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zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Großeicholzheim (Gemeinde Seckach,
Neckar-Odenwald-Kreis)
Jüdische Geschichte / Betsaal/Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In dem bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts als pfälzisches Leben im Besitz der
Grafen von Degenfeld befindlichen Großeicholzheim bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 16./18. Jahrhunderts zurück.
Erstmals wird 1541/42 Jud Mosse zu Großeicholzheim genannt.
Auch 1716 wird ein Jude beziehungsweise eine jüdische Familie am Ort
genannt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren bereits 14 jüdische
Familien am Ort (Großeicholzheim war Ort mit Marktrecht).
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1825 99 jüdische Einwohner (12,8 % von insgesamt 771 Einwohnern), 1843
91 (11,0 % von 831), 1875 111 (12,8 % von 865), 1887 95 (11,2 % von 852), 1900
Höchstzahl von 112 Personen (14,8 % von 758), 1910 86 (11,5 % von 746). Die
jüdischen Familien lebten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vom Vieh- und
Warenhandel, danach haben mehrere von ihnen Geschäfte am Ort eröffnet.
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule und ein rituelles Bad (in der Tränkgasse, vor 1945 abgebrochen,
an seiner Stelle wurde ein Stromhäuschen des Elektrizitätswerkes gebaut). Die
Toten der Gemeinde wurden auf dem jüdischen Friedhof
in Bödigheim beigesetzt. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde
war - meist gemeinsam mit der Nachbargemeinde Kleineicholzheim
- ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Vor
dem Bau der neuen Synagoge in Großeicholzheim hatte der Lehrer seinen Wohnsitz
in Kleineicholzheim, danach in Großeicholzheim (vgl. unten die
Ausschreibungstexte). 1827 wurde die Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Mosbach
zugeteilt.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Ludwig Rosenthal
(geb. 23.10.1887 in Großeicholzheim, gef. 22.7.1915), Max Rosenthal geb.
19.10.1898 in Großeicholzheim, gest. an der Kriegsverletzung 22.7.1920),
Maximilian Stein (geb. 18.9.1885 in Großeicholzheim, gef. 11.5.1915), Gefreiter
Julius Westheimer (geb. 18.7.1888 in Großeicholzheim, gef. 7.8.1916) und
Heinrich Westheimer (geb. 19.2.1881 in Großeicholzheim, gef. 20.3.1917). Ihre
Namen stehen auf dem Gefallenendenkmal des jüdischen Friedhofes
in Bödigheim und auf einer Bildtafel für die Gefallenen des Ersten
Weltkriegs im Rathaus Großeicholzheim sowie auf dem Gefallenendenkmal vor dem
Rathaus (ehemaliges Schloss, die Namen wurden vor einigen Jahren nachgetragen).
Außerdem sind gefallen: Moritz Stein (geb. 12.6.1879 in Großeicholzheim, vor
1914 in Mosbach wohnhaft, gef. 1.10.1916), Emil Westheimer (geb. 17.7.1900 in
Großeicholzheim, vor 1914 in Karlsruhe wohnhaft, gef. 6.7.1918) und Hugo Kälbermann
(geb. 9.2.1884 in Großeicholzheim, vor 1914 in Ludwigshafen wohnhaft, gef.
1.9.1917).
Um 1925, als noch 56 Personen zur Gemeinde gehörten (8,3 % von insgesamt
677 Einwohnern), waren die Gemeindevorsteher Samuel Westheimer, Leopold
Spatz, Moses Marx, Heinrich Zimmern und Hermann Kälbermann. Als Lehrer, Kantor
und Schochet war weiterhin David Scheuermann tätig. Er unterrichtete an der
Religionsschule der Gemeinde noch neun Kinder. Als jüdischen Vereinen
bestanden der Wohltätigkeits- und Bestattungsverein Chewra Kadischa
(gegründet 1847; 1924/32 unter Leitung von M. Rosenthal mit 1924 11, 1932 14
Mitgliedern) und der Israelitische Frauenverein (gegründet 1887, 1924
unter Leitung von Rebekka Spatz mit 11 Mitgliedern, 1932 unter Leitung von Frau
Westheimer mit 13 Mitgliedern; Zweck und Arbeitsgebiete: gegenseitige Unterstützung,
Bestattungswesen). 1932 waren die Gemeindevorsteher Leopold Spatz (1.
Vors.), Moses Marx (2. Vors.) und Seligmann Zimmern (3. Vors.). Es bestand neben
dem Vorstand eine Repräsentanz mit fünf Mitgliedern. Weiterhin was David
Scheuermann als Lehrer und Kantor tätig. Er hatte im Schuljahr 1931/32 noch
drei Kinder in Religion zu unterrichten.
An ehemaligen, bis nach 1933 bestehenden Handels- und Gewerbebetrieben im
Besitz jüdischer Personen / Familien sind bekannt: Metzgerei und
Kolonialwarengeschäft Simon Freudenthal (Friedhofstraße 13), Viehhandlung und
Schuhgeschäft Max Kälbermann (Kirchgasse 8), Gasthaus "Lamm",
Inhaber Moses Marx (Hauptstraße 9), Textilwarengeschäft Siegfried Rosenthal
(Hauptstraße 2), Woll- und Weißwarengeschäft Westheimer (Wettgasse 9).
1933 lebten noch 51 jüdische Personen in Großeichholzheim (7,5 % von
681 Einwohnern). Auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der
zunehmenden Entrechtung und der Repressalien verließen in den folgenden Jahren
die meisten der jüdischen Einwohner den Ort. Bereits 1933 war es zu
Hausdurchsuchungen gekommen - Siegfried Rosenthal wurde als SPD-Mitglied in
sogenannte Schutzhaft genommen und in das KZ Heuberg verschleppt. Emigrieren
konnten die Familien Kälbermann und Spatz (nach Argentinien), die Familie
Rosenthal und die Kinder der Familie Zimmern (in die USA). Einige der insgesamt
28 Emigranten fanden in Uruguay, England und Palästina Aufnahme. Beim Novemberpogrom
1938 wurde die Synagoge demoliert (s.u.), gleichfalls das jüdische Gasthaus
"Lamm". Es kam zu Misshandlungen jüdischer Einwohner und zu Plünderungen
jüdischer Häuser. 1939 wurden noch 19 jüdische Einwohner gezählt; am 22.
Oktober 1940 wurden aus Großeicholzheim die letzten 16 jüdischen Einwohner
deportiert.
V on den in Großeicholzheim geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften
jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den
Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den
Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Regina (Regine)
Abraham geb. Westheimer (1876), Marta Aufhäuser geb. Westheimer (1895), Jenny
Baumann geb. Blumenthal (1883), Bertha Freudenthal geb. Levi (1886), Simon
Freudenthal (1889), Emilie Hirsch geb. Kälbermann (1877), Artur Kälbermann
(1898), Berta Kälbermann (1896), Betty Kälbermann (1887), Else Kälbermann
(1907), Emanuel Kälbermann (1865), Hugo Kälbermann (1904), Amalie (Malchen) Kälbermann
geb. Heimann (1868), Manfred Kälbermann (1900), Max Kälbermann (1863), Gertrud
Levita geb. Blumenthal (1884), Rita Lewi geb. Kälbermann (1910), Berta Marx
geb. Aufhäuser (1869), Moses Marx (1863), Rosi Marx (1904), Siegfried Marx
(1897), Magda (Martha) Rosenfeld geb. Kälbermann (1901), Ricke Rosenthal geb.
Marx (1859), Karoline (Karolina) Spatz (1870), Nathan Spatz (1864), Ludwig Stein
(1889), Sigmund Stein (1883), Anna Zimmern geb. Schwarz (1877), Babette Zimmern
(1870), Heinrich Zimmern (1872).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1852 / 1876 /
1885
Anzeige im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den
See-Kreis" vom 10. Mai 1852 (Quelle: Stadtarchiv Donaueschingen):
"Die mit einem festen Gehalte von 135 fl. und einem jährlichen
Schulgelde von 48 kr. für jedes die Religionsschule besuchende Kind und dem Vorsängerdienste samt den davon abhängigen
Gefällen, verbundene Religionsschulstelle bei der israelitischen Gemeinde
Großeicholzheim, Synagogenbezirks Mosbach, ist zu besetzen.
Die berechtigten Bewerber um dieselbe werden daher aufgefordert, mit ihren
Gesuchen, unter Vorlage ihrer Aufnahmeurkunden und der Zeugnisse über
ihren sittlichen und religiösen Lebenswandel, binnen 6 Wochen, mittelst
des betreffenden Bezirksrabbinats, bei der Bezirkssynagoge Mosbach sich
zu melden.
Bei dem Abgange von Meldungen von Schul- oder
Rabbinatskandidaten, können auch andere inländische befähigte Subjekte
nach erstandener Prüfung bei dem Bezirksrabbiner zur Bewerbung zugelassen
werden." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. September 1876:
"Auskündigung
einer Religions-Schulstelle. Die beiden vereinigten Religionsschulstellen
bei den israelitischen Gemeinden Groß- und Klein-Eichholzheim,
Rabbinatsbezirks Mosbach am Necker, Großherzogtum Baden, mit welchen ein
fester jährlicher Gehalt von 400 Gulden, ein jährliches Schulgeld von 2
Mark für jedes Schulkind, nebst freier Wohnung mit dem Wohnsitze in Klein-Eichholzheim, sowie der Vorständer- und Schächterdienst mit den
davon abfließenden Gefällen verbunden ist, sind sofort zu besetzen.
Qualifizierte Bewerber werden andurch aufgefordert, ihre Zeugnisse über
ihre seitherige Lehrtätigkeit und ihren religiös-sittlichen Lebenswandel
anher einzusenden. Hierbei wird dem Bewerber schließlich bemerkt, dass er
sich auch einer Prüfung in den zur Versehung eines Religionsschuldienstes
erforderlichen Kenntnissen bei unterzeichneter Stelle zu unterziehen
habe.
Mosbach am Neckar (Baden). Das Großherzogliche Bezirksrabbinat: S. Weil." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. April 1885:
"Auskündigung einer Religionsschul-Stelle. Die
vereinigte Religionslehrer-, Vorsänger- und Schächterstelle bei den
israelitischen Gemeinden Groß- und Kleineichholzheim, diesseitigen
Synagogenbezirks, mit dem Wohnsitze in Großeichholzheim, mit einem festen
Gehalte von 700 Mark und ca. 500
Mark angeblichen Gefällen pro anno ist mit dem 15. Juni dieses Jahres neu
zu besetzen. Qualifizierte Bewerber wollen ihre desfallsigen Meldungen
unter Anschluss amtlich beglaubigter Zeugnisabschriften über Befähigung
und sittlich religiöse Führung binnen vier Wochen portofrei anher
einsehenden.
Mosbach in Baden, 23. April 1883. Das Großherzogliche Bezirksrabbinat: S.
Weil." |
Auszeichnung für Lehrer Wolf (1854 bis 1887
Lehrer in Großeicholzheim)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. September 1899: "Sennfeld,
7. September (1899). Heute Nachmittag fand dahier auf dem Rathause durch
den Großherzoglichen Amtsvorstand, Herrn Oberamtmann Dr. Mays die
Überreichung der von Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzog dem
hiesigen israelitischen Religionslehrer Herrn Wolf verliehenen
Auszeichnung statt. Zu dem feierlichen Akte hatte sich der Gemeinderat,
der evangelische Geistliche, der Synagogenrat, sowie die Lehrerschaft
eingefunden. Nach der Ansprache des Großherzoglichen Amtsvorstandes
dankte der Dekorierte, worauf Herr Bürgermeister Gramlich ein Hoch auf
unseren geliebten Großherzog ausbrachte. Im 'Engel' fand später ein
gemütliches Beisammensein statt, bei welchem der hiesige evangelische
Geistliche im Namen der evangelischen Gemeinde dem Dekorierten Glück zu
seiner Auszeichnung wünschte. Die wirkungsvolle Ansprache klang aus in
ein Hoch auf Herrn Lehrer Wolf. Der Dekorierte - hoch geschätzt von
jedermann - wirkt nun 45 Jahre als Lehrer, wovon 23 Jahre in Großeicholzheim
und die übrigen 22 Jahre in Sennfeld. Möge Herr Lehrer Wolf sich noch
lange Jahre in ungetrübter Frische des Geistes und Körpers der hohen Auszeichnung
erfreuen." |
25-jähriges Orts- und Amtsjubiläum von Lehrer David
Scheuermann (1910)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 2. Dezember 1910: "Großeichholzheim
(Baden). Lehrer Scheuermann feiert am 3. Dezember sein 25-jähriges Orts-
und Amtsjubiläum". |
50-jähriges Amtsjubiläum von Lehrer David Scheuermann
(1935)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. August 1935: "Groß-Eichholzheim
(Baden), 18. August (1935). Am 1. September begeht – so Gott will – Herr Lehrer David Scheuermann in bewundernswerter
geistiger Frische und körperliche Rüstigkeit das 50-jährige Amtsjubiläum
als Lehrer und Kantor. Der Jubilar gilt in Lehrerkreisen als
vortrefflicher Midraschkenner. Auch ist er ein treuer Pfleger der alten
Chasonus (gemeint: des traditionellen Vorbetens). (Alles Gute) bis 120
Jahre." |
Berichte
zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde
Auszeichnung für Mariechen Kälbermann (1914)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 6. März 1914: "Aus Karlsruhe wird geschrieben: Der Oberrat
hat für das Jahr 1914 folgende Fanny Weil'sche Tugendpreise verliehen: im
Betrage von 500 Mark dem Hauptlehrer Jakob Wolfsbruck an der
Volksschule in Emmendingen; im
Betrage von 300 Mark der Frau Rosa Wachenheimer Witwe in Schmieheim,
der Frau Regine Seelig in Mannheim und der Frau Malchen
Kälbermann in Großeicholzheim." |
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und
Privatpersonen
Mitarbeitersuche des Käse- und Senf-Engrosgeschäftes M.
Dieter's Nachfolger (1897)
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. September 1897: "Ich suche für
mein Käse- und Senf- En gros-Geschäft einen jungen Mann für Comptoir
und Reise und erbitte Offerten, womöglich mit Photographie und
Zeugnisabschriften und Angabe der Gehaltsansprüche
bei freier Station. Samstags und Feiertage geschlossen.
M. Dieter’s Nachfolger, Groß-Eichholzheim in Baden." |
Commis- beziehungsweise Lehrlingssuche des Manufaktur- und Konfektionsgeschäftes
M. Rosenthal (1893 / 1903)
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Januar 1893: "Für mein an Schabbat
und Feiertag streng geschlossenes Manufaktur- und Konfektionsgeschäft
suche einen tüchtigen Commis zum baldigen Eintritt. Offerten sind
Gehaltsansprüche bei freier Station beizufügen. Ferner ist für einen
Sohn achtbarer Eltern zu Ostern eine Lehrlingsstelle unter günstigen
Bedingungen vakant.
M. Rosenthal, Groß-Eichholzheim, Baden."
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. April 1903: "Lehrlingsstelle.
Für einen jungen Mann, Sohn achtbarer Eltern, mit guter Schulbildung, ist
bei mir eine Lehrlingsstelle offen. Günstige Bedingungen.
M. Rosenthal. Manufaktur- und Moderwaren. Großeicholzheim,
Baden." |
Anzeige des Käse-Engros-Geschäftes Max Kahn (1901)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. Juni 1901: "Junger
Mann.
Für mein an Samstag und Feiertagen geschlossenes Käse-Engros-Geschäft suche
per sofort oder 1. Juli einen jüngeren Commis für Comptoir und
Reise mit guter Handschrift. Branchekenntnisse sind nicht erforderlich.
Offerten mit Zeugnisse, Photographie und Gehaltsansprüche bei freier
Station erbeten.
Max Kahn, Groß-Eicholzheim in Baden." |
Andere Dokumente
(aus der Sammlung von Peter Karl Müller, Kirchheim /Ries, Kommentar auf Grund
der Recherchen von P.K. Müller)
Sonstiges
Erinnerungen an die Auswanderungen im 19. Jahrhundert:
Grabstein in New York für Henry Simon
(1825-1895) und Babette Ehrlich (1828-1886), beide aus
Großeicholzheim
Anmerkung: die Gräber befinden sich in einem jüdischen Friedhof in NY-Brooklyn,
bei Babette Ehrlich wird kein Geburtsname mitgeteilt.
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Grabstein
für
"My beloved husband
Henry Simon
born in Großeicholzheim (für Grosseichelsheim) Baden Jan 6
1825
Died Sept. 14, 1895". |
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Grabstein "In memory of
Louis Ehrlich Beloved husband of
Babette Ehrlich
Born in Großeicholzheim (für Grosseichelsheim) Baden
March 30th 1828 Died Oct 30 1886
Aged 58 years 7 months.
May his soul rest in Peace" |
Zur Geschichte des Betsaales / der Synagoge
Bereits im 18. Jahrhundert wurde
ein Betsaal eingerichtet. Eine Synagoge, die vermutlich am Ende
des 18. oder Anfang des 19. Jahrhunderts erbaut wurde, stand auf dem heutigen
Grundstück Wettgasse 14. 1841 musste die Gemeinde die Synagoge gründlich
instandsetzen lassen. In den 1870er-Jahren war das Gebäude wieder in teilweise
sehr schlechtem Bauzustand. Im Mai 1876 wurden von der Feuerschau-Kommission Schäden
festgestellt, die innerhalb von vier Wochen beseitigt werden sollten. Nachdem
die Reparaturen gerade begonnen hatten, ließ sie Synagogenvorsteher Moses
Westheimer einstellen. In der Gemeinde waren immer mehr Stimmen laut geworden,
dass man die Reparatur zum Anlass nehmen sollte, eine neue Synagoge zu
bauen. Auf einer Gemeindeversammlung sprachen
sich von den 19 stimmberechtigten Gemeindegliedern 17 für den Neubau einer
Synagoge innerhalb von drei Jahren aus. Beim Bezirksrabbinat Mosbach fragte man
wenig später an, ob man eine Kollekte zum Bau der Synagoge durchführen könne.
Dies wurde damals nicht genehmigt, da die Gemeinde noch nicht die erforderlichen
eigenen Mittel angespart hatte. Das fehlende Baukapital war auch der Grund, dass
man bis 1882 nicht weiter gekommen war. Den Gemeindegliedern fiel es wegen der
damals ungünstigen Wirtschaftslage schwer, die Mittel einer vereinbarten Umlage
von zusammen 2.000 Mark zu bezahlen. Dennoch konnte man 1882 neu beschließen,
den Neubau innerhalb der kommenden drei bis vier Jahre durchzuführen. Die
Situation war auch deswegen so dringend geworden, da die alte Synagoge in solch
schlechtem Zustand war, dass bereits im Januar 1882 die Synagogenbenutzung wegen
Baufälligkeit vorübergehend untersagt werden musste. Im Juli 1882 stützte man
die Westseite mit zwei Balken, um das Gebäude vor dem Einsturz zu bewahren. Ein
Jahr später stellte die Gemeinde einen erneuten Antrag auf Durchführung einer
Kollekte bei den Israeliten des Landes. Im Mai 1884 erhielt die Gemeinde vom
Badischen Großherzog eine Spende von 100 Mark zum geplanten Neubau. Im Februar
1884 wurde die alte Synagoge vollständig abgebrochen.
Spendenaufrufe für den Neubau einer Synagoge
(1885)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Juni 1885: "Aufruf!
Wohllöblicher Synagogenrat! Höchst ungern haben wir, die unterfertigten,
uns entschlossen, uns mit der Bitte um Unterstützung an unsere
Glaubensgenossen Badens zu wenden, da wir wohl wissen, wie sehr das mildtätige
Herz derselben, namentlich in jetziger Zeit, in Anspruch genommen wird und
doch drängt uns die höchste Not hierzu. – Unsere Gemeinde besteht aus
17 Familien, die zum Teil gering bemittelt, teils aber auch arm sind. Nun
wurde uns von zuständiger Behörde bereits aufgegeben, unsere längst
baufällige Synagoge sofort zu schließen und dieselbe binnen längstens 4
Wochen vollständig abzubrechen. – Der Neubau unseres Gotteshauses
erfordert einen Aufwand von wenigstens 17.000 Mark, ein Aufwand, den
unsere kleine, wenig bemittelte Gemeinde, ohne mildtätige Hilfe, aus
eigenen Mitteln aufzubringen, nicht vermag. Wir sind deshalb auf die
Unterstützung unserer Glaubensbrüder notgedrungen angewiesen. – Im
Vertrauen nun auf jenen allbewährten, nie vergeblich angerufenen Wohltätigkeitssinn
unserer israelitischen Mitbrüder, wagen wir es hiermit, ergebenst zu
bitten, uns ihre Hilfe respektive Unterstützung nicht zu versagen und
Spenden entweder dem Vorstande dahier oder auch unserem ehrwürdigen Herrn
Bezirksrabbiner Weil in Mosbach einsenden zu wollen. Großeichholzheim,
Amts Adelsheim, im Juni 1885. Der Synagogenrat: Salomon Hobach, Vorstand.
Isaak Löb Westheimer, Raphael Westheimer. Zur Beurkundung: Bachert, Bürgermeister.
Auch wir sind bereit, Gaben entgegenzunehmen und weiterzubefördern.
Expedition des ‚Israelit’." |
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Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. August 1885:
"Werteste
Glaubensgenossen! Unsere zum großen Teile aus unbemittelten Mitgliedern
bestehende Gemeinde besitzt leider kein Gotteshaus mehr, indem solches von
Amtswegen abgebrochen und niedergerissen wurde. Der Neubau erfordert einen
unsere Kräfte weit übersteigenden Aufwand, weshalb wir unsere lieben
Mitbrüder um milde Gaben ansprechen, und wird auch der kleinste Beitrag
dankend aufgenommen. Großeichholzheim (Baden), 26. Juli 1885. Der
Synagogenrat: Salmon Hobach.
J.L. Westerheimer. Rafael Westheimer.
Die Wahrheit bestätigt Mosbach, 26. Juli 1885
Weil, Bezirksrabbiner." |
Die politische Gemeinde
stellte der jüdischen Gemeinde für die Gottesdienste den früheren Rathaussaal
zur Verfügung. Vom Sommer 1885 an wurde auf dem Grundstück der alten Synagoge
der Neubau erstellt. Die Pläne hatte Baumeister F. Kniehl aus Adelsheim
gezeichnet. Die letzten Arbeiten wurden Ende 1886/Anfang 1887 ausgeführt. Am
10. und 11. Juni 1887 konnte das Gebäude feierlich eingeweiht werden.
Bericht über die Einweihung der Synagoge am
10./11. Juni 1887
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Juni 1887: "Von der badischen
Grenze, 12. Juli (1887). Die israelitische Gemeinde in Großeichholzheim
feierte vorgestern die Einweihung ihrer neu erbauten Synagoge. Die
Gemeinde hat große pekuniäre Opfer bringen müssen, desto größer war
nun auch die Freude über das gelungene Werk. Der Bezirksrabbiner, Herr
Dr. Löwenstein aus Mosbach, hielt die Einweihungsrede; an dem feierlichen
Akt beteiligten sich überdies die Spitzen der geistlichen und weltlichen
Behörden des Orts und Bezirks."
|
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Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Juni 1887: "Groß-Eichholzheim
(Baden). Verrauscht sind die Töne des Jubels und Stille ist wieder in
unserem Dorfe eingekehrt. Die Einweihung der neu gebauten Synagoge, die in
den Tagen des 10. und 11. Juni stattfand, gestaltete sich zu einem Feste,
wie es großartiger hier noch nicht erlebt wurde. Unzählige Fremde waren
von nah und fern herbeigeeilt, um Zeuge dieses religiösen Aktes zu sein.
Im prächtigsten Kleide prangten die Straßen und Häuser. Kein
christliches Haus war zu erblicken, das ungeschmückt gewesen wäre, ein
beweis, in welchem guten Einvernehmen wir hier mit unseren Andersgläubigen
leben. Es wäre wahrlich mehr als ein vergebliches Mühen, wenn ich es
versuchen wollte, diese großartige Feier in würdigen Worten zu
schildern, man muss Zeuge dieser jubelnden Begeisterung gewesen sein, um
es zu begreifen, dass alle Anwesenden von dem Empfinden durchglüht waren,
noch selten eine gleich schöne, echt jüdische Feier miterlebt zu haben.
Deshalb beschränke ich mich darauf, in schlichter Darstellung über den
Verlauf der Festlichkeit zu berichten.
Freitag, morgens um 7 Uhr, fand der letzte Gottesdienst in dem bisher
provisorisch benützten Betsaale statt. Eine kurze Abschiedsrede der Herrn
Rabbiner Dr. Löwenstein aus Mosbach schloss die Feier. Um 10 Uhr bewegte
sich ein stattlicher Zug, der Herr Rabbiner und noch 4 weitere
Thorarollenträger unter einem Baldachin gehend, vom alten Betsaale, durch
die Hauptstraße des Ortes ziehend, der neuen Synagoge zu. Erhebende Gesänge,
ausgeführt von hiesigen Gemeindemitgliedern, leiteten die Feier ein. Ein
Mädchen überreichte in einer passenden Ansprache dem Herrn Rabbiner den
Schlüssel, worauf alsdann das Gotteshaus geöffnet wurde. In Scharen strömte
man hinein und in wenigen Minuten war die Synagoge, deren schöner Bau und
prachtvolle Einrichtung und innere Ausstattung alle Anwesenden in Staunen
versetzte, bis auf den letzten Platz gefüllt. Besondere Bewunderung
erregte ein vom hiesigen Frauenverein gestiftetes, von Herrn Hofmann in
Frankfurt am Main künstlerisch ausgeführtes Parochet
(Toraschreinvorhang). In einer fließenden Sprache hielt Herr Dr. Löwenstein
die sinnig durchdachte und formvollendete Einweihungsrede, die Frage
behandelnd: ‚Zu welchem Zwecke erbauen wir Gotteshäuser?’ Nachmittags
war Bankett, abends 7 ½ Uhr der erste Gottesdienst in der neuen Synagoge.
Morgens früh ging man zum Frühgottesdienst, um 9 ½ Uhr war
Hauptgottesdienst, dem sich wieder eine treffliche Predigt, den Geist, der
in einem Gotteshause herrschen soll, behandelnd, anschloss.
Noch lange werden diese schönen Tage in guter Erinnerung sein. A. Fröhlich." |
Lob über die Ausführung eines Toraschrein-Vorhanges
(1887)
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Juli 1887: "Der unterzeichnete
Synagogenrat sieht sich veranlasst, über das vom israelitischen
Frauen-Verein hier gestiftete, von Herrn A.J. Hofmann, Kunststickerei in
Frankfurt am Main, gelieferte Paroches seine vollste Anerkennung
auszusprechen. Dasselbe hat sowohl hinsichtlich seiner prachtvollen Ausführung,
als auch in Bezug auf den dazu verwendeten Stoff unseren Erwartung vollständig
entsprochen und den Beifall aller, bei der Synagogeneinweihung zugegen
gewesenen Sachverständigen erhalten. Groß-Eichholzheim, Juli 1887. Der
Synagogenrat Salmon Hobach, Vorster. Moritz Blumenthal." |
Der Betsaal befand sich im hinteren Teil des Gebäudes. Im
vorderen, der Straße zugewandten Teil waren die Wohnung der Vorbeters und der
Raum für den Religionsunterricht.
Am Vormittag des 10. November 1938 wurden in der Synagoge
Fenster eingeworfen und die Inneneinrichtung zum Teil zerstört. Am Abend dieses
Tages fand noch eine "Nachaktion" statt. Nach der Vorführung des
damals populären Kriegsfilmes "Patrioten" im Saal des Gasthauses
"Löwen" drangen in später Nachtstunde unter Anführung eines auswärtigen
Gendarmeriebeamten einige Leute nochmals in die Synagoge ein, schlugen die noch
heilgebliebenen Fenster ein und warfen Bänke und den Ofen um.
Nach 1945 wurden in dem Gebäude Wohnungen eingerichtet. An
die Vergangenheit des Gebäudes erinnert eine hebräische Inschrift über dem
Eingang (Zitat aus Jesaja 56,7) und der Grundstein von 1886. 1994 wurde eine
Gedenktafel angebracht.
Fotos
Historische Pläne:
(Quelle: GLA Karlsruhe 338/1917)
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Aus den
Bauplänen der Synagoge in Großeicholzheim (Februar 1886). Links ein
Längsschnitt durch das Synagogengebäude und ein
Querschnitt des
Vorderhauses: in der Mitte der Grundriss auf Höhe des Erdgeschosses mit
dem Betsaal, dem Schulzimmer und der
Wasch- und Backküche des Lehrers;
rechts ein Grundriss des 1. Stockes mit der Frauenempore und der
Lehrerwohnung. |
Fotos nach 1945/Gegenwart:
Foto um 1965:
(Quelle: Hundsnurscher/ Taddey
s. Lit. Abb. 77 und 77a) |
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Fotos um 1985:
(Fotos: Hahn) |
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Der Betsaal befand sich im hinteren Anbau |
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Die ehemalige Synagoge nach
Abschluss der
Straßenneugestaltung
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Grundstein von 1886
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Inschrift über Synagogeneingang übersetzt:
"Mein
Haus soll ein Bethaus für die Völker
genannt werden" |
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Fotos 2003/04:
(Fotos: Hahn,
Aufnahmedatum 4.9.2003* bzw. 11.5.2004) |
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Die ehemalige Synagoge von
Nordwesten |
Seitenansicht von Süden |
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Inschrift über Synagogeneingang s.o. |
Der Betsaal befand sich im hinteren Anbau |
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Grundstein von 1886*
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Gedenktafel von 1994* |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden.
1968. S. 115-116. |
| Joseph Walk (Hrsg.): Württemberg - Hohenzollern -
Baden. Reihe: Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from
their foundation till after the Holocaust (hebräisch). Yad Vashem Jerusalem
1986. S. 294-296. |
| Joachim
Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als
Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte
und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt,
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial,
Jerusalem. Stuttgart 2007. |
| Rudolf Landauer, Reinhart Lochmann: Spuren jüdischen Lebens im Neckar-Odenwald-Kreis. Herausgegeben vom Landratsamt NOK, 2008, ISBN: 978-3-00-025363-8. 200 S., 284 Fotos, 19,90 Euro. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Grosseicholzheim
Baden. Jews first appeared in 1716 and after suffering considerable persecution
maintained a population of around 100 (12 % of the total) through the 19th
century. A synagogue was completed in 1887. By 1933 the Jewish population hat
dropped to 51 through emigration and the exodus to the big cities. Under the
Nazis, Jewish livelihoods were gradually eroded and by 1936, 22 Jews had
emigrated (ten to Argentina, seven to the United Stadtes) and four left for
other German cities. On Kristallnacht (9-10 November 1938), the synagogue
was vandalized. The last 16 Jews were deported to the Gurs concentration camp on
22 October 1940.
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