gott will -
beten werden.
Von diesen Ansichten geleitet, sind viele Gemeindemitglieder fest
entschlossen, sobald man es wagen sollte, eine Reform der Gebete zu
bewerkstelligen, die Synagoge zu verlassen und einen Separat-Gottesdienst
zu gründen.
(Also auch an die Wormser Synagoge, dieses altehrwürdige Denkmal
jüdischen Geistes, will die sogenannte Reform ihre frevelnde Hand legen,
nicht achtend des ehrwürdigen und gelehrten greisen Rabbiners, nicht
achtend des Andenkens all jener Geistesheroen, die in dieser Synagoge
gelehrt haben! Red.).
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 28. Juli 1863: "Worms, im Juli (1863). Vor
einiger Zeit sah unsere Synagoge, die ihres Alters wegen sehr oft von
Fremden und weiter Ferne besucht wird, einen sehr hohen Gast in ihren
ehrwürdigen Mauern. Seine Königliche Hoheit, unser gnädiger
Großherzog, höchst dessen Besuch früher angekündigt war, erschien in
Begleitung Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Ludwig, Schwiegersohn
der Königin Victoria von England, und mehrerer anderer Personen, die sich
dem Gefolge anschlossen, in unserer Synagoge, und geruhten daselbst, sowie
in der damit verbundenen Raschi-Kapelle, einige Zeit zu verweilen. Der
Großherzog wurde, an dem vor der Synagoge befindlichen Platz angelangt,
von den dort harrenden Vorstandsmitgliedern ehrfurchtsvoll empfangen und
in den inneren Vorhof geleitet, wo mehrere Personen versammelt waren, und
die Konfirmandinnen, weiß gekleidet, Spalier bildend, sich aufgestellt
hatten. Am Eingange der Synagoge standen die Geistlichen und geleiteten
den Landesherrn in den inneren Raum des Gotteshauses, wo sie den üblichen
Segen sprachen. Einen tiefen Eindruck machen die wenigen, aber
gehaltvollen Worte der Begrüßung, welche unser verehrter Geistliche,
Herr Dr. Rosenfeld, an Seine Königliche Hoheit richtete und in welchen er
in sinniger und edler Weise den Gefühlen der Achtung und Verehrung der
israelitischen Gemeinde gegen ihren hochherzigen Landesherrn einen
würdigen Ausdruck verlieh. Seine Königliche Hoheit unterhielt sich dann
in huldvoller Weise mit den Geistlichen, erbat sich Auskunft über manche Gegenstände,
zeichnete höchst Ihren Namen in das in der Rasch-Kapelle befindliche
Fremdenbuch und äußerte beim Weggehen dem Vorstande höchst Ihren Dank
und Wunsch für das fernere Gedeihen der hiesigen israelitischen Gemeinde;
geruhte auch, vom Vorstande eine angemessene Summe zum Synagogenbau
überreichen zu lassen. Solche Wohlwollensbezeugungen, welche so sehr die erfreulicheren
Lichtpunkte der Zeit darstellen, sind sicherlich nicht zu unterschätzende
Momente im Entwicklungsgange des israelitischen Lebens, und hat dieses Ereignis
auch nicht verfehlt, in der hiesigen Gemeinde eine freudige Sensation zu
erregen, umso mehr, das seit Menschengedenken keines Regenten Fuß unsere
an Alter so hervorragende Synagoge je betrat.
Was die Restauration unserer Synagoge betrifft, so ist das Bedürfnis
hierzu nicht allein längst anerkannt, sondern es sind auch von Seiten des
Vorstandes umfassende Maßregeln hierzu getroffen, und was die Hauptsache
ist, die betreffenden Gelder bereits bewilligt worden. Jedoch sind in
letzter Zeit Schwierigkeiten eingetreten, die für den Augenblick den
Beginn des Baues verzögern. Hoffen wir jedoch, dass es dem strebsamen
Vorstande bald gelingen werde, die Schwierigkeiten zu beseitigen und den
beabsichtigten Anbau zu beschleunigen, mit dem ja auch die zweckmäßige
Umgestaltung des Gottesdienstes so eng verknüpft ist."
Der proponierte Umbau der Synagoge zu Worms (Teil I, 1863)
Anmerkung: die Beiträge zum geplanten Umbau der Synagoge in Worms sind
aus der kritischen Sicht von
orthodox-konservativen Gemeindegliedern in der Zeitschrift "Der
Israelit" geschrieben. Der damals liberal geprägte Gemeindevorstand plante
einen Umbau mit der Einbringung einer damals von konservativer Seite völlig
abgelehnten Orgel (bzw. eines Harmoniums). Im darunterstehenden Artikel von
1934 auf den Streit von 1863 zurückgeblickt und auf den Beitrag von Dr. A.
J. Sulzbach Bezug genommen.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 19. August 1863: "Der proponierte Umbau der Synagoge zu Worms.
Von Dr. A. J. Sulzbach*.
I. Eines der ältesten Denkmäler mittelalterlicher Baukunst ist die
Synagoge zu Worms, die mindestens ihre 800 Jahre zählt, vielleicht aber
auch noch über dieses Alter hinausgeht. Welche Erinnerungen knüpfen sich
nicht an dieses Gebäude, ein ganzes Stück jüdischer Geschichte starrt
uns in den Mauern dieses Gotteshauses entgegen: an dieser Stätte litten
unsere Eltern und starben den Märtyrertod für das heilige Gesetz; wie
oft hallten die weißen Kalkwände dieses Tempels wieder von den Klagen
der Mütter und Kinder, die sich in der Not hierher geflüchtet hatten, um
hier die Seele für Gott auszuhauchen. Aber hier erhoben sich auch unsere
Voreltern im Gebet, kräftigten sich und stärkten sich am Worte Gottes;
hier feierten sie ihre Sabbate und Feiertage, und Frieden zog ein in ihre
Seele und ihr Gemüt, möchte es draußen auch stürmen und tosen; hier
erquickten sie sich an der Freude des Herzens und genossen die Wonne einer
Seelenruhe, welche ihnen kein Tyrann rauben konnte.
So steht die alte Synagoge ehrwürdig da, eine Greisin unter den jüngeren
Geschlechtern, unberührt vom Wechsel der Ereignisse, fest aufgerichtet
trotz welterschütternden Revolutionen, die sie umtosten, trotz
zerstörender Feuersgewalt, die um sie umher wütete und vernichtete, und erzählt
uns von alten Tagen, wie ihre Söhne noch gebeugt und verachtet durch die
Welt gingen, abgezeichnet durch das Zeichen der Schmacht, das der stolze,
weltgebietende Römer an ihre Kleidung heftete, wie aber nach und nach die
Zeiten anders geworden, wie die Bannstrahlen des Kapitols immer schwächer
geworden, wie Throne stürzten, Dynastien zusammenbrachen, und wie endlich
von der Abendseite das Licht gekommen; wie durch die Verkündigung der
Menschenrechte die Welt aus den Fugen zu gehen drohte, endlich aber nach
schwerer Krisis die Menschheit zu gesunden begann, so gesund, dass man
bald einzusehen anfing, dass auch der Jude ein Mensch sei. Nun freut sie
sich, die alte Greisin, einmal ihre Kinder als freie Menschen zu sehen,
als Bürger einer freien Zeit, nicht mehr gebeugt, nicht mehr zu Tode
gemartert, und, auf die alte Zeit hinweisend, mahnt sie ihre Kinder zur
Frömmigkeit, zur Dankbarkeit gegen Gott, gegen die Menschen, zur Liebe
zum Vaterlande, das ihnen jetzt eine friedliche Stätte bereitet, zur
treuen Anhänglichkeit an die Regierung, unter deren Obhut sie ruhig
wohnen, zur Liebe zu ihren Mitbürgern, mit welchen sie im Verein ihre
Pflichten als Staatsbürger erfüllen. - Verstehen aber die Söhne dieser
Freiheit die wunderbar ernsten Reden dieser Greisin, fühlen sie sich in
ihrem Glücke so glücklich in den Räumen dieses alten Hauses, wie sich
ihre Vorfahren glücklich trotz ihres Kummers, trotz der sie von allen Seiten
bedrohenden Gefahr hier fühlten? Erkennen sie den Schatz, den sie
besitzen, verstehen sie den Wert dieses Denkmals, um welches sie manche
andere Stadt beneiden möchte? Nein, die Räume sind ihnen zu eng, zu
unbequem, man will - höre und erstaune lieber Leser - mit der alten
Synagoge zu Worms einen Umbau vornehmen!
Dieses alte Gebäude, dem Juden doppelt wert als Monument seiner Geschichte,
wert als Bau-Kunstwerk einer alten Zeit, dieses Gebäude mit seinem
schönen Spitzbogengewölbe, getragen von Säulen, in deren Kapitellen uns
en herrliches Werk alter Skulptur aufbewahrt ist, will man mit
neumodischem An- und Umbau verunstalten, - einem Herkules will man die
mächtige Keule aus der Hand nehmen und ihm dafür ein Spazierstöckchen
mit Elfenbeinknopfe zwischen die riesigen Finger zwängen und dessen
Löwenhaut mit einem Frack nach neuestem Schnitt
vertauschen.
In der Gemeinde Worms gibt es zwar nun genug Leute, welche gegen die
Verstümmelung der Synagoge sind, sie bleiben aber dem Vorstande
gegenüber in der Minorität, weil ein sehr große Teil der Gemeinde zu
indifferent ist, um diese Angelegenheit zu einer Lebensfrage zu machen und
ohne für den Vorstand zu sein auch nicht gegen denselben ist und somit
indirekt zur Schwächung der Opponenten beiträgt. Der Vorstand ist aber
durch alle Vernunftgründe von seiner Lieblingsideen, eine Tat zu begehen
und sich ein trauriges herostatisches Denkmal in der Geschichte der Juden
zu Worms zu setzen, nicht abzubringen; er will um jeden Preis den Beweis
liefern, dass er es versteht, noch viel antiker als die alte Synagoge zu
sein, indem er sich nicht scheut, einen Vandalismus zu
begehen.
Wenn aber doch, hören wir sagen, der Andrang zu der Synagoge ein so
großer ist, dass sie nicht mehr vermag die Menge der Andächtigen zu fassen,
so muss man doch wohl am Ende den scheren Schritt tun, mit der alten
Synagoge einen Umbau vorzunehmen?
Aber das ist's ja eben, die Notwendigkeit, die Räume zu erweitern, ist ja
durchaus nicht vorhanden; es hat noch niemand in dieser Synagoge sich
über die allzu große Enge zu beklagen gehabt. Ich habe schon öfter die
Gelegenheit gehabt, die Wormser Synagoge an Sabbat- und Feiertagen zu
besuchen, und wahrlich, noch niemals brauchte ich um einen Platz verlegen
sein. Nun soll allerdings nach Einigen an den hohen Feiertagen die
Synagoge ziemlich angefüllt sein, sodass für diese drei Tage, aber auch
nur für diese drei Tage ein größerer Raum notwendig wäre, was aber -
ich muss dieses hier sogleich bemerken - auch noch von Andern bestritten
wird, welche meinen, dass man an den hohen Feiertagen auch noch Raum genug
in der Synagoge hätte. Doch es sei, gesetzt, an den hohen Feiertagen
wäre die Synagoge überfüllt, gibt es aber dieser Rat abzuhelfen kein
anderes Mittel als einen Umbau? Diese Frage wollen wir im nächsten
Artikel zu beantworten suchen."
Über den "proponierten Umbau der Synagoge zu Worms" (Teil II, 1863)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 9. September 1863: "Der proponierte Umbau der Synagoge zu
Worms von Dr. A. J. Sulzbach
(Fortsetzung)
II: Sehen wir uns nun dennoch um, ob es gar keinen andern Ausweg für die
Synagogenbesucher an den hohen Festtagen Platz zu gewinnen gibt, als Hand an
das Gebäude selbst zu legen und dasselbe durch einen An- und Vorbau zu
erweitern.
Es muss hier sogleich bemerkt werden, dass man für den Umbau der Synagoge
30.000 Gulden ausgeworfen hat, und es muss festgehalten werden, dass man
diese 30.000 Gulden ausgeben will, um für höchstens drei Tage im Jahre – man
merke: drei Tage! – einen größeren Raum zur Abhilfe der Überfüllung zu
gewinnen. - Ich erlaube mir hier nun zu zeigen, dass man, wenn es dem
Vorstande wirklich nur darum zu tun wäre für die hohen Festtage mehr Raum
für die Synagogenbesucher zu gewinnen, man dieses mit Ersparnis von vielem
Gelde und Schonung der Synagoge erreichen könnte. Zugleich muss ich aber
bemerken, dass es mir nicht hauptsächlich darum zu tun sei, dem Vorstande
der Wormser Gemeinde zu zeigen, wie er Geld sparen könne, denn dazu bin ich
als Nicht-Wormser gar nicht befugt, aber befugt bin ich zu zeigen, dass es
andere Mittel und Wege gibt, als die Synagoge zu verunstalten und ihre das
Historisch-Antike zu nehmen, denn die Synagoge in ihrer Integrität zu
erhalten, ist nicht allein Interesse der Wormser Gemeinde, auch nicht allein
Interesse der ganzen deutschen Judenheit, die in derselben ein Monument
ihrer Geschichte besitzt, sondern Interesse des gesamten Deutschlands, das
in derselben noch ein Stück alter Baukunst aufzuzeigen hat. Wenn ich also,
von diesem Gesichtspunkte ausgehend, Vorschläge machen werde, welche die
alte Synagoge zu schonen zum Zwecke haben, so darf es mir auch nicht viel
übel genommen werden, wenn ich zugleich gelegentlich darauf hinweise, dass
mit der Realisierung derselben zugleich ein Geldersparnis verbunden sei.
Doch zur Sache! An die Westmauer der Synagoge stößt die Raschistube, welche
das ganze Jahr geschlossen bleibt und nur Fremden zur Besichtigung geöffnet
wird. Ich glaube nicht, dass es gegen den Geist und den Sinn des großen
Gelehrten, der eine Zeit lang in diesem Zimmer lehrte, verstoßen würde, wenn
man diese Stube, statt sie das ganze Jahr leer und unbenutzt zu lassen, zu
einem heiligen Zwecke benutzen würde. Würde man dieses Zimmer durch
Niederlegung eines Teiles der dasselbe von der Synagoge trennenden Mauer mit
der Synagoge verbinden, so hätte man für die Synagoge einen Raum für
mindestens 40 Personen, welcher mehr als eine genügende Aushilfe für den
stärkeren Besuch der drei hohen Festtage wäre. Man hätte somit die Synagoge
in ihrer Gesamtheit erhalten und bräuchte, wie Fachmänner und Kenner
versichern, statt 30.000 Gulden nur 3.000 Gulden zu verausgaben. Wenn man
durch diese Verbindung den Charakter der Raschistube als Sehenswürdigkeit
beeinträchtigt glaubt, so könnte man ja auch durch eine Tür das ganze Jahr
hindurch die Verbindung abschließen, nur an den
drei
hohen Festtagen müsste die Wormser Gemeinde es sich gefallen lassen, statt
zwei getrennten Sehenswürdigkeiten, zwei zu einer verbunden zu haben. Dieses
Unglück wird nicht so groß sein.
Doch auch noch einen zweiten Vorschlag will ich mir erlauben, dessen
Realisierung aber eine größere Ausgabe erfordert als der vorerwähnte. Wenn
man aber so viel Geld gesammelt hat, um die Altertümer in Worms zu
restaurieren, so darf man auch die Ausgaben nicht scheuen, um das schönste
Altertum zu erhalten. Wie wäre es, fragen wir, wenn man für die hohen
Feiertage einen besonderen Betsaal, der ungefähr 100 Sitze hat, erbauete?
Ein solcher Betsaal könnte ohne besondern Schmuck zu tragen für die Summe
von 15.000 Gulden hergestellt werden. Die Mehrkosten für einen besonders
anzustellenden Vorsänger und Synagogendiener für diese Tage werden, sollte
sich auch kein Privatmann finden, der als Baal Tefila (= Vorbeter)
die Leitung des Gottesdienste unentgeltlich übernehmen würde, nicht
bedeutend sein und würden durch die Einnahme an Stellengeldern reichlich
gedeckt werden.
So könnte man es machen, und das wissen die Herren in Worms ganz gut, wenn
es lediglich darum zu tun wäre, den Synagogenbesuchern für die hohen
Festtage Platz zu schaffen. Man bräuchte ja sogar nicht einmal neu zu bauen,
wenn man die in Worms befindliche Synagoge des jüdischen Krankenhauses,
welche das ganze Jahr über unbenutzt steht, dem Publikum für die hohen
Feiertage zur Verfügung stellen wollte, dann hätte man ja Platz genug. Aber
wart', da spreche ich ja auf einmal von einer Krankenhaussynagoge, ohne dem
Leser vorher im mindesten die Andeutung gegeben zu haben, dass eine solche
Nebensynagoge in Worms schon existiert, und da würde sich mancher wundern,
warum ich Vorschläge zur Abhilfe gemacht und nicht einfach gesagt habe:
Gebet, ihr Verwalter des Krankenhauses, die Synagoge für die hohen Feiertage
zum Gebrauche her, dann braucht ihr weder einzureißen, noch zu bauen, sparet
Geld, gewinnt Platz und hier und da ist geholfen. Allerdings wäre das der
einfachste Weg, aus dem Dilemma zu kommen, aber erstens ist mit einer
Verwaltung des Krankenhauses zu Worms auch nicht so ohne Umschweife zu
reden, und zweitens würde sie auch nicht geneigt sein, auf diese Vorstellung
einzugehen. Wäre denn da die Kraft des Regiments gezeigt, wenn man auf
alles, was man im Volke wünscht, nur eingehe? Die Amtsbefugnis zeigte sich
ja erst im Verweigern und wozu wäre man Vorsteher, wenn man nicht auch
einmal 'Nein' sagen würde. Wie man aber in der Verwaltung des Krankenhauses
zu Worms 'Nein' zu sagen versteht, davon will ich Dir, lieber Leser, ein
schönes Histörchen erzählen. (Fortsetzung folgt.)"
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 14. Oktober 1863: "Der proponierte Umbau der Synagoge zu
Worms, (Fortsetzung siehe Nr. 36)
II. An dem Krankenhause zu Worms hat die Chewrat Gemiluth Chassodim
(Wohltätigkeitsverein) noch von früher her ein gewisses Anrecht, weil dieses
Gebäude als Schenkung von dieser Bürgerschaft an die Verwaltung des
Krankenhauses übergegangen ist. Dieses Anrecht besteht nun darin, einmal im
Jahr, am Fasttage der Brüderschaft, die Synagoge des Krankenhauses zum
Gottesdienst zu benutzen. Nun ereignete sich aber einmal das Schreckliche,
dass die Mitglieder des Vereins, nachdem sie Schabuoth*-Nacht am Fasttage
der Brüderschaft, die Synagoge des Krankenhauses zum Gottesdienste zu
benutzen. Nun ereignete sich aber einmal das Schreckliche, dass die
Mitglieder des Vereins, nachdem sie Schabuoth-Nacht* 'gelernt' hatten, in
der Frühe sich die Synagoge des Krankenhauses öffnen ließen und daselbst das
Morgengebet abhielten. Dieses Kriminalverbrechen konnte aber einer der
Herren Verwalter des Krankenhauses nicht ruhig vorbeigehen lassen, ohne für
die durch das eigenmächtige Benutzen der Synagoge verletzte Amtswürde
eintreten: Das Verbot erging an die Ökonomie des Hauses, niemals wieder ohne
Erlaubnis die Schlüssel der Synagoge zur Benutzung derselben herzugeben. -
Welchen irgendwie plausiblen Grund schützte man denn für die Verweigerung
vor? Ein Gottesdienst im Krankenhause störe die Kranken. Obgleich in sehr
vielen Gemeinden in Krankenhäusern Gottesdienst abgehalten wird und die
Sanitätspolizei noch keine Veranlassung gefunden hat, gegen die Störung und
die Beunruhigung, welche die Kranken davon erführen, einzuschreiten – hilft
nichts, in Worms stört's. Mit dem einmaligen Protest, welchen einer der
Herren Verwalter gegen die Abhaltung des Gottesdienstes in der
Krankensynagoge umlegte und dem für den Protest angegebenen Grunde ist also
für alle Zeiten, wenigstens so lange eine gleichgesinnte Verwaltung an der
Spitze steht, das Schloss vor die Synagogentür gelegt und kann nicht davon
die Rede sein, diese Synagoge als Aushilfe für die hohen Feiertage zu
benutzen.
Wenn man aber dem Benehmen der Krankenhausverwaltung auf den wahren Grund zu
kommen sucht, so ist man versucht, anzunehmen, dass diese ganz im
Einvernehmen mit dem Gemeindevorstand handelt, aber dass sie vielmehr
letzteren unterstützt. Dem Gemeindevorstand ist es darum zu tun, die alte
Synagoge zu erweitern, er will kein Betlokal zur Aushilfe, die
Krankenhausverwaltung gibt die Krankenhaussynagoge nicht her, damit kein
Lokal zur Aushilfe vorhanden sei, und der Vorstand, weil angeblich die alte
für die jetzige Gemeinde zu klein sei, zum Umbau genötigt scheint. Versuchen
wir es nun dem Grunde näher auf die Spur zu kommen, wir werden finden, dass
hinter dem beabsichtigten Umbau mehr als die Abhilfe eines Übelstandes, der
Überfüllung an den hohen Feiertagen steht. III. Wenn vor einiger Zeit ein Korrespondent aus Worms in der Zeitung
des Judentums die Hoffnung ausspricht, dass der Umbau der Wormser Synagoge
bald vollendet sein werde, mit dessen Realisierung die Einführung der Reform
des Gottesdienstes verknüpft sei:
So
ist diese ausgesprochene Hoffnung nicht als der Wunsch und die Meinung eines
Einzelnen zu betrachten, sondern es ist die Meinung, welche in den
maßgebenden Kreisen, respektive der Majorität des Gemeindevorstandes
herrscht. Die Reform ist beschlossene Tatsache, über das Wie? ist man einig,
das Wann? ist noch unbestimmt. Man will eine Reform, in welcher die Orgel
die erste Stelle einnimmt, dass danach die Liturgie einer Änderung
unterworfen ist, ist natürlich. Dass sich nun in alte Synagogen nicht sehr
gut eine wirkliche Umänderung des Gottesdienstes einführen lässt, dass diese
hier auf tausend Widersprüche stößt, ist bekannt, ein Neubau muss
vorangehen, und wäre es auch nur ein Umbau. Hier ist also die Ursache zu
suchen, warum der Vorstand so sehr auf den Umbau der Synagoge dringt. Nur
deshalb will man die alte, ehrwürdige Synagoge angreifen, um durch
Orgelklang und Ausmerzung der alten Gebete, welche das Andenken an die
Vorfahren aufbewahren, den abgeschiedenen Seelen der alten Glaubenshelden,
den Manen* der Großväter und Großmütter, die mutig für Gott in den Tod
gegangen sind, desto besser Hohn zu sprechen. Hand aufs Herz gelegt, ihr
Männer von Worms, die ihr den Gottesdienst zu reformieren beabsichtigt,
gesteht es, ob ihr, indem ihr den Gottesdienst umgestaltet, im Geiste eurer
großen Ahnen handelt, oder ob ihr nicht vielmehr ihrem Geiste und ihrem
Willen durch solches Vorgehen stracks zuwiderhandelt? Wird nicht jeder Stein
der alten Synagoge, der einst widerhallte von den Seufzern eurer in den Tod
gehetzten Voreltern, euer Ankläger werden vor Gott, wenn ihr, die Söhne
jener erhabenen Eltern, die ihr unter dem Gestirne einer freieren Zeit als
freie Männer eure Häupter erheben dürft, als freie Bürger dem Staate dienen
könnt, zum Danke dafür das Andenken an eure Voreltern zu übertönen? Wir
erinnern nicht an jene dunklen Zeiten, um Galle und Wehmut in das Herz zu
tröpfeln, und einen Hass und Groll zu schüren zwischen Brüdern, die
friedlich beisammen wohnen – Gott bewahre! Hass und Groll bewahren verpönt
das jüdische Gesetz, die Kinder sollen nicht um der Väter willen sterben,
heißt es ausdrücklich in unserm Codex und Haman, der Judenfeind, war es, der
einst den Hass der Väter auf die Kinder übertrug; was können die Kinder
dafür, wenn die Väter geirrt? Aber jenes Instrument in unserer Synagoge
herübernehmen, das hieße, außer dem religiösen Vergehen, welches begangen
wird, schwer die Pietät verletzen, da jede Pietät verleugnen, die wir dem
Andenken unserer glaubensmutigen Vorvätern schulden. Waget es dann nicht
mehr, euch zu rühmen, dass ihr im Besitze eines heiligen Ackers seid, in
welchem heilige Gebeine ruhen, dieser Ruhm würde für euch nur eine Anklage
werden, saget, ihr besitzet eure Sehenswürdigkeiten, wie Ägypten seine
Katakomben hat, weiset aber nicht mehr auf die 'großen Männer' hin, die im
Schoße eures Bodens ruhen – Ihr wollt reformieren, gut, tut solches, sorget
dafür, dass man sich mit Anstand in der Synagoge betrage, dass das
ungezogene Geplauder aufhört, von dem man so oft in eurer Synagoge belästigt
wird, achtet darauf, dass die Synagogen-Ordnung gehandhabt wird, die uns der
Schulchan-Aruch* vorschreibt. Sorget dafür, dass eure Kinder Ehrfurcht vor
der Religion eurer Väter bekommen, lasst sie nicht in Unwissenheit über ihr
Gesetz aufwachsen, bereitet wiederum der Tora eine Stätte in eurer Mitte.
Entfaltet in dieser Weise eure Tätigkeit, so übt ihr ein Werk, das den
Beifall eurer hohen Ahnen und vor allen Dingen den Beifall Gottes haben
wird, und was euch spätere Generationen noch danken werden. - Bis jetzt
herrschte Einigkeit in der Gemeinde zu Worms, beginnt ihr Herren Vorsteher
euer Kunststückchen mit dem Umbau der Synagoge und der Umgestaltung des
Gottesdienstes, so habt ihr den Erisapfel* in den Frieden der Gemeinde
geschleudert, die Folgen habt ihr alsdann zu tragen.
Wir hoffen zu Gott, dass es nicht so weit komme, wir glauben, dass es noch
Männer in Worms gibt, an deren gesundem und religiösem Sinn das Vorhaben
scheitern wird; auch der Vorstand wird von seinem Vorhaben abgehen, seine
guten Früchte dem Sämann trägt. - Sollte aber der Vorstand sein
Lieblingsprojekt durchsetzen wollen gegen den Willen vieler
Gemeindemitglieder, nur dann, ihr Männer von Worms denen die jüdische
Religion kein leeres Traumgebilde ist, dann nicht Frieden um jeden Preis,
nehmet den Fehdehandschuh auf, der euch hingeworfen wird, ihr kämpfet
alsdann um das unveräußerliche Recht eurer Autonomie und eurer Religion, der
Sieg kann nicht zweifelhaft sein! Nachbemerkung der Redaktion! Es sind bereits einige Wochen
verflossen, seitdem der Anfang des vorstehenden Aufsatzes in diesen Blättern
erschien. Inzwischen hat die bekannt gewordene Absicht des Wormser
Vorstandes, die altehrwürdige Synagoge durch Umbau zu verunstalten, nicht
geringes Aufsehen in der Welt, namentlich in England erregt. Ein
Korrespondent des Londoner 'Jewish Chronicle' hat sich sehr energisch
darüber ausgesprochen, und seine Landsleute von Einfluss und Bedeutung
aufgefordert, gegen dieses Attentat auf eine der ältesten und ehrwürdigsten
jüdischen Gotteshäuser zu wirken. Was unterdess von dort aus geschehen,
wissen wir nicht. So viel steht fest - die Wormser Synagoge hat nicht allein
für die dortige Gemeinde, sie hat für alle Israeliten das größte Interesse,
namentlich sollte die gesamte jüdische Presse aller Länder, aller Sprachen
und aller Richtungen laut gegen den erwähnten Umbau protestieren, zumal, wie
oben nachgewiesen worden, eine Notwendigkeit durchaus nicht vorliegt!" Anmerkungen - vgl. zu - Schabuoth: https://de.wikipedia.org/wiki/Schawuot
- Manen: https://de.wikipedia.org/wiki/Manen
- Große Männer: Rabbi Meir von Rothenburg, Rabbi Alexander ben Salomon
Wimpfen, Rabbi Jakob ben Moses haLevi Molin (MaHaRil)
https://de.wikipedia.org/wiki/Heiliger_Sand
- Schulchan-Aruch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schulchan_Aruch
- Erisapfel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Zankapfel
- Dr. Abraham Sulzbach:
https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Sulzbach
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 21. Juni 1934: "Im Kampf um die Orgel – vor 70 Jahren
Die 900-Jahr-Feier der Wormser Synagoge ruft einige Erinnerungen an die
Kämpfe, die im Jahre 1863 bei Anlass des Umbaus der Synagoge in Worms um die
Reform und ihr Hauptkriterium, die Orgel, geführt wurden. Selbstverständlich
konnten die Auseinandersetzungen mit Rücksicht darauf, dass Gemeinde und
Synagoge in der Stadt Raschis Angelegenheit der gesamten deutschen Judenheit
sind, nicht auf Worms allein beschränkt bleiben. Im Mainzer 'Israelit' vom
Jahre 1863 veröffentlichte der unvergessliche Frankfurter Gelehrte und
Historiker, Professor Dr. Abraham Sulzbach - das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen -, eine längere Artikelserie unter dem Titel 'Der
proponierte Umbau der Synagoge zu Worms' (siehe Text oben, Anm. S.R.), der
wir folgende auf die Orgel bezügliche Stellen entnehmen:
'Wenn vor einiger Zeit ein Korrespondent aus Worms in der Zeitung des
Judentums die Hoffnung ausspricht, dass der Umbau der Wormser Synagoge bald
vollendet sein werde, mit dessen Realisierung die Einführung der Reform des
Gottesdienstes verknüpft sei:
So ist diese ausgesprochene Hoffnung nicht als der Wunsch und die Meinung
eines Einzelnen zu betrachten, sondern es ist die Meinung, welche in den
maßgebenden Kreisen, respektive der Majorität des Gemeindevorstandes
herrscht. Die Reform ist beschlossene Tatsache, über das Wie? ist man einig,
das Wann? ist noch unbestimmt. Man will eine Reform, in welcher die Orgel
die erste Stelle einnimmt, dass danach die Liturgie einer Änderung
unterworfen ist, ist natürlich. Dass sich nun in alte Synagogen nicht sehr
gut eine wirkliche Umänderung des Gottesdienstes einführen lässt, dass diese
hier auf tausend Widersprüche stößt, ist bekannt, ein Neubau muss
vorangehen, und wäre es auch nur ein Umbau. Hier ist also die Ursache zu
suchen, warum der Vorstand so sehr auf den Umbau der Synagoge dringt. Nur
deshalb will man die alte, ehrwürdige Synagoge angreifen, um durch
Orgelklang und Ausmerzung der alten Gebete, welche das Andenken an die
Vorfahren aufbewahren, den abgeschiedenen Seelen der alten Glaubenshelden,
den Manen der Großväter und Großmütter, die mutig für Gott in den Tod
gegangen sind, desto besser Hohn zu sprechen. Hand aufs Herz gelegt, ihr
Männer von Worms, die ihr den Gottesdienst zu reformieren beabsichtigt,
gesteht es, ob ihr, indem ihr den Gottesdienst umgestaltet, im Geiste eurer
großen Ahnen handelt oder ob ihr nicht viel mehr ihrem Geiste und ihrem
Willen durch solches Vorgehen stracks zuwiderhandelt? Wird nicht jeder Stein
der alten Synagoge, der einst widerhallte, von den Seufzern eurer in den Tod
gehetzten Voreltern euer Ankläger werden vor Gott, wenn ihr, die Söhne jener
erhabenen Eltern, die ihr unter dem Gestirne einer freieren Zeit als freie
Männer eure Häupter erheben dürft, als freie Bürger dem Staate dienen
könnt, zum Danke dafür das Andenken an eure Voreltern zu übertönen? Wir
erinnern nicht an jene dunklen Zeiten, um Galle und Wehmut in das Herz zu
tröpfeln, und einen Hass und Groll zu schüren zwischen
Brüdern,
die friedlich beisammen wohnen – Gott bewahre! Hass und Groll bewahren
verpönt das jüdische Gesetz, die Kinder sollen nicht um der Väter willen
sterben, heißt es ausdrücklich in unserm Codex und Haman, der Judenfeind,
war es, der einst den Hass der Väter auf die Kinder übertrug; was können die
Kinder dafür, wenn die Väter geirrt? Aber jenes Instrument in unserer
Synagoge herübernehmen, das hieße, außer dem religiösen Vergehen, welches
begangen wird, schwer die Pietät verletzen, da jede Pietät verleugnen, die
wir dem Andenken unserer glaubensmutigen Vorvätern schulden. Waget es dann
nicht mehr, euch zu rühmen, dass ihr im Besitze eines heiligen Ackers seid,
in welchem heilige Gebeine ruhen, dieser Ruhm würde für euch nur eine
Anklage werden, saget, ihr besitzet eure Sehenswürdigkeiten, wie Ägypten
seine Katakomben hat, weiset aber nicht mehr auf die 'großen Männer' hin,
die im Schoße eures Bodens ruhen – Ihr wollt reformieren, gut, tut solches,
sorget dafür, dass man sich mit Anstand in der Synagoge betrage, dass das
ungezogene Geplauder aufhört, von dem man so oft in eurer Synagoge belästigt
wird, achtet darauf, dass die Synagogen-Ordnung gehandhabt wird, die uns der
Schulchan-Aruch vorschreibt. Sorget dafür, dass eure Kinder Ehrfurcht vor
der Religion eurer Väter bekommen, lasst sie nicht in Unwissenheit über ihr
Gesetz aufwachsen, bereitet wiederum der Tora eine Stätte in eurer Mitte.
Entfaltet in dieser Weise eure Tätigkeit, so übt ihr ein Werk, das den
Beifall eurer hohen Ahnen und vor allen Dingen den Beifall Gottes haben
wird, und was euch spätere Generationen noch danken werden. - Bis jetzt
herrschte Einigkeit in der Gemeinde zu Worms, beginnt ihr Herren Vorsteher
euer Kunststückchen mit dem Umbau der Synagoge und der Umgestaltung des
Gottesdienstes, so habt ihr den Erisapfel in den Frieden der Gemeinde
geschleudert, die Folgen habt ihr alsdann zu tragen.
Wir hoffen zu Gott, dass es nicht so weit komme, wir glauben, dass es noch
Männer in Worms gibt, an deren gesundem und religiösem Sinn das Vorhaben
scheitern wird; auch der Vorstand wird von seinem Vorhaben abgehen, seine
guten Früchte dem Sämann trägt. - Sollte aber der Vorstand sein
Lieblingsprojekt durchsetzen wollen gegen den Willen vieler
Gemeindemitglieder, nur dann, ihr Männer von Worms denen die jüdische
Religion kein leeres Traumgebilde ist, dann nicht Frieden um jeden Preis,
nehmet den Fehdehandschuh auf, der euch hingeworfen wird, ihr kämpfet
alsdann um das unveräußerliche Recht eurer Autonomie und eurer Religion, der
Sieg kann nicht zweifelhaft sein!
Dazu bemerkt damals die Redaktion Folgendes:
Es sind bereits einige Wochen verflossen, seit dem der Anfang des
vorstehenden Aufsatzes in diesen Blättern erschien. Inzwischen hat die
bekannt gewordene Absicht des Wormser Vorstandes, die altehrwürdige Synagoge
durch Umbau zu verunstalten, nicht geringes Aufsehen in der Welt, namentlich
in England erregt. Ein Korrespondent des Londoner 'Jewish Chronicle' hat
sich sehr energisch darüber ausgesprochen, und seine Landsleute von Einfluss
und Bedeutung aufgefordert, gegen dieses Attentat auf eine der ältesten und
ehrwürdigsten jüdischen Gotteshäuser zu wirken.
Was unterdess von dort aus geschehen, wissen wir nicht. So viel steht fest.
- Die Wormser Synagoge hat nicht allein für die dortige Gemeinde, sie hat
für alle Israeliten das größte Interesse, namentlich sollte die gesamte
jüdische Presse aller Länder, aller Sprachen und aller Richtungen laut gegen
den erwähnten Umbau protestieren, zumal, wie oben nachgewiesen worden, eine
Notwendigkeit durchaus nicht vorliegt!"
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 4. November 1863: "Worms, den 29. Oktober
(1863). Es freut mich, Ihnen die Mitteilung machen zu können, dass unsere
alte, ehrwürdige Synagoge weder behuf eines Neubaues niedergerissen, noch
durch Umbau oder Anbau verunstaltet werden wird. B."
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 11. Juni 1867: "Im Verlage von Julius Stern in Worms
ist soeben erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: Ansicht der Synagoge zu Worms.
Photogr. nach der Natur von Holzamer. Gr. 4° 20 Ngr.
Innere Ansicht. Gr. 4° 10 Ngr. Raschi-Stuhl
(Innere Ansicht). Gr. 4° 10 Ngr.
Dieselben in Visitenkartenformat 7 Ngr.
Gleichzeitig begegne den vielen Nachfragen, dass die "Geschichte
von Worms" von Fr. Fuchs mit Nächstem erscheinen
wird."
In der Synagoge wurde eine kleine Orgel aufgestellt
(1868) Anmerkung: über die Aufstellung einer "kleinen Orgel" vermutlich - ein
sogenanntes Harmonium - klagt ein orthodoxer Berichterstatter in der
konservativ geprägten Zeitung "Der Israelit"
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 22. April 1868: "Worms, den 15. April (1868). Hier ist ein
Attentat gegen jüdische Religion und Sitte geschehen; wer es hören wird,
dem werden die Ohren gellen: Unsere altehrwürdige Synagoge ist ihrer
Heiligkeit beraubt, die Gräber unserer großen Rabbinen sind entweiht!
Meine Feder sträubt sich, es niederzuschreiben: Man hat unfern des Aron
Hakodesch (Toraschrein) eine - Orgel en miniature aufgestellt. Was aber
das Schlimmste ist - kein Mensch nimmt es sich zu Herzen (Jeremia 12,11) -
nur zwei Gemeindeglieder, Herr Moses Mannheimer und Herr Daniel
Guggenheim, haben sich veranlasst gefühlt, den seiner Heilighkeit
beraubten sogenannten Gottesdienst zu meiden. Was ist aus unserer alten,
ehrwürdigen Gemeinde geworden."
Zum
"Schmerzensschrei" über die Aufstellung einer Orgel
in der Synagoge (1868) Anmerkung: der Autor dieses Artikels sieht die Missstände in Worms mehr in
der fehlenden religiösen Erziehung der Jugend in der Stadtgemeinde. Er
beschreibt demgegenüber als vorbildlich die jüdischen Landgemeinden an der
hessischen Bergstraße wie Biblis, Lorsch und Pfungstadt.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 26. Mai 1868: "Von der hessischen Bergstraße,
im Mai (1868). In Nr. 17 dieses Blattes findet sich ein Schmerzensschrei
aus Worms über die Aufstellung einer Orgel en miniature in der
dortigen Synagoge.
Wer sich aber über ein großes Übel beklagt, müsste doch
selbstverständlich auch von der Quelle oder Ursache desselben etwas
sagen, was aber hier nicht geschehen ist.
Der geschätzte Einsender des besagten Artikels betrachtet es jedenfalls
als einen Mangel an streng religiösem Sinne und als Mangel an Pietät
gegen die frommen Rabbinen seligen Andenkens, die daselbst gelebt und
gewirkt haben, dass in einer solchen Gemeinde diese Neuerung Platz greifen
konnte.
Woher soll aber denn Religiosität kommen, wenn man in einer Gemeinde wie
Worms - hier sträubt sich meine Feder, es niederzuschreiben, - wenn in
einer Gemeinde wie Worms, sage ich, seit vielen Jahren nicht einmal eine
ordentliche Religionsschule besteht, und der ganze jüdische Unterricht
sich auf einige etwaige Privatstunden erstreckt und somit jeder Aufsicht
entbehrt? Wie und wo soll nun diese edle Pflanze, Religion genannt,
gedeihen, wenn kein Boden vorhanden ist, in welchem dieselbe gezogen und
gepflegt wird? Ließen sich hier nicht vielleicht mit voller Wahrheit die
Worte anwenden : 'Stellet viele Schüler aus, - so machet ihr einen
Zaun um das Gesetz!?'
Wir wollen dem geschätzten Verfasser sein Recht zur Klage gewiss nicht bestreiten;
wäre aber der Umstand, dass in einer so alten und großen Gemeinde keine Religionsschule
besteht, nicht mindestens eben so beklagenswert?
Da bieten doch unsere Landgemeinden in dieser Beziehung - Gott sei Dank
- ein freundlicheres Bild! Da werden keine Opfer gescheut, um die
Pflanzstätten für Glauben und Lehre, d.h. Schule und Gotteshaus zu
erhalten. Auch die kleinste jüdische Gemeinde sorgt dafür, dass ihre
Kinder, wie man zu sagen pflegt, nicht im Tau (?) gehen.
Ja, einige dieser Landgemeinden verdienen in dieser Beziehung ganz
besonders rühmender Erwähnung. Da ist zum Beispiel die Gemeinde Biblismit ungefähr 25-30 Familien. Dieselbe hat eine Elementar- und Religionsschule,
an welcher zwei Lehrer angestellt sind, die zusammen 15-1600 fl. Gehalt
beziehen. Außerdem wird noch die Witwe des daselbst verstorbenen, allgemein
geachteten und geliebten Lehrers K. - er ruhe in Frieden - von der
Gemeinde aufs Liebevollste unterstützt.
Überhaupt verdienen viele Gemeinden des Kreises Bensheim und Heppenheim
als Muster aufgestellt zu werden, wie in denselben für die drei
Grundpfeiler der moralischen Weltordnung, für Tora, Gottesdienst
und Wohltätigkeit gewirkt wird. Viele Lehrer dieser verhältnismäßig
kleinen Gemeinden beziehen ein jährliches Einkommen von 6-700ß Gulden,
sind somit der drückendsten Nahrungssorgen erhoben und können sich mit
Liebe und Hingebung ihrem heiligen Berufe widmen.
Aber auch für die echt jüdische Wohltätigkeit ist hier ein
fruchtbares Feld gefunden. Fest in jeder Gemeinde besteht eine Chewra
Kadischa, ein Wohltätigkeitsverein. - In Lorsch
besteht seit vielen Jahren Brautausstattungsverein für Lorsch
und die umliegenden Orte, welche im Ganzen nur etwa 20 Mitglieder zählt,
aus welcher aber alle zwei Jahre ein armes Mädchen 600 fl. zur
Ausstattung erhält. Ähnliche Vereine bestehen in Biblis
und in Pfungstadt.
Auch
bei den kürzlich veranstalteten Sammlungen zu Gunsten unserer hungernden
Brüder in Russland und Polen haben die hierländischen Gemeinden ihren
Wohltätigkeitssinn in edler Weise bewährt. Bei solchen Veranlassungen
steht hier fast immer mit schönem Beispiel ein Mann an der Spitze, von
welchem man einst mit Recht und mit der schönsten Bedeutung wird sagen
können: 'ein (echt) jüdischer Mann war er, und sein Name war
Mordechai: ...
Möge dieses schöne Streben der erwähnten Gemeinden immer mit den besten
Erfolgen gekrönt werden und manche Stadtgemeinde sich dieselben zum
Vorbild nehmen.
Das Resultat der diesjährigen Prüfung im israelitischen Knaben-Institute
zu Pfungstadt war auch in
diesem Jahre wieder, wie der Einsender sich zu überzeugen Gelegenheit
hatte, sowie nach dem Urteile Aller, die dieser Prüfung beiwohnten, ein
sehr glänzendes."
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 7. Dezember 1881: "Der Gang zur Synagoge.
(Aus: 'Haiderosen'. Gedichte von Karl Schäfer. 2. Auflage. Darmstadt,
Hoffmann'sche Buchhandlung. Preis 3 Mark)
Sabbatmorgen ist es wieder; buntes Drängen und Gewoge
Wälzt sich laut zu Worms am Rheine hin zur Frauensynagoge.
Fern von Kanaan's Gefilden feiert heut als fromme Schar
Still vereint das Volk der Juden andachtsvoll sein neues
Jahr-.
Überfüllt sind schon die Räume, und die hehren Lieder schallen,
Dass der liebe Gott sie höre durch die hochgewölbten Hallen.
Sieh', da eilet durch die Straßen, keuchend, mit erhitztem Leib,
Als die Letzt hin zum Tempel einsam noch ein junges Weib.
Kummerbleich sind ihre Wangen; doch sie lächelt sonder Schmerzen.
Denn sie trägt als Himmelsgabe Muttersegen unterm Herzen.
Ihrem Gott den Dank zu bringen bei der heil'gen Kerzen Schein,
Biegt sie fröhlich in ein enges, menschenleeres Gässchen ein.
Als sie hastig weiterschreitet, kömmt entgegen ihr ein Wagen,
Um die Rosse saust die Peitsche, dass sie schnaubend um sich
schlagen.
Für die Angsterfüllte gibt es kein Entrinnen links und rechts.
Und sie bleibt erzitternd stehen vor der Wut des Pferdeknechts.
Flehend hebt sie ihre Hände, doch der Wüt'rich freut ihr Beben,
Und ihn schreckt nicht, dass vernichten leicht er kann ein Doppelleben.
In Verzweiflung drückt die Arme rückwärts sich an eine Wand.
Aufgestiebt vom Huf der Tiere, weht um sie der Straßensand.
Sturmgleich fährt daher der Wagen, und ihr Herzschlag stockt vor
Schauer.
Schon will sie das Rad erfassen! Sieh', da weicht zurück die Mauer!
Das Verderben geht vorüber, das die Bosheit angefacht,
Und mit ihm der Todesengel, folgsam einer höhern Macht.
Bald d'rauf hat zur Zeit des Vollmonds einen Knaben sie geboren,
Den der Himmel, Segen spendend, Israel zum Heil erkoren.
Denn er ward in spätern Zeiten als ein großer Mann bekannt
Und als Rabbi Juda Chasid ruhmvoll in der Welt genannt.
Kommst Du einst nach Worms am Rheine, gehe in die Judengasse,
Du erblickst dann noch die Spuren in der Mauer fester Masse.
Nach Jahrhunderten bezeugen sie es deutlich Jedermann,
Dass sich, wenn der Mensch so lieblos, noch der Stein erbarmen
kann."
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 8. März 1886: "Worms, 3. März 1886.
Durch einen Zufall konnte am jüngsten Schabbat der Gottesdienst
nicht in der sogenannten alten Synagoge abgehalten werden und fand
derselbe in der Boy'schen Synagoge statt; da nun im letzten Gotteshause
keine Orgel aufgestellt ist, so musste der Chor ohne deren Begleitung
singen, und war der Gesang derart feierlich, dass Einsender Dieses gerne
sehen würde, wenn die Gesänge für die Zukunft stets ohne
Orgelbegleitung vorgetragen würden."
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 16. April 1891: "Worms. Heute ist ein neuer Stein an
der 'Außenseite der alten Synagoge angebracht worden, mit dessen
interessanter Inschrift es folgendes Bewandtnis hat.
Das Vorstandsmitglied der israelitischen Religionsgemeinde dahier, Herr
Julius Goldschmidt, der sich um die Konservierung der Altertümer der
israelitischen Gemeinde bisher schon mit vielem Erfolg bemüht hat, erfuhr
durch eine Korrespondenz mit dem früheren Rabbiner dahier, Herrn Dr.
Levysohn in Stockholm, dass letzterer vor etwa 40 Jahren bei einem
Frankfurter Herrn ein sehr altes, wichtiges Manuskript gesehen, welches
Elieser, Sohn Samuels zum Verfasser hat und welches hebräische
Inschriften der hiesigen Synagoge enthalte, die dieser 1559 kopiert hat.
Nach mehrfachen Bemühungen gelang es endlich Herrn Goldschmidt, den
jetzigen Inhaber der Inschriften zu entdecken, welcher sie Inschrift gerne
dem Vorstand zur Verfügung stellte. Unter schon bekannten Inschriften
enthält das Manuskript nicht nur die Inschrift des Steines, welche an der
vorderen Fassade der Synagoge über dem Eingange der alten Gemeindestube
sich befindet, aber nur noch Spuren der einstigen Inschrift zeigt, sondern
auch eine Inschrift, welche oberhalb des schon genannten Steines sich
befunden und von deren Vorhandensein man bis jetzt keine Ahnung hatte. Die
nun erneuerten Inschriften lauten: Obere Schrift
..hebräisch.. Zu Deutsch: 'Dieses Haus hat zu Ehren Gottes erbaut: Rabbi Meir,
der Sohn des Joel aus priesterlichem Geschlechte im Jahre 4973 nach Erschaffung
der Welt (1213). Möge seiner von Gott zum Guten gedacht werden und darauf
Jeder, der davon hört 'Amen' antworten. Dass dieses Gebäude zum Bethaus
für Frauen, die auf Gott und Seine Güte vertrauen erbaut worden, sei mit
eisernen Griffel für alle Zeiten hier eingeschrieben. Untere Schrift ..hebräisch.. Zu Deutsch: 'Eine wohltätige Frau, die gleich einer Königstochter
als Gattin in dem Hause des Rabbi Meir aus der Priesterfamilie waltete,
die fromme Judith, hat, nachdem ihr Gott das hierzu nötige Vermögfen
verliehen, dieses Gotteshaus zu Seiner Ehre erbauten lassen, damit man von
hier aus täglich Lob-, Bitt- und Dankgebete zu Gott emporsenden. Dieses
edle Werk, durch welches sie wie eine Mutter erscheint, die sich des
Glückes ihrer Kinder erfreut, möge ihr Gott in Ehren und Freuden
gedenken.' R."
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 19. November 1891: "Die Synagoge zu Worms. (Mit
Abbildung). Von S. (=Samson) Rothschild in Worms
Haben wir vor kurzem unsern Lesern eine Beschreibung des alten ehrwürdigen
Friedhofes der Israelitischen Gemeinde Worms gegeben, so wollen wir heute
versuchen, die Stätte zu beschreiben, die nicht minder durch den Zweck, dem
sie dient, als auch durch die Krone des Alters, mit welcher sie geschmiedet
ist, an die biblischen Worte erinnert: 'Ziehe die Schuhe von Deinen Füßen,
denn der Ort, auf welchem Du stehst, ist heiliger Boden.' Wir meinen die
Wormser Synagoge. Dieselbe besteht aus zwei Hauptteilen, dem romanischen
Männerbau mit schönem Portale und dem gotischen Frauenbau. Die
Männersynagoge, 1034 erbaut, ist jedenfalls nur die Erneuerung eines älteren
Baus. Die Inschrift eines Steines (Hebräisch: HaEwen hasot schäbezad
HaAron edah leMar Jaakow...) zur rechten Seite der heiligen Lade (Toraschrein,
Anm. S.R.) verkündet uns, dass Mar Jakob der Erbauer dieses
Gotteshauses gewesen. Die Gemeinde ehrt noch heute das Andenken dieses edlen
Mannes, indem sie seiner allsabbatlich in einem besonderen Gebete gedenkt.
Die Frauensynagoge ließen, wie uns ein erst in jüngster Zeit eingefügter
Stein über der Türe zur alten Gemeindestube besagt, Rabbi Meir, der Sohn von
Joel aus der Familie der Ahroniden*, sowie dessen Frau mit Namen Jehudith,
im Jahre 1213 erbauen. In dem Bürgeraufruf des Jahres 1615 wurde die
Synagoge verwüstet, ebenso im Jahre 1689, wo sie von den Franzosen als
Pferdestall benutzt wurde. Nach der Rückkehr der Bewohner diente sie als
Scheuer und erst nach dem Frieden von Ryswick* (1697) wurde sie ihrer
früheren Bestimmung wieder zurückgegeben.
Wie das Äußere der Synagoge uns an weit hinter uns liegende Zeiten erinnert,
so auch die innere Einrichtung. Die kunstvoll gewölbte Decke wird von zwei
kräftigen Säulen mit reich geschmückten Kelchkapitälen getragen. Sehr
interessant ist heute noch der zum Toravorlesen bestimmte 'Almemor'*, dessen
steinerner Untersatz ein charakteristisches Ornament des 17. Jahrhunderts
zeigt. Wir sagen absichtlich 'heute noch', denn in früheren Jahren soll
dieser 'Almemor' bedeutend größer gewesen sein. Wir haben gelegentlich der
Abhandlung über den hiesigen jüdischen Friedhof,
besonders der Grabstätte des Rabbi Meir von Rothenburg* (gestorben 1293)
Erwähnung getan, der zur Zeit Rudolfs von Habsburg* in
Ensisheim (Elsass) in einem Turme
gefangen gehalten, dort starb und von einem Frankfurter Israeliten Süßkind
Wimpfen* hierher gebracht wurde. Während dieser Gefangenschaft soll Rabbi
Meir eine Torarolle geschrieben haben, die sich in der heiligen Lade der
Synagoge befindet. Sowohl Pergament als Schrift lassen sofort das hohe Alter
des heiligen Gegenstands erkennen, aus welchem dreimal im Jahre ein
Abschnitt beim Gottesdienste verlesen wird. Die Art und Weise, wie die
Wormser Gemeinde in den Besitz dieser Torarolle gekommen, ist sagenhaft
ausgeschmückt.
Über
der heiligen Lade befindet sich eine Lampe mit zwei Lichtern, die dem
Andenken zweier in Worms unbekannten Männern* gewidmet ist, welche einst zur
Zeit der Kreuzzüge selbst ihr Leben preisgaben, um die hiesige israelitische
Gemeinde vor drohendem, schwerem Unglücke zu bewahren.
Wir verlassen die Synagoge und begeben uns zur im Westen an dieselbe
angebaute Raschikapelle. Hier treffen wir einen an die Wand eingelassenen
Stein, den sogenannten Raschistuhl. Raschi*, die Abkürzung von Rabbi Salomon
Jizchaki, wurde in Troyes (Champagne) 1040 geboren und besuchte, um sich im
Talmudstudium zu vervollkommnen, die berühmten Schulen in Mainz*, Speyer*
und Worms*. Es ist hier nicht der Ort, um über Raschis Tätigkeit und Leben
zu berichten, dieselben sind ja auch altbekannt, wir erwähnen nur kurz, dass
sein Wissensdrang so groß war, dass er Haus und Weib verließ, um in der
Fremde seine Kenntnisse in der Gotteslehre zu erweitern. Er erzählt von sich
selbst, in welch' dürftigen Verhältnissen er das Studium betrieb, 'in Mangel
an Brod und ordentlicher Kleidung, obwohl in der Ehe lebend.' Hin und wieder
besuchte er seine Frau, kehrte aber immer wieder zu den genannten
Lehrstätten zurück, bis er sich im Alter von 25 Jahren dauernd in Troyes
niederließ. In seiner Bescheidenheit ahnte er nicht, dass man ihn schon
damals als einen Meister im Talmud verehrte. Der Raschi-Kommentar über Bibel
und Talmud* ist auch nichtjüdischen Kreisen allbekannt und hochgeachtet. Aus
allen Teilen Deutschlands und Frankreichs ergingen an Raschi gutachtliche
Anfragen und seine Antworten zeugen ebenso sehr von tiefer Sachkenntnis als
von liebenswürdiger Milde des Charakters. Raschi starb in Troyes 1105 und
liegt nicht, wie mache Geschichtsschreiber behaupten, in Worms, sondern in
seinem Geburtsorte begraben. In der Raschikapelle treffen wir außer den
Werken Raschis noch eine Anzahl Gebetbücher für die Festtage mit hebräischer
Quadratschrift auf Pergament geschrieben und mit Miniaturmalereien versehen.
Bei unserem Gange durch die Synagoge und Raschikapelle war es nur der
historische Faden, den wir bei jedem einzelnen Gegenstand festzuhalten
suchten. Dass aber diese ein ganzes Netz von sagenhaften Maschen umgibt, ist
hier, wie bei allen Dingen, deren Sinn in die dunkle Vergangenheit
zurückreicht, selbstverständlich. Vielleicht finden wir einmal Zeit und
Muße, dann sollen auch die Sagen, die sich an die jüdische Gemeinde Worms
knüpfen, Gegenstand einer besonderen Behandlung sein.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 12. Oktober 1894: "Worms. Als gelegentlich vor
einigen Tagen vorgenommenen Reparatur auf dem Dache der Männersynagoge der
von Rost stark beschädigte Knauf von seiner hölzernen Form entfernt wurde,
bemerkte man, dass dieser mit einem Stoff vorsichtig umwickelt war. Es
stellte sich alsbald heraus, dass letzterer eine aus feinster Leinwand mit
prächtiger Seidenstickerei noch gut erhaltene 'Wimpel'* aus dem Jahre 1632
war. Dieselbe trägt folgende Inschrift: Schemaja Bar Jizchak haLevi...
Das Vorstandsmitglied, Herr Julius Goldschmidt, der sich um die Ordnung des
Archivs der jüdischen Gemeinde, die Entzifferung des alten Grabsteine schon
so viele Verdienste erworben, hat auch diesen Fund gemacht. Das hohe Alter
dieser 'Wimpel' ließ ihn den Schluss ziehen, dass auch noch andere ebenso
alte 'Wimpeln' sich hier vorfinden könnten und da solche für die Geschichte
der hiesigen jüdischen Gemeinde von Interesse sein dürften, hat er beim
Vorstande den Antrag gestellt, das Nötige veranlassen zu dürfen, dass
dieselben genau auf Alter und Person geprüft werden, ein Antrag, dem der
Vorstand selbstverständlich gerne zustimmte." *Anmerkungen: zu Wimpeln:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mappa
zu Julius Goldschmidt:
http://www.wormserjuden.de/Biographien/Goldschmidt-I-3.html
sowie ein
Text zur Auffindung von Dokumenten des Gemeindearchives
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 16. Juni 1898: "Worms. Der Vorstand der israelitischen
Religionsgemeinde hat das alte Frauenbad nächst der Synagoge aus dem 11.
Jahrhundert nach den Vorschlägen des Baurats Professor Hofmann -
Darmstadt wieder herstellen lassen und wird dasselbe von Interessenten
sehr besucht."
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 24. Juni 1898: "Worms. Der Vorstand der israelitischen
Religionsgemeinde hat das alte Frauenbad nächst der Synagoge aus dem 11.
Jahrhundert nach den Vorschlägen des Baurats Professor Hofmann -
Darmstadt wieder herstellen lassen
und wird dasselbe von Interessenten sehr besucht."
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 17. Dezember 1900: "Worms, 12. Dez. Vergangenen Sabbat
wurde in der hiesigen Synagoge eine Berith Miloh* abgehalten, seit dreißig
Jahren wurde der religiöse Akt nicht mehr vollzogen. Als Gevattersleute*
fungierten Herr Adolf Löb I. und seine Frau Elise geb. Cahn, welche dieses
Amt in wohltätiger Weise ausgeübt hatten. Nach dem religiösen Akt
versammelten sich die Anwesenden zu einem kleinen Mahle bei Geschwister
Klein, wo Herr Kommerzienrat Baruch das wohltätige Wirken der Löb'schen
Eheleute zu jeder Zeit und bei allen Gelegenheiten hervorhob. Möge es
denselben vergönnt sein, noch recht lange Gutes zu tun. *Anmerkungen: - Berith Miloh: Beschneidung
https://de.wikipedia.org/wiki/Brit_Mila
- Gevattersleute: Paten.
Artikel
in der Zeitschrift "Ost und West" vom Oktober
1901: "Grundriss der Synagoge
I. Männerbau. II. Frauenbau. III. Vorraum zum Frauenbau
IV. Raschikapelle. V. Hof. VI. Einzelheiten aus dem Männerbau
VII. Wandkonsolen aus dem Frauenbau. 1:200
Fig. 18 Synagoge zu Worms
Ein
Hauptdenkmal mittelalterlichen Synagogenbaus und das älteste in Deutschland
überhaupt ist die Synagoge zu Worms - Anmerkung 34 (Fig. 18)
Wir haben hier zu unterscheiden den älteren Männerbau, den jüngeren
Frauenbau und die noch jüngere Raschikapelle.
Der eigentliche Synagogenbau (Fig. 19), ausschließlich zum Gebrauche
für die männlichen Mitglieder der Gemeinde eingerichtet, wird durch zwei
Säulen in zwei Schiffe geteilt, die durch je drei Kreuzgänge überdeckt
werden. Im Äußern der östlichen Seite ist ein rundlicher Anbau sichtbar.
Dieser seiner ganzen Anlage nach romanische Bau zeigt im Süden drei im
Spitzbogen abgeschlossene Fenster mit geraden Laibungen, im Osten
gleichfalls zwei spitzbogige Fenster und dazwischen das Allerheiligste (Toraschrein,
Anm. S.R.), ausgebildet als halbrunde Nische, mit Rundbogen auf
Wandpilastern gegenüber im Westen entsprechen den oben genannten Fenstern
von einfacherer Gestaltung, dieselben beginnen erst hoch oben und zeigen
noch den Einschnitt des Daches, der sich an diese Seite anliegenden
Raschikapelle. Im Norden öffnet sich das bemerkenswerte romanische Portal
(Fig. 20). Die Wandungen werden jederseits durch Rundsäule und
Pilasterbildung geziert, deren Kapitelle mit Kelch und Palmette dekoriert
sind. Darüber erhebt sich in rechteckiger Umrahmung ein kräftig profilierter
Rundbogen. Hebräische Inschriften bedecken die Bauteile allenthalben, so
auch das aus verschiedenen Sandsteinsorten hergestellte Hauptportal. Ein
anderes Portal (Fig. 21) ist noch im Süden vorhanden, ein drittes in
der Wand nach der Raschikapelle wurde vermauert, als diese angebaut wurde.
Die Kreuzgewölbe setzen sich einerseits auf
Fig. 19 Querschnitt des Männerhauses der Synagoge zu WormsFig. 20 Anschnitt - Schnitt - Grundriss - Portal des Männerhauses zu
Worms
Anmerkung 34: Die Juden in Worms, von M. Mannheimer, Frankfurt a. M. 1842.
Denkmäler der deutschen Baukunst, herausgeb. Abb. vom Verein für die
Aufnahme mittelalterlicher Kunstwerke Darmstadt I. 1856 Taf. 9 -11.
Kunstdenkmäler im Großherzogtum Hessen. Darmstadt 1867, Kreis Worms, S. 258
ff.
Kirchliche Baukunst des Mittelalters. Von A. Hartel und D. Joseph, Berlin
1896, S. 3 ff.
Wandkonsole
(Fig. 18, VI), andererseits auf die genannten beiden Säulen auf.
Fig. 19, welche einen Blick in das Innere gewährt, zeigt den Säulenfuß
auf mehrfachen Aufbau, Eckblätter vermitteln den Übergang zum Säulenstamm
und auf diesen setzt sich das reich ornamentierte Kapitell, dessen
Dekoration aus der hier beigegebenen Abbildung (Fig. 22) klar ersichtlich
ist. Diese Kelchkapitelle heben über sich die palmettenverzierten
Kämpfergehäuse mit Deckplatten. Die östliche Deckplatte hat eine an allen
vier Seiten gleichlautende Inschrift, die westliche begnügt sich mit einem
geradlinigen Flechtband.
Der Zugang zu dem Oraun hakadesch, der heiligen Lade (Toraschrein, Anm.
S.R.), wird durch einen mehrstufigen Vorbau vermittelt, in dessen
vorderer Seite das Pult für den Kantor angeordnet ist. In der Mitte des
Männerbaus aber befindet sich der Almemor in kunstvollem Aufbau, der jedoch
nicht mehr der alte im 17. Jahrhundert entstandene und durch Feuer und
Schwert vernichtet ist. Jenes ältere Werk verdankte seine Entstehung des
Munifizenz des Vorstehers David Oppenheim, von dem das Memorialbuch erwähnt,
dass er außer dem Almemor auch die Jeschiba (Schule) hinter der Synagoge,
sowie das Haus auf dem Friedhof habe erbauen lassen, ferner schenkte er der
Synagoge eine wertvolle Torarolle mit allen dazugehörigen, silbernen
Geräten. Auch zum Synagogenbau selbst gab er 100 Königstaler. Der wohltätige
Mann starb 1642.
Uralt wie die jüdische Gemeinde in Worms ist auch die Synagoge daselbst, und
unmöglich ist es, beide Daten genau zu bestimmen. Zur Baugeschichte der
Synagoge muss eine Inschrift von Wichtigkeit herbeigezogen werden. Dieselbe
lautet in der etwas schwerfälligen Übersetzung: Anmerkung 35) 'Von
der Sehnsucht nach dem Vorhof des Tempels errichtet, stehe das Zeugnis da in
Joseph! Gottesfürchtige Ihr, schaut aufwärts zum Felsen, zur Schrift ihm
eingegraben. Den Inhalt beweist, ruft und bezeugt der Stein aus der Wand,
der Balken aus dem Gehölz. Tief grub er bis zum Grunde und führte aufwärts
das Gewölbe, einwärts führt ein gerader weg und die Wand erhebt sich aus
früheren Trümmern. Dies alles auf Kosten seines Geldes, auf dass er im
Schatten der Weisheit eine Hütte sich schaffe, unter dem ästigen Baum, in
jener Höhe errichtet – dort, wo beim Aufgang der Sonne das Licht ihm schön
erglänzt, dass Schatten ihm werde in der Hütte, von der Hand dessen, über
welchen die Freunde die Lose werfend würdig zur Teilung im Kreise sich
setzen. Genießen wird er der Freuden Fülle; einem Gurte gleich wird Tugend
um seine Lenden, Treue um seine Hüften sich schließen. Gepriesen in Ewigkeit
der, welcher das Flehen erhöret! Denn erfüllet
Fig. 21 Portal des Frauenhauses der Synagoge zu Worms
Fig. 22 Worms Säulenkapitell des Männerbaues (Nach Hartel-Joseph) Anmerkung 35) Dr. L. Levysohn, Sechzig Epitaphien von Grabsteinen des
israel(itischen) Friedhofes zu Worms. 1855, S. 104.
hat
er mit Glauben das Herz seines Dieners, des Jakob, eines Sohnes Davids, auf
dass, dieser mit Einsicht begabt, seinem erhabenen Namen einen Tempel
(gemeint Wormser Synagoge, Anm. S.R.), und mit ihm seine Gattin Rahel,
hochgeachtet zwischen den Glücklichen. Ihr Vermögen diente zur Ehre, zur
Freude Gottes; ausschmückend, verschönerten sie den Tempel, der im Elul 794
seine Vollendung erreichte. Lieblicher denn Opfer gefiel es dem Schöpfer,
lieblicher als Söhne und Töchter empfingen sie ewigen Ruf, Denkmal und
freudigen Glückwunsch. Gesegnet sei ihr Andenken, und wer dies liest, der
spreche: Amen!'
Aus dieser Inschrift erfahren wir, dass der Tempel 1060 n. Chr. vollendet
wurde, zugleich aber wird uns bekannt, dass es sich hier im wesentlichen um
den Wiederaufbau einer älteren Anlage handelt, die im Jahre 1034 errichtet
worden sein mag. Anmerkung 36). Mar Jacob, der Sohn Davids und
seine Frau Rahel sind die Stifter. Dass aber auch dieser Bau sehr bald,
wenigstens architektonisch, umgebildet wurde, erkennen wir an der
tektonischen Formgebung, der heute noch vorhandenen Teile, die ins Ende der
romanischen Periode zu setzen sind. Nur die Steine an der Ostwand zeigen die
dem frühen Mittelalter eigentümliche Bearbeitung. Das Andenken des Stifters
wird noch heutzutage jeden Sonnabend in der Wormser Gemeinde durch ein
besonderes Gebet geehrt.
Das Äußere des schmucklosen Männerbaus gibt, abgesehen von dem bereits
beschriebenen Hauptportal und der karniesgeschmückten, im Osten
hervortretenden Nische, keine Veranlassung zur Begeisterung in
künstlerischer Hinsicht.
Der Frauenbau schließt sich im Norden an den Männerbau unter rechtem Winkel
an (Fig. 18, II). Vier durch Gurtbogen getrennte Kreuzgewölbe
überdecken den Raum, und stützen sich einerseits auf eine einzige
Mittelsäule, andererseits auf Wandkonsole (Fig. 18; VII). An einer
Südseite öffnet sich der Bau in zwei Spitzbogen nach der Männersynagoge,
während der Eingang (Fig. 21) in entgegengesetzter Richtung sich
befindet, von der Straße aus zugänglich ist und einer kleinen Vorhalle
angehört. Da die Formen der Architektur dieses Portals in den Übergangsstil
passen, so muss man annehmen, dass wir es hier mit den ältesten Resten des
Frauenhauses zu tun haben. Über dieser Vorhalle befindet sich ein zweiter
Stock, dessen Fenster aus der Zeit des 17. Jahrhunderts stammen. Älter aber
wie diese sind die spitzbogigen Fenster des Hauptraumes.
Im Westen befindet sich eine Blendarkadenstellung mit drei Bogen auf
gotischen Pilastern. Steinerne Bänke schmiegen sich in die Blenden ein.
Diese unscheinbaren Bänke hatten ehedem eine gewisse Bedeutung, so waren die
Gemeindemitglieder angewiesen, am Sabbat nach dem Gebet von hier aus
gegebenenfalls Leidtragenden Trost zuzusprechen, auch wurden hier gewisse
Akte vorgenommen, wenn es sich um Ehescheidungen handelte.
Von einem Frauenbau und seinen Stiften Meir und dessen Ehefrau Judith
spricht eine im äußeren Vorhofe vorhandene lädierte Inschrift. Danach ist
das Gebäude 1213 erbaut worden, doch wurde die Synagoge 1349 zerstört, so
dass es fraglich bleibt, wieviel sich von dem ursprünglichen Bau bis auf
unsre Zeit hinübergerettet hat. Die Vorhalle stammt etwa aus dem 17.
Jahrhundert.
Die Raschikapelle schließt sich, wie bereits erwähnt, westlich an den
Männerbau an. Dieselbe ist verhältnismäßig spät, erst im Jahre 1624 durch
David ben Josua Joseph Oppenheim errichtet. Der Grundriss (Fig. 18, IV)
zeigt uns einen rechteckigen, westlich halbrund geschlossenen Raum, der mit
zwei spätgotischen Kreuzgewölben überdeckt ist. Eine einfache, mit einem
Schlußstein versehene Rippe (Fig. 23) trennt beide Gewölbe. An den
Wänden ziehen sich steinerne Bänke entlang. Fünf Fenster tragen dem Raume,
dessen Längs- (Fig. 23) und Querschnitt (Fig. 24) wir
darstellen, genügendes Licht zu. Die Gestalt
Anmerkung 36) Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des
Judentums. Breslau, 1896. S. 512. In dieser Abhandlung werden die
Inschriften einer erneuten Korrektur unterzogen und vieles richtig gestellt.
Fig. 23, Längsschnitt durch die Raschikapelle zu Worms
der Rundbogenfenster ist vollkommen aus den Abbildungen ersichtlich. Genau
in der Mitte der Peripherie des Halbrunds befindet sich der Stuhl, von dem
aus der berühmte Rabbi Raschi gelehrt haben soll (Anmerkung 37)
(Fig. 26). Der Sitz selbst, auf den zwei Stufen hinanführen, ist in die
halbrund vertiefte Mauernische eingelassen und mit verzierten Wangen
versehen. Diese Stätte wird als besonders weihevoll angesehen.
Das Äußere (Fig. 26) des nur aus einem Erdgeschoss bestehenden und
mit Ziegelsteindach abgedeckten Gebäudes ist sehr kahl gehalten; nur die
Eingangstür hat eine architektonische Umrahmung, die auf besondere Schönheit
keinen Anspruch zu erheben vermag.
Von nennenswerten Kunstobjekten führen wir auf: Die zehn Messingleuchter der
Männersynagoge und die sechs der Frauensynagoge, welche etwa in der Zeit des
17. Jahrhunderts fallen mögen. Von diesen Leuchtern sagt Wörner: Anmerkung
38) 'Als Bekrönung tragen sie meistens den Reichsadler; einer der größeren
hat an dessen Stelle einen altertümlichen Adler, sitzend, auf dem eine
männliche Figur mit dem Blitzstrahl in der Rechten reitet.' An anderen
Leuchten ist manches ergänzt und neueren Datums, namentlich die Adler mit
den ausgebreiteten Flügeln und einer reitenden Figur in der Männersynagoge
und ein Adler in der Frauensynagoge. Besonders hübsch ist der Kandelaber
rechts von der Lade, er wurde 1656 geweiht.
Die Gemeinde von Worms ist auch im Besitze mehrerer merkwürdiger Vorhänge (Paroches)
für die heilige Lade und von Bekleidungen für die Torarollen, die mehrfach
auf ein hohes Alter zurückblicken können. Sehr berühmt ist die Torarolle,
von der erklärt wird, dass sie
Anmerkung 37) Die Beweise für die Anwesenheit Raschis, eigentlich Rabbi
Salomo Jizchaki, geb. 1105, gestorb. 1180 zu Troyes in Frankreich, hat Dr.
Levysohn an anderem Ort S. 100 f. Zusammengestellt. Dagegen Monatsschrift
für die Wissenschaft des Judentums, 1896, S. 513. Hiernach hätte die
Raschikapelle nichts mit Raschi zu tun, was ja mit dem Entstehungsdatum des
vorhandenen Baus übereinstimmen würde. Vielleicht klingt in der Sage die
Erinnerung an ein älteres Gebäude wieder. Auf eine soeben erschienene
Schrift Abraham Epsteins 'Die nach Raschi benannten Gebäude in Worms', Wien,
1901, kann nur hingewiesen werden.
Anmerkung 38) Kunstdenkmäler im GroßherzogtProfessor Dr. D. Joseph:
Stiftshütte, Tempel und Synagogenbauten Fig. 24 Querschnitt durch die Raschikapelle zu Worms Fig. 25 Sogenannter Stuhl Raschis zu Worms Fig. 26 Raschikapelle zu Worms
von
Rabbi Meir aus Rotenburg geschrieben worden ist und die etwa nach dem
Schriftzügen zu urteilen, vierhundert Jahre alt sein dürfte.
Der romanischen Zeit noch gehören zwei Machsorim (Gebetbücher für die
Festtage) an, dieselben sind auf Pergament in hebräischer Quadratschrift
geschrieben und zeigen Miniaturmalereien. Dieselben befinden sich in
Aufbewahrung in der Raschikapelle. Auch ein geschriebener Siddur (Gebetbuch
für die alltäglichen Gebete), der noch heute benutzt wird, weist ein hohes
Alter auf, das aber über die Grenze des Mittelalters nicht zurückdatiert,
und der Rabbiner hat noch jetzt in Gebrauch ein in Kursivschrift abgefasstes
Minhagim-Buch aus dem 17. Jahrhundert. Dieses Buch erhält die Gebräuche der
Gottesdienste der Gemeinde Worms, der in vielfacher Beziehung von dem
anderer deutschen Gemeinden abweicht. (Schluss folgt.)".
Abbildung in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 19. Dezember 1901 mit Untertext: "Innere Ansicht der Synagoge
zu Worms. Aus dem soeben in zweiter unveränderter Auflage
erschienenen Werkchen 'Aus Vergangenheit und Gegenwart der Israelitischen
Gemeinde Worms.' Von Samson Rothschild, Lehrer an der Stadtschule zu Worms
am Rhein."
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 22. August 1907: "(Die Raschi-Kapelle in Worms.) Wie
schon kurz mitgeteilt wurde, soll die unter Denkmalsschutz stehende Raschi-Kapelle
bei der hiesigen Synagoge ausgebessert werden. Nach einer
Verfügung des hiesigen Kreisamts darf die Schrift am Raschi-Stuhl
nur gereinigt werden und es soll eine Übersetzung derselben angefertigt
werden. Eine daraufhin vorgenommene genaue Besichtigung des Raschi-Stuhles
hatte nun das Ergebnis, dass sich nicht nur eine Schrift an der
Außenseite des Stuhles vorfand, sondern auch an den drei Innenseiten
Inschriften aufgedeckt wurden. Man hofft, diese nach gründlicher
Reinigung entziffern und mit Hilfe dieser Inschriften vielleicht einen wissenschaftlichen
Streit betreffs der Erbauungszeit der Raschi-Kapelle entscheiden zu
können. Durch Urkunden lässt sich nämlich feststellen, dass die jetzige
Kapelle im Jahre 1624 von David, Sohn des Josua Joseph Oppenheim, erbaut
wurde. Der frühere hiesige Prediger Dr. Levysohn (Stockholm)
behauptete nun, dass Oppenheim die Raschi-Kapelle an der Stelle eines früher
schon bestehenden Baues wieder aufbauen ließ, indem er das hebräische
Wort 'bonoh' mit 'wiedererbauen' übersetzt. Dagegen vertritt der Altertumsforscher
A. Eppstein (Wien) die Ansicht, dass das Wort 'bonoh' mit 'bauen' zu
übersetzen sei, und dass Oppenheim die Kapelle neu erbaut habe,
ohne dass sie mit Raschi in irgendeinem Zusammenhang stehe; das
Raschi-Lehrhaus habe sich vielmehr in dem heutigen israelitischen Hospital
befunden."
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 28. Februar 1913: "Worms, 21. Februar. In einer
seiner letzten Sitzungen fasste der Vorstand der hiesigen Kultusgemeinde den
höchst begrüßenswerten Beschluss, ein Museum zu begründen, das dazu bestimmt
sein soll, alle seither an verschiedenen Orten untergebrachten, für die
Geschichte des Judentums und der hiesigen jüdischen Gemeinde höchst
wertvollen Altertümer unter einem Dache zu vereinigen. Einem Teile von ihnen
diente bisher die Raschikapelle als Unterkunftsort. Unter ihnen befinden
sich höchst wertvolle Dokumente, mittelalterliche Pergamente, kunstvoll
geschmiedete und mit farbigen Initialen versehene Gebetbücher aus längst
vergangenen Jahrhunderten, alte hebräische Drucke, kostbare, goldbestickte
Vorhänge für das Allerheiligste aus Samt und Seide und Toramäntel, goldene
und silberne Kelche aus dem 16. Jahrhundert von hervorragender
Goldschmiedekunst und andere mit dem Kultus in Zusammenhang stehende
gottesdienstliche Gegenstände. Ferner befinden sich unter der wertvollen
Sammlung eine große Anzahl im Jahre 1689 bei der Niederbrennung der Stadt
durch die Franzosen unter Mélac* abhanden gekommener und vor etwa drei
Jahrzehnten unter dem Dach der Synagoge wieder aufgefundener sogenannter
Wimpeln* mit bunter, farbiger Ausführung, die über die Genealogie dieser
noch heute existierenden Wormser Familien von hervorragenden Namen
Aufschluss geben. Auch das seit über hundert Jahren aus dem hiesigen Archiv
verschwundene Minhagbuch* eines namhaften Wormser jüdischen Gelehrten des
18. Jahrhunderts , das die rituellen Sondergebräuche der Juden in Worms im
Mittelalter enthält, das erst vor wenigen Jahren von einem Wiener
Bibliophilen auf einer Bücherauktion in Amsterdam wieder entdeckt, für eine
hohe Summe ersteigert und der Gemeinde zum Geschenk gemacht wurde. Zur
Ausführung des Planes wurde eine Summe ins Budget eingestellt und eine
mehrgliedrige Kommission gewählt. Das Museum wird allen Interessenten
zugänglich gemacht werden."
*Anmerkungen: Siehe Text auf dieser Seite
'Auffindung eines
Tora-Wimpels von 1632' (1894)
- Mélac vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ezéchiel_de_Mélac
- Minhagbuch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Juspa_Schammes
https://www.wormser-baeder.de/de-wAssets/docs/kultur/stadtarchiv/Wormsgau/Der-Wormsgau-14-1982-1986/22_Bd.-14WG_-14.-Band.pdf
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 22. Juli 1921: "Abraham Epstein seligen Angedenkens und die
Altertümer der Wormser Jüdischen Gemeinde.
Von Samson Rothschild (Worms)
Im Jahre 1895 kam Abraham Epstein* (Wien) zum ersten Male nach Worms,
um hier an Ort und Stelle Studien über die Altertümer der Jüdischen Gemeinde
zu machen. Die Resultate seiner Forschung legte er als Separatdruck aus der
'Monatsschrift für die Wissenschaft des Judentums' in folgenden Schriften
nieder: 1. 'Jüdische Altertümer in Worms und Speyer', 2. 'Die nach Raschi
benannten Gebäude in Worms' (Aus dem Gedenkbuch zur Erinnerung an David
Kaufmann), 3. 'Die Wormser Minhagbücher*'. Ich habe Epstein in seinen
Forschungen gern unterstützt und seit jener Zeit hat sich ein
freundschaftlicher Briefwechsel zwischen uns entwickelt, der fast bis an
sein Lebensende dauerte. Der mir in dieser Zeitschrift gewährte Raum
verlangt Beschränkung des Stoffes, deshalb soll nur einiges Wichtiges hier
mitgeteilt werden.
Gleich nach Erscheinen der ersten Schrift setzte eine scharfe Polemik
zwischen Epstein und dem früheren Wormser Prediger und späteren Rabbiner in
Stockholm Dr. Lewysohn* ein. Epstein behauptete, dass die
Raschi-Kapelle gar nichts mit Raschi zu tun habe, da sie erst, wie eine
Inschrift an der Wand kündet, 1624 erbaut wurde; auch sei die ganze Anlage
stillos.
Dagegen schrieb Lewysohn in der 'Laubhütte': Bei beiden Herren dreht sich
der Streit um das Wort bnh, das Lewysohn mit 'wiedererbauen'
übersetzt, Epstein hingegen mit 'bauen', indem er mir bei der ersten
Besichtigung erklärte: Sollte das Wort 'wiedererbauen' bedeuten, dann hätte
etwas dabeistehen müssen: nach seiner ersten Gründung. Diese
Meinungsverschiedenheit hat Epstein veranlasst, eine zweite Schrift
erscheinen zu lassen, in welcher er mit viel Fleiß und Gründlichkeit
nachzuweisen versucht, dass das Lehrhaus von Raschi im heutigen
Jüdischen Hospital sich befunden haben müsste. Was die Stillosigkeit der
Kapelle betrifft, muss ich der Wahrheit entsprechend bemerken, dass mich
bald nach der stattgefundenen Polemik eines Tages Baurat Stiaßny* von
Wien, ein Verwandter Epsteins, besucht hatte und beim Eintritt in die
Kapelle ausgerufen: 'Nun begreife ich wirklich Epstein nicht, dass er diese
Kreuzbogen für 'stillos' erklärt.' Bei einer später stattgefundenen
Renovation der Kapelle, die unter Denkmalschutz gestellt ist, erklärte mir
der staatliche Kreisbaumeister, dass die steinernen Sitze (Stuhl und Bänke)
allerdings dem 11. Jahrhundert angehören. Ob sie schon früher da waren oder
ob sie 1624 dahin verbracht wurden, wer vermag das zu sagen, da
Schriftstücke hierüber nicht Auskunft zu geben vermögen.
Auf dem Friedhofe war das ganze Interesse Epsteins auf den Grabstein
Sagira Bat Rabbi Schmuel ... gerichtet, der nach Lewysohn in seinem
nafschot zadikim (Link
zur Publikation; siehe auch
https://de.wikipedia.org/wiki/Grabstein_der_Sagira_bat_Shmuel) die
Jahreszahl = 900 trägt, während Lewysohn irrtümlicherweise 905 angibt (Link
zur Dokumentation des Grabsteines von Levysohn). Wir haben zusammen
lange nach dem Stein gesucht und ihn nicht gefunden, sodass Epstein meinte,
der Stein sei versunken oder gestohlen worden. Er bezweifelte aber sofort
die Richtigkeit der Jahreszahl 900, da keine Grabsteine gefunden wurden, die
älter waren als 1034 und deshalb die Annahme berechtigt erscheint, dass der
Friedhof gleichzeitig mit dem Bau der Synagoge angelegt wurde. Epstein und
vor ihm Rapoport vermuteten schon damals, dass der zweite Buchstabe der
Jahreszahl nicht ein R, sondern ein T ergeben müsste und sich
die Jahreszahl 1100 ergeben würde. Nach vielen Jahren fand ich beim
Entziffern der alten Grabsteine den so sehnsüchtig gesuchten Stein, von
einem Strauch verdeckt. Da er seinerseits von Lewysohn erneuert worden war,
konnte man auch die Jahreszahl TRS (900) deutlich lesen. Einige
Wochen später wurde von mir die Inschrift eines anderen Steines, nicht allzu
weit von dem ersten entfernt, entziffert, der deutlich die Jahreszahl (1145)
trug und einer Frau Peruza, Tochter des Rabbi Samuel, der wegen
seines Glaubens ermordet wurde, gewidmet war. Da auf beiden Grabsteinen
der gleiche Vater genannt wurde, zwischen dem Tode der einen Tochter und dem
der anderen aber ein Zeitraum von 245 Jahren lag, so war es geboten,
nochmals die Inschrift des ersten genau zu untersuchen. In der Tat stellte
sich heraus, dass Lewysohn an dem Buchstaben das Häkchen übersehen hat, das
sich mit dem Finger genau fühlen ließ und wodurch aus dem Buchstaben ein
wurde, so dass das Alter des Steines um 200 Jahre herabgedrückt werden
musste. Rabbi Samuel ist wahrscheinlich zur Zeit der Kreuzzüge 1096 ermordet
worden und seine beiden Töchter sind 1100 und 1145 gestorben. Die Freude
Epsteins war groß, als ich ihm die Entdeckung meldete, wodurch seine gleich
anfangs ausgesprochene Vermutung sich bewahrheitete.
Ein lebhafter Briefwechsel entspann sich zwischen uns über die Einwanderung
der Kalonymiden* nach Mainz und über
Bilderschmuck in den Synagogen, über welche beide Punkte Prälat und
Domkapitular Dr. Schneider* (Mainz) mit mir längere Zeit korrespondiert
hatte. Ich komme nun zu den Minhagbüchern*. Die Gemeinde besitzt das
Minhagbuch von Liva Kirchheim, das aus losen Blättern bestand, schwer
leserlich und stark beschädigt war, weshalb Sinai b. Isaac Loanz 1746 eine
Abschrift angefertigt hatte, die auch von Epstein benutzt wurde. Dieses Buch
hatte Lewysohn 1855 beschrieben, später war es nicht mehr vorhanden. Es
wurde ungefähr 25 Jahre später der Gemeinde zum Ankaufe angeboten und sie
hat es natürlich auch gekauft, was Epstein außerordentlich viel Freude
gemacht, nachdem ich es ihm mitgeteilt hatte. Das war aber nicht das einzige
Minhagbuch, das abhanden gekommen war; es fehlte auch das von Juspa
Schamesch, das nach Mitteilung von Dr. Salfeld (Mainz) an den hiesigen
Vorstand im Jahre 1895 in Amsterdam versteigert werden sollte. Im Auftrage
des Vorstandes gab ich einem dortigen Bekannte ein Limite; nach einigen
Monaten bekam ich die Mitteilung, dass das Werk nach auswärts gekommen sei.
Wer der jetzige Besitzer des Manuskripts geworden, konnte trotz mehrfachen
Fragens nicht ermittelt werden. Da schreibt mir eines Tages Epstein, dass er
mich demnächst von Wiesbaden aus besuchen und den 'Juspa' mitbringen werde.
Auch meine Bitte, das Werk wieder dem ursprünglichen Besitzer zurückzugeben,
entsprach Epstein nicht nur, sondern er überließ das für viel Geld erworbene
Buch der Gemeinde als Geschenk. Über 'Juspa' schreibt Professor Dr. David
Kaufmann an Epstein: 'Sie sind also zu meiner großen Freude derjenige,der
mir den Wormser Schamasch ausgesteigert hat, den ich der Glossen
meines Rabbi Jair* wegen so gern hatte an mich an mich bringen wollen. Elia
b. Mose ist bei mir einmal Grifa sonst Grisa gebucht. Sie
haben gewiss schärfer gesehen. Ihre Vermutung ist durchaus wahrscheinlich,
obzwar ich den Ortsnamen, der hinter dem Worte steckt, nicht kenne.'
Darauf schrieb ich an Epstein, dass ich Grisa als 'Kriegsheim', einen
Orte in Wormser Kreise, vermute, wo noch 1872, als ich hierher kam, Juden
wohnten und das von denselben Grika genannt wurde. Darauf schrieb mir
Epstein unter anderem: '...besonders aber interessiert mich, dass es Ihnen
gelungen ist, den Ort, den ich und Kaufmann nicht identifizieren konnten,
ausfindig zu machen.'
Es waren immer schöne Tage für mich, wenn Epstein, der gern und oft in
Wiesbaden weilte, von dort aus hierher kam. Manchmal brachte er noch
Bekannte mit, so Markus und
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 3. September 1925: "In der Stadt Raschis. (Mit neun Bildern)
Ein eigener Reiz umgibt die paar Mittelstädte am Rhein. Hinter den neuen
Hauptstraßen liegt das Gewinkel der engen Gassen, unterbrochen von Bierecken
und freien Plätzen mit monumentalen Brunnen im Mittelpunkt. Alles atmet
Geschichte. Rundtürme, Zinnen und Kuppeln erheben sich über reichgeschmückte
Portale. An alten Kirchenmauern rankte sich üppiges Weinlaub. Hier hat vor-
und aufwärts strebende Menschengeschichte überall ihre Spuren hinterlassen.
Auf ihrem Marsche hatten die früheren Menschen keine besseren Wegweiser als
den Lauf der Ströme und Flüsse. So wurden die blühenden Gestade zu beiden
Seiten des Rheinstromes allzeit Schauplatz großer und grausiger
Geschehnisse. Jüdische Geschichte war immer eng verquickt mit der großen
Menschengeschichte. Wie Judenleid ja immer nur ein weiterer Bezirk des
Weltschmerzes ist. Ein Symbol für diese Leidensgemeinschaft in alten Quadern
erleben wir in Worms in den alten jüdischen Denkmälern neben dem
Dome und den spätgotischen Kirchen und Burgen, in denen Bischöfe über
Leben und Tod geboten, Kaiser und Könige die Krone erhalten, Reichstage
getagt haben. Direkt gegenüber dem Dome liegt der
alte jüdische Friedhof mit den
verwitterten, eingesenkten Steinen, die in verwischter Schrift von gehobenem
Leben und heiligem Tode sprechen.
Was bedeutet das heutige Worms, die neue hübsche Hunderttausendstadt mit den
hellen Straßenanlagen, hübschen Promenaden und uniform nach Bauplan
errichteten Zügen von Wohn- und Geschäftshäusern, ein Vergleich zu unserem
Worms, zum 'Wirmaisa'* des Raschi und des Jehuda Hachassid*? Wirmaisa!
Wehmütige Kinausmelodien* klingen in der Seele. Doch, man wird dem alten
lieben Namen historisch nicht gerecht, wenn man ihn nur in Verbindung mit
Leid und Jammer ausspricht. Das Wort bedeutet noch viel mehr Blüte, Größe,
Kraft. Die tausend Jahre jüdischer Geschichte waren auch am Rheine nicht
anhaltend in Leid getaucht. Wer sprach überhaupt in alter Zeit so viel von
Leid und Not? Wo ist in Raschi oder in den 'Tossefoth' nur ein
Wort von den todbringenden Horden mit dem Kreuze zu lesen? Wo in den Glossen
und Responsen des Rabbi Meir von Rothenburg* nur eine Spur von Moder
der Gefängnisse?
Der Tossofisten 'Kosche' gilt nicht dem schweren Leben, und ihr 'Temo'* ist
nicht Staunen über eine aus den Fugen geratene Welt.
Tausend Jahre Leid haben uns ein paar winzige, dünne Kinaus*- und
Slichausbüchlein* gebracht. Indess, gleiche tausend Jahre Leben, Blüte und
Kraft haben uns Folianten gegeben, für die alle Regale der
Bibliotheken nicht ausreichen, denen gegenüber auch alle geraden und
eingedrückten Mauern, auch die Leichensteine zu Worms, zusammenschrumpfen.
Wer spricht von Leid, von Not und schlechten Zeiten?
Bilder aus Worms – Das Raschitor
Raschi gewiss nicht. Höchstens der Kastellan an der Raschikapelle, der über
schlechten Besuch und dementsprechend verminderte Trinkgelder klagt.
Ich ziehe durch das Raschitor (siehe Bild 1), in dem die Stadt in der
Nähe der Synagoge ein Denkmal ihrem großen, jüdischen Adoptivsohne errichtet
hat. Durch zwei Pforten wälzt sich reger Stadtverkehr. Ein kaltes, starres
Denkmal im Vergleich zu den anderen lebendigen Denkmälern, die in
kleiner, krauser Schrift Raschis Namen tragen…
Dann stehe ich vor der Mauernische (Bild 2) von der man gegen ein Trinkgeld
erfährt, dass sie durch ein Wunder entstanden sei, um Raschis Mutter
aufzunehmen, als sie hier, das Kind unter dem Herzen, von einem Wagen in die
Mauer gedrückt wurde. Das Wunder in Ehren! Aber Raschis Mutter war nie in
Worms und der kleine Salomo Izchaki kam in Troyes zur Welt. Darum lasse ich
mir gegen ein zweites Trinkgeld die gleiche hübsche Geschichte von der
Mutter des Rabbi Jehuda Hachassid* erzählen und denke dabei, wie oft schon
unter dem Volk mit dem Lichtkeime unter dem Herzen harte Mauern eingedrückt
hat, wenn es in engen Gassen bis zum Erdrücken und Ersticken an die Wand
getrieben wurde…
Und nun bin ich in der Raschikapelle drinnen (Siehe Bild 3). Wenn ich
nur den Historiker draußen lassen könnte! Was hat er auch da zu
suchen, wo Pietät und Liebe und Phantasie ihre Blumenkränze winden und alles
kahle Gestein geschichtlichen Gewordenseins von oben bis unten mit der Efeu
der Legende belegen und bedecken? Was will er mir da erzählen von einem
David ben Izchok Josef Oppenheim, der 1624 den Anbau als Lehrhaus an der
alten Synagoge errichtet hat, wer bat ihn um den Dienst, mit
Geschichtsirrtümer zu korrigieren? Ich will hier, wie tausend andere vor und
nach mir jahrein, jahraus, in der Raschikapelle sein. Und der ehrwürdige
Steinstuhl mit der hohen, steilen Steinlehne – den übrigens auch der
Historiker immer als den Raschis gelten lässt – erfüllt mich mit Beben der
Ehrfurcht. Ich wage nicht, ihn zu berühren. Er ist kurz, knapp und prägnant
gemeiselt – Raschistil. Es ist überwältigend, zu denken: Hier auf
diesem Stuhl hat Raschi vor seinen Schülern gesessen…
Die Andreasgasse entlang gelangen wir durch eine verwitterte, stellenweise
auch verfallene Mauer auf den alten Friedhof
(siehe Bild 4). Es ist nicht leicht, sich in diesen Gräberfeldern, wo die
verschlungenen und halb verwischten Wege von Bäumen, üppigem Laub und wilden
Ranken umsäumt und verstellt sind, zurechtzufinden. Man zeigt uns das
älteste Grabdenkmal aus dem Jahr 1077, das des Rabbi Jakob Bachur,
dann ein Massengrab von Märtyrern aus der Zeit, von der die Kino von
Wirmaisa* in unserem Klagebuch des neunten Aw* kündet. Es waren deren mehr
in jenem Schreckensjahr 4856 (Hebräisch). Aber dieses
Grab
umfasst zwölf der Besten, die 'geliebt waren in ihrem Leben und sich im Tode
nicht trennten.' Hier bleibt der Blick haften an zwei rohen nebeneinander
schief aus dem Gras und Geröll ragenden Steinen (siehe Bild 5). Der eine
erzählt in kurzen Worten und lapidarer Bilder aus Worms: Die Mauer des Rabbi Jehuda Hachassid
Schrift vom großen Toten, den dieser Grabhügel birgt, Rabbi Meier von
Rothenburg. Kein Wort von seiner Lebenstragödie, nichts von Qual und
Anklage und Gefängnismauern. Nur Namen und Datum des Todes und der späteren
Bestattung. Und dicht daneben etwas tiefer gesenkt, der Grabstein des
Mannes, der vierzehn Jahre nach dem Tode des Maharam Leben und Vermögen
einsetzte, um den großen Toten hier in heiliger Erde zu bestatten,
Alexander Süßkind aus Wimpfen. Nur eines bat sich dieser Wohltäter zum
Lohne aus: Eine letzte Ruhestätte in der Nähe des Rabbi. Sein Stein erzählt
in winzigen Zeilen ohne jegliche Geste dieser Heldentat. Er steht etwas
tiefer, neigt sich leicht zum vorderen Stein und wieder wie in Ehrfurcht
zurück. So dürfte das Verhältnis des tätigen reichen Mannes zu dem
Geistesfürsten gewesen sein. Davor ein kleinerer Stein mit ziemlich
verwitterter Schrift. Man entziffert mit Mühe den Namen Baruch ben Meier.
Es ist der Vater des großen Maharam von Rothenburg.
Ein anderer Grabhügel umschließt nach der schwer leserlichen Schrift des
Steines die Gebeine des Rabbi Jacob Moellen, des 'Maharil'. Es ist,
als ginge ein Singen und Klingen aus dieser Gruft. Das Singen unzähliger
jüdischer Gotteshäuser auf dem Erdenrund, die dieser Meister des Minhag und
Nigun Gott in Hymnen und Liedern ohne Worte zu loben gelehrt hat. Und andere
und wieder andere, jedes Grab ein Kapitel, eine Welt, eine Bilder aus Worms: Inneres der Raschi-Kapelle
Periode jüdischer Geschichte, ein Zeuge jüdischer Glanz- und Leidenszeit
zugleich.
Hinter den wilden Laubbäumen an der Innenmauer senkt sich die Sonne. Die
Zinnen des Domes im Hintergrunde leuchten blutig rot. Eine Kirchenglocke
setzt hell und werbend ein. Es Bilder aus Worms, Partie aus dem alten jüdischen Friedhof
ist nicht bloße Wehmut, mit der ich dieses alte heilige Gräberfeld verlasse,
es ist Stolz und Weihe und das beglückende Bewusstsein mit dabei, dass mir
diesen Männern noch andere Denkmäler gesetzt, anderswo überall, die nicht
verwittern und deren Schrift nie verwischt wird, solange wir das Erbe der
Großen verwalten dürfen.
Hier aber wuchert Geröll und treiben wilde Ranken in die Höhe auf steiniger
öder Erde. -
Ich gehe zur alten Synagoge. Die Außenansicht ist alt (siehe Bild 6),
ergreifend. Alte, graue Mauern, schief gedehntes Dach eines spätgotischen
Bauernhauses, niedere Eingänge durch schwereiserne Kuppeltüren.
Kleinscheibige, viereckige Doppelfenster. Über dem Haupteingang eine Tafel.
Drinnen ist alter Reichtum (siehe Bild 7 und Bild 8). Viele mächtige
Messingkandelaber mit gekrönten Adlerfiguren an der Spitze. Kostbares Brokat
am Heiligenschrein. Ein alter silberner Leuchter in Männerraum (siehe Bild
9) fesselt den Blick. Eine große Anzahl herrlicher Schätze hat in dem jüngst
eröffneten Jüdischen Museum ihr Alters- und Versorgungsheim gefunden.
Und da oben, sagt mir der Kastellan, auf die tiefgrauen Gitterstäbe
hinweisend, ist die Orgel. Ich erschrecke, ich hatte sie im
Halbdunkel des geweihten Raumes gar nicht bemerkt.
Raschi, Maharam von Rothenburg, Maharil und – Orgel! -
Orgeltöne brausten damals, als die Dominikaner die Juden in Dom und Kirche
zerrten. Glockengeläute durchzitterte die Luft und von drüben kam das
Gebrause der Orgelpfeifen herüber, als sie sich hier in diesem alten Hause
mit ihren Kindern versammelten zu ihren letzten Gebeten, zu ihrer letzten
Vorbereitung für die Heiligung des göttlichen Namens (Märtyrertod,
Anm. S.R.). Und sie schlossen
die
Ohren, dass sich fremde schrille Töne nicht in die Reinheit ihrer letzten
heiligen Gebete mischten!…
Heute wird an Feiertagen dieser Großen und Heiligen in großer Seelenfeier
gedacht, und es spielt dabei die Orgel aus dem geweihten Dunkel der Empore.
In der Stadt Raschis, in der Synagoge des Maharil.
'In der Lade (Toraschrein, Anm. S.R.) ruht eine alte, heilige Rolle
des Maharam…
Solche Geschmacklosigkeit, solche Sünde gegen den gefundenen Sinn und das
ästhetische Empfinden', räsonierte ein Mann neben mir, ein Fremder in Loden
und Rucksack und hutlos. Ein Mann, der, wie er sagte 'alles überwunden
hätte', sich aber über die Sittenwidrigkeit , die technische Disharmonie,
diesen Reformvandalismus ärgerte.
Mit wehem Herzen verließ ich das alte Gotteshaus und hätte am liebsten noch
einmal Trost zwischen Gestein und Geröll der alten Gräber gesucht, wo
frisches jüdisches Leben erblüht und erglüht für Israels Gemeinden auf dem
weiten Erdenrunde.
In der Stadt Raschis allein ist das jüdische Lebe begraben – auf dem alten
jüdischen Friedhofe…"
Bilder aus Worms – Grab des Alexander Süßkind Grab des Rabbi Meir von
Wimpfen von Rothenburg Unten:
Bilder aus Worms – Die alte Synagoge
Bilder aus Worms - Blick in die alte Synagoge
Bilder aus Worms – Die Frauen-Synagoge
Bilder aus Worms – Alter silberner Leuchter in der Synagoge
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 4. Dezember 1924: "Worms am Rhein, 23. November (1934). Am
vergangenen Sonntag wurde in Anwesenheit des Vorstandes der jüdischen
Gemeinde, der Beamten und der Vorstände sämtlicher jüdischer Vereine
ein 'Jüdisches Museum' eröffnet. -
Zur Erinnerung an die vor 300 Jahren von David Oppenheim erbaute Raschikapelle
fand am gestrigen Sabbate eine gottesdienstliche Feier statt. Aus diesem
Anlasse ist auch bei Christian Herbst hier eine Schrift 'Raschi'
von S. Rothschild erschienen, die ein Lebensbild des großen Mannes
gibt und mit 5 Bildern geziert ist (Preis 1,50 Mark)."
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 24. Mai 1934: "Worms. Am Sonntag, den 3. Juni (1934) kann
die alte Synagoge von Worms auf ihr 900-jähriges Bestehen zurückblicken.
Aus diesem Anlass findet in der Synagoge eine gottesdienstliche Feier im
engen Kreise der Gemeindemitglieder statt. Wir werden auf das Jubiläum
noch zurückkommen."
Artikel in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung"
vom 1. Juni 1934:
"900-Jahrfeier der Wormser Synagoge. Am 3. Juni 1934 findet in
Worms aus Anlass des 900-jährigen Bestehens der Synagoge ein
Weihe-Gottesdienst statt. Die Synagoge, eine Stiftung des kinderlosen
Ehepaares Jakob und Rahel, ist im Jahre 1034 vollendet worden. Sie
spiegelt in ihrem Bau die wechselnden Schicksale der Wormser Gemeinde
wider und bildet ein steinernes Dokument für die Verbundenheit der
deutschen Juden mit deutschem Boden und deutschem Schicksal. Die Feier
findet nur im Kreise der Gemeindemitglieder statt unter Teilnahme des
Vorsitzenden der Reichsvertretung der deutschen Juden und einiger
Vertreter jüdischer Korporationen. Der Weihe-Gottesdienst wird aus einer
von musikalischen Vorträgen umrahmten Festpredigt bestehen. Aus Anlass
dieses denkwürdigen Tages ist eine vom Gemeindevorstand veranlasste
Gedenkschrift erschienen, die sich mit der Geschichte der Gemeinde und der
Synagoge Worms befasst und an der namhafte jüdische Historiker
Deutschlands mitgearbeitet haben.
Im Geleitwort weist der Vorstand der Wormser Religionsgemeinde darauf hin,
dass die Wormser Synagoge die einzige in Deutschland und wohl auch in
Europa ist, die vom hohen Mittelalter - die Synagoge wurde 1034 vollendet
- bis zur Gegenwart ihrer Bestimmung dient. Als Zeugnis für den
ungebrochenen Lebenswillen der jüdischen Religionsgemeinschaft und für
den Gottesdienst, der in ihr lebt und wirkt, rage sie aus alter Zeit in
die Gegenwart hinein. Einst eine 'Mutter in Israel' so heißt es in dem
Geleitworte, hat unsere Gemeinde in ihrer langen und ereignisreichen
Geschichte große und glückliche Tage gesehen, aber mehr noch schwere,
schmerzvolle Zeiten heroischen Leidens und bekenntnistreuen Martyriums.
Diese große Vergangenheit legt ihr Pflichten auch für die Zukunft auf.
Der unterzeichnete Vorstand glaubt, eine dieser Pflichten dadurch
erfüllen zu können, dass er trotz der großen Sorgen und Nöten, die
über das deutsche Judentum gekommen sind, das Jahr des 900-jährigen
Bestehens der Synagoge durch Herausgabe einer Denkschrift ehrt und
auszeichnet.
Das Heft, das durch einen Vorspruch von Rabbiner Dr. Leo Baeck* über die
Bedeutung des Gotteshauses als Künder bleibender Heimat eingeleitet wird,
enthält eine von zahlreichen Illustrationen begleitete Beschreibung der
Synagoge aus dem Werke von Richard Krautheimer* über 'Mittelalterliche
Synagogen', einen Aufsatz des Nürnberger Rabbiners Dr. Max Freudenthal*
über die Eigenart der Wormser Gemeinde, die unter Ablehnung
französischer und östlicher Einflüsse frühzeitig einen eigenen
deutschen Rituals ausbildete; Rabbiner Dr. Max Dienemann* schreibt über
'Die Geschichte der Einzelgemeinde'; die Rechtsstellung der Wormser Juden
im Mittelalter behandelt Dr. Guido Kisch*, der Kölner Rabbiner Dr. Adolf Kober* hat einen Aufsatz 'Die deutschen Kaiser und die deutschen Juden'
beigesteuert. Prof. Ismar Ellbogen* schildert Wirken und Bedeutung von drei
hervorragenden Persönlichkeiten aus den ersten Jahrzehnten der Wormser
Synagoge, des Rabbi Meier Ben Isaak*, des Rabbiners Isaak Halevi*, einer der
Lehrer Raschis*, und Elieser Ben Isaak*, der den Beinamen der Große
führte. Über den 'Wormser Reichsrabbiner Anselm' schreibt
Oberbibliothekar Dr. Moritz Stern, der Wormser Rabbiner Dr. Isaak Holzer*
schildert nach dem Minhagbuch des Juspa Schammes* Sitten und Gebräuche in
der alten Wormser Judengemeinde. Schließlich enthält das Buch
historische Beiträge von I. Kiefer*, Rabbiner Dr. S. Levi*, B. Rosenthal*
und Rabbiner Dr. Paul Lazarus*." * Anmerkungen:
- Richard Krautheimer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Krautheimer und
https://www.kunstgeschichte.uni-muenchen.de/forschung/ausstellungsprojekte/archiv/einblicke_ausblicke/biografien/krautheimer/index.html
- Rabbiner Dr. Leo Baeck:
https://de.wikipedia.org/wiki/Leo_Baeck und
https://www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-leo-baeck.html und
https://www.jmberlin.de/thema-leo-baeck
- Rabbiner Dr. Max Freudenthal:
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Freudenthal
- Rabbiner Dr. Max Dienemann:https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Dienemann
- Dr. Guido Kisch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Guido_Kisch
- Rabbiner Dr. Adolf Kober:
https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Kober und
http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/adolf-kober-/DE-2086/lido/57c936666a8146.07984133
- Prof. Ismar Ellbogen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ismar_Elbogen
- Rabbi Meier Ben Isaak:
https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_ben_Isaak
- Rabbi Isaak Halevi:
https://de.wikipedia.org/wiki/Isaak_ben_Eleasar_ha-Levi
- Elieser Ben Isaak:
https://de.wikipedia.org/wiki/Isaak_ben_Eleasar_ha-Levi
- Dr. Moritz Stern:
http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=2606
- Dr. Isaak Holzer:
http://www.wormserjuden.de/Biographien/Holzer.html
- Minhag:
https://de.wikipedia.org/wiki/Minhag_(Judentum)
- Juspa Schammes:
https://de.wikipedia.org/wiki/Juspa_Schammes
- I. Kiefer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Isidor_Kiefer
- Rabbiner Dr. S. Levi:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sali_Levi
- B. Rosenthal:
https://de.wikipedia.org/wiki/Berthold_Rosenthal
- Rabbiner Dr. Paul Lazarus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)
- Prof. Dr. Nathan Stein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nathan_Stein_(Wirtschaftswissenschaftler).
Hinweis: der nachfolgende Artikel aus der
konservativ-orthodoxen Zeitschrift "Der Israelit" enthält eine
scharfe Kritik, da auch "in schwerer Zeit" zu dieser Feier Orgel
und Damenchöre (beides wird von orthodoxer Seite streng abgelehnt) laut geworden
sind.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 7. Juni 1934: "Die 900-Jahrfeier in Worms.
Worms, 5. Juni (1934). Aus Anlass des 900-jährigen Bestehens der
Synagoge zu Worms wurde am letzten Sonntag, 11 Uhr, eine 'Weihestunde' in
der Synagoge abgehalten. Obwohl sie als Feier im internen Kreise der
Synagogenmitglieder gedacht war, waren doch viele Gäste, besonders
Rabbiner aus der hessischen, bayrischen und badischen Umgegend erschienen.
Von der Reichsvertretung in Berlin war Rabbiner Dr. Leo Baeck*
anwesend. Die Feier begann mit einem Orgelpräludium und schloss
wiederum mit Orgelklängen und Damenchören in der Schul'
von Raschi und im Andenken an diesen Großen und seine Zeit!
Zwischen Orgelklängen und Damenchorgesängen wurden die Reden und
Ansprachen gehalten, und es klang nicht gerade harmonisch, dass der
Wormser Gemeinderabbiner, Dr. Holzer*, seiner Festpredigt den Ruf an
Moses zugrunde legte: 'Streife deine Schule von Deinen Füßen ab, denn
der Platz, auf dem Du stehst, ist heiliger Boden.' Das Bewusstsein,
hier wirklich auf heiligem Geschichtsboden zu stehen, hätte die
Herren, so sollte man glauben, wenigstens an diesem Tage heiligen Gedenken
veranlassen sollen, dieses heilige Gedenken nicht durch fremde, die
äußerste religionswidrige Assimilation verkündenden Klänge zu
trüben.
Eindrucksvoll war die Rede von Rabbiner Dr. Baeck*, Berlin, in der
er betonte, dass Adel, von dem diese Stätte zeuge, kein Äußerliches,
sondern immer ein Geistiges sei. Es sprachen noch die Herren Kommerzienrat
Mayer, Mainz, Rabbiner Dr. Freudenthal*, Nürnberg, Dr.
Nathan Stein*, Karlsruhe für den Badischen Oberrat und Sanitätsrat
Dr. Nickelsburg Worms, der den Rednern und auswärtigen Vertretern
dankte. Von den starken Impulsen, die aus solcher Gedenkfeier in schwerer
Zeit hätten ausgehen können, erfuhr man nicht die Spur. Es war eine Stunde
guter Musik und schönen Reden, weiter nichts. Neun Jahrhunderte
Worms sprechen auf die deutsche Judenheit ein, und sie wird sich diese
Sprache anders zu deuten haben, als dies in der Wormser Synagoge am
Sonntag geschehen ist."
Artikel in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung"
vom 15. Juni 1934: "Die 900-Jahr-Feier in Worms
Die 900-Jahr-Feier am 3. Juni, die wir in unserer vorigen Nummer
ankündigten, gewann durch die Zeitumstände eine über den Tag hinausgehende
Bedeutung. Seit dem 4. Jahrhundert sind Juden und Judengemeinden in
Deutschland urkundlich nachweisbar. Ihre Verwurzelung in deutschem Boden und
ihr Heimatrecht hat bis vor kurzem niemand bestritten. Die Feier in Worms
erinnerte an das deutsch-jüdische Dasein, an seine Auszeichnung durch
Geschichte und Schicksal seit unvordenklicher Zeit. Die Ansprachen waren in
diesem Sinne gehalten. Der Vorsitzende der Reichsvertretung, Rabbiner Dr.
Leo Baeck führt u.a. aus:
'Wenn eine Stätte 900 Jahre besteht, zu uns spricht, dann hört sie auf, ein
bloßer Anblick zu sein, dem sich das Auge zuwendet. Dann wird sie ein
Sinnbild für das, was mehr ist als Zeit und Jahrhunderte, was auf ein
Bleibendes im Wandel der Geschichte hinweist. Neun Jahrhunderte, das
bedeutet Adel. Und wenn wir uns vom Sinnbild des Tages zum Sinnbild des
Bleibenden hinwenden, wenn in solchen Tagen ein Verlangen in uns lebendig
wird, dann ist es das Verlangen nach Adel, nach Noblesse. Adel ist ein
Geistiges. Bleiben wir 'Adlige', vergessen wir nicht, was das bedeutet, dass
Generationenreihen eines Adels, der verpflichtet, aus den Jahrhunderten, zu
uns sprechen.
Noch ein anderes bedeutet uns die Stätte als Sinnbild. In ihr und durch sie
ist ein Bund geschlossen worden zwischen Heimat und Geist. Heimat, das ist
der gemeinsame Boden, der die Tausende trägt und nährt, Geist ist das
Mannigfache, die besondere Weise des Menschen. Diese einmal geschehene
Verbindung von deutschem Boden und jüdischem Geist wird uns bleiben, wohin
immer unser Weg uns führen möge. Die Reichsvertretung der deutschen Juden
weiß sich innig verbunden mit dem Geist von Worms und Speyer und Mainz,
diesem Adelsstolz der deutschen Juden, dem Geist der Gemeinschaft. Rabbiner Dr. Freudenthal* (Nürnberg)
überbrachte die Grüße des bayerischen Landesverbandes. Er zitierte die Verse
Karl Wolfskehls:
'Manchmal in sternhellen Mitternächten
Höre ich die Pulse meiner Ahnen schlagen.
Der Helden, der Händler, der Weisen der Welt
Und die Wellen meines Blutes tragen
Mir ihr Raunen und ihr dunkles Sagen
In meines Herzens offnes Zelt.'
Die Helden des Lebens und die Helden des Sterbens, so fuhr er fort, sie
waren in Worms zahlreich, und sie waren überwiegend Händler, kleine und
große Kaufleute, einige von ihnen reich, die meisten bürgerlich bescheiden.
Vor dem Niedergang der Moral wurde die Judengasse bewahrt durch die Weisen,
die in ihr lebten, durch die echten Weisen von Zion*, die ihre Lehre durch
das Leben bestätigten, deren Weisheit ein fast immer mühseliges und
armseliges Dasein innen her erhob. Sichtlich ergriffen legte dann der
Redner, der seine Gymnasialausbildung in Worms erhalten hat, ein Bekenntnis
zu seinem Lehrer ab, dem 'letzten heimgegangenen Rabbi aus dieser Reihe der
Weisen von Worms', Dr. Alexander Stein*, dessen Sohn, der Vorsitzende der
badischen jüdischen Gemeinden, Prof. Dr. Nathan Stein (Karlsruhe)
anschließend mit tiefer Bewegung und trotz der naheliegenden Reminiszenzen
persönlicher Art mit nobler Zurückhaltung die Grüße seines Verbandes
überbrachte." *Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Max Freudenthal: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Freudenthal
- ..durch die echten Weisen von Zion': Anspielung auf das antisemitische
Pamphlet 'Die Weisen von Zion':
https://de.wikipedia.org/wiki/Protokolle_der_Weisen_von_Zion
- Rabbiner Dr. Alexander Stein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Stein_(Rabbiner) und
http://www.alemannia-judaica.de/worms_rabbiner_lehrer.htm#Zum%20Tod%20von%20Rabbiner%20Dr.%20Alexander%20Stein%20(1914
) und
https://archive.org/details/bub_gb_t3c7AQAAMAAJ/page/n39/mode/2up?ref=ol&view=theater.
Vgl. auch den Beitrag in der "Central-Zeitung"
vom 31. Mai 1934: "900 Jahre Wormser Synagoge".
Online zugänglich
https://ufdc.ufl.edu/AA00000359/00001
Mit einer Sonderbeilage der "Central-Zeitung" "900 Jahre Synagoge Worms" und
den Beiträgen:
- Haus des Schicksals von S. K.
- Raschi von Fritz Bamberger
- Geschichte der Wormser Gemeinde von Dr. Rosy Bodenheimer
- Die Wormser Judengemeinde - heute von Dr. Hermann
Gundersheimer
- Alte jüdische Familien in Worms von Dr. Guggenheim
(Offenbach)
- Illustrationen von Henriette Mannheimer
Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs"
vom 1. Juli 1934: "Volk auf dem Boden der Ewigkeit.
Die Rede Rabbiner Dr. Leo Baecks zur Neunhundertjahrfeier der Wormser
Synagoge.
Wenn eine Stätte, die neunhundert Jahre besteht, zu uns spricht, dann hört
sie auf, ein bloßer Anblick zu sein, dem sich das Auge zuwendet. Dann wird
sie ein Symbol, ein Sinnbild. Sie kündet von dem, was auf ein
Bleibendes im Wandel der Geschichte hinweist. Neun Jahrhunderte, das
bedeutet Adel. Und wenn es uns in diesen Tagen ein Bedürfnis wird,
vom Bild des Tages zum Sinnbild des Bleibenden uns hinzuwenden, uns über den
Tag zu erheben, Jahrhunderte zu uns sprechen zu lassen, wenn in solchen
Tagen ein Verlangen in uns lebendig wird, dann ist es das Verlangen nach
Adel, nach Noblesse.
Vom deutschen jüdischen Adel spricht diese Stätte. Adel ist kein
Äußerliches. Adel ist immer ein Geistiges. In jedem Land und in jeder
Zeit und Geschichte hat es Auseinandersetzungen und Kämpfe zwischen Menschen
verschiedener Art und verschiedenen Gepräges gegeben. Jede
Auseinandersetzung ist schließlich zum Segen geworden, wenn sie erfüllt und
belebt war von Adel, von Noblesse, wenn Adelswille und Adelsfähigkeit aus
ihr sprechen.
Wir deutschen Juden, wir sollten es uns, und nicht zum mindesten in diesen
Tagen, so gesagt sein lassen. Vergessen wir nicht, was es bedeutet, dass
Generationsreihen eines Adels, der verpflichtet, eines Adels aus neun
Jahrhunderten, zu uns spricht. - Adel der deutschen Juden: Das ist
das Symbol, das in dieser Stunde sich an unser Denken wendet.
Und neun Jahrhunderte des Gotteshauses: Sie bedeuten Heimat. Ein Bund
ist in dieser Stätte und durch sie geschlagen, der Bund zwischen Heimat
und Geist. Heimat ist der gemeinsame Boden, der diese Tausende von
Menschen trägt und nährt: Geist ist das Mannigfache und verschieden
Geformte, die besondere Weise des Menschen. Das ist das Bündnis, aus dem
alles Große und Bleibende hervorgegangen ist, dieser Bund zwischen Heimat
und Geist, zwischen dem Boden und diesem Geprägten, diesem Besonderen. Das
ist es, was uns als Eigenes gegeben ist und uns bleiben wird, wohin
immer ein Schicksalsweg uns führen möge – diese Verbindung von deutschem
Boden und jüdischem Geist.
Ein Weiteres ist das Sinnbildhafte, das Symbolische aus dieser Stunde.
Worms, 'jüdisches Worms': Es hat die Bedeutung erlangt: Sinn für die
Gemeinschaft, Sinn für Ordnung. Und Ordnung bedeutet immer Einordnung
und Unterordnung. Ein deutscher Jude, dem eine Partei, eine
Genossenschaft mehr gilt als dieses große Ganze, als dieses Gemeinsame, das
die Zeit der Not doppelt und dreifach fordert, der ist kein deutscher Jude,
der ist dem Geist von Worms untreu geworden. Ja, das ist Worms, das
jüdische Worms für uns, das ist das Gebot für uns, das aus dem Symbolischen
dieser Stunde zu uns spricht – Einheit, Gemeinschaft, die Kraft, sich
einordnen, sich unterordnen, das Kleine als klein erkennen und das
Kleinliche damit überwinden und sich einfügen in das Große, das gemeinsame
Ganze. Das ist der Geist von Worms.
Darum haben die Wünsche voller Dankbarkeit und Verehrung, die die
Reichsvertretung der deutschen Juden der Gemeinde Worms, der Hüterin
dieser Stätte, der Hüterin ihres Symbolhaften, der Hüterin ihres Geistes,
darbringen will, ihr ganz Persönliches
und
ihr Eigenes. Denn das soll und will die Reichsvertretung der deutschen Juden
sein: Verwirklichung des Geistes des jüdischen Worms, des Geistes von
Mainz und Worms und
Speyer, dieses Adelsstolzes der deutschen
Juden. Wenn irgendjemand, so darf die Reichsvertretung der deutschen Juden
mit dem wahren Worms, dem Worms, von dem diese neun Jahrhunderte sprechen,
sich innig und innerlich verbunden wissen.
Es ist eine eigene Stimmung, die aus diesen Tagen an dieser Stätte uns
ergreift. Wenn es zu uns spricht, dieses Gotteshaus zu uns deutschen Juden,
dann sind wir in der Seele gewiss, gewiss in Bewusstsein unseres Adels,
gewiss im Bewusstsein des Bundes von Geist und Boden, gewiss in unserem
Willen zur Einheit und zur Gemeinschaft. Dann werden wir auch das Wort
sprechen dürfen, das vielleicht so stolz klingt, aber doch tiefste Demut
ist:
'Ein Geschlecht geht und ein Geschlecht kommt, aber das Volk, das auf dem
Boden der Ewigkeit steht, Israel, wird immer bleiben.'
Das ist das Wort aus neun Jahrhunderten, die aus dieser Stunde zu uns
sprechen.'" Anmerkung: zu Rabbiner Dr. Leo Baeck siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Leo_Baeck.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 14. Dezember 1933: "Worms. In der Wormser 'Volkszeitung'
fordert der nationalsozialistische Pressewart von Worms-West, dass das vor
vielen Jahrzehnten nach Raschi benannte Stadttor künftighin den Namen
von 'Klaus Selzner' tragen soll, da dieser sich schon 'vor Jahren gegen den
Judengeist in Worms gewandt hatte'."
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 14. Juli 1938: "Man schreibt uns aus Worms:
'In der uralten Gemeindesynagoge Worms wurde die Orgel stillgelegt.
Es gehörte zu den – gelinde gesagt – besonderen Geschmacklosigkeiten des
vergangenen Zeitalters, dass man in die alte Raschischul (Synagoge, in
der Raschi wirkte, Anm. S.R.) eine Orgel einbaute. Nun hat die Zeit ein
Ärgernis von 70 Jahren abgeschafft. Besonders in den letzten Jahren, nachdem
das polnische Minjan* zu bestehen aufgehört hatte, gab die Orgel genug
Anlass zu Konflikten. Die Umstände, die das Verstummen der Orgel bedingte,
sind für die toratreuen Juden unserer altehrwürdigen Synagoge in dieser
schweren Zeit eine kleine Aufmunterung. An die Seite der großen Gemeinde
Zürich* kann sich nunmehr auch die
alte Gemeinde Worms stellen.
Wir registrieren dieses Ereignis mit Genugtuung und in der Hoffnung, dass
mit der Orgel auch alles Andere aus Gemeinde und Synagoge verschwindet, was
an die Zeitverirrungen* zu Anfang und um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
erinnert." *Anmerkungen: - Minjan:
https://de.wikipedia.org/wiki/Minjan
- Zürich: in Zürich wurde die Orgel 1937 aus der Synagoge entfernt, siehe
Artikel.
- Zeitverirrungen: Gemeint ist die Reformbewegung des 19. Jahrhunderts
innerhalb des Judentums mit Orgelmusik, gemischtem Chor u.a.m. im
Gottesdienst, vgl. Text unten.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 21. Juli 1938: "DAS EPILUDIUM
Im Herbst 1812 spielte zum ersten Mal eine Orgel bei einem jüdischen
G'ttesdienste in Deutschland, und zwar in Seesen*, der Reformresidenz Israel
Jacobsons*. Einige Jahre später hörte man die Orgelklänge in einer
Privatsynagoge zu Berlin, die wieder verstummten, als durch königliches
Dekret verfügt wurde, dass an den alten jüdischen Bräuchen beim
G'ttesdienste nicht zu drehen und zu deuteln sei. 1817 zog die Orgel zum
ersten Mal in eine Gemeindesynagoge ein und zwar in die des Neuen
Israelitischen Tempelvereins zu Hamburg*.
Heute, nach 120 Jahren, wird in vielen Gemeinden, zuletzt in Worms, Abschied
von der Orgel gehalten. Sollte nicht dieser Wandel Anlass geben zu richtigem
Umlernen?
Das Orgelspiel vor über hundert Jahren war ein Präludium für andere
tiefgreifende Reformen. Bald hörte man, der alte Messias werde weder
erwartet noch gewünscht, die messianische Zeit sei mit der Emanzipation
angebrochen. In einer Gemeinde wurde der neunte Aw* mit Lichtern und Liedern
begangen: Heute drängen sich in der gleichen Stadt aus dem ganzen Lande die
Enkel derer, für die mit der Emanzipation der Messias gekommen war, vor dem
amerikanischen Konsulat, um die Erlaubnis zum Betreten neuen Heimatbodens zu
erhalten, und in einer großen liberalen Gemeinde kehrt man zur Estherrrolle
und den alten Kinaus im Urtexte zurück.
In dem Sichaufstemmen der alten Rabbiner gegen jene Abkehr vom alten Bund
und von den altgeheiligten Formen sieht ein Geschichtler unserer Zeit 'den
Schwanengesang des alten Rabbinertums, der die ganze Hilflosigkeit seiner
Vertreter zeigte, welche nur in ihren Büchern lebten, aber keinerlei
Kenntnis davon gewonnen hatten, dass die Menschen ihrer Tage sich denkmündig
fühlten.' (Ismar Elbogen*, Geschichte der Juden in Deutschland).
Lebten die Alten heute noch, sie würden gewiss nicht triumphieren und sich
selbstgerecht auf die Brust schlagen, sie würden umgekehrt, gleich dem
Propheten Jirmijahu* heiße Tränen haben für die, die sich nicht warnen noch
raten ließen, und sagen: 'Noch ist's Zeit!'
Vielleicht hätten die Alten – sie hatten einmal die Schwäche, 'in Gedanken
aus alten Büchern zu operieren', wie sich jener Geschichtler auszudrücken
beliebt – mit Rabbi Schimeon ben Jochi* (Midrasch Schmuel Kap. 13) jene
Sätze aus Hosea 3 für ihren Rückruf verwendet, die unsere Situation und
unser Leben bis ins Innerste treffen.
G'tt hat dem Propheten Samuel* vorausgesagt, so sagt R.(abbi) Schimeon, dass
sich Israel in der Zeitenfolge einer dreifachen Auflehnung schuldig
machen wird: Auflehnung gegen das Reich G'ttes, Auflehnung gegen das
Davidische Haus, Abkehr vom heiligen Tempel. Es kommt aber die Zeit, - es
wird die unmittelbar vor der Erlösung sein, - dass Israel G'tt wieder
sucht, die Treue zum Davidischen Hause erneuert und sich nach dem Heiligtume
sehnt, wie es im Hosea 3 heißt: (hebräisch und deutsch) 'Nach all
dem kehren Israels Söhne zurück und sie suchen G'tt ihren G'tt und David
ihren König .
und
sie zittern G'tt und seiner Güte entgegen, am Ende der Tage!'
Wir haben die dreifache Abkehr in den hundert Jahren Emanzipation
nacheinander erlebt. Es begann, gleich nach dem Tode von Mendelssohn, mit
der Abkehr von G'tt, mit der Assimilation bis zur Mischehe und zum
Taufbecken. Es folgte eine Abkehr vom davidischen Hause und vom
heiligen Tempel, mit der Streichung aller Gebete, die vom Messias, von
Zion und Jerusalem und vom Bes Hamikdasch (Tempel in Jerusalem)
sprechen. Das Orgelpräludium, dass diese Ära einleitete, übertönte laut alle
Mahnrufe, alle Warnungen, nicht allzuweit vom Vaterhause abzuirren,
Irrlichtern entgegen. Wir hören nun das Epiludium! . . .
Wir sind nicht so optimistisch, um in den obengenannten kleinen Rücketappen
die volle Einkehr und Umkehr zu begrüßen. Allein Hosea verstehen wir:
(hebräisch und deutsch) nach all dem kehren sie um, (hebräisch
'und sie suchen'), ein Suchen nach G'tt ist es mindestens, ein
Suchen nach Halt und Lebensinhalt, ein Suchen nach Heiligkeit, wenn auch
Suchen noch nicht letztes Finden ist.
(hebräisch und deutsch) Und David ihren König. Man bekennt sich
wieder zu David, zu einer jüdischen Hoffnung und einer jüdischen Zukunft,
die an den Messias aus dem Hause Davids anknüpft. Man weiß wieder um die
Trauer des neunten Aw* und weiß, dass die Orgelregister die alten
hebräischen Klagelieder nicht übertönen können. Als Symptom, als ein (hebräisch
'und sie suchen'), als eine Hoffnung mindestens, wollen wir dieses noch
leise Aufdämmern der besseren Erkenntnisse begrüßen.
(hebräisch 'und sie zittern G'tt und Seiner Güte entgegen'): Man
zittert Gott und dem von ihm kommenden Glück entgegen. Es wäre wohl besser
gewesen, und es war der Wille G'ttes, dass (hebräisch: 'sie kommen zum
Zion mit Jubel'), dass wir in Jubel den Gang nach Zion antreten. Wir
waren nicht stark und würdig genug für den Jubelzug, so zittern
wir nun den letzten g'ttlichen Zielen entgegen. Es sind letzte Ziele
am Ende der Tage.
Wir triumphieren nicht. Nicht mit der Freude des Selbstgerechten, aber mit
einer gewissen Hoffnung hören wir das uns von allen Seiten entgegentönende
Epiludium!" * Anmerkungen: - zu Seesen vgl. Seite über den "Jacobstempel" in
Seesen:
https://www.stadtverwaltung-seesen.de/?object=tx,1601.131.1
- Israel Jacobson: siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Israel_Jacobson
http://www.juedischegeschichte.de/html/jacobson-schule.html
https://jacobson.haus/schulgeschichte/
- Israelitischer Tempelverein Hamburg siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Israelitischer_Tempel_(Hamburg)
- Neunter Aw:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tischa_beAv
- Estherrolle:
https://www.rdklabor.de/wiki/Estherrolle
- Ismar Elbogen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ismar_Elbogen
- Jirmijahu:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jeremia
- Rabbi Schimeon ben Jochi:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schimon_ben_Jochai
- Midrasch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Midrasch
- Hosea:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hosea
- Samuel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_(Prophet).
Artikel in der Zeitschrift "Aufbau"
vom 22. Juni 1945: "Worms' jüdische Heiligtümer gerettet!
Eine Nachricht, die alle jüdischen Herzen beglücken wird, kommt aus Worms.
Die uralte, mittelalterliche Stadt am Rhein, Jahrhunderte hindurch als
'Klein-Jerusalem' bekannt, weil in ihren Mauern ein Raschi studierte
und lehrte, der größte aller jüdischen Bibel-Kommentatoren, und seine
Synagoge die älteste auf dem europäischen Kontinent war, hat die meisten
ihrer unschätzbaren jüdischen Heiligtümer und Reliquien retten
können.
Die alliierte Militärregierung hatte in ihrem Katalog der seltenen und
kostbaren Gegenstände die jüdische Museumssammlung in Worms bereits als
verloren oder zerstört aufgeführt. Als jedoch Major M.A. Braude* aus
Chicago, jüdischer Feldkaplan der 7. amerikanischen Armee, die
historische Stadt am Rhein betrat, ging er sofort auf die Suche nach der
Raschi-Synagoge und der Sammlung des jüdischen Museums. Er ermittelte den
Kurator des städtischen Museums und erfuhr, dass dieser schon Jahre zuvor
verschiedene jüdische Kostbarkeiten vor den Nazis zu retten vermocht
hatte. Der Kurator* zeigte Major Braude* das Versteck im Museumsgarten. Dort
stand der weltberühmte Raschi-Stuhl unversehrt. Und unbeschädigt
fanden sich auch die Portale der Männer-Synagoge aus dem 12.
Jahrhundert.
Dann führte der Kurator den Major nach dem Rathaus durch mehrere dunkle,
unterirdische Keller und Gänge und brachte ihn nach dem Versteck, wo er
den unschätzbaren Machsor* aus dem Jahre 1272 verborgen hatte. Er
war, bis auf ein paar Wurmlöcher im Pergament, in ausgezeichneter
Verfassung. Im gleichen Versteck lagen die kaiserlichen Patente und
Privilegien aus dem 15. und 16. Jahrhundert, ebenfalls in bemerkenswert
gutem Zustande. 'Der Wormser Kurator hat Großes getan, indem er die
Hauptstücke der Sammlung verbarg und rettete', erklärte Major Braude.
'Diese Reliquien sind jetzt nach Paris geschickt worden und werden dort an
sicherer Stelle aufbewahrt, bis eine endgültige Entscheidung darüber
getroffen ist, wohin sie für ihre künftige Erhaltung gebracht werden
sollen.'
Major Braude begab sich dann zur Raschi-Synagoge zurück, wo man mehrere Fuß
tief unter Trümmern vergraben, Kisten mit Torarollen, Torakronen und die
im Gefängnis von Rabbi Meir aus Rothenburg geschriebene Tora fand.
Man hofft, durch weitere Ausgrabungen, die bereits im Gange sind, noch
andere wertvolle Funde zu machen.
Die Fundamente der 1213 erbauten Frauensynagoge stehen noch, und die 'Mikvah',
das 1186 erbaute rituelle Frauenbad, ist intakt geblieben, wenn auch noch
durch Trümmer zugedeckt. Die Gräber und Grabsteine von Rabbi Meir aus
Rothenburg ('Maharam') und anderen mittelalterlichen jüdischen Gelehrten
haben den Nazismus überdauert. Leider aber ist die Sammlung von 600
Torabändern, auf denen die Namen und Geburtsdaten von Generationen Wormser
Juden eingestickt waren, verloren gegangen, wahrscheinlich durch
Zerstörung."
*Anmerkungen: - zu Major M.A. Braude:
https://www.encyclopedia.com/religion/encyclopedias-almanacs-transcripts-and-maps/braude-max
und
https://www.klinebooks.com/pages/books/28769/n-a/wwii-passover-archive-five-items-from-u-s-army-chaplain-max-a-braudes-1945-seder-service-unique
- Wormser Machsor:
https://schumstaedte.de/entdecken/wormser-machzor/ und
https://de.wikipedia.org/wiki/Wormser_Machsor
- Der Kurator war Friedrich Maria Illert:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Maria_Illert
- Zu Rabbi Meir von Rothenburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg.
Januar 2009:
Aktuelles aus der Arbeit
des Raschi-Hauses
Artikel vom 27. Januar 2009 in der "Wormser Zeitung" von Susanne
Müller (Artikel): Begehrliche Blicke aufs Haus zur Sonne - Jüdisches Museum im Raschi-Haus kämpft mit Platzmangel / Neue Serie startet
Worms blickt auf eine lange Geschichte zurück, die in den Museen der Stadt erschlossen werden kann. Wie steht es mit den Kultureinrichtungen? Wie ziehen sie Bilanz, welche Wünsche und Projekte haben sie für die Zukunft? Heute ist das Jüdische Museum im Raschi-Haus im Fokus..."
Mai 2010:
In Worms werden zum fünften Mal
"Stolpersteine" verlegt
Pressemitteilung der Pressestelle der Stadt
Worms vom 26. April 2010: "Stolperstein für Herta Mansbacher - Veranstaltung von Warmaisa
Eigentlich ist es erstaunlich, dass bereits zum fünften Mal Stolpersteine in Worms verlegt werden und Herta Mansbacher noch nie dabei war, vielleicht, weil schon die Anlage am ehemaligen Juxplatz nach ihr benannt wurde und auch ihre ehemalige Schule, die Westendschule, durch eine Tafel am Haupteingang an sie erinnert. Doch am Montag, den 3. Mai, ist es soweit..."
Juni 2010:
Besuch des in Worms geborenen Walter Gusdorf in
seiner Heimatstadt
Artikel von Ulrike Schäfer in der "Wormser Zeitung" vom 11. Juni
2010 (Artikel):
"Lebhafte Erinnerungen.
- WORMS. RUNDGANG Holocaust-Überlebender Walter Gusdorf besucht Worms mit seinen Angehörigen.
Was bewegt einen Mann wie Walter Gusdorf, wenn er mit seinen Söhnen und seinem Enkel in die alte Heimat kommt, und was zeigt er ihnen? Walter Gusdorf ist nicht irgendwer, er ist einer der wenigen Wormser Juden, die den Holocaust überlebt haben..."
April
2011: In Worms sind nun 77
"Stolpersteine" verlegt
Artikel von Gernot Kirch im "Nibelungen-Kurier" vom April 2011 (Artikel):
"Stolpersteine wider das Vergessen des NS-Terrors
Insgesamt 77 sogenannter Stolpersteine erinnern mittlerweile in Worms an die Vertreibung und Vernichtung von Juden durch die Nationalsozialisten
Es war die sechste Verlegung von Stolpersteinen in Worms durch den Verein Warmaisa. Damit ist die Zahl der mit einer Messingplatte versehenen Stolpersteine seit Donnerstag von 65 auf 77 angewachsen..."
Juni
2011:Ermittlungen zu dem Anschlag auf
die Synagoge im Mai 2010 werden eingestellt
Pressemitteilung
vom 16. Juni 2011: "Mainz/Worms. Ermittlungen nach Synagogen-Anschlägen eingestellt
Die Brandanschläge auf die Synagogen in Mainz und Worms bleiben wohl ungeklärt. Die Staatsanwaltschaft Mainz hat die Ermittlungen in beiden Fällen eingestellt. Man habe keinen Täter ermitteln können, teilte die Behörde am Donnerstag
mit.
Im Hintergrund die von dem Brandanschlag in Mitleidenschaft gezogene Wormser SynagogeIn Worms war im Mai 2010 mit einem Brandbeschleuniger an mehreren Stellen des jüdischen Gotteshauses Feuer gelegt worden. Der Brand konnte schnell gelöscht werden, der Schaden hielt sich in Grenzen."
November 2011:
Anlässlich des 50. Jahrestages der
Wiedereinweihung der Wormser Synagoge: Festschrift von 1961 wird neu
aufgelegt
Zum 50. Jahrestag der Wiedereinweihung der Wormser Synagoge erscheint im Worms-Verlag ein erweiterter Nachdruck der Festschrift von 1961.
Kernstück sind die damaligen Forschungen zur Synagoge durch Professor Otto Böcher, die ergänzt wurden durch einen Aufsatz von Dr. Gerold Bönnen zur Zeit nach 1961 bis heute, dazu kommt eine aktuelle Bibliografie sowie der Festvortrag von Dr. Anthony D. Kauders, den er bei der Feierstunde am Donnerstag, 1. Dezember, halten wird. Im Anhang finden sich Quellentexte von 1961 und 1934.
Das Buch kann bereits jetzt zum Preis von 24,90 Euro im Worms-Verlag (Telefonnummer 0 62 41 / 20 00-3 14, oder unter
berthold.roeth@kvg-worms.de
) bestellt werden. Erhältlich ist das Buch auch am 1. Dezember Uhr nach der öffentlichen Buchvorstellung in der Synagoge."
.
1. Dezember 2011:
Feier des 50. Jahrestages der Wiedereinweihung
der Wormser Synagoge
Artikel von Ulrike Schäfer in der
"Wormser Zeitung" vom 1. Dezember 2011:
"Früh an Aufbau gedacht: Schon 1946 erste Pläne für Wormser
Synagoge..." Link
zum Artikel.
Interview von Ulrike Schäfer mit Stella Schindler-Siegreich in der
"Wormser Zeitung" vom 1. Dezember 2011:
"Vorsitzende
Stella Schindler Siegreich über die Geschichte der jüdischen Gemeinde in
Worms..." Link
zum Artikel .
Artikel von Johannes Götzen in der
"Wormser Zeitung" vom 2. Dezember 2011:
"Gedenken und
Mahnen in Worms - Synagoge steht seit 50 Jahren wieder..." Link
zum Artikel.
Januar 2014:
Fragment von Stifterinschrift gefunden
Pressemitteilung vom 21. Januar 2014 (dpa):
"Worms: Fragment von Stifterinschrift gefunden.
Worms. Nach mehr als 300 Jahren ist ein verschollen geglaubtes Fragment der Wormser Synagoge wieder an den Rhein zurückgekehrt. Der Teil einer steinernen Stifterinschrift der Frauensynagoge war 2013 in Schweden gefunden worden, wie die Stadt am Dienstag mitteilte. Auf dem 40 mal 25 Zentimeter großen Stück ist der Anfang der ersten sechs Zeilen zu lesen. Wie genau das Fragment nach Schweden gelangt ist, kann sich auch Irene Spille vom Institut für Stadtgeschichte nicht erklären. "Die Inschrift wurde im pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 beschädigt", berichtete Spille auf dpa-Anfrage. Danach sei es verschwunden.
"
November 2016:Die Wormser Mikwe muss restauriert
werden
Pressemitteilung vom 14. November 2016 (dpa/lrs):
"Worms: Mikwe muss saniert werden.
Worms. Die 1185 entstandene Wormser Mikwe soll in den kommenden Jahren restauriert werden. Das teilten die Stadt Worms und Susanne Urban, Geschäftsführerin des Vereins
'SchUM-Städte Speyer, Worms, Mainz' am Montag mit. Das historische Ritualbad gilt als bedeutendes bauliches Zeugnis jüdischen Lebens in Mitteleuropa.
Laut mehrerer Gutachten befindet sich das Mauerwerk in labilem Zustand. So gebe es etwa durch Feuchtigkeit hervorgerufene Schäden; außerdem Risse und Verformungen.
'Wir gehen davon aus, dass die notwendige Sanierung zwischen 800 000 Euro und 1,5 Millionen Euro kosten
wird', sagte Urban am Montag. Noch sei unklar, inwieweit Geld von Stiftungen und aus Bundesmitteln beigesteuert werden kann.
'Ich bin zuversichtlich, dass die Finanzierung bei einem so bedeutenden Kulturdenkmal kein Problem sein
wird', sagte Urban. Der Oberbürgermeister von Worms, Michael Kissel (SPD), wies auf die Bedeutung der Mikwe und des jüdischen Erbes für den Unesco-Welterbe-Antrag hin:
'Das jüdische Ritualbad ist als wertvolles Kulturdenkmal wesentlicher Bestandteil des
Welterbeantrages', sagte der Rathauschef. (dpa/lrs)."
Vgl. Artikel in der "Wormser Zeitung" vom 28. September 2016: "Die Mikwe
in Worms, das jüdischer Kultbad neben der Synagoge, befindet sich in einem
sanierungsbedürftigen Zustand..."
Link zum Artikel
November 2016: Die Sanierung der Mikwe braucht
bis zu zehn Jahre
Artikel von Susanne Müller in der "Wormser
Zeitung" vom 14. November 2016: "Sanierung dauert bis zu zehn Jahre:
Mikwe in Worms ab Dienstag geschlossen
Morgen wird sie geschlossen - die Mikwe. Bis zu zehn Jahre wird es dauern,
bis das erheblich geschädigte jüdische Ritualbad im Wormser Synagogengarten
saniert ist. Die Stadt investiert bis zu 750.000 Euro.
WORMS - Etwa 35.000 Touristen und Besucher jüdischen Glaubens besuchen
pro Jahr die Synagoge und auch die Mikwe, das Ritualbad aus dem Jahr
1185/86. Ab sofort ist das nicht mehr möglich. Das historische Bad bleibt
wegen umfangreicher Renovierungsmaßnahmen geschlossen – bis zu zehn Jahre.
Für erste Sicherungsmaßnahmen müssen 135.000 Euro ausgegeben werden, OB
Michael Kissel schätzte am Montag, dass alle noch notwendigen Arbeiten mit
bis zu 750.000 Euro zu Buche schlagen werden. Denn der historische Bau, der
im Synagogenbezirk acht Meter tief in den Boden reicht, bis an das für
Menschen jüdischen Glaubens so wichtige 'lebendige Wasser', das Grundwasser,
muss in fünf Schritten umfassend saniert werden. Die Stabilität ist
gefährdet, aus den Fugen und von den Steinoberflächen bröckelt es, ganze
Steine sind locker. Durch den Bodendruck hat sich im untersten Raum des
Wasserbeckens eine Delle in der Wand nach innen gebildet. Noch nie wurden an
dem Ritualbad größere Restaurierungsarbeiten durchgeführt, nach
Kriegszerstörungen gab es im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Synagoge
allenfalls Um- und Wiederaufbauten, vor allem an der Treppe in den Jahren
1957 bis 1961. Architekt Jürgen Hamm erläuterte bei der Vorstellung der
Sanierungsmaßnahmen den Verlauf der Arbeiten über die Jahre. Seit einigen
Jahren seien schon Voruntersuchungen gelaufen, so Hamm, die nun kommende
Restaurierung erfolge in fünf Schritten. Ab sofort werden
Sicherungsmaßnahmen erfolgen, 'das geschwächte Gefüge wird gesichert' – mit
Balken, Spießen und Stützen. Es bestehe die Gefahr, dass sich Steine lösten
oder auch Sandstein abbreche. Dann beginnen Untersuchungen zur
Konsolidierung des Mauerwerks. Dies alles werde, so Hamm, wohl bis zum
Herbst 2017 dauern. Zerfall prüfen. Alle anderen Arbeiten brauchten dann sehr lange Zeit.
In einem der umfangreichsten Abschnitte stehe die Mikrobiologie im
Vordergrund. Hier werde es Jahre brauchen, um zu schauen, wie weit etwa der
Oberflächenzerfall fortgeschritten sei. 'Es gibt im ganzen Bau organische
Schichten, die Putze schädigen – wir haben es auch mit gesundheitlichen
Problematiken, mit Schimmel zu tun.' Zwei Jahre lang müsse man sich allein
damit befassen, so Hamm – die Gelder hierfür sollen von der Deutschen
Bundesstiftung Umwelt kommen, hofft die Stadt. Von hier aus, so Hamm, sei
schon Interesse bekundet worden für dieses 'sehr komplexe Thema'. Nach
diesen zwei Jahren stehen die eigentlichen Sicherungsmaßnahmen an: 'Hier
wissen wir nicht, wo sie uns hinführen werden', so der betreuende Architekt.
Ein viele Meter im Boden stehender Turm sei zu sanieren, der durch die
vielen Jahrhunderte in seinen Mauergefüge stark geschwächt ist. Es gelte
Methoden zu entwickeln, um das Mauerwerk wieder tragfähig zu machen: 'Hier
gibt es noch keine Erfahrungen – Türme im Boden gibt es selten.' Ein
statisches Problem sei der Erddruck – der Architekt schloss nicht aus, dass
vielleicht sogar von außen her aufgegraben werden muss. Nachdem dann die
'Hülle' stabilisiert sei, gehe es an konservatorische Arbeiten. Und: Auch
die gesamte Einbindung in das Umfeld sei dann zu überdenken. 'Das ist dann
der fünfte Abschnitt', so Hamm, 'der in acht bis zehn Jahren auf uns
zukommt'. OB Michael Kissel betonte, dass die Stadt nach dem Untergang der
Nazidiktatur mit der Jüdischen Gemeinde Mainz in den 50er Jahren einen
Vertrag geschlossen und sich verpflichtet habe, für die Unterhaltung der
Gebäude zu sorgen und aufzukommen: 'Es ist Aufgabe der Stadt, des Landes und
des Bundes, diese Verantwortung wahrzunehmen.' Dr. Roswitha Kaiser von der
Generaldirektion Kulturelles Erbe regte an, ein 'Fördermanagement' zu
betreiben, um an zusätzliche Gelder zu kommen: 'Denn die Mikwe ist
tatsächlich sehr beschädigt.' Dr. Gerold Bönnen sicherte zu, dass es im
Raschihaus ab dem Frühjahr eine laufend aktualisierte Dokumentation der
Bauarbeiten für Touristen und jüdische Gläubige geben werde."
Link zum Artikel
April 2018:
Über die langjährige Vorsitzende
der jüdischen Gemeinde Mainz Stella Schindler-Siegreich
Artikel von Ulrike Schäfer in der "Wormser
Zeitung" vom 21. April 2018: "Stella Schindler-Siegreich: In Israel
geboren, in Worms zuhause.
WORMS - Für die Öffentlichkeit war es eine große Überraschung, als
bekannt wurde, dass Stella Schindler-Siegreich, seit 2004 Vorsitzende der
Jüdischen Gemeinde Mainz, im August 2017 ihr Amt niedergelegt hatte.
Bedauern und Unverständnis hielten sich die Waage. Intern war ihre Absicht
indes schon länger bekannt gewesen. Ein Herzinfarkt Ende 2014 hatte an ihren
Kräften gezehrt. Die häufigen Fahrten von Worms nach Mainz, der aufreibende
tägliche Kleinkram, aber auch die vielen offiziellen Verpflichtungen
ermüdeten sie zusehends. Hinzu kam der Wunsch, mehr für ihre wachsende
Enkelschar da sein zu können. In ihrer Amtszeit hat Stella
Schindler-Siegreich viel bewegt. So wird mit ihrem Namen immer der Bau der
neuen Synagoge in der Hindenburgstraße in Mainz verbunden sein – ein
deutliches Signal, dass das Judentum einen Neuanfang mit Deutschland wagt.
Aber es ging ihr immer auch darum, dieses neue Haus mit Leben zu füllen, um
den Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion eine spirituelle, religiöse
und kulturelle Identität anzubieten, ihnen eine Heimat zu geben. Auch in
Worms hat sie einiges bewegt, die Veranstaltungen zum Raschi-Jahr 2005 und
die Bewerbung der Schum-Städte als Weltkulturerbe angeregt, das Haus zur
Sonne wieder für die Gemeinde nutzbar gemacht, Gottesdienste und Feste
organisiert. Woher kommt sie, was hat sie geleitet?
Stella Siegreich wurde am 17. April 1948 geboren, drei Jahre, nachdem sich
ihre Eltern im gemeinsamen Haus in Bedzin/Polen wiedergefunden hatten. Der
Vater hatte sich gegen Ende des nationalsozialistischen Schreckensregimes
aus einem Arbeitslager im Kattowitzer Land retten können; die Mutter hatte
die Konzentrationslager Majdanek und Auschwitz durchleben müssen. Nach 1945
flohen die wenigen Verwandten, die überlebt hatten, vor dem wachsenden
polnischen Antisemitismus in die USA und in den neu gegründeten Staat
Israel. Auch Stellas Eltern, einst recht wohlhabend, nun fast mittellos,
wanderten aus und versuchten, sich in Jerusalem eine Existenz aufzubauen.
Doch das war nicht leicht. Ein ehemaliger Lagerfreund, der in Deutschland
Fuß gefasst hatte, überredete sie schließlich, nach Europa zurückzukehren.
Stella war damals zehn Jahre alt. In Jerusalem habe sie eine sehr glückliche
Kindheit verbracht, erzählt sie mit leuchtenden Augen. Der Neubeginn in
Deutschland sei ein gewaltiger Einschnitt für sie gewesen, zumal sie damals
noch kein Wort Deutsch sprach. Nach einem Intermezzo in Bayern kam die
Familie 1960 nach Worms. Die Eltern übernahmen einen gastronomischen
Betrieb, den die Mutter nach dem frühen Tod des Vaters allein weiterführte.
Die Familie lebte ihr Judentum, hatte Kontakt zur Gemeinde, fuhr an den
hohen Feiertagen nach Mainz in die Synagoge. Ein unvergessliches Erlebnis
war 1961 die Einweihung der Wormser Synagoge nach dem Wiederaufbau. 'Es gibt
noch Fotos von diesem Tag, auf dem auch ich als zwölfjähriges Mädchen zu
sehen bin', erzählt Schindler-Siegreich lächelnd. Man feierte erstmals
wieder Rosch ha-Schana und Jom Kippur, eine Bar Mitzwa und Hochzeiten.
Stella Siegreich besuchte das Eleonoren-Gymnasium, machte Abitur und
gründete 1973 eine Familie. Als die beiden Kinder erwachsen waren, änderte
sich zunehmend etwas in ihrem Leben. 'Ich weiß noch, dass ich am 9. November
bei einer Gedenkveranstaltung in der Synagoge war. Ein Kantor sang das
Totengebet El male Rahamim. Das hat mich so berührt, dass ich dachte: Du
musst etwas machen.' In dieser Phase kamen die ersten jüdischen Menschen aus
der ehemaligen Sowjetunion nach Worms. 1996 trat Schindler-Siegreich in die
Gemeinde ein, parallel dazu wurde sie Gründungsmitglied der Gesellschaft zur
Förderung und Pflege jüdischer Kultur in Worms, später Warmaisa. 'Damals
wurde mir auch die bedeutende jüdische Geschichte von Worms bewusst',
erinnert sie sich. Sie machte eine Ausbildung zur Stadtführerin, absolvierte
ein Gastsemester an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, traf
sich mit den Kindern Überlebender der Shoa. Aufgrund dieses reichen Wissens
regte sie im Vorstand von Warmaisa viele interessante Veranstaltungen an,
stellte Kontakte zu Künstlern und Referenten her. Gleichzeitig versuchte
sie, mit anderen jüdischen Familien ein Gemeindeleben in Worms zu
organisieren, Feste wurden gefeiert, jüdischer Religionsunterricht
eingerichtet. 'Eine Zeitlang war auch die Selbständigkeit der Wormser
Gemeinde ein Thema', erzählt sie. Doch die Pläne waren nicht finanzierbar.
2001 wurde sie als Revisorin vorgeschlagen, drei Jahre später gebeten, für
den Vorstand der Jüdischen Gemeinde Mainz/Worms zu kandidieren, am 18. April
2004 wurde sie zur Vorsitzenden gewählt. Ihr Fazit fällt positiv aus: 'Trotz
aller Anstrengung schaue ich mit großer Genugtuung auf das Erreichte und bin
voller Dankbarkeit für die vielen menschlichen Begegnungen und für die
wohlwollende und großzügige Unterstützung, die ich erfahren durfte.'"
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Oktober 2018:
14. Verlegung von
"Stolpersteinen" in Worms
Anmerkung: seit dieser 14. Verlegung erinnern Stolpersteine in
der: 1. Karmeliterstraße 2: Moritz Bär, gestorben 1940; 2. Berggartenstraße
6: Leo Grünfeld, ermordet 1943; Karoline Grünfeld geb. Bodenheim, ermordet
1942; Agnes Margarete, geflüchtet; Alfred Friedrich Grünfeld, geflüchtet;
Otto Wilhelm Grünfeld, geflüchtet; 3. Bahnhofstraße 6: Hilda Herz geb.
Lichtenauer, ermordet; Werner Herz, ermordet; 4. Zornstraße 3: Jakob
Rosenheimer, gestorben in Theresienstadt; 5. Burkhardstraße 7 a: Albert
Lieber, ermordet 1943; Berta Lieber geb. Weil, ermordet 1944; 6.
Burkhardstraße 10: Max Meyer, gest. 1942 bei der Deportation; Rosa Meyer
geb. Gottschalk, ermordet 1942; 7. Dirolfstraße 13: Moritz Strauß, ermordet
1942; 8. Seidenbenderstraße 52: August Mayer, ermordet; Anna Mayer geb.
Strauß, ermordet; Margot Mayer, ermordet; 9. Güterhallenstraße 69: Jakob
Levita, ermordet 1942; Minna Levita geb. Schrag, ermordet 1942; Bella Levita,
ermordet; 10. Liebenauerstraße 121: Emil Nehemias Sommer, ermordet 1944;
Martha Amanda Sommer geb. Reichleser, ermordet 1944.
Artikel von Ulrike Schäfer in der "Wormser
Zeitung" vom 24. Oktober 2018: "Erinnerungen an Menschen und ihr
unvorstellbares Leid
Der Künstler Gunter Demnig verlegt in Worms 22 weitere Stolpersteine zur
Erinnerung an deportierte und ermordete jüdische Bürger.
WORMS - Wer mit aufmerksamen Blicken durch Worms geht, kann die
schimmernden Bronzeschildchen der Stolpersteine im Pflaster nicht übersehen.
Auch wenn man sich nicht bückt, um die Namen zu lesen, die hier mit Geburts-
und Todesdatum eingraviert sind, weiß man doch, dass in diesem Haus
Verfolgte des Nazi-Regimes, meist jüdische Bürger und Bürgerinnen, lebten,
ehe sie ausgegrenzt, beraubt, deportiert und ermordet wurden, flüchteten
oder sich aus Verzweiflung das Leben nahmen. Kinder fliehen, Eltern werden ermordet. 2006 hat Warmaisa, die
Gesellschaft zur Förderung und Pflege jüdischer Kultur in Worms, mit der
Verlegung von Stolpersteinen durch den Kölner Künstler Gunter Demnig
begonnen. Dessen 1992 gestartetes Projekt ist mit fast 70 000 Steinen in
1265 deutschen Kommunen und in 21 Staaten Europas mittlerweile das größte
dezentrale Mahnmal der Welt. In Worms hat Demnig bereits 195 Steine verlegt.
Am kommenden Freitag werden weitere 22 dazu kommen. Die Stolpersteingruppe
des Vereins Warmaisa hat sich bei ihrer Recherche für die 14. Verlegung in
einem Radius bewegt, der fußläufig gut zu bewältigen ist. Es gab also dieses
Mal – außer im Fall Jakob Rosenheimer, Zornstraße 3, für den sein Enkel
Richard Isaak, USA, die Biografie erstellte – keine Angehörigen, Freunde
oder sonstige Anlässe, die die Auswahl beeinflussten. Vertieft man sich in
die Schicksale der einzelnen Familien, kann man sich der Tränen kaum
erwehren. In vielen Fällen gelang den Kindern noch im letzten Moment die
Flucht, oft über Umwege und unter Lebensgefahr. Sie versuchten auf alle
mögliche Weise, die zurückgebliebenen Eltern nachzuholen, doch es war
vergebens. Joan Kamens, Enkelin von Hilda und Felix Herz, die anlässlich der
Vorstellung des Buches 'Die Juden vom Altrhein' im Juli 2018 mit ihren
Töchtern das Grab ihres Großvaters auf dem jüdischen Friedhof in Osthofen
besuchte, berichtete, wie schmerzlich es ein Leben lang für ihren Vater
Rudolf und seine drei Geschwister gewesen sei, dass sie die Mutter und den
jüngsten Bruder nicht retten konnten. Von Frankreich nach Auschwitz deportiert. Ähnlich das Schicksal der
Familie Grünfeld: Die drei Kinder von Leo und Karoline Grünfeld konnten
fliehen. Leo Grünfeld, der in die seit 1828 in Worms ansässige
Ledergroßhandlung Bodenheimer eingeheiratet hatte, zeitweise auch
Handelsrichter war und in der Jüdischen Gemeinde aktiv mitwirkte, entging
der Deportation aber genauso wenig wie seine Frau. Beide starben in
Theresienstadt. Wie Leo Grünfeld hatte auch Jakob Rosenheimer schon bald
nach der Machtübernahme der NSDAP sein gutgehendes Geschäft (Kurz-, Weiß-
und Modewaren) nicht mehr halten können. Den Kindern gelang die Flucht;
Jakob, seine Frau Selma und sein Bruder Adolf wurden nach Theresienstadt
verschleppt. Die Brüder wurden ermordet. Nur Selma überlebte das Inferno.
Moritz Strauß hatte fünf Kinder, vier von ihnen gelang die Auswanderung.
Auch Sohn Kurt und seine Frau Barbara emigrierten nach Frankreich. Bei
Kriegsbeginn wurden sie aber interniert und am 26. August 1942 aus dem Lager
Drancy bei Paris nach Auschwitz deportiert, wo sie mit über 900 weiteren
Menschen sofort vergast wurden. Vater Moritz Strauß, damals schon Witwer,
war für kurze Zeit im KZ Osthofen, danach verbot man ihm jede
Berufstätigkeit. Sein ehemaliger Arbeitgeber Johann Rathmacher sorgte
heimlich für seinen Lebensunterhalt bis zur Deportation 1942. Strauß starb
in Theresienstadt. Überaus schmerzlich endete auch das Leben Max und Rosa
Meyers. Er war Prokurist bei Langenbach gewesen und 1933 schon im Ruhestand.
Wie viele jüdische Wormser wurde das Paar zwangseingewiesen ins jüdische
Altersheim und musste miterleben, wie viele Mitbewohner bereits am 20. März
1942 abgeholt wurden. Die beiden selbst – er 83, sie 70 Jahre alt – wurden
am 24. September 1942 zum Güterbahnhof gebracht. Max Meyer starb noch
während des Aufenthalts in Darmstadt; seine Frau musste schon zwei Tage
später nach Theresienstadt weiter, wo sie kurz darauf verstarb. An alle
diese Menschen, wie auch an das Ehepaar Lieber, die Familie Mayer, die
Familie Levita und das Ehepaar Sommer, die Unvorstellbares erlitten haben,
sollen künftig die Stolpersteine erinnern, die am Freitag verlegt werden."
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November 2018:
Gedenken an den Novemberpogrom
1938
Artikel von Ulrike Schäfer in der "Wormser
Zeitung" vom 9. November 2018: "Reichspogromnacht in Worms: Synagoge
zweimal angezündet
Schlägertrupps zerstören am 9. und 10. November 1938 nicht nur den Besitz
der Juden, sondern verhöhnen und misshandeln auch die Menschen. WORMS - Vor 80 Jahren, am 9. und 10. November, wurden auf Befehl des
verbrecherischen Hitlerregimes in ganz Deutschland die Synagogen angezündet.
Willkommener Vorwand für das skrupellose Vorgehen war das tödliche Attentat
des 17-jährigen polnischen Juden Herschel Grynszpan auf Ernst Eduard vom
Rath, Legationssekretär der Deutschen Botschaft in Paris und Parteimitglied
der NSDAP.
Auch in Worms kam es zu hemmungslosen Ausschreitungen. Schlägertrupps tobten
sich in ungezählten verwirrenden Einzelaktionen aus, schreiben Karl und
Annelore Schlösser in ihrer Dokumentation 'Keiner blieb verschont'. Aber
alle hatten das Ziel, sowohl die religiösen und geistigen als auch die
materiellen Existenzgrundlagen der jüdischen Bürger zu vernichten. Danach
konnten diese sich keine Illusionen mehr über die Absichten des Regimes
machen. Die alte Synagoge, die gerade vier Jahre zuvor ihr 900-jähriges
Bestehen gefeiert hatte, brannte erstmals am Morgen des 10. Novembers um
5.45 Uhr. Weil die Feuerwehr angeblich keine Zeit hatte auszurücken, löschte
Rabbiner Dr. Helmut Frank gemeinsam mit Schülern der Bezirksschule und
jungen Gemeindemitgliedern selbst die Flammen. Gegen halb 10 Uhr brannte die
Synagoge zum zweiten Mal. Henry Hüttenbach, Herta Mansbachers Biograf,
schreibt, dass sich die Lehrerin in beispiellosem Mut der SA
entgegengestellt habe. Verhindern konnte sie nichts, die Synagoge brannte
vollständig aus. Fotos von diesem Morgen zeigen, dass die Feuerwehr den
Wasserstrahl auf das benachbarte Gebäude richtete, und auch die zahlreichen
Zuschauer unternahmen nichts, um das ehrwürdige Gotteshaus zu retten.
Ebenfalls im Morgengrauen des 10. Novembers begannen Schlägertrupps, die
Schaufenster und Auslagen jüdischer Geschäfte zu zertrümmern und
Einrichtungen und Warenbestände zu zerstören. Noch Schlimmeres richteten sie
in vielen Wohnungen an, zerschlugen das Mobiliar, schlitzten das Bettzeug
auf und warfen Geschirr und andere Wertgegenstände aus dem Fenster. Pfarrer
i.R. Norbert Hufnagel berichtet, dass er als kleiner Junge beobachtet habe,
wie an der Ecke Röder-/Mozartstraße ein ganzer Flügel auf die Straße
geworfen worden sei. Gewalt wurde aber auch gegen die völlig verängstigen
Menschen ausgeübt. Oft wurden sie verhöhnt, gestoßen, geschlagen, wie zum
Beispiel der Herrnsheimer Wilhelm Gutmann, der beim Aufräumen seines
zertrümmerten Mobiliars von mehreren Leuten angegriffen und so übel verletzt
wurde, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste (siehe ausführlich
Heimatjahrbuch 2015). In der Moltkeanlage 11 wollten brutale Eindringlinge
das vier Monate alte Baby der Familie Hochheimer aus dem Fenster werfen. Der
Mutter gelang es, ihnen das Kind zu entreißen und in das nahegelegene
Martinsstift zu flüchten, wo es in Sicherheit war. Abraham Sedel,
Goethestraße 10, versteckte sich in seiner Not in einem Schrank und wurde
mit dem Möbel aus dem Fenster geworfen. Trotz seiner Verletzungen wurde er
zusammen mit insgesamt 86 Männern jüdischen Glaubens aus Worms und Umgebung,
darunter auch Rabbiner Frank, verhaftet und vorübergehend ins KZ Buchenwald
gebracht. Einen Monat nach seiner Rückkehr starb er an den Folgen der
erlittenen Misshandlungen, wie auch Edgar Frohnhausen und Ludwig Gutmann.
Der Möbelfabrikant Hermann Gusdorf, der infolge seiner Teilnahme am Ersten
Weltkrieg schwer asthmaleidend war, starb bereits während seiner
Gefangenschaft in Buchenwald, wo die Häftlinge Kälte, Hunger und übelster
Behandlung ausgesetzt waren.
Die Verwüstungen des November-Pogroms mussten nicht von den Tätern, sondern
von den Opfern beseitigt werden. Sie hatten auch selbst für die Kosten
aufzukommen. Noch schlimmer, so Karl und Annelore Schlösser, habe die
Verordnung 'zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben'
vom 12. November 1938 die damals noch in Worms lebenden jüdischen
Geschäftsleute betroffen. Sie mussten ihre Läden schließen und durften auch
nicht mehr beschäftigt werden, sodass sie endgültig ihre Existenzgrundlage
verloren. Wie zum Hohn mussten sie dann noch eine 'Sühneleistung' in Höhe
von einer Milliarde Reichsmark ans Deutsche Reich entrichten."
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November 2018:
Gedenkveranstaltung zum 80.
Jahrestag des Novemberpogroms 1938
Artikel von Ulrike Schäfer in der "Bürstädter
Zeitung" vom 10. November 2018: "Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht in
der Wormser Synagoge.
Zum 80. Mal jährte sich die Reichspogromnacht, und so viele Menschen wie nie
nahmen in Worms an der Gedenkveranstaltung teil.
WORMS - An der Gedenkveranstaltung zum 9. November, zu der für
Donnerstagabend die Stadt, die Jüdische Gemeinde, der Verein Warmaisa und
das Bündnis gegen Naziaufmärsche in die Synagoge eingeladen hatten, nahmen
so viele Menschen teil wie nie zuvor. Sei es, weil sich die
Reichspogromnacht zum 80. Mal jährte, sei es, weil man empfindet, dass es
mehr denn je notwendig ist, zusammenzustehen und Haltung zu zeigen.
Eingestimmt und begleitet wurde die Veranstaltung von dem vorzüglichen Duo
Allegro, Rolf Fritz (Piano) und Alexander Galushkin (Geige), die die
Rhapsodie aus der Suite hébraïque von Ernest Bloch, das Hora-Hatikvah aus
dem Israeli Concertino von George Perlman und zum Schluss das ergreifende
Kaddisch von Maurice Ravel spielten. In ihrer bewegenden Rede führte Anna
Kischner, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, aus, dass Gedenken und Gebete
an diesem Tag fester Bestandteil jüdischer Erinnerungskultur seien. 'Das
Trauma der Schoa sitzt noch tief in uns', sagte sie. 'Es gibt kein einziges
Gemeindemitglied, das davon nicht betroffen wäre, und es ist schmerzlich
zurückzuschauen.' Doch in Zeiten von zunehmender Fremdenfeindlichkeit und
wachsendem Antisemitismus sei das Erinnern aus Gründen der Humanität eine
unerlässliche Aufgabe der Zivilgesellschaft. TOTENGEBET. Nach dem letzten Musikstück erhoben sich die Menschen in der
Synagoge zum Totengebet, dem Kaddisch, das Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky
mit wunderbar klarer Stimme intonierte. Auch wenn man die hebräischen Worte
nicht verstehen konnte, so war doch die Klage um das große Leid des
jüdischen Volks unüberhörbar und erschütterte die Herzen zutiefst. Aufruf zur Zivilcourage. Dabei sei es irrelevant, von wem das
hasserfüllte Gedankengut verbreitet werde. 'Unsere tolerante Gesellschaft
muss zeigen, dass die Toleranz da endet, wo sich Intoleranz zeigt', betonte
sie. 'Sie darf weder geduldet noch schöngeredet werden.' Die neue Ideologie
sei sogar noch gefährlicher als die alte, weil der Hass trotz Auschwitz
geschürt werde. Doch wolle sie nicht nur mahnen, sondern auch der Hoffnung
Ausdruck verleihen, dass so etwas niemals wieder passieren könne. Dem
stimmte auch OB Michael Kissel nachdrücklich zu. Er erinnerte daran, dass
die Synagoge mehrfach in blindem Hass zerstört worden sei, zuletzt am 10.
November 1938. Auch gedachte er der Menschen, die in den Jahren ab 1933
unter fortwährenden Schikanen und systematischer Ausgrenzung zu leiden
hatten und schließlich, sofern sie sich nicht in die Emigration retten
konnten, Opfer von Verschleppung und Ermordung geworden seien. 'Mit der
Reichspogromnacht kippte Deutschland endgültig in menschenverachtende
Tyrannei', sagte er. Mit der staatlich organisierten systematischen
Verfolgung und Ermordung von über sechs Millionen europäischer Juden habe
der Rassenhass seinen schrecklichen Höhepunkt gefunden, der mit keinem
anderen Ereignis in der gesamten Menschheitsgeschichte vergleichbar sei. Die
Lehre daraus sei: Wer Gewalt gegen eine religiöse Minderheit dulde oder gar
fördere, stürze erst eine Minderheit und dann das gesamte Staatswesen ins
Verderben. 'Wir alle sind aufgerufen, gegen Angriffe auf unsere jüdischen
Mitbürger oder andere Minderheiten aktiv vorzugehen.' Er schloss mit den
Worten: 'Uns eint der feste Wille, dass sich Ereignisse wie im November 1938
niemals wiederholen dürfen.' Nelly Granson, Selin Yasar und Eren Yayli,
Schüler des Gauß-Gymnasiums, hatten sich unter Leitung von Katja Baumgärtner
mit dem Schicksal der mutigen Lehrerin Herta Mansbacher und des Kinderarztes
Dr. Fritz Gernsheim befasst und trugen ihre Erkenntnisse vor. Während die
Lehrerin deportiert und ermordet wurde, begingen Gernsheim und seine Frau
Rosa aus Verzweiflung Selbstmord."
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Februar 2019:
Vortrag von Michael Brocke über
den Bellette-Pfeiler
Artikel von Ulrike Schäfer in der "Wormser
Zeitung" vom 26. Februar 2019: "Erinnerung an eine Märtyrerin.
Michael Brocke referiert in Worms über den Bellette-Pfeiler. Der Name stammt
aus einem berühmten Klagelied eines jüdischen Mystikers.
WORMS - Mit großer Leidenschaft kniet sich Prof. Dr. Michael Brocke vom
Steinheim-Institut seit Jahren in die Erforschung des Jüdischen Friedhofs
Heiliger Stand. Alle noch lesbaren alten Grabsteine hat er entziffert und
immer wieder Aufsehen erregende Entdeckungen gemacht. Fasziniert hat ihn
aber auch schon seit langem der sogenannte Bellette-Pfeiler, ein reich
ornamentiertes Sandsteinfragment, das 1957 im Schutt des zerstörten
Gotteshauses aufgefunden worden war und derzeit in der sogenannten
Frauensynagoge steht. Mörtelspuren lassen die Annahme zu, dass das Teil
bereits in der Vorgängersynagoge zweckentfremdet verbaut worden war. Dieses
außergewöhnliche Stück war nun Gegenstand eines Vortrags beim sechsten
Workshop der Arbeitsgruppe Mittelalter im Netzwerk Jüdisches Kulturerbe
unter dem Titel 'Esrat Nashim – Frauen in der Synagoge: eine Frage der
Heiligkeit?' im Raschihaus. Bellette wurde von Kreuzfahrern ermordet. Der zierliche Pfeiler,
seinerzeit auch schon von Otto Böcher beschrieben, zeigt auf der Vorderseite
eine stilisierte Palme, auf der Rückseite eine tiefe Fuge und eine
Halbsäule. Die linke Seite ist mit einem Zickzack-Doppelflechtband, die
rechte mit einem Ölbaum als Sinnbild des ewigen Lebens geschmückt. Die nicht
mehr ganz vollständige Inschrift ist einer jungen Frau namens Bellette aus
vornehmem Hause gewidmet, die besonders erinnerungswürdig war. Die
Vermutung, dass es sich dabei um eine Märtyrerin handele, erschließe sich
allerdings weniger aus dem Text als aus dem Reliefschmuck, insbesondere der
symbolhaften Darstellung des Lebensbaums, führte Brocke aus. Der eher
seltene Name Bellette sei bekannt aus dem berühmten Klagelied des Mystikers,
Halachisten und Dichters Eleasar ben Juda ben Kalonymos, genannt Rokeach
(1160-1230), über den Verlust seiner Frau Dolza und seiner beiden Töchter
Bellette (13 Jahre) und Hannah (6 Jahre), die 1196 von Kreuzfahrern ermordet
wurden. In rühmenden Worten beschreibt der Vater, einer der letzten
Vertreter der Wormser Chassidim (Frommen), die Tugendhaftigkeit Bellettes.
Bei der anschließenden Besichtigung des Pfeilers, der genau genommen keiner
ist, kam es zu einem angeregten Disput unter den Wissenschaftlern, denn wo
mag sich die steinerne Würdigung für Bellette, die stilistisch in die späte
Romanik einzuordnen ist, befunden haben? Die Frauensynagoge, die laut
Stifterinschrift älter ist als das erste schriftliche Zeugnis darüber, wurde
erst 1212/1213 angebaut. Gehörte das Fragment vielleicht zur Zwischenwand,
die den Frauen- vom Männerbau trennte? War sie Teil eines Fensters und hatte
noch ein Pendant? Oder hatte sie zur Bima gehört, vielleicht sogar, als es
den Frauenbau noch nicht gegeben hatte? Ein weiteres Fragment, das ebenfalls
das Palmenmotiv zeigt, allerdings wesentlich kleiner ist, wird noch im
Museum aufbewahrt. Es wurde angeregt, zu untersuchen, ob sich unter den noch
vorhandenen Spolien weitere Bruchstücke finden, die Hinweise auf die
Funktion des Bellette-Pfeilers geben könnten.
Wie wenig man im Grunde über die Rolle der Frau in der Synagoge weiß, machte
Rabbinerin Professor Birgit Klein, Uni Heidelberg, deutlich. In ihrem
Vortrag ging sie der Frage nach, aus welchem Grund der Anbau der Frauenschul'
erfolgt war. Bedeutete er eine Ausschließung der Frauen aufgrund
verschärfter Reinheitsgesetze oder aber eine Aufwertung? An welchen Teilen
der Liturgie, die unterschiedliche Grade der Heiligkeit hatte, durften
(menstruierende) Frauen teilnehmen, an welchen nicht? Wie veränderte sich
die Einstellung im rabbinischen Schrifttum dazu? Und können Wormser
Gebräuche auch auf andere Gemeinden übertragen werden? Am Nachmittag und am
folgenden Freitag wurde das Thema in Speyer und Heidelberg noch einmal
ausgiebig diskutiert. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein."
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November 2019:
Gedenken an den Novemberpogrom
1938
Artikel von Ulrike Schäfer in der "Wormser
Zeitung" vom 11. November 2019: "Gedenkstunde vor der Wormser Synagoge.
Oberbürgermeister Adolf Kessel mahnt: Die Verrohung der Sprache ist der
Anfang der Gewaltbereitschaft.
WORMS - 'Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht
vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen
kommt, dein ganzes Leben lang.' Mit diesem Wort aus dem 5. Buch Mose
eröffnete Pfarrerin Dr. Erika Mohri die Gedenkstunde, die, wie schon seit
Jahren, vom Bündnis gegen Naziaufmärsche zur Erinnerung an die
Reichspogromnacht am 9. November 1938 ausgerichtet wird. Nicht von ungefähr
hatten sich rund 100 Menschen vor der Synagoge eingefunden. 'Wir wissen,
wofür wir hier stehen', war sich Mohri, Sprecherin des Bündnisses, mit den
Anwesenden einig. In bewegenden Worten sprach sie von den Opfern, von den
Tätern und von der Lehrerin Herta Mansbacher, die sich den Brandstiftern am
Morgen des 10. November vor der Synagoge entgegenwarf: 'Sie wusste, was
Recht ist.' Der Tag der Befreiung sei nicht für alle gleich gewesen. Die
einen seien damals von Hass und Verfolgung befreit worden, die anderen
hätten von Hass und Irrtum freiwerden müssen. Dies sei aber nicht
durchgängig gelungen. Noch heute hätten 27 Prozent aller Deutschen
antisemitische Vorbehalte; täglich würden jüdische Menschen in Deutschland
angegriffen, müssten in ihrem eigenen Land von der Polizei beschützt werden.
Das Bibelwort erneut aufgreifend, appellierte sie an die Zuhörer, die Augen
offen zu halten und gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus aufzustehen.
Oberbürgermeister Adolf Kessel (CDU) nannte Zahlen zur Reichspogromnacht,
erinnerte an geschlagene und geschundene Menschen, verwüstete Häuser und
Geschäfte, zerstörte Synagogen, an Nachbarn, die sich bereicherten,
Mitbürger, die die Gewalt guthießen oder selbst gewalttätig wurden.
Der 9. November sei der Auftakt zur folgenden systematischen Ausrottung der
jüdischen Bevölkerung gewesen, betonte Kessel, aber er habe auch ein
Vorspiel gehabt, das nicht vergessen werden dürfe. Schon vor seiner Wahl
1933 habe Hitler in seinem Buch 'Mein Kampf' die Juden als Krankheitserreger
bezeichnet, die ihr Wirtsvolk umbrächten. Selbst Deutsche, die dieses
Menschenbild nicht geteilt hätten, hätten aber Hitler gewählt. Strafbares
Verhalten sei mehr und mehr geduldet worden und schließlich auch erwünscht
gewesen.
Das Grundgesetz habe mit Artikel 1 die Lehre aus dieser Zeit gezogen, fuhr
Kessel fort. Dieser Artikel sei seither Richtschnur unseres Handelns. Wer in
diesem Staat lebe, müsse sich konsequent daran halten. Heute sei eine Zeit
tief greifender Veränderungen, viele fühlten sich zurückgelassen. Die
Verrohung der Sprache sei aber der Anfang der Gewaltbereitschaft.
Grenzüberschreitungen dürfe man nicht hinnehmen, müsse ihnen entschieden
entgegentreten. 'Jeden Tag müssen wir uns daran erinnern, dass Rassismus und
Menschenhass nie wieder die Oberhand bekommen dürfen.'"
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Januar 2020:
Bewerbung der Schum-Städte Speyer,
Worms und Mainz als Unesco-Weltkulturerbe wird eingereicht
Artikel
von Dagmar Gilcher in der "Rhein-Pfalz" vom 14. Januar 2020: "Auf der
Zielgeraden.
Am 23. Januar ist es so weit: Der Welterbe-Anfrag "SchUM-Stätten Speyer,
Worms und Mainz" wird bei der Unesco in Paris eingereicht. Fristgerecht.
Gestern hat ihn die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer
unterzeichnet. Es sind über 1000 Seiten, die dem Erbe des jüdischen
Mittelalters am Oberrhein im Sommer 2021 die begehrte Auszeichnung bringen
sollen...".
Zum Lesen bitte Textabbildung anklicken.
Februar 2020:
Weitere "Stolpersteine" werden
verlegt
Anmerkung: es handelte sich um die 15. vom Verein Warmaisa organisierte
Verlegung von "Stolpersteinen" in Worms
Artikel in der "Wormser Zeitung" vom 6.
Februar 2020: "Neue Stolpersteine werden in Worms verlegt
WORMS - (red). Gunter Demnig, der 'Vater' und Hauptinitiator der
Stolpersteine, ist am Freitag, 7. Februar, ab 9 Uhr in der
Seidenbenderstraße 31 zur Verlegung von Stolpersteinen in Worms. Danach
folgen Verlegungen in der Burkhardstraße, Kriemhildenstraße,
Karmeliterstraße, Gymnasiumstraße, Kämmererstraße, am Neumarkt, in der
Mähgasse, der Bärengasse, der Judengasse und der Hinteren Judengasse. Wann
genau, hängt jeweils von der Dauer der vorherigen Arbeiten ab. Ab 19 Uhr
hält Gunter Demnig dann im Raschi-Haus in der Hinteren Judengasse 6, einen
Vortrag zum Thema 'Stolpersteine-Spuren und Wege' im. Der Vortrag steht
allen Bürgern offen, der Eintritt ist frei."
Link zum Artikel
Artikel von Ulrike Schäfer in der "Wormser
Zeitung" vom 11. Februar 2020: "25 neue Stolpersteine in Worms verlegt
Rund 75000 Stolpersteine hat Gunter Demnig bisher in Deutschland und Europa
verlegt. Nun war er auch wieder in Worms. Routine sei das Ganze für ihn aber
nicht.
WORMS - Das Bild ist vielen Wormsern mittlerweile sehr vertraut: Gunter
Demnig, im unverwechselbaren Outfit mit braunem Hut, kniet auf dem Pflaster,
neben sich allerlei Werkzeuge im Kasten, Eimer mit verschiedenen Sanden und
schnell härtendem Zement. Mit geübten Griffen setzt er Stolpersteine in
vorbereitete Löcher und klopft sie behutsam fest. Am Freitag fand die 15.
vom Verein Warmaisa vorbereitete und organisierte Verlegung in Worms statt.
25 Steine wurden vor zwölf Häusern im Gehsteig eingearbeitet, die letzten
vorm Raschihaus, dem einstigen Altersheim, in das viele jüdische Bürger
'umziehen' mussten, ehe sie deportiert wurden. Zumindest auf dem ersten Teil
der langen Wegstrecke begleitete eine größere Menschengruppe die Aktion, die
nicht nur gedenken, sondern auch mahnen will, dass Ausgrenzung, Verfolgung
und Deportation in der Mitte unserer Gesellschaft geschahen.
Abends hielt Gunter Demnig einen Vortrag im Raschihaus [...]
Der Vorstand von Warmaisa freut sich über jede Spende, die zur Schaffung und
Verlegung eines weiteres Stolpersteins beiträgt. Aktuell kostet jedes
Exemplar 132 Euro."
Link zum Artikel
Artikel von Birgit E. Klein in der
"Jüdischen Allgemeinen" vom 18. Mai 2018: "Die Rabbanit von
Worms. Was wäre, wenn Belette 1196 nicht ermordet, sondern spirituelle
'Meisterin' ihrer Gemeinde geworden wäre?" Link zum
Artikel
Annelore und Karl Schlösser: Keiner blieb verschont. Die
Judenverfolgung 1933-1945 in Worms. In: Der Wormsgau Beiheft 31. Stadtarchiv
Worms 1987 (1989).
Online zugänglich (eingestellt als pdf-Datei).
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