Keramik Prof. Jochen Brandt

Die Motivation zu meiner Lehre liegt in den eigenen positiven Lehrerfahrungen. Zudem verfolge ich mit Sorge, daß in Deutschland an immer weniger Fachhochschulen und Universitäten eine anspruchsvolle künstlerische Keramikausbildung angeboten wird, als ob das Material und die keramischen Techniken unzeitgemäß geworden seien. Dagegen habe ich Einwände und möchte meine Sicht der künstlerischen Keramikausbildung stellen. Da es sich hier um den Studiengang Freie Kunst handelt, möchte ich zunächst auf den Begriff Kunst eingehen, aus dem sich die Impulse eines Studiums, der Methodik und Didaktik ableiten und erläutern lassen. Da sich die Frage „was ist Kunst“ nicht umfassend und mit dem Einverständnis aller beantworten läßt, beschreite ich den Weg zunächst über die Etymologie, die Geschichte der Wortbedeutung. Das Wort Ars wurde aus dem Lateinischen im frühen Mittelalter mit Kunst übersetzt. Seine Bedeutung war stets das Wissen. Erst gegen Ende der Renaissance trennte sich die Kunst in seiner Bedeutung von dem Begriff „Wissenschaft“. Welche Art Wissen verkörperte der Künstler, und wie unterscheidet sich sein Wissen heute von dem der Naturforscher und Handwerker? Das künstlerische Wissen setzt sich zunächst aus drei Bereichen zusammen: 1.: Das erlernte Können, also das über Jahre gemehrte und verbesserte handwerkliche und praktisch geübte Wissen. 2.: Das Wissen um die wesentlichen Eigenschaften seines Materials, dem Medium also, mit dem der Künstler seinen Ausdruck formt. Der Ausdruck der Klangfarben und die Harmonielehre in der Musik, die Wirkung der Gesteine, Holzarten und Metalle in der Bildhauerei sind dafür Beispiele. 3.: Der dritte Bereich nun unterscheidet die Kunst von Wissenschaft und Handwerk. Für das Verständnis, das ich anstrebe, ist es bedeutsam, daß Magie und Zauberei schon bei Plinius und bis heute in Fachkreisen als „Ars“ - „Die Kunst“ bezeichnet werden. Die Magie beschäftigt sich wie die Kunst mit dem Kern unseres Seins, dem Sinn und tieferen Grund. Sie nutzt dabei die Zauberei. Die Kunst verleiht mit ihren Mitteln dieser existentiellen und menschlichen Frage – „Dem Unaussprechlichen“ - Form und Ausdruck. Sie berührt auf seltsame Weise stets unsere innersten Empfindungen und spiegelt das Welt- und Menschenbild ihrer Epoche. Kunst ist also ein Ausdruck des sich bewußt gewordenen Menschen. Sämtliche spirituellen, religiösen, existenzialistischen und weiter gesellschaftsbezogenen Fragen werden in der Kunst transformiert. Die Beschäftigung mit diesen Fragen und die Transformation äußerte sich in der Geschichte der Kunst zunehmend Zweck ungebunden subjektiv und frei. Darin unterscheidet sich Kunst von den Wissenschaften und dem Handwerk. Obgleich die Darlegung Kunst als Begriff längst nicht umfassend beschreibt, stellt sich bereits hier die Frage, ob Keramik überhaupt zur Kunst zählen kann, dient sie nicht in erster Linie dem Gebrauch? Verlangt die Beschäftigung mit existenzialistischen Fragen nicht die Zerstörung jeder Vorgabe oder gar gebrauchsorientierten Form? Zur Gefäßkeramik Betrachtet man die uralte Geschichte der Gefäßkeramik und ihre Bedeutung für die Zivilisation, wird sehr schnell deutlich, welch immensen Kulturbeitrag die Keramik geleistet hat. Allein dieser Aspekt genügte schon, die Gefäßkeramik am Institut zu lehren, besonders da hier die Einrichtung und die notwendige Zeit dafür gegeben sind. Da die Freiheit eines Künstlers nicht in der Grenzenlosigkeit seiner Thematiken und Mittel zu suchen ist, sondern in der freien virtuosen Bewegung innerhalb selbst gewählter Grenzen, ist die Gefäßkeramik tatsächlich ein künstlerisches Betätigungsfeld. Unter unzähligen Keramiken finden sich zu jeder Epoche Exemplare, die den sachkundigen Betrachter zutiefst fesseln. Ihre Kraft und ihr Ausdruck läßt sich nicht allein durch die Begriffe Form, Funktion Farbe und Dekor erklären. Hier ist eine subtile Botschaft spürbar, die sowohl dem Material selbst entspringt, als auch der vollkommenen Selbstverständlichkeit des geformten Körpers. Diese zarte Botschaft entsprang den Händen, aus denen die Form gleichsam floß. Sie ist das Wesentliche dieser Keramik. Hier ist ein Mensch ganz mit seinem Tun verschmolzen und das Werk selbst ganz mit seinem Werkprozeß. Wie ein Sänger sein Lied und ein Schauspieler seine Rolle verinnerlicht, ist hier das Ich gänzlich zurückgenommen, um das Wesentliche (Unaussprechliche) in die Arbeit fließen zu lassen. Dieses „Sich Einlassen“ und Verlöschen kann in handwerklichen Produktionen zuweilen ganz beiläufig geschehen. Es kann aber auch als künstlerischer Weg bewußt beschritten werden. Zuerst wurde das in Asien erkannt. Im 16. Jahrhundert suchte Rikyu in Japan nach diesen Kriterien Gefäße und Gegenstände für die Teezeremonie aus und schuf damit ein außerordentliches Ideal. In Europa wurde diese Haltung als künstlerischer Weg für Malerei erst im 20. Jahrhundert entdeckt und genutzt. Das Automatische Schreiben der Dadaisten und die informelle Malerei von Wols und Pollock sind dafür bekannte Beispiele. Die Gefäßkeramik als Kunstform unterscheidet sie sich durch diese entschiedene Haltung vom Handwerk und dem Design. Die Gefäßkeramik als Kunstform unterscheidet sich vom sog. Kunsthandwerk darin, daß sie ihre Integrität nicht durch aufgesetzte künstlerische Attitüden oder durch Marktgefälligkeit opfert. Die Gefäßkeramik unterscheidet sich von der freien Plastik, wie sich Musik von Dichtung unterscheidet. Es sind zwei verschiedene Ausdrucksformen. Ihren Reiz und ihre Aussage entwickelt die Gefäßkeramik im Spannungsfeld ihrer spezifischen Grenzen. Zur Plastik Zu jeder Zeit wurden keramische Plastiken hergestellt. Vor ihrem jeweiligen kulturellen Hintergrund und aus technischen Gründen bevorzugten die Künstler meistens andere, oft edlere Materialien. Mit dem Übergang des 19. zum 20. Jahrhundert traten Künstler dieser Haltung entschieden entgegen. Unedle Materialien bis hin zum Zivilisationsmüll wurden verwendet. Dieser provokante und spielerische Bruch mit der Akademischen Bildhauerei des 19. Jahrhunderts lieferte der Kunst völlig neue Facetten des Ausdrucks. Das Material wurde nicht zur Nebensache, sondern als Mittel aufgewertet. Auffällig ist, daß Keramik zu dieser Entwicklung im 20. Jh. kaum beigetragen hat und bis heute nur wenig beiträgt. Die oft genannte Begründung, Keramik sei als Material mit zu vielen Vorurteilen behaftet, sie fände daher keinen Zugang zur Ebene der Bildenden Kunst, ist sicher nur die halbe Wahrheit und läßt sich aus der genannten Entwicklung heraus jedenfalls nicht ableiten. Das Dilemma der letzten Jahrzehnte bestand doch offenkundig darin, daß Keramiker fast ausschließlich für keramisch interessierte Kreise wirkten. Wir müssen kritisch erkennen, daß viele, auch prämierte keramische Plastiken deswegen in der Freien Kunst keine Rolle spielten, weil es sie längst gab. Die keramische Plastik muß sich an der zeitgenössischen Bildhauerei und Plastik messen lassen und eben hier bestehen. Sie wird dann bestehen, wenn der Entschluß, mit keramischen Mitteln zu arbeiten, unverkrampft ist. Er muß im künstlerischen Konzept begründet liegen und im Ergebnis unverwechselbar sichtbar werden. Welchen anderen Grund gibt es denn, heute noch in Ton zu arbeiten? Welche andere Legitimation gibt es, für dieses Institut zu lehren? Um die Keramikstudenten zu Wissenden zu machen, ist eine künstlerische ästhetische Materialerforschung notwendig. Sie ist durch handwerkliches Wissen allein nicht zu ersetzen. Es ist nicht die Suche nach keramischen Effekten und auch nicht die Suche nach der oft mißbrauchten Materialgerechtigkeit. Es ist eine subjektive, individuelle Bildung, die sich bei der Suche, beim Entdecken und Erkennen der keramischen Materialien, ihrer Wirkungen, Möglichkeiten und Grenzen selbst vollzieht. Das Entdecken und individuelle Anwenden dieser Klaviatur muß fester Bestandteil der Lehre sein. Der Standort des IKKG bietet dafür besondere Möglichkeiten. Die vielen Berührungspunkte zu Industrie, Handwerk und Forschung können produktiv genutzt werden. Welch ein Schatz steht den Kunststudenten hier zu Verfügung! Indem sie an dem Wissen der Ingenieure und Handwerker teilhaben, können sie den künstlerischen Ausdruck unzähliger Werkstoffe erproben und entdecken. Sie müssen sie nicht neu erfinden. Zitat Gropius: Das Kunstwerk ist immer auch ein Produkt der Technik. Es hat im geistigen Sinne zu funktionieren, wie das Erzeugnis eines Ingenieurs, z.B. ein Flugzeug, dessen unerbittliche Bestimmung es ist zu fliegen. In diesem Sinne kann der künstlerisch Schaffende in ihm ein Vorbild sehen und aus der Vertiefung in seinen Entstehungsvorgang wertvolle Anregungen für sein eigenes Werk empfangen Die genannte ästhetische Materialkunde, das Zeichnen, plastische Gestalten und die Baukunde gehören zu den ersten beiden der o. g. Bereiche, sie sind das ästhetische und gestalterische Wissen, das als sicheres Mittel dient, eine geistige Idee leibhaftig und lebendig zu machen. Sie allein machen aus den Lernenden noch keine Künstler. Kreativität, Begabung und Phantasie liegen in den Menschen selbst, sie können gefördert aber auch erstickt werden. Wichtig ist deswegen, daß das Erlernen der Grundlagen genügend Zeit lässt, in der sich Kreativität entfalten kann. Wir scheinen heute trotz sehr geringer körperlicher Belastung auf neuartige Weise gefangen, durch gesellschaftlich gelebte Hast und Streben nach Hochleistung getrieben, bei gleichzeitiger maximaler Zerstreuung. Die Zeit, die ich fordere, ist kein Vakuum, sie dient zur Konzentration und Entfaltung, sie ist unabdingbar und sollte unantastbar sein. Die Ausbildung, die ich mir vorstelle, soll zu Beginn nicht mit gestellten, vorgefertigten Aufgaben beginnen. Vielmehr sollten in kleinen Gruppen und individuell kreative Arbeitsfelder abgesteckt werden. Daraus lassen sich sinnvolle, verbindliche Aufgaben erarbeiten, die im Anschluß für die mittlere Phase des Studiums bestimmend sind. Offene Diskussionen und Reflexionen begleiten diese Zeit. Im letzten Abschnitt soll die Examensarbeit selbst gewählt, erarbeitet und verteidigt werden. Die Arbeitsweise verlangt Selbstverantwortung, die ich den Studierenden sehr wohl zutraue und eine elastische Schüler - Lehrer Beziehung, die ein Zuhören und das von einander Lernen erlaubt und die ich für die fruchtbarste Beziehung überhaupt halte. In diese Entwicklung hinein soll am Anfang Kunstgeschichte vorsichtig einfließen. Sie darf in ihrer Fülle und Wirkung die eigene Schaffenskraft nicht in Frage stellen. Kunst schafft sich aus dem gegenwärtigen Leben heraus (und weniger aus dem Studium altgriechischer Plastik). Kunstgeschichte ist aber im fortgeschrittenen Studium unabdingbar, um die eigene Arbeit angemessen zu reflektieren. Hierzu gehört insbesondere die zeitgenössische Kunst, zu der wir beitragen wollen und für die das Institut weit geöffnet ist. Von seiner Natur her kann Höhr-Grenzhausen mit den großen Kunstschulen wie Düsseldorf, Köln oder Hamburg nicht konkurrieren. Es bestehen keine vergleichbaren Kapazitäten. Das vorbildlich aufgebaute Programm der internationalen Gastdozenten am IKKG ist aber ein wertvolles und entscheidendes Instrument, um dieses Defizit zu mindern, zumal in diesem Rahmen renommierte Künstler aus allen Sparten verpflichtet und temporär an das Haus gebunden werden können. Die Schule ist Ort der Lehre und sie ist notwendiger und unantastbarer Freiraum der Studierenden, zu experimentieren, zuweilen auch, um exzentrische Vorstellungen künstlerisch zu erproben. Dazu muß gearbeitet und intensiv diskutiert werden. Fragen müssen gestellt werden: Was ist Kunst, Avantgarde, was ist zeitgenössisch? Die Aktualität und die geistige Qualität einer Arbeit spiegelt stets die Qualität der künstlerischen Fragestellung. Einem keramisch arbeitenden Künstler mag man zuweilen den Vorwurf machen, zu sehr an seinem Material zu hängen, zumal dann, wenn das Material die gewählte Thematik nicht mehr transportiert. Es kann also passieren, daß ein Student sich arbeitend von dem entfernt, was sich sinnvoll mit keramischen Mitteln ausdrücken ließe. Es ist sicher falsch, ihn zu einer keramischen Umsetzung zu ermutigen, oder ihn gar zu drängen. Nach ausführlichem Dialog über die künstlerische Konzeption seiner Vorhaben und bei gegebener Zeit sollte er an eine andere Einrichtung wechseln. Hier kommt dem Professor eine Mentorenstellung zu, die sich durch Kontakte zu Kollegen an anderen Universitäten und Hochschulen auszeichnet. Als Mentor den Studierenden während und nach dem Studium zur Seite zu stehen, sie zu fordern und zu fördern, mich in den verschiedenen Gremien für die Belange der Studierenden und des Institutes einzusetzen, dafür möchte ich gleichermaßen arbeiten. Sicherlich fordert die Lehre, die Repräsentation und die administrative Arbeit, die diese Stelle mit sich bringt, sehr viel Zeit. Ich halte es dennoch für außerordentlich wichtig, selbst künstlerisch zu arbeiten. Das eigene Ringen und Schaffen hält das Verständnis für die kommenden Generationen unmittelbar lebendig und ist ein unersetzlicher Zugang zu den Studierenden. Sicher habe ich in den Jahren eine eigene Handschrift entwickeln können. Es ist allerdings nicht meine Auffassung von Lehre und nicht meine Absicht, die Arbeiten der Studierenden durch meine persönliche Auffassung von Formgebung unmittelbar zu prägen. Ich komme nicht mit einer festen Vorstellung, wie Keramik und Kunst im Allgemeinen auszusehen hat. Ich selbst lerne und entdecke als Lehrer. Ich bedanke mich für Ihr Interesse. Zitat griechischer Dichter Seferis - bei W. Gropius Werkband 3, S. 211 Mein Wunsch ist, mit einfachen Worten zu sprechen sei mir die Gnade vergönnt, denn wir haben sogar das Lied so überladen mit unzähligen Melodien, daß es allmählich versinkt. Und unsere Kunst haben wir so verziert, daß unter der Vergoldung ihr Gesicht schon verwest ist. Und nun ist es Zeit die wenigen Worte zu sagen, die wir zu sagen haben, denn schon morgen lüftet die Seele ihre Flügel.

Prof. Jochen Brandt Lebenslauf 1960 in Frankfurt am Main geboren 1981 einjährige Arbeit bei dem Keramiker J. Lembessis auf Sifnos, Griechenland 1982 Fortsetzung der Lehre bei R. Helfrich im Westerwald 1984 Gesellenprüfung Arbeit im eigenen Atelier "Alte Schmiede” in Tönisvorst 1985 Beginn des Studiums an der Universität Kassel GhK, Fachbereich Freie Kunst, Schwerpunkt Keramik bei Prof. Ralf Busz 1986 Studienreise nach Korea 1988 Technischer Assistent bei Prof. Proud, Harrogate, College of Arts and Technology in England 1990 Examen in Kassel neun Monate Arbeit für die GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) in Nepal Forschungsreise nach Thailand, Gastvorlesung an der Chiang Mai University seit 1991 Arbeit als freischaffender Künstler in Usingen Ausstellungen im In- und Ausland Erforschung frühgeschichtlicher Keramiktechniken Europas und des Vorderen Orients Lehraufträge an verschiedenen Schulen, Hochschulen und Universitäten verschiedene Veröffentlichungen seit 2002 Professor am Institut für Künstlerische Keramik und Glas in Höhr-Grenzhausen Auszeichnungen 1985 "Deutsche Keramik 85”, Ankaufsempfehlung der Jury 1988 Hessischer Gestaltungspreis, Belobigung 1989 Internationaler Wettbewerb "Salzbrand 89", Koblenz, Preisträger 1990 Bayrischer Staatspreis für Gestaltung 1992 "Deutsche Keramik 92", Preisträger 1998 Japan, Mino, 5 th International ceramics Festival 98, honorable award Stipendien 1995 Kunststation Kleinsassen 2001 Stipendium des Shigaraki Cera

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