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Baden-Württemberg
Böblingen (Kreisstadt)
Jüdische Geschichte
Übersicht:
Zur jüdischen Geschichte
in Böblingen
In Böblingen lebten einige Juden im Mittelalter und seit der Mitte des
19. Jahrhunderts.
Im Mittelalter kam es möglicherweise zur Gründung einer jüdischen Gemeinde, doch ist von Einrichtungen einer solchen Gemeinde nichts bekannt.
Vor 1643 gab es in der Stadt eine "Judengasse" die an die
mittelalterliche Ansiedlung erinnerte (Lage unbekannt). In Lagerbüchern von 1523 und 1587 wird ein
"Judenacker" in der "Zelg Northalden" genannt (genaue Lage nicht mehr
bekannt)
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind wenige jüdische Personen /
Familien in Böblingen zugezogen, ohne dass es zur Bildung einer jüdischen
Gemeinde gekommen ist. Nach den Ergebnissen der Volkszählungen wurden in
Böblingen erfasst: bis 1844 keine jüdischen Einwohner, 1846 und 1858 je
sieben, 1864 vier, 1867 drei, 1875 drei, 1880 ein jüdischer Einwohner, 1890 und
1895 je vier, 1900 zwei, 1905 vier, 1910 und 1925 je drei, 1933 zwei.
Die jüdischen Einwohner Böblingens gehörten zur Synagogengemeinde in Stuttgart.
In Böblingen verstorbene jüdische Personen wurden gleichfalls in Stuttgart
beigesetzt. Im israelitischen Teil des
Pragfriedhofes wurden beigesetzt: Gustav Bodenheimer (Kaufmann, Inhaber der
Zigarrenfabrik Böblingen, wohnhaft in Stuttgart, gest. 1910), Jakob
Krailsheimer (Kaufmann, Teilhaber der Stuttgarter Firma Moritz Krailsheimer und
Sohn, Baumwollwarenfabrikation und En-Gros-Geschäft, gest. 1893 in Böblingen),
Erwin Freudenthal (s.u. gest. 1917), Ludwig Maier (s.u., gest. 1919), Rolf Kahn
(s.u., gest. 1932), Lyon Sussmann (s.u., gest.
1935).
Zwei Textilfirmen waren im 19./20. Jahrhundert in jüdischem Besitz, vor allem die
Mechanische Trikotweberei Ludwig Maier & Sohn (Firma des Büstenhalters "Hautana"
im Industrieareal zwischen Bahnhof und Altstadt, bis 1939). Sie wurde 1867 in
Stuttgart-Wangen gegründet von Ludwig Maier, dem Sohn des Stuttgarter Rabbiners Dr.
Josef von Maier, und 1884 - nach dem Bau der Gäubahn - nach Böblingen verlegt.
Ludwig Maier lebte
mit seiner Familie in Stuttgart (verheiratet mit Rosalie geb. Israel); er starb im Juni 1919.
Die Trikotwarenfabrik in Böblingen erlangte unter Leitung von
Lyon Sussmann (geb. 1843 in Tauberbischofsheim, seit 1878 Teilhaber in
der Firma von Ludwig Mayer, gest. 1935) Weltruhm. 1913, als die Firma mehr als
300 Beschäftigte hatte, wurde Sussmann Ehrenbürger Böblingens. Sussmann war
verheiratet mit Jeanette geb. Israel (1850-1928). Er schuf in Böblingen
vorbildliche Sozialeinrichtungen (erster Böblinger Kindergarten in der Langen
Straße) und
wohltätige Stiftungen. Er starb am 8. Februar 1935. Zu seinem 50. Todestag im
Februar 1985 wurde von der Stadt Böblingen ein Kranz an seinem Grab im
Pragfriedhof niedergelegt. In Böblingen erinnern an ihn die
"Lyon-Sussmann-Straße" und an seine Firma die "Hautana-Passage", "Hautana-Parkhaus",
"Hautana-Wohnanlage".
1933 lebten nach dem Ergebnis der Volkszählung zwei jüdische Personen in
Böblingen (vermutlich das Ehepaar Hans Kahn und Bertha Kahn).
Von den in Böblingen geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Adolf Kahn (1892), Berta Kahn geb.
Bauernfreund (1889), Hedy Kahn geb. Löwenstein (1896).
Berichte aus der
jüdischen Geschichte in Böblingen
Berichte
zu einzelnen jüdischen Personen und Gewerbebetrieben
Zur Mechanischen Trikotweberei
Stuttgart - Ludwig Maier & Co., AG.. Böblingen
Allgemeiner Bericht zur Mechanischen Trikotweberei Stuttgart - Ludwig
Maier & Co., AG. Böblingen (1931)
Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. Dezember 1931: "Mechanische
Trikotweberei Stuttgart Ludwig Maier & Co. AG, Böblingen.
Zu den altangesehenen Firmen der württembergischen Trikotagenindustrie zählt
auch die obige Firma: sie wurde 1863 von Ludwig Maier unter seinem
Namen in kleinerem Umfang in Stuttgart gegründet. Unter verschiedenen
Wechselfällen entwickelte sich die Firma weiter, und bereits 1878 trat
Lyon Sußmann als Teilhaber ein. Von da ab firmierte das Unternehmen:
Mechanische Trikotweberei Stuttgart Ludwig Maier & Co.
Der Aufschwung der Württembergischen Trikotagenindustrie erforderte auch bei
dieser Firma weitgehende Maßnahmen, um mit der allgemeinen Entwicklung
Schritt zu halten. Sie wurde 1886 mit dem Fabrikbau in Böblingen begonnen,
und darauf die gesamte Fabrikation dorthin verlegt. Einen ganz besonderen
Aufschwung nahm die Firma unter der persönlichen Leitung von Lyon Sußmann,
diesen geschäftlicher Weitblick die Arbeits- und Absatzgebiete des
Unternehmens immer mehr erweiterte. 1906 trat Lyon Sußmanns Sohn, Hans H. Sußmann*, als Teilhaber ein, dessen Tod im Jahre 1925 den Vater seines besten
Mitarbeiters, mit dem zusammen er seinem Unternehmen immer mehr den
Auslandsmarkt erschloss, beraubte. Lyon Sußmann ist trotz seines hohen
Alters heute noch als Vorsitzender des Aufsichtsrats (1922 wurde die Firma
in eine AG umgewandelt) in dem zu großem Ansehen gelangten Unternehmen
tätig. Das technisch hervorragend eingerichtete Werk - ein Spezialerzeugnis
ist der 'Hautana-Büstenhalter' - stellt Trikotunterkleidung aller Art in
besserer Ausführung her. Die Beschaffenheit dieser Fabrikate haben in allen
Kreisen uneingeschränktes Lob gefunden. Seit längerer Zeit wurde auch die
Herstellung von kunstseidenen Artikeln aufgenommen. "
*Anmerkung: Hans Heinrich Sußmann starb am 7. August 1925 und wurde
im israelitischen Teil des Pragfriedhofes in Stuttgart beigesetzt
(Urnenbestattung); am 15. Dezember 1938 wurde die Urne nach England
verbracht, wohin seine Frau Erna geb. Simon mit den Kindern emigriert war.
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Die Werksanlagen der
Böblinger Firma Hautana auf einem Firmenprospekt (1924)
(Quelle: Stadtarchiv Böblingen; Website
https://www.zeitreise-bb.de/hautana/)
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Grabmal
für Familie Ludwig Maier im Israelitischen Teil des Pragfriedhofes Stuttgart
(Foto 1990er-Jahre: Hahn) |
Erwin Freudenthal, Prokurist der
mechanischen Trikotweberei Ludwig Maier & Co. wird beim Kriegseinsatz dekoriert
(1915) und ist zwei Jahre später gefallen (1917)
Anmerkung: Erwin Freudenthal ist geboren am 6. Mai 1883 als Sohn des
Kaufmanns Isidor Freudenthal (Teilhaber von Freudenthal und Heß,
Baumwollwaren en gros in Stuttgart) und seiner Frau Lina geb. Sussmann.
Lina war die jüngste Schwester von Lyon Sussmann und ist am 4. Januar 1861 in
Tauberbischofsheim geboren. Lina Freudenthal wurde nach der Deportation im Juni
1942 im KZ Sobibor ermordet. Isidor Freudenthal ist bereits 1916 gestorben (Grab
im israelitischen Teil des Pragfriedhofes Stuttgart).
Familienregister TBB:
http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-446800-45 und geni.com
https://www.geni.com/people/Lina-Freudenthal/6000000049688155058
Mitteilung
in "Dr. Bloch's österreichische Wochenschrift" vom 16. Juli 1915: "Auszeichnungen
jüdischer Krieger mit dem Eisernen Kreuz. (Bisher wurden 3225
mitgeteilt, in der vorliegenden Nummer 87, zusammen 3312.)
Eisernes Kreuz 1. Klasse.
Frankfurt am Main. Wilhelm Frankl, Offizierstellvertreter,
Flugzeugführer (Ritter des Eisernen Kreuzes 2. Klasse).
Eisernes Kreuz 2. Klasse.
Böblingen. Erwin Freudenthal, Prokurist der mechanischen
Trikotweberei Stuttgart Ludwig Maier und Co. und Beförderung zum
Offizier-Stellvertreter. " |
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Mitteilung
in der "Neuen jüdischen Presse" vom 9. November 1917: "Gestorben.
Mathilde Ehrmann geb. Arnstein, 67 Jahre, Fürth. - Hugo Kaufmann, Bamberg,
im Feld. - Albert Cosmann, 65 Jahre, Essen. - Erwin Freudenthal,
Böblingen, im Feld. - Karoline Weißmann, geb. Schafheimer, 71
Jahre,..." |
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Grabstein
für Erwin Freudenthal innerhalb des Hains für Gefallene des Ersten
Weltkrieges im Israelitischen Teil des Pragfriedhofes in Stuttgart
(Foto 1990er-Jahre: Richard Klotz). |
Zum 85. und zum 90. Geburtstag von Lyon Sussmann,
Seniorchef der Mechanischen Trikotweberei (1933)
Anmerkung: Lyon Sussmann ist laut Familienregister Tauberbischofsheim
http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-446800-45 am 31. Oktober 1843
in Tauberbischofsheim geboren als
Sohn des Moses Sußmann (1815-1888, Grab israelitischer Teil des Pragfriedhofes
Stuttgart) und seiner Frau Sophie geb. Feldheim (1816-1875, Grab in
Külsheim). Er zog 1868 nach Stuttgart und
wurde 1878 Teilhaber der Fa. Mechanische Trikotweberei Ludwig Maier & Co.;
weitere Geschichte siehe die nachfolgenden Artikel bzw. oben.
Genealogische Informationen zu Moses Sussmann und Familie: https://www.geni.com/people/Moses-Sussmann/6000000049688740837
Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 16. November 1928: "Stuttgart. Am 1. November
dieses Jahres konnte Lyon Sußmann, Seniorchef der Mechanischen Trikotweberei
Stuttgart, Ludwig Maier und Co. AG in körperlicher und geistiger Frische
seinen 85. Geburtstag feiern. Der Jubilar, der Ehrenbürger der Stadt
Böblingen ist, hat sich trotz schwerster Schicksalsschläge in seiner
Familie bis ins hohe Greisenalter eine seltene Tatkraft bewahrt, der auch
der große Aufschwung seines Hauses zu verdanken ist. Der Festtag gab weiten
Kreisen Gelegenheit, ihm ihre Wertschätzung zu bezeugen. " |
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Lyon Sussmann an seinem 85.
Geburtstag (1928) im Kreis der Belegschaft seiner Firma.
(Quelle: Stadtarchiv Böblingen; Website www.zeitreise-bb.de).
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Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. November 1933: "Stuttgart. Lyon
von Sußmann, dem Nestor der hiesigen israelitischen Gemeinde, ist es
vergönnt, am 1. November in voller, geistiger Frische seinen 90. Geburtstag
begehen zu dürfen. Er ist im Jahre 1868 von seinem Geburtsort
Tauberbischofsheim hierher
übersiedelt. Durch seine Tatkraft und seinen kaufmännischen Weitblick hat
die Mechanische Trikotweberei Ludwig Maier & Co. einen bedeutenden
Aufschwung genommen und sich zu einem der angesehendsten industriellen
Unternehmen unseres Landes entwickelt. Die Stadt Böblingen hat Lyon
von Süßmann vor längerer Zeit in Anerkennung seiner Verdienste zum
Ehrenbürger ernannt.
Möge dem Jubilar, der in den letzten Jahren durch den Tod seiner Frau und
zweier verheirateter Kinder schwer heimgesucht wurde, ein angenehmer
Lebensabend beschieden sein." |
Zum Tod von Lyon Sussmann (1935)
Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 16. Februar 1935: "Stuttgart. Im
hohen Alter von 91 Jahren verschied am 8. Februar Lyon Sußmann,
dessen Name weit über Stuttgarts Grenzen hinaus bekannt war. Im Jahr 1878
trat Lyon Sußmann als Teilhaber in die von Ludwig Maier 1863 in Stuttgart
begründete gleichnamige Firma ein, aus der sich die Mechanische
Trikotweberei Stuttgart Ludwig Maier & Co. AG, Böblingen, entwickelte. Unter
der persönlichen Leitung Lyon Sußmanns, dessen geschäftlicher
Weitblick die Arbeits- und Absatzgebiete des Unternehmens immer mehr
erweiterte, nahm die Firma einen ganz besonderen Aufschwung; sie gehört auch
heute zu den führenden Firmen der Branche. Das Andenken des sich in
weitesten Kreisen höchster Wertschätzung erfreuenden Mannes wird in unserer
Gemeinde und in der Geschäftswelt stets in hohen Ehren gehalten werden."
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Grabmal für Lyon Sussmann (1843-1935) und
Jeanette Sussmann geb. Israel (1850-1928) im Israelitischen Teil des
Pragfriedhofes in Stuttgart
(Foto 1990er-Jahre: Hahn) |
Anzeigen der Mechanischen Trikotweberei Ludwig Maier & Co.
(1924, 1932)
Anzeige
in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift der "Central-Vereins"
vom 17. April 1924:
"Sanitas-Elastica. Die elegante, hygienische Unterkleidung für Herren Damen und Kinder.
Mechanische Trikotweberei Stuttgart Ludwig Maier & Co. A.-G. in
Böblingen". |
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links: Die Hersteller des
"Hautana"-Büstenhalters werben 1932 gemeinsam für das Produkt:
sowohl die (gleichfalls jüdische) Firma S. Lindauer & Co. (Korsettfabrik,
Stuttgart-Cannstatt) wie auch die Mechanische Trikotweberei Ludwig Maier & Co. A.G.
in Böblingen
(Quelle: Stadtarchiv Böblingen; Website www.zeitreise-bb.de)
. |
Über die Familien Levi und Kahn
Familie Levi:
Löw Levi (geb. 2. September 1803 in Nordstetten als Sohn von Emanuel Levi von
Nordstetten und der Schenle geb. Ottenheimer) und seine Frau Bela geb. Rothschild
(geb. 29. November 1807 in Nordstetten als Tochter von Herz Moses Rothschild von
Nordstetten und einer Frau Hindel geb. Jakob von
Mühringen) lebten - vgl. oben die
Volkszählungsergebnisse - seit etwa 1845 in Böblingen. Die beiden hatten mehrere
Kinder: Fanni (geb. 22. Dezember 1834, später verzogen nach
Jöhlingen), Moses (geb. 30.
Dezember 1836, ausgewandert), Helena (geb. 6. April 1839), Joseph (geb. 14. Juli
1841), Emanuel (geb. 20. November 1843, gest. 16. Januar 1844), Jeanette (geb.
8. Juni 1845, gest. 19. September 1856) und Bertha (geb. 9. August 1848 in
Böblingen).
Löw (Leopold) Levi war als Handelsmann in Böblingen tätig (nach Anzeigen im
"Böblinger Boten" von 1861 handelte er mit Einrichtungsgegenständen wie Betten,
Matratzen, Bettfedern, Möbeln u.a.m.). Später kamen Lederwaren und Textilien und
anderes mehr dazu. Mindestens bis 1868 lebte die Familie in Böblingen und ist
dann von hier verzogen. Die weitere Geschichte ist nicht bekannt.
Quelle: u.a. Recherchen von Hans-Jürgen Sostmann, Böblingen.
Familien Kahn:
Zu Sigmund Kahn: Sigmund Kahn ist am 14. Juni 1879 in
Baisingen als Sohn von Hirsch Kahn und
seiner Frau Sophie geb. Levi geboren. Er war seit 21. November 1909 verheiratet
mit Berta geb. Bauernfreund (geb. 1. Juni 1889 in
Schluchtern als Tochter von Isaak
Bauernfreund und seiner Frau Auguste geb. Erlebacher), mit der er drei Kinder
hatte: Senta (geb. 1910), Heinz (geb. 1912) und Hans Max (geb. 1916).
Zu
Adolf Kahn: Adolf Kahn ist am
25. Juni 1892 in Baisingen als Sohn von
Hirsch Kahn und seiner Frau Sophie geb. Levi geboren. Er war verheiratet mit Hedwig (Hedy) geb. Löwenstein
(geb.
am 23. März 1896 in Frankfurt am Main).
Sigmund Kahn war bereits um 1900 von Baisingen aus als Viehhändler in Böblingen
und Umgebung tätig. Er übernachtete dazu regelmäßig im Gasthof "Zum Bären" am
Oberen See. Später hatte er eigene Stallungen angemietet. Um 1910 kaufte er in
Böblingen eine Haushälfte an der Neuen Stuttgarter Straße 10. Um 1920 zog auch
sein Bruder Adolf nach Böblingen.
Sigmund Kahn starb am 12. April 1928 (siehe Bericht unten). Seine Frau Berta
verzog wenig später mit ihren Kindern nach Stuttgart zu ihrem Bruder Ludwig, der
in Stuttgart eine Lampenfabrik betrieb. In der NS-Zeit konnten die Kinder Senta
(inzwischen verheiratete Schwarz) nach Amerika emigrieren, Hans Max emigrierte
1937 nach Südafrika und Heinz 1938 nach Bolivien. Nach dem Novemberpogrom 1938
musste Berta Kahn in ein "Judenhaus" in der Urbanstraße 116 umziehen. Ende 1941
wurde sie nach Riga deportiert und dort ermordet.
Adolf und Hedy Kahn wohnten nach dem Wegzug von Böblingen bis 1935 in Stuttgart, ab 1935 in Köln (Eburonenstraße
10)
Beide wurden deportiert ab Köln am 22. Oktober 1941
in das Ghetto Litzmannstadt, Adolf Kahn ist umgekommen am 7. Dezember 1943 in Litzmannstadt
vgl. Gedenkseite aus Yad
Vashem und https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1659730;
im Gedenkbuch Köln:
https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/default.aspx?sfrom=1214&s=2460&id=6006&buchstabe=K
Hedy Kahn kam vom Ghetto Litzmannstadt in das Vernichtungslager Ghetto Kulmhof
am 23. Juni 1944, wo sie ermordet wurde, vgl.
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1477342;
im Gedenkbuch Köln:
vgl. Gedenkseite und
Foto aus dem Archiv Yad Vashem.
Geschichte des Sohnes Heinz Kahn (geb. 1923 in Böblingen, gest. 2018 Silver Spring):
Lebenserinnerungen siehe
https://www.ushmm.org/remember/holocaust-survivors/volunteers/henry-kahn
.
Der Sohn Rolf Kahn (geb. 1925, gest. 1932, Grab im Pragfriedhof
Israelitischer Teil in Stuttgart, siehe Foto unten)
Quelle: u.a. Recherchen von Hans-Jürgen Sostmann, Böblingen.
Dokumente, Artikel und Anzeigen zu den Familien Kahn
Geburtsanzeige für den Sohn Heinz von Adolf Kahn und Hedy
geb. Löwenstein (1923)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 25. Januar 1923:
"Die - Gott sei gepriesen - glückliche Geburt eines gesunden
Knaben zeigen hocherfreut an
Adolf Kahn und Frau Hedy geb. Löwenstein.
Böblingen bei Stuttgart, 18. Januar." |
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Grabstein
für Rolf Kahn (1925-1932) im Israelitischen Teil des Pragfriedhofes in
Stuttgart.
(Foto 1990er-Jahre: Hahn) |
Zum Tod von Moses Löwenstein, Vater
von Hedy Kahn geb. Löwenstein (Frankfurt 1926)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. April 1926: "Verwandten
und Freunden die traurige Nachricht, dass unser innigst geliebter, guter
Vater, Großvater, Bruder und Schwager
Herr Moses Löwenstein
heute Nacht nach kurzem Krankenlager, wenige Monate nach dem Ableben seiner
treugeliebten Gattin, sanft entschlafen ist.
Frankfurt am Main, Hamburg, Böblingen
Uhlandstraße 48 18. April 1926.
Die in tiefer Trauer Hinterbliebenen I.d.N.
Jakob Seligmann und Frau Adda geb. Löwenstein
Adolf Kahn und Frau Hedi geb. Löwenstein
Erna Löwenstein." |
Zum Tod von Viehhändler Siegmund
Kahn (1928)
Artikel
in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden Württembergs" vom
1. Mai 1928: " Baisingen.
Hier wurde am Tage nach Pessach der in weiten Kreisen des Landes bekannte
Viehhändler Siegmund Kahn zu Grabe getragen. Nach langjähriger
Leidenszeit erlag er den Verwundungen, die er sich als Stoßtruppführer im
Kriege zugezogen hatte. Die Beliebtheit, deren sich der nunmehr Entschlafene
allerwärts erfreute, bekundete sich in der herzlichen Teilnahme der
Ortsbewohner wie der auswärtigen Freunde. Ein Trauergefolge von hier nur
selten zu verzeichnender Stattlichkeit zeugte von der Wertschätzung des
Dahingegangenen. Der hiesige Kriegerverein erwies ihm die üblichen
militärischen Ehren, obgleich der Kamerad seit einiger Zeit in Böblingen
wohnte und, wie immer an den religiösen Festtagen, mit seiner Familie die
Pessachtage hier verbrachte. Rabbiner Dr. Schweizer,
Horb, Hauptlehrer Unikower,
Baisingen, Oberlehrer Kahn,
Laupheim, als Bruder, sowie ein
Vertreter eines Böblinger Freundeskreises widmeten dem Verstorbenen
herzliche Gedenkworte." |
Gedenkblätter und Erinnerungen
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Gedenkblatt
für Adolf Kahn
in der Gedenkstätte Yad Vashem |
Gedenkblätter
mit Foto von Hedy Kahn geb. Löwenstein in der Gedenkstätte Yad Vashem
Jerusalem
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Heinz
Kahn (Quelle: United States
Holocaust Memorial Museum) |
Weitere jüdische Einwohner in
Böblingen
Hinweis auf Hermann
Thalmessinger (1869-1946)
links:
Liste der Rückkehrer aus dem Ghetto Theresienstadt im Sommer 1945,
veröffentlicht in der amerikanisch-jüdischen Zeitschrift "Der Aufbau" vom 7.
September 1945; der Name von Hermann Thalmessinger findet sich ganz unten.
Zur Biographie siehe
https://www.stolpersteine-stuttgart.de/index.php?docid=386
|
Hermann Thalmessinger (geb. 13. Juli 1869 in Ulm als
Sohn des Bankiers Nathan Thalmessinger und seiner zweiten Frau Jette geb.
Steiner) wurde nach seiner Schulzeit in Ulm Ingenieur und Kaufmann. Er war
verheiratet mit Sophie geb. Fröhle (evangelisch), mit der er zwei Söhne
hatte: Max (geb. 1907 in Böblingen) und Fritz (geb. 1909 in Böblingen). Hermann
Thalmessinger arbeitete in Böblingen für die Brauerei Zahn und wurde Prokurist
der Firma. 1921 verzog die Familie nach Stuttgart, wo auch sein jüngerer Bruder
lebte (Rechtsanwalt Dr. Otto Thalmessinger). In der NS-Zeit war er zunächst auf
Grund seiner "privilegierten Mischehe" geschützt, doch wurde Hermann
Thalmessinger 1944 noch in das Ghetto Theresienstadt eingeliefert, das er -
inzwischen schwer erkrankt - überlebte und 1945 nach Stuttgart zurückkehren
konnte. Er starb am 21. August 1946 in Stuttgart-Degerloch und wurde im
Pragfriedhof (nichtjüdischer Teil) beigesetzt. Das Grab besteht nicht mehr.
Hinweis auf Ida Ehre-Heyde (1900-1989) und ihre Zeit in Böblingen
Ida Ehre (geb. 9. Juli 1900 in Prerau, Mähren - heute Přerov,
Tschechien - als Tochter des Kantors Salomon Ehre) wuchs nach dem
frühen Tod ihres Vaters in Wien auf und ließ sich an der Akademie für Musik und
darstellende Kunst in Wien zur Schauspielerin ausbilden. Sie spielten an
Theatern in Bielitz, Budapest, Czernowitz, Cottbus, Bonn, Königsberg, Stuttgart,
Mannheim und ab 1930 am Lessingtheater in Berlin. In der NS-Zeit arbeitete sie
wegen Berufsverbotes als Arzthelferin in der Praxis ihres Ehemannes Dr. med.
Bernhard Heyde (1899-1978), der als Frauenarzt in Böblingen
tätig war. Mit ihm hatte sie eine Tochter Ruth (geb. 1927 in Mannheim).
Eine geplante Auswanderung nach Chile 1939 misslang, weil das Schiff wegen des
Beginns des Zweiten Weltkrieges wieder nach Hamburg zurückkehren musste, wo Ida
Ehre von der Gestapo verhaftet und in das KZ Fuhlsbüttel inhaftiert wurde. Dort
wurde sie nach einiger Zeit auf Grund ihrer "privilegierten Mischehe" wieder
entlassen. Nach Kriegsende eröffnete Ida Ehre 1945 die "Hamburger Kammerspiele"
(bis 1941 Theatergebäude, da vom Jüdischen Kulturbund genutzt worden war), die
sie bis 1989 leitete. Seit Mitte der 1950er-Jahre wirkte sie in zahlreichen
Film- und Fernsehproduktionen mit. Auch als Sprecherin in Hörspielen und als
Synchronsprecherin war sie vielfach tätig. 1988 trug sie bei der Gedenkstunde
zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome im Deutschen Bundestags in Bonn die
Todesfuge von Paul Celan vor. Sie starb am 16. Februar 1989 in Hamburg und wurde
in einem Ehrengrab im Friedhof Ohlsdorf (neben dem Grab von Gustav Gründgens am
äußersten südöstlichen Rand des Althamburgischen Gedächtnisfriedhofes)
beigesetzt. Sie erhielt zahlreiche Ehrungen. 1992 wurde der Platz vor der
Kongresshalle in Böblingen in Ida-Ehre-Platz umbenannt.
Hinweis auf den Lungenfacharzt Dr. Ebstein (Stuttgart 1932, zuvor 3 Jahre im Tuberkulose-Krankenhaus Sanatorium
Schönbuch bei Böblingen)
Anmerkungen: das Tuberkulose-Krankenhaus Sanatorium Schönbuch war in
Böblingen am Herdweg 163. Es wurde 1900/01 durch den Arzt Dr. Carlos Krämer
eingerichtet. Es konnte 45 Patienten aufnehmen. Es bestand bis 1969 als
Tuberkulose-Sanatorium, danach wurde das Gebäude als "Zentralküche Schönbuch"
genützt, von der aus die Krankenhäuser der Landesversicherungsanwalt Württemberg
zentral mit Essen versorgt wurden. Das Gebäude wurde 1999 abgebrochen. Erhalten
ist das ehemalige Arzthaus (Herdweg 161, in dem auch Dr. Ebstein wohnte), das
heute als Waldorfkindergarten verwendet wird (Fotos des ehemaligen Arzthauses in
https://www.waldorfkindergarten-boeblingen.de/gemeinsame-gartenaktion-mit-eltern-und-kindern/).
Quelle:
https://www.boeblingen.de/start/StadtPolitik/Sanatorium+am+Herdweg.html
(auch
als pdf-Datei eingestellt).
Dr. Fritz (Joseph Friedrich) Ebstein (geb. 7. Februar 1893 in Heilbronn
als Sohn des Kaufmanns Simon Ebstein und der Fanny geb. Fellheimer) ist
aufgewachsen in Ludwigsburg, studierte Medizin in Tübingen, war im Ersten
Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger im Einsatz (ausgezeichnet mit dem EK II).
Abschluss des Studiums in Tübingen 1919, Promotion 1922 Universität Berlin. 1923
Eröffnung einer Praxis in Ludwigsburg; dann Ausbildung zum Lungenfacharzt,
nachdem er selbst an Lungentuberkulose schwer erkrankt war. Heirat mit Ilse
geb. Goldmann (geb. 1907 in Goslar), Tochter Fanny (geb. 1933 in Stuttgart).
Emigrierte im Oktober 1937 in die USA, wo er (als Frederick Ebstein) an
verschiedenen Stellen tätig war, ab 1946 am Benjamin Franklin Hospital in Ohio.
Er starb im Mai 1969 in den USA. Tochter Fanny verh. Frances (lebte in DeKalb,
IL/USA)
Lit.: Joachim Hahn: Jüdisches Leben in Ludwigsburg. 1994 S. 362-363; Susanne
Ruess: Stuttgarter jüdische Ärzte während des Nationalsozialismus. Würzburg 2009
S. 72-76.
Grab siehe
https://de.findagrave.com/memorial/61849971/frederick-j-ebstein.
Anzeige
in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden Württembergs" vom
1. September 1932: "Nach mehrjähriger Tätigkeit in der allgemeinen
Praxis und langjähriger Fachausbildung in verschiedenen öffentlichen und
privaten Lungenheilanstalten des In- und Auslands (zuletzt über drei Jahre
im Tuberkulose-Krankenhaus Sanatorium Schönbuch bei Böblingen) habe
ich mich hier niedergelassen.
Dr. Ebstein Lungenfacharzt
Neckarstraße 14 (beim Landestheater)
Fernsprecher 24499
Sprechstunden 11-1 und 4-6, Samstags 11-2 (eventuell nach Vereinbarung)." |
|
Grabstein/Grabinschrift
für Dr. Frederick J. Ebstein (1893-1969) und Ilse M. Ebstein (1907-1990) im
Green Lawn Cemetery in Columbus, Franklin County, Ohio, USA.
(Quelle:
https://de.findagrave.com/memorial/61849971/frederick-j-ebstein)
|
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Jacob Toury Jüdische Textilunternehmer...
1984. S. 192, 199-201.259. |
| Joachim Hahn (unter Mitarbeit von Richard Klotz und Hermann Ziegler):
Pragfriedhof, israelitischer Teil. Reihe: Friedhöfe in Stuttgart Bd. 3 (bzw.
Reihe: Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart Bd. 57). Stuttgart
1992. 268 S. ISBN 3-608-91618-0. |
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