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Odenwaldkreis"
Reichelsheim
im Odenwald (Odenwaldkreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge
(erstellt unter Mitarbeit von Hans Peter Trautmann,
Reichelsheim)
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Reichelsheim bestand eine zeitweise relativ große jüdische
Gemeinde bis 1938/42. Ihre Entstehung geht auf die Zeit des 18.
Jahrhunderts zurück. Die Vorfahren einiger der Familien waren aus Wien
(insbesondere der Familie Joseph), von wo die Juden 1670 vertrieben worden
waren. Bereits im 18. Jahrhundert herrschten offenbar enge Geschäftsbeziehungen
zwischen Juden und Christen, wogegen die Gräfliche Familie (Grafschaft Erbach)
mit einschränkenden Gesetzesbestimmungen vorzugehen versuchte (u.a. mit dem 'Erbachischen
Sabbatedikt' von 1770).
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1808 10 jüdische Familien, 1828 172 jüdische Einwohner, 1837 33
Familien mit etwa 180 Personen (davon 35 Schulkinder), 1861 249 (17,5 % von
insgesamt 1.419 Einwohnern), 1871 260, 1880 248 (13,7 % von 1.804), 1895 202
(11,1 % von 1.801), 1910 148 (7,2 % von 2.067). 1809 nahmen die jüdischen
Familien folgende Familiennamen an: Feist Joseph: Joseph, Moses Salomon: Maier,
Mordechai Maier: Maier, David Josel Muhr: Muhr, Moses Löw: Loew,
Feist David: David, Feist Eliasar: Loesermann, Hirsch Löw: Reichelsheimer,
Feist Maier: Reichenberg, Maier Samuel: Samuel. Zu den
angenommenen Familiennamen siehe weitere Informationen in einem
Dokument vom 1.3.1809, zusammengestellt
durch den früheren Beerfurther Lehrer und Gemeindearchivar Ernst Hieronymus.
Die jüdischen
Familien Reichelsheim waren relativ wohlhabend. Um 1880 gab es unter den
Haushaltsvorständen 29 Vieh- und Pferdehändler, 2 Fruchthändler sowie Makler,
Kaufleute und Hausierer. Das Gebiet der Vieh- und Pferdehändler erstreckte sich
von Reichelsheim über Waldmichelbach bis zum Neckar. Weiter gab es um 1880 drei
jüdische Metzger sowie einen Matzenbäcker mit einer großen Bäckerei, in der
bis 1936 jährlich durchschnittlich 30.000 kg Mazzoth hergestellt worden.
An Einrichtungen hatte die Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine jüdische
Elementar-, dann Religionsschule, ein rituelles Bad und einen Friedhof.
Die israelitische Elementarschule bestand von vor 1828 bis 1850. Danach
wurde auf Wunsch der israelitischen Gemeinden die jüdische Schule mit der öffentlichen
Volksschule verbunden. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein
Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (siehe
Ausschreibungen der Stelle unten). Als einer der ersten Elementarlehrer in
Reichelsheim wir 1841 Moritz Vogel aus Niedersaulheim genannt, der damals 40
Kinder in der Gemeinde unterrichtete. Die jüdische Gemeinde gehörte zum
orthodoxen Bezirksrabbinat Darmstadt II.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde David David (geb.
24.10.1883 in Reichelsheim, gef. 29.6.1917), Max Herz (geb. 12.5.1897 in
Berolzheim, gef. 30.9.1915), Theodor Joseph (), Moses Meyer (geb. 22.10.1876 in
Reichelsheim, gef. 7.11.1916), Salomon Meyer (geb. 17.1.1884 in Reichelsheim,
gef. 1.11.1918), Hermann Reichelsheimer (geb. 17.3.1870 in Reichelsheim, gef.
4.3.1917) und Leopold Selig (geb. 14.8.1881 in Reichelsheim, gef. 8.8.1916;
siehe Berichte unten). Außerdem fiel Siegfried Marx (geb. 5.2.1897 in
Reichelsheim, vor 1914 wohnhaft in
Wachenbuchen, gef. 8.8.1917), Gefreiter
Theodor Joseph (geb. 24.1.1892 in Reichelsheim, vor 1914 wohnhaft in Würzburg,
gef. 20.8.1916).
Hinweis: der Eintrag zu Siegfried Marx ist offenbar nicht
richtig, denn Siegfried Marx ist am 6. Dezember 1960 in New York gestorben. Er
war verheiratet mit Lina geb. Schönfeld (geb. 9. September 1896 in
Dörnigheim, gest. 9. Dezember 1975 in New
York; in den Verlustlisten des Ersten Weltkrieges in
Wachenbuchen steht er lediglich als
Unfallverletzter; die Angaben werden bestätigt durch Siegfrieds Tochter Doris
und die Daten aus der Entschädigungsakte im HStA Wiesbaden; Hinweis des Vereins
Brüder-Schönfeld-Forum, Maintal.
Um 1924, als noch 121 Personen der jüdischen Gemeinde angehörten (5,9 %
von 2.050 Einwohnern), gehörten dem Synagogenvorstand die Herren L. David,
Samuel und Selig an. Als Lehrer wirkte ein Herr Goldstein (bis 1927, siehe
Bericht unten), als Rechner ein Herr Röder. Jüdischen Religionsunterricht
erhielten damals 22 schulpflichtige Kinder (1932: 14 Kinder). An jüdischen Vereinen
bestand der Israelitische Krankenverein (gegründet 1849, Ziel:
Krankenunterstützung, 1932 11 Mitglieder unter Leitung von Josef Samuel), der Zweite
Bruderschaftsverein (gegründet 1850; Ziele u.a. Darlehensgewährung an
Mitglieder, 1932 11 Mitglieder und Leitung von Löser Joseph) und der Israelitische
Frauenverein (Ziele: Krankenpflege und Unterstützung, 1924 20 Mitglieder,
1932 35 Mitglieder unter Leitung von Babette Joseph). 1932 waren die
Vorsteher der Gemeinde L. David, Julius Lob und Max David. Als Lehrer, Kantor
und Schochet ist ein Herr Kraußhaar eingetragen.
Nach 1933 ist ein Teil der jüdischen Gemeindeglieder (1933: 109 oder 115
Personen, das sind 5,6 % von 1.951 Einwohnern) auf Grund der zunehmenden
Entrechtung und der Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Einige
Personen sind in dieser Zeit nach Reichelsheim von anderen Orten zugezogen.
Insgesamt konnten aus Reichelsheim mindestens 49 Personen in die USA und 6 nach
England emigrieren, einzelne auch in andere Länder. 1936 waren die
Gemeindevorsteher Leopold David und Seligmann Meyer. Von 1935 bis 1938 brachte
der jüdische Lehrer Richard Seif die noch sechs schulpflichtigen jüdischen
Kinder aus Reichelsheim und die neun Kinder aus Fränkisch-Crumbach mit einem
Auto in die jüdische Bezirksschule nach Höchst
i.O. Richard Seif war einer der Lehrer dieser Bezirksschule.
Anmerkung: Hinweis auf die "Liste
der in Reichelsheim/Odw. bis 1939 ansässigen und nicht ausgewanderten Juden"
(pdf-Datei der an den International Tracing Service vom
Bürgermeisteramt Reichelsheim am 13.4.1962 mitgeteilten Liste mit 36 Namen aus
Reichelsheim).
Beim Novemberpogrom 1938
im Laufe des Tages und des Abends am 10. November 1938 wurde die Synagoge durch einen
SS-Sturmtrupp aus Bensheim unter Anführung des Erbprinzen Georg-Ludwig zu Erbach-Schönberg und der Gebrüder
Riebel, SA-Mitglieder aus Reichelsheim, örtlichen NSDAP-Mitgliedern sowie Arbeitsdienstführern vom Reichsarbeitsdienstlager in Reichelsheim, im Innern zerstört.
Zahlreiche jüdische Häuser wurden überfallen und verwüstet sowie jüdische Einwohner misshandelt.
Von der Inbrandsetzung der Synagoge selbst, die im rückwärtigen Teil eines außer ihr noch Judenschule und Lehrerwohnung enthaltenen Gebäudes untergebracht war,
wurde abgesehen, da sie durch ihren engen Zusammenhang mit Reichelsheimer Wohnhäusern eine allgemeine Brandgefahr hervorgerufen hätte.
An der Plünderung und Verwüstung der jüdischen Häuser, die auch gegen Abend noch fortgeführt wurde, beteiligten sich auch Frauen und Kinder aus dem Ort.
Besonders traf es die Häuser von Abraham Samuel, Louis Joseph, Familie Löb, Isidor Meyer und die Futtermittelhandlung David.
Die 'Judenkartei' der Ortspolizeibehörde von Reichelsheim nennt zum 18.
Dezember 1938 noch namentlich 78 jüdische Einwohner. Am 18.März 1942 wurden 12 jüdische Einwohner nach Darmstadt und dann am
25. März 1942 nach Piaski (Ghetto) / Polen deportiert und ermordet. Die letzten sieben jüdischen Einwohner wurden am 19.05.1942 nach Darmstadt und von dort am 27.09.1942 nach Theresienstadt (Ghetto) deportiert.
Quellen:
1.) Urteil gegen den Landwirt Georg Ludwig Erbprinz zu Erbach-Schönberg, geb. am 1.1.1903 in Bad König i.O.,
"wohnhaft auf Schloss Hohenstein bei Reichenbach, verheiratet, nicht
vorbestraft", zitiert nach: HStA Wiesbaden, Abt. 520 DZ Nr. 519384: Georg-Ludwig Fürst und Graf zu Erbach-Schönberg.
2.) Anklageschrift von Louis Joseph vom 13.4.1947.
3.) Einwohnerbuch von Reichelsheim 1938, Übersicht über die NS-Organisationen im Ort.
Hinweis: In Reichelsheim gab es keine SS, sondern nur den SA Sturm 22/186.
Im Urteil von 1948 des Landgerichts Darmstadt werden kein SS-Angehörige (nur namentliche SA-Angehörige) aus Reichelsheim genannt.
4.) Excel-Tabelle von Hans-Peter Trautmann mit Daten über jüdische Einwohner von Reichelsheim. Verzeichnis der Ortspolizeibehörde Reichelsheim
i.O.
Von den in Reichelsheim geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen
Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Rosa Bach geb. David
(1885), Emilie Bacharach geb. Mayer (1882), Erna Berenz geb. Meyer (1912), Adolf
Wolf David (1883), David David (1886), Martha David geb. Meyer (1885), Irma
Edelmann geb. Löb (1913), Jettchen Eichenberg (1859), Regina Eis geb. Meyer
(1875), Emma Fürst geb. Joseph (1861), Helene Geisel geb. David (1879), Sophie
Hirsch geb. Hahn (1901), Bette (Betty) Joseph geb. Hofmann (1896), Leo (Löb)
Joseph (1872), Marx (Max) Joseph (1903), Meir Joseph (1866), Regina Josef
(1878), Salomon Joseph (1883), Berta Kahn geb. Loeb (1883), Klara Kahn (1883),
Adelheid Katz geb. Selig (1878), Berta Kohlhagen geb. Mayer (1871), Berta Kohn
(1883), Bertha Loeb (1887), Hilda Loeb geb. Joseph (1884), Hildegard (Hilde)
Loeb (1922), Joseph Loeb (1878), Julius Loeb (1886), Rosalie Loeb geb.
Reichelsheimer (1891), Adelheid Marx geb. Joseph (1861), Herbert Marx (1903),
Minna (Lina) Mayer (1872), Alice Meyer (1914), Betti Meyer geb. Rothschild
(1886), Frieda Meyer geb. Oppenheimer (1875), Gustav Meyer (1879), Hugo Meyer
(1885), Isidor Meyer (1879), Julius Meyer (1917), Manfred Meyer (1909), Blanda
Meyer geb. Schwartz (1882), Seligmann Meyer (1874), Rosa Neu geb. Mayer (1904),
Gustav Reichelsheimer (1892), Karoline Reichelsheimer geb. Meyer (1862), Selma
Reichelsheimer geb. Joseph (1901), Justine Rosenstock geb. Maier (1871), Flora
Rothschild (1879), Jenny Rothschild (1901), Joseph Salomon (1883), Abraham
Samuel (1877), Isaak Samuel (1870), Joseph Samuel (1872), Lina Samuel (1887),
Regina Samuel geb. Samuel (1877), Sophie Samuel geb. Strauss (1876), Thekla
Samuel (1861), Mirjam Susanne Schott (1902), Paula Schott geb. Max (1875), Emma
Schuster geb. Meyer (1873), Frieda Seif geb. Adler (1910), Golda Seif (1937),
Jakob Seif (1934), Judith Seif (1938), Richard Seif (1910), Hermann Selig
(1875), Irma Strauss geb. David (1875), Selma Süß-Schülein geb. Meyer (1908),
Flora Weichsel geb. Mayer (1888), Rosa Wertheimer geb. Selig (1879), Juli
Winkelstein geb. Meyer (1878), Selma Wolf geb. Hahn (1891).
Hinweis: der in einigen Listen genannte Ludwig Meyer (geb. 1920) wurde nach
Auschwitz deportiert, hat aber überlebt und ist mit seiner Mutter Jettchen nach
New York ausgewandert, so er als Bäcker gearbeitet hat (Hinweis von Hans-Peter
Trautmann vom 18.10.2013)
An insgesamt 42 aus Reichelsheim deportierte und ermordete Personen erinnern
seit Frühjahr 2011 "Stolpersteine" am Ort (siehe
Presseberichte unten).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1862 /
1870 / 1872 / 1899 / 1911 / 1920 / 1924
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Oktober 1862: "Konkurrenzeröffnung.
Die Stelle eines Religionslehrers, Vorsängers und Schächters bei der
israelitischen Religionsgemeinde Reichelsheim, mit welcher ein fixer
Gehalt von 350 Gulden jährlich, nebst freier Wohnung und etwa 180 Gulden
Akzidenzien verbunden, ist erledigt. Konkurrenzfähige Bewerber werden
aufgefordert, innerhalb 6 Wochen ihre Gesuche um Übertragung dieser
Stelle bei unterzeichneter Behörde einzureichen.
Lindenfels, am 18. Oktober 1862. Großherzogliches Kreisamt Lindenfeld.
I.V.D.K.R. Mayer, Kr.-Ass." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. November 1870: "Die
israelitische Gemeinde Reichelsheim im Kreise Lindenfels, beabsichtigt
einen Vorsänger, Religionslehrer und Schächter aufzunehmen, Gehalt an fixen
300 Gulden, nebst freier Wohnung und circa 200 Gulden Akzidenzien mit
Einkommen des Friedhofs. Bewerber wollen sich alsbald bei dem
unterzeichneten Vorstand melden. Reisekosten werden nicht vergütet. Die
Stelle kann schon bis zum 1. Dezember dieses Jahres angetreten
werden.
Reichelsheim, 6. November 1870. Der Vorstand J.J. Meyer." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. April 1872:
"Bis zum 1. Juni dieses Jahres ist die Vorsänger-, Religionslehrer-
und Schächterstelle bei der israelitischen Gemeinde Reichelsheim im
Kreise Lindenfels vakant. Reflektierende wollen sich deshalb alsbald an
den unterzeichneten Vorstand wenden. Gehalt fix 300-350 Gulden, freie
Wohnung, ca. 150 Gulden Akzidenzien und 15 Gulden für Heizung des
Schullokals. Reisekosten werden nicht vergütet. Reichelsheim, 7. April
1872. Der Vorstand: S. J. Meyer." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. August 1872: "Die
israelitische Religionslehrer-, Vorbeter- und Schächterstelle bei der
israelitischen Gemeinde zu Reichelsheim im Kreis Lindenfels ist sofort zu
besetzen. Fixer Gehalt 400 Gulden nebst 150 Gulden Akzidenzien mit
Einkommen des Friedhofs, wozu noch mehrere Gemeinden gehören.
Reflektierende wollen sich bei dem unterzeichneten Vorstand baldigst
melden, und ihre Zeugnisse einschicken.
Reichelsheim, den 30. Juni 1872. Der Vorstand: Salomon Joseph Mayer." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. September 1898:
"die hiesige israelitische Lehrer- und Vorbeterstelle
ist bis zum 1. Januar 1899 zu besetzen, mit einem fixen Gehalt von 800
Mark, nebst 5- 600 Mark Nebeneinkünften bei freier Wohnung. Militärfrei
Bedingung. Ausländer sind ausgeschlossen. Derjenige, welcher die Stelle
erhält, bekommt Reisevergütung und muss ein jüdisches Seminar besucht
haben.
Reichelsheim, 28. August (1898).
Der Vorstand: Joseph." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Oktober 1899: "Die
hiesige israelitische Lehrer-, Vorbeter- und Schochetstelle ist bis
zum 1. Januar 1900 zu besetzen. Fixer Gehalt 800 Mark, nebst 5-600 Mark
Nebenverdienste und freie Wohnung. Bewerber müssen das jüdische Seminar
besucht haben und müssen militärfrei sein. Junger verheirateter Mann ist
bevorzugt. Nur dem Erwählten wird Reisevergütung gewährt. Die Stelle
kann früher besetzt werden. Zeugnisse sind an den Vorstand zu richten.
Ausländer sind ausgeschlossen.
Der Vorstand: Joseph. Reichelsheim, Hessen." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Juni 1911: "Religionslehrer,
Vorbeter und Schochet
gesucht bis 1. August eventuell auch früher. Einkommen cirka Mark
1.800 nebst freier Wohnung.
Anmeldungen an
Gustav Meyer, Vorsteher, Reichelsheim im Odenwald,
7.5.1911." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Juli 1920: "In der
Gemeinde Reichelsheim im Odenwald ist die Stelle eines Religionslehrers,
Vorbeters und Schächters per sofort zu besetzen. Gehalt bei freier
Wohnung 3.500 Mark, nebst ca. 2.000 Nebeneinkommen. Bewerbungen sind zu
richten an den Vorstand David." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Mai 1924: "Gesucht
für 15. Juni seminaristisch gebildeter Lehrer, Vorbeter und Schochet von
der Israelitischen Gemeinde Reichelsheim im Odenwald. Meldungen an den
Vorstand David." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Juli 1927: "'Wir
suchen per 1. September dieses Jahres seminaristisch gebildeten Religionslehrer,
Vorbeter und Schochet.
Vorstand der Israelitischen Gemeinde, Reichelsheim im Odenwald. L.
David." |
Lehrer J. Rothschild sucht eine
Haushaltshilfe (1901)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Februar 1901: Gesucht
per sofort für kleinen Haushalt ein fleißiges Mädchen, das in
der Küche und Hausarbeit bewandert ist. Lohn Mark 15 per Monat, sowie
Zusicherung vieler Geschenke. Baldige Offerten an Lehrer J. Rothschild,
Reichelsheim im Odenwald." |
Zum Tod von Lehrer Lublinski (1920)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. September 1920: "Aus
Hessen. Vor einigen Wochen starb im Krankenhause zu Frankfurt im Alter von
68 Jahren unser lieber Kollege Lublinski von Reichelsheim im Odenwald. Da
derselbe am Freitag (Erew Schabbat) in Frankfurt zur Beisetzung
kam, konnten wir leider diesem wackeren Dulder die letzte Ehre nicht
erweisen. Am frischen Quell heimatlicher Jeschiwot (Talmudschulen)
schöpfte er seine reichen Talmudkenntnisse; im trauten Elternhause in
echt-jüdischer Umgebung eignete er sich eine tiefsinnige Frömmigkeit an.
Die Errungenschaften seiner Jugend blieben seine steten Begleiter. In
geistreichen Vorträgen suchte er mit flammender Energie seine Gemeinden
für das Judentum zu begeistern, mit sprudelnder Beredsamkeit erfreute er
seine Freunde mit den herrlichen Perlen seiner talmudischen Weisheit. Tora
war des teueren Verstorbenen Lebenselement, Tora war seine Erholung
in den vielen stürmischen Stunden seines irdischen Wandels, Tora
seine Erquickung während seiner Krankheit Leidenszeit. Im besseren
Jenseits wird ihm reicher Lohn für sein treues Wirken und Streben zuteil
werden. Gott möge die verlassene Witwe trösten und stärken. Seine
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Lehrer Goldstein legt sein Amt nieder (1927)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Juli 1927:
"Reichelsheim im Odenwald, 26. Juli (1927). Nach 7jähriger
Tätigkeit hat Herr Lehrer Goldstein sein Amt zum 1. September
niedergelegt. Sein Schritt wird von seinen Freunden im Ort sehr
bedauert." |
Lehrer Julius Goldstein wechselt von Reichelsheim nach Künzelsau
(1928)
Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. September
1928: "Stuttgart. Der Israelitische Oberrat hat die Stelle eines
Religionslehrers in Künzelsau dem
Lehrer Julius Goldstein, bisher in Reichelsheim im Odenwald übertragen." |
Über die Lehrerfamilie Richard Seif mit Frau Frieda
Seif geb. Adler
Aus der Website über das Frankfurter
Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge e.V. http://www.platz-der-vergessenen-kinder.de/?page=16 |
Verheiratet mit dem Lehrer Richard Seif
lebte Frieda Seif geb. Adler (geb. 12. April 1910 in Berlin; in der
Geburtsanzeige unten ist die Rede von Freda Seif geb. Frank) nach 1934 (1. Sohn Jakob in Verden geboren) in Reichelsheim im Odenwald. Vermutlich in der Jüdischen Gemeinde angestellt wohnten sie in der zur Synagoge gehörenden Dienstwohnung, wo Frieda die Töchter Golda (1937) und Judit (1938) zur Welt brachte.
1935 wurden die jüdischen Schüler in Reichelsheim vom Unterricht an öffentlichen Schulen ausgeschlossen. Sowohl Lehrer als auch Schüler mussten mit dem Gemeindebus nach Höchst im Odenwald ausweichen und waren ständigen antisemitischen Überfällen ausgeliefert. Eine Mitschülerin, die die Shoah überlebte, berichtete später:
'Eines Tages … sahen wir in einiger Entfernung einen Lastwagen quer auf der Straße stehen. … Der Besitzer des Lastwagens stieg aus der Fahrerkabine aus und hatte eine Startkurbel in seiner Faust. Er kam auf uns zu und begann, ohne ein Wort zu sagen, die Fenster unseres Busses zu zerschlagen, hinter denen wir Kinder kauerten und zu schreien
begannen.'
Während des Novemberprogroms 1938 wurde die Synagoge neben der Wohnung geplündert und in Brand gesetzt. Zahlreiche Häuser von Juden wurden unter Führung eines Trupps Bensheimer SS-Leuten verwüstet und die Bewohner misshandelt. Vor der Synagoge entfachten sie ein Feuer aus Gebetsbüchern und Thora-Rollen und ließen die jüdischen Einwohner darum tanzen. Richard Seif wurde vor ein fahrendes Auto gestoßen und entkam nur knapp dem Tod.
Nachdem eine Ausreise ins niederländische Exil erfolglos blieb, flüchtete Frieda Seif mit ihrer Tochter Golda am 06.01.1939 nach Frankfurt. Sie fand dort Zuflucht im Heim
'Isenburg' und lebte dort zwei Jahre mit ihrer Tochter Golda. Richard folgte ihnen am 15.07.1939. Jakob ging mit seiner Schwester Judith zu Verwandten nach Bocholt. Kurze Zeit später kamen sie jedoch ins Kinderhaus nach Frankfurt.
Nach der Schließung des Heims 'Isenburg' kam Golda ebenfalls ins Kinderhaus und Frieda lebte im Jüdischen Altersheim in der Wöhlerstraße 6 in Frankfurt. Sie arbeitete hier für ein voraussichtliches Jahreseinkommen von RM 468 inkl. freier Unterkunft und Verpflegung. Richard Seif wurde 1942 über französische Durchgangslager am 11.09.1942 ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dort verliert sich seine Spur.
Frieda Seif und ihre drei Kinder wurden am 15.09.1942 von Frankfurt aus in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Im an den
'Herrn Polizeipräsidenten in Frankfurt am Main' adressierten 'Verzeichnis der umgesiedelten Juden, betrifft: Wohnsitzverlegung von Juden nach
Theresienstadt' waren Frieda und ihre Kinder unter den Nummern 968, 969, 970 und 971 aufgeführt
(Diersch, Brigitte: Das kurze Leben der Doris Katz. Hessen – Holland – Sobibór. Erbach im Odenwald 2010, S.
29). Zwei Jahre später, am 12.10.1944, verschleppte man sie weiter nach Auschwitz, wo sie vermutlich direkt nach ihrer Ankunft selektiert und in den Gaskammern ermordet wurden (GbNI).. |
Geburtsanzeige einer Tochter von Lehrer Richard Seif und Frau Freda geb. Frank
(1937)
Meldung
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. Januar 1937 unter "Familien-Nachrichten":
"Geburten: Eine Tochter, Lehrer Richard Seif und Frau Freda geb. Frank,
Reichelsheim im Odenwald." |
Aus dem Revolutionsjahr 1848
Dokument
zu den antisemitischen Ausschreitungen
1848 in Reichelsheim
(aus der Sammlung von Hans-Peter Trautmann, Reichelsheim) |
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Im Revolutionsjahr 1848 traten
antisemitische Übergriffe unter anderem im Kraichgau und Odenwald auf.
Die staatsbürgerliche Emanzipation der Juden gelang nach langer
Diskussion erst 1849. Die fast völlige formalrechtliche Gleichstellung
als Gemeindebürger 1862 mit einer 10-jährigen Übergangsfrist. Das oben
abgebildete Schreiben vom 16. September 1848 der Großherzoglich
Hessischen Regierungskommission des Regierungsbezirks Erbach an den
Großherzoglichen Bürgermeister in Reichelsheim wurde angesichts der
Übergriffe verfasst:
"Nr. R.C. 810 Erbach, am 16. September 1848
Betreffend: Störung der öffentlichen Ruhe zu Reichelsheim, insbesondere
gegen das Eigenthum der dortigen Juden verübte Gewalttätigkeit
Die Großherzoglich Hessische Regierungs-Commission des Regierungsbezirks
Erbach an Großherzoglichen Bürgermeister zu Reichelsheim
Es ist durchaus unzulässig, daß durch den Ortsdiener und Gendarmerie
allein Feierabend geboten wird und mußten wir darauf bestehen, daß
entweder die oder der Beigeordnete die Wirtshäuser zur Polizeistunde
visitieren. Hätten Sie unsere Verfügung vom 10. des Monats den 11ten
Abends befolgt, so würde der Ortsdiener vom Wirth Kling nicht aus der
Stube geführt worden sein. Wie Ihnen bereits mündlich bemerkt worden
ist, können wir nur bedauern, daß Sie nicht mit mehr Kraft und
Entschiedenheit vorschreiten.
Hätten Sie sich bei dem Brief vom 6ten des Monats sogleich bei der ersten
Anzeige mit der Anzeige Gendarmerie auf die Straße und in die Wirthshäuser
begeben und zu beruhigen versucht, so würden möglicher
Weise die Juden nicht verfolgt worden sein. Wir geben Ihnen wegen dieses
unstatthaften Verhaltens unser Mißfallen zu erkennen und erwarten, daß
Sie eine
größere Energie entwickeln.
Die Anlage Ihres Berichts vom 11. des Monats erhalten Sie hierbei zurück.
Mit dem nächsten Boten sehen wir Ihrem Bericht entgegen, ob seither
unsere Verfügung vom 10. des Monats gründlich Folge geleistet worden ist
und ob die abendlichen Ruhestörungen durch Singen und Lärmen aufhören.
Unterschrift (unleserlich) Riedinger".
|
Antisemitische
Umtriebe Anfang der 1890er-Jahre
Auftritt des Antisemiten Dr. Böckel in
Reichelsheim und Eberbach und örtlicher Widerstand (1890)
Anmerkung: mit Eberbach ist der heutige Ortsteil von Reichelsheim gemeint.
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Juni 1890: "Aus
dem Odenwald, 2. Juni (1890). In Reichelsheim ging es gestern sehr
stürmisch zu. Der Antisemitenhäuptling Dr. Böckel war mit seinen
Getreuen erschienen, um in dem 10 Minuten entfernten Eberbach
eine Versammlung abzuhalten, aber auch Sozialisten, Nationalliberale und
Deutschfreisinnige (unter ihnen Prof. Stengel von Marburg) waren gekommen.
Als Herr Böckel mit Anhang eintraf, fand er den Saal vollständig von
Gegnern besetzt, weshalb er sich ins Nebenzimmer zurückzog. Der
nationalliberale Abgeordnete Hermann brachte es fertig, zu Worte zu
kommen; er gab im Namen der nationalliberalen Fraktion der zweiten
hessischen Kammer die Erklärung ab, dass die Beratungen der hessischen
Kammer dargetan hätten, wie sie bemüht sein, den in Handel und
Landwirtschaft sich offenbarenden Auswüchsen und Schäden
entgegenzutreten, dass sie aber unmöglich billigen könne, wenn eine
Bewegung wachgerufen würde, welche nicht mit dem Standpunkte der
christlichen Religion, der Humanität, auch nicht mit dem Grundsatze der
Gleichberechtigung aller Deutschen vor dem Gesetz vereinbar sei. Die
Herren B. Cramer - Darmstadt, Prof. Stengel - Marburg, Phil. Müller -
Darmstadt und Hänsler - Mannheim sprach dann unter allgemeinem Beifall
über die - Judenfrage, allerdings nicht im Sinne von Böckel und
Konsorten. Als Herr Böckel sich, ohne Lorbeeren geerntet zu haben,
zurück nach Reichelsheim auf den Weg machte, wurde er von einer Anzahl
junger Leute verfolgt und provoziert. In Reichelsheim versuchten diese,
unter denen viele Israeliten gewesen sein sollen, Einlass in das Sälchen
im 'Engel', wo Herr Böckel mit den Seinigen weilte. Der Einlass wurde
natürlich verweigert, worauf es zu einer allgemeinen Keilerei kam, bei
der auch Blut floss. Schließlich kam die Polizei und trieb die Menge
auseinander. Ähnliche erbauliche Auftritte ereigneten sich, als Herr
Böckel Abends abfuhr." |
Veranstaltung gegen Antisemiten auf der Burg Rodenstein
(1890)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. August 1890: "Fränkisch-Crumbach
i.O. Auf dem vom Odenwald-Club veranstalteten und am 20. vorigen Monats
auf der Burg Rodenstein, bei Reichelsheim, stattgehabten Volksfeste,
brachte der Landtagsabgeordnete und Oberbürgermeister, Herr Ohli von
Darmstadt, Präsident des erwähnten Clubs, seine humanen und toleranten
Gesinnungen, wie schön öfters bei derartigen Versammlungen, in
zündenden Worten zum Ausdruck. – Herr Ohli, welcher in allen
Bevölkerungsklassen eine hoch geachtete und beliebte Persönlichkeit ist,
hob in seiner begeisternden, mit großem Beifalle aufgenommenen Rede
nachdrücklichst hervor, dass er Antisemiten nicht zu Mitgliedern dieses
Vereins wünsche, dass vielmehr Anhänger der verschiedenen politischen
Parteien und Bekenner der jüdischen wie christlichen Konfession Aufnahme
in denselben finden könnten. Auch betonte der Redner, dass er von
Menschen, welche den Religions- und Klassenhass schüren, nichts wissen
wolle. Er liebe alle Menschen, welcher politischen Partei und welchem
Glaubensbekenntnis sie angehörten, wenn sie nur der Ehrlichkeit und
Redlichkeit sich befleißigten und gute Patrioten seien. – Sicherlich
haben diese herrlichen Worte bei der ganzen Versammlung und darüber
hinaus eine tiefe und nachhaltige Wirkung hervorgerufen. – S. Levy,
Lehrer." |
Verurteilung von Antisemiten (1891)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Juni 1891: "Fürth im
Odenwald, 2. Juni. Heute wurde am hiesigen Schöffengericht folgende
antisemitische Beleidigungsklage verhandelt: Der Handelsmann Lazarus
David von Reichelsheim wurde von dem Land- und Gastwirt J. Hofmann aus
Winterkasten öfters durch Hepp-Hepp-Rufe und verschiedene andere
Beleidigungen beim Vorübergehen an dessen Hause belästigt. Der
Beleidigte erhob hierauf bei großherzoglicher Staatsanwaltschaft Anzeige
und der Beschuldigte wurde bei der heutigen Hauptverhandlung in eine
Strafe von 21 Mark, eventuell 3 Tage Haft, sowie in die nicht
unerheblichen Kosten des Verfahrens verurteilt. Außerdem wurde dem
Kläger die einmalige Veröffentlichung des Urteils im ‚Erbacher
Kreisblatt’ auf Kosten des Beschuldigten gestattet. Obwohl der Beklagte
angab, er wollte den David nicht beleidigen, sondern er hätte ein Pferde
(!), welches Hep-Hep heiße, und der Name seines früheren Pferde sei
Nebukadnezar (!) gewesen, schenkte das Gericht demselben keinen Glauben
und verurteilte ihn in die bereits erwähnte Strafe." |
Antisemitische Auftritte (1893)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Januar 1893: "Aus der
Provinz Starkenburg. Wie bekannt, wüten die Antisemiten am meisten
in Reichelsheim im Odenwalde. Doch zeigt sich auch hier eine
Besserung. Bei der jüngst stattgehabten Kreistagswahl erhielt der durch
seinen Antisemitismus wohlbekannte Apotheker Mayer nur 3 Stimmen. – In
den jüngsten Tagen waren wieder einmal die Häuptlinge des
Antisemitismus, die Herren Böckel, Hirscher und Roether hier zusammen, um
über die im nächsten Jahre vorzunehmenden Wahlen zum hessischen Landtage
– wobei die Antisemiten bekanntlich die seitherigen Abgeordneten
vollständig beseitigen wollen, zu beraten. – Die 3 Burschen, welche
unlängst wegen Misshandlung eines Israeliten von Fränkisch-Crumbach
vom Schöffengericht Fürth im Odenwald zu 10, 8 und 6 Wochen
Gefängnis verurteilt wurden, haben gegen dieses Urteil Revision eingelegt
und kommt also die Angelegenheit in Darmstadt zur nochmaligen
Verhandlung." |
Wahlkampf der Antisemiten (1893)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Mai 1893: "Reichelsheim
im Odenwald, 9. Mai. Der Wahlkampf in unserem Wahlkreise –
Erbach-Bensheim – ist bereits eröffnet und zwar von der antisemitischen
Partei. Dieselbe hielt am vergangenen Sonntag eine Versammlung in
Waldmichelbach und eine in Siedelsbrunn ab. Als Redner traten auf die
Herren Dr. Böckel – Marburg und Otto Hirschel – Frankfurt am Main,
welche unter den bekannten Ausfällen gegen die Juden ihr Programm
entwickelten und die Militärvorlage bekämpften. Ein freisinniger Herr
aus Marburg trat in Waldmichelbach hauptsächlich dem antisemitischen
Teile ihrer Reden entgegen und erntete bei der großen Mehrzahl der
Erschienenen lebhaften Beifall. Herr Hirschel wurde von seinem Herrn und
Meister als Reichstags-Kandidat für unseren Wahlkreis aufgestellt." |
Unruhen im Revolutionsjahr 1848
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 13. März 1848:
"Darmstadt, 28. Februar (1848) (Köln. Zeit.). In dem fünf
Stunden von hier entfernten Orte Reichelsheim, im hessischen Odenwald,
sind am vorigen Donnerstag Unruhen aufgebrochen, in Folge deren, wie man
hört, die dort wohnenden zahlreichen jüdischen Familien, gegen welche
die Bewegung gerichtet war, sich geflüchtet und in die Umgegend zerstreut
hätten. Veranlassung dazu gab die Abreise eines dasigen Auswanderers,
der, mit Zurücklassung einer unberichtigten Schuld bei einem Israeliten,
schon bis Mainz gekommen war, daselbst aber von seinem Gläubiger
eingeholt, auf dessen Anrufen verhaftet und nach Reichelsheim
zurückgebracht wurde. Seine gezwungene Rückkehr gab die Veranlassung zu
der kleinen Emeute, deren Ausgang das eben gemeldete Ereignis
war." |
Kritische Beurteilung der religiösen Verhältnisse in
Reichelsheim aus konservativ-orthodoxer Sicht (1870)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. September 1870: (zuvor
Informationen über andere Michelstadt und andere Gemeinden, dann:)
"...Michelstadt numerisch überleben, aber von ungleich geringerem
Einfluss auf die Nachbargemeinden ist die circa 50 Familien zählende
jüdische Gemeinde zu Reichelsheim. Auch hier sieht es recht
traurig aus. Wie fast im ganzen Odenwalde, ist hier das Wenige, was noch
von unseren Religionspflichten geübt wird, nichts als gelehrte Weisung
der Menschen (?), und nicht zwei Familien hätten wir zu verzeichnen,
die etwa davon eine Ausnahme machen. Ja in Reichelsheim ist es nicht nur
Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit, die Zum Abfall verlocken, hier haben
wir ganz unzweifelhafte Pröbchen von Reformbestrebungen, wie sie im
Odenwalde bis jetzt unerhört waren. So hat sich der Lehrer der dortigen
Gemeinde unlängst einen Mädchenchor zur Begleitung für den
Freitagabendgottesdienst herangebildet; doch muss die Ausbildung keine
sehr gediegene gewesen sein, dann als er sein erstes Debüt beging, |
kamen
solche Misstöne und anderweitige Störungen vor, dass in Folge dieser
Misslichkeiten – nicht aber wegen der Sache selbst – der Vorstand
sofort ein derbes Veto einlegte. Sonst ist hier Alles so, wie in den
anderen Gemeinden des Odenwaldes. Die Alten halten noch an dem Wenigen
fest, was sie von ihren Eltern ererbt haben; und die Jugend kehrt den
Vorschriften der Tora verächtlich den Rücken. Tätigkeitsverbote
am Schabbat und andere Verpflichtungen (?) sind ihr lästige
Fesseln, die sie abwirft, sobald sie ‚hinaus’ kommt. Um aber der
Wahrheit treu zu bleiben, können wir eine erfreuliche Erscheinung nicht
unerwähnt lassen, die sich hier dem aufmerksamen Beobachter
unwillkürlich aufdrängt. Während junge Leute von circa Jahren an und
weiter sich, wie schon oben erwähnt, keine Gewissen daraus machen, den
Sabbat zu entweihen, die Speisegesetze und noch viele anderen Satzungen
unserer heiligen Religion zu übertreten, so finden wir bei der Jugend bis
zum 18 Jahren einen erfreulichen Kontrast. Da ist noch jene jüdische
Furcht, jene heilige Scheu vor der Sünde vorhanden, die wie ein
Flammenschwert vor das Herz sich lagert, welche sich ihr eröffnet, um den
Abfall und dem Treubruch den Weg zu versperren in dieses herrliche
gottbewohnte Paradies. Von diesem Teile der Jugend begeht keiner mutwillig
einen Verstoß gegen unsere Heilige Tora, es ist mit einem Worte
ein ganz anderer, ein mehr jüdischer Geist in dieser Altersklasse. Woher
kommt das? Nun das ist sehr einfach. In diesem Geiste ist das
siebenjährige Leben und Wirken eines treuen Lehrers repräsentiert.
Sieben Jahre hat hier ein gottbegeisterter, torabeflissener Lehrer durch
Wort und Beispiel unablässig dahin gestrebt, gute Jehudim heranzubilden;
und sein Bemühen ist ihm soweit gelungen, als es unter den beschränkten
Verhältnissen einer Landegemeinde überhaupt möglich ist. Derselbe hat
vor etwa ½ Jahre seinen Wirkungskreis nach Großzimmern verlegt
und hat auch dort in dieser kurzen Zeit schon herrliche Resultate beim
Jugendunterrichte erzielt. Ein solcher Mann ist in einer Gegend, wo das
Judentum so verkommen ist wie im Odenwalde, eine besonders herrliche
Erscheinung. Er wirkt, von seinem Unterrichte ganz abgesehen, durch das
bloße Beispiel, als welches sein anspruchsloses, wahrhaft jüdisches
Familienleben der ganzen Gemeinde dasteht, unvergleichlich mehr als alle
seine modernen Herren Kollegen zusammen, mit ihren kalten geist- und
herzlosen Predigten. Nur noch einen Lehrer haben wir im Odenwalde diesem
an die Seite zu stellen, den der jüdischen Gemeinde Beerfelden. Es ist
rührend zu sehen, wie dieser Mann von morgens bis abends jede freie Zeit
dem Unterrichte der ihm anvertrauten Kinder widmet; die erlangten
Resultate sind aber in der Tat auch nennenswert. Die erste Knabenabteilung
lernt unter anderem Mischnajot Berachot Fünf Bücher Moses mit Raschi hebräische
Grammatik und trägt gelegentlich in einer Chewra aus dem Menorat
hamaor (= populäres religiös-ethisches Werk des mittelalterlichen
Gelehrten Aboab d.A.) vor; die folgenden Klassen übersetzen die Tora
mit Raschi, die Gebete etc. und die Mädchen übersetzen außer den
Gebeten noch recht geläufig Psalmen und anderes mehr. In den
Schulen der genannten Biedermänner stößt man nicht auf jene in dem
unschuldigen Kindermunde so widerwärtig klingenden Phrasen über Gott,
Religion und sonst metaphysische Begriffe, mit deren Denifierung unsere
modernen Pfäfflein die teure Zeit in der Schule totzuschlagen lieben;
hier ist die Schule noch das, was sie sein soll: ein Institut, in welchem
das Kind Tora und Mizwot für das Leben lernt. Während diesen
phrasenreichen Religionskünstlern das Wort unserer Weisen – seligen
Andenkens – gilt: 'mich aber haben sie verlassen und meine Tora
haben sie nicht beachtet' (Jeremia 16,11). Möchten sie doch, spricht
Gott, die Erklärung meiner Eigenschaften, und dergleichen mehr auf sich
berufen lassen, dafür aber meine Tora halten und halten lernen; -
so möge jenen unverdrossenen Arbeitern im Weinberge Gottes, das
ermutigende Prophetenwort 'Aber die Verständigen werden glänzen wie
der Glanz des Himmels, und die, welche viele zur Gerechtigkeit führten,
wie die Sterne, immer und ewig' ein neuer Sporn sein für ihren (Daniel
12) heiligen, schwierigen Lehrerberuf. Sie haben ja niemanden, der
ihnen Mut und Trost zuspräche bei ihrer gottbewussten Lebenstätigkeit.
Die Gemeindemitglieder können fast durchgehend solche Leistungen ihres
Lehrers nicht beurteilen, weil ihnen das Verständnis der einzelnen
Lehrfächer abgeht, und unser Rabbiner zu Darmstadt, der ignoriert solche
Bestrebungen gänzlich. Warum sollte er auch nicht, sie machen ja die
Pfründe nicht fetter. – Wir werden übrigens – so Gott will –
noch auf diesen Punkt zurückkommen." |
Antisemitische Entscheidung des Bürgermeisters und des Kreisamtes (1906)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 19. Oktober
1906: "Reichelsheim im Odenwald. Ein Vorfall, der zum energischen
Protest auffordert, hat sich hier zugetragen. Den Einberufern des
Simches-Thora-Balles (sc. Ball zum Fest 'Simchat Tora') erteilte
der Bürgermeister die Genehmigung mit dem Hinzufügen: Nur für Juden.
Die Einberufer erhoben sofort gegen diese Beschränkung beim Kreisamt in
Erbach Beschwerde, hatten aber keinen Erfolg. Beim Beginn des Balles
erschien die Gendarmerie und verwehrte den Nichtjuden den
Eintritt.
Es verlangt die Ehre der Reichelsheimer Juden, dass sie diese
Angelegenheit bis zur letzten Instanz
verfolgen." |
Treffen der Agudas
Jisroel-Jugendgruppe (1935)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. Januar 1935: "Reichelsheim
im Odenwald, 15. Januar (1935). Am vergangenen Sonntag fand hier in
Anwesenheit von Vertretern der Frankfurter, Darmstädter und
Groß-Bieberauer Gruppen die erste größere Zusammenkunft unserer
kürzlich von Artur Neuhaus gegründeten Agudas Jisroel-Jugendgruppe
statt. Als Vertreter ihrer Gruppen begrüßten Toni Schatz (Darmstadt),
Ludwig Levi (Groß Bieberau) und Joseph Stiefel (Frankfurt Main) die
zahlreich Erschienenen. Sally Storch (Frankfurt Main) hatte die Leitung
des Nachmittags. Zunächst wurde eine Pirchimgruppe gegründet, die mit
großer Freude sogleich mit einem Heimabend die Arbeit aufnahm. Sally
Storch hielt danach vor den Jugendlichen eine begeisterte und begeisternde
Rede über ‚Die Ziele der A.J.’. Die rege Diskussion bewies, dass alle
den mitreißenden Ausführungen gefolgt waren und dass alle sich für die
Sache einsetzen wollen. Die Rede wurde umrahmt von zwei an Ort und Stelle
gelernten Liedern. Alsdann versammelte man sich zu einem gemütlichen
Beisammensein, das von Humor und Ernst getragen war und den
erlebnisreichen Nachmittag harmonisch abrundete zu echt-jüdischem
Erlebnis. Wir danken vor allem unseren Frankfurter Chawerim Joseph Stiefel
und Sally Storch für ihre erfolgreichen Bemühungen, die wir mit großer
Begeisterung fortsetzen wollen." |
"Maßnahmen gegen Juden" (1942)
(Quelle: Archiv von Hans Peter Trautmann)
Zur
Vorbereitung der Deportation der noch an den Orten befindlichen jüdischen
Einwohner verschickte die Gestapo Anfang 1942 eine Umfrage betreffend: Maßnahmen
gegen Juden: "Im Hinblick auf bevorstehende Maßnahmen gegen die
Juden sind auf Anordnung des Reichssicherheitshauptamts (Geheim) unverzüglich
folgende Feststellungen zu treffen..".
Am 18. März 1942 wurden aus Reichelsheim12 jüdische Einwohner nach Darmstadt und dann am 25. März 1942 nach Piaski (Ghetto) / Polen deportiert und ermordet.
Vorher wurde dieser geheime Funkspruch der Gestapo Darmstadt an den Gendarmerie-Posten Reichelsheim übermittelt. |
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde
Hinweis auf Rabbiner Seligmann Meyer (1853-1925)
Rabbiner
Seligmann Meyer ist 1853 in Reichelsheim geboren. Er war von 1877 bis
1882 Redakteur der 'Jüdischen Presse'; 1884 gründete er die
deutsch-israelitische Zeitung 'Die Laubhütte', die er bis zu seinem Tode
redigierte. Von 1882 an war er Stadtrabbiner in Regensburg,
ab 1897 orthodoxer Distriktsrabbiner. von 1918-1923 war er Vorsitzender der
bayerischen Rabbinerkonferenz. Texte zu Rabbiner
Seligmann Meyer auf der Textseite zur jüdischen
Geschichte in Regensburg.
Vermächtnis von Hermann David (1911)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 27. Januar 1911: "Reichelsheim. Das hiesige
Gemeindemitglied Hermann David vermachte den Armen der jüdischen
Gemeinde 6.000 Mark." |
Wilhelm Joseph erweitert seine
Mazzenbäckerei (1901)
Artikel
im "Kreisblatt Erbach" vom 31. Dezember 1901: "Wilhelm Joseph von
hier, dessen Vater schon eine Mazzen-Bäckerei betrieb, hat durch Neu-Anlage
zweier Backöfen und durch Motorbetrieb sein Geschäft so erweitert, dass von
jetzt ab täglich 5 Sack Mehl zu Mazzen verbacken werden."
Erläuterung von Hans Peter Trautmann: Die ehemalige Mazzen-Bäckerei und
das Wohnhaus befinden sich in der heutigen Heidelberger Str. 16 in
Reichelsheim. Dort sind Stolpersteine für Leo Joseph und seine Ehefrau Betty
Joseph geborene Hofmann verlegt. Leo Joseph starb an 27.11.1941 im jüdischen
Krankenhaus in Mainz an den Folgen der erlittenen KZ-Haft in Dachau. Betty
Joseph wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Die Tochter Ilse Joseph (geb. 18.
September 1926, verheiratete Shapiro) konnte mit 13 Jahren 1939 in die USA
fliehen." |
Über die Kriegsauszeichnungen jüdischer Soldaten und die Gefallenen des Ersten
Weltkrieges
Anmerkung: die nachfolgenden Mitteilungen sind dem "Evangelischen
Heimatboten
der Evangelischen Kirchengemeinde Reichelsheim" (!) entnommen; Übersendung
der Artikel durch Hans-Peter Trautmann; Abdruck mit freundlicher Genehmigung der
Evangelischen Kirchengemeinde Reichelsheim.
Löb,
Willi, Gefreiter, Kaufmann aus Reichelsheim, israelitisch,
Infanterie-Regiment Nr. 87, 9. Komp., hat am 8. September 1916 das Eiserne
Kreuz erhalten für das Überbringen von Meldungen als Gefechtsordonnanz
durch feindliches Sperrfeuer." |
|
Reichelsheimer,
Hermann, Landsturmmann, Metzger zu Reichelsheim, israelitisch,
verheiratet, Sohn des verstorbenen Metzgers Gottschalk Reichelsheimer,
Infanterie-Regiment Nr. 97, 8. Komp., starb am 4. März 1917 infolge von
Herzschwäche bei schwerem Bronchial-Asthma in einem Kriegs-Lazarett nach
14-tägiger Krankheit und wurde am 6. März 1917 auf einem
Militärfriedhof beerdigt." |
|
Meyer,
Salomon, Kanonier, Viehhändler zu Reichelsheim, israelitisch,
verheirateter Sohn des Viehhändlers Isaak Meyer IV.,
Feld-Artillerie-Regiment Nr. 61, leichte Munitionskolonne Nr. 946, erkrankte
am 8. September 1918 und starb am 1. November 1918 an Paratyphus, Skorbut
und akuter Bauchfellentzündung im Bayerischen Kriegslazarett Nr. 22 zu
Couvin in Belgien. Er wurde auf dem dortigen Friedhof am 2. November 1918
beerdigt." |
|
Samuel,
Feist, israelitischer Landsturmmann aus Reichelsheim, Lehrer,
verheiratet zu Hohensalza, Sohn des verstorbenen Viehhändlers Löser
Samuel, geb. am 3. März 1875, gest. am 31. Oktober 1914. |
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 1. Dezember 1914: "Auf dem Felde der Ehre gefallen sind:
Rabbinatskandidat Alfred Salomon, 22 Jahre alt, aus Berlin; Lehrer
Feist Samuel aus Reichelsheim (im Odenwald), zuletzt in
Hohensalza". |
|
Herz,
Max, israelitisch, Ersatzreserve aus Reichelsheim (geb. zu
Berolzheim,
Bayern), Fruchthändler, verheiratet, Sohn des Kaufmanns Hirsch Herz zu
Berolzheim, geb. am 12. Mai 1879, gest. am 30. September 1915." |
Herz,
Max, Ersatzreservist, Handelsmann zu Reichelsheim, israelitisch,
verheiratet, war zu einem Landwehr-Infanterie-Regiment eingezogen,
gefallen am 30. September 1915 in den schweren Kämpfen in der Campagne in
der Gegend von Cernay. Sein Kompanieführer schrieb: 'Die Kompanie wird
dem in treuer Pflichterfüllung auf dem Felde der Ehre Gebliebenen ein
ehrendes Andenken bewahren." |
|
Selig,
Leopold, Landsturmrekrut, Handelsmann zu Reichelsheim, verheiratet,
israelitisch, Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 349, 10. Kompanie, gefallen
am 8. August 1916 durch Granatschuss." |
|
Meyer,
Moses II., Musketier (Landsturmrekrut), Viehhändler zu Reichelsheim,
verheiratet, israelitisch, Sohn des verstorbenen Viehhändler Mordche
Meyer zu Reichelsheim, Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 254, 7. Kompanie,
starb am 7. November 1916 an den Folgen der Ruhrkrankheit im Feldlazarett
Nr. 405 und wurde am 9. November 1916 auf dem dortigen Heldenfriedhof
beerdigt." |
85. Geburtstag von Fanny Löb geb. Sondheimer (1929)
Meldung in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Dezember 1929:
"Reichelsheim, 15. Dezember (1929). Am 25. Dezember feiert ihren 85.
Geburtstag in geistiger Frische Frau Fanny Löb Wwe. geb. Sondheimer in
Reichelsheim im Odenwald." |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe (bzw. über sie) und Privatpersonen
Versteigerung der Reste der
Eisenhandlung von Joseph Löser (1849)
(Erhalten von Hans Peter Trautmann, Reichelsheim)
Anzeige
in "Der Odenwälder" vom 20. November 1849.
Versteigert wurden die Reste
der Eisenhandlung von Joseph Löser. |
Klagesache gegen Pferdehändler Meier Feist Joseph in
Reichelsheim (1856)
(erhalten von Hans Peter Trautmann, Reichelsheim)
Anzeige im "Intelligenzblatt für den Kreis Lindenfels" Nr. 14
vom 4. April 1856: "Rimbach. Bekanntmachung.
In Sachen des Großherzoglichen Bürgermeisters Johannes Rech II. von
Mörlenbach, Klägers gegen Meier Feist Joseph in Reichelsheim,
Beklagten, Pferdehandel betreffend.
Mittwoch den 9. April, Mittags 12 Uhr, wird auf dem Büro des Großherzoglichen
Ortsgerichts dahier ein schwarzes Wallachpferd an den Meistbietenden gegen
gleich bare Zahlung öffentlich versteigert.
Rimbach, den 1. April 1856. Der Vorsteher des Großherzoglichen
Ortsgerichts Rimbach, Trautmann." |
Eintragungen der Firmen David in Reichelsheim (1879)
(erhalten von Hans Peter Trautmann, Reichelsheim)
Anzeige
im "Erbacher Kreisblatt" vom 3. Januar 1880: "Bekanntmachung.
In dem Firmenregister unterzeichneten Gerichts wurden heute folgende
Einträge vollzogen:
1) David Marx David von Reichelsheim betreibt unter eigener Firma einen
Viehhandel im Kleinen;
2) Feist David und Jonas David von Reichelsheim betreiben daselbst einen
Frucht- und Mehlhandel unter der Firma: Feist und Jonas
David.
Jeder derselben ist befugt, diese Firma zu zeichnen, und haben sie ihrem
Bruder David David Prokura erteilt.
Fürth, den 23. Dezember 1879. Großherzogliches Amtsgericht
Fürth. Cellarius.
Lindenstruth,
Gerichtsschreiber." |
Anzeige zum Vertrieb von Reichelsheimer Mazzoth in Frankfurt im Weltkriegsjahr (1917)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 12. Januar
1917: "Hierdurch benachrichtige ich meine verehrte Kundschaft
ergebenst, dass in diesem Jahr Mazzen und
Mazzenmehl nur gegen
Bezugscheine verabreicht werden. Bezugscheine können bei der
israelitischen Gemeinde, Hochstrasse 12, in Empfang genommen und an meine
unten stehende Adresse übermittelt werden.
Levi, Ostendstrasse 3. Tel. H 8668. Vertreter von W. Joseph, Reichelsheim
im Odenwald." |
Verlobungsanzeige für Gunda Stein und David Selig
(1921)
Anzeige im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 14. Oktober 1921:
"Gunda Stein - David Selig. Verlobte.
Frankfurt am Main / Messelhausen -
Frankfurt am Main / Reichelsheim im Odenwald.
Zuhause: Sonntag, den 16. Oktober 1921, Schumannstraße
33". |
Anzeige von Martha Joseph (1925)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Oktober 1925:
"Perfekte Köchin, 20 Jahre alt, sucht sofort
Stellung.
Offerten an Martha Joseph,
Reichelsheim im
Odenwald." |
80 Jahre Mazzenbäckerei W. Joseph (1927)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Februar 1927: "Reichelsheim im
Odenwald. In diesen Tagen kann die Mazzenfabrik W. Joseph,
Reichelsheim im Odenwald auf 80 Jahre ihres Bestehens zurückblicken. Mit
den allerbescheidensten Mitteln, als Handbetrieb beginnend, hat sie der
verstorbene Vater des jetzigen Inhabers zu einem Musterbetrieb emporgeführt,
der schon bei seinem Tode 1914 zu den bedeutendsten Deutschlands und mit zu
den führendsten Süddeutschlands zählen konnte. - Helle, hohe, luftige
Arbeitsräume, modernste Maschinen elektrischen Betriebs, Backöfen neuester
Systeme im Verein mit einem Stamm alter zuverlässiger Arbeiter gewählen
heute unter Verwendung nur erstklassigen Materials die Herstellung eines
Produktes, das nicht nur auf dem Pesachtisch gern genossen wird, sondern
sich auch vor der Festzeit als Zugabe für den Frühstückstusch für
Rekonvaleszenten großer Beliebtheit erfreut. Joseph's Fabrikate haben heute
einen Siegeszug durch ganz Deutschland angetreten. Das Bemühen des jetzigen
Inhabers ist darauf gerichtet, Betrieb und Fabrikat zur höchstmöglichen
Vervollkommnung heranzuführen. Besonders betont sei noch, dass die Fabrik
unter streng religiöser Aufsicht steht und daher auch orthodoxe Kreise ihren
Bedarf ohne Bedenken decken können." |
Anzeige der Mazzenbäckerei W. Joseph (1933)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. März 1933: "W.
Joseph G.m.b.H. Reichelsheim/Odenwald
- unter Aufsicht Seiner Ehrwürden Herrn Rabbiner Dr. Merzbach, Darmstadt
-
empfiehlt Ia Mazzen in 1, 5 und 10 Pfund Packung.
Mazzenmehl in plombiertem Beutel. Mizwos und -Schmuroh in Kartons bei
billigster Berechnung.
Versandt nach allen Plätzen, in Frankfurt am Main zu haben bei: Herrn B.
Karpf, Sandweg 29 Herrn K. Oppenheimer, Allerheiligenstr. 49, Frau
J. Kamnitzer, Schwanenstr. 4 Frau Johanna Strauss, Rechneigrabenstr.
12." |
Sonstiges
Erinnerungen an die Auswanderungen im 19. Jahrhundert: Grabstein in New York für Henry
Meyer aus Reichelsheim (gest. 1880)
Anmerkung: das Grab befindet sich in einem jüdischen Friedhof in NY-Brooklyn.
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Grabstein für "Henry Meyer (Chaim
Bar Jizchak),
Born in Reichelsheim, Grossherzogtum Hessen.
Died July 26th 1880 (= 18. Aw 5640),
aged 54 Years". |
"Ediktalaufforderung" anlässlich eines Konkurses
des Anton Berg zu Fürth: Forderung der Brüder Feist Joseph zu Reichelsheim (1852)
(aus der Sammlung von Hans Peter
Trautmann, Reichelsheim)
Anzeige im "Intelligenzblatt für den Kreis Lindenfels" Nr. 13 vom 29.
Oktober 1852. Die Anzeige enthält Angaben von genealogischem Interesse im
Blick auf die Brüder bzw. deren Nachkommen/Erben von Meier Feist Joseph, Isaak
Feist Joseph, Löser Feist Joseph sowie Eli Feist Joseph.
Zum Lesen der
Anzeige bitte Abbildung anklicken.
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Postkarte der Gebr. David über Ankauf von Getreide
(1923)
(erhalten von Hans Peter Trautmann, Reichelsheim)
Es handelt sich um eine Postkarte mit einer Bestätigung über den Ankauf von
Getreide vom Landwirt Konrad Jakob aus Ober-Ostern von den Gebrüdern David,
Am Flutgraben 3, Reichelsheim, über 60.000 Mark von 1923. Inhaber des
Geschäftes war Adolf Wolf David (geb. 26. September 1883 in Reichelsheim,
1942 deportiert und umgekommen (für tot erklärt). |
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Briefbogen mit Schreiben des Pferdehändlers Nathan
Meyer aus Bensheim nach Reichelsheim (1927)
(erhalten von Hans Peter Trautmann, Reichelsheim; Informationen auf
Grund der Recherche von Hans Peter Trautmann)
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Es
handelt sich um ein Schreiben des Pferdehändlers Nathan Meyer an die
Volksbank in Reichelsheim, abgeschickt am 14. August 1927 in Bensheim. Der
andere genannte Bürge im Schreiben, Aron Meyer (1867-1936,
beigesetzt im jüdischen Friedhof in
Reichelsheim), wurde im Landesadressbuch der Provinz Starkenburg von
1905 als Pferdehändler, Heidelberger Str. 5 in Reichelsheim
gelistet. |
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Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes Darmstadt
betreffs Anlage einer "Judenkartei" (1935)
Das
Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes Darmstadt vom 23. August 1935
wurde an das Polizeiamt in Reichelsheim/Odenwald geschickt (aus dem Archiv
von Hans Peter Trautmann, Reichelsheim).
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Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes Darmstadt
betreffs Verwendung der aus jüdischem Besitz eingezogenen Rundfunkgeräten (1940)
Das
Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes Darmstadt vom 14. Februar 1940
wurde an den Landrat in Erbach geschickt, von hier aus in Abschrift an den
Gendarmerie-Posten Reichelsheim (aus dem Archiv
von Hans Peter Trautmann, Reichelsheim). Es betraf die Verwendung der aus
jüdischem Besitz eingezogenen Rundfunkgeräte. Genannt werden
Rundfunkapparate, die aus dem Besitz stammten von: Ludwig Meyer, Beerfurther
Str. 5, Julius Löb, Reichenberger Str. 6, Gustav Reichelsheimer,
Bismarckstr. 17, Leo Josef, Reichenberger Str. 6, Louis Josef, damalige
Adolf-Hitler-Str. 14, Emil Kahn in Mümling-Grumbach, damalige
Adolf-Hitler-Str. 76, Mathilde Marx in Neustadt, damalige Adolf-Hitler-Str.
und Moses Kempe in Neustadt, damalige Adolf-Hitler-Str.
Anmerkung: Unterzeichnet wurde das Schreiben von Dr. jur. Humbert
Achamer-Pifrader (geb. 21. November 1900 in Teplitz-Schönau als Hubert
Victor Emanuel Pifrader, Böhmen; gest. 25. April 1945 in Linz),
österreichischer Jurist, Leiter der Gestapo Darmstadt (Dezember 1939 - Juni
1940), Oberregierungsrat, SS-Oberführer sowie von September 1942 bis
September 1943 Kommandeur der Einsatzgruppe A.
|
Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes Darmstadt
betreffs "Kennzeichnung der Juden" (1941)
Das
Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes Darmstadt vom 4. Oktober
1941 wurde an verschiedene Dienststellen geschickt (aus dem Archiv
von Hans Peter Trautmann, Reichelsheim). Es betraf die Polizeiverordnung
über die "Kennzeichnung der Juden" vom 1. September 1941.
Anmerkung: Das Schreiben wurde unterzeichnet vom Leiter der Gestapo
Darmstadt (Dienstsitz: Neues Palais am Wilhelminenplatz 1),
Regierungsassessor dann Regierungsrat/ SS-Hauptsturmführer Günther Fentz
(geb. 27.12.1911). SS-Nr.: 50.993. NSDAP-Nr.: 226.497.
|
Zur Geschichte der Synagoge
Zunächst dürfte ein Betraum in einem der jüdischen
Häuser ausgereicht haben. Im Juli 1817 wurde eine Synagoge eingeweiht;
die Festpredigt sollte Seckel Löb Wormser aus Michelstadt
halten.
1856 wurden größere Reparaturarbeiten vorgenommen. Die in der
Ausschreibung der Arbeit-Versteigerung die größte Position Schreinerarbeiten
betraf, wurde möglicherweise die gesamte Inneneinrichtung verändert. In dieser
Zeit wurden in vielen Synagogen die bis dahin vorhandenen Betständer durch
Bankreihen ersetzt. Dies könnte auch der Grund für die Arbeiten in der
Synagoge in Reichelsheim gewesen sein.
Reparaturarbeiten in der Synagoge (1856)
(Anzeige erhalten von Hans Peter Trautmann)
Anzeige
im "Intelligenzblatt für den Kreis Lindenfels Nr. 29 vom 18. Juli
1856":
"(Reichelsheim). Arbeits-Versteigerung.
Dienstag, den 22. Juli, Vormittags 10 Uhr sollen bei Herrn Gastwirt Volk
zu Reichelsheim die mit der Herstellung der Synagoge zu Reichelsheim
verbundenen Reparaturarbeiten, bestehend in:
1) Maurerarbeit, veranschlagt zu 57 fl. 50 kr 2) Steinhauerarbeit,
veranschlagt zu 58 fl 45 kr.
3) Zimmerarbeit, veranschlagt zu 257 fl. 14 kr. 4) Schreinerarbeit,
veranschlagt zu 541 fl. 41 kr.
5) Weißbinderarbeit, veranschlagt zu 236 fl. 59 kr.
unter den bei der Versteigerung bekannt gemacht werdenden Bedingungen an
die Wenigstnehmenden öffentlich versteigert werden.
Michelstadt, den 11. Juli 1856. Großherzogliches Kreisbauamt Erbach.
Schredelseker*." |
*Konrad Schredelseker 1819-1858) war von
1852 bis 1858 Kreisbaumeister des Kreisbauamts Erbach in
Michelstadt/Odenwald. |
1904 wurde die Synagoge umfassend renoviert. Die Arbeiten wurden
zwischen Mai und August dieses Jahres unter der Leitung von Straßenmeister
Böhm (Reichelsheim) durchgeführt. Dabei wurde das gesamte Innere der Synagoge
neugestaltet sowie elektrisches Licht und eine neue Heizungsanlage eingerichtet.
Spenden für die Renovierung kamen unter anderem von Simon Joseph, der in die Vereinigten Staaten ausgewandert war. Die
Synagoge hatte nach der Renovierung etwa 100 Sitzplätze. Die Wiedereinweihung
der Synagoge war am 26./27. August 1904. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde eine Gedenktafel
für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges angebracht.
Die Renovierung und Wiedereinweihung der Synagoge
(1904)
(Artikel erhalten von Hans Peter Trautmann, Reichelsheim)
Anzeige im "Centralanzeiger für den Odenwald -
Erbach-Kreisblatt" vom 16. Januar 1904: "Arbeits-Vergebung.
Zur Instandstellung der Synagoge zu Reichelsheim sollen
folgende Arbeiten auf dem Submissionswege vergeben werden:
a) Schreinerarbeit (ca. 18 qm Holzbrüstung, 1 zweiflügelige
Eingangstür, 86,5 qm Deckenschalung mit gestäbten Riemen, 20 qm
Pitch-pine-Fußboden usw.
b) Herstellung von Eichenparkett-Fußboden in Asphalt (ca. 26,0
qm),
c) Weißbinderarbeit (ca. 220 qm Leimfarbeanstrich, 28 qm
Deckenputz, 40 qm Wandputz, 650 qm Oelfarbeanstrich usw.).
Bedingungen und Zeichnungen liegen bei Kreisstraßenmeister Böhm
zu Reichelsheim, sowie bei dem israelitischen Lehrer Rothschild daselbst
zur Einsicht offen, wo auch Angebotformulare gegen Erstattung von 10 Pfg.
pro Seite abgegeben werden.
Die Angebote sind verschlossen mit der Aufschrift: 'Angebot für Synagoge'
bis Montag den 1. Februar laufenden Jahres, nachmittags 1 Uhr,
bei Kreisstraßenmeister Böhm zu Reichelsheim i.O., einzureichen.
Zuschlagsfrist: drei Wochen. Ausführung der Arbeiten: 25. Mai bis 7.
August laufenden Jahres.
Erbach, den 14. Januar 1904. Der Großherzogliche
Kreisbauinspektor. Plitt." |
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Artikel
im "Centralanzeiger für den Odenwald - Erbach-Kreisblatt" vom
23. August 1904: "Reichelsheim, 21. August (1904). Anlässlich
der Renovierung der hiesigen Synagoge finden nächsten Freitag und
Samstag in der israelitischen Gemeinde folgende Festlichkeiten statt.
Freitag Abend um 6 1/4 Uhr Festgottesdienst, abends 8 1/2 Uhr Konzert im
Gasthaus 'zum Löwen'. Samstag Vormittag 7 1/2 Uhr Gottesdienst mit Gesang
und Predigt, nachmittags 4 Uhr Konzert und abends 8 Uhr Festball im
Gasthaus 'zum Löwen'. Infolge zahlreicher Einladungen auswärtiger
Glaubensgenossen und auch hiesiger Bürger wird der Besuch der
Festlichkeiten voraussichtlich ein recht großer
sein." |
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Artikel im "Centralanzeiger für den Odenwald -
Erbach-Kreisblatt" vom 30. August 1904: "Die anlässlich der
Renovierung der hiesigen Synagoge stattgefundenen Festlichkeiten
sind vorüber. Die israelitische Gemeinde hatte in Herrn Straßenmeister Böhm
einen Bauleiter gefunden, der in dem gegebenen Rahmen wirklich sehr
schönes leistete. Das Innere der Synagoge macht jetzt einen sehr
freundlichen, aber auch recht würdigen Eindruck. Elektrisches Licht,
sowie Heizungsanlage werden ebenfalls dazu beitragen, den Aufenthalt in
der Synagoge angenehm zu machen." |
Außerhalb der Synagoge bestand noch ein privater Betsaal im Haus von Mosche
Veitel, worin bis 1880 an jedem 4. Sabbat Mincha gebetet wurde.
Bereits 1922 wurden in der Synagoge die Fenster eingeworfen.
Erinnerungen an die
Synagoge in Reichelsheim
Quelle: Reinhard Grünewald: Gegen das Vergessen - Juden
in Reichelsheim. 1998 S. 52-56 (auszugsweise zitiert; vgl. unten
Literaturliste). |
Wie ein Kind den Gottesdienst in der Synagoge zu Reichelsheim
erlebte, erzählt Sidney Selig aus Jerusalem.
Kindheitserinnerungen eines alten Mannes: Gottesdienst in der Synagoge in Reichelsheim.
"Es ist lange her. Aber ich erinnere mich noch heute daran, nach so vielen Jahren.
Ich war gerne bei meinen Verwandten in Reichelsheim. Sie nahmen mich am Sabbat mit in die Synagoge zum Gottesdienst.
In Frankfurt, wo ich zu Hause war, war die Synagoge größer und prachtvoller.
Dort habe ich auch Gottesdienst erlebt. Vielleicht vermischen sich meine Erinnerungen etwas. Aber das ist ja nicht so wichtig.
Später war ich Kantor in einer jüdischen Gemeinde in New York. Kann sein, dass der Gottesdienstbesuch in Reichelsheim dazu beigetragen hat.
Aber nun zur Synagoge und zum Gottesdienst in Reichelsheim. Wenn man die äußere Tür der Synagoge öffnete, um nach innen zu treten, sah man
sofort vorn den Thora-Schrank. Davor hing das ewige Licht. Wenn man ihn öffnete, kam ein Vorhang zum Vorschein.
In dem Thora-Schrank war Platz für zwei Thora-Rollen, in größeren Gemeinden auch mehr.
Die Thora-Rolle war von einem Samtmäntelchen umhüllt, das mit schönen Ornamenten verziert war.
Eine Brustplatte war zu sehen, und ein Zeiger war dabei. Oben war eine Krone mit zwei silbernen Glöckchen.
Weil man unter keinen Umständen während des Gottesdienstes irgendeine Unterhaltung innesein darf, aber zur damaligen
Zeit keinerlei Verordnungen in deutscher Sprache verlesen werden sollten, wurden die Glöckchen geläutet. Dann wusste
jeder, dass die Thora kommt. Wenn die Gottesdienstbesucher zum Gottesdienst kamen, begrüßten sie sich herzlich.
Jeder hatte seinen Platz in der Synagoge. Der Rabbiner saß vor der Gemeinde.
Dann konnte ihn jeder sehen und wusste, wann er aufstehen oder sich wieder setzen sollte.
Ich wartete immer gespannt darauf, bis der Thora-Schrein geöffnet wurde. Zuerst las der Vorsänger aus dem Gebetbuch vor, oder er sang Lobgesänge. Die Gemeinde betete und sang leise mit.
An Feiertagen wurden zwei, an allgemeinen Sabbat-Tagen wurde nur eine Thora-Rolle aus dem Schrein herausgenommen.
Sie wurde in feierlichem Umzug an den Gottesdienstbesuchern vorbei zum Vorlesepult getragen.
Jeder musste dann zu ihren Ehren aufstehen und die Thora beim Vorbeigehen küssen.
Alle Synagogenbesucher hatten am Sabbatmorgen eine besondere Bekleidung an.
Über dem Rock war nur ein Tallith, d.h. ein Gebetsmantel, welcher an den vier Ecken Schaufäden hatte,
die benutzt wurden, um die Thora zu küssen. (Man küsste die Schaufäden und berührte mit ihnen die Thora.)
Auch bei einigen Gebeten wurden die Schaufäden geküsst, immer dann, wenn die Abschnitte vorgelesen wurden,
für die das angeordnet war.
In Reichelsheim war nicht an jedem Sabbat ein Rabbiner, da dieser verschiedene Ortschaften besuchen musste.
Aber so viel ich mich besinnen kann, wurde an jedem Sabbat und natürlich auch an den Feiertagen eine Rede gehalten,
die in Abwesenheit des Rabbiners vom Lehrer der Religionsschule vorgetragen wurde.
Dieser war auch gleichzeitig Kantor (Vorsänger) und Schächter, hauptsächlich für Hühner und Gänse.
Das Großvieh wurde von einem Schächter in Frankfurt geschächtet und dann nach Reichelsheim versandt.
In der Synagoge in Reichelsheim war natürlich auch eine Empore für die Frauen.
Obwohl sie sich nicht unten in der Synagoge am Gottesdienst beteiligen durften, nahmen sie doch aufmerksam an
ihm teil und sangen und beteten innigst mit, besonders bei dem sogenannten Ausheben und Einheben der Thora-Rollen." |
Beim Novemberpogrom 1938 im Laufe des Tages und des Abends am 10. November 1938 wurde die Synagoge durch einen
SS-Sturmtrupp aus Bensheim unter Anführung des Erbprinzen Georg-Ludwig zu Erbach-Schönberg und der Gebrüder
Riebel, SA-Mitglieder aus Reichelsheim, örtlichen NSDAP-Mitgliedern sowie Arbeitsdienstführern vom Reichsarbeitsdienstlager in Reichelsheim, im Innern zerstört.
Von der Inbrandsetzung der Synagoge selbst, die im rückwärtigen Teil eines außer ihr noch
die jüdische Schule und die Lehrerwohnung enthaltenen Gebäudes untergebracht war,
wurde abgesehen, da sie durch ihren engen Zusammenhang mit Reichelsheimer Wohnhäusern eine allgemeine Brandgefahr hervorgerufen hätte. Jüdische Einwohner wurden aus ihren Wohnungen zur Synagoge geholt,
mussten sich die Hände reichen und um ein vor der Synagoge angezündetes Feuer
herumtanzen. Im Feuer brannten Gebetbücher und Torarollen aus der Synagoge.
1939 verkauften die jüdischen Gemeindevorstandsmitglieder Gustav
Reichelsheimer, Seligmann Meyer und Julius Löb das geschändete und demolierte
Synagogengebäude
für 2.000 RM an die Ortsgemeinde. Wenig später wurde das Gebäude bis auf die
Grundmauern abgebrochen und neu als ein Verwaltungsgebäude aufgebaut.
Nach 1945: Das Gebäude mit den Mauern der ehemaligen Synagoge blieb zunächst - auch
nach Klärung des Restitutionsverfahrens Anfang der 1950er-Jahre - im Besitz der
Gemeinde Reichelsheim. Von 1949 bis 1954 war eine Zweigstelle der Sparkasse
Erbach im Haus eingerichtet. Am 10. Dezember 1954 wurde die ehemalige Synagoge
von der Gemeinde Reichelsheim an die Volksbank Reichelsheim verkauft, die das
Gebäude zur Geschäftsstelle umbauen ließ. 1970 wurde in dem Gebäude ein
Edeka-Lebensmittelmarkt, später ein Modegeschäft und noch verschiedene andere
Geschäfte eingerichtet.
Am 15. Juni 2017 wurde am Gebäude eine Gedenktafel
angebracht.
Adresse/Standort der Synagoge: Darmstädter Str. 3.
Fotos
Historische Fotos
des Synagogengebäudes
(Quelle der Fotos und Informationen:
Hans Peter Trautmann, Reichelsheim) |
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Ansichtskarte - versandt am
21. August 1912 -
mit der Synagoge ganz rechts
(nur teilweise zu sehen)
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Das Gebäude der
ehemaligen Synagoge: Foto links
als Zweigstelle der Sparkasse Erbach 1949-1954,
Foto rechts als Geschäftsstelle der
Volksbank Reichelsheim von 1954-1970 |
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Das
Gebäude der ehemaligen Synagoge im Sommer 2020
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum: 19.6.2020) |
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Das
Gebäude der ehemaligen Synagoge Darmstädter Straße 3 - auf dem Foto rechts
ist an der
Seite des Gebäudes die 2017 angebrachte Gedenktafel zu sehen |
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Mitte
und rechts: das Synagogengebäude von der Seite und von hinten; links die
Gedenktafel mit der Inschrift: "Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses
und den Ort, da deine Ehre wohnt. Ps. 26,8. Hier befand sich die Synagoge
von Reichelsheim. Eingeweiht im Juli 1817 (Tamus/Av 5577) durch Seckel Löb
Wormser aus Michelstadt, renoviert
1904. Am 10. Nov. 1938 zerstörten SA-Männer und Nationalsozialisten die
gesamte Inneneinrichtung. Die politische Gemeinde übernahm danach das
Gebäude und baute es um. Es steht heute auf den Mauern der alten Synagoge.
Juni 2017 (14. Siwan 5777)." |
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Das Gebäude
des rituellen Bades (Mikwe)
(Quelle: Hans Peter Trautmann, Reichelsheim) |
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Bildausschnitt
aus einer Ansichtspostkarte mit Poststempel Reichelsheim (Odenwald) vom 9.
März 1920.
Kleines Gebäude in der Mitte: das rituelle Bad (Mikwe) an der
Reichenberger Straße. |
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Das "Stelzenhaus"
in der Beerfurther Straße 5
(Beim Foto des Stelzenhauses
links handelt
es sich um eine Ansichtskarte von 1926) |
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In
der Beerfurther Straße 5 stand bis 1964 das sog. Stelzenhaus von
Moses Meyer I (geb. 1879 Reichelsheim, umgekommen 1943 im Ghetto Theresienstadt) und
seiner Frau Jettchen (Jenny) Meyer geb. Löwenstein (geb. 1878 in Lahr,
Westerwald, gest. 1964 New York); neben einer Gedenktafel sind
auch Stolpersteine verlegt. |
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Gedenken an die
jüdische
Gemeinde
(Fotos: Hahn; die je linken Fotos wurden
am 17.8.2008, die je rechten Fotos wurden
am 19.6.2020 erstellt) |
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Gedenktafel an der
Umfassungsmauer des Reichelsheimer Kirchberges mit der Inschrift:
"'Hüte dich und bewahre deine Seele gut, dass du die Geschichte
nicht vergisst, die deine Augen
gesehen haben, dein Leben lang und tue sie
deinen Kindern kund. 5. Mose 4,9'.
Zum Gedenken an unsere jüdischen Mitbürger, die Opfer der
Gewaltherrschaft des
Dritten Reiches wurden. Die Gemeinde Reichelsheim." |
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Exemplarische
"Stolpersteine" in Reichelsheim
(Fotos: Hahn; Aufnahmedatum 19.6.2020) |
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Stolpersteine
Darmstädter Straße 3
(Synagogengebäude) für die Familie von
Richard Reif und seiner Ehefrau Frieda |
Stolperstein
Bismarckstraße 13 für
Adelheid Marx
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Stolpersteine
Bismarckstraße 15
für Joseph und Hilda Löb |
Stolpersteine
Bismarckstraße 17 für
die Familie Reichelsheimer |
Stolpersteine
Reichenberger Straße 6 für die
Familie der Jeanette Löb |
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Weitere
Informationen und Angaben zu weiteren in Reichelsheim verlegten
Stolpersteinen siehe die Broschüre
"Gegen das Vergessen - Stolpersteine in Reichelsheim" (pdf-Datei, online
eingestellt, vgl. unten Literatur) |
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Dokument von 1897 mit
Unterschriften
des damaligen jüdischen
Gemeindevorstandes
(Quelle: Hans-Peter Trautmann, Reichelsheim) |
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Schreiben des Vorstandes der jüdischen
Gemeinde Reichelsheim vom 13.11.1897 an das Kreisamt in Erbach betr. einer
Rückzahlung von Schulden der Witwe Joseph und Familie mit den
Unterschriften von "Joseph David II
Löb" |
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
April 2011:
In Reichelsheim werden "Stolpersteine" verlegt |
Artikel von Kirsten Sundermann in "echo-online.de" vom 2. April
2011 (Artikel):
"Nicht zum Stolpern, aber zum Innehalten. Erinnerungstafeln: Gunter Demnigs Gedenkinitiative für jüdische Mitbürger erreicht nun auch Reichelsheim.
REICHELSHEIM. Nun sind sie auch in Reichelsheim zu finden, die vom Kölner Konzeptkünstler Gunter Demnig ersonnenen und verbreiteten
'Stolpersteine'. Darunter sind kleine, in den Bürgersteig eingelassene Mahnmale zu verstehen, die vor Häusern eingesetzt werden, in denen vor ihrer Verfolgung und meist Ermordung durch Deutsche jüdische Mitbürger lebten. Auf einer Deckplatte aus Messing haben Bürger Name, Geburtsjahr, Zeit und Ort der Deportation und das weitere Schicksal des Gepeinigten eingravieren
lassen..." |
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Juni 2011:
Die "Stolpersteine"-Verlegung in
Reichelsheim ist abgeschlossen |
Artikel von Kirsten Sundermann in "echo-online.de" vom 3. Juni
2011 (Artikel,
abgekürzt zitiert): "Stolpersteine: Demnigs Reichelsheimer Arbeit ist getan.
In der Gemeinde erinnern nun 42 Gedenktafeln an die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft.
REICHELSHEIM. So wie ihn mittlerweile viele kennen, zeigte sich Gunter Demnig diese Woche den Reichelsheimern ein zweites Mal: Angetan mit Schlapphut, Handschuhen und Knieschützern, war der Kölner in der Gersprenztalgemeinde unterwegs, um den Ende März begonnenen lokalen Teil seines Werk s zu vollenden. Denn Demnig hat Reichelsheim unter die mittlerweile 647 Städte und Ortschaften aufgenommen, in denen er seit 15 Jahren seine Stolpersteine verlegt. Von ihm gekennzeichnet werden damit Häuser, in denen Menschen lebten, die während des Naziregimes deportiert und ermordet wurden..." |
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Mai/Juni 2017:
Vor 200 Jahren: Einweihung der Synagoge in
Reichelsheim - Veranstaltungen im Rahmen des Reformationsgedenkjahres |
"Begegnen,
versöhnen, Zukunft eröffnen. 500. Reformationsgedenken - 200 Jahre
Reichelsheimer Synagoge" |
Im Reformationsgedenkjahr 2017 jährt sich auch die Einweihung der ehemals jüdischen Synagoge in Reichelsheim zum 200. Male.
Dies nehmen die Veranstalter (siehe unten) zum Anlass, das 500. Reformationsgedenken zugleich als eine Erinnerung des jüdischen Erbes im Ort und der Wurzeln Israels im christlichen Glauben zu gestalten. Dazu gehört
neben Veranstaltungen und Seminaren in Reichelsheim zum Reformationsgedenken
auch eine Ausstellung über Synagogen von einst vom 15. Mai –
25. Mai 2017 im Museum und den Foyers der Banken mit Bildern von Alexander Dettmar.
Die Vernissage ist am 15. Mai 2017 um 16.00 Uhr.
Weitere Informationen siehe den Handzettel Synagogen von
einst (eingestellt als pdf-Datei).
Am 15. Juni wird um 17.00 Uhr eine Gedenktafel an der ehemaligen Synagoge unter Mitwirkung ehemaliger Reichelsheimer jüdischen Glaubens eingeweiht.
Die Veranstaltungen sind ein gemeinsames Engagement der Kirchen, der Offensive Junger Christen und der politischen Gemeinde Reichelsheim. Das Projekt wird von öffentlichen und privaten Sponsoren mitgetragen.
Weitere Informationen siehe unter www.ojc.de/veranstaltungen.
Anfragen zu Führungen und Fragen zu den Veranstaltungen bitte an ralph.pechmann@ojc.de. |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. II S. 209-212. |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988: kein Abschnitt zu Reichelsheim, da die Synagoge 1938 zerstört
wurde. |
| Gerd Lode: Die Geschichte der Juden in Reichelsheim.
In: Heimatbote. Gemeindeblatt für die Ev. Michaelsgemeinde Reichelsheim/Odw.,
November 1988. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S.
254-255. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 300-302. |
| Reinhard Grünewald: Aktionsgruppe Stolpersteine in
Reichelsheim (Hrsg.):
Gegen das Vergessen: Stolpersteine in Reichelsheim. 28 S. Eingestellt
als pdf-Datei. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Reichelsheim
Hesse. Established in the 18th century, the community numbered 260 (about
16 % of the total) in 1871, thereafter declining. Its synagogue was dedicated in
1817. Anti-Jewish riots broke out during the 1848 revolution and many Jews had
to take refuge in the forests. Nazi boycott measures were rigorously applied
after March 1933. SS men from Bensheim organized a pogrom on Kristallnacht
(9-10 November 1938) and destroyed the synagogue's interior. Jews were compelled
to dance around blazing Torah scrolls, their homes were looted and destroyed,
and Jewish men were sent to the Buchenwald concentration camp. Of the 109 Jews
living there in 1933, at least 66 emigrated (mostly to the United States);
others were deported in 1942.
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