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in Württemberg"
Reutlingen
(Kreisstadt, Baden-Württemberg)
Jüdische Geschichte / Betsaal der Filialgemeinde
der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Württemberg
Übersicht:
Zur jüdischen Geschichte Reutlingens (english
version)
Mittelalter
In Reutlingen bestand eine jüdische Gemeinde im
Mittelalter (erste Nennung 1331, Judenverfolgung 1348, neue Niederlassung um
1371 bis zur Ausweisung 1495). Eine mittelalterliche Synagoge bestand am Platz des
späteren Gebäudes Kanzleistraße 2. Von ihr sind keine Spuren erhalten. Vom
Ende des 15. Jahrhunderts an lebten bis nach der Mitte des 19. Jahrhunderts
keine Juden in der Stadt.
19./20. Jahrhundert
Seit 1861 konnten sich jüdische Personen wieder
niederlassen, die zur Synagogengemeinde in Wankheim, dann
Tübingen gehörten.
Die höchste Zahl jüdischer Einwohner wurde um 1910 mit 72 Personen erreicht. Die
in den jüdischen Familien verstorbenen Personen wurden im
jüdischen Friedhof in Wankheim beigesetzt.
Von den in Reutlingen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften
jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Ernst Engländer (1892),
Karoline Fabian geb. Kohn (1882), Gertrud Fuld geb. Levi (1901), Alice
Haarburger (1891), Alfred Hamburger (1881), Klara Hamburger geb. Katz (1884),
David Jochsberger (1886), Walter Leib (1912), Adolf Maier (1882), Babette Maier
geb. Oppenheimer (1895), Anne Mainzer geb. Lederer (1894), Paul Mohr (1897), Frime (Frieda)
Rosenrauch geb. Haspel (1883), Emil Salmon (1888), Kurt Salmon (1898), Tana
Margarete Schweizer geb. Lilienfeld (1881), Karoline Spiro geb. Kramer (1872),
Marta Spiro (1897), Salomon Spiro (1859), Else Wachenheimer geb. Moos (1895),
Selma Weikersheimer geb. Spiro (1882), Ludwig Weißburger (1905), Gisela Wolff
geb. Kalter (1896).
Berichte zur jüdischen Geschichte in Reutlingen (aus jüdischen Periodika)
Vortrag des Jüdischen Frauenvereins
Tübingen-Reutlingen in Reutlingen (1929)
Artikel
in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 15. Februar 1929: "Reutlingen. Am 13.
Januar hielt hier auf Veranlassung des Jüdischen Frauenvereins
Tübingen-Reutlingen Frau Berta Blumenthal-Weil aus Stuttgart einen
Vortrag über Lindsays Buch 'Revolution der modernen Jugend'. Die
zahlreich erschienenen Gemeindemitglieder nahmen den sehr aktuellen und
interessant dargebotenen Vortrag sehr beifällig auf. An der Aussprache
beteiligten sich Frau Frida Weil, Tübingen und Rechtsanwalt Dr. Katz,
Tübingen. Dieser betonte, dass neben dem von der Rednerin mit Recht
geforderten freiheitlichen und freundschaftlichen Verhältnis zwischen
Kindern und Eltern, zwischen Zögling und Erzieher auch das autoritative
Verhältnis im Interesse der Jugend nicht übersehen werden darf, weil
noch verhängnisvoller als eine zu strenge Zucht für die Jugend die
Zuchtlosigkeit werden kann. Frau Frida Weil wies darauf hin, dass im guten
jüdischen Hause die Eltern von jeher Freiheit und Autorität ihren
Kindern gegenüber harmonisch miteinander zu verbinden verstanden
haben." |
25-jähriges Geschäftsjubiläum der Firma L. Wrubel
(1932)
Artikel
in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 16. November 1932: "Reutlingen. Aus
Anlass seines vor kurzem stattgefundenen 25-jährigen
Geschäftsjubiläums wurde L. Wrubel von allen Seiten reiche
Ehrungen zuteil. Wrubel erfreut sich in weiten Kreisen der Bevölkerung
des besten Rufes. Möge es ihm vergönnt sein, auch weiterhin für sein
Unternehmen erfolgreich zu
wirken." |
75. Geburtstag von Salomo Spiro (1934)
Artikel
in der "Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. August 1934: "Tübingen. Am 15.
Juli beging unser Gemeindemitglied Salomo Spiro aus Reutlingen in
voller Rüstigkeit seinen 75. Geburtstag. Der Jubilar, der sich in allen
Kreisen der Bevölkerung wegen seines ehrenhaften Charakters und
bescheidenen Wesens hoher Achtung erfreut, hat sich um die Gemeinde
besonders dadurch verdient gemacht, dass er seit langen Jahren an den
Hohen Feiertagen das Ehrenamt des Hilfsvorbeters versieht. Das
Vorsteheramt hat Salomo Spiro herzliche Glückwünsche und besonderen Dank
für die der Gemeinde geleisteten trefflichen Dienste zum Ausdruck
gebracht. - Auch wir entbieten dem Jubilar unsere besten
Wünsche!" |
Zum Tod von Hertha Salmon (1935)
Artikel
in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 16. März 1935: "Reutlingen. Nach langem
Krankenlager verstarb Fräulein Hertha Salmon. Ein großes
Trauergefolge aus allen Kreisen der Bevölkerung zeugte für die
Wertschätzung, die die Verblichene
genoss." |
Zum Tod von Karl Haarburger (1935)
Anmerkung: Karl Haarburger (geb. 1893) war ein Sohn des Reutlinger
Fabrikanten Friedrich Haarburger, der die Firma Julius Vottelers
Nachfolger G.m.b.H in Reutlingen betrieb und seiner Ehefrau Fanny geb. Hess,
die eine Urenkelin von Isaak Hess aus Ellwangen war. Karls älteste Schwester
war die Künstlerin Alice Haarburger (s.u.), sein jüngerer Bruder war Ernst
Haarburger (geb. 1897). Die Familie wohnte bis 1903 in Reutlingen in de3r
Bismarckstraße 4 und verzog dann nach Stuttgart.
Artikel
in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 18. Juni 1935: "Reutlingen. Am 27. Mai
verschied im 43. Lebensjahr Dipl.-Ing. Karl Haarburger, der
Geschäftsführer der Firma Julius Votteler's Nachfolger GmbH in
Reutlingen. Haarburger, der Leutnant d.R. a.D. und Inhaber des E.K. I war,
erfreute sich in weitesten Kreisen größter Wertschätzung. In einem in
der Tagespresse erschienenen Nachruf der Gesellschafter und des
Aufsichtsrats seiner Firma heißt es: 'Der im besten Mannesalter
Dahingeschiedene hat zufolge seiner vielseitigen Kenntnisse, verbunden mit
ungewöhnlicher Arbeitskraft und Arbeitsfreude, unser Unternehmen auf
seine jetzige Höhe gebracht. Alle in der Firma Tätigen betrauern mit uns
den frühen Tod dieses unvergesslichen, sozialen Mitarbeiters und
Leiters.' - In einem öffentlichen Nachruf des Offiziersvereins
R.F.A. 27, der von Hauptmann d.L. Dr. Bischel unterzeichnet ist, kommt die
außerordentliche soldatische Leistung des Frühvollendeten zu besonderem
Ausdruck. Diese letzte Würdigung lautet: Am 27. Mai 1935 verschied viel
zu früh in Reutlingen unser lieber Kamerad Karl Haarburger, Dipl.-Ing.,
Leutnant d. Res.a.D. Tief erschüttert stehen wir an seiner Bahre,
nachdem wir am Tage zuvor in Biberach ein Regimentstreffen gefeiert haben,
bei dem seiner von vielen Kameraden gedacht wurde. Wir verlieren in ihm
einen tapferen, unerschrockenen Offizier, der sich am 8. und 9. Juni 1918
bei dem Vorstoß seiner Batterie in Begleitung der stürmenden Infanterie
ganz besonders ausgezeichnet hat, einen treuen, bei Vorgesetzten und
Untergebenen überaus beliebten Kameraden. Er wird uns unvergessen
bleiben." |
Hinweis zu der in Reutlingen geborenen Künstlerin
Alice Haarburger (1891 - ermordet
1942)
Weitere Informationen zu Alice Haarburger siehe Wikipedia-Artikel
"Alice Haarburger" https://de.wikipedia.org/wiki/Alice_Haarburger
(zum Bruder Karl Haarburger siehe oben).
Alice Haarburger ist bis zum Umzug ihrer Familie 1903 nach Stuttgart in
Reutlingen
aufgewachsen.
Anzeigen aus dem 19. Jahrhundert, gefunden in jüdischen Periodika
Anzeigen
der Stadt Reutlingen in der Zeitschrift "Der Israelit" zur
Werbung für die Tuch- & Strickwaren-Messe am 27. Oktober 1864 und die
Leder-Messe am 27. und 28. Oktober 1864. |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. März 1877: "Reutlingen.
Im Pensionate des Unterzeichneten finden noch einige Töchter, die die
hiesige Frauenarbeitsschule besuchen, gute und liebevolle Aufnahme.
Näheres durch Prospekte, die auf Verlangen gerne franco zugesandt werden.
Sigmund Salmon, Gartenstraße. Gleichzeitig empfehle dem reisenden
Publikum meine aufs Beste eingerichtete Restauration. Feine Küche.
Mäßige Preise." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. April 1892: "Stellegesuch.
Ein junger Mann, der in einem Fabrikations-Engros- und Detailgeschäfte
der Garn- und Strumpfbranche seine 3jährige Lehrzeit bestanden und
seither 2 Jahre als Commis in demselben Geschäft tätig, sucht, gestützt
auf Ia Zeugnisse per 1. Mai dieses Jahres anderweitige Stelle, gleichviel
welcher Branche. Gefl. Offerten erbeten an Sigmund Salomon,
Reutlingen, Württemberg." |
Unter den jüdischen Familien Reutlingens
waren seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch einige ostjüdische Familien,
darunter die Familie von Lazar Kirschner. Dieser war im Januar 1914 aus Galizien
nach Reutlingen gezogen. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges verlor er den Kontakt
zu seiner Frau und seinen Kindern, sodass er einer Suchanzeige aufgegeben hat
(siehe unten). Der Kontakt ließ sich wieder herstellen. Im August 1915 konnten
Frau und Kinder nach Reutlingen ziehen. Zur weiteren Familiengeschichte siehe
Serger/Böttcher s.Lit. S. 48-49.
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. März 1915: "Vermisste
jüdische Familien... (darunter:) Es sucht: Lazar Kirschner,
Reutlingen - Es werden (von ihm gesucht): seine Frau Lea KIrschner und 2
Kinder in Schönjava (Sieniawa) bei Jaroslaw,
Galizien". |
Seit
den 1990er-Jahren: Filialgemeinde der Israelitischen Religionsgemeinschaft
Württembergs
Seit den 1990er-Jahren sind nach Reutlingen jüdische
Familien und Einzelpersonen aus den GUS-Staaten zugezogen. 2003 lebten etwa 120
Mitglieder der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs in Reutlingen
oder der unmittelbaren Umgebung. Zunächst trafen sich die Gemeindeglieder immer
wieder in einem Hotel der Stadt. Am 7. September 2003 konnte ein kleines Gemeindezentrum mit Mehrzweckraum eingerichtet
werden, der auch als Betsaal genutzt wird. Im Herbst 2013 konnte das
zehnjährige Bestehen der jüdischen Filialgemeinde gefeiert
werden.
Fotos
Fotos von der Einweihung des Betsaales am 7. September
2003:
(Fotos: Hahn)
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Letzte Vorbereitungen vor
der
Einweihungsfeier |
Barbara Traub, Sprecherin des
Vorstandes der Israelitischen
Religionsgemeinschaft Württembergs |
Landesrabbiner Netanel
Wurmser
hielt die Einweihungsansprache |
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Dr. Werner Ströbele sprach
für
die Stadt Reutlingen |
Die Gäste bei der
Einweihungsfeier |
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Michael Rosenberg bei
seiner
Darbietung |
Rabbiner Trebnik aus Ulm
(Mitte) und
Landesrabbiner Wurmser (rechts) |
Landesrabbiner Wurmser beim
Anbringen der Mesusa |
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Beim anschließenden
Gespräch |
Rabbiner Trebnik und der
bisherige
Geschäftsführer der Gemeinde in
Stuttgart: Arno Fern |
Der Toraschrank mit dem Wort
aus
Jesaja 2: "Denn von Zion geht Weisung aus
und das Wort
G"ttes von Jerusalem" |
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Die Mesusa am Eingang |
Das Vorlesepult |
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Gegenüber der Stadtbibliothek
Reutlingen:
Denkmal "zur Erinnerung an unsere
jüdischen
Mitbürger" |
Das Denkmal wurde nach dem
Entwurf einer Reutlinger Schülerin
gestaltet |
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Texte/Pressemitteilungen
über die Filialgemeinde 2003 / 2013
(Alle Texte sind leicht gekürzt)
1.
Reutlinger Nachrichten
(Südwestpresse) vom 6.9.2003:
JÜDISCHES
ZENTRUM / Räume gefunden
Einen Wunsch erfüllt
Morgen ist Europäischer Tag der jüdischen
Kultur, eine gute Gelegenheit eine Begegnungsstätte der in der Stadt und im
Umkreis lebenden Juden zu eröffnen. Oberbürgermeisterin Barbara Bosch hat
geholfen, einen Raum zu finden, in dem die Gemeinde Gottesdienst feiern kann.
von ROLF MACK
REUTLINGEN Es ist ein
weiterer kleiner Stein zur Wiedergutmachung und zur Normalisierung des Verhältnisses
Deutsche - Juden. Die rund 120 im Umkreis der Stadt lebenden Angehörigen des jüdischen
Glaubens werden morgen Abend ein neues Gemeindezentrum eröffnen. Dieses soll
nicht nur den Gottesdiensten dienen, sondern auch das übrige Leben der Gemeinde
fördern. Bisher haben sich die Reutlinger jüdischen Glaubens im Nebenzimmer eines Hotels getroffen oder sind ins Gemeindezentrum nach Stuttgart
gefahren.
Bei der jetzt erreichten Zahl der Gemeindeglieder ist der Wunsch einen eigenen
Raum zu haben groß geworden. Oberbürgermeisterin Barbara Bosch hat
mitgeholfen, den Juden diesen Wunsch zu erfüllen.
Reutlingen war zwar nie ein Zentrum jüdischen Lebens - es gab auch keine
Synagoge - hatte auch kein Zentrum wie es jetzt entstehen soll, aber Reutlingen
hatte vor den Pogromen um 1500 immerhin eine jüdische Gemeinde. Nach den
Verfolgungen im Mittelalter sind erst wieder 1862 Spuren jüdischen Lebens in
der Stadt zu finden. 1930 waren es etwa 100 jüdische Mitbürger, von denen
viele Opfer des nationalsozialistischen Terrors wurden. Dass es jetzt wieder so viele Juden in der Stadt
gibt, ist vor allem eine Folge der Auswanderung aus der ehemaligen Sowjetunion.
Sie kamen vielfach als Kontingentflüchtlinge nach Reutlingen, lebten zuerst in
Rappertshofen und sind jetzt über die ganze Stadt verteilt.
Es werden über 100 geladene Gäste zum Festakt morgen Abend erwartet. Es sind
Vertreter der Kirchen, der Stadt und der staatlichen Behören und die Mitglieder
der Gemeinde selbst.
Die Gemeinde verfügt jetzt über einen großen und zwei
kleinere Räume. Es soll Religionsunterricht für die Kinder geben, dazu
informelle Begegnungen unter Gemeindemitgliedern und Außenstehenden und vor
allem die Gottesdienste. Sie müssen nach jüdischem Ritus auch in ungeweihten Räumen
stattfinden können.
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2. "Reutlinger Generalanzeiger" vom 9.9.2003:
Einweihung -
Israelitische Religionsgemeinschaft eröffnete in Reutlingen ein Gemeindezentrum
"Rückkehr jüdischen
Lebens" von CHRISTOPH STRÖHLE
REUTLINGEN. Landesrabbiner Netanel Wurmser sprach
von einem Meilenstein für die Entwicklung jüdischer Gemeinden in Württemberg.
Noch vor »Rosch HaSchana«, dem Beginn des neuen jüdischen Kalenderjahres Ende
September, sei man dabei, in Reutlingen Geschichte zu schreiben. Zur Eröffnung
des ersten israelitischen Gemeindezentrums in der Achalmstadt - nach Stuttgart,
Ulm und Hechingen ist es erst das vierte württembergweit - wählte Wurmser ein
Gleichnis aus dem ersten Buch Moses.
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Temperamentvoll vorgetragen - Michael
Rosenbergs jiddische Erzählung.
GEA-FOTO: CHRISTOPH STRÖHLE
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Noah, so erzählte er, habe nach der Sintflut zunächst
einen Raben losgeschickt, der jedoch bald wieder zur schützenden Arche zurückkehrte,
weil er kein Land fand. Der daraufhin von Noah entsandten Taube erging es ähnlich.
Als Noah erneut eine Taube losschickte, kehrte diese mit einem frischen Ölzweig
zurück. Sieben Tage später nochmals entsandt, kehrte die Taube nicht wieder
zurück: Zu guter Letzt hatte sie eine "Ruhestätte für ihren Fuß"
gefunden. Wurmser wünschte sich, dass die jüdische Gemeinde in Reutlingen
jenen Boden finde, der ihr das Wachsen und Gedeihen ermögliche.
Rund 80 Besucher hatte Kantor Arie Mozes zuvor am Europäischen Tag der jüdischen
Kultur im neuen Gemeindezentrum ... begrüßt, darunter Repräsentanten
der Kirchen, der Stadtverwaltung und des Gemeinderats. "Wir freuen uns,
dass sich Ihr Wunsch nach einem Versammlungsraum in Reutlingen erfüllt hat",
betonte Heimatmuseumsleiter Dr. Werner Ströbele als Vertreter der Stadt. "Was
Sie hier sehen, ist kein Tempel und keine Synagoge, aber ein Ort, der die Rückkehr
jüdischer Kultur und jüdischen Lebens in unsere Stadt ermöglicht."
Für 120 Juden.
Bislang fehlte eine solche Begegnungsstätte für die rund 120 Juden in
Reutlingen. Man traf sich im Nebenzimmer eines Hotels oder fuhr gemeinsam nach
Stuttgart. Zwei bis drei Mal pro Woche sollen die drei Räume ... nun für Veranstaltungen genutzt werden. Gottesdienste soll es in der Gemeinde
ebenso geben wie Religionsunterricht für Kinder und Begegnungs- und
Bildungsangebote für Erwachsene. Auf einen eigenen Rabbi wird die Gemeinde
jedoch vorerst verzichten müssen.
Ulrich Lukaszewitz, dienstältester Stadtrat ... erinnerte
an die lange und wechselvolle Geschichte jüdischen Lebens in Reutlingen. Vor
1500 weitgehend integriert und auch respektiert, wurde die jüdische Gemeinde
durch Pogrome vertrieben. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts kehrten Juden nach
Reutlingen zurück, später verfolgt, vertrieben und ermordet durch die
Nationalsozialisten. Seit 1991 ist die Zahl jüdischer Einwanderer nach Deutschland wieder deutlich
angestiegen. Allein in Baden-Württemberg leben inzwischen rund 6 500 jüdische
Mitbürger, die meisten von ihnen Kontingentflüchtlinge aus den GUS-Staaten. Zu
ihnen zählt auch der 85-jährige Michael Rosenberg, der heute in Stuttgart
lebt. Bei der Einweihungsfeier ließ er eine in Reutlingen weitgehend
verklungene Sprache wieder aufleben. Auf Jiddisch und in humorvoll hintergründiger
Weise erzählte er vom Lebensalltag in einem »Städtele« in der Ukraine,
umrahmt von temperamentvoll vorgetragenen, teils wehmütigen, teils heiteren
Liedern.
Auszug aus der Thora.
Zum Abschluss der Feier versah Landesrabbiner Netanel Wurmser die Eingangstür
des neuen Versammlungsraumes mit einer »Mesusa«, einer Plakette mit Auszügen
aus der Thora. Die Mesusa wird, einem jüdischen Gebot folgend, an allen Eingängen
eines Hauses angebracht und dient als Schutz. (GEA).
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3. Reutlinger Nachrichten
(Südwestpresse) vom 6.9.2003:
JUDEN /
Israelitische Religionsgemeinschaft weiht Gemeindezentrum ... ein
Wie Noahs Taube
einen Rastplatz finden
Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs
(IRG) hat in Reutlingen ihre landesweit dritte Zweigstelle eröffnet. Das neue
Gemeindezentrum ... soll den 85 in und um Reutlingen lebenden
Gemeindemitgliedern kulturelle und religiöse Heimstatt sein.
von THOMAS THIEME
REUTLINGEN.
Mit
kräftigen Hammerschlägen befestigte am Sonntag Landesrabbiner Netanel Wurmser
die Mesusa-Kapsel am Türpfosten des Versammlungsraums...
Das etwa 20 Zentimeter lange Behältnis ("Mesusa" ist das hebräische
Wort für Türpfosten) kennzeichnet jüdische Häuser oder Wohnungen und enthält
einen Pergamentstreifen mit der "Schema Israel", der Quintessenz jüdischen
Glaubens: Höre Israel, Gott, unser Gott, ist eins. Die Weihung geht zurück auf
die biblischen Plagen - Gott verhängte zehn Katastrophen über Ägypten, um vom
Pharao die Freilassung der Israeliten zu erzwingen. Und gebot den Kindern
Israels, ihre Heimstätten mit Schafsblut zu kennzeichnen.
Einen "Meilenstein in der Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Württemberg"
nannte der Landesrabbiner das neue Zentrum. Die Lage der Gemeinschaft verglich
er mit der von Noah ausgesandten Taube, die einen Platz für ihren Fußballen zu
finden suchte: Gleich der Taube möge es den Juden in Württemberg gelingen,
einen Rastplatz zu finden und eine Gemeinde zu gründen. "Das ist der
Wunsch, den ich heute ausspreche." Als Vertreter des Stadt überbrachte
Heimatmuseumsleiter Dr. Werner Stroebele Grüße von Oberbürgermeisterin
Barbara Bosch und erinnerte an die bereits im Mittelalter existierende jüdische
Gemeinde in Reutlingen. "Wenn Erinnerung das Geheimnis der Versöhnung ist,
dann sind wir in Reutlingen auf einem guten Weg." Wie Stroebele bezog sich
auch SPD-Fraktionschef Ulrich Lukaszewitz auf die frühe Stadtgeschichte:
"Ich bin stolz darauf, dass wir an das mittelalterliche Erbe Reutlingens
anknüpfen." Ebenso gern wie zum Bau der ersten Moschee in Reutlingen habe
die SPD-Fraktion zum Gemeindezentrum "ja" gesagt.
Der neue Versammlungsraum ist die dritte Zweigstelle der in Stuttgart ansässigen
IRG. 2600 Mitglieder hat die Gemeinschaft. In der württembergischen Diaspora
ist das Zusammenkommen für die größtenteils aus der damaligen Sowjetunion und
deren Nachfolgestaaten stammenden Juden schwierig geworden: Dem Flüchtlingsaufnahmegesetz
von 1998 gemäß werden die Zuwanderer auf die Gemeinden im Land verteilt (aus
der Einwohnerzahl errechnet sich für jede Gemeinde ein Kontingent an
aufzunehmenden Zuwanderern). Die Verstreuung - als Folge des Gesetzes -
behindert die Gemeindearbeit und vereitelt vielerorts die Teilnahme am
Gottesdienst. Die IRG sieht sich außer Stande, die flächendeckende Betreuung
ihrer Mitglieder zu gewährleisten. Eine Intervention bei der Landesregierung
ist bislang erfolglos geblieben. Umso mehr freuen sich die Reutlinger
Gemeindemitglieder über die neuen Räumlichkeiten. Bislang hatten sie für ihre
monatlichen Treffen in ein Hotel ausweichen müssen. Sozialarbeit, Beratung
und auch Gottesdienste, das alles wird ab jetzt im Gemeindezentrum passieren.
"Ich hoffe", meinte Galina Lerner aus Eningen, die vor elf Jahren aus
Sankt Petersburg nach Deutschland übersiedelte, "dass sich irgendwann mal
eine Kindergruppe bildet." Und sich für ihre beiden Kinder Spielkameraden
finden. Bis es soweit ist, kann es dauern - die meisten der Reutlinger Juden
sind Senioren, der spärliche Nachwuchs ist noch im Babyalter. IRG-Vorstandssprecherin Barbara Traub dankte der Stadt für die Unterstützung
beim Anmieten der Räume. "Allerdings", so Traub, "wollen wir
keine falschen Hoffnungen wecken". Hilfe zur Selbsthilfe sei die neue
Zweigstelle, nicht mehr. Die anwesenden katholischen und evangelischen
Kirchenvertreter - Dekan Robert Widmann, Pfarrer Günther Kempka und Schuldekan
Ulrich Rupp - bat sie, die kleine jüdische Gemeinde zu unterstützen und als
Partner anzusehen.
Kulturelles Schmankerl der besonderen Art: Mit "Als Rabbiner Eli Melech ist
geworden sehr frehlech" und anderen Liedern in jiddischer Sprache gelang es
dem 85-jährigen Michael Rosenberg aus Stuttgart, die Anwesenden zu begeistern.
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September 2013:
Zehn Jahre Filialgemeinde Reutlingen |
Artikel von Anna Chatzkikolaou im
"Reutlinger General-Anzeiger" vom 4. Oktober 2013: "Festakt - Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg feiert ihr zehnjähriges Bestehen in der Volkshochschule
Beten, lernen, feiern
REUTLINGEN. Am 7. September 2003 war es endlich so weit: Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) öffnete ihre Pforten in der Lederstraße. Landesrabbiner Netanel Wurmser brachte symbolisch die Mesusa an, eine Schriftkapsel, die am Türpfosten befestigt wird. Seither sind zehn Jahre vergangen. Anlass genug, um diesen Geburtstag in der Reutlinger Volkshochschule gebührend zu feiern..."
Link
zum Artikel |
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Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
November 2011:
Erinnerung an den Novemberpogrom 1938 |
Artikel von Jan Zawadil in der
"Südwest-Presse" (Regionalteil Reutlingen) vom 11. November
2011: "Die Erinnerung nicht verblassen lassen.
Reutlingen. Es ist nach wie vor unbegreiflich. Umso wichtiger ist die
Erinnerung an die Reichspogromnacht. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher
Kirchen hatte deshalb mit Einstein-Gymnasiasten zur Gedenkstunde
eingeladen..."
Link
zum Artikel - auch eingestellt
als pdf-Datei. |
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November 2013:
Erinnerung an den Novemberpogrom 1938 |
Artikel von Christoph B. Ströhle im
"Reutlinger General-Anzeiger" vom 11. November 2013: "Experten diskutieren in der Volkshochschule Formen der Erinnerung an die NS-Zeit und ihre Opfer.
Gegen das Verblassen
REUTLINGEN. Es wird nie müßig sein, an die gigantischen, staatlicherseits wie individuell begangenen Verbrechen der NS-Zeit und ihre Opfer zu erinnern. Darin waren sich die Diskutanten auf dem Podium und aus der Zuhörerschaft am Freitag einig. Auch, dass Erinnerungskultur stets lebendig gehalten werden muss, sich nicht in den immer gleichen Ritualen erschöpfen darf..."
Link
zum Artikel |
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Januar/Februar 2014:
Verlegung von "Stolpersteinen" in
Reutlingen wird erneut angeregt |
Artikel von Roland Hauser im
"Reutlinger General-Anzeiger" vom 11. Januar 2014: "Antrag - Grüne und Unabhängige werben für ein städtisches Gesamtkonzept zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Kulturamt soll Federführung erhalten
Die Jugend einbeziehen.
REUTLINGEN. Die Grünen und Unabhängigen im Gemeinderat lassen nicht locker. Nachdem sie sich bereits in der Vergangenheit immer wieder für das Gendenken an die Opfer der Nazi-Herrschaft auch in Reutlingen eingesetzt hat, regt die vierköpfige Fraktion nun per Antrag an Oberbürgermeisterin Barbara Bosch die »Erstellung einer Gedenkkonzeption« an. Parallel dazu möchte die Reutlinger Frauengeschichtswerkstatt unter der Achalm sogenannte Stolpersteine installiert sehen, für die auch die Grünen bereits im Jahr 2005 im Gemeinderat geworben hatten. Eigentlich sogar erfolgreich.
Denn während sich das Gremium damals nicht durchringen konnte, nationalsozialistisch belastete Straßennamen wie Hindenburg-, Carl-Diem- oder Ludwig-Finkh-Straße zu ändern, fand der Vorschlag mit den Stolpersteinen eine Mehrheit. Dass es bislang nicht zur Umsetzung kam, liegt laut Grünen-Sprecher Rainer Buck jedoch daran, dass die Idee des Kölner Künstlers Gunter Demnig aus urheberrechtlichen Gründen nicht unentgeltlich übernommen werden darf...."
Link
zum Artikel |
Weiterer Artikel von Judith Knappe im
"Reutlinger General-Anzeiger" vom 5. Februar 2014: "'Für
Angehörige ein Ort der Trauer...'"
Link
zum Artikel |
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April 2015:
Zum Tod von Hannelore Maier
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Artikel in der "Südwestpresse" vom 10. April
2015: "Hannelore Maier starb in London
Am Montag, 30. März, ist in London Hannelore Maier, ehemalige jüdische
Bürgerin der Stadt Reutlingen, im Alter von 92 Jahren gestorben.
Hannelore Maier wurde am 9. Dezember 1922 als Tochter des Kaufmanns Adolf
Maier und seiner Frau Babette in Reutlingen geboren. Ihre Kindheit und
Jugendjahre verbrachte sie in der Kaiserstraße 117, bis der fortschreitende
Antisemitismus die bürgerliche Normalität der Familie beendete. Nach dem
Freitod des Vaters 1937 wurden sie und ihr Bruder nach England in Sicherheit
gebracht. Ihre Mutter Bea blieb im nationalsozialistischen Deutschland und
starb 1942 in Auschwitz. Seit 2002 nahm Hannelore Maier auf Einladung der
Stadt Reutlingen regelmäßig an Besuchen der ehemaligen jüdischen Mitbürger
in Reutlingen teil. Ein Höhepunkt war im Oktober 2011 die Vorstellung des
Bandes 2010 der Reutlinger Geschichtsblätter mit dem Schwerpunktthema 'Bea
Maier zwischen Reutlingen und Auschwitz. Das Schicksal einer jüdischen
Mitbürgerin', an der Hannelore Maier als Ehrengast teilnahm. Mit der
Übergabe persönlicher Briefe ihrer Mutter an das Stadtarchiv und durch den
engen Kontakt zum Autor, Dr. Wilhelm Borth, entstand eine einfühlsame
Dokumentation über das Schicksal einer jüdischen Familie aus Reutlingen in
der Zeit des Holocaust. Bei ihren Besuchen in Reutlingen reichte Hannelore
Maier die Hand zur Versöhnung und stand trotz ihres hohen Alters und der
eingeschränkten Gesundheit für viele Gespräche, auch mit Schulklassen, zur
Verfügung. Diese Bereitschaft und die Art und Weise, wie sie
Gesprächspartnern bei ihren Besuchen begegnet ist, haben ihr Respekt und
Hochachtung eingebracht. Mit dem Vermächtnis der Briefe als Quelle der
Geschichte des Lebens- und Leidenswegs ihrer Familie leistete Hannelore
Maier einen wichtigen Beitrag zur jüngeren Stadtgeschichtsforschung. Ihre
Lebensgeschichte und ihre Persönlichkeit werden vielen Menschen in
Reutlingen, die sie gekannt haben, eindrücklich in Erinnerung bleiben."
Link zum Artikel |
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Juli 2015:
Stolpersteine"-Verlegungen sollen
auf Wunsch von Angehörigen möglich sein |
Artikel von Norbert Leister in der
"Südwestpresse" vom 2. Juli 2015: "Steine des Gedenkens jetzt auch in
Reutlingen. Das Gedenkkonzept der Stadt wurde nun vom Gemeinderat genehmigt.
Gedenk-Stolpersteine können auf Wunsch von Angehörigen verlegt werden.
Reutlingen. Die 92-jährige Jüdin Hannelore Maier, die bis zum 14.
Lebensjahr in Reutlingen wohnte, hatte sich gewünscht, dass für ihre Eltern
am ehemaligen Wohnort in der Kaiserstraße zwei Stolpersteine in den Gehweg
vor dem Haus verlegt werden. Wie berichtet, hatte das zu einer kontroversen
Auseinandersetzung im Gemeinderat geführt: CDU und WiR sprachen sich gegen
die Verlegung dieser Erinnerungssteine aus, verwiesen den interfraktionellen
Antrag von SPD, Grünen, FDP und FWV im März zurück in den Verwaltungs-,
Kultur- und Sozialausschuss. Die Meinung der jüdischen Gemeinde sollte in
die Entscheidung einfließen, hieß es. Nach den Worten von Dr. Werner
Ströbele fand diese Anhörung am 23. Juni statt, die Vertreter hätten sich
gegen die Stolpersteine ausgesprochen, so der Kulturamtsleiter. Begründung:
Die Namen der Opfer würden beschmutzt und mit Füßen getreten. Stattdessen
wären Gedenktafeln am Heimatmuseum vorstellbar. Sollten aber Angehörige sich
Stolpersteine wünschen, dann solle dieser Wunsch auch erfüllt werden,
betonten die Vertreter der Gemeinde. Hannelore Maier hatte diesen Wunsch
geäußert, die Reutlinger Frauengeschichtswerkstatt sich damit befasst und
sich ebenfalls für die Verlegung der Stolpersteine ausgesprochen. Gabriele
Janz (Grüne) dankte in der Gemeinderatssitzung ausdrücklich dem Engagement
der Frauen in der Geschichtswerkstatt. Gedenken sei laut Annette Leininger
(FWV) 'ein Thema, das sehr individuell und persönlich ist'. Richtige oder
falsche Lösungen gebe es da nicht. Deshalb sei es gut und richtig gewesen,
nun einen Kompromiss geschafft zu haben. Ute Beckmann (WiR) wolle zwar, dass
'Gedenken uns begegnet, aber nicht in der Form von Stolpersteinen'. Wünschen
Einzelner solle nicht nachgegeben werden, hatte sie schon im März im
Gemeinderat gesagt. Ebenso wie zehn weitere Ratsmitglieder, die vor allem
aus der CDU stammten, enthielt sie sich der Stimme. Dr. Carsten Amann (CDU)
bewertete die Einladung der jüdischen Gemeinde in den Ausschuss als gut und
ergreifend, 'die Beratungen wären sonst unvollständig gewesen'. Aber: 'Bei
uns überwiegen weiter die Zweifel an der Gedenkkonzeption', so Amann.
Jessica Tatti (Linke), Hagen Kluck (FDP) sowie Helmut Treutlein (SPD)
sprachen sich hingegen für die Ergänzung im Gedenkkonzept der Stadt aus,
dass Stolpersteine sehr wohl möglich sein sollen. Allerdings müssten sie von
Angehörigen beantragt werden. Offen ist mit der Entscheidung des
Gemeinderats nun allerdings, ob Hannelore Maiers Wunsch auch nach ihrem Tod
nun noch nachgekommen wird."
Link zum Artikel |
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Oktober/November
2016: Ausstellung über Josef von
Rosheim in Reutlingen |
Abbildung links: Theologische Disputation zwischen Juden und Christen; aus: Konrad
Dinckmut, Seelenwurtzgarten,1488. Quelle: Bibliothèque municipale de Colmar.
Josel von Rosheim (1478–1554) zwischen dem Einzigartigen und Universellen
Ausstellung vom 6. Oktober bis 7. November 2016.
Rathaus Reutlingen Eingangshalle
Eröffnung am 6. Oktober 2016 um 19.00 Uhr mit einer Begrüßung durch Dr. Werner
Ströbele und einer Einführung in die Ausstellung durch Professor Freddy
Raphaël,
Straßburg
Josel von Rosheim – eine einzigartige Persönlichkeit zu seiner Zeit und heute
Josel ben Gerschon von Rosheim (1478–1554) war eine herausragende jüdische Persönlichkeit des
16. Jahrhunderts. Er unterhielt enge Verbindungen zu Kaiser Karl V., die er nutzte, um die Rechtsstellung
und Sicherheit der Juden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation in einer Zeit des Umbruchs zu
schützen. Reformation und Glaubensspaltung führten zu tiefgreifenden Veränderungen, die sich zum Teil
in gewalttätigen Übergriffen äußerten. In dieser Zeit wurden jüdische Gemeinden des Reiches häufig in die
Position eines Sündenbocks gedrängt. Als erster und einziger schetadlan (Fürsprecher)
erreichte Josel von Rosheim eine reichsweit anerkannte Position sowohl bei den jüdischen Gemeinden
des Reiches als auch bei den christlichen Obrigkeiten, durch die er längerfristig eine stabilere Rechtsstellung
jüdischer Gemeinden durchsetzen konnte. Sein persönliches Engagement verhinderte vielfach religiös
oder wirtschaftlich motivierte Austreibungsversuche lokaler Obrigkeiten.
Die von der Association B‘nai B‘rith René Hirschler in Frankreich und dem Historischen Museum
der Pfalz konzipierte Wanderausstellung widmet sich Leben und Wirken dieses besonderen Menschen. Es
werden Rahmeninformationen zu den wichtigsten politischen Ereignissen wie Bauernkrieg und Reformation
gegeben sowie die Person Josels und sein Wirken vorgestellt. Sein politischer und geistiger Nachlass
wird in die Umstände der Zeit eingebunden. In einem Ausblick werden Parallelen zu heute aufgeworfen, die
zu einer weiteren Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen anregen.
Ergänzend zeigt das Stadtarchiv Dokumente, die Schlaglichter auf die Beziehung Reutlingens und
seiner Bürger zu den Juden in der Frühen Neuzeit
werfen.
Öffentliche Führungen Samstag, 8. 10. 2016 (11.00 Uhr) -
Freitag, 14. 10. 2016 (15.00 Uhr) -
Freitag, 28. 10. 2016 (15.00 Uhr) -
Freitag, 4. 11. 2016 (15.00 Uhr)
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Treffpunkt an der Rathauspforte. Weitere Termine auf Anfrage.
Weitere Informationen: Stadtarchiv Reutlingen Marktplatz 22 72764 Reutlingen
07121/3032386 stadtarchiv@reutlingen.de |
Zum Download: Flyer
der Ausstellung. |
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Mai 2017:
Erste Verlegung von
"Stolpersteinen" in Reutlingen
Anmerkung: "Stolpersteine" wurden verlegt für Adolf Maier (1882),
Babette Maier geb. Oppenheimer (1895 aus
Gemmingen), Hannelore Maier (1922), Gerhart Maier (1929).
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Artikel in RTF1.de vom Mai
2017: "Reutlingen: "Stolpersteine" erinnern an Schicksal der jüdischen
Familie Maier
In der Reutlinger Kaiserstraße sind auf dem Gehsteig vor der Hausnummer 117
jetzt sogenannte Stolpersteine verlegt worden. Das bundesweit praktizierte
Konzept erinnert mit den metallischen Pflasterstein an jüdische Opfer des
Nationalsozialismus; an Menschen, die in den Häusern hinter den Steinen
gewohnt haben, die von dort vertrieben und teils ermordet wurden. Die vier
Stolpersteine vor der Kaiserstraße 117 erinnern an die Familie Maier, die
hier von 1923 bis 1937 im ersten Stock lebte. 1937 räumten die Eltern Adolf
und Babette mit ihren Kindern Hannelore und Gerhart Wohnung, um sich vor der
Gestapo zu verstecken. Während die Kinder unverzüglich in ein englisches
Internat geschickt wurden, und so den Holocaust überlebten, nahm sich Vater
Gerhard 1937, ein erfolgreicher Immobilienmakler, das Leben. Babette wurde
in ein südfranzösisches Lager deportiert. Sie wurde 1942 in Auschwitz
ermordet. Die 1992 in London verstorbene Hannelore Maier hatte sich ein
Zeichen des Gedenkens gewünscht. Die Stolpersteine in der Kaiserstraße, eine
Initiative der Reutlinger Frauengeschichtswerkstatt, sind die ersten in der
Achalmstadt."
Link zum Artikel (mit Video)
Wikipedia-Artikel
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Reutlingen
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Artikel von Christine Keck in
der "Stuttgarter Zeitung" vom 19. April 2017: "Stolpersteine in
Reutlingen Das lange Ringen ums richtige Gedenken
In Reutlingen ist lange gerungen worden, um das angemessene Gedenkkonzept
für die Opfer des Nationalsozialismus. Nun werden vier Stolpersteine verlegt
– in Erinnerung an die jüdische Familie Maier und ihre Verfolgung.
Reutlingen - Es ist ein schmucker Ziegelsteinbau, im Vorgarten blühen
Krokusse, die Gegend ist ruhig. 'Sie haben im ersten Stock gewohnt, es war
ein gutbürgerliches Leben', sagt Christl Ziegler und blickt an der Fassade
hoch, 'bis sie die Wohnung 1937 räumen mussten.' Die ehrenamtliche
Mitarbeiterin der Reutlinger Frauengeschichtswerkstatt geht ein paar
Schritte, Bürgersteig entlang, bleibt vor dem Haus stehen. 'Irgendwo hier
kommen die Stolpersteine hin, es werden vier Stück.' Schon seit Jahren
setzen sich Christl Ziegler und ihre Mitstreiterinnen dafür ein, dass sich
Reutlingen im Gedenken an die Opfer der NS-Verbrechen stärker engagiert.
Immer wieder ist um die angemessene Form der Erinnerungskultur gerungen
worden und dabei viel Zeit verstrichen. 'Zu viel Zeit', sagt Christl Ziegler
und ist froh, dass das Zaudern und Zögern ein Ende hat. Ende April sollen
vor dem Ziegelsteinbau in der Kaiserstraße 117 die ersten und vermutlich
vorerst letzten Reutlinger Stolpersteine in den Gehweg eingelassen werden.
Die zehn mal zehn Zentimeter großen Messingplatten, die der Kölner Künstler
Gunter Demnig schon in halb Europa verlegt hat, tragen die Namen des
jüdischen Ehepaares Adolf und Babette Maier sowie deren Kinder Gerhart und
Hannelore.
Die Kinder wurden aufs Internat nach England geschickt. Der Vater,
einst ein erfolgreicher Immobilienhändler, nahm sich im August 1937 das
Leben, weil er in den wirtschaftlichen Ruin getrieben wurde. Die Mutter
wurde in ein südfranzösisches Lager deportiert und 1942 in Auschwitz
getötet. Die beiden Kinder konnten gerettet werden, weil sie rechtzeitig auf
englische Internate geschickt wurden. Im September 1938 verließ der
neunjährige Gerhart in Begleitung seiner sieben Jahre älteren Schwester
Deutschland – die Repressalien hatten zugenommen, eine Verhaftung drohte. Es
sei nie zu spät für ein Zeichen des Gedenkens, 'besser jetzt als nie', sagt
die in England lebende Kate Maier (51). Sie ist die Tochter von Gerhart und
will bei der Verlegung der Stolpersteine dabei sein. 'Ich finde es gut, dass
das Projekt in aller Öffentlichkeit zu sehen ist', sagt sie. 'Einige
Menschen werden achtlos über die Steine hinweglaufen, andere werden ins
Nachdenken kommen.' Für die Engländerin legt sich die Geschichte ihrer
Familie wie ein Schatten auf ihr Leben. Anfangs sei ihrem Vater eingebläut
worden, er solle seine deutsche Vergangenheit vergessen, er soll die
liebevollen Briefe der Mutter, die bis zu ihrem Tod in Auschwitz Kontakt
hielt, mental beiseite legen. 'Da gab es noch keine Psychotherapie', sagt
Kate Maier, damals sei der übliche Ansatz Verdrängung gewesen. Doch das
Trauma der Eltern- und Großelterngeneration übt seine Wirkung auf die
Nachfahren aus. Das hat Kate Maier immer wieder gespürt. 'Ich bin ein
Holocaust- Opfer in der zweiten Generation', sagt die 51-Jährige. Die Last,
die ihr Vater trug, habe ihre Entwicklung und die ihrer Kinder beeinflusst.
Umso wichtiger sei es, die eigene Geschichte gut aufzuarbeiten und sie sich
zu vergegenwärtigen. Im Fall der Maiers gibt es glücklicherweise eine
ausführliche Dokumentation in Buchform, gründlich recherchiert hat das
Schicksal der Verfolgten der Reutlinger Historiker Wilhelm Borth.
Kulturamtsleiter Werner Ströbele hat sich lange gegen Stolpersteine
gewehrt. Lange Zeit hat sich der Reutlinger Kulturamtsleiter Werner
Ströbele gegen Stolpersteine gewehrt – sie markieren den letzten frei
gewählten Wohnort eines Opfers. Er hält das Konzept der kleinen Tafeln im
Trottoir, auf denen herumgetreten wird, für angreifbar. Zumal selbst
prominente jüdische Stimmen – allen voran Charlotte Knobloch, die frühere
Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland – die Arbeit Demnigs
kritisiert hatten. 'Auf dem Boden sind die Opfer wieder schutzlos – wie
einst', kommentierte sie das Konzept. Würdiges Gedenken müsse auf Augenhöhe
stattfinden. Nicht einfacher machte die Debatte die Entscheidung einer
Reutlinger Sinti-Familien gegen Stolpersteine für ihre in einem
Konzentrationslager ermordeten Angehörigen. An dem Haus, in dem die Familie
bis zu ihrer Deportation nach Auschwitz lebte, wurde schließlich eine Tafel
aufgehängt. Der Beschluss des Reutlinger Gemeinderats aus dem Jahr 2015,
Stolpersteinen zuzustimmen, hat Tatsachen geschaffen. 'Es wird vorerst aber
wohl keine weiteren Stolpersteine geben', sagt der Kulturamtsleiter
Ströbele, er kenne keine private Initiative, die sich darum kümmere.
Grundsätzlich habe Reutlingen keinen Nachholbedarf, was die Aufarbeitung der
NS-Zeit angeht, sagt Ströbele. Es gebe ein Gedenkbuch für die Opfer des
NS-Regimes, das in der Marienkirche ausliege, sowie verschiedene Gedenkorte
und -veranstaltungen. Wenig erfreut über die Stolpersteine, die vor seiner
Haustür in der Kaiserstraße verlegt werden, ist Johann Schenzle. 'Da kann
man nichts machen, wenn der Gemeinderat so entscheidet', sagt der
81-Jährige, der im ersten Stock wohnt. Er öffnet bereitwillig seine Haustür
für Besucher. Grundsätzlich aber hat er Sorge, dass Rechtsradikale Anstoß an
den Tafeln nehmen und aufdringlich werden könnten. 'Ich hoffe, dass die uns
nicht belästigen.'"
Link zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Bernd
Serger/Karin-Anne Böttcher: Es gab Juden in Reutlingen.
Geschichte - Erinnerungen - Schicksale. Ein historisches Lesebuch. Hg. vom
Stadtarchiv beim Kulturamt Reutlingen. Reutlingen 2005 ISBN
3-033820-67-7. 591 S. zahlr. Abb. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Reutlingen Wuerttemberg. A
Jewish settlement existed in the 13th century. The Jews were attacked in the
Black Death persecutions of 1348-49 and expelled in 1495. The settlement was
renewed in the 19th century and umbered 60 in 1890 (total 18,542). It was
attached to the Tuebingen community in the
ealry 20th century. Of the 54 Jews in the city in 1933, at least 31 left. Of the
12 who were expelled, two survived.
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