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Lich (Kreis
Gießen)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Lich bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938/40. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17. Jahrhunderts
zurück. 1622 werden erstmals Juden in der Stadt genannt, 1628 wurden 26
jüdische Einwohner gezählt. Bis 1740 waren neun jüdische Familien ansässig
geworden, die vom Handel lebten.
Unter den im 18. Jahrhundert zugezogenen Familien war die aus Frankreich
stammende - nach Arnsberg zunächst auf der Ronneburg
lebende - Familie des Moses Löb, deren Nachkommen sich später nach ihrem
Herkunftsort Chambré (Ortsname Chambray) nannten (vgl. zur
Geschichte der Familie im Bericht über Ernst Ludwig Chambré). Familie Chambré
spielte im jüdischen Leben der Stadt in der Folgezeit eine besondere Rolle:
immer gehörte ein Mitglied der Familie dem Gemeindevorstand an.
Die Zahl der jüdischen Einwohner entwickelte sich im 19. Jahrhundert
wie folgt: 1818 15 jüdische Familien mit zusammen 60 Personen, 1828 71 jüdische
Einwohner (3,3 % von insgesamt 2.143), 1861 57 (2,5 % von 2.297), 1880 63 (2,4 %
von 2.577), 1900 69 (2,5 % von 2.396), 1910 61 (2,2 % von 2.749). In der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts lebten in der Umgebung von Lich auch wenige Juden
auf den Gemarkungen Kolnhausen, Hof Albach und Mühlsachsen, die zur Gemeinde in
Lich gehörten. Bekannte Namen jüdischer Familien in Lich waren: Bing,
Bamberger, Chambré, Goldschmdt, Isaak, Katz, Lind, Oppenheimer, Sommer,
Stiefel und Windecker.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine Religionsschule,
ein rituelles Bad (zumindest noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts) und ein Friedhof.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war zeitweise ein Lehrer
angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (vgl.
Ausschreibung unten). Erstmals wird
1823 als Vorsänger Seligmann Behr genannt (gest. 1833). Als Lehrer werden
genannt: um 1860 Lehrer Wertheimer (erwähnt in einem Bericht
über eine Lehrerkonferenz in Gießen 1860). In den Zeiten, in denen
die Gemeinde keinen eigenen Lehrer angestellt hatte, übernahm den Unterricht
ein auswärtiger Lehrer. Die Gemeinde gehörte zum liberalen Provinzialrabbinat
Oberhessen mit Sitz in Gießen.
Um 1924, als zur jüdischen Gemeinde 75 Personen gehörten, waren
die Vorsteher der Gemeinde Moses Chambré, Max Chambré und Hermann
Goldschmidt. Als Schochet war Bernhard Lind tätig. Die damals neun
schulpflichtigen Kinder der Gemeinde erhielten ihren Religionsunterricht durch
Lehrer Grünebaum aus Gießen. 1925 wurde der bis in Jesberg
tätige Lehrer Jakob Höxter zum neuen Lehrer, Vorbeter und Schochet in Lich gewählt
(siehe Bericht unten). Ob er die Stelle überhaupt angetreten oder nach kurzer
Zeit Lich wieder verlassen hat, ist unklar; jedenfalls trat er bereits 1926 in Heldenbergen
die Lehrerstelle an. 1932 waren die Gemeindevorsteher Emil Isaak
(1. Vors.) und Hermann Goldschmidt; dazu wurde in diesem Jahr der Getreidehändler
Siegmund Chambré in den Vorstand gewählt. Als Schochet war weiterhin Bernhard
Lind tätig. Im Schuljahr 1931/32 erhielten acht Kinder Religionsunterricht.
1933 lebten 73 jüdische Personen in Lich. Sie waren bis dahin in der
Stadt vollkommen integriert und im Besitz einiger für das wirtschaftliche Leben
der Stadt wichtigen Gewerbebetriebe (mehrere Vieh- und Pferdehandlungen,
Getreidehandlungen, Textil-, Lebensmittel-, Altwaren- und Schuhgeschäfte).
Bereits in der Nacht vom 12. auf den 13. März 1933 kam es zu einem
Judenpogrom in der Stadt, als die Licher SA die in der Unter- und Oberstadt
wohnenden jüdischen Familien in ihren Wohnungen überfielen und anschließend
im ehemaligen SA-Lokal "Frankfurter Hof" mehrere Personen auf das
Schlimmste misshandelten (vgl. unten im Bericht von Ernst-Ludwig Chambré).
In
den folgenden Jahren der NS-Zeit ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund dieser Vorkommnisse, der Folgen des
wirtschaftlichen Boykottes sowie der weiter zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Bis zum Februar 1938 sind
52 der jüdischen Einwohner weggezogen (vor allem nach Frankfurt, Gießen oder
Kassel) oder ausgewandert (einige nach Südafrika und in die USA); im März 1938
gelang es vier weiteren, in die USA zu emigrieren. Beim Novemberpogrom 1938
wurde die Inneneinrichtung der Synagoge völlig zerstört (s.u.). Auch wurden
wiederum die Wohnungen und Geschäften der noch in Lich verbliebenen jüdischen
Personen überfallen, geplündert und zerstört. Mehrere jüdische Männer kamen
in das KZ Buchenwald, wo Bernhard Lind am 4. Dezember 1938 umgekommen ist. Seine
Frau Bertha Lind geb. Oppenheimer nahm sich am 20. Oktober 1941 aus Verzweiflung
in Frankfurt das Leben. Die letzten fünf jüdischen Einwohner Lichs wurden am 4.
August 1942 nach Auschwitz deportiert
Hinweis: eingestellt ist die 1962 vom Magistrat der Stadt Lich für den
International Tracing Service (Internationaler Suchdienst) in Arolsen erstellte
Liste der direkt aus Lich deportierten jüdischen Personen:
Liste aus Lich (pdf-Datei
mit neun Namen).
Von den in Lich geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Ludwig Bamberger
(1902), Rosa Bamberger geb. Borngässer (1868), Ida Behrens geb. Baum (1888),
Simon Bing (1879), Johanna Bock geb. Bock (1858), Max Chambre (1879), Sophie
Cohn geb. Windecker (1890), Wilhelm Eckstein (1884), Else Goldschmidt geb.
Gruner (1906), Ruth Betty Goldschmidt (1933), Henriette Hahn geb. Chambre
(1907), Mathilde Hartog (1865), Siegfried Hirsch (1898), Emil Isaak (1887),
Mathilde Isaak (1888), Sabine Isaak geb. Flörsheim (1917), Sitta Karbe (1876),
Rosalie Kaufmann geb. Sichel (1858), Regina Paula Klestadt geb. Isaac (1882), Bernhard
Lind (1877), Bertha Lind geb. Oppenheimer (1879), Henny Loeb geb. Stiefel
(1908), Louis Mendelsohn (1876), Louis Mendelsohn (1888), Frieda Simon (1895),
Bertel Sommer (1926), Ludwig Sommer (1896), Toni Sommer geb. Bing (1887), Berta
Wetterhahn geb. Isaak (1883), Eduard Windecker (1888), Gertrud Windecker (1922),
Gustav Windecker (1885), Helene Windecker (1894), Selma Windecker geb.
Ziegelstein (1888).
Zur Erinnerung an die aus Lich ermordeten jüdischen Einwohner wurde 1988
vor der Marienstiftskirche ein Mahnmal aufgestellt (siehe Fotos unten).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Lehrers, Vorbeters und
Schochet (1865)
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 28. März 1865: "Ein tüchtiger Religionslehrer, Vorbeter
und Schächter findet zu Lich, einem Landgerichtsstädtchen, 3
Stunden von hier, mit kleiner Gemeinde, eine angenehme Stelle, mit
welcher, nebst freier Wohnung, Fs. 250 Fixum und circa Fs. 120
Schächtergebühren verbunden sind.
Geeignete Bewerber wollen ihre Meldungen direkt an den dortigen Vorstand
gelangen lassen.
Gießen, den 17. März 1865. Dr. Levy, Großherzoglicher
Rabbiner der Provinz
Oberhessen." |
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde
Zum Tod des Gemeindevorstehers Kaufmann Chambré 1925 und
Neubesetzung der Lehrerstelle
Artikel
in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 16. Oktober 1925: "Lich
(Oberhessen). (Tod eines Gemeindevorstehers). Der zweite Vorsteher
unserer Gemeinde, Kaufmann Chambré, ist nach einem arbeitsreichen Leben
im 74. Jahre aus dem Kreise seiner Angehörigen geschieden. Die Gemeinde
betrauerte in dem Verstorbenen einen treuen Sachwalter ihrer Interessen,
dem sie über das Grab hinaus ein treues Gedenken bewahren wird. - Seit
vielen Jahren ist die hiesige Gemeinde ohne Lehrer und Kultusbeamten
gewesen, zum Leidwesen aller derjenigen, die an religiöser Erziehung und
Erhaltung der Gemeindeinstitutionen ein lebhaftes Interesse hatten. Umso
freudiger ist es zu begrüßen, dass die Wiederbesetzung der erledigten
Stelle bald in Aussicht steht, nachdem die auf etwa 30 Familien
angewachsene Gemeinde den Beschluss gefasst hat, Lehrer Jakob Höxter,
früher an der israelitischen Volksschule in Jesberg tätig, mit den
Funktionen eines Kultusbeamten zu betrauen. Der Gewählte wegen der
bestehenden Wohnungsnot noch nicht hierher übersiedeln könnte, hat an
den hohen Feiertagen und auch am Sukkausfeste (Laubhüttenfest) bereits
zur Zufriedenheit der Gemeinde den Gottesdienst geleitet. Es ist daher
auch der dringende Wunsch aller Beteiligten, dass er bald dauernd hier
seinen Wohnsitz nehmen möchte." |
Die Geschichte von Ernst-Ludwig Chambré und seiner
Familie
(Quelle - auch des Fotos - : Artikel
der Arbeitsstelle Holocaustliteratur)
Ernst-Ludwig Chambré wurde am 4. November 1909 in Lich geboren. Er stammt aus einer jüdischen Familie, die seit dem achtzehnten Jahrhundert in Lich ansässig war. Urgroßvater Löb Chambré kam 1781 in Lich zur Welt. Großvater Karl kaufte im Jahr 1872 das Anwesen in der Unterstadt 7 und gründete ein Manufakturwaren- und Bankgeschäft, das 1919 von Ernstens Vater, Max Chambré, übernommen und weitergeführt wird. Ernstens Mutter, Emilie Chambré, kommt aus Gedern und ist an der Führung der Geschäfte beteiligt.
Ernst hat eine 1907 geborene ältere Schwester, Henriette, 1918 wird seine jüngere Schwester Anne-Marie geboren. Ernst besucht die Volksschule in Lich, besteht 1929 das Abitur am renommierten humanistischen Gymnasium in Gießen und studiert anschließend Jura in Gießen, Frankfurt und Berlin.
Bereits in den zwanziger Jahren gehören Max und Ernst Chambré dem sozialdemokratischen "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" an und versuchen, gegen den erstarkenden Antisemitismus der Nationalsozialisten anzugehen. Dadurch wird die Familie Chambré zur ‚besonderen’ Zielscheibe nationalsozialistischer Agitation. Nur eine Woche nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 führt die Licher SA einen wilden Pogrom gegen die in Ober- und Unterstadt lebenden jüdischen Familien durch. Jüdische Kaufleute werden in das berüchtigte SA-Lokal "Frankfurter Hof" geschleppt und dort misshandelt, sie sollen ‚Rechnungen quittieren’. Max Chambré trifft es besonders schlimm: SA-Männer zertrümmern ihm beide Kniescheiben und fügen ihm schwerste Kopfverletzungen zu, von denen er sich nie wieder erholen wird. Die Geschäftsbücher des Bankgeschäftes werden gestohlen. Ernst Chambré hält sich in dieser Nacht in Gießen auf – am kommenden Tag ist für ihn Examenstermin. An diesem Morgen erhält er die Nachricht von dem Pogrom, verbunden mit der Warnung, nicht nach Lich zu kommen, da er dort aufgehängt werden würde. Ernst Chambré flieht daraufhin nach Belgien. Auch die Familie bleibt nicht in Lich. Sobald Max Chambré transportfähig ist, flieht die Familie zunächst nach Kassel, dann zu Tochter Henriette, die seit 1930 verheiratet ist und in Berlin lebt. Von dort aus gehen Emilie, Max und Anne-Marie Chambré nach Belgien. Zusammen mit Ernst leben sie in Morlanwelz. Von dort aus müssen sie hilflos mitansehen, wie ihr Licher Vermögen in einem dubiosen Konkursverfahren verschleudert wird. Nach dem Novemberpogrom 1938 flieht auch Henriette mit Ehemann und beiden Töchtern nach Belgien. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Jahr 1940 kann Ernst nach Frankreich entkommen und wird dort interniert. Ihm gelingt die Flucht nach Spanien. Auch aus der dortigen Internierung kann er entkommen, er schlägt sich nach Portugal und danach nach Palästina durch. Von dort aus kann er 1947 mit seiner Ehefrau – er hat zwischenzeitlich geheiratet – in die USA auswandern.
1948 erhält er Gewissheit über das Schicksal seiner Familie: Max, Emilie und Anne-Marie Chambré sind 1942 ebenso wie Henriette und ihre beiden Töchter nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet worden. Seit 1951 hat Ernst-Ludwig Chambré vergeblich versucht, Wiedergutmachungsleistungen für das Licher Vermögen seiner Eltern zu erhalten. |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Nach der Emigration: Todesanzeige für Jacob Katz
(1944)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Aufbau" vom 10. März 1944: "Am 5.
März 1944 entschlief sanft nach langem, schwerem, mit großer Geduld
ertragenem Leiden mein innigst geliebter Mann, unser guter Vater, Bruder,
Großvater und Onkel
Jacob Katz (früher Lich, Hessen).
In tiefem Schmerz die trauernden Hinterbliebenen
Johanna Katz geb. Ziegelstein
Charles Katz und Frau Rosel geb. Bendheim
Siegfried Katz und Frau Johannisburg
Max Katz und Frau Johannisburg
Benno Katz und Frau Johannisburg
Willy Katz und 6 Enkelkinder
Sechs Enkelkinder.
New York, N.Y. 17 Post Ave."
|
Sonstiges
Stiftspfarrer Schorlemmer in Lich zählt zu den Verehrern von Samson Raphael
Hirsch (1925)
Anmerkung: es handelt sich um den damaligen Pfarrer an der Marienstiftskirche
in Lich Paul Schorlemmer. Gemeinsam mit Friedrich Heiler war Paul Schorlemmer
Herausgeber der Zeitschrift "Hochkirche".
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. Oktober 1925: "Ein
Pfarrer als Hirsch-Verehrer. In Nr. 9 der 'Hochkirche' (Monatsschrift
einer evangelischen orthodoxen Vereinigung) veröffentlicht Stiftspfarrer
Schorlemmer, Lich (Oberhessen) einen sehr beachtenswerten Aufsatz, in
dem er im Rahmen einer Besprechung der Hermann Cohenschen 'Jüdischen
Schriften' von der unantastbaren Heiligkeit der sog. 'Zeremonien' in jeder
Religion in ebenso schönen wie warmen Worten spricht. Herr Pfarrer
Schorlemmer übersendet uns das Heft mit einem Begleitschreiben, aus dem
hier einiges wiedergegeben sei: 'Ich beschäftige mich seit Jahren mit
jüdischen Studien, aber weniger mit rein historischen Problemen als
vielmehr mit dem religiösen Leben und besonders dem kultisch rituellen
Leben des Judentums der Gegenwart, einem Gebiet, das auch den
Orientalisten unter uns christlichen Theologen fast gänzlich unbekannt
ist. Da haben besonders Samson Raphael Hirsch und neuerdings Dr. N.
Birnbaum meine Liebe gewonnen. Bei ihnen, in so manchen anderen Schriften,
in der Zeitschrift 'Jeschurun' und in so manchen Ausführungen Ihres
geschätzten Blattes lese ich Ausführungen, wie das toratreue Judentum
der Gegenwart nicht nur für den Gottesglauben im allgemeinen kämpft
gegen das Heidentum, die Irreligiosität der Gegenwart, sondern im
besonderen sich an die der Offenbarung entflossenen Weisungen der Thora
bindet und Leib, Seele und Geist durchdringen lässt von der 'Heiligkeit'
und dies besonders auch im Kultus darstellt. Da sage ich als
offenbarungsgläubiger Theologe, obwohl ich mir der unüberbrückbaren inhaltlichen
Gegensätze zwischen Judentum und Christentum bewusst bleibe und sie nicht
ideenhaft verwischen will, dennoch: 'Dieses Mal ist es Gebein von
meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleisch' (1. Mose 2,23).
Die inhaltlichen Gegensätze will ich hier nicht formulieren und
diskutieren. Was uns beiden gemeinsam ist, ist dies: Nicht, dass wir uns
Gedanken über Gott machen, ist das Entscheidende, wie es der
rationalistische Liberalismus tut, sondern dass wir die Wege, die Gott uns
offenbart und bestimmt hat, gehen unbeirrt durch irgendwelchen
'Zeitgeist'. Und das gilt besonders auch für Kultus und Ritus. Die
heutige Zeit scheint ja dafür wieder mehr Verständnis zu haben als die
nun vergangene Epoche.' |
Zur Geschichte der Synagoge
Bereits im 18. Jahrhundert war ein Betraum beziehungsweise
eine Synagoge vorhanden. Nach Angaben bei Arnsberg waren 1781 Ritualien von der Ronneburg
in die Synagoge nach Lich gebracht worden (möglicherweise brachte solche die
Familie des Moses Löb [Chambré] von der Ronneburg mit).
1854 wurde eine Synagoge in einem zweigeschossigen Haus im heutigen
Gebäude
Charlottenburg 7 (bis zur NS-Zeit hieß die Charlottenburg Synagogenstraße) eingerichtet.
1921 erwarb die jüdische Gemeinde ein seit 1879/80 bestehendes Wohnhaus
mit Gastwirtschaft (großer Saal) in der Amtsgerichtsstraße und baute den
Saalbau zu einer großen und kleinen Synagoge um. Die Finanzierung des Umbaus war ein in der beginnenden Inflationszeit extrem schwieriges Unternehmen, da die
eingegangenen Spenden bereits nach kurzer Zeit nur noch einen Teil ihres Wertes
hatten, was auch aus dem "Aufruf" in der Zeitschrift "Der
Israelit" hervorgeht, der im Dezember 1921 erschien:
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Dezember 1921:
"Aufruf! Allen gütigen Gebern, die einen Baustein zum Neubau unseres
Gotteshauses beigetragen haben herzlichen Dank. Trotzdem schon ansehnliche
Mittel eingegangen sind, reichen solche bei der jetzigen Marktentwertung
bei weitem nicht aus, das Gotteshaus beginnen zu können. Wir richten
deshalb nochmals an alle Edeldenkende die Bitte uns zu unterstützen,
damit wir das in Aussicht genommene Werk beginnen können. Der Vorstand
der israelitischen Gemeinde Lich in Oberhessen. Freundliche Spenden
erbitten auf das Postscheckkonto der Firma Carl Chambré, Lich,
Postscheckamt Frankfurt am Main 17932." |
Nach Angaben bei Altaras s.Lit. konnte
die Synagoge in Juni 1922 eingeweiht werden (ein Bericht zur
Einweihung konnte in den jüdischen Periodika noch nicht gefunden werden).
Bei dem nun zur Synagoge umgebauten Saalbau handelt es sich um einen
anderthalbgeschossigen Massivbau von quadratischem Grundriss aus gebranntem
Ziegelmauerwerk mit halbseitigem Walmdach und Schiefereindeckung. Im Inneren
wurde ein erhöhter Frauenbereich eingebaut, zu dem einige Stufen aus dem
Synagogenvorraum führten (vgl. Plan unten). Die Decke wurde traditionell blau
gestrichen und mit goldenen Sternen und einem bunten Abschluss verziert. Im
Betsaal der Männer gab es 92 Sitzplätze, im Frauenbereich 51 Sitzplätze. Im
Süden des Synagogensaals wurde ein kleinerer Saal angebaut, dessen Obergeschoss
als
Wintersynagoge verwendet wurde, da das Heizen der großen Synagoge zu
umständlich und zu teuer wurde.
Nur 16 Jahre war die Synagoge in der Amtsgerichtsstraße Mittelpunkt des
jüdischen Gemeindelebens.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge von
Lichter Nationalsozialisten, insbesondere von SA-Leuten geschändet und die Einrichtungsgegenstände
zerstört. Zahlreiche Schaulustige waren zugegen, als im nahe gelegenen
Ihringschen Garten auf einem Scheiterhaufen das Mobiliar, Vorhänge, Bücher
usw. verbrannt wurden. 1940 kam die politische Gemeinde in den Besitz des Gebäudes, danach
wurde sie verschiedentlich verwendet, auch azur Unterbringung einer Flak-Einheit
und als Gefangenenlager. 1948 wurden im ehemaligen Synagogensaal
Leichtwände und Zwischendecken aus Holz eingebaut, um einige Räume für die
Stadtverwaltung zu schaffen. Die Stadtverwaltung blieb bis 1955 in dem Gebäude,
danach war es zunächst leerstehend. 1967 wurden in den Räumen des Saalbaus
eine Altentagesstätte eingerichtet. Die Räume zum Hof hin wurden 1962 bis 1983
vom Schützenverein für das Luftgewehrschießen verwendet, danach (seit 1984)
der Musikschule Lich zur Verfügung gestellt. Neue Umbaumaßnahmen standen 1986
an, in die sich das Landesdenkmalamt einschaltete. Dies führte schließlich zum
Beschluss des Gemeinderates, den ehemaligen Synagogenraum wieder herzustellen
und in als Raum für kulturelle Veranstaltungen herzurichten. Die Ausführung
dieses Planes zog sich freilich längere Zeit hin.
1995 wurde die Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung ins Leben gerufen. Ein
wichtiges Anliegen des Stifters war, die ehemalige Synagoge wieder in einen würdigen
Zustand zu bringen. Mit Hilfe der von der Stiftung gesammelten Gelder und einem
Beitrag der Stadt Lich konnte das Gebäude restauriert und am 29. Januar 2006
der Öffentlichkeit als Ort des Gedenkens, der Begegnung und der Kultur
übergeben werden. In der ehemaligen Synagoge hat die Ernst-Ludwig
Chambré-Stiftung ihren Sitz (Büro mit regelmäßigen Öffnungszeiten).
Die Geschichte der Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung
(Quelle: aus einem Artikel
der Arbeitsstelle Holocaustliteratur)
1987 beginnen Schülerinnen und Schüler der Dietrich-Bonhoeffer-Schule in Lich damit, die Nazi-Zeit in ihrer Heimatstadt zu recherchieren. Es bleibt nicht aus, dass sie auf den Namen Ernst Chambré stoßen, ein ehemaliges Dienstmädchen der Familie Chambré erzählt Einzelheiten und vermittelt die Adresse: erste Briefe werden gewechselt, Kontakte entstehen und festigen sich, Ernst Chambré berichtet ausführlich über die Geschichte seiner Familie. Mit großem Interesse verfolgt er die Versuche, neue Wege bei der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu gehen: lokal- und regionalgeschichtliche Zugänge, Seminare in den Gedenkstätten Auschwitz und Buchenwald finden das Interesse der Jugendlichen. 1995 entschließt sich Ernst-Ludwig Chambré dazu, eine nach ihm benannte Stiftung ins Leben zu rufen, die diese Lernwege dauerhaft unterstützen soll: Der von Deutschen durchgeführte Genozid am jüdischen Volk darf nicht vergessen werden.
Die Aufgaben der Stiftung liegen vorwiegend in den Bereichen Politischer Bildung, Forschung und Publikation: Sie möchte damit einen Beitrag dazu leisten, die Erinnerung an das oberhessische Judentum, seine Geschichte, seine Vertreibung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten aufrechtzuerhalten und überdies das Erforschen der Entstehungsbedingungen und Erscheinungsformen von Antisemitismus und Rassismus voranzutreiben.
Demzufolge fördert die Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung gezielt solche Unternehmungen, die der Auseinandersetzung von Jugendlichen mit der Zeit des Nationalsozialismus dienen. Ebenso gefördert und unterstützt werden kulturelle Veranstaltungen und Forschungsvorhaben, die dem Stiftungszweck dienen. |
Adresse/Standort der Synagoge: Synagoge
von 1854-1922: Charlottenburg 7; Synagoge 1922: Amtsgerichtsstraße
4
Fotos
(neuere Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 28.3.2008)
Die "neue"
Synagoge von 1922 |
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Rekonstruktionspläne
(Quelle: Altaras s.Lit. 1988 S. 85) |
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Grundriss des Erdgeschosses
der großen
und kleinen Synagoge sowie des ehemaligen Wohngebäudes mit
Gastwirtschaft |
Querschnitt (von Nord nach
Süd)
durch ehemalige große und
kleine Synagoge |
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Das 1879 als Wohnhaus mit
Gastwirtschaft erbaute Gebäude |
Blick auf den Saalbau, 1922
zur
Synagoge umgebaut |
Zwei Segmentbogenfenster auf
der
Westseite des Gebäudes |
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Hinweistafel auf das
"Kulturzentrum
Bezalel-Synagoge", die "Ernst-Ludwig
Chambré-Stiftung" und die das Gebäude
gleichfalls nutzende
"Musikschule Lich e.V." |
Das Eingangstor |
Hinweistafel
(seit Mai 1984) mit dem
Text: "Dieses Gebäude war die Synagoge
der jüdischen Kultusgemeinde
Lich
von 1922-1938". |
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Innenaufnahme aus www.kultur.lich.de
(Weitere Innenaufnahmen werden bei
Gelegenheit eingestellt) |
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Denkmal vor der
Marienstiftskirche |
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Das Mahnmal wurde
1988 zum 50. Jahrestag des Novemberpogroms aufgestellt |
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"So spricht der Herr:
Israel ist mein
erstgeborener Sohn!" mit Davidstern |
"Wir trauern um die
jüdischen Familien
aus Lich, die während der
nationalsozialistischen
Herrschaft
vertrieben, verfolgt und ermordet wurden." |
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Erinnerungsarbeit vor
Ort - einzelne Berichte
Hinweis: im Kulturzentrum
Bezalel-Synagoge und auch sonst in der Stadt Lich finden jährlich zahlreiche
Veranstaltungen im weiten Rahmen der "Erinnerungsarbeit vor Ort"
statt.
November 2008:
Erinnerungsgang zu jüdischen Stätten |
Artikel vom 17.11.2008 in der "Gießener Allgemeinen" - www.giessener-allgemeine.de
(Artikel)
Seit 1933 war für Juden in Lich kein gutes Leben möglich"
Lich (vh). Manche sagen zu Doris Nusko, sie solle endlich die Vergangenheit ruhen lassen. Die frühere Lehrerin an der Dietrich-Bonhoeffer-Schule und Vorsitzende der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung spricht unbequeme Wahrheiten aus. Es liegt ihr viel daran zu informieren, dass judenfeindliche Stimmung in Lich nicht etwa als Auswirkung der Pogromnacht vom 9. November 1938 wie ein Blitz vom Himmel gefallen sei...". |
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November 2009:
Lesung von Moritz Neumann, Vorsitzender der
jüdischen Gemeinde in Hessen, in der ehemaligen Synagoge |
Artikel im "Gießener Anzeiger" vom 1. Dezember 2009 (Artikel):
"Lich. Lesung in ehemaliger Synagoge beeindruckt Schüler. Autor Moritz Neumann stellte Leben seines Vaters vor - Aktiver Widerstandskämpfer - Bis zu seinem Tode für jüdische Gemeinde in Fulda engagiert.
(mpa). "Eigentlich wäre es ein Drehbuch für einen Film", meinte Dr. Klaus Konrad-Leder, Geschäftsführer der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung in seiner Begrüßungsrede zur Lesung des Autors Moritz Neumann aus dessen Buch "Im Zweifel nach Deutschland".
Der in Darmstadt lebende Journalist und Vorsitzende der jüdischen Gemeinden in Hessen war in das Licher Kulturzentrum Belazel-Synagoge gekommen, um Schülern aus Hungen, Hüttenberg und Wetzlar von dem Leben seines Vaters Hans Neumann zu berichten. Dies war geprägt von geradezu unglaublichen Geschichten..."
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November 2011:
Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Gedenken
an die Ereignisse beim Novemberpogrom 1938 |
Artikel im "Gießener Anzeiger"
vom 26. Oktober 2011: "Vielseitiges Programm zum 9. November 1938
vorgestellt - Zusammenarbeit mit Schulen.
Lich (uhg). Die kleine Stadt Lich schafft es, jedes Jahr zwei große
Kulturprogramme auf die Beine zu stellen. Nachdem im Frühjahr wieder mit
viel Erfolg die Licher Kulturtage über die Bühne gingen, steht nun
wieder die Veranstaltungsreihe zum 9. November 1938. Das engagierte und
vielseitige Programm rund um die sogenannte Reichspogromnacht stellten die
Initiatoren im Kulturzentrum Bezalel-Synagoge vor..."
Link
zum Artikel |
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Februar 2019:
Unterstützung der SPD Lich für die
"AG Stolpersteine" |
Artikel im "Gießener Anzeiger" vom 11.
Februar 2019: "SPD Lich unterstützt AG Stolpersteine
LICH. Fester Bestandteil des Neujahrsempfangs der SPD Lich ist das
Sammeln von Spenden für Vereine und Initiativen, die sich für das
Miteinander in Lich verdient machen. SPD-Vorsitzender Dr. Julien Neubert,
rief zu Spenden für die AG Stolpersteine auf. Insgesamt 300 Euro konnten
Neubert, Ruth Rohdich und Fabian Rupp an Hille Neumann übergeben. Die AG
setzt sich für das Verlegen von Stolpersteinen zum Gedenken an die Opfer der
Holocausts ein. Sie sollen an die Menschen erinnern, die aufgrund ihres
jüdischen Glaubens verfolgt und aus der Mitte des gesellschaftlichen Lebens
herausgerissen wurden. Stolpersteine sind Mahnmal dafür, was passiert, wenn
Hass, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz zur Leitkultur des Miteinanders
werden, und Denkmal für die Menschen, die ihres Lebens in Lich beraubt
wurden. Bei der Spendenübergabe berichtete Neumann von aktuellen
Arbeitsergebnissen und machte auf die erste Verlegung von Stolpersteinen im
April in Langsdorf aufmerksam. Die
Verlegung in der Kernstadt ist für Dezember geplant. Hille Neumann bedankte
sich und zeigte sich erfreut darüber, wie viele Menschen die Arbeit der AG
unterstützen und begleiten."
Link zum Artikel |
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November/Dezember 2019:
Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Gedenken an
die Ereignisse beim Novemberpogrom 1938 -
Erste Verlegung von "Stolpersteinen" in Lich am 19. Dezember 2019
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Artikel von cz im "Gießener Anzeiger" vom
16. Oktober 2019: "Am 19. Dezember werden in Lich "Stolpersteine"
verlegt.
Die Organisatoren haben in Lich das Programm der Veranstaltungsreihe zum
Gedenken an die Judenpogrome am 9. November 1938 vorgestellt. Unter anderem
werden 'Stolpersteine' verlegt.
LICH - Mit einem prall gefüllten Programm wartet die Licher
Veranstaltungsreihe zum Gedenken an die Judenpogrome am 9. November 1938
auf. Mit Musik, Mahnwachen und Gesprächen soll die Erinnerungskultur an die
NS-Zeit wach gehalten werden. 'Das ist seit Halle wichtiger denn je", sagte
Karla Katja Leisen vom Verein "KünstLich", die das Programm am Dienstagabend
mit allen Beteiligten vorstellte.
Bereits am 2. November um 20 Uhr startet die Reihe mit dem
'Kapellchen Schellack' im Kulturzentrum Bezalel-Synagoge. Das Frankfurter
Duo, die Diseuse Ev Machui und der Pianist Axel Kaapke, widmen den Abend dem
Komponisten Friedrich Hollaender, dessen größter Erfolg die Filmmusik zum
'Blauen Engel' mit Marlene Dietrich ist. 'Es gab eine Zeit, die war schwarz
und die wollen wir nicht wieder haben', sagte Ev Machui bei der
Programmvorstellung.
Zu einer Ausstellung der Künstlerin Emese Benz über Gesichter, die
sich wie Puzzleteile zusammensetzen, lädt die Kinokneipe 'Statt Gießen'
unter dem Titel 'Faces' ab 7. November ein. Die Ausstellung wird bis
zum 19. Dezember zu sehen sein.
Am Sonntag, 10. November, zeigt das Kino Traumstern den Film 'Im
Labyrinth des Schweigens.' In der anschließenden Diskussion stellt sich
Gerhard Wiese, einer der Staatsanwälte unter NS-Ankläger Fritz Bauer, den
Fragen des Publikums. 'Dies ist kostbare Gelegenheit, einen dieser
Zeitzeugen zu erleben, schließlich ist er Jahrgang 1928', erläuterte
Kinobetreiber Edgar Langer. Oliver Steller widmet sich in seinem Programm
'Lieder und Texte' am 21. November, ab 19.30 Uhr im Kulturzentrum
Bezalel-Synagoge dem Autor Kurt Tucholsky. Stellers feines Sprachgefühl weiß
den ironischen Ton der Texte von Tucholsky punktgenau zu treffen.
Der Sänger, Sprecher und Philosoph Sven Görtz wird für einen besonderen
Abend sorgen und sein etwas abgewandeltes Leonard Cohen-Programm am 29.
November, ab 20 Uhr im Kulturzentrum Bezalel-Synagoge präsentieren.
Görtz befasste sich mit Cohen unter dem Aspekt der jüdischen Einflüsse auf
seine eigene Lyrik und stellte fest, dass man sie mit anderen Ohren
wahrnimmt, sobald man den jeweiligen Kontext zu den Liedern kennt. 'Ich war
erstaunt, was da bei meinen Recherchen zutage kam', sagte er und intonierte
das Lied 'Dance me to the end of love' als kleinen Vorgeschmack.
Für ruhige und nachdenkliche Momente werden die Andacht und die
traditionelle Mahnwache am Samstag, 9. November, der 'Erinnerungsgang
Jüdisches Leben' am Sonntag, 17. November, und die Reihe 'Das Judentum'
sorgen. Für letzteres muss man sich bis zum 1. November bei der
Kreisvolkshochschule anmelden.
Mit einem Novum wird die Reihe beendet. Am Donnerstag, 19. Dezember, ab
13 Uhr, verlegt der Künstler Gunter Demnig zum ersten Mal 'Stolpersteine'
in der Kernstadt in Lich verlegen. Am Abend zuvor ab 19 Uhr richtet die AG
Stolpersteine einen Abend der Begegnung aus. Dann soll an vier Familien, vor
deren Häusern ein 'Stolperstein' angebracht wird, erinnert werden. Gemeinsam
mit Schülern der Dietrich-Bonhoeffer-Schule und Nachfahren der Familien soll
die Erinnerungskultur an die NS-Zeit und die verfolgten Familien wach
gehalten werden.
Folgende Gruppen sind Veranstalter im Rahmen der Reihe '9. November': die
Ernst-Ludwig Chambré Stiftung, das Kino Traumstern, der Verein 'künstLich',
die Kreisvolkshochschule, die Stadt Lich, die evangelische
Marienstiftsgemeinde, die Dietrich Bonhoeffer-Schule, das Forum für
Völkerverständigung Lich, Jugendbildungswerk und Ausländerbeirat des
Landkreises Gießen und die AG Stolpersteine.
Die ausführlichen Programmhefte liegen ab sofort an den bekannten Stellen
aus. Zu finden ist das Programm auch im Internet unter
www.kuenstlich-ev.de."
Link zum Artikel |
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Artikel in der "Gießener Allgemeinen" vom 5.
Dezember 2019: "Begegnung - Erinnerung - Mahnung
Lich. Im Rahmen der Licher 'Veranstaltungsreihe zum 9. November 1938'
wird Gunter Demnig, der bekannte Aktionskünstler, am Donnerstag, 19.
Dezember, vor vier Häusern in der Licher Altstadt 14 Stolpersteine verlegen.
Diese Steine erinnern an die jüdischen Menschen, die auch in Lich Opfer des
Nationalsozialismus wurden. Die öffentliche Zeremonie beginnt um 13 Uhr vor
dem Haus Oberstadt 60. Am Vorabend (Mittwoch, 18. Dezember, 19 Uhr) findet
im Kulturzentrum Bezalel Synagoge, ein 'Abend der Begegnung' statt. Diese
Veranstaltung wird gestaltet durch die angereisten Nachfahren der Familien
sowie durch Schüler der Dietrich-Bonhoeffer-Schule, die in die Spurensuche
eingebunden sind, und Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine. Auch
diese Veranstaltung ist öffentlich. Die Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine
hat sich zum Ziel gesetzt, in den nächsten Jahren mit der Verlegung von
insgesamt 120 Stolpersteinen an die Licher Opfer und die Verbrechen des
Nationalsozialismus zu erinnern, das Geschehene vor dem Vergessen zu
bewahren. Schon im April fand in Langsdorf
eine erste Verlegung statt - für die Familie Oppenheimer.
Diese Steine setzen Zeichen. Magistrat und
Stadtverordnetenversammlung haben einstimmig dem Projekt zugestimmt und
unterstützen es mit einer Patenschaft für drei Steine. In der Begründung
heißt es: 'Gerade in Zeiten, in denen die Stimme derer hörbarer wird, die
sich gegen Toleranz und eine pluralistische Gesellschaft stellen, ist es
umso wichtiger, Zeichen zu setzen. Stolpersteine sind solche Zeichen.' Mit
der Verlegung von Erinnerungssteinen wird angeknüpft an die zahlreichen
Aktivitäten, die es bereits seit Jahren in Lich gibt. 1988 hatte der
Magistrat nach antisemitischen Parolen an der Kirche von Eberstadt die
Dietrich-Bonhoeffer-Schule beauftragt, den Zeitraum 1933 bis 1945 in Lich zu
erforschen. Diese Arbeit führte zur Gründung der
Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung. Es folgten die Veranstaltungen der Reihe '9.
November 1938 in Lich', die Errichtung des Mahnmals an der evangelischen
Kirche, die Renovierung und Zugänglichmachung der Synagoge als Kulturzentrum
und wiederholte Erinnerungsgänge zu den ehemaligen Wohnhäusern der Opfer und
zum jüdischen Friedhof am Hardtberg."
Link zum Artikel |
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Artikel von Ines Jachmann im "Gießener
Anzeiger" vom 19. Dezember 2019: " "Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch" -
Gunter Demnig verlegt 14 'Stolpersteine' in Lich
Vor dem Haus mit der Nummer 60 in der Oberstadt in Lich hat sich eine
Menschentraube gebildet. Mittendrin hockt ein Mann. Seinen Hut hat er tief
ins Gesicht gezogen. Es ist Gunter Demnig. Der bekannte Künstler hat gerade
damit begonnen, 'Stolpersteine' zu verlegen.
LICH - Vor dem Haus mit der Nummer 60 in der Oberstadt in Lich hat sich eine
Menschentraube gebildet. Mittendrin hockt ein Mann. Seinen Hut hat er tief
ins Gesicht gezogen. Es ist Gunter Demnig. Der bekannte Künstler hat gerade
damit begonnen, 'Stolpersteine' zu verlegen. Während der gebürtige
Brandenburger routiniert seiner Arbeit nachgeht, begrüßt Hille Neumann von
der Arbeitsgemeinschaft ',Stolpersteine' Lich' alle Teilnehmer, insbesondere
die Nachfahren der Familien Windecker und Isaak, die eigens aus der
Schweiz und Wales angereist waren. Mit ihrer Teilnahme wollen sie ein
Zeichen gegen Ausgrenzung und Fremdenhass setzen. 14 'Stolpersteine' werden
verlegt. Sie sollen an die jüdischen Familien in der Stadt erinnern. Drei
Steine sind Gustav, Selma (geb. Ziegelstein) und Gertrud Windecker gewidmet,
die zuletzt im Haus Oberstadt 60 wohnten. Die Familie handelte mit
Vieh und Tierhäuten. 1941 wurden sie von den Nazis nach Minsk deportiert und
dort ermordet. Zwei Steine liegen vor dem Haus der Oberstadt 26. Dort
lebte die Familie Bamberger. Auch sie bestritt ihren Lebensunterhalt
mit Viehhandel. Rosa Bamberger (geb. Borngässer) wurde 1942 nach
Theresienstadt deportiert, wo sie im Mai 1943 umgebracht wurde. Ludwig
Bamberger wurde ebenfalls 1942 deportiert und im gleichen Jahr noch im
besetzten Polen ermordet.
Die Familie Isaak lebte in der Oberstadt 13. Sie war die
älteste jüdische Familie in Lich und betrieb eine Möbelhandlung. Emil,
Sabine (geb. Flörsheim) und Mathilde Isaak wurden 1941 nach
Lodz/Litzmannstadt deportiert und dort umgebracht. Irma Isaak (geb. Lemberg)
flüchtete bereits 1935 in die USA. Alfred Isaak folgte ihr 1938. Außer Irma
Isaak und ihrem Bruder überlebte den Holocaust nur Julius Bamberger, der mit
seiner Familie nach Südafrika floh, alle anderen wurden ermordet.
Vier Steine vor dem Haus in der Seelenhofgasse 1 sind Eduard, Helene
(geb. Weiss), Inge und Karola (verh. Leopold) Windecker gewidmet. Letztere
flüchtete 1938 in die USA, alle anderen wurden 1942 im Konzentrationslager
Auschwitz ermordet. Ab 19. September 1942 gab es in Lich keinen einzigen
Juden mehr.
Bereits am Mittwoch hatten viele Licher sowie die Neunt- und Zehntklässler
der Dietrich-Bonhoeffer-Schule die Gelegenheit, mit den Nachfahren
Christiane Faschon, Nathan und Roger Beaver ins Gespräch zu kommen (der
Anzeiger berichtete). Faschons Tochter, die heute in Berlin lebt, war
ebenfalls angereist. Das Gedenken an die Familien sei bedeutsam und wichtig.
Auf den Steinen nun die Namen der Vorfahren zu lesen, löse in ihnen tiefe
Empfindungen aus, sagte Nathan Beaver. Dies bedeute ihm und seinem Onkel
sehr viel. Jeder der 14 verlegten 'Stolpersteine' wurde im Anschluss noch
mit einer weißen Rose bedacht, die Schüler der DBS niederlegten. Die weiße
Rose war Symbol und Name der Widerstandsgruppe von Münchener Studenten, die
sich während des Zweiten Weltkriegs zusammenfanden, um sich gegen die
Diktatur des Nationalsozialismus zur Wehr zu setzen..."
Link zum Artikel
Vgl. Artikel von Ursula Sommerlad in der "Gießener Allgemeinen" vom 19.
Dezember 2019: "Kaddisch für die Ermordeten..."
Link zum Artikel
Vgl. Artikel von Ursula Sommerlad in der "Gießener Allgemeinen" vom 9.
Januar 2020: "Die Menschen hinter den Namen..."
Link zum Artikel auch
als pdf-Datei
eingestellt (weitere Informationen zu den Familien
Windecker, Isaak und Bamberger) |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 486-489. |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 84-86. |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 70 (keine weiteren
Informationen). |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S. 43-45. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 320-232. |
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Neuerscheinung von 2011
zur jüdischen Geschichte
in Lich und Umgebung |
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Hanno Müller, Friedrich Damrath,
Monica Kingreen, Klaus Konrad-Leder: Juden in Lich, Birklar,
Langsdorf, Muschenheim und Ettingshausen.
Teil I: Familien Teil II: Grabsteine, Anhang, Register
Im Auftrag der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung herausgegeben von
Klaus Konrad-Leder. Lich 2010.
ISBN 978-3-9809778-6-9 zu beziehen über: Hanno Müller
Röntgenstraße 29 35463 Fernwald http://www.fambu-oberhessen.de/
E-Mail |
Zum Inhalt: Das Werk enthält auf ca. 720 Seiten im Format A 4 (2 Teile in einem Schuber, Fadenheftung, fester Einband, Inhalt) im
ersten Teil Aufsätze von Klaus-Konrad-Leder und Monica Kingreen sowie Familienbücher für die oben genannten Orte von Hanno Müller. Außerdem Informationen zu den Religionsgemeinden und ihren Synagogen und über 100 Abbildungen.
Im zweiten Teil sind enthalten Abbildungen der Grabsteine und die von Friedrich Damrath erstellten Abschriften und Übersetzungen ihrer Inschriften auf den jüdischen Friedhöfen in Lich, Muschenheim, Hungen (der Langsdorfer Juden), Gießen und Laubach (Licher und Ettingshäuser Juden). Außerdem auf ca. 200 Seiten Abschriften aus dem Besitz von Klaus Konrad-Leder, von Archivalien aus den Archiven Braunfels, Lich, Langsdorf und aus den Kirchenchroniken Langsdorf, Muschenheim und Inheiden, Zusammenstellungen vermögender Einwohner der bearbeiteten Orte und Erwähnungen der Juden dieser Orte in Adressbüchern des Zeitraums 1905 - 1941.
Beschlossen wird er von den Registern, Nachträgen zu den früher veröffentlichten "Judenfamilien in Hungen" und einer kompletten Neubearbeitung (anhand der zwischenzeitlich aufgefundenen Judenmatrikel) der "Judenfamilien in Nieder-Weisel".
Bezogen werden kann das Werk über H. Müller zum Preis von 20 Euro plus Versandkosten (Achtung, Paketsendung, 3,5 kg!). |
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| Marion Davies: The Bock Family from Lich. 1700s to
1874/75. Researched and compiled by Marion Davies 2023.
Eingestellt zum Download als pdf-Datei.
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Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Lich
Hesse. Jews are mentioned from 1622 and numbered 71 (3 % of the total) in
1828. The Jewish population changed little up to 1933. On Kristallnacht
(9-10 November 1938), the synagogue's interior was destroyed, but the building
survived. Most of the Jews had already left, with 29 emigrating; ten others were
deported in 1942.
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