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Wetteraukreis"
Altenstadt mit
Engelthal (Wetteraukreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In Altenstadt bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938/42. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts
zurück. Die jüdischen Familien kamen großenteils von der Ronneburg
bei Altwiedermus; ihre Vorfahren stammten aus der Rheingegend, aus Spanien und
aus Frankreich.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1830 41 jüdische Einwohner, 1895 87, 1900 68, 1905 67 (5,9 % von
insgesamt 1.146 Einwohnern), 1911 65. Die jüdischen Familienvorsteher waren
tätig als Viehhändler, Pferdehändler, Metzger, Fourage-, Mehl-,
Kolonialwarenhändler. Es gab zeitweise auch eine jüdische Gastwirtschaft, einen Sattler,
einen Uhrmacher und einen Tierarzt.
Zur jüdischen Gemeinde Altenstadt gehörten seit 1806 auch die in Engelthal
lebenden jüdischen Personen. Hier gab es 1810 fünf Schutzjuden (mit Familien),
1830 26 Juden.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische Schule
(Religionsschule),
ein rituelles Bad (1838 erbaut, an der Straße Zum Bachstaden, beim
Novemberpogrom 1938 zerstört) und ein Friedhof. Zur
Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war zeitweise ein Lehrer angestellt, der
zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (vgl. die Ausschreibungen der
Stelle unten). Um 1865 wird als Lehrer J. Nathan bei einer Lehrerkonferenz in
Nidda genannt. 1922 starb der langjährige Lehrer Heinemann Neumark. Nach seinem
Tod wurde die Stelle vermutlich nicht mehr besetzt. Der Unterricht wurde durch
auswärtige Lehrer übernommen, der Vorbeterdienst in der Synagoge ehrenamtlich
durch Gemeindeglieder. Die Gemeinde gehörte zum orthodoxen Provinzialrabbinat
Oberhessen mit Sitz in
Gießen.
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Moses Strauß (geb.
29.4.1894 in Altenstadt, gef. 18.5.1915).
Um 1924, als zur jüdischen Gemeinde 76 Personen gehörten (5,7 % von 1.325
Einwohnern), waren die Gemeindevorsteher Meier Siesel, Isidor Löwenstein und
Willy Eckstein. Als (ehrenamtlicher) Kantor war Siegfried Stern tätig; zum
Unterricht der damals zwei schulpflichtigen Kinder der Gemeinde kam Lehrer
Markus aus Assenheim nach
Altenstadt.
1933 lebten 75 jüdische Personen in Altenstadt (5,5 % von insgesamt 1.356
Einwohnern). In
den folgenden Jahren sind die meisten von ihnen auf Grund der Folgen des
wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Zwischen 1933 und 1938
kam es mehrfach zu gewaltsamen Übergriffen gegen jüdische Familien; am
schlimmsten war - vor dem November 1938 - der Pogrom vom 11./12. Juli 1934
(siehe Bericht unten). Beim Novemberpogrom 1938 wurden die Synagoge und
die Mikwe zerstört (s.u.). Anschließend wurde die Wohnung der Geschwister
Löwenstein neben der Synagoge überfallen und die Inneneinrichtung völlig
zertrümmert. Ende September 1939 lebten noch elf jüdische Personen am Ort.
1942 waren nur noch der (nichtjüdische) Geschäftsmann Fritz Lich und seine
jüdische Frau Lina geb. Prager mit dem Sohn Herbert in Altenstadt. Auch gegen
diese Familie richteten sich noch mehrere gewaltsame Aktionen: im Februar 1942
drang eine johlende Menschenmenge über Leitern in die im 1. Stock gelegene
Wohnung ein. Fritz Lich wurde zusammengeschlagen und gefesselt in das Rathaus
gebracht. Die Familie verließ im November 1942 Altenstadt, verzog nach Londorf,
dann nach Gießen und emigrierte 1946 in die
USA.
Von den in Altenstadt geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): eine Zusammenstellung
konnte noch nicht vorgenommen werden, da die angegebenen Liste nicht ausreichend
zwischen den verschiedenen Orten mit Namen "Altenstadt"
differenzieren.
Sicher sind die Namen: Pauline Eckstein geb. Schuster (1876), Hedwig
Edelmuth geb. Siesel (1892), Wilhelm Goldschmidt (1857), Willi Goldschmidt
(1879), Martin Gottschalk (1894), Nathan Nathan (1864), Israel J. Siesel (1891), Karola Siesel (1932),
Selma Siesel geb. Katzenstein (1899), Rosi Schönfeld geb. Schuster (1906),
Hermann Schuster (1871), Betty Wertheim geb. Siesel (1902).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet
1872 / 1877 / 1887 / 1891
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Februar 1872:
"Die Religionslehrer-, Vorbeter- und Schächterstelle in hiesiger
Gemeinde ist vakant und soll bis zum 1. April dieses Jahres anderweitig
besetzt werden. Fixer Gehalt 220 Gulden nebst freier Wohnung mit Garten,
circa 100 Gulden Schechita-Gebühren. Qualifizierte Bewerber wollen ihre
Zeugnisse an den unterzeichneten Vorstand franko einsenden.
Altenstadt in der Wetterau, den 29. Januar 1872. Der Vorstand Becker." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Dezember 1872:
"Lehrer-Gesuch.
Die Religionslehrer-, Vorbeter- und Schächterstelle in hiesiger Gemeinde
ist vakant und soll bis zum 1. Januar 1873 anderweitig besetzt
werden.
Fixer Gehalt 250 Gulden nebst geräumiger freier Wohnung mit Garten und
Brunnen, ca. 100 Gulden Schechita-Gebühren.
Nebenverdienste durch Filialen etc. stehen in Aussicht. Qualifizierte
Bewerber wollen ihre Zeugnisse an den unterzeichneten Vorstand franco
einsenden.
Altenstadt in der Wetterau, 20. November 1872. Der Vorstand Becker." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. März 1877:
"Die Religionslehrer- und Vorbeterstelle, womöglich auch Schochet
ist vom 1. Mai dieses Jahres an, in Altenstadt, Großherzogtum Hessen, zu
besetzen, mit einem fixen Gehalt von 700 Mark, ohne Nebeneinkünfte, freie
Wohnung und einen schönen großen Garten beim Haus.
Bewerber wollen sich an den unterzeichneten Vorstand wenden.
Altenstadt, i.d. Wetterau, 9. März 1877. Der Vorstand S. Gottschalk". |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. Januar 1887:
"Die Religionslehrer- und Vorbeterstelle zu Altenstadt ist
anderweitig zu besetzen. Fixer Gehalt 500 Mark. Näheres durch den ersten
Vorsteher
Goldschmidt. Altenstadt, Oberhessen." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. September 1887:
"Die Religionslehrer- und Vorbeterstelle der Gemeinde Altenstadt, mit
einem Gehalt von 500 Mark, ist anderweitig zu besetzen. Bewerber um diese
Stelle wollen sich bei dem unterzeichneten Vorsteher melden.
Altenstadt (Hessen), 25. August 1887. M. Goldschmitt." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. August 1891:
"Die hiesige Religionslehrer-, Vorbeter- und
Schächterstelle ist vom 1. Oktober dieses Jahres ab anderweitig zu
besetzen. Gehalt 500 Mark mit freuer Wohnung. Reflektanten wollen ihre
Prüfungsatteste an den unterzeichneten Vorstand
einsehen.
Altenstadt (Hessen), im August 1891. Goldschmidt." |
Hinweis zu den Lehrern: auf der Vorsteher-
und Lehrer-Konferenz in Gießen wird 1860 Lehrer
Ehrenreich aus Altenstadt genannt; er war offenbar zugleich
Gemeindevorsteher.
Zum Tod von Lehrer Heinemann Neumark (1922)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. März 1922: "Altenstadt
(Hessen), 8. März 1922. Am 26. Februar ist Herr Lehrer Heinemann Neumark,
hier, unter großer Beteiligung zur ewigen Ruhe begleitet worden. An
seinem 70. Geburtstag im Juni des vergangenen Jahres war es ihm noch
vergönnte, das 50-jährige Amtsjubiläum festlich zu begehen. Schwere
Schicksalsschläge - im Kriege ist ihm ein hoffnungsvoller Sohn, der
Lehrer war, gefallen - hatten den Verewigten wohl aufs heftigste
erschüttert und seine Gesundheit angegriffen, aber mit Anspannung aller
Kräfte war er bis kurz vor seinem Tode in seinem mühevollen Amte mit
besten Erfolge tätig. Da die einzelnen Gemeinden seines
Unterrichtsbezirks entfernt und voneinander getrennt liegen, hatte der
Verewigte mit erhöhten Berufsschwierigkeiten zu kämpfen. Die
ausgleichende Gerechtigkeit offenbarte sich darin, dass er als erster
jüdischer Religionslehrer vom hessischen Staate mit allen Rechten eines
Volksschullehrers definitiv angestellt wurde. Am Grabe entwarf Herr
Provinzialrabbiner Dr. Sander, Gießen, das Lebensbild des Verewigten und
schilderte das gründliche Wissen, das große Lehrgeschick, den
unermüdlichen Fleiß und die tiefe Frömmigkeit des Verblichenen. Namens
der Familie rief Kollege Heß, Düdelsheim,
dem verklärten Oheim liebevolle Abschiedsworte in die Ewigkeit nach und
im Auftrage des Vereins israelitischer Lehrer Hessens zollte Kollege
Halberstadt, Büdingen, dem
Heimgegangenen Anerkennung für seine treue Kollegialität. Seine Seele
sei eingebunden in der Bund des Lebens." |
Aus der jüdischen
Geschichte in der NS-Zeit
(nach der Darstellung im Heimatgeschichtlichen Wegweiser s.Lit. S. 309-319)
Bereits 1933 und 1934 kam er mehrfach
zu Misshandlungen und schließlich zu einem Pogrom am Ort. Im Oktober 1933
war ein jüdischer Einwohner namens Strauß durch die Straßen geschleift
und geprügelt worden. Im Mai 1934 überfielen ortsansässige Nazis die
Wohnung von Hermann und Emma Schuster in der Obergasse, zerstörten
völlig die Wohnungseinrichtung und misshandelten die Eheleute. Zum Pogrom
kam es in der Nacht vom 11./12. Juli 1934. Altenstädter und
Büdinger Nazis überfielen das Geschäftshaus von Hermann Prager
(Obergasse/Ecke Mönchgasse). Prager und seine Frau wurden mit Revolvern
bedroht, er wurde schließlich blutig geschlagen und die Kellertreppe
hinuntergeworfen. Anschließend wurden die Familien Goldschmidt
(Hauptstraße 17) und Cassel (Obergasse 2) sowie erneut der Metzger
Hermann Schuster und seine Frau Emma. Hermann Schuster wurde im
Schlachthaus ein Seil um den Hals gezogen und mehrmals am Flaschenzug nach
oben gezogen. Ein SA-Arzt stand dabei und bestimmte durch Pulsfühlen, wie
lange der so Gefolterte dies noch aushalten würde. Frau Schuster wurde so
ins Gesicht geschlagen, dass die Blutergüsse noch tagelang zu sehen
waren. Im Spätsommer 1937 wurde die Viehhandlung von Jakob und
Hilda Goldschmidt (Hauptstraße 17) noch einmal von etwa 20 SA-Leuten
überfallen, und am 25. September 1938 versuchte man, mit Axthieben
die Haustür einzuschlagen. |
Berichte
zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde / Anzeigen
Nach der Emigration: Familienanzeige von Max Siesel und
Rosel geb. Salomon (1944)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Aufbau"
vom 11. Februar 1944:
"Die Bar mizwoh unseres Sohnes
Manfred
findet am 19. Februar in der Synagoge Shaare Tefillah 858 Macy Place,
Basement, statt.
Max Siesel und Frau Rosel geb. Salomon
(früher Altenstadt, Hessen) 1045 Hoe Ave., Bronx, N.Y. 59". |
Zur Geschichte der Synagoge
Zunächst war vermutlich ein Betraum vorhanden. 1820
wurde eine Synagoge erbaut. Sie hatte 30 Plätze.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge
zerstört. SA-Leute drangen in das Gebäude ein, zerstörten die
Inneneinrichtung und rissen das Dach und einen Teil der Mauern ab. Die
Kultgegenstände wurden die Hintergasse entlang bis zur Stammheimer Straße
getragen und dort auf der heutigen Verkehrsinsel verbrannt. 1949 wurde die
Synagogenruine vollends abgebrochen.
Adresse/Standort der Synagoge: Quergasse
9
Fotos
(das Foto der Mikwe aus: Altaras s. Lit. 1994 S. 145 mit
Quellenangabe: Gemeindearchiv Altenstadt)
Es sind - außer
zum Friedhof - noch keine Fotos /
Abbildungen zur jüdischen Geschichte
in Altenstadt vorhanden; über
Hinweise oder Zusendungen freut sich der
Webmaster der "Alemannia
Judaica"; Adresse siehe Eingangsseite. |
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Das jüdische Badehaus
(Mikwe) -
kurz vor der Zerstörung 1938 |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 36-37. |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 (kein Abschnitt zu Altenstadt) |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 145. |
| dies.: Neubearbeitung der beiden Bände 2007 S. 371 (zum
Ritualbad). |
| Elisabeth Johann: Unsere jüdischen Nachbarn. Ein
fast vergessener Teil der Ortsgeschichte von Altenstadt, Höchst an der
Nidder und Lindheim. Hrsg. Vorstand der Gemeinde Altenstadt. 1991. |
| Altenstadt vor 40 Jahren. Geschehnisse in einer Gegend, in
der eigentlich nichts Besonderes los war. Hg.: Friedensgruppe
Altenstadt/Limeshain. 1985. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 309-310. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 66-67 (sehr fehlerhaft durch einige Verwechslung mit
Altenstadt in Oberschwaben z.B. bei den Zahlen jüdischer Einwohner und der
Literaturangabe des Beitrages von Hermann Rose). |
n.e.
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