(1841-1925)
Auf dem jüdischen Friedhof in Quedlinburg haben sich heute keine Grabsteine mehr erhalten. Doch existieren Archivaufnahmen aus dem Jahr 1943, die auf Betreiben des damaligen Denkmalkonservators der Provinz Sachsen angefertigt wurden (heute im Stadtarchiv Quedlinburg). Sie zeigen 14 Grabsteine aus der Zeit zwischen 1844/47 und 1925, die im Rahmen der Abfassung eines Überblickartikels über die jüdischen Friedhöfe in Sachsen-Anhalt (s.u.) im Jahr 1997 bearbeitet wurden.
Zur Geschichte des 1814 angelegten Friedhofs, der wahrscheinlich insgesamt um die 150 Grabstellen umfasst haben muss, und der heute nach insgesamt vier Instandsetzungs- bzw. Umgestaltungsarbeiten (letztmalig 1977) keine Grabsteine mehr aufweist, siehe ausführlich bei E. Brecht und M. Kummer, Juden in Quedlinburg (s.u.), S. 26f. und 37f.
Dan Bondy und Nathanja Hüttenmeister: "Jüdische Friedhöfe in Sachsen-Anhalt", in: Wegweiser durch das jüdische Sachsen-Anhalt, hrsg. von Jutta Dick und Marina Sassenberg, Potsdam 1998, S. 358-371.
Michael Brocke, Eckehard Ruthenberg und Kai Uwe Schulenburg: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), Berlin 1994, S. 567f.
Eberhard Brecht und Manfred Kummer: Juden in Quedlinburg. Geschichte, Ende und Spuren einer ausgelieferten Minderheit, Halberstadt 1996.
Stadtarchiv Quedlinburg, Historische Archive Quedlinburg, Fotos, Jüdischer Friedhof
Zu den Aufnahmen der Grabmale
Die erhaltenen 18 Aufnahmen zeigen 14 Grabsteine aus einem Zeitraum von über 80 Jahren. Die ältesten datierten stammen aus den 1840er Jahren (Nr. 4: 1844/47?, Nr. 23: 1845, Nr. 2: 1845?, Nr. 3: 1849), der jüngste Stein von 1925 (Karl Kulp). Bei vier Grabsteinen (Nrn. 12, 30, Neuer Teil Karl Kulp und S. Falkenburg) wurden auch die beschrifteten Rückseiten fotografiert.
Aus der Beschriftung der Aufnahmen geht hervor, dass der Friedhof einen alten und einen neuen Teil gehabt haben muss. Die Grabsteine des alten Teils tragen Nummern, die offensichtlich nicht mit der Chronologie übereinstimmen. Daher ist erstens zu vermuten, dass sie zur Lokalisierung eines Steins auf dem Gelände dienten, die Grabmale also in einer bestimmten Reihenfolge durchnummeriert wurden. (Auf der alten Überblicksaufnahme sind deutlich Reihen zu erkennen, eine Nummerierung entlang dieser Reihen liegt damit nahe.) Daraus lässt sich zweitens schließen, dass die Belegung des Friedhofs nicht streng chronologisch erfolgt sein kann.
Die Grabsteine des alten Teils tragen die Nummern 2 bis 7, 11, 12, 15, 23, 29 und 30. Der alte Teil des Friedhofs hat also mindestens 30 Grabmale enthalten. Die Nummern der Negative gehen von 6 bis 19 und 21 bis 24. Daher ist zu vermuten, dass es ursprünglich mindestens sechs weitere Aufnahmen gegeben hat (Nrn. 1-5, 20). Drei der Aufnahmen von Grabsteinen ohne eventuell beschriftete Rückseite (Nrn. 6, 7 und 29) tragen umstehend Angaben zu bürgerlichen Namen und Daten der Verstorbenen. Wenn diese nicht aus dritter (späterer?) Quelle stammen, ist zu vermuten, dass auch diese Grabsteine eine Deutsch beschriftete Rückseite aufwiesen, die aber nicht fotografiert wurde.
Die Aufnahmen aus dem Jahr 1943 zeigen deutlich, dass bereits damals die Verwitterung im meist weichen Sandstein (dem hier und allgemein vorherrschenden Material) deutliche Spuren hinterlassen hatte.
Inwiefern diese wenigen Steine als repräsentativ für den Quedlinburger jüdischen Friedhof insgesamt betrachtet werden können, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Doch zeigen noch diese wenigen Beispiele Merkmale und Entwicklungen, die es sich aufzuzeigen lohnt.
Zur Gestaltung der Grabmale
Bei der geringen Anzahl erhaltener Beispiele fällt die ähnliche Gestaltung vieler Male auf: Zehn der 14 Grabsteine schließen mit variierenden Rundbögen, eine Form, die häufig als jüdisch bezeichnet wird. Sechs dieser Steine zeigen aber eine in Quedlinburg offensichtlich besonders beliebte Variante: breite Stelen mit geschweiftem Rundbogenabschluss, im Giebel entweder gekreuzte Palmwedel oder Schmetterling. Diese Symbole herrschen deutlich vor: Palmwedel (Nrn. 2, 3, 4, 12, 23), Schmetterling (Nr. 2) sowie Schmetterling und Sonne mit Gesicht und Strahlen (Nr. 5), allesamt keine genuin jüdischen Symbole. Ein Stein zeigt florale Ornamentik (Nr. 29). Ein jüdisches Symbol ist hier nur der (relativ junge) Davidstern auf einem einzigen Stein des Neuen Teils des Friedhofs (Karl Kulp), kombiniert mit einer Urne. Ob es weitere jüdische Symbole auf den Grabmalen in Quedlinburg gab, lässt sich anhand der Aufnahmen nicht mehr feststellen. Keine der Aufnahmen zeigt den Stein eines Kohen, so dass das ansonsten häufig auf jüdischen Friedhöfen zu findende Symbol der segnenden Priesterhände hier nicht zu finden sein kann. Ebenso verhält es sich mit dem Symbol der Kanne als Zeichen levitischer Abkunft: hier nur Nr. 4, bei dem es sich aber um den Grabstein einer Frau handelt, bei denen sich dieses Zeichen nur sehr selten findet.
Die Mehrzahl der hebräischen Inschriften sind (mehr oder weniger) zentriert (Ausnahme: der jüngste Stein, Karl Kulp), teilweise füllen sie das gesamte Schriftfeld aus. Die Kalligraphie bleibt bei den alten Grabmalen trotz der vorhandenen Symbolik jedoch das bestimmende Gestaltungsmerkmal. Die Schriftgröße fällt sehr unterschiedlich aus. Bei den meisten alten Steinen wurden Kopf- und/oder Schlusszeile durch größere Buchstaben hervorgehoben.
Die Buchstaben mehrerer Steine sind - vermutlich in jüngerer Zeit - mit schwarzer Farbe nachgezogen worden. Dies führt teilweise zu Verfälschungen der Inschrift.
Zu den Inschriften
Alle aufgenommenen Grabmale tragen eine hebräische Inschrift, vier davon auch eine deutsche auf der jeweiligen Rückseite des Steins (Nrn. 12, 23, 30, Karl Kulp), die älteste 1851 (Nr. 12). Eine Ausnahme bildet hier nur der (einzige) Doppelstein Nr. 30: Während der 1904 gestorbene Adolf Rosenberg noch eine hebräische und eine deutsche Inschrift erhielt, wurde für seine vier Jahre später verstorbene Gattin nur noch eine deutsche verfasst.
Längere hebräische Inschriften, insbesondere Eulogien, bei Steinen von 1904 und 1925 waren keine Selbstverständlichkeit mehr und mögen hier als ein Hinweis auf das Festhalten des/der Verstorbenen an der alten Tradition oder sogar auf eine insgesamt relativ traditionelle Gemeinde gesehen werden. Gleiches gilt für die Datierung mittels jüdischer Feiertage bei der hebräischen Inschrift auf Stein Nr. 30. Mit allgemeinen Schlüssen sollte man aber bei der geringen Anzahl von Beispielen vorsichtig sein.
Die Eulogien der hebräischen Inschriften des alten Teils verwenden zwar bekannte wie auch seltenere Bibelzitate, versuchen aber Eigenständigkeit zu zeigen in deren Kombination (z.B. Nr. 4). Die hebräische Inschrift von 1925 (B) dagegen zeigt nur noch in ihrem Aufbau, quasi im Rahmen (Kopf- und Schlusszeilen) traditionelle Merkmale. Die Eulogie ist dagegen eigenständig verfasst und drückt neue Inhalte aus, insbesondere die persönliche Betroffenheit der hinterbliebenen Gattin.
Dan Bondy, Nathanja Hüttenmeister
Digitale Edition - Jüdischer Friedhof Quedlinburg (1841-1925 / 15 Einträge)
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Steinheim-Institut
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