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zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Oberkirch (Ortenaukreis)
Jüdische Geschichte
(erstellt unter Mitarbeit von Dr. Irmgard Schwanke,
Oberkirch)
Übersicht:
Zur jüdischen Geschichte
in Oberkirch
In Oberkirch lebten - jeweils nur wenige - jüdische Bewohner im Mittelalter,
zeitweise im 16. Jahrhundert, am Anfang des 18. Jahrhunderts sowie seit der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es kam jedoch zu keiner Zeit zur Gründung einer jüdischen
Gemeinde in der Stadt.
Im Mittelalter lassen sich jüdische Bewohner in der ersten Hälfte
des 14. Jahrhunderts nachweisen. Sie hatten unter der Armleder-Verfolgung
1338 zu
leiden, woraufhin ihnen Bischof Berchtold von Straßburg und die städtischen
Behörden 1340 den Schutz versprachen. Von einer Verfolgung in der Pestzeit
1348/49 wird nichts berichtet. Entweder war der 1340 zugesagte Schutz wirksam
oder es lebten damals keine Juden mehr in der Stadt.
Aus dem 16. Jahrhundert ist bekannt, dass der Straßburger Bischof Johann
IV. (von Manderscheid-Blankenheim) 1578 einem Juden namens Liebmann gestattete,
sich im Amt Oberkirch niederzulassen. Das Zugeständnis des Bischofs löste in
Oberkirch und den anderen Orten des Amtes allerdings große Empörung aus. Die
Schultheißen, Vögte und Zwölfer des Amtes forderten im September 1578 vom
Bischof "von Herzen und in aller Untertänigkeit ganz inniglich", den
genannten Juden und alle anderen Juden "des Landes zu
verjagen".
Im 17. Jahrhundert wurde im Stadtbuch von 1665 der Handel mit Juden verboten.
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es zu einer
vorübergehenden Niederlassung des Juden Daniel aus Renchen. Kardinal
Armand Gaston hatte diesem 1712 gegen den Willen der Bürger Oberkirchs erlaubt,
sich in Oberkirch niederzulassen und Handel zu treiben. Erst 1716 war der
Kardinal zum Nachgeben in dieser Angelegenheit bereit, als die Vertreter des
Amts Oberkirch ihm anboten, erhebliche Geldbeträge für die Wiederentfernung
der Juden aus dem Amt Oberkirch zur Verfügung zu stellen. Diese Gelder wurden
bis 1803 jährlich als "Judensteuer" bzw. "Judenschirm" in
Höhe von jährlich 90 Gulden an die bischöfliche Regierung
abgeführt.
Erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind
wenige jüdische Personen in der Stadt zugezogen. Bei den Volkszählungen wurden
festgestellt: 1871 drei jüdische Einwohner, 1875 zwei, 1880 drei, 1885 fünf,
1890 bis 1900 eine Person, 1910 sechs. Da bei den Volkszählungen teilweise
die ortsanwesenden und nicht die ortsansässigen Personen registriert wurden,
kann es im Einzelnen auch um zufällig in der Stadt anwesende Personen gehandelt
haben.
Aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die zeitweise Anwesenheit des
Karlsruher Ehepaares Julie und Max von Haber in Oberkirch zu nennen. Julie
von Haber geb. Beyfus (geb. 1818 in Frankfurt, gest. 1896) stammte aus einer
wohlhabenden Familie. Ihr Vater war Miteigentümer des Frankfurter "Bankhauses
Gebrüder Beyfus", ihr Großvater mütterlicherseits war Mayer
Amschel Rothschild, Mitbegründer des Bankhauses Rothschild in Frankfurt. Max
von Haber war Sohn des Karlsruher Hofbankiers Salomon von Haber. Das Ehepaar
war in den 1870er- und 1880er-Jahren in den Sommermonaten häufig im Renchtal
und erwarb in Oberkirch mehrere Grundstücke und Gebäude in den Gewannen
Hungerberg und der Höll, darunter den Höllhof und die spätere Villa
Eulenstein. 1882 starb Max von Haber. 1887 schenkte Julie von Haber der Stadt
Oberkirch 150.000 Mark. Ein Drittel war für die Krankenpflege bestimmt, ein
Drittel für die Unterstützung der Oberkircher Armen und ein Drittel zur
Unterhaltung und Verbesserung der Kinderschule. 1890 konnte die
Kleinkinderschule aus den Mitteln der "Frau von Haber'schen
Stiftung" erbaut werden (Kindergarten St. Raphael). Zum Dank wurde an
der Kinderschule eine Erinnerungstafel angebracht, die vermutlich in der NS-Zeit
entfernt wurde. 1896 war Julie von Haber verstorben (siehe Bericht unten). 2009
wurde an Stelle des alten Gebäudes der Kleinkinderschule ein Neubau errichtet,
an dem 2014 eine neue Erinnerungstafel angebracht wurde (siehe Text
und Abbildungen auf eingestellter pdf-Datei).
Seit den 1920er-Jahren lebte in Oberkirch der praktische Arzt Dr.
Siegfried Boss (geb. 14.
Januar 1864 in Zülz/Oberschlesien als Sohn des Kaufmannes Adolf [oder Rudolf] Boss, zuletzt
Berlin und seiner Frau Ernestine geb. Breslauer; nach dem Sterbeeintrag von
1938 war Dr. Boss evangelischer Konfessionszugehörigkeit) mit seiner
jüdischen Frau Klara geb. Selten (geb. 4. Juni 1868 in Bernstadt in
Schlesien als Tochter des Kaufmanns Isaak Selten und der Linna geb. Ledermann; Heirat mit Dr. Siegfried Boss am 16. Juni 1891 in Straßburg im
Elsass; nach dem Eintrag 424/1891 im Trauregister waren damals beide Partner
israelitischer Religionszugehörigkeit, möglicherweise ist Dr. Boss später
konvertiert). Er hatte seine Praxis in der Stadtgartenstraße vermutlich im
Gebäude 28 oder 30 (doch unterschiedliche Angaben in der Literatur: zwischen 26
und 32); Haus und Grundstück
waren sein Eigentum. Dr. Boss war im Oberkircher Kulturleben verankert. Er
schrieb Konzertbesprechungen für die Tagespresse und galt als ausgewiesener
Musikkenner. Nach der NS-Machtergreifung trat er am 30. März 1933 als
Vorsitzender des kassenärztlichen Bezirksvereins zurück. Nachdem absehbar
wurde, dass ihm die ärztliche Approbation entzogen werden sollte, nahm er sich
am 24. September 1938 das Leben. Seiner Frau wurde im März 1939 das Haus und
Grundstück weggenommen. Sie wurde im August 1942 über Stuttgart in das Ghetto
Theresienstadt deportiert, wo sie im Januar 1943 umgekommen ist.
Von den in Oberkirch geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Dr. Siegfried Boss (1864
- Suizid 1938), Klara Boss geb.
Selten (1868 - 1943).
Weitere Erinnerung an die jüdische Geschichte: Als Flurname ist die Flur
"Judenfeld" auf Gemarkung Oberkirch genannt. Das "Judenfeld" ist das
Grundstück zwischen dem Tiergärtner Weg und der Ringelbacher Straße im
Bereich südlich
des Reichenbächle.
Berichte aus der
jüdischen Geschichte in Oberkirch
In jüdischen Periodika des 19./20.
Jahrhunderts findet man zu Oberkirch keine Mitteilungen. |
Zum Tod von Baronin Julie von Haber (1896 in Karlsruhe)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 19. Februar 1897:
"Karlsruhe, 5. Februar (1897). Eine sehr interessante Frau,
die letzte ihres Stammes, ist hier im hohen Alter gestorben, nämlich die Baronin
Julie von Haber. Sie war, wie gesagt, die letzte dieses adeligen
Namens, welche auf dem israelitischen Friedhofe beerdigt wurde. Die
zahlreichen Teilnehmer bei dem Leichenbegängnisse waren, mit Ausnahme des
Herrn Stadtrabbiners Dr. Appel und einiger anderen Funktionäre, fast alle
Christen, meist Adelige. Die Verstorbene war allein dem Judentum treu
geblieben. Sie hatte testamentarisch angeordnet, dass nach ihrem Ableben
2.000 Mark an jüdische Arme verteilt werden sollen. In ihrem Hause fand
man hebräische Gebetbücher mit deutscher Übersetzung, die von einem
öfteren Gebrauche zeugten. Sicher ist es nur ihrem Einflusse zu
verdanken, dass ihr im Tod vorangegangener Gemahl Max von Haber und ihr
einziger Sohn, der als Offizier den Krieg von 1870/71 mitgemacht hatte und
einige Jahre später ebenfalls verstorben ist, dem Judentum treu geblieben
sind. Der Schwiegervater der Verstorbenen, Salomon von Haber, im Jahre
1760 in Breslau geboren, war der Sohn armer Eltern; er hatte sich durch
seinen Unternehmungsgeist eingroßes Vermögen erworben und ließ sich
Ende des Jahrhunderts in Karlsruhe häuslich nieder. Habers
Unternehmungsgeist verdankt Baden seine bedeutendsten Fabriken.
Großherzog Karl ernannte ihn zum Hofbankier, und Großherzog Ludwig
verlieh ihm 1829 den erblichen Adel. Er starb im Jahre 1840. Als ein Sohn
desselben, Moritz von Haber, sich mit einem Offizier, Freiherrn von Göler,
duellierte und dieser fiel, erregte dies in Karlsruhe großen Unwillen,
und Haber musste fliehen. Ein anderer Sohn, Louis von Haber, hatte nach
dem Tode seines Schwiegervaters eine Zuckerfabrik in Böhmen übernommen.
Er war Begründer großer industrieller Institute in Österreich. In
Anerkennung seiner Verdiente hat ihn der Kaiser von Österreich in den
erblichen Freiherrenstand erhoben und zum Mitglied des Herrenhauses
berufen". |
Fotos:
Erinnerungen
an Julie Haber und
den Kleinkindergarten in Oberkirch
(Quelle: Stadtarchiv Oberkirch) |
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Julie von Haber (gest.
1897)
im Jahr 1872 |
Der Entwurf des Architekten
für die
erste am Kindergarten angebrachte Erinnerungstafel |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Germania Judaica II,2 S. 615-616. |
| Hans-Martin Pillin: Stadtgeschichte Oberkirch Bd. 1:
Die Geschichte der Stadt von den Anfängen zum zum Jahre 1803. 1975. S. 104.156.191-192.
Bd. 3: Die Geschichte der Stadt vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zur
650-Jahr-Feier der Stadtrechtsverleihung 1919-1976. S. 127. |
| Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des
Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Band 5/2. Baden-Württemberg II.
Regierungsbezirke Freiburg und Tübingen. Frankfurt 1997. S.102. |
| Heinz G. Huber: Die Katholiken des Renchtals und die
nationalsozialistische Herausforderung. Heimat- und Grimmelshausenmuseum
Oberkirch. Sonderheft zur Ausstellung "Klöster, Kirchen, Kapellen und
Wallfahrten des Renchtals". Juni 2009. S. 36. |
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