SOLWODI e.V.


Auf der Flucht in ein besseres Leben

Von Ruth Müller

Fatu (Name geändert) aus Sierra Leone erzählt: "Da, wo ich herkomme, gibt es keine Gerechtigkeit für Frauen. Ich bin jetzt 26 Jahre alt. Bereits mit zwölf Jahren hat man mich dazu gezwungen, mich mit einem alten Mann zu verheiraten. Er vergewaltigte mich, ich wurde von ihm schwanger und bekam ein Kind, mit gerade einmal 15. Meine Tochter lebt immer noch in Afrika, ich habe sie zurücklassen müssen. Manchmal telefonieren wir miteinander. Sie denkt, dass ich in einer anderen Stadt in Sierra Leone lebe. Ein paar Jahre nach der Geburt meiner Tochter wurde ich gegen meinen Willen im Genitalbereich beschnitten. Das machen bei uns die Frauen der Bundu-Gesellschaft, ein Geheimbund, der Mädchen auf ihre "Aufgaben" als Frauen vorbereitet. Sie schnitten alle Mädchen mit derselben Rasierklinge und da sie mich festhielten, brachen sie mir den Arm. Ich kam daraufhin ins Hospital, aber viel zu spät. Bis heute habe ich Metall in meinem Arm, dadurch kann ich ihn nicht gut bewegen. Die Ärzte im Krankenhaus ermöglichten mir die Flucht ins Ausland. Erst kam ich an die Elfenbeinküste, dort konnte ich dann ein Visum für die Türkei beantragen. Ich schloss mich anderen Flüchtlingen an, um nach Europa zu kommen. Wir warteten immer, bis es dunkel war, dann marschierten wir los, in Richtung Bulgarien. Meistens war ich die einzige Frau in den Gruppen. In Bulgarien wurde ich wieder vergewaltigt, schrecklich vergewaltigt von vier Männern aus meiner Gruppe. Sie boten mir erst Saft an und dann etwas zu essen. Ich dachte, das seien freundliche Leute. Ich blutete aufgrund der Vergewaltigung so stark, dass ich nicht mehr gehen konnte. Da nahm mich ein anderer Mann auf den Rücken und trug mich, bis wir von der Polizei gefasst wurden. Ich war in Auffanglagern in Bulgarien, Serbien, schließlich in Ungarn. Dort stellte ich fest, dass ich durch die Vergewaltigung schwanger geworden war. Mir ging es furchtbar, ich wollte die Schwangerschaft nicht. Doch die Ärzte im Lager sagten mir, dass ich für eine Abtreibung zahlen müsse. Doch wer nur die Kleider hat, die er am Leib trägt, kann keine Abtreibung bezahlen. Eine Ärztin rettete mich, obwohl sie es nicht durfte: Sie verschaffte mir einen Platz im Auto eines Bekannten, der mich nach Deutschland fuhr. Hier bekam ich Hilfe von SOLWODI München. Das ist ein Jahr her. Ich wohne jetzt in der Stadt, in einem Zimmer, das mir die SOLWODI-Beratungsstelle besorgt hat. Es geht mir wieder etwas besser. Und trotzdem glaube ich, dass es ein Leben lang so weitergehen wird – das Wort Vergewaltigung, Vergewaltigung, Vergewaltigung, es ist immer in meinem Kopf präsent. Hier, guckt Euch meine Haare unter der Perücke an, sie wachsen nicht mehr nach. Seht mich an, schaut, was sie mir antaten, blickt auf die Narben zwischen meinen Beinen. Ich danke Gott, dass ich jetzt hier in Deutschland bin: Ich habe ärztliche Hilfe, ich gehe zum ersten Mal in meinem Leben in eine Schule. Aber ich würde so gern wieder einschlafen können. Ich kann es aber nur, wenn ich vorher viele Medikamente geschluckt habe. Ich habe Albträume und ich habe Angst. Alle denken, ich sei verrückt, aber ich bin nicht verrückt. Ich möchte wieder zu mir kommen."

 

Artikel Nr. 4 von 10 in: Rundbrief Nr. 106 - Dezember 2015
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