(1842-1940)
1986 initiierte Hartmut Gräf, damals Lehrer an der Helene-Lange-Realschule mit der AG Geschichte eine Dokumentation des jüdischen Friedhofs in Heilbronn-Sontheim. Er und seine Schüler entwickelten ein Datenblatt, in dem sie Angaben zu jedem Grabmal eintrugen. Gräf hatte auch alle Grabmale fotografiert. Ein Friedhofsplan wurde ebenfalls von ihm erstellt. Gräf regte an, auch die epigraphische Aufnahme und Übersetzung der meist hebräischen Inschriften vorzunehmen. 1989 wurde Dan Bondy von der Stadt Heilbronn mit dieser Aufgabe beauftragt. 1990 wurde diese Arbeit vervielfältigt und an verschiedene Institutionen verteilt.
Der jüdische Friedhof in Heilbronn-Sontheim (29,4 Ar) ist ein sogenannter Verbandsfriedhof für Horkheim, Sontheim und Thalheim und liegt ungefähr in der Mitte zwischen diesen Orten. Die erste Bestattung datiert vom 30. Januar 1842. Die Angabe erstes Grabmal ist auf dem Grabstein Nr. 262 (alte Nummer K1) eingemeißelt. Wie auch andernorts gibt es ein getrenntes Kinderfeld entlang der Nordmauer.
378 Eintragungen (314 Erwachsene und 64 Kinder) gibt es im Friedhofsbuch Sontheim, von dem noch ein Mikrofilm erhalten ist, dass die Duisburger Firma Gatermann im Auftrag des NS Reichssicherheitshauptamtes mit vielen anderen jüdischen Unterlagen gefertigt hatte und das heute als Digitalisat über das Hauptstaatsarchiv zugänglich ist. Anhand dieser Eintragungen kann festgestellt werden, dass 10% der Erwachsenen- und an die 50% der Kindergrabsteine fehlen (unter der Annahme, dass jedes verstorbene Kind auch einen Grabstein hatte). Dazu befinden sich viele der Schilfsandsteine in unterschiedlichen Stadien der Verwitterung.
Von den knapp 300 Inschriften sind nur wenige (19) ausschließlich hebräisch verfasst. Die Mehrzahl (160) zeigt über Jahrzehnte (1843 - 1923) eine deutliche Trennung von hebräischem (Vorderseite) und deutschem Text (Rückseite), was auf anderen Friedhöfen nicht über eine so lange Zeit beibehalten wurde. Vielmehr kam es zu einer schnelleren Verdrängung des Hebräischen, so dass die Rückseiten wieder ohne Text blieben. Diese neue Form wird zwar eine Zeitlang vorherrschend (ca. 1870 - 1885), doch dann überwiegt die sprachliche Trennung wieder. Endgültig leert sich die Rückseite von Text erst im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Ab 1909 gibt es die ersten nur deutschen Inschriften (67). Von den 30er Jahren bis zum Ende (1940) finden sich wieder mehr zweisprachige Texte.
Die Zahl der genuin jüdischen Symbole (26), etwa segnende Priesterhände, Levitenkannen, David-Schild und Schofar (Widderhorn), ist relativ niedrig. Doppelt so hoch ist die Anzahl der nicht-jüdischen Symbole, wie z.B. gebrochene Rosen, Mohnkapseln als Symbol des ewigen Schlafes sind neun Mal vertreten. Als Schmuck dienen auch eine Reihe (14) von fünfzackigen Sternen (Pentagramm); wahrscheinlich ist keine besondere jüdische Relevanz damit intendiert.
Es gibt überdurchschnittlich viele aufwendige und ausführliche hebräische Texte (z.B. Nr. 1, 2, 7, 24, 33, 41, 71, 74), wie auch auffällig viele und ausführlich gehaltene deutsche Texte (z.B. Nr. 1, 2, 6, 12, 52, 78, 123, 134, 138, 147, 153-4).
Diese deutschen Texte suchen zu einem Teil Elemente der hebräischen Inschriften, und das ist selten, wiederzugeben und in deutsches Sprachgewand zu transferieren. Beispiele: Der deutsche Text in Edenswohnungen steht nun dein Traualtar ist identisch mit dem hebräischen, der in der Übersetzung lautet: im Garten Eden wird dein Trauhimmel errichtet (Nr. 2), vereint mit jenen verklärten Stammmüttern Israels gegenüber mit Sara und Riwka (= Rebekka) habe Anteil (Nr. 13); deutscher Text: Hier ruhen wie im Leben so auch im Tode vereint als Übersetzung des hebräischen Textes Hier sind begraben, im Leben wie im Tode nicht geschieden (Nr. 25) und das biedere Weib einst die Zierde ihres Hauses im deutschen, die tüchtige Gattin, Zierde ihres Gatten und ihrer Kinder im hebräischen Text (Nr. 48). Einige der deutschen Texte bieten eine vollständige Wiedergabe des hebräischen (Nr. 2, 12, 48 u.a.), andere geben nur einen Teil der Inschrift im Deutschen wieder (Nr. 22, 59, 74 u.a.). Andererseits fügen sie auch einen vom hebräischen Text unabhängigen Inhalt hinzu, etwa das Geburtsdatum (Nr. 56, 92, 138, 169 u.v.m.) sowie Sätze und Denksprüche: Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt ist nicht gestorben sondern ist nur fern (Nr. 184), etwas abgewandelt Nrn. 191 3 Dem geheiligten Andenken der geliebt. Gattin und Mutter (Nr. 106), die sich an die gebräuchlichen Konventionen der Zeit halten oder anlehnen.
Schließlich finden sich auch, unabhängig vom hebräischen Text, Zitate aus biblischen Büchern, vorrangig aus dem Buch der Sprüche (Nr. 48, 137, 176, 210 u.a.) und aus den Psalmen (Nr. 46, 74, 134, 158 u.a.), aber auch aus Jesaja (Nr. 6, 119), Prediger (Nr. 2, 140), einmal auch aus dem nachbiblischen Traktat Sprüche der Väter (Nr. 163). Nicht immer ist die deutsche Wiedergabe eines Bibelzitates gleichlautend (Nr. 144 und 162 beide Psalm 34,20). In einigen Fällen (Nr. 119, 138, 149, 150 und 163) wird die Bibelstelle mit angegeben.
In den hebräischen Texten findet sich mehrmals die Betonung von Eden als dem Ort des Paradieses, jedoch nicht von Auferstehung. Im Deutschen ist die Betonung auf Wiedersehen, aber seltener auf Eden. Einige Male ist im Deutschen Auferstehung erwähnt.
Die Eulogien sind relativ lang, dabei variierend, keineswegs finden sich immer wieder die gleichen Formen und Formalen wie oft andernorts. Es sind Reime (Nr. 2, 6, 10, 19, 32, 49, 123, 162 u.a.), Akrosticha (z.B. Nr. 6, 7, 13, 24, 33, 49, 88) und ein Chronogramm (Nr. 30), die einer Inschrift stärkeren formalen wie auch inhaltlichen Ausdruck verleihen.
Entsprechend der regionalen Vorschriften werden innerjüdische Funktionen mit Kirchenvorsteher (z.B. Nr. 10, 11, 17, 42, 117) und Kirchenpfleger (Nr. 28) umschrieben. Seltener ist eine wörtliche Übersetzung aus dem Hebräischen (wie: Vorsteher Nr. 66, Vorsänger Nr. 25). Der jüdischen Tradition entsprechend fehlen auch hier weltliche Berufsangaben ganz.
Heilbronn-Sontheim ist insgesamt ein ausgeprägter und unzweifelhaft individuell wirkender jüdischer Begräbnisplatz, dessen Steine und Inschriften eine selten so gelungene Synthese bzw. den Versuch einer Synthese von althergebrachter Frömmigkeit mit der deutschen Modernität der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigen. Die ist bemerkenswert und zeigt, wie diese jüdischen Bürger bestrebt waren, ihre jüdischen Traditionen und Ideale auch auf dem Friedhof so zum Ausdruck zu bringen, dass sie von den christlichen Mitbürgern (und den des Hebräischen inzwischen teilweise unkundigen Juden) verstanden und angenommen werden konnten. Anders ausgedrückt: Solche fast schon städtischen Gemeinden legten Wert darauf, anders als reine Landgemeinden wie z.B. die in Berlichingen oder Bödingheim, ihre Werte, ihre spezifisch jüdischen Werte auch oder doch wenigstens teilweise in die deutsche Sprache zu übertragen, so dass sie den Respekt, die Anerkennung, kurz die volle Gleichberechtigung mit der christlichen Mehrheitsgesellschaft erreichen würden. Dieser Friedhof ist somit aus vielen Gründen, denen jüdischer Religion und Kultur wie solchen jüdisch-deutscher und deutscher jüdischer Geschichte ein hochwertiger und zu erhaltener Guter Ort.
Sterberegister Heilbronn-Sontheim (1843-1929), Hauptstaatsarchiv Stuttgart, J 386 Bü 521 (http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-446741)
Dan Bondy
Hartmut Gräf
Digitale Edition - Jüdischer Friedhof Heilbronn-Sontheim (1842-1940 / 294 Einträge)
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Steinheim-Institut
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