Eingangsseite
Aktuelle Informationen
Jahrestagungen von Alemannia
Judaica
Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft
Jüdische Friedhöfe
(Frühere und
bestehende) Synagogen
Übersicht:
Jüdische Kulturdenkmale in der Region
Bestehende
jüdische Gemeinden in der Region
Jüdische
Museen
FORSCHUNGS-
PROJEKTE
Literatur
und Presseartikel
Adressliste
Digitale
Postkarten
Links
| |
Zurück zur Seite über die Jüdische Geschichte/Synagoge
in Gailingen
Gailingen am
Hochrhein (Kreis
Konstanz)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte des Ortes
Seite 2: Berichte aus dem jüdischen
Gemeinde- und Vereinsleben
Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit
Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Gailingen wurden in jüdischen Periodika
gefunden.
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt. Neueste Einstellung am
15.12.2013.
Ein Teil der Texte muss noch abgeschrieben werden - bitte zum Lesen die
Textabbildungen anklicken!
Übersicht:
Berichte
aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben (in chronologischer Reihenfolge)
Auf
Grund zu befürchtender Pogrome fliehen jüdische Einwohner in die Schweiz
(1848)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 3. April 1848: "Auch im Badenschen hat die Judenverfolgung sich
wieder erneuert; aus Randegg und Gailingen
sind flüchtige Juden auf schweizerischem Boden angelangt." |
Geburtstagsfeier
für den Großherzog sowie 50-jähriges Ortsjubiläum von Lehrer Halle (1862)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1.
Oktober 1862: "Gailingen, 10. September (1862). Wir feierten
gestern den Geburtstag unseres allverehrten und allgeliebten
Großherzogs. Wenn dies auch jedes Jahr der Fall, so war diesmal die
Feier doch noch inniger aus besonderem Dankgefühl für unseren geliebten
Herrscher, unter dessen weiser Regierung nunmehr die Schranken, die bis
jetzt die Juden noch beengten, gefallen. Die Emanzipation ist jetzt bei
uns zur Wahrheit geworden, hoffen wir, dass dies auch bald in der uns
benachbarten Schweiz der Fall sein wird. Dort, besonders im Kanton Aargau
war die Aufregung in letzter Zeit groß, indem ein Teil der Bevölkerung
glaubte, sie würde durch die Emanzipation in ihrem materiellen Interesse
beeinträchtigt, doch hat sich die Aufregung schon bedeutend gelegt und
überzeugt sich erst das Volk, dass es sich in seiner Voraussetzung
getäuscht, so wird das frühere Einverständnis auch völlig wieder
hergestellt. Ich habe Ihnen auch noch über eine andere Feier, die vor
mehreren Wochen hier stattfand und die ein schönes Zeugnis ablegte, wie
friedlich die verschiedenen Konfessionen hier zusammen lebten, zu
berichten, über das 50-jährige Jubiläum des sehr verdienten Lehrers
der hiesigen Gemeinde, des Herrn Halle. Derselbe fungierte diese ganze
Zeit hindurch in unserer Gemeinde und sind wohl sämtliche Gemeindeglieder
dessen Schüler. Herr Halle erfreute sich stets der Liebe und Achtung
nicht nur seiner Gemeinde, sondern auch der ganzen Stadt, was sich bei
seinem Jubiläum besonders zeigte, da die ganze Stadt an dieser seltenen
Feier Anteil nahm. Der Jubilar erhielt vom Großherzog die silberne
Verdienstmedaille, zu deren Überreichung Herr Oberrat Altmann hier herkam.
Derselbe ward bei seiner Ankunft mit Böllersalven empfangen und konnte
man an dem allseitigen herzlichen Entgegenkommen erkennen, wie man hier
das segensreiche Wirken dieses wackeren Mannes zu schätzen und würdigen
weiß. Die feierliche Überreichung der Medaille fand in der Synagoge
statt. Vom Festlokale bewegte sich der stattliche Zug, worunter sich der
Herr Dechant, die Spitzen der Behörden, die ganze Gemeinde sowie viele
christliche Bürger befanden, nach der Synagoge, wo der Herr Dechant, Herr
Oberrat Altmann, Herr Rabbiner Picard aus Randegg, sowie der Jubilar
selbst der Feier entsprechende Reden hielten. Nach Beendigung dieser
Feierlichkeit, vereinigte man sich zu einem frohen Male, das durch heitere
Laune und manchen herrlichen Toast gewürzt wurde, und einen großen Teil
der Gesellschaft bis zur späten Nachtstunde zusammenhielt. Wir werden
diese schöne Feier noch lange im Gedächtnisse behalten und möge es dem
Jubilar vergönnt sein, sich derselben noch viele Jahre zu erinnern und zu
erfreuen." |
Über
den Gottesdienst und die Kasualien im jüdischen Gemeindeleben
(1867)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
20. November 1867: "Aus dem Großherzoglich badischen
Rabbinatsbezirke Gailingen. (Fortsetzung). Gottesdienst. Der
Gottesdienst in Gailingen verdient nicht nur das Prädikat eines am Sabbat
und Werktag wohl geordneten, sondern wir glauben, dass er ein musterhafter
genannt werden kann und für den Gottesdienst mancher großen
Stadtgemeinde ein würdiges und nachahmenswertes Vorbild
wäre.
Über die Amtsverrichtungen des Herrn Dr. Sondheimer beim
Gottesdienste entnehmen wir dem Berichte, dass in Gailingen alle drei
Wochen gepredigt und an denjenigen Sabbaten, an welchen die Predigt
ausfällt, im Schulsaale in der freien Form von Schrifterklärungen ein
homiletischer Vortrag vor versammelter Gemeinde gehalten wird. Diese
Institution ist eine Veredlung (?) der von jeher hier üblichen Lehrversammlungen,
Schiurim. In auswärtigen Gemeinden findet, abgesehen von
Gelegenheitsreden, in der Regel jährlich nur einmal eine Predigt statt.
Die Feier der Trauungen besteht in Rede und Trauung, womit da, wo
ein Chor besteht, ein einleitender und Schlussgesang verbunden ist. Bei Beerdigungen
wird in Gailingen in der Regel, in auswärtigen Gemeinden nur auf
Verlangen, eine Rede gehalten. Bei einzelnen Festtagsgottesdiensten
pflegen sich in Gailingen sehr viele christliche Zuhörer von da und aus
den umliegenden schweizerischen Ortschaften einzustellen. Trauungen finden
allenthalben in Anwesenheit zahlreicher christlicher Zuhörer statt. Als
ein erfreulicher Zug unserer Gemeinden ist der außerordentlich fleißige
Besuch des Gottesdienstes hervorzuheben.
Aus dem Abschnitte über Sittlichkeit verzeichnen wir die erfreuliche
Bemerkung: 'in den Gemeinden herrscht durchgehends Frieden'.
Es folgen Bemerkungen über Sittlichkeit im engern Sinne (z.B. dass seit
einer Reihe von Jahren kein uneheliches Kind in irgendeiner der Gemeinden
geboren wurde), Nüchternheit, beziehungsweise Genusssucht, Luxus,
Kleiderpracht, bürgerliche Hantierungen (Handel, Handwerk Ackerbau,
Wissenschaft), Sprache (Dialekt) usw. Als ein sehr erfreulicher Zug der
Gemeinden wird die altherkömmliche jüdische Wohltätigkeit
hervorgehoben, rücksichtlich welcher wir hiermit wieder ausführlichere
Mitteilungen aus dem Berichte geben wollen.
Aus nachfolgender Darlegung wolle entnommen werden, auf welch schöner
Stufe der Entwicklung sich das Stiftungs- und Vereinswesen im
Rabbinatsbezirke befindet.
Stiftungen. Im Jahre 1852 wurde vermöge Erlasses Großherzoglicher
Oberrats vom 26. Januar j.J. eine Übersicht über das israelitische
Stiftungsvermögen des Landes gefertigt. Das Stiftungsvermögen des
Synagogenbezirks Gailingen, einschließlich der Gemeinde Randegg
(Anmerkung: Auch die Gemeinde Randegg gehört nämlich zum
Rabbinatsbezirke Gailingen, hat aber das Recht, einen eigenen Rabbinen
anzustellen. Gegenwärtig wirkt daselbst Herr Rabbiner Picard), welche
wir rücksichtlich der Stiftungen und Vereine in den Kreis unserer
Darlegung ziehen, betrug damals 19.910 Gulden und mit den der
Oettinger'schen Stiftung angehörigen, zu 3.000 Gulden veranschlagten
Liegenschaften, welche nicht in die Übersicht aufgenommen waren 22.910
Gulden. Am 1. Januar dieses Jahres betrug dasselbe aber in der Gemeinde Gailingen
24.440 Gulden, in der Gemeinde Randegg
8.045 Gulden, in der Gemeinde Wangen
950 Gulden, in der Gemeinde Tiengen 350
Gulden, in der Gemeinde Worblingen
300 Gulden, Summe: 34.091 Gulden - hat sich somit seitdem um 11.181
vermehrt.
Die Verwaltung der Lokalstiftungen jeder Art ist nach § 2c der
landesherrlichen Verordnung vom 15. Mai 1833 dem Synagogenrate
übertragen. In Gailingen werden dieselben seit 27. Februar 1864... |
Über die Stiftungen in der Gemeinde (1867)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
27. November 1867: "aus dem Großherzoglichen Rabbinatsbezirke Gailingen
(Fortsetzung). Die Stiftungen in den einzelnen Gemeinden sind
folgende: Wir lassen hier wieder nur einen kurzen Auszug aus dem Berichte
folgen.
I. In der israelitischen Gemeinde Gailingen.
1) Stiftung des Landrabbiners Salomon Levi Spiro im Betrage von fl. 100
nebst einer Zustiftung von dessen Sohne Elias Levinger mit fl.
60;
2) Stiftung der Mirjam Levinger, Ehefrau des Landrabbiners Spiro im
Betrage von fl. 50;
3) Stiftung des Josef Kuß im Betrage von fl. 100;
4) des Abraham Gut im Betrage von fl. 200;
5) des Simon Dettelbach im Betrage von fl. 100;
6) des Elias Biedermann im Betrage von fl. 300;
7) des Elias Rothschild im Betrage von fl. 500;
8) der Fanny, Ehefrau des Sal. M. Weil im Betrage von fl. 20;
9) des Jacob Moos im Betrage von fl. 100;
10) der Klara, Ehefrau des Samuel Erlanger, im Betrage von fl.
600;
11) des Daniel Rothschild im Betrage von fl. 200;
12) der Fanny, Ehefrau des Leopold Rosenthal im Betrage von fl.
195;
Die genannten Stiftungen haben Armenunterstützung und Verrichtung von
Seelengebeten an der Jahrzeit zum Zwecke.
13) die Holzstiftung der israelitischen Gemeinde Gailingen im Betrage von
fl. 4.500.
Dieselbe wurde am 8. April 1841 von hiesigen Gemeindemitgliedern
gegründet, welche zur Lieferung von Holz an israelitische Ortsarme fl.
1.434 zusammenlegten. Im Jahre 1852 betrug das Stiftungsvermögen fl.
2.200, am 1. Januar dieses Jahres fl. 4.500.
Im Jahre 1866 betrugen die freiwilligen Gaben fl. 162 38 kr., die
Jahreseinnahme fl. 388, die Ausgabe fl. 286, die Vermögenszunahme fl.
102.
14) die Brautausstattungsstiftung des Salomon Oettinger im Betrage von fl.
14.038. Vermögensstand am 1. Januar dieses Jahres fl.
17.421.
Bis jetzt wurden 15 Legate im Betrage von fl. 550 verabfolgt und 8 Legate
sich zugesichert. Es werden aber, bis die rückständigen ausbezahlt sind,
mit Genehmigung Großherzoglichen Verwaltungshofs vorerst keine weiteren Legatszusicherungen
erteilt." |
Über die jüdischen Vereine in Gailingen (1867)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4.
Dezember 1867: "Aus dem Großherzoglichen badischen Rabbinatsbezirke Gailingen
(Fortsetzung). Sämtliche Stiftungen in Wangen, Tiengen und
Worblingen bezwecken teils Armenunterstützung, teils Verrichtung von
Seelengebeten.
In demselben Verhältnisse wie das Stiftungsvermögen, lesen wir im
Berichte weiter, hat sich das Vermögen der wohltätigen Vereine
vermehrt.
Die wohltätigen Vereine.
Diese Vereine werden von gewählten Vorständen geleitet, wirken
außerordentlich segensreich und erfreuen sich daher lebhafter
Unterstützung. Deren Vermögen betrug am 1. Januar dieses
Jahres
in Gailingen fl. 8.149, in Randegg fl. 3.760, in Wangen fl. 3.400, in
Tiengen fl. 394, in Worblingen fl. 325,
zusammen fl. 16.028.
Hiezu kommen eine Menge Torarollen, silberne Geräte und kostbare
Vorgänge zum Synagogenschmuck, welche in jeder Gemeinde von einzelnen
Vereinen in die Synagoge gestiftet wurden.
Die Ausgaben der Vereine betrugen im Jahre 1866
in Gailingen fl. 1.226, in Randegg fl. 406, in Wangen fl.
110, in Tiengen fl. 18, in Worblingen fl. 15,
zusammen fl. 1.775, welche Summe den 5 %-Zins aus 35.500
repräsentiert.
Neben dieser bedeutenden Ausgabe hat sich das Vereinsvermögen noch
wesentlich vermehrt.
Aus dem berichtlichen Verzeichnisse der Vereine und ihrer Wirksamkeit
geben wir hiermit einige Notizen.
I. Israelitische Gemeinde Gailingen.
1. Die heilige Brüderschaft. Deren Gründung geht in die ältesten
Zeiten der Gemeinde zurück. Statuten über eine Renovation des Vereins im
Jahre 1723 liegen vor. Zweck des Vereins: Unterstützung von armen Kranken
und persönliche Leistungen bei Kranken und Toten. Vermögen: Der
Begräbnisplatz und fl. 1.264. Einnahme im Jahr 1866 fl. 358, hierunter
fl. 150 freiwillige Gaben, Ausgaben fl. 218.
2) der Krankenverein. Zweck: Unterstützung bedürftiger Personen
mit Geld, Besorgung von Krankenwächtern und Bezahlung der Ausgaben für Doktor
und Apotheke für diejenigen Mitglieder, welche hiervon Gebrach machen
wollen. Der im Jahre 1858 gegründete Verein hat gegenwärtig 165
Mitglieder. Vermögen: fl. 2.950. Einnahme im Jahr 1866 fl. 850, hierunter
fl. 400 freiwillige Gaben. Ausgabe fl. 700.
3) Brautausstattungsverein. Zweck: alljährlich fl. 150 an ein
armes unbescholtenes Mädchen zum Behufe der Verehelichung zu
verabreichen. Vermögen fl. 3.000, Einnahme im verflossenen Jahre 247,
Ausgabe fl. 188;
4) Verein zur Beförderung des Torastudiums. Vermögen: fl.
560.
5) Verein für Beförderung guter Zwecke. Vermögen: fl.
295.
6) Wohltätigkeitsverein. Vermögen: fl. 70.
7) Frauenverein. Vermögen: fl. 70. |
Ausschreibungen der Salomon-Oettinger'schen Stiftung
(1850 / 1869 / 1875 / 1883 / 1888 / 1890 / 1893)
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 25. Februar 1850: "Diejenigen Mädchen, welche auf
die Salomon Oettingersche Brautausstattungs-Unterstützung durch
ihre Verwandtschaft mit dem Stifter, oder mit dessen Witwe Mathilde
geborene Detelbach Ansprach zu haben glauben und sich noch nicht gemeldet
haben, werden zur Anmeldung in portofreien Briefen hiermit
aufgefordert.
Zugleich wird bemerkt, dass die Zuteilung des Stiftungslegats einzig und
allein nach den Bestimmungen des Testaments geschieht und daher alle
Begünstigungsgesuche fruchtlos sind.
Gailingen (im Großherzogtum Baden), in Februar 1850.
Der israelitische Stiftungsvorstand:
J. Löwenstein, Bezirksrabbiner, B. Kaufmann,
Synagogenratsvorsteher." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
19. Mai 1869: "Bekanntmachung.
Mit Genehmigung Großherz. Verwaltungshofs werden die am 26. März 1867 mit dessen Zustimmung eingestellten
Verlosungen der Aussteuerpreise der
Salomon Oettinger'schen Stiftung
nunmehr wieder aufgenommen, und die anspruchsberechtigten aufgefordert, ihre Anmeldungen unter Vorlage legaler Zeugnisse über Alter, sittlich-religiöses Betragen,
Armut und Verwandtschaftsgrad binnen 6 Wochen bei uns einzureichen.
Gailingen, den 4. Mai 1869.
S. Oettinger'sche Stiftungsverwaltung: Dr. Sondheimer." |
|
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 31. August 1875: "Bekanntmachung.
Der dahier verstorbene Salomon Oettinger hat ein Kapital gestiftet,
dessen Zinsertrag zur Ausstattung armer Mädchen aus seiner Familie und
der seiner verstorbenen Ehefrau Mathilde geb. Detelbach mit je 550 fl.
verwendet werden soll. Anspruchsberechtigte werden hiermit aufgefordert,
ihre Anmeldungen unter Vorlage legaler Zeugnisse über Alter, sittlich
religiöses Betragen, Armut und Verwandtschaftsgrad binnen 6 Wochen bei
uns einzureichen.
Gailingen (Baden), den 23. August 1875.
Die Sal. Oettinger'sche Stiftungsverwaltung. Dr. Löwenstein." |
|
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 20. März 1883: "Bekanntmachung.
Der dahier verstorbene Salomon Oettinger hat ein Kapital gestiftet,
deren Zinsertrag zur Ausstattung armer Mädchen aus seiner Familie und der
seiner verstorbenen Ehefrau Mathilde geb. Detelbach mit je 942 Mark
86 Pfennig verwendet werden soll. Anspruchsberechtigte werden hiermit
aufgefordert, ihre Anmeldungen unter Vorlage legaler Zeugnisse über
Alter, sittlich-religiöses Betragen, Armut und Verwandtschaftsgrad binnen
6 Wochen bei uns einzureichen.
Gailingen (Baden), den 8. März 1883.
Die Salomon Oettinger'sche Stiftungsverwaltung.
Dr. Löwenstein." |
|
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 3. Mai 1888: Bekanntmachung.
Der dahier verstorbene Salomon Oettinger hat ein Kapital gestiftet,
dessen Zinsertrag zur Ausstattung armer Mädchen aus seiner Familie und
der seiner verstorbenen Ehefrau Mathilde geb. Detelbach mit je 942
Mark 86 Pfennig (55 Gulden) verwendet werden soll.; die betreffenden
Mädchen sollten das 18. Lebensjahr vollendet und das 40. nicht
überschritten haben. Anspruchsberechtigte werden hiermit aufgefordert,
ihre Anmeldungen unter Vorlage legaler Zeugnisse über Alter, sittlich
religiöses Betragen, Armut und Verwandtschaftsgrad binnen 6 Wochen bei
uns einzureichen.
Gailingen (Baden), den 22. April 1888.
Die Salomon Oettinger'sche Stiftungsverwaltung: Adolf Guggenheim.
(Jeder Anfrage wolle 10 Pf.-Marke für Rückantwort beigelegt
werden.) |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
16. Oktober 1890: "Bekanntmachung. Die unterzeichnete
Verwaltung ist in dem Falle, einem Talmudgelehrten aus der Familie des
dahier verstorbenen Salomon Oettinger einen Jahresschiur auf
Lebensdauer übertragen zu müssen; mit der Funktion ist ein Einkommen von
Mark 17,14 per anno verbunden. Bewerbungen um diese Funktion sind, mit
Zeugnis über Befähigung und Verwandtschaftsgrad belegt, binnen 14 Tagen
bei uns einzureichen.
Gailingen, den 10. Oktober 1890. Salomon Oettinger'sche
Brautausstattungsstiftung: Adolf Guggenheim." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
19. Juni 1893: "Bekanntmachung! Aus der
Braut-Ausstattungs-Stiftung des verstorbenen Salomon Oettinger hier
ist ein Legat im Betrage von 942 Mark 86 Pfennig an ein armes Mädchen,
welches mit dem Stifter oder dessen Ehefrau Mathilde Oettinger,
geborene Dettelbach, verwandt ist, zu vergeben.
Anspruchsberechtigte werden hierdurch aufgefordert, ihre Anmeldungen unter
Vorlage beglaubigter Zeugnisse über Alter, sittlich-religiöse Führung,
Bedürftigkeit und Verwandtschaftsgrad binnen 6 Wochen bei unterzeichneter
Stelle einzureichen.
Gailingen (Baden), 12. Juni 1893. Verrechnung der Salomon
Oettinger'schen Stiftung." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 6. Juli 1903: "Bekanntmachung. Aus der Salomon Oettinger'schen
Brautausstattungs-Stiftung dahier werden alle 2 Jahre 2 Legate im Betrage
von je Mark 942,86 an arme Mädchen, welche mit dem Stifter oder dessen
Ehefrau, Mathilde Oettinger geb. Dettelbach verwandt sind, vergeben.
Anspruchsberechtigte werden hierdurch aufgefordert, ihre Anmeldungen unter
Vorlage beglaubigter Zeugnisse über Alter, sittlich-religiöse Führung,
Bedürftigkeit und Verwandtschaftsgrad binnen 6 Wochen bei unterzeichneter
Stelle einzureichen.
Gailingen (Baden), den 1. Juli 1903. Die Verrechnung der Sal.
Oettinger'schen Stiftung." |
20-jähriges
Bestehen der "Luxus-Tilgungskasse" (1868)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 7. Januar 1868: "Gailingen, im Dezember (1867). Es
befindet sich hier eine interessante Einrichtung, die zur Nachahmung zu
empfehlen ist. Ich meine die Luxus-Tilgungskasse, die seit etwa 20 Jahren
besteht und ein Vermögen von 130.000 Gulden besitzt, das sich zu 7
Prozent verzinst. Die israelitischen Bräute verzichten nämlich auf den
Hochzeitsschmuck, der in goldenen Ketten, Uhren etc. bestand und sehr
kostspielig war. Ihre Bräutigame kaufen ihnen dagegen Aktien à 100
Gulden das Stück, die sie in obiger Kasse einlegen, welche
Darlehn-Geschäfte macht, sodass ihre Aktien zu den besten gehören. Der
Rechner hat für seine Mühewaltung nur 150
Gulden." |
200-jähriges
Bestehen der Chewra Kadischa (1877)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
3. Januar 1877: "Gailingen, 24. Dezember (1877). - In unserer
Gemeinde fand am jüngsten Schabbat Chanukka (sc. am 1. Dezember
1877) eine so seltene Feier statt, dass sie wohl wert ist, durch Ihr
geschätztes Blatt der Öffentlichkeit mitgeteilt zu werden. Die Feier
galt nämlich dem 200-jährigen Bestehen der heiligen Bruderschaft Chewra
Kadischa. Dieses hohe Alter ist das beredteste Zeugnis von der
Lebensfähigkeit eines Vereins, der zu einer Zeit gegründet wurde, wo die
'Gründungen' noch auf solidester Grundlage ruhten. So erhebend demnach
das Bewusstsein ist, einem so altehrwürdigen Vereine anzugehören, dessen
Hauptbestreben dahin geht, seinen Mitgliedern in Krankheits- und
Todesfällen eine Stütze zu sein, so erhebend war auch dieses
200-jährige Jubiläumsfest. Durch das Festkomitee wurde alles bestens
vorbereitet und u.a. die Prägung einer größeren Silbermünze besorgt,
welche zur bleibenden Erinnerung mit entsprechender Inschrift versehen,
unter die Mitglieder verteilt wurde. Am Festtage selbst wurde zunächst
die Feier durch die Predigt des Bezirksrabbiners Dr. Löwenstein würdig
eingeleitet. Der Redner sprach von der Bedeutung des Chanukkafestes und
schilderte die verschiedenen Tempelweihen aus der Geschichte Israels, wie
ihre Bedeutung für die jeweilige Zeit. Seit der letzten Tempelweihe, die
unserem Chanukkafest zugrunde liegt, so ungefähr fuhr der Redner fort,
beten wir, dass der Ewige bald jene Zeit bringen möge, wo wir die Weihe
eines Tempels begehen, dessen Wiederaufbau das Ziel unserer Hoffnungen
ist. Bis dahin, wo der eigentliche Gottesdienst, der Opferdienst
wieder unter uns heimisch wird, ist es unsere jüdische Aufgabe, für die
beiden anderen Grundpfeiler des Judentums, für Tora und Wohltätigkeit
zu wirken und tätig sein. Jenes ist das spezifische Jüdische, dieses ist
das Jüdisch-Menschliche, deren Pflege unsere höchste und heiligste
Verpflichtung ist. Diese Wohltätigkeit ist es, die den Gründern
des Vereins, der heute sein 200-jähriges Bestehen feiert, als wichtiger
Bestandteil des jüdischen Gemeindelebens erschien. Redner schilderte dann
den Zweck des Vereins und dessen bisherige Leistungen, ermahnte die
Mitglieder, anlehnend an einen Ausspruch des Talmud (Sota 14a), ihren
heiligen Obliegenheiten auch fernerhin nach Kräften sich hinzugeben und
erflehte für sie schließlich den himmlischen Segen. - Die feierlich
ernste Stimmung, in welche die Zuhörer durch die Worte des |
Rednern
versetzt wurden, wich am Nachmittag einer heiteren Stimmung bei dem
Festmahle, das die Vereinsmitglieder in froher Gesellschaft vereinigte.
Das Mahl, dem auf Einladung der Rabbiner, der Synagogenrat und die Lehrer
anwohnten, verlief unter sinnigen und launigen Reden, Vorträgen und
Gesängen auf die schönste Weise. Es wurde toastiert auf das Gedeihen des
Vereins, auf dessen Gründer, auf die auswärtigen Mitglieder,
Ehrenmitglieder und Festgäste, auf das Festkomitee, auf die Einigkeit im
Verein und in der Gemeinde überhaupt. Der Dank, welcher den beiden
Vereinsvorständen, den Herren Vorsteher M.F. Moos und Henri Weil, für
ihre 20-jährige uneigennützige wackere Amtsführung gezollt wurde,
endete mit einem kräftigen 'Hoch' auf dieselben und mit Überreichung
eines passenden Ehrengeschenks. Auch auf das Wohl der anwesenden zwei
ältesten Mitglieder, die nun 60 Jahre dem Verein angehören, wurde ein
Glas geleert. Als dann, wie im geistigen Zusammenhang dieses Weihefestes
mit dem Chanukkafest, in fröhlichster Stimmung aus dem Munde der
Festgenossen, unter Solobegleitung unseres wackeren Vorsängers Lißberger,
das Maos Zur Jeschuati (sc. hebräische Anfangsworte des bekannten
Chanukkaliedes) erscholl, da herrschte die gemütlichste Stimmung. Erst
die späte Nacht trennte die Festteilnehmer und ließ in allen das
Bewusststein zurück, einen schönen Tag, eine Freude über die Erfüllung
eines religiösen Gebotes gefeiert zu haben, die den Mitgliedern des
Vereins in dauernder Erinnerung bleiben wird. Damit aber für Mit- und
Nachwelt auch ein bleibender Wert aus dem Feste hervorgehe, wurde
beschlossen, dass für die Zukunft jährlich ein Teil der aus dem
Vereinsfonds fließenden Zinsen als Stipendium an unbemittelte Jünglinge
aus der hiesigen Gemeinde verabreicht werde, die sich dem Studium oder
einem Handwerke widmen." |
Ein
frommer Reisender hat am jüdischen Leben in Gailingen ein paar kritische Punkte
anzumerken (1871)
Anmerkung: die Kritik bezieht sich insbesondere auf die jüdische
Jugend, die am Schabbatnachmittag im Café in Dießenhofen sich zu Spielen (mit
Schreiben!) trifft und die Praxis, dass ein Junge bei seiner Bar Mizwa-Feier
erst am Nachmittag des Schabbat zur Toralesung aufgerufen wird.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
20. Dezember 1871: "Aus dem Badischen. Gestatten Sie, Herr
Redakteur, dass ich Ihnen in Folgendem einige Mitteilungen über eine
Gemeinde mache, deren Verhältnisse ich jüngst auf meiner Reise
einigermaßen kennen gelernt. Ich würde mich nicht erkühnen, diesen
Gegenstand hier zur Sprache zu bringen, wenn nicht ein Umstand mich
dazu zwänge.
Als eifriger Leser und Verehrer Ihrer geschätzten Zeitschrift nämlich
erinnere ich mich noch recht lebhaft, dass vor ca. 3 Jahren in diesen
geschätzten Blättern, eine Reihe von Artikeln erschienen, welche in
Lobeserhebungen über die geregelten Verhältnisse der Gemeinde Gailingen
sich ergingen und dieselbe in religiöser wie in sozialer Beziehung als
eine Mustergemeinde schilderten. Ich freute mich also nicht wenig,
eine solche Gemeinde kennen zu lernen und lenkte meinen Reiseplan dahin,
dass es mir ermöglicht wurde, einen Schabbat da zu verbringen. Ich
besuchte den Freitag-Abend-Gottesdienst und war sehr befriedigt sowohl
durch den demselben innewohnenden jüdischen Geist, als durch die
vortrefflichen Leistungen des Synagogen-Chors. Auch am darauf folgenden
Morgen, an welchem ich nach dem Gottesdienste mich durch den Vortrag des
Bezirksrabbinen Herrn Dr. Sondheimer sehr erbaute, bemerkte ich noch
nichts, das mit meinen Erwartungen in Widerspruch geraten wäre. Wer
beschreibt jedoch mein Erstaunen, als ich im Laufe des nachmittags in das
stark frequentierte Café Adler in Dießenhofen kam und eine Schar junge
Leute antraf, die seltsame Begriffe von einer würdigen Sabbatfeier zu
haben schienen. Nicht nur, dass man sich die Zeit mit Spielen allerlei Art
zu vertreiben suchte, man scheute sich auch |
nicht,
die beim Spielen nötigen Notizen mit der Kreide selbst zu machen. Es sind
dieses leider traurige Vorkommnisse, denen man allerdings in jeder Stadt
heutzutage häufig begegnet; allein, wenn man in einer Gemeinde, die als
Muster dargestellt worden, solches antrifft, darf es gewiss auffallen,
insbesondere dem Fremden, demjenigen, der in Folge der erwähnten Artikel
eine so gute Meinung für die genannte Gemeinde gefasst und am liebsten
seine Erwartungen anstatt getäuscht noch übertroffen gesehen haben
würde. Mit sehr trüben Betrachtungen über überhandnehmende
Religionslosigkeit verließ ich das Lokal und verfügte mich zurück nach
Gailingen, um dem Mincha-Gottesdienste anzuwohnen.
Hier darf ich einen besonderen Umstand nicht unerwähnt lassen, der zwar
mehr komisch und lächerlich erscheint, aber doch umso ernster ist, als er
den Religionsunterricht, der den jüdischen Kindern Gailingens erteilt
wird, in höchst trauriger Weise charakterisiert. - Es wurde nämlich ein
Jüngling an die Tora gerufen. Die ungewöhnliche Aufmerksamkeit, die man
diesem doch nicht ungewöhnlichen Teile des Gottesdienstes widmete,
veranlasste mich, nach dem Grund zu tragen. ich erfuhr nun, dass dieser
Jüngling heute Bar Mizwa geworden. Auf meine weitere Frage, warum
derselbe nicht wie an allen Orten schon morgens zur Tora gerufen wurde,
belehrte man mich folgendermaßen: 'Früher war das hier auch, aber man
hat den Jugendunterricht so sehr vernachlässigt, dass es häufig vorkam,
dass der Bar Mizwa nicht nur nicht die übliche Parascha
(Wochenabschnitt der Tora) lernte - davon weiß man schon lange nichts
mehr - sondern sogar die Brachat HaTora (Segenswort über der Tora)
nicht konnte. Das rief Heiterkeit (?) und Gelächter hervor und so traf
man die weise (!!) Einrichtung, diesen Akt erst beim Abendgottesdienste,
welcher, Dank dem Adler'schen Café-Etablissement nicht so stark besucht
ist, zu erledigen.
En passant erfuhr ich ferner, dass in der jüdischen Gemeinde noch ein
Institut besteht, das ebenfalls keine Nachahmung verdient und gewiss auch
als Unikum dastehen wird.
Es existiert nämlich daselbst ein jüdischer Rasierer, der Schamesch
(Synagogendiener) nämlich, der sowohl sich als viele andere
Gemeindemitglieder rasiert und doch, höre und staune! als Trauungszeuge
fungiert. Es ist wohl unnötig, die betreffende Stelle des Schulchan
Aruch anzuführen, um nachzuweisen, dass dies nicht erlaubt
ist. Wenn als der derzeitige Rabbiner denselben doch zulässt, so ist es
allerdings kein glänzendes Zeugnis für seine Gesetzestreue und
unerschrockene Frömmigkeit. Möchten doch die dortigen Israeliten,
angesichts so trauriger Ereignisse, wie sie diese Gemeinde in jüngster
Zeit erfahren, die doch ebenfalls ein memento mori in anschaulicher Weise
predigen, bedenken, dass Irdisches nicht der Güter Höchstes ist, dem man
darum sein ganzes Streben widmen müsse. G." |
Gründung eines Jugendvereines Chewrat
Neurim
(1885)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
9. Juli 1885: "Gailingen (Baden), 6. Juli (1885). Vor einigen
Jahren hat sich dahier ein Verein israelitischer Knaben, im Alter von
13-17 Jahren gebildet, 'Chewrat Neurim' (Jugendverein) benannt, der
eifrig den edlen Zweck verfolgt, seine Mitglieder zum regelmäßigen
Besuche des Gottesdienstes anzuhalten und dieselben zur pünktlichen
Beobachtung der religiösen Vorschriften anzueifern, von öffentlichen
Religionsentweihungen abzuhalten, sowie jeweils einen Teil seines
Barvermögens zu wohltätigen Zwecken zu verwenden.
Es ist freudig mit anzusehen, wie sich die wackeren Knaben trotz häufiger
Sticheleien neologisch gesinnter Spötter nicht verführen lassen, unsere
heiligen Gebote zu vernachlässigen und zu verachten, wie es jedem
Einzelnen derselben als oberste Pflicht gilt, die Vorschriften unserer
heiligen Religion gewissenhaft zu beobachten. Nebenbei sei erwähnt, dass
sich die Knaben jeden Sabbat versammeln, um aus der reichhaltigen Lektüre
des 'Israelit' weitere Belehrung und Unterhaltung zu empfangen. -
Möchte an allen Orten die Jugend Israels zu solchen Vereinen sich
verbinden, um in uns die Hoffnung wachzurufen, dass Israels Söhne auch
ferner festhalten werden an dem Prinzipe ihrer Religion. Dem jungen
Vereine aber wünschen wir zu seinem Gedeihen reichliches Glück und
Segen, zu seinem Heile und zum Heile von ganz Israel.
--t." |
Gründung eines Talmud-Tora-Vereins (1890)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
23. Juni 1890: "Gailingen, im Juni (1890). Während man
allgemein darüber klagte, dass das jüdische Leben in Haus, Gemeinde und
Schule leider so sehr im Abnehmen begriffen sei, kann ich Ihnen vom
hiesigen Platze zur erfreuliche Tatsachen mitteilen. Zu den vielen
jüdischen Vereinen, die hier zum Wohl und Heil der Mitmenschen wirken,
hat sich wiederum ein neuer Verein Chewra Talmud Tora gesellt, der
sich die Unterstützung armer, hilfsbedürftiger Jünglinge, die sich dem
Rabbiner- oder Lehrerstand widmen wollen, zum Ziele gesetzt hat. (Ziel
ist,) um aufzurichten, was gesagt ist: ein Baum des Lebens ist sie (die
Tora) den an ihr Festhaltenden und denen, die sie lernen... (nach
Sprüche 3,18).
Dieser Verein wurde von jungen, religiös gesinnten Männern ins Leben
gerufen, die sich auch gleichzeitig mit Freuden dazu bereit erklärten,
von Zeit zu Zeit in einem bestimmten Lokale sich zu versammeln, um dort
den Worten unserer heiligen Lehre zu lauschen.
Überhaupt dürfte die hiesige Gemeinde in der Art und Weise, wie sie
Werke der Liebe und Menschenfreundlichkeit übt, vielen anderen Gemeinden
als Muster dienen." |
Anklage gegen einen antisemitischen Redakteur sowie
Versammlung zum Bahnprojekt Gailingen - Hilzingen (1894)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
22. Januar 1894: "Aus Baden, im Januar (1894). Wie der in
Heidelberg erscheinende antisemitische Badische Volksbote mitteilt, ist
gegen seinen Redakteur, Herrn Reuther von der Staatsanwaltschaft
Untersuchung eingeleitet auf Grund des § 130 'Aufreizung zum
Klassenhass'. Es werde sich Herr Reuther jedenfalls dieserhalb vor dem
Mannheimer Schwurgericht zu verantworten haben. Die Anklage stützte sich
auf verschiedene Artikel des Badischen Volksboten, sowie auf das Gedicht
'der Schwarzwald', Stoßseufzer einer christlichen Seele in St. Blasien.
Bei der in Hilzingen stattgehabten Versammlung zur Besprechung eines
wichtigen Bahn-Projektes, Gailingen-Hilzingen, führte Herr Adolf
Guggenheim in Gailingen (Israelite) den Vorsitz. Unter den
Mitgliedern des leitenden Komitees befand sich auch Herr E.D. Moos aus
Gailingen. R." |
Schwierigkeiten mit dem (schweizerischen)
Schächtverbot in Dießenhofen (1894)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
22. März 1894: "Dießenhofen. Durch das Schächtverbot sind
die hiesigen Metzger beträchtlich in ihren Interessen geschädigt, indem
die Israeliten Gailingens und von auswärts gern ein paar Rappen mehr für
das Kilo Fleisch, das hier in besserer Qualität zu haben war, bezahlten,
als dasselbe von den israelitischen Metzgern in Gailingen zu beziehen. Ein
Gesuch der hiesigen Metzger, nun in Gailingen schächten zu dürfen und
das Fleisch zurückzunehmen, ist, wie wir vernehmen, in der Gemeinde auf
heftigen Widerstand gestoßen und wird voraussichtlich höhern Orts
entschieden werden müssen. Aber nicht nur für den Metzger, sondern auch
für die Landwirtschaft der Umgegend wird die Neuerung erheblichen
Nachteil bringen, indem der Fleischverbrauch hier bisher ein sehr
erheblicher war." |
Festumzug an Purim (1895)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21.
März 1895: "Als Merkwürdigkeit wird uns von Gailingen
(Baden) berichtet, dass daselbst am Purim ein prachtvoller
kostümierter Festzug in 10 Gruppen unter Teilnahme von Tausenden von
Fremden, wovon die meisten Nichtisraeliten aus der Schweiz waren,
stattgefunden hat." |
Der Festumzug zu Purim
war nur durch eine
Schabbat-Gebots-Übertretung möglich (1895)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
28. März 1895: "Der 'Israelit' brachte kürzlich eine Notiz
über den kostümierten Festzug am jüngsten Purim. Derselbe hat eine
kleine Vorgeschichte, welche die hiesigen religiösen Zustände besser
charakterisiert, als es die glänzendsten Festzüge
vermöchten.
Am Tag vor Purim, am Schabbat Sachor, verbreitete sich morgens vor
dem Morgengebet die Nachricht, dass die Regierung zu Konstanz das
Abhalten des Festzugs mit Rücksicht auf die Sonntagsfeier bei einer Strafe
von 100 Mark verbiete. Während in der Synagoge viele Mitglieder der
versammelten Gemeinde ungleich lebhafter als das Gebet die Frage
beschäftigte, was einem solchen Unglücke gegenüber zu tun sei, reiste
ein Herr am Heiligen Schabbat flugs nach Konstanz, um das Verbot
rückgängig zu machen. Nachmittags traf dann per Telegraph die
Freudenbotschaft ein, dass die Regierung sich habe erweichen
lassen.
So hatten wir denn einen glänzenden Festzug durch eine offenkundige,
flagrante Entweihung des Schabbat (Chillul Schabbos). Ob es
recht und billig ist, den Purim auf Kosten des Schabbat zu feiern
und die Feier dann hinterher noch in einem orthodoxen jüdischen Blatt auszuposaunen,
darüber braucht wohl kein Wort verloren zu werden. Wäre die Liebe zum
Purim so heiß, wie man aus diesen festlichen Veranstaltungen schließen
könnte, so müsste man wohl auch am Taaniß Ester (Fastentag) etwas daran
merken.
Dass dies leider nicht der Fall ist, erscheint noch nicht als das
betrübende der ganzen Geschichte. Das Schlimmste ist dabei, dass sich
hier auch nicht ein Einziger findet, der durch ein entschiedenes,
öffentliches Wort diesem taktlosen, irreligiösen Gebaren entgegen
tritt." |
|
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
4. April 1895: "Gailingen, 31. März (1895). Der
'Israelit' brachte in Nr. 25 vom 28. März dieses Jahres unter Vermischtes
eine Charakteristik vom jüngsten Purim in Gailingen, die sehr der
Berichtigung bedarf.
Es ist richtig, dass wir hier, wenn möglich alle Jahre kostümierte
Festzüge halten, welche immer großen Beifall erregen. Am Tage vor Purim
kam die Nachricht vom Großherzoglichen Bezirksamt Konstanz, dass - wenn
das löbliche Bürgermeisteramt die Aufführung der Sonntagsruhe wegen
störend finde, es dieselbe verbiete. In der Synagoge waren wie
gewöhnlich am Samstag alle Mitglieder der Gemeinde versammelt. Die
Behauptung aber, dass obiger Frage wegen lebhaftere Aufmerksamkeit
geschenkt worden sei, als dem Gebete, wir Artikelschreiber meint, muss
entschieden zurückgewiesen werden. Unser geehrter Herr Bürgermeister, in
Begleitung unseres Narrenvaters, (? Red.) denen wir heute noch herzlich
danken, reisten nach Konstanz und haben glücklicherweise die Genehmigung
zur Abhaltung der Aufführung erhalten.
Im Namen vieler Mitglieder der jüdischen Gemeinde X." |
|
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
22. April 1895: "Herrn Heinrich Moos in Gailingen. Auf
Grund Ihrer wiederholten Zuschriften haben wir uns mit unserem Korrespondenten
in Verbindung gesetzt. Derselbe hält seine Angabe betreffs der Entweihung
des Schabbat, durch den Ihre Purimfeier zustande kam, vollständig
aufrecht. Ob die Andacht in der Synagoge an jenem Schabbat eine größere
oder geringere als sonst war, beruht auf subjektiver Anschauung und ist
hier nicht von Belang.
Wir haben trotzdem Ihre sogenannte Berichtigung mit Weglassung aller
verletzenden Stellen und alles desjenigen, was nicht zur Sache gehört,
aufgenommen, und haben damit der publizistischen Loyalität mehr als
genügt. - Die Sache ist hiermit für uns erledigt.
Unser Korrespondent erklärt sich übrigens bereit auf die Sache
zurückzukommen, falls Sie seine Behauptung, dass ein Mitglied Ihrer
Gemeinde am Heiligen Schabbat nach Konstanz fuhr, die Erlaubnis zur
Abhaltung des Festzugs zu erwirken, öffentlich in Abrede stellen. - Das
ist der Punkt, um den es sich lediglich handelt, und hierüber ist von
Ihnen nichts berichtigt worden." |
Einweihung eines neuen Parochet (= Toraschreinvorhang,
1895)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5.
Juni 1895: "Gailingen, im Mai (1895). Unsere Gemeinde, die
schon lange im Besitze mehrerer prächtiger und wertvoller Toraschreinvorhänge
ist, wurde vor einigen Wochen wiederum mit einem neuen, wundervoll
ausgestatteten Parochet beehrt. Dasselbe gereicht sowohl seinen
Stiftern, dem verehrlichen Synagogenrate hier, als auch seinem Verfertiger,
Herrn J. Bloch, Goldsticker in Straßburg, zur vollen Ehre, da es wirklich
einen Schmuck und eine Zierde unserer Synagoge bildet. Namens der
ganzen Gemeinde wird daher dem Synagogenrat der herzlichste und innigste
Dank ausgesprochen. Auch Herrn Bloch, der soviel Fleiß und Sorgfalt auf
seine Arbeit verwendete, gebührt die vollste Anerkennung und können wir
denselben für Anfertigung ähnlicher Arbeiten aufs beste und wärmste
empfehlen." |
Enthüllung eines Kriegerdenkmals 1870/71 im Synagogenhof
(1895)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom
16. August 1895: "Gailingen, 6. August (1895). Gestern fand
die Enthüllung des von der Gemeinde Gailingen für ihre Helden von
1870/71 errichteten Denkmals in feierlicher Weise statt. Nach 2 Uhr
fand die Übergabe durch den Herrn Bürgermeister statt; Herr Ludwig
Rothschild, Präsident des Kriegervereins, dankte herzlich im Namen
seiner Kameraden. Die eigentliche Festrede hielt Herr Dr. Heilbronn,
praktischer Arzt. Das Denkmal, das auf dem Synagogenhofe errichtet
wurde, ist nicht nur eine Zierde für unseren Ort, sondern auch ein Beweis
des friedlichen gegenseitigen Zusammenlebens von Juden und Katholiken, was
auch speziell erörtert wurde. Die Tafel enthält 34 Krieger von
Gailingen, und zwar 17 Juden und 17 Katholiken. Die Festwirtschaft wurde
von Herrn Gerson Wolf, ebenfalls Veteran von 1870>/71
übernommen. Was werden unsere Antisemiten dazu sagen?" |
Einweihung einer durch Emil Moos gestifteten
Tora-Rolle (1896)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
5. März 1896: "Gailingen, 26. Februar (1896). Ein seltenes
Fest war es, das unsere Gemeinde am vergangenen Schabbat Paraschat
Sachor (Schabbat mit der Parascha = Toralesung Sachor =
2. Mose 27,20 - 30,10; das war am 22. Februar 1896) feierte. Unser
allverehrtes Gemeindemitglied, Herr Emil Moos, stiftete nämlich
anlässlich der Bar-Mizwa-Feier seines einzigen Sohnes eine prachtvolle Torarolle,
die an diesem Schabbat eingeweiht wurde. Bei dieser Gelegenheit war
es auch unserer Gemeinde einmal vergönnt, wieder nach 30 Jahren, die Parascha
von einem Bar-Mizwa-Knaben vortragen zu hören. Zahlreiche Freunde
aus Nah und Fern waren herbeigeeilt, um diesem weihevollen Akt beiwohnen
zu können.
Unser verehrter Rabbiner - sein Licht leuchte - hielt bei dieser
Gelegenheit in herrlichen und tief zu Herzen gehenden Worten, unter
Zugrundelegung des Verses 'Wäre nicht deine Tora meine Ergötzung,
dann ginge ich unter in meinem Elend' (Psalm 119,92) eine tief
durchdachte Rede, welche die Bedeutung der Einweihung einer Torarolle
klarlegte.
Am Sonntag Mittag fand im Café Biedermann dahier die eigentliche
Torafestfeier statt, die sich zu einer wirklichen Freude über das
Gottesgebot gestaltete. Für das Benschen allein wurde über 600 Mark
gelöst. Dass bei dieser Mahlzeit manch schönes Torawort
gesprochen wurde, ist selbstverständlich. Wir wünschen Herrn Emil Moos
und mit ihm unserer altehrwürdigen Gemeinde, dass sie noch recht viele
solche Freuden(feiern) erleben mögen." |
25-jähriges
Jubiläum des "Vorschussvereines" (1897)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
15. Juli 1897: "Gailingen, 11. Juli (1897). Ein seltenes Fest
war es, das unsere Gemeinde am verflossenen Mittwoch und Donnerstag
beging. Der hiesige Vorschussverein, dessen Mitglieder fast
ausschließlich israelitische Ortsbürger sind, sowie dessen Kassier Herr
Harburger, Vorsteher der israelitischen Kultusgemeinde, feierten
nämlich ihr 25-jähriges Jubiläum, mit welchem Feste der 31. Verbandstag
der Oberbadischen Wirtschaftsgenossenschaften verbunden war. Aus allen
größeren Orten des badischen Oberlandes strömten Fremde herbei, um dem
Verbandstage und der sich daran anschließenden Feier beizuwohnen; sogar
die hohe Regierung war durch Herrn Geheimen Regierungsrat Jung
vertreten.
Mittwoch Abend 8 Uhr begannen unter dem Vorsitz des Verbandsdirektors die
Verhandlungen in dem geräumigen, hübsch dekorierten Saale des 'Café
Biedermann'. Nachdem Herr Kassier Harburger die Gäste begrüßt hatte und
die kurze Tagesordnung erledigt war, folgten die zahlreich erschienenen
Genossenschafter einer Einladung des hiesigen Vereins zu einer
gemütlichen Unterhaltung im Café Biedermann, wobei die gut geschulten
Männerchöre des jüdischen Gesangvereins besonders lebhaft applaudiert
wurden.
Donnerstag früh 9 Uhr fand die Hauptversammlung |
in
Anwesenheit des Verbandsanwaltes und des Direktors der Frankfurter
Genossenschaft statt. Herr Geheimer Regierungsrat Jung spricht zunächst
seinen Dank aus für die freundliche Einladung, wie für die
liebenswürdige Aufnahme und entledigte sich gern der angenehmen Pflicht,
namens des Großherzoglichen Ministeriums des Innern den Vorschussverein
Gailingen, wie den Kassierer desselben zu ihrem Jubiläum recht herzlich
zu beglückwünschen. Redner rühmt den Aufschwung des Vereins, der
solchen der umsichtigen Leitung seiner Vorstände und Aufsichtsräte,
insbesondere Herrn Harburger zu verdanken habe. Er wünsche dem Verein
weiteres Blühen und Gedeihen, wie dem Jubilar auch gerner eine
segensreiche Tätigkeit. Nach Schluss der über fünf Stunden andauernden
Versammlung vereinigte ein reiches Mittagsmahl im Café Biedermann die
Mitglieder zu gemütlichem Beisammensein, wobei nochmals des
hochverdienten Kassiers, sowie der hiesigen Einwohnerschaft, welche den
Gästen freies Nachtquartier gewährt hatte, dankbar gedacht wurde. Herrn
Harburger wurde von Seiten des Vereins in dankbarer Anerkennung seiner
Verdienste um den Verein durch Herrn W. Moos ein ansehnliches Wertgeschenk
überreicht. Den Schluss der Feier bildete ein großes Bankett, an welchem
sich die ganze Gemeinde, ohne Unterschied der Konfession beteiligte. Auch
hier wurde den Gefühlen der ganzen Gemeinde gegen die Jubilare in
schwungvollen Worten Ausdruck verliehen." |
50-jähriges Bestehen des Synagogenchores (1897)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
7. Januar 1897: "Gailingen, 3. Januar (1897). 'Ich
freue mich über, die, die zu mir sprechen: ins Haus des Ewigen lasset uns
gehen' (Psalm 122,1). Wenn dieses Wort des königlichen Sängers, des
Psalmisten seit 50 Jahren bei uns zutraf, wenn wir uns stets freuen
konnten, die geheiligten Hallen unseres schönen Gotteshauses zu betreten,
so uns die herrlichen Zionsgesänge entgegentönten, so war dies
ganz besonders am vergangenen Schabbat Paraschat Schemot der Fall,
als wir unsere schön dekorierte Synagoge betraten und wo es galt nebst
dem gewöhnlichen Schabbat-Gottesdienste, das Fest des fünfzigjährigen
Bestehens des hiesigen Synagogenchors zu feiern, welches ich hier auf
Wunsch des Vorstandes des Synagogenchors in aller Kürze schildern
möchte:
Nach dem Einheben der Tora erscholl ein eigens zu diesem Feste bestimmter
Choral, worauf Herr Rabbiner Dr. Spitz die Kanzel bestieg und in
trefflicher Rede die Bedeutung des Festes schilderte, anknüpfend an die
Worte der Tora, die lauten 'und heiliget das fünfzigste Jahr'
(3. Mose 25,10), in welchen er gleichzeitig die Verdienste des
Mitbegründers des Synagogen-Chores, Herrn L. Lisberger hervorhob,
welcher die Freude habe, als 85-jähriger Mann in jugendlicher
Frische dem Feste beizuwohnen.
Der Hauptteil des Festes vollzog sich abends von 8 Uhr an im Saale des
Café Biedermann bei einem solennen Mahle, wozu alle 'Choristen'
vom |
Tage
der Gründung an bis auf den heutigen Tag eingeladen waren, worunter man
viele 70 bis 80-jährige Männer erblicken konnte.
Der Vorstand des Synagogen-Chores, Salomon Bloch, hieß die
Anwesenden herzlich willkommen und erteilte das Wort an Herrn Kantor
Eisenmann. Dieser führte in trefflicher Rede aus, wie eigentlich der
Chorgesang keine Neuerung, vielmehr seit den ältesten Zeiten in Israel
heimisch sei, als Belege hierfür zitierte er die ... und schloss mit dem
innigen Wunsche, bald den Schir Chadasch (das neue Lied) anstimmen
zu können. Synagogenrat Wilhelm Moos dankte im Namen der Gemeinde
sämtlichen Chormitgliedern für ihre seitherige Mitwirkung und ermahnte
insbesondere die jungen Herren, den älteren nachzuahmen und stets die
Gebote der Religion und die Institutionen der Gemeinde hochzuhalten. Vorsteher
Harburger dankte den Anwesenden für ihr zahlreiches Erscheinen, für
die Mitwirkung bei allen guten und wohltätigen Zwecken und ermahnte zur
ferneren Eintracht und Einigkeit.
Dr. Heilbronn huldigte den Verdiensten des alten Kantors Lisberger
und ganz besonders den Leistungen des Kantors Eisenmann. Der alte L.
Lisberger dankte in bewegten Worten Gott für die Gnade, diesen schönen
tag noch zu erleben, und der Gemeinde für die viele erwiesene Liebe.
Ein donnerndes Hoch auf unsern vielgeliebten Großherzog als Protektor des
israelitischen Landesasyls wurde von Herrn Lehrer Ottenheimer ausgebracht,
worin Alle begeistert einstimmten. Dann folgten noch verschiedene
Tischreden mit Toraworten gewürzt, sowie Gesänge von älteren
Mitgliedern verfasst und vorgetragen bis morgens die Zeit des Schma
kam... Nicht unerwähnt kann ich lassen, dass das 'Benschen' versteigert
und ein Erlös je für Erez Jisrael, für das Landes-Asyl und für
hiesige wohltätige Zwecke verwendet wurde. Das Benschen selbst wurde dem
ältesten Chor- und Gemeinde-Mitglied, Abraham Metzger, übertragen. N.G."
|
Auszeichnung für den jüdischen Gesangverein
"Eintracht" (1897)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
12. Juli 1897: "Gailingen. Wiederum hat unser jüdischer
Gesangverein 'Eintracht', der sich die Pflege des deutschen Volksliedes
zur Aufgabe stellt, bei dem am jüngsten Sonntag in Stockach stattgehabten
fünften Höhgaufeste die Siegespalme errungen. Unser Verein, der bei dem
dritten und vierten gleichnamigen Feste vor 5 beziehungsweise 3 Jahren
ebenfalls Preise davongetragen, war der einzige jüdische Verein; es muss
dieses als ein Zeichen des in hiesiger Gegend herrschenden konfessionellen
Friedens angesehen werden. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Zahl 27
eine große Rolle dabei spielte. 1. Es war am 27. Juni. 2. 27. Siwan. 3.
es waren 27 konkurrierende Vereine und 4. unser Verein war durch 27
Sänger vertreten. H.G." |
100-jähriges
Bestehen der Brüderschaft / Chewre "Dower tow" (1903)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 10. Juni 1903: "Gailingen, im Juni (1903). Gailingen,
im Juni (1903). Die Nachricht von einem herrlichen Feste, das vergangenen
Schobuoth im hiesigen Orte in bescheidenem Rahmen begangen wurde, dürfte
ihrer Seltenheit halber wohl wert sein, durch Ihr geschätztes Blatt
verbreitet zu werden, da wir annehmen, dass sich auch ein weiterer Kreis
für derartige, echt jüdische Feierlichkeiten interessieren
dürfte.
Unsere Brüderschaft Dower tow feierte nämlich am genannten Tage
ihr 100-jähriges Jubiläum. Die Feier wurde von Seiten unseres Herrn Bezirksrabbiners,
Dr. Spitz, durch eine tief durchdachte und formvollendete Festpredigt
eröffnet. Derselbe schilderte in trefflicher Rede Zweck und Ziele des
Vereins und schloss mit dem Wunsche, dass es der Jubilarin, die ihrer
Devise, zur Ehre Gottes zu wirken, stets treu geblieben ist,
vergönnt sein möge, noch viele, viele Jahre zum Wohle und Heile der
hiesigen Einwohnerschaft zu wirken.
Nach Beendigung des Gottesdienstes versammelte sich die Chebra im Hause
ihres ältesten Mitgliedes, Abraham Metzger, der heute im Alter von
87 Jahren steht, woselbst Religionslehrer Eisenmann, anknüpfend an
der Vers (hebräisch und deutsch): 'Gebirge mögen weichen,
Hügel sich auflösen! meine Huld weicht von dir nie! mein Friedensbund
wird nie aufgelöst! so spricht der Allerbarmer, der Ewige', eine
kurze Predigt hielt.
Mittags 1 Uhr wurde in den prächtig geschmückten Räumen des Hotels
'Adler' ein Bankett veranstaltet. Dasselbe nahm folgenden Verlauf: Herr Salomon
Js. Bloch, Präsident der Chebra, hieß zunächst sämtliche Gäste herzlich
willkommen und feierte in kurzen Worten die Gründer des Vereins, die
keine Opfer an Zeit und Geld gescheut, um die Bruder- |
schaft
ins Leben zu rufen. Hierauf hielt Lehrer Eisenmann die Festrede.
Unter Bezugnahme auf das Wort des Psalmisten (hebräisch und deutsch): 'Dienet
dem Ewigen mit Freuden, kommet mit Frohlocken vor ihn', betonte
derselbe, dass es dreierlei Freude gebe; eine gebotene, eine
erlaubte und eine verbotene. Unsere Freude zähle zu den gebotenen,
zu den wahren Freuden durch das religiöse Gebot. Sodann suchte
Redner in einem kurzen Überblick alles das klar zu legen, was der Verein
seit seiner Gründung an Wohltätigkeit geleistet. Mit dem Wunsche
(hebräisch und deutsch): 'War auch dein Anfang klein, Deine Zukunft
wird umso größer sein', schloss Redner seine mit großem Beifall
aufgenommene Ansprache.
Herr Menke Guggenheim gedachte der verstorbenen Mitglieder,
namentlich unseres früheren ersten Vorstandes, Herrn Salomon Wolf,
der über 50 Jahre seines Amtes waltete, und appellierte in warmen Worten
an den Wohltätigkeitssinn der Mitglieder. Kassier A. Ottenheimer
machte besonders aufmerksam auf die religiösen und politischen Zustände,
die zur Zeit der Gründung (1800) in Deutschland herrschten. Auch unser
ältestes Mitglied, Herr Abraham Metzger, ließ es sich nicht
nehmen, einige Worte zur Weihe des Tages u sprechen. Derselbe führte aus,
wie schön es sei, wenn Brüder in Liebe und Freundschaft zusammen leben
und stets von dem Gedanken beseelt sind, das Wahre, Gute und Schöne zu
lieben und zu betätigen. Hierauf las Herr Lehrer Eisenmann die von
ihm verfasste Jubelschrift vor. Wir entnehmen daraus, dass dieser
Wohltätigkeitsverein, trotz seiner bescheidenen Mittel, doch seit seinem
Bestehen viel Gutes geleistet, viele Armen unterstützt und vielen
Jüngern zum Torastudium verholen hat, und dass derselbe in der Hauptsache
noch im gleichen Sinne wirkt und handelt, wie er von den selig
verstorbenen Eltern und Großeltern der jetzigen Mitglieder gegründet
wurde. Von Herrn Vorsteher Leopold Jakob Guggenheim, hier, wurde
der Jubilarin namens der Gemeinde gratuliert und der Dank gezollt für ihr
100-jähriges segensreiches Wirken.
Nachdem der hiesige jüdische Gesangverein einige herrliche Lieder zum
Vortrage gebracht, schritt man zur Versteigerung des Tischgebets. Herr
David Gut aus Rorschach ersteigerte dasselbe für 56 Mark und übertrug es
unserem Kantor Eisenmann. Derselbe richtete vorher noch einige warm
empfundene Toraworte an die Chebra und ermahnte dieselbe, an dem Baum
des Lebens festzuhalten und nie zu vergessen, dass es Gottes Huld und
Gnade war, die uns diesen Tag in Gesundheit und Frische erleben ließ. Wir
aber wünschen dem Vereine, dass er auch weiterhin wachse, blühe und
gedeihe, und dass, wie bisher, auch fernerhin (hebräisch und deutsch) 'Friede,
Brüderlichkeit und Freundschaft' die Leitsterne des Vereins sein und
bleiben mögen." |
|
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 12. Juni 1903:
"Gailingen. Die hiesige Chewre feierte am letzten
Schewuothfeste das Fest ihres 100-jährigen Bestehens. Herr
Bezirksrabbiner Dr. Spitz hielt beim Morgengottesdienst die Festpredigt.
Nachher sprach Herr Lehrer Eisenmann im Hause des ältesten
Chewremitgliedes, des 87-jährigen Herrn Abraham Metzger. Mittags 1 Uhr
begann das Festbankett im Saale des Hotel Adler; dasselbe nahm - gewürzt
von vielen Toasten und Reden - einen durchaus würdigen
Verlauf." |
B. Guggenheim wird an Simchat Tora
Chatan Tora (1904)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
17. Oktober 1904: "Gailingen. Die Chewra-Kadischa in Gailingen
veranlasste, dass ihr Mitglied Herr B. Guggenheim am verflossenen
Simchas Thoas als Chatan Tora aufgerufen wurde. Herr Guggenheim lud
sämtliche Mitglieder des Vereins zu einem kleinen Festmahle, das unter
vielen Toraworten sich zu einer wahren Seuda schel Mitzwoh
gestaltete." |
Der
Gemeinderat will den Purim-Umzug verbieten, scheitert jedoch bei der Regierung
(1906)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 30. März
1906: "Gailingen (Baden). Den hier üblichen Purim-Umzug zu
verbieten, hielt der Gemeinderat für notwendig. Auf sofortige
Beschwerde bei der Regierung in Konstanz wurde das Verbot noch rechtzeitig
rückgängig gemacht, und so konnten die hiesigen Juden unter Teilnahme
der gesamten Bevölkerung den Umzug - 18 Wagen, 'alten und neuen Sport'
darstellend - unternehmen." |
70-jähriges Bestehen des Israelitischen Frauenvereins
(1909)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
4. Februar 1909: "Gailingen, 28. Januar (1909). Ein selten
schönes Fest beging unsere Gemeinde am 26. dieses Monats anlässlich des
70-jährigen Jubiläums des hiesigen 'Israelitischen Frauenvereins'.
In dem prächtig dekorierten Saale des Café Biedermann, wo die
Feier um 2 Uhr nachmittags stattfand, war der Saal von den Damen bis auf
den letzten Platz gefüllt. Die Präsidentin, Frau Dr. Heilbronn,
ergriff zunächst das Wort, um die erschienenen 145 Damen im Namen des
Vorstandes herzlich zu begrüßen. Sie gedachte ferner all derjenigen,
welche den Verein gründen und leiten halfen, und besonders auch ihrer
verstorbenen Mutter, der Frau Bürgermeister Guggenheim, welche
über 20 Jahre mit seltener Umsicht und Energie das Amt einer Präsidentin
versehen hatte. Mit einem kurzen Rückblick auf die Geschichte des Vereins
und einer Schilderung seiner Zwecke und Aufgaben in der Gegenwart, schloss
die Präsidentin ihre mit großem Beifall aufgenommene Rede. Frau Rosa
Eisenmann überreicht hierauf mit einem sinnigen Prolog unter Hervorhebung
ihrer Verdienste, der Präsidentin einen silbernen Tafelaufsatz im Namen
der Mitglieder des Vereins. Für den musikalischen und dramatischen Teil
haben sich in glänzender Weise die Damen Lina Bloch, Rosa Eisenmann,
Martha Fränkel, Bertha Erlanger, Flora Bloch, Rosa Kaufmann, Selma Adolf
Gut, Selma Louis Gut und Jenny Heimann mit hervorragenden Leistungen
verdienstlich gemacht. Ebenso hielten mehrere Damen zu Herzen gehende
Ansprachen. Von den zahlreich eingegangenen Glückwunschdepeschen sind
besonders hervorzuheben, die von Ihren Königlichen Hoheiten Großherzogin
Luise aus Karlsruhe und Großherzogin Hilda zur Zeit im Schloss Berlin.
Den Schluss der Feier bildete eine Verlosung, deren Resultat allgemeine
Befriedigung hervorrief. Am Abend war noch gemütliche Vereinigung mit
Herren, woselbst Herr Dr. Heilbronn an die Damen appellierte, die
Wohltätigkeit in und außer dem Hause zu hegen und zu pflegen. Herr
Kantor Eisenmann gedachte in begeisterten Worten unserer Stammmütter,
die er den versammelten Damen als leuchtende Beispiele aufführte. Mit dem
Gefühl er Befriedigung über den schönen Verlauf des Festes, trennte man
sich in später Abendstunde." |
Russisch-jüdische Soldaten im Gefangenenlager auf dem
Heuberg werden besucht (1915)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
29. Juli 1915: "Gailingen, 30. Juni (1915). Auf dem nicht weit
von hier gelegenen großen Truppenübungsplatz Heuberg befinden
sich unter den dort untergebrachten Gefangenen viel jüdische Russen. Auf
Anregung des hiesigen Landsturmmannes, Herrn Siegfried Baach, welcher der
Wachmannschaft des Gefangenenlagers zugeteilt ist, wurde durch die
Präsidentin des israelitischen Frauenvereins, Frau Dr. Heilbronn, eine
Sammlung von Tefillos, Machsorim, Tefilim und Talessim veranstaltet, das
Resultat war ein so gutes, dass eine reichhaltige Sendung nach Heuberg
abgeschickt werden konnte. Die Freude der jüdischen Gefangenen ist
unbeschreiblich und der schon lange gehegte Wunsch nach Abhaltung eines
Gottesdienstes wird dadurch erfüllt, wozu der hiesige Synagogenrat in
bereitwilliger Weise gewiss gerne eine Tora-Rolle zur Verfügung stellen
wird." |
75-jähriges Bestehen des Synagogenchors
(1923)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
4. Januar 1923: "Gailingen, 15. Dezember (1923). Am Schabbes
Chanukka beging der hiesige Synagogenchor die Feier seines 75-jährigen
Bestehens. Sinnig haben unsere Väter gerade das Weihefest gewählt zur
Einführung weihebringender Einrichtungen. Die Entstehung des Gailinger
Chors hat nicht viel zu tun mit der an den Namen Israel Jakobsohn
anknüpfenden, von protestantischen Vorbildern ausgehenden Bewegung. Wurde
auch manches Technische aus nichtjüdischen Kreisen übernommen, so war
doch in der Hauptsache der neue Männerchor eine Fortsetzung der
Einrichtung der Chorknaben (Meschaurarim), die erwachsen von ihrem
frommen und schönen Singen nicht lassen wollten. Durch den Vortrag
altgewohnter Weisen und durch den sang wohl einstudierter, neuer Nigunim
(Melodien) hat der Chor viel zur Hebung des Gottesdienstes zu allen Zeiten
beigetragen. Erst jüngst brachte er eine neue Komposition seines Leiters,
des Herrn Lehrer Schapiro, wirkungsvoll zum Vortrag. Seine Bedeutung
innerhalb der badischen Judenheit hat der hiesige Chor dadurch gezeigt,
dass er auf einem Wettsingen der Synagogenchöre des Landes in Offenburg
einen ersten Preis errang mit einem Ausheben, das unser damaliger Kantor,
Herr Lehrer Eisenmann seligen Andenkens vertont hatte. Auch im
weltlichen Gesang hat unser Chor als Gesangverein 'Eintracht' eine
ruhmvolle Geschichte. Der Chor zählt heute noch 22 mitwirkende
Mitglieder. Möge sein Singen und Leben stets Eintracht sein angesichts
seines hohen Berufs, dazu beizutragen, der himmlischen Harmonie irdischen
Ausdruck zu geben." |
250-jähriges Bestehen der Chewra Kadischa (1926)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
23. Dezember 1926: "Gailingen, 12. Dezember (1926). Am
Schabbos-Chanukka dieses Jahres, am 4. Dezember, konnte die
Chewra-Kadischo in Gailingen auf ihr 250-jähriges Bestehen zurückblicken.
Dieses seltene Fest wurde besonders feierlich begangene. An dem auf
Schabbos-Chanukka folgenden Sonntag wurde ein besonderer Festgottesdienst
mit Predigt abgehalten. Mittags fand ein Festessen im Cafe Biedermann
statt. Den Abschluss des 250-jährigen Jubiläums bildete eine
Chanukka-Feier der Gailinger Jugend. Zum Feste erschien eine umfangreiche
Festschrift, in der die Geschichte der Bruderschaft seit dem Bestehen
derselben dargestellt ist. Ferner enthält die Festschrift eine Geschichte
des Friedhofes, die durch eine Reihe von Abbildungen illustriert wird. Die
vielen aus Gailingen stammenden Juden dürften ein Interesse an der
Festschrift haben, da wohl jeder einen Ahnen zur ewigen Ruhe auf dem
Gailinger Friedhof bestattet weiß. Der Festschrift ist ein Kunstblatt des
jüdischen Malers Festenhart beigelegt." |
Referat von Rabbiner Dr. Bohrer über die Bedeutung des
Toralernens (1928)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
12. Januar 1928: "Gailingen (Baden), 28. Dezember (1928). Zu
einer großen Kundgebung am Abend des 26. Dezember im Festsaale des Hotels
Biedermann waren zahlreiche Gailinger erschienen. Herr Rabbiner Dr.
Bohrer referierte über 'die grundlegende Bedeutung des
Thauroh-(Tora)-Lernens für das jüdische Gemeindeleben'. In klaren,
scharfen Strichen zeigte der Redner, wie seit den ältesten Zeiten bis zur
Gegenwart die Blüte jüdischen Gemeindelebens einzig und allein von der
intensiven Pflege jüdischer Welt- und Menschenbetrachtung in Form des
alten jüdischen Lernens abhing. Der Geist baut sich den Körper.
Mit dem Aufhören der Zentralstellung des 'Bethamidrasch' seit dem Zerfall
der liebevollen Pflege jüdischen Geistes durch die breiten Massen des
jüdischen Volkes, sei auch der Volkskörper auseinandergefallen, habe die
trostlose Zersplitterung und Zerklüftung innerhalb des jüdischen Lagers
eingesetzt. Daher fordert er alle echten Freunde der Gemeinde, denen die Sicherung
der Zukunft am Herzen liege, auf, zu einem kraftvollen Bekenntnis zum
alten, jüdischen Lernen, zur Bereitschaft, dem jüdischen Forschen und
Lernen auch in Gailingen eine bleibende Stätte zu gründen.
Die Ausführungen des Redners machten auf alle Anwesenden einen tiefen
Eindruck. Fast alle trugen ihre Namen in die zirkulierenden Listen ein. So
konnte man Lerngruppen für Herren, Damen und Jugendliche beiderlei
Geschlechts gründen. Dann setzte eine anregende Diskussion ein. In seinem
Schlussworte bringt Dr. Bohrer seine feste Überzeugung vom Gelingen des
fundamentalen und heiligen Werkes, das die hochherzige, materielle
Förderung einer Reihe von Gönnern bereits gefunden habe, zum
Ausdruck." |
Umzug zu Purim (1928)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
29. März 1928: "Gailingen, 11. März (1928). Ein Gailinger
Purim gleicht einem Krönungsfest in einer Residenzstadt. Alles ist auf
den Beinen, alles feiert mit. Und so gab es wieder viel zu schauen und zu
genießen. Der gut besuchten Purimveranstaltung folgten das traditionell
gewordene Purimkonzert und die entzückenden Kinderaufführungen. Nicht
unerwähnt dürfen wir unsere Heimatdichterin, Frl. Berthy Bloch lassen,
die in den beiden Stücken 'Donnerstag Morgen' und 'Rasierseife Chatuschim
ist die beste' (spielt sich bei Josef Kurz, Friseur, ab) die Lachmuskeln
aller in Bewegung setzte. Beide Stücke sind gedruckt von der Verfasserin
zum preise von 1.20 Mark zu beziehen." |
Feier von Simchat Tora
- gemeinsam mit der Gemeinde in Randegg (1928)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18.
Oktober 1928: "(Es geht auch ohne Ball). Man schreibt uns aus
Randegg: Unsere Nachbargemeinde Gailingen hatte den traditionellen
Simchostoraball durch einen Unterhaltungsabend ersetzt, und der
liebenswürdigen Einladung unseres hochverehrten Herrn Rabbiner Dr.
Bohrer folgend, begaben sich die meisten hiesigen Familien abends nach
dem Gottesdienste, welcher hier besondern feierlich durch Ausheben
sämtlicher Sforim (Torarollen) gefeiert wird, durch die wunderbar
sternenhelle Nacht in corpore nach der Nachbargemeinde. Das reichhaltige
Programm zeigte das Leben des Chassidiim und führte die Anwesenden in
eine unbekannte Welt voll Freude und Innigkeit. Wie immer, hatte es unser
verehrter Herr Rabbiner auch hier verstanden, das Simchofest in
würdigster Weise zu gestalten und insbesondere auch die Kinderseele zu erfreuen.
Herr Dr. Heilbronn brachte mit kurzen, gut gewählten Worten den Dank für
die Arbeit des Herrn Rabbiner zum Ausdruck, wobei er nicht versäumte, das
harmonische Zusammenwirken der beiden Kultusgemeinden zu betonen. Nach
Schluss des offiziellen Programms blieben die Gailinger mit den Randeggern
noch lange in gemütlicher Unterhaltung beisammen. Das Fest hat viel zum
harmonischen Zusammengehen beider Gemeinden beigetragen."
|
Bericht über "Purim in Gailingen"
(1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
13. März 1930: "Purim in Gailingen. Von Georg
Gidalewitsch.
Die Purimbräuche des Ostens und Wesents unterscheiden sich nicht sehr
voneiannder. Man schickt 'Schlachmones', es gibt 'Lekach', wunderbare 'Homantaschen'
und 'Krepplach' und es wird bis spät in die Nacht hinein betrenderlt.
Einmal im Jahr zeigen sich da auch die 'gesetzten Alten' ausgelassen.
Während aber im Osten zur Purimzeit noch heute sich die Jungen in phantastischen
Verkleidungen auf den Straßen herumtreiben, spielt sich im Westen alles
in der 'Schul' ab. Eine Ausnahme macht Gailingen.
Gailingen in Baden, in der Nähe des Untersee gelegen, ist ein Städtchen,
das noch vor 30 Jahren fast nur von Juden bewohnt war (sc.
übertriebene Aussage). Damals stellten diese auch den Bürgermeister;
doch ist bis heute ihre Anzahl sehr zurückgegangen. Aber sie haben noch
ihre Synagoge, ihre Schule, ihren tatkräftigen Rabbiner und was besonders
bis auf die Gegenwart nachwirkt, das ist die alte Purimtradition.
Die Purimfeier der Gailinger Juden, 'Die Judenfastnacht zu Gailingen', wie
sie in nichtjüdischen Kreisen genannt wurde, ist in der ganzen
Bodenseegegend bekannt und berühmt geworden und von weither kommen dazu
die Gäste. Nicht nur die Juden der umliegenden Gemeinden, auch die
Nichtjuden feiern mit und nehmen teil an den
Vergnügungen.
Die 'Judenfastnacht' trat in dieser allgemeinen Form zum ersten Mal im
Jahre 1865 auf, während vorher Purim nur im engsten Kreise gefeiert wurde
und auf den Straßen nur vereinzelt Masken ihre Späße trieben. Weil aber
die Bevölkerung vorwiegend jüdische war, wurde die 'Gailinger
Judenfastnacht' vom Bezirksamt immer genehmigt. Sie ist nun zur Volkssitte
geworden und schon dadurch erleichtert, dass die Umgangssprache der
Gailinger christlichen Bevölkerung mit jüdischen Wörtern sehr
durchsetzt ist.
Aus dem Purimfest, das wir sonst nur im eigenen Kreis feiern, ist hier in
Gailingen ein Maskenfest geworden, mit einem großen öffentlichen Umzug
und dem üblichen 'Mummenschanz'.
Wochen vorher wird das bevorstehende Purimfest zum Tagesgespräch der
Gailinger Juden und der gesamten Bevölkerung am Untersee. In den Küchen
wird gebacken und geschmort; in der Schule wird wahrscheinlich nichts mehr
gelernt außer Purimversen und -spielen; Masken werden entworfen und die
Phantasie aller ist vollauf beschäftigt mit Plänen.
Wie im Flug vergeht die Zeit bis zum Fest. Dann treiben sich die Kinder,
allerlei Ulk verübend, den ganzen Tag auf den Straßen herum und in ihren
Verkleidungen sind sie kaum zu erkennen. Unter tosendem Beifall der
Zuschauer, unter Papierschlangen und Konfettiregen zieht der Zug durch das
Städtchen. Alle Hoffnungen sind in Erfüllung gegangen, die Erwartungen
sind weit übertroffen. Abends folgt der Ball, das Feuerwerk und andere
Belustigung. Die Gäste zerstreuen sich, das Fest ist
vorüber.
Aber die Ereignisse bleiben noch lange das Tagesgespräch der Leute und
alle Zeitungen berichten über die 'Judenfastnacht zu Gailingen', die noch
heute jedes Jahr am 14. und 15. Adar stattfindet, wenn auch seit dem Krieg
der öffentliche Umzug sehr zurückgegangen ist, ebenso wie das
öffentliche Maskentreiben der
Juden." |
Bericht
von Erholungstagen in Gailingen im Sommer 1936
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 16. September 1936: "Brief aus der Sommerfrische
Gailingen. Um in einer absterbenden Kehilloth (jüdischen
Gemeinde) nicht ganz zu verschmachten, entschließt man sich wieder,
einige Wochen in Erholung zu gehen. Ein Blick in die Liste des Vereins
ritueller Speisehäuser erinnert mich an einen Artikel in einer jüdischen
Wochenschrift, wonach an der badisch-schweizerischen Grenze eine Gemeinde
besteht, wo noch echt jüdisches Leben sprudelt. Also hinein in den Zug
der bayerischen Kleinbahn, dem Ziele entgegen. In der württembergischen
Landeshauptstadt wird zum ersten Male getankt, indem man dort nach dem
Schacharis- und zwischen Minchoh- und Maariw-Gebete durch aktives Lernen
Gelegenheit hat, dem jüdischen Gemüte neuen Treibstoff zuzuführen, der
ausreicht, bis uns der D-Zug an den 'Mekor Chajim'
bringt.
Beim Aussteigen aus dem Postauto wurden wir von einem Kreise alter und
neuer Bekannter empfangen. Schon beim Abendgottesdienste in der über
hundert Jahre alten Dorfsynagoge wurden wir vom Raw zu einem Imbiss
eingeladen. Der Speisezettel ist an der Kosel Maarowi (= Westmauer;
dem schwarzen Brett an der Westseite der Synagoge) angeschlagen: Es wird
verabreicht. Gemoro mit Raschi, Mischno Beruro und an der
Frühgottesdienst angeschlossen, eine weitere Auswahl dieser Art. Als
leibliche Kost gibt es Kaffee und Kuchen usw.
Unsere Oberin, die sich durch ihre gewissenhafte, einzigartige Umsicht,
unermüdliche Schaffenskraft und wohltuendes stets freundliches Wesen
auszeichnet, hat das Hauptverdienst, dass wir - Kurgäste und Patienten -
im Israelitischen Krankenhause uns wie eine große Familie fühlen.
Der Senior unseres Hauses, Herr Jakob Einstein, weiht unsere
Sabbatmahlzeiten mit einem erhebenden Kiddusch, wozu er als 'Kauss' (Becher)
den ihm von seiner dankbaren Gemeinde in Württemberg für seine
langjährigen Vorbeterdienste verehrten silbernen Becher
verwendet.
Der Gottesdienst ist sowohl an den Werktagen wie auch an den Schabbossaus
(Schabbattagen) durch den tiefempfundenen, nach echt
süddeutschen Chasonus geführten Vortrag des Lehrers und Chason
verschönt. An Schabbos wird Barmizwo gefeiert, und am gleichen Schabbos
findet im Israelitischen Krankenhause Briss (Beschneidung) bei
einem Chaluzimpaare mit anschließender Seudo statt. Besonders
hervorgehoben seien dabei die tief durchdachten Toraworte des Herrn
Rabbiners.
So scheiden wir nach einigen Wochen, seelisch gehoben und körperlich
gekräftigt, von dieser südlichsten Ecke Deutschlands mit dem Gefühle
großer Dankbarkeit. Die in der Synagoge gehörten Klänge, die durch den
schönen Männerchor besondere Weihe erhielten, waren uns ein reichlicher
Ersatz für das an verschiedenen Kurplätzen tagtäglich stattfindende
Kurkonzert. Möge es dieser Kehillo, die noch ein weiteres ständiges
Minjan in dem so segensreich wirkenden Friedrichsheim besitzt,
gemäß ihrer ruhmreichen Tradition vergönnt sein, noch lange, lange Zeit
jüdisches Leben und jüdischen Geist zu
verbreiten." |
Gründung einer Jugendgruppe des Agudas Jisroel
(1937)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
25. März 1937: "Eine neue Jugendgruppe der Agudas Jisroel in
Gailingen. Unter der tatkräftigen Führung des Herrn Bezirksrabbiners
Dr. M. Bohrer ist hier vorige Woche eine Jugendgruppe ins Leben gerufen
worden, die - abgesehen von der ansehnlichen Zahl der ihr sofort
beigetretenen Mitglieder - zu schönen Hoffnungen berechtigt. Man wird
sich mit Eifer und Verantwortungsbewusststein den Aufgaben widmen, die die
Zeit von uns verlangt." |
Vortrag von Selig Schachnowitz über "Israel und
Ismael" (1937)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16.
Dezember 1937: "Aus Baden. Mannheim, 3. Dezember
(1937).
Es war dem 'Verein zur Wahrung des gesetzestreuen Judentums' gelungen,
Herrn S. Schachnowitz als Redner für drei Orte zu gewinnen. Am 27.
November lauschten im Karlsruher Vortragssaal sehr viele Menschen mit
gespannter Aufmerksamkeit, als der Redner mit der ihm eigenen souveränen
Beherrschung des Stoffes und des Wortes über 'Israel und Ismael' sprach.
Es versteht sich von selbst, dass dieser Redner nicht nur das Aktuelle des
Israel-Ismael-, d.h. des Araber-Juden-Problems darstellte. Ihm stand die
Fülle der Überlieferung, der Midraschim, der Historie zur Verfügung, um
den Weg von der Vergangenheit in die Gegenwart zurückzulegen. Der Vortrag
klang in Mahnung und Hoffnung aus: Mahnung, dass ein etwas kommendes
jüdisches Gemeinwesen nur bestehen könne, wenn es ein wahrhaft
jüdisches Gemeinwesen sei, aufgebaut auf dem Gesetz des wahren 'Herrn des
Landes'; und Hoffnung dass in Erez Jisroel auch noch einmal die
Versöhnung zwischen Israel und Ismael kommen werde. (Eingeleitet wurde
der Abend von Prof. Dr. Darmstädter, Mannheim, dem Organisator der
Veranstaltungen.). - Am ersten Chanukkaabend weilte S. Schachnowitz am
entgegengesetzten Ende des Landes, in Gailingen, und sprach über
'Chanukka in Erez Israel und in der Gola'. Die Freude der
Dorfbewohner und der aus der Umgegend Herbeigeeilten, war nicht weniger
groß, und ihr Beifall nicht weniger herzlich als in Karlsruhe, wo Herr
Rabbiner Dr. Michalski herzliche Worte des Dankes an den geschätzten
Redner richtete. Aber es ist doch so: in der großen Stadt ist selbst die
beste Veranstaltung eine unter vielen Veranstaltungen. Im abseits
gelegenen Dorf, mit seiner immer noch großen, sehr wachsen und sehr regen
Gemeinde, ist's schon ein Ereignis, wenn ein Prominenter kommt. Man soll
nicht meinen, dass die Menschen im kleineren Ort den Ereignissen und
Problemen, die um Erez Israel kreisen, ferne stehen. Sie hören sehr
aufmerksam, wenn einer Ernstes, aber auch einmal eine gute Anekdote, ein
gutes Gleichnis zu erzählen weiß und dabei über Juden und Araber, den
Jüdischen Staat, die Kenessio Gedaulo und Erez-Jisroel-Arbeit Wichtiges
zu sagen hat. Wie wir hören, war es ein einzigartiger Auftakt zu Chanukka,
eingeleitet durch das erste Entzünden, beendet durch frohes Beisammensein
bis nach Mitternacht. Dazu trugen auch die emunadurchglühten (gemeint:.
von religiösen Worten erfüllten) Reden Rabbiner Dr. Bohrers vor und
nach dem Vortrage nicht wenig bei. - Am nächsten Tage in
Freiburg..." |
Reisebericht
von Selig Schachnowitz über seinen Besuch in der jüdischen
Gemeinde in Gailingen (November 1937, Bericht erschien 1938)
Anmerkung: Selig Schachnowitz war (siehe oben) im November 1937 zu einem Vortrag
in Gailingen. Dass der Bericht von ihm ist, geht aus der Bemerkung vor, er habe
vor dreieinhalb Jahrzehnten "in der schweizerischen Nachbargemeinde"
gelebt. Gemeint ist damit Endingen, wo
Schachnowitz von 1901 bis 1908 als Lehrer tätig war. Im ersten Teil des
nachfolgenden Berichtes erinnert er an seine beiden gemeinsamen Reisen mit
Rabbiner Dr. Bohrer aus Gailingen nach Osteuropa und Palästina. Im Artikel
berichtet der Verfasser auch über seinen in Gailingen gehaltenen
Vortrag.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
3. Februar 1938: "Erlebtes und Erlauschtes auf
Vortragsreisen.
II. In der Landgemeinde am Südrande. Am Sonntag Vormittag
rattert der 'Eilzug' ohne übertriebene Eile zwischen den weißbetupften
Bergen des Schwarzwaldes. In Singen aber steige ich aus - und trete
unvermittelt in die weite Ebene Randpolens und die heiße Felsenwüste im
Jordantal. Denn dort steht am Auto Freund Bohrer, das geistige Oberhaupt
Gailingens, mit dem mich heilige Erinnerungen an die Vierländerfahrt und
die Palästinareise verbinden.
Wir waren gute Fahrtgenossen - erst durch die jüdischen Zentren des
Ostens und dann, ein halbes Jahr später, auf dem Mittelmeer in den
palästinensischen Frühling hinein. Stunden gemeinsamen tiefen Erlebens,
seit fünf Jahren schöne Erinnerung, werden wieder wirklich und
gegenwärtig. Wie war es doch damals am langen Tische in Lublin, da wir
wie einen Abglanz der Schechina auf einem menschlichen Gesichte
schauen durften, und sich aus der Kehle eines schmächtigen Jüngers zur
Einleitung der Tafel eine Stimme erhob, wie wir sie nie gehört, ein
Gesang erklang, wie wir ihn nie vernommen haben!
Und in der kleinen Stadt an der Weichsel, wo der kleine große Rabbi, der
'Gerer' seine Residenz hat! Und im Garten bei Wilna, im Lichtkreise Rabbi
Chajim Osers!...
Und dann bei Radin; der Heilige im Lehnstuhl, dessen Auge in die Weite
gerichtet war und nur eines sah: Moschiach und die
Erlösung!...
Wer war am Sonntagebend, da wir in Wilna gemeinsam die Rückreise antreten
sollten, nicht bei uns - dieweil er sich nach Sabbatausgang leise von uns
fortschlich, um auf mühsamen Wegen noch einmal ganz allein zu jenem
Lehnstuhl, von dem sich Lichtströme ergossen, zu gelangen?...
Und andere Bilder stürmen auf uns ein, so weit zurückliegend und doch so
greifbar nahe. Die Mittelmeerfahrt auf der 'Carnaro'. Der erste Schritt
auf den heiligen Boden, da wir am kleinen Hause auf dem Ungarischen Platz
leise pochten wie an den Pforten des Vaterhauses. Und als nach einer Weile
die Türe aufging, schauten wir in Augen, die etwas von der Farbe und der
Tiefe des eben verlassenen Meeres hatten. Ganz vergeistigt, unirdisch
stand Rabbi Chajim Sonnenfeld vor uns, der sich uns zu Ehren mit großer
Mühe aus dem Krankenbett bringen ließ. Und die erste Träne, das
erste Gebet an der Westmauer, einige Minuten später, war nur wie eine
Fortsetzung dieses ersten Jerusalemer Besuches...
Und später bei Mutter Rahel und noch etwas später an der Außenmauer der
Vätergräber in Hebron, und dann mit dem sinkenden Tag an den weißen
Grabmälern der Toramärtyrer von Hebron, und noch später auf der
Jordanbrücke vor den Toren Transjordaniens, und noch später.
Nun rattert unser Auto am Südrande Badens der kleinen Residenz meines
Freundes zu. An Randegg vorbei,
wo noch kurz der Vorsteher begrüßt wird, dann weiter die wellige Straße
hinunter. Links die Schweiz, rechts deutscher Boden und eine scheidende
Spätherbstsonne grüßt herüber und hinüber, als gäbe es keine Grenzen
auf Erden.
Im Dorfe (sc. Gailingen), früher der größten jüdischen
Landgemeinde im Reiche, hängt vor Synagoge und Rabbinerhaus hoch oben die
Kiddusch-Lewana-Lampe noch genau so wie vor dreieinhalb Jahrzehnten, als
ich in der schweizerischen Nachbargemeinde lebte. Alles, was Beziehung zum
Rabbinerhaus hat, ist vor dem Eingang zur Begrüßung versammelt. Vor
allem die 'Rebbezin' (sc. Frau des Rabbiners), strahlend, wohlgemut,
frisch und gut aufgelegt inmitten ihrer blühenden Kinderschar. Sie spickt
ihre Worte so reich mit Talmudzitaten, wie den guten Kuchen, der nun zum
Kaffee erscheint, mit Rosinen. Auch die zwei Ziegen, die Milchquellen
dieser prächtigen rotwangigen Kinder, stellen sich meckernd zum Empfange
ein. Auch ein Mann, der, rocklos und mit einer Tellerkappe auf dem eckigen
Schädel, mit Bibelsprüchen den nahen Weltuntergang ankündigt, und
derweil ein Vorschuss-Chanukkageld für ein 'Gläschen' erheischt... Ich
kenne den Typ von früher her. Auch er gehört zum Bilde einer echten
jüdischen Landgemeinde.
In Synagoge und Vortragssaal. Eine Stunde später ist die ganze
Gemeinde im sauberen Schullokal versammelt, das im Winter zur Entlastung
der Synagoge als Betsaal dient. Es ist zu Ehren des ersten Chanukkalichtes
eine Art Festgottesdienst improvisiert, und ich kann, da das 'Moaus Zur'
brausend erschallt, feststellen, dass die vielgerühmten Gailinger
Synagogensänger, die sich früher, in der 'Blütezeit', Preise auf
Sängerfesten geholt haben, an Schwung und Stimmkraft nichts eingebüßt
haben.
Hier treffe ich auch unseren lieben Doktor und meinen Kollegen von der
Feder wieder, der unser Reisegenosse nach und durch Palästina war und
seitdem als Teilhaber all jener Erlebnisse mir in Freundschaft verbunden
ist.
Abends ist aber das große jüdische Café, wo in früheren Jahrzehnten
sich der weltberühmte Gailinger Purimschanz, unter Beteiligung auch der
nichtjüdischen Bevölkerung der ganzen Umgegend, abspielte, bis an den
Rand besetzt. Es herrscht eine Stimmung, wie ich sie aus Erfahrung nicht
kenne. Gailingen ist in seiner Art einmalig, ohne Präzedenzfall. Es weht
hier die traute, milde Luft eines litauischen Städtchens, gepaart mit der
impulsiven festfrohen Treue einer chassidischen Niederlassung, und das
Ganze ist überstrahlt von der schon in der Sprache sich wiederspiegelnden
frischen, natürlichen Herzlichkeit des badischen Oberlandes. Wer die
Hunderte im Saale sieht, vermag an den 'Niedergang der Landgemeinde' nicht
zu glauben. Freilich sind auch die Nachbargemeinden diesseits und jenseits
der Grenze, vorab die gleichgeartete Schwestergemeinde Randegg,
fast vollzählig vertreten. Spricht man vom 'lauschenden Publikum' so ist
hier damit zu wenig gesagt; die Menschen erleben hier das Dargebotene,
mit- und nachschaffend. Die Worte verklingen, aber in Herz und Hirn hallen
sie fort - bis zum nächsten Erlebnis, zum nächsten Vortrag. So vergehen
beinahe zwei Stunden in gemeinsamer Arbeit, bei der man bald nicht mehr
weoß, wer der Gebende und wer der Empfangende ist. Die Uhr an der Wand,
eine gute, alte 'Schwarzwälderin', stellt höflicherweise ihr Ticken ein
und verwischt alle Zeitgrenzen...
Noch lange bleiben die Menschen im jüdischen Gasthause, das in Wahrheit
ein Haus jüdischer Gastlichkeit ist, beisammen, und es ist wohl lange
nach Mitternacht, als die Auswärtigen endlich 'über dem Berge' sind, der
sich zwischen Gailingen und Randegg erhebt, ohne sie dennoch voneinander
zu trennen. Über diesen Berg wandert oft der Rabbiner, der beide
Gemeinden und noch andere dazu mit gleicher Liebe und Aufopferung
betreut.
Ein wahrer Bohrer (sc. Bild für Rabbiner Dr. Bohrer), der tief in
die Gewissen, Herzen und Gemühter bohrt, bis das Grundwasser des
jüdischen Empfindens aus angeblich verschütteten Tiefen wieder
hervorsprudelt... Heiße Gluten wohnen in diesem schmächtigen Körper,
und jeder, der ihm nahe kommt, ist von ihnen erfasst und hingerissen. Er
darf seiner Gemeinde alles sagen, und er tut es auch an diesem Abend in
reichlichem Maße im Anschluss an den Vortrag, ohne dass ihm jemand etwas
übel nimmt. Man spürt die Liebe des Herzens, aus der die Mussarworte
kommen. Er hat nicht umsonst zu Füßen der Meister in Telsiai (sc.
Kreisstadt in Litauen mit einer berühmte Jeschiwa) gesessen, vor dem
Krankensessel des Chofez Chaim gestanden, dieser Rabbiner der Landgemeinde
am Südrande Badens.
Wer Gailingen vor drei und vier Jahrzehnten in der sogenannten
'Blütezeit' gekannt hat und es heute wieder seiht, hat keineswegs das
Gefühl, dass hier die Jahre etwas zerstört hätten. Gewiss hat sich die
Gemeinde numerisch etwas verkleinert, und für rauschende Purimmaskeraden
durch die Straßen liegt heute weder Voraussetzung noch Veranlassung vor.
Aber ich weiß nicht, ob jemals die Sabbate und die Feste inniger und
schöner gefeiert wurden in Gailingen als heute, ob die Edelpflanze der
jüdischen Gastlichkeit und Gemütlichkeit zu irgend einer Zeit dort
höher in die Halme schoss als jetzt.
Am Montag besichtige ich noch die zwei herrlichen Häuser, auf die nicht
allein Gailingen, sondern die gesamte badische Judenheit mit Recht stolz
ist: das Altenheim und das Jüdische Krankenhaus. Ungemein
idyllisch gelegen, von einer Vegetation und einem Klima begnadet, wie sie
in keinem Kurplatz schöner und günstiger sind, sind beide Heime unter
vortrefflicher Leitung eine Segensquelle für unzählige Menschen
geworden. Das sog. 'Krankenhaus' ist auch ein geeignetes Erfolgungsheim
für Gesunde, die ein paar Ferienwochen in gesunder Landluft innerhalb
einer schönen jüdischen Gemeinde, bei guter Verpflegung und mäßigen
Preisen verbringen wollen. Dieses nur so nebenbei.
Nach einer weiteren schönen Stunde am gastlichen Tische im Lehrerhause
geht es im Auto zurück nach Singen. Der Abschied von der Rabbinerfamilie
und |
von
all den guten, rasch liebgewonnenen Menschen fällt beinahe schwer. In
Singen kommen wir sozusagen unter 'Zollverschluss' bis zum Basler
Reichsbahnhof. Und von dort geht es gegen Abend nach Freiburg, das die
letzte Etappe der badischen Vortragstournee bildet." |
|