In Tübingen bestand eine jüdische Gemeinde im Mittelalter
und im 19./20. Jahrhundert bis 1939.
Mittelalter
Im Mittelalter werden Juden erstmals 1335 genannt. Von
einer Judenverfolgung während der Pestzeit 1348/49 ist nichts bekannt. Das
mittelalterliche Wohngebiet konzentrierte sich auf die heute noch sogenannte
"Judengasse" (1943 vorübergehend in Schotteigasse umbenannt), die das sog.
"Süße Löchle" (abgeleitet vom Duft der Gewürzhändler oder von einem Juden namens Süßlin) mit
umfasst. In der Judengasse befanden sich die Einrichtungen der jüdischen
Gemeinde, vor allem eine Synagoge (s.u.). Rituelle Bäder scheinen in mehreren Häusern vorhanden gewesen zu sein; noch heute befinden sich in den Kellern der Gebäude Judengasse 1,3A und 7 wannenartige Brunnen (Funktion jedoch nicht eindeutig geklärt). Ein Friedhof
lässt sich in unmittelbarer Nähe der Stadt nicht nachweisen. Möglicherweise wurde der jüdische Friedhof in Rottenburg mitbenutzt.
1477
wies anlässlich der Universitätsgründung Graf Eberhard V. im Bart alle Juden
aus der Stadt aus.
Die mittelalterliche "Judengasse" in Tübingen (Fotos: Hahn; Aufnahmedatum 27.6.2020)
Ansichten der "Judengasse" im
Juni 2020 mit Querstraße "Süßes Löchle", Straßenschild und Hinweistafel.
Text: "Judengasse. In der Judengasse und im Süßen Löchle wohnten
im Mittelalter die Tübingen Juden. Ihre Ansiedlung in diesem Quartiert unter
dem Schutz der Pfalzgrafen von Tübingen ist allerdings erst seit 1335
urkundlich belegt. Nach mehreren, schweren Verfolgungen - man machte sie
z.B. für die Pest von 1348 verantwortlich - wies Graf Eberhard sie anlälich
der Gründung der Universität 1477 aus der Stadt. Erst um die Mitte des 19.
Jahrhunderts ließen sich wieder Juden in Tübingen nieder. Unter der
nationalsozialistischen Herrschaft wurden zwischen 1933 und 1945 auch die
Tübinger Juden wieder verfolgt, ihre Synagoge zerstört und viele in
Konzentrationslagern ermordet".
19./20. Jahrhundert
Seit den 1850er-Jahren war wieder eine Ansiedlung jüdischer Personen möglich.
Als erster konnte sich 1852 Leopold Hirsch aus Wankheim
in der Stadt niederlassen, dem bald weitere Familien folgten. Im Jahr der
Synagogeneinweihung 1882 wurde die jüdische Gemeinde nach 400 Jahren neu gegründet.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Zahl der jüdischen
Einwohner wie folgt: 1869 34 jüdische Einwohner (0,4 % von insgesamt etwa
9.300 Einwohnern), 1886 106, 1900 100 (0,7 % von 15.338), 1910 139 (0,7 % von
19.076), 1925 82 (0,4 % von 20.276). Zur jüdischen Gemeinde in Tübingen
gehörten 1924 die in Reutlingen und Rottenburg am Neckar lebenden jüdischen
Einwohner (1924 36 bzw. 6 Personen), 1932 waren die in Balingen, Bronnweiler,
Gomaringen, Metzingen, Reutlingen, Rottenburg und Tailfingen lebenden jüdischen
Personen der Tübinger Gemeinde angeschlossen. In der Umgebung von Tübingen
gab es auch noch jüdische Firmen u.a. in
Mössingen.
Die Integration der jüdischen Neubürger
ging schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasch vonstatten: der Kaufmann Leopold Hirsch war Mitglied der Stadtgarde
zu Pferd, der Bankier Friedrich Weil und der Optiker Jakob Dessauer gehörten
dem Bürgerverein an, Rechtsanwalt Simon Hayum war Gemeinderat.
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.) und
eine jüdische Religionsschule. Die Toten der Gemeinde wurden auf dem jüdischen
Friedhof in Wankheim beigesetzt. Zur
Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Religionslehrer angestellt,
der zugleich als Kantor und Schochet tätig war. Die Gemeinde gehörte zum
Rabbinatsbezirk Mühringen beziehungsweise
nach Verlegung des Rabbinatssitzes 1913 zum Rabbinatsbezirk Horb.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Ernst Degginger
(geb. 23.6.1898 in Tübingen, gef. 31.3.1918) und Julius Stern. Ihre Namen stehen im Gedenkbuch der Stadt für die
Gefallenen.
Um 1924, als zur Gemeinde 82 Personen gehörten, waren die
Gemeindevorsteher Dr. Julius Katz, Jakob Oppenheim, Kuno Lehrmann, Adolf
Dessauer, Ludwig Marx und B. Dreifuß. Als Lehrer und Kantor war Kuno Lehrmann
tätig. Er erteilte 16 Kindern an der Religionsschule der Gemeinde den
Religionsunterricht; gleichfalls gab er Religionsunterricht an den höheren
Schulen der Stadt. 1932 war Gemeindevorstand Dr. Katz. Als
Religionsoberlehrer war (seit 1925) Dr. Josef Wochenmark tätig (wohnt Wöhrdstraße 23); er
unterrichtete im Schuljahr 1931/32 14 Kinder. An jüdischen Vereinen werden vor
allem der Frauenverein und der Synagogenchorverein
genannt.
An ehemaligen, teilweise bis nach 1933 bestehenden Handels- und Gewerbebetrieben
in jüdischem Besitz sind bekannt: Fabrikant Adolph Bernheim (wohnt
Stauffenbergstraße 27); Damenkonfektions- und Aussteuergeschäft Eduard
Degginger, (Neue Straße 16), seit 1905 von Jakob Oppenheim weitergeführt, danach Damenkonfektionsgeschäft Eduard Degginger Nachfolge (Inh. Jakob Oppenheim und Albert Schäfer) (Neue
Straße 1, 1912-1938), Viehhandlung Simon Degginger (Lange Gasse 36), Optiker und Graveur Adolf Dessauer (Neckargasse 2,
Uhlandstraße 16, 1914), Pferdehandlung Martin Erlanger (Fürststraße 7), Rechtsanwaltskanzlei Dr. Simon
Hayum, Dr. Julius Katz und seit 1929 auch Dr. Heinz Hayum (Uhlandstraße 15, 1905-1935), Herrenkonfektionsgeschäft Leopold Hirsch
(Kronenstraße 6, 1859-1938 von Fam. Hirsch betrieben), Weißwarengeschäft Heinrich & Max Katz (Am Holzmarkt 2, 1876-1901), Viehhandlung Max und Emil Löwenstein (Herrenberger
Straße 2, seit 1925 Hechinger Straße 9, 1913-1937), Tapeten-, Linoleum- und Farbengeschäft Hugo Löwenstein
(Wilhelmstraße 3), Herrenkonfektionsgeschäft Julius Stern, seit 1930 Gustav Lion (Neckargasse 4a, 1910-1933), Viehhandlung Liebmann und Max Marx (Herrenberger
Straße 2, seit 1904 Herrenberger Straße 46, bis 1901-1923), Zeitungsverleger Albert Weil
(Uhlandstraße 2, 1903-1930), Bankkommandite Siegmund Weil (Wilhelmstraße 22, 1910-1934).
Um 1930 machte
sich die nationalsozialistische antijüdische Hetze
bemerkbar. Die Studenten-SA verprügelte bereits 1931 jüdische Bürger und
beschmierte jüdische Geschäfte.
1933 wurden 88 jüdische Einwohner in der Stadt gezählt (0,4 % von
insgesamt 23.257). Die Tübinger Studentenschaft war stark antijüdisch
eingestellt. Am 7. Februar 1933 forderte der Allgemeine Studentenausschuss einen
Professor auf, seinen jüdischen Assistenten durch einen "deutschen"
zu ersetzen. Durch die Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, die zunehmende
Entrechtung und die ständigen Repressalien verließ ein Teil der jüdischen
Einwohner bereits bis 1938 die Stadt. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die
Synagoge niedergebrannt. 1941 und 1942 wurden 14 der letzten jüdischen
Einwohner nach Riga, Izbica, Theresienstadt und Auschwitz deportiert.
Von den in Tübingen geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Julie Babette Berger
geb. Dessauer (1883), Lina Bloch geb. Liebmann (1876), Werner Dahl (1921), Erich
Dessauer (1887), Ernst Nathan Dessauer (1882), Walter Alexander Edel (1886),
Anne Erlanger geb. Dessauer (1883), Fritz Erlanger (1913), Terese Erlanger
(1883), Heinz Feigenheimer (1916), Margarete Frank geb. Dahl (1917), Arthur
Hirsch (1886), Elisabeth Klara Lammfromm (1869), Elsa Laupheimer geb. Katz
(1880), Kläre (Käte) Levi geb. Abel (1920), Cäcilie Lewinsohn (1880), Rudolf
(Raphael) Lewkowitz (1897), Ilse Löwenstein geb. Bloch (1914), Max Löwenstein
(1874), Sofia Löwenstein geb. Liebmann (1879), Blanda Marx geb. Schwarz
(1878), Marga Marx geb. Rosenfeld (1909), Ruth Marx (1933), Mina Mayer geb. Weil
(1877), Dr. Albert Pagel (1885), Charlotte Pagel (1894), Ilse Plotke geb. Levy
(1915), Philippine Reinauer (1860), Sofie Reinauer (1869), Charlotte Schemel
geb. Pagel (1894), Selma Schäfer geb. Seemann (1887), Julius Berthold Spier
(1925), Elfriede Spiro (1894), Hans Spiro (1898), Hermann Stettiner (1911),
Klara Wallensteiner geb. Reichenbach (1869), Carl Weil (1879), Sofia Weil geb.
Mayer (1852), Josef Wochenmark (1880), Bella Wochenmark geb. Freudenthal (1887),
Karl Wolff (1905), Alexius Ziegler
(1911).
An die Opfer der Verfolgungszeit 1933 bis 1945 erinnert eine 1983 am Holzmarkt (Mauer zur Stiftskirchenseite) angebrachte Gedenktafel. – Im Foyer der Neuen Aula der Universität in der
Wilhelmstraße erinnert seit 1984 eine Gedenktafel an 11 ermordete ehemalige Tübinger Studenten, die in Verbindung mit dem Widerstandskreis des 20. Juli standen (darunter Dr. Fritz Elsas, vgl. Bad Cannstatt). - Auf dem
Wankheimer jüdischen Friedhof findet sich seit 1947 ein Gedenkstein mit den Namen von 14 ermordeten Tübinger Juden.
Im mittelalterliche Wohngebiet, der
heute noch sogenannten
"Judengasse", befand sich eine Synagoge,
möglicherweise am Platz einer inzwischen abgebrochenen Scheune zwischen
Judengasse 2 und 4 (früheres Gebäude Nr. 276).
Nachdem in den 1850er-Jahren die ersten Juden aus Wankheim nach Tübingen
gezogen waren, benutzten diese und auch die in den folgenden Jahren zuziehenden
Familien die kultischen Einrichtungen der Wankheimer
Gemeinde. Im Mai 1882 wurde auf Antrag des Israelitischen Kirchenvorsteheramtes
Wankheim von der Israelitischen Oberkirchenbehörde beschlossen, den Sitz der
die Wohnorte Wankheim, Reutlingen und Tübingen umfassenden jüdischen Gemeinde
nach Tübingen zu verlegen. Kurz zuvor war schon der Abbruch der Wankheimer
Synagoge und der Bau einer neuen Synagoge in Tübingen von der Oberkirchenbehörde
genehmigt worden. Nachdem am Schabbat, dem 8. April 1882 ein feierlicher
Abschiedsgottesdienst in der Synagoge in Wankheim stattgefunden hatte, wurde
diese abgebrochen und - unter Verwendung von Baumaterialien der Wankheimer
Synagoge (Steine, Holzbalken usw.) - mit dem Bau der neuen Synagoge in Tübingen
begonnen. Die Baueingabe wurde am 5. Mai 1882 mit dem schriftlichen Einverständnis
der Grundstücksnachbarn in der Gartenstrasse vorgenommen. Am 13. Mai passierte
sie ohne Einwände den Gemeinderat unter dem damaligen Schultheiß Julius Goes. Bei
einem Gottesdienst in dem von den Stadtbehörden bis zur Fertigstellung der
Synagoge zur Verfügung gestellten Interimslokal deutete der Mühringer
Bezirksrabbiner Dr. Michael Silberstein den freundlichen Empfang als Beweis,
dass in Tübingen "ein heller, lichter Geist, der Geist des gegenseitigen
Wohlwollens, der Achtung, der Duldung herrscht und waltet". In achtmonatiger
Bauzeit konnte unter der Leitung von Oberamtsbaumeister Riekert die neue
Synagoge auf dem Grundstück Gartenstrasse 33 erstellt werden. Es war ein von
Osten nach Westen gestreckter Längsbau im Grundriss von 8,85 m auf 14,07 m, für
den ein Mischstil von klassizistischen Formen (mit Anlehnungen an die
Renaissance und Romanik) und maurischen Formen charakteristisch war. Im Betsaal
war traditionell die Decke mit Sternen bemalt, blau auf weißem Hintergrund.
Die feierliche Einweihung der Synagoge fand am
Freitag und Samstag (Schabbat), dem 8./9. Dezember 1882 statt. Sie fiel
mit dem Chanukkafest dieses Jahres zusammen. Am Freitagnachmittag versammelte
sich eine große Festgemeinde vor dem Haus Gartenstraße 2, um von hier aus pünktlich
um drei Uhr in folgender Reihenfolge zur Synagoge zu ziehen: die jüdische
Schuljugend, die Träger mit den Torarollen, der Rabbiner und die jüdischen
Gemeindevorsteher, die Ehrengäste und die Mitglieder der Gemeinde. Vor dem
Eingang der Synagoge wurde durch eine Musikkapelle ein Choral gespielt, worauf
Bezirksrabbiner Dr. Silberstein eine erste Ansprache hielt. Nach dem Eintritt in
die Synagoge folgte Chorgesang, das Einheben der Torarollen und die Festpredigt
von Dr. Silberstein, der dabei die Synagoge weihte "zu einer Stätte, die
friedlicher Sammlung und Einigung dient". Er ahnte nicht, dass nach ihm nur noch
zwei Rabbiner und sechs Kantoren am Vorbeterpult predigen würden. Nach seiner
Festpredigt folgten nach Gesang, Weihegebet und Chorgesang der
Freitagabendgottesdienst. Am Schabbat war um 9 Uhr Vormittagsgottesdienst und
abends ein Festessen mit anschließendem Programm im unteren Museumssaal. Abends
um halb neun konnte an König Karl nach Bebenhausen ein Telegramm mit dem Inhalt
geschickt werden: "Die Israelitische Gemeinde Tübingen, zur Feier der
Einweihung ihrer neuen Synagoge versammelt, hat soeben den Gefühlen der
Ehrfurcht, der Liebe und Treue gegen Seine Majestät den König Ausdruck gegeben
und wagt es, diesen Ausdruck vor die Stufen des Königlichen Thrones
ehrerbietigst niederzulegen. Bezirksrabbiner und Kirchenvorsteher".
Einweihung der Synagoge (1882)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 26. Dezember 1882: "Heute
fand die Einweihung der von Wankheim nach Tübingen verlegten Synagoge in
festlicher Weise statt. Der Festzug bewegte sich nachmittags durch die
Gartenstraße zur neuen, kleinen und einfach gehaltenen, aber würdig
ausgestatteten Synagoge. Die israelitische Oberkirchenbehörde war bei der
Feier durch Kirchenrat Rabbiner Dr. Wassermann von hier vertreten. Unter
den Ehrengästen bemerkte man den evangelischen Dekan Frank, mehrere
andere evangelische Geistliche, den Oberamtmann Sandberger, den Bürgermeister
und Vertreter von Lehranstalten. Die Festrede hielt der Bezirksrabbiner
Dr. Silberstein von Mühringen."
Hinweis auf die Predigten von
Rabbiner Dr. Silberstein: Letzter Gottesdienst in der Synagoge Wankheim -
Predigt zur Einweihung der Synagoge Tübingen (1882)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 25. Dezember 1882 (längerer
Abschnitt über Neuerscheinungen, darunter Predigten): "…Eine wahrhaft
erbauende Predigt über den Anfang des Gebetes Salomo’s und
schwungreiche Reden bei den einzelnen Akten der Einweihung. Bilden so
diese Reden ein würdiges Denkmal für die abgehaltene Feier, so tut dies
ebenfalls folgende Schrift für einen anderen Platz: Blätter zur
Erinnerung an den Abschied on der Synagoge in Wankheim sowie an die
Einweihung der neuen Synagoge in Tübingen. Vier Predigten nebst einer
Geschichte der Gemeinde von Dr. A. Silberstein (Esslingen, Harburger,
1883).
Lehrer Thalmann hält einen Jugendgottesdienst in der Synagoge
(1885)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 31. März 1885: "Man schreibt uns aus Tübingen vom
11. März: Vergangenen Sonnabend wurde in der hiesigen Synagoge von Herrn
Lehrer Thalmann der erste Jugendgottesdienst abgehalten. Die Kinder,
welche durch die Teilnahme am Schulunterricht vom Besuche des
gewöhnlichen Gottesdienstes abgehalten werden, erhalten dadurch,
abgesehen von der Familienerziehung, Gelegenheit zu beten und das
belehrende Wort der Predigt zu hören. Ein Knabe rezitierte die Gebete und
die andern Kinder, Knaben und Mädchen, übten die Responsorien. Herr
Thalmann schilderte den Kindern den großen Wert des Gebets und das
beseligende Gefühl, das im Herzen durch ein wahrhaftes Gebet entsteht.
Väter und Müller beteiligten sich am Gottesdienste. (Diese Einrichtung
entspricht ganz den Ansichten, die wir jüngst über den Jugendgottesdienst in diesen Blättern
geäußert haben, nur dass die
Predigt, wenigstens abwechselnd, zu einer Katechese werden möge. Mögen
recht viele Lehrer dem Beispiele des Herrn Thalmann folgen!
Redaktion)."
Werbung der für die
Synagogenbeleuchtung verantwortlichen Firma (1886)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. März 1886: "Zulauf
& Co. Inhaber: Wilhelm und Josef Reinach. Mainz und Höchst
am Main.
Fabrik in allen Gas- und Wasserartikeln, Luster, Lampen, Ampeln,
Suspensions, Hähnen, Closets, Badewannen etc. etc.
Spezialität. Synagogenbeleuchtung. Eingerichtet wurden von uns in
allerletzter Zeit die Synagogen Zweibrücken, Saargemünd, Alzey,
Oberstein, Tübingen, Meiningen etc.
etc."
Ein erster Anschlag auf die Synagoge wurde bereits im
Januar 1928 verübt. Mit zwei schweren Steinen wurde eines der großen
Fenster völlig zertrümmert. Die Steine waren so schwer, dass von einem auch
der Rohrgeflechtsitz eines Stuhles im Innern der Synagoge durchschlagen wurde.
Anschlag auf die Synagoge (1928)
Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 16. Februar 1928: "Tübingen. In
der Zeit vom 14. bis 18. Januar dieses Jahres wurden vn ruchloser Hand 2
Steine im Gewicht von je 3-5 Pfund gegen ein Fenster der hiesigen Synagoge
geschleudert, wodurch das Fenster großenteils zertrümmert wurde. Eine dieser
Steine ist im Innern der Synagoge auf den Rohrgeflechtsitz eines Stuhles
gefallen und hat diesen durchschlagen. Die am 18. sofort nach Bekanntwerden
der Untat benachrichtigte Polizei nahm sofort Nachforschungen nach dem Täter
auf, die leider bis heute ohne Erfolg geblieben sind."
Im Herbst 1932 wurde die Synagoge aus Anlass der bevorstehenden Feier ihres
50-jährigen
Bestehens gründlich renoviert. Zu diesem Jubiläum fand am 25. Dezember 1932
eine "weihevolle religiöse Morgenfeier" in der Synagoge statt, zu der sich die
Mitglieder der israelitischen Gemeinde zahlreich versammelt hatten. Oberlehrer
Josef Wochenmark hielt die Festpredigt; Bezirksrabbiner Dr. Abraham Schweizer
sprach als Vertreter des Israelitischen Oberrates. Der Israelitische
Frauenverein, der sich die Ausstattung der Synagoge zu einem besonderen Anliegen
gemacht hatte, stiftete zum Jubiläumsfest einen neuen Vorhang für den
Toraschrein.
Feier zum 50-jährigen Bestehen der Tübinger Synagoge
(1932)
Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. Januar 1933: "Tübingen. Aus
Anlass des 50-jährigen Bestehens der Tübinger Synagoge fand am 25.
Dezember vorigen Jahres eine weihevolle Religiöse Morgenfeier in
der renovierten Synagoge statt, in der sich die Mitglieder der
Israelitischen Gemeinde Tübingen-Reutlingen und ihrer Filialgemeinden
zahlreich versammelt hatten. Wir werden über die Veranstaltung in
nächster Nummer ausführlich berichten."
Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 18. Januar 1933: "50 Jahre Tübinger
Synagoge. Eine Morgenfeier.
Am 25. Dezember vorigen Jahres versammelten sich die Mitglieder der Gemeinde
Tübingen-Reutlingen und ihrer Filialgemeinden in der renovierten und
verschönerten Synagoge in Tübingen zur Abhaltung einer religiösen
Morgenfeier, die dem Gedenken an die Einweihung dieses Gotteshauses vor 50
Jahren gewidmet war. Unter den Erschienenen befanden sich der Präsident der
Israelitischen Landesversammlung, Rechtsanwalt Dr. S. Hayum,
Tübingen, als deren Vertreter, und Bezirksrabbiner Dr. Schweizer,
Horb, als Vertreter des Israelitischen
Oberrats.
Nach einem Violinsolo des Tübinger Geigers Nuding, dem Vortrag eines
von Religionsoberlehrer Wochenmark verfassten sinnvollen Prologs 'Das
Haus Gottes' durch Frl. Ilse Löwenstein und dem von Siegfried
Löwenstein dirigierten Chorgesang 'Wie lieblich ist deine Wohnung, o
Herr' wurde das Hallel im Wechselgesang gebetet, woran sich die
Toraverlesung anschloss. In der darauf folgenden Festpredigt kennzeichnete
Oberlehrer Wochenmark Wesen, Zweck und Bedeutung der Andachtsstätten
des Judentums entsprechend ihren Bezeichnungen als 'Haus Gottes', 'Haus des
Gebetes' und 'Haus der Versammlung' in eindrucksvollen Worten. Er erinnerte
sodann daran, mit welchem Eifer und mit welcher Opferwilligkeit vor 50
Jahren die kleine Gemeinde Tübingen, die nicht viel mehr als 20 jüdische
Familien zählte, die Errichtung ihrer Synagoge betrieb, nachdem die
Muttergemeinde Wankheim bis auf eine Familie zusammengeschrumpft und die
dortige Synagoge baufällig geworden war. Er hob namentlich das Verdienst des
Ältesten der Tübinger Gemeinde, Gustav Hirsch, hervor, dessen
tatkräftiger Ausdauer die Tübinger Synagoge hauptsächlich ihre Entstehung zu
verdanken hat. Er würdigte auch die treue Mithilfe, welche er bei seinen
damaligen Gemeindemitgliedern fand, von denen außer G. Hirsch, Adolf
Dessauer, Simon Degginger, Salomon Spiro und die Frauen Fanny
Liebmann, Johanna Katz, Johanna Hilb und Luise Spiro noch unter
den Lebenden weilen. Der Redner hob auch die Opferwilligkeit der
gegenwärtigen Gemeinde Tübingen-Reutlingen hervor, welche trotz der schweren
Zeit beträchtliche Mittel für die Instandsetzung der seit 50 Jahren
bestehenden Synagoge aufgebracht und durch Einzelstiftungen von
Kultgegenständen die innere Ausstattung der Synagoge vervollkommnet hat.
Oberlehrer Wochenmark dankte dann der Gemeinde für ihre Opferwilligkeit und
dem Israelitischen Oberrat für seine Unterstützung des
Erneuerungswerks. Besonders hob er die vorbildliche treue Sorgfalt hervor,
mit welcher der Israelitische Frauenverein seit seinem Bestehen um
die Ausstattung der hiesigen Synagoge sich müht, und der zum Jubiläumsfeste
einen neuen Vorhang für die heilige Lade gestiftet hat. Nach einem für die
Gemeinde und das Gotteshaus gesprochenen Gebet wurde der verstorbenen
Rabbiner, Vorsteher und Einzelmitglieder der Gemeinde Tübingen-Reutlingen in
einer Seelenfeier gedacht. Nach dem Chorlied 'Der Mensch lebt und bestehet
nur eine kleine Zeit' bestieg Bezirksrabbiner Dr. Schweizer,Horb doie Kanzel und schilderte seine
bisherige Wirksamkeit als Rabbiner in der Gemeinde Tübingen, der er zum
Jubelfeste seine Glückwünsche aussprach. Auch er hob die Verdienste Gustav
Hirschs um die Tübinger Synagoge hervor. Im Auftrage des Israelitischen
Oberrats verlas er dann dessen Glückwunschschreiben. Das deutsch
vorgetragene Olenu-Gebet und das Kaddisch der Trauernden bildeten den
Abschluss der eindrucksvollen Feier."
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge zerstört. Um Mitternacht vom 9. auf den 10. November plünderten zunächst zehn Männer und eine Frau die Synagoge und warfen die Torarollen in den Neckar. Unter den Plünderern befanden sich der damalige Kreisleiter der NSDAP und der damalige Bürgermeister. Zwischen drei und vier Uhr in der Frühe wurde die Synagoge in Brand gesteckt. Ein Nachbar eilte zu Hilfe und wollte die Feuerwehr alarmieren, wurde jedoch von SA-Männern daran gehindert. Die Feuerwehr traf erst verspätet ein und verhinderte nicht das völlige Ausbrennen der Synagoge. Erst am Morgen kamen Tübinger Bürger, um sich die Ruinen anzusehen. Der völlige Abbruch der Synagoge musste von der jüdischen Gemeinde bezahlt werden.
Das Synagogengrundstück wurde 1940 weit unter Preis an die Stadt Tübingen veräußert. Nach der Beschlagnahmung durch die Alliierten 1945 kam es an die Jüdische Vermögensverwaltung JRSO, die es 1949 an die Israelitische Kultusvereinigung Stuttgart verkaufte. Von ihr wurde das Grundstück 1951 an einen Privatmann weiterverkauft, der darauf ein Wohnhaus errichtete. Die Brandstifter der Synagoge, derer man noch habhaft werden konnte, wurden 1946 und 1949 vor Gericht gestellt und zu Zuchthausstrafen von einem Jahr und acht Monaten beziehungsweise zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
An die Synagoge erinnerte nach der Neubebauung nur noch der aus der Gründerzeit erhaltene Umfassungszaun. Erst
1978 wurde zur Erinnerung an die Synagoge eine Gedenkinschrift am seitdem sogenannten
"Synagogenbrunnen" angebracht. Die erste Inschrift löste vielfachen Protest aus ("Hier stand die Synagoge der Tübinger Jüdischen Gemeinde. Sie wurde in der Nacht vom 9./10. November 1938 wie viele andere in Deutschland niedergebrannt"). Sie wurde 1979 durch eine weitere Inschrift ergänzt: "Zum Gedenken an die Verfolgung und Ermordung jüdischer Mitbürger in den Jahren 1933-1945". 2000/01
wurde der Synagogenplatz neu überbaut und ein Denkmal Synagogenplatz gestaltet mit Texttafeln und Inschriften
(Einweihung November 2000). Das Denkmal ist Ausgangsstation eines Tübinger Geschichtspfades.
Die Synagoge in der Gartenstraße Tübingen 1882-1938
Ausschnitte eines Stadtplanes
von Tübingen
(um 1900) - Gartenstraße mit Eintragung
der Synagoge
Die Synagoge Tübingen -
Anstrich mit
maurisch-islamischem Stilelementen
(um 1885)
Die Synagoge - weiß
gestrichen (um 1930)
(Quelle: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe.
1932. S. 129)
Weitere Außenansicht (nach
1900). Quelle:
Stadtarchiv Tübingen (Walter Kleinfeldt)
Innenansicht - Blick zur
Empore
(Quelle: Stadtarchiv Tübingen)
Innenansicht - Blick zum
Toraschrein
(Quelle: Stadtarchiv Tübingen)
Die Zerstörung der
Synagoge 1938 (Quelle: L. Zapf s. Lit. Tafel I)
Die brennende Synagoge
Jüdische Geschäfte in
Tübingen
- Beispiel Kaufhaus Degginger (Quelle: Stadtarchiv Tübingen;
Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 27.6.2020)
Das Kaufhaus Degginger
unterhalb der Stiftskirche
(links im Hintergrund erkennbar)
Tafel zur Erinnerung an
das Kaufhaus Degginger
gegenüber der Mauer um den Kirchhof
Das
ehemalige Kaufhaus Degginger an der Ecke Holzmarkt/Neue Straße; davor
Stolpersteine zur Erinnerung an Personen aus den Familien Oppenheim und
Schäfer, die das Kaufhaus Degginger innehatten für Jakob Oppenheim,
Erinnerung an Rosalie
Weil geb. Herrmann
in der Hirschgasse 1
- Beispiel für weitere "Stolpersteine" in der Stadt
"Stolperstein" in der Hirschgasse 1 für Rosalie Weil geb. Herrmann (geb.
1871 in Stuttgart, ermordet 1940 Tötungsanstalt Grafeneck). Rosalie war seit
1896 verheiratet mit Sigmund Weil, mit dem sie 1903 nach Tübingen zog.
Sigmund Weil wurde war zusammen mit seinem Bruder Albert Weil Teilhaber am
Verlag der "Tübinger Chronik". Siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine_in_Tübingen_Innenstadt
Fotos nach 1945/Gegenwart:
Fotos um 1985
des 1978 aufgestellten Gedenk-Brunnens:
(SW-Fotos: Hahn)
Blick auf das
Synagogengrundstück
mit Gedenkbrunnen rechts hinter
dem Auto
Foto 1998 mit derselben
Ansicht
(Quelle: cityinfonetz - hier
anklicken)
Der Brunnen
Gedenkinschrift
für die
Synagoge
Gedenkinschrift für die
umgekommenen jüdischen Tübinger
Fotos um 1998/2000
Die umstrittene Neubebauung
des Synagogenplatzes und
die
Neugestaltung der Gedenkstätte
Zur Neubebauung wurde das
Grundstück abgeholzt
Reste der Synagogengrundmauer
wurden entdeckt
Demonstration für den
Erhalt
der Grundmauern
Der Neubau auf dem Grundstück
wird erstellt;
links ist der Umfassungszaun aus
Synagogenzeiten zu sehen
November 2009:
Fotograf des Synagogenbrandes von 1938 ist
namentlich bekannt
Foto
links von Richard von Frankenberg: Vor 71 Jahren ging die Tübinger
Synagoge in Flammen auf.
Artikel von Michael Petersen in der "Stuttgarter Zeitung" vom 9.
November 2009 (Artikel):
"Geheimnis gelöst - Foto der Synagoge in Flammen.
Tübingen - Von einem "eindrucksvollen Zeugnis eines Verbrechens", spricht die Tübinger Kulturamtsleiterin Daniela Rathe. Gemeint ist das Foto der brennenden Tübinger Synagoge, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Flammen aufging. Wie so viele andere war dieses Gotteshaus von NSDAP-Mitgliedern in Brand gesteckt worden. Das Foto ist seit langem bekannt, die Abzüge lagern im Staatsarchiv Sigmaringen.
"Das Foto stammt von einem 16-Jährigen mit jüdischem Hintergrund, der das Bewusstsein gehabt hat, dass Unrecht geschieht."
Tübingens Stadtarchivar Udo RauchIn Funk und Fernsehen widmete sich von Frankenberg verkehrspolitischen Themen. Gerade jungen Leuten versuchte der als Draufgänger bekannte Autofahrer die Bedeutung der Sicherheit im Straßenverkehr
nahezubringen. Mit Vollgas durchs Leben. Eine ganz andere Seite dieses Mannes beschäftigte sich mit der Aufarbeitung der Nazijahre. So schrieb von Frankenberg unter dem Pseudonym Herbert A. Quint gemeinsam mit dem rechtskonservativen Schriftsteller Walter Görlitz die erste deutsche Hitler-Biografie. Auch philosophische Themen griff er als Autor auf. Richard von Frankenberg starb am 13. November 1973 bei einem Verkehrsunfall auf der Autobahn bei Stuttgart. Ein Ford Transit hatte seinen Porsche abgedrängt.
Aus Richard von Frankenbergs erster Ehe stammt Donald von Frankenberg, geboren 1951 in Stuttgart. Der Künstler ist in den letzten Jahren mehrfach auf eine Biografie seines Vaters angesprochen worden. Die lag bis dahin nicht vor. In der Folge hat Donald von Frankenberg, der inzwischen in Kiel wohnt, das Projekt selbst in die Hand genommen. Das Buch "Richard von Frankenberg - mit Vollgas durchs Leben" ist soeben erschienen.
Die Familie seines Vaters hatte nach 1933 in Tübingen gelebt. Donald von Frankenberg war davon wenig bekannt. "Als mein Vater starb, war ich 22", berichtete er jetzt in Tübingen bei einer Veranstaltungsreihe "71 Jahre Progromnacht". Damals habe er nur wenige Fragen gestellt. "Und die Eltern erzählen ihren Kindern sowieso nichts aus ihrem Leben", lautet Donald von Frankenbergs Erfahrung. Jüdische Wurzeln. Er wandte sich 2007 an Tübingens Stadtarchivar Udo Rauch mit der Frage, wo denn seine Eltern in Tübingen gelebt hätten. Das ließ sich schnell herausfinden, in der Gartenstraße 34, schräg gegenüber der Synagoge. Der Vater war der Schriftsteller Alex-Victor von Frankenberg und Ludwigsdorf, die Mutter Irene-Konstanze von Brauchitsch. Aus ihrer Familie stammt der Generalfeldmarschall der NS-Zeit, Walther von Brauchitsch und auch der Rennfahrer Manfred von Brauchitsch. Dessen furchtloser Einsatz im Mercedes-Silberpfeil beim Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring bewunderte der junge Richard von Frankenberg vor Ort.
Der Großvater von Alex-Victor von Frankenberg mütterlicherseits war Jude. Das war der Polizei bekannt, wie der Tübinger Historiker Hans-Joachim Lang herausgefunden hat. Und Richard von Frankenberg hat die jüdische Abstammung wohl schon 1933 zu spüren bekommen, als er offenbar das Freibad nicht besuchen durfte. Die aktuelle Anfrage machte in Tübingen die Runde. So führte die Spur zum Nachlass von Lilli Zapf. Die hatte sich in den sechziger Jahren intensiv mit dem Schicksal der Tübinger Juden beschäftigt. Nach ihr werden jedes Jahr Jugendgruppen für Bürgermut und Solidarität ausgezeichnet. Fotografieren war verboten. In Lilli Zapfs Unterlagen fand sich ein Brief von Richard von Frankenbergs Mutter, die in der Nacht des 9. November 1938 ihren Sohn beobachtet hatte: "Mein Sohn mischte sich unter die Menge und fing an Aufnahmen zu machen, da kam ein Mann, halb in Uniform und sagte, was machst du denn da, worauf er einfach sagte, ich fotografiere". Fotografieren war streng verboten. Der Mann spulte den Film zurück, belichtete ihn aber nicht. So blieben Richard von Frankenbergs Aufnahmen von der um vier Uhr früh
brennenden Synagoge erhalten. Stadtarchivar Rauch stellt heute fest: "Das Foto also stammt von einem 16-Jährigen mit jüdischem Hintergrund, der offensichtlich das Bewusstsein gehabt hat, dass hier Unrecht geschieht".
Donald von Frankenberg, der seinem Vater durchaus ähnlich sieht, hat erst Philosophie und Geschichte studiert und später Medizin. Er arbeitete als Arzt und seit 1996 als freischaffender bildender Künstler. Richard von Frankenberg: Mit Vollgas durchs Leben. Autor: Donald von Frankenberg, Verlag Delius Klasing. 215 Seiten, 32 Euro."
November 2011:
Die "Tübinger Torascheibe" wird an die
Erben zurückgegeben
Artikel von Raimund Weible im
"Schwäbischen Tagblatt" vom 24. November 2011: "Ende
eines Beutekunst-Kapitels. Tübingen gibt Thorascheibe an Erben
zurück. Nach langer, aber erfolgreicher Suche: Die Stadt Tübingen
übergibt heute eine Thorascheibe aus ihrem Museumsbestand an den Enkel
ihres Stifters..." Link
zum Artikel
Weiterer Artikel hierzu ebd.: "Verneinung der Vergangenheit. Avner
Falk entwickelte seine Geschichte einer
Thorarolle..." Link
zum Artikel
Weiterer Artikel von Gisela
Dachs in der Zeitschrift "Die Zeit" vom 19. Januar 2012: "Freund
der Juden? Der evangelische Theologe Otto Michel, der nach 1945 für
eine neue deutsche Judaistik stand, verschwieg seine braune
Herkunft". Link
zum Artikel
Februar
2012: Dr. Avner Falk sucht die
"drei verlorenen Schwestern" der Torascheibe
Anfrage von Dr. Avner Falk:
"Die oben in den Artikeln genannte Scheibe vom Ez Chajim der
Thorarolle stiftete mein polnisch-jüdischer Großvater 1927 der Synagoge von Zgierz. Diese wurde 1939 von deutschen Soldaten niedergebrannt, die Thorarolle zerrissen, und der Ez Chajim zerbrochen. Mein Großvater starb 1941 im Ghetto von Lodz.
Nun habe ich diese Thorascheibe erhalten und restauriert, und möchte ihre drei verlorene "Schwestern" finden. Zu diesem Zweck suche ich jüdische Museen, bzw. Judaica-Händler, die diese Scheiben gesehen, gekauft oder verkauft haben könnten. Falls Sie solche Museen oder Händler kennen, oder Falls Sie eine andere Idee haben, wie man die drei verlorene Thorascheiben finden könnte, so wäre ich Ihnen tief dankbar, wenn Sie mir diese Auskünfte zukommen lassen"
- E-Mail-Adresse von Dr. Falk bzw.
avner.falk[et]usa.net
Dezember
2012:Eine neue Gedenktafel für die
1938 zerstörte Synagoge wird angebracht
Artikel im "Schwäbischen
'Tageblatt" vom 7. Dezember 2012: "Ein Zeichen setzen. Förderverein für jüdische Kultur enthüllt Tafel
Der vor wenigen Monaten gegründete 'Förderverein für jüdische Kultur' enthüllt am kommenden Sonntag, 9. Dezember, eine Hinweistafel. Sie erinnert an die Synagoge, die in der Reichspogromnacht von den Nazis zerstört wurde. Tübingen. Der zahlenmäßig kleine Verein hatte seine Gründungsversammlung im September. Zwölf Mitglieder sind darin engagiert, unter ihnen der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel, der einstige Pfarrer Helmut Zwanger und AL-Stadtrat Bruno Gebhardt-Pietzsch. Vorsitzender des Vereins ist Harald Schwaderer, der früher für die DKP im Stadtrat saß.
Insbesondere 'denkmalschützerische Aktivitäten' will der Verein angehen, so Schwaderer. Er denkt an die Sicherung, Bewahrung und Präsentation der Reste der von den Nazis in der Pogromnacht zerstörten Synagoge in der Gartenstraße. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 legten sie die Synagoge in Schutt und Asche. Übrig blieben zwei Treppenstufen, einige Fundamentsteine und ein Teil des kunstvoll geschmiedeten Gartenzauns.
Was der Verein noch alles bewerkstelligen kann, soll die Diskussion in den nächsten Wochen und Monaten zeigen, sagt Schwaderer. Angedacht sind Literatur- und Filmabende oder Hebräisch-Kurse. Zunächst jedoch wollen die Mitglieder
'ein Zeichen setzen', sagt der Vorsitzende. Er will an jüdisches Leben in Tübingen erinnern, denn Anfang der 1930er Jahre lebten über 90 Tübinger jüdischen Glaubens in der Uni-Stadt.
Und er will die Eröffnung der Tübinger Synagoge vor 130 Jahren ins Gedächtnis rufen. Am 8. Dezember 1882 öffnete das jüdische Versammlungs- und Gebetshaus erstmals seine Türen. So enthüllt der Verein zusammen mit der Tübinger Geschichtswerkstatt am Sonntag um 15 Uhr vor dem früheren Eingangsbereich in der Gartenstraße 33 (Synagogenplatz) eine 55 mal 40 Zentimeter große Hinweistafel aus Aluminium – mit einem erläuternden Text und einem Bild der Synagoge." Link
zum Artikel
August 2017:
Initiative möchte "Stolpersteine" in Tübingen verlegen
Artikel von Wolfgang
Triebold im "Schwäbischen Tagblatt" vom 19. August 2017: "Gedenken: Die
größten Stolpersteine sind im Rathaus. Eine Tübinger Initiative möchte in
der Innenstadt an die vertriebenen und ermordeten Juden erinnern. Vor zwei
Monaten vermeldete das TAGBLATT aus dem Tübinger Kulturausschuss: 'Mehrheit
für Stolpersteine möglich'. Denn im Gemeinderat zeichnet sich eine Mehrheit
für diese Form des Gedenkens ab, die bislang an der Tübinger
Verwaltungsspitze, zumindest teilweise, abgelehnt wird.
In der Innenstadt kursieren inzwischen Faltblätter der 'Tübinger
Stolperstein-Initiative' um den Chemieprofessor Günter Häfelinger. Das
langjährige Mitglied der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde hatte im Sommer
vergangenen Jahres im 'Förderverein für jüdische Kultur' die Gründung einer
Tübinger Stolperstein-Gruppe angeregt. Sie besteht mittlerweile aus 14
Personen und hat bereits mindestens 2500 Euro an Spendengeldern eingeworben.
Unterstützt wird sie sowohl vom Kirchengemeinderat der Bonhoeffer-Gemeinde
als auch vom Engeren Rat der sieben Evangelischen Kirchen und von der
Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen. Außerdem wurden 460 Unterschriften
gesammelt. 'Ich bin nur sehr wenigen Menschen begegnet, die definitiv
dagegen sind', sagt Günter Häfelinger. Einer von ihnen ist Boris Palmer.
Eines seiner Argumente war, berichtet Häfelinger von einem Treffen, der
Künstler und Stolperstein-Verleger Gunter Demnik wolle nur 'am Leid der
Juden verdienen', er vertrete ein rein kommerzielles Konzept. Häfelinger
findet das abwegig: Bei 120 Euro pro Stein sei das 'ein Totschlagargument'.
Denn 'überzogen ist das nicht'. Trotz einer sich abzeichnenden Zustimmung im
Gemeinderat gilt es offenbar, erst einmal einige politische Stolpersteine
aus dem Weg zu räumen. Auch deshalb ein kurzer Überblick über den Stand der
Dinge: Die Stadtverwaltung sieht in dem seit vergangenem Jahr bestehenden
Geschichtspfad eine ausreichende und 'angemessene Form des Erinnerns'.
Tübingen schlage 'andere erinnerungskulturelle Wege ein', zeigt man sich im
Rathaus überzeugt, 'die es erlauben, Zusammenhänge zu begreifen und
Einzelschicksale in ihrer Vielfalt darzustellen'. Häfelinger lässt das nicht
gelten: 'Es gibt nur drei Stelen, auf denen Opfer benannt werden, ansonsten
geht es nur um die Täter.' Die Stolpersteine dokumentierten 'individuelles
Schicksal'. Im Rathaus folgt man jener Position, wie sie neben der
Geschichtswerkstatt die Münchner Israelitische Kultusgemeinde und ihre
Präsidentin Charlotte Knobloch vertreten, die glaubt, die Namen von
Holocaust-Opfern auf den Messingtafeln im Trottoirpflaster würden noch
einmal mit Füßen getreten. Die Tübinger Kommission 'Kultur des Erinnerns'
empfahl vor nunmehr acht Jahren ebenso, der aufkommenden
Stolperstein-M(eth)ode nicht zu folgen. Die 'erheblichen Bedenken der
Verwaltung beziehen sich auf die spärlichen Informationen, die ein solcher
Stein mitteile, aber auch auf kritische Stimmen von Angehörigen ehemaliger
Tübinger Juden. Außerdem wurde Demnig Ungenauigkeit bei der Wortwahl
('Nazi-Terminologie') vorgeworfen. In der Verwaltungsvorlage wird betont,
dass die Initiative nicht auf aktive Unterstützung aus dem Rathaus hoffen
könne. Immerhin suchte man den Kontakt zu sieben Vertretern der betroffenen
jüdischen Familien, von den zwei antworteten und grundsätzlich Zustimmung
für das Tübinger Stolperstein-Projekt äußerten. Inzwischen sind es sogar
vier Familien, wie die Stolperstein-Freunde mitteilen. Für die Nachkommen
von Josef Wochenmark stimmte, auch im Namen seines Bruders Bernhard, Jeffrey
Marque ebenso zu wie Ruth Doctor aus der Familie Adolf Bernheim. Eine
weitere zustimmende Antwort gibt es offenbar von Susan Loewenberg, der
Enkelin von Leopold und Pauline Pollak. Und bereits vor drei Jahren gab die
betagte, in Jerusalem lebende Michal Wager, geborene Liselotte Schäfer, eine
positive Zusage: Sie würde sich über Stolpersteine für ihre Familie durchaus
freuen. Deshalb möchte die Stolperstein-Initiative, wenn Stadtverwaltung und
Gemeinderatsmehrheit einverstanden sein sollten, den ersten Stolperstein in
der Altstadt dann am Holzmarkt platzieren. Und zwar vor dem Gebäude, das den
beiden miteinander verwandten jüdischen Familien Oppenheim und Schäfer
gehörte. Sie betrieben dort das Textilgeschäft Degginger, das im Jahr 1939
endgültig dem NSDAP-Stadtrat Karl Haidt überschrieben wurde. Die Tübinger
Stolperstein-Initiative unterstreicht ihre Ambitionen mit einer Befragung
unter Juden, die derzeit in Tübingen leben. Demnach sind sowohl David
Holinstat vom jüdischen Verein Bustan Shalom als auch vier weitere (von
acht) befragte Tübinger Juden sehr für die Verlegung, niemand sprach sich
dagegen aus. Tübingen soll sich in das 'europaweite Stolperstein-Projekt als
weltgrößtes dezentrales Mahnmal in 21 Ländern' einreihen, fordern die
Aktivisten. Bisher sind rund 61.000 Stolpersteine an 1700 Orten verlegt
worden, monatlich kommen zahlreiche dazu. Gunter Demnigs Unterstützergruppe
hat mitgeteilt, dass neue Termine erst fürs nächste Jahr ausgemacht werden
können. Im Gemeinderat wird für die Zeit nach der Sommerpause ein
interfraktioneller Antrag pro Stolpersteine angestrebt. Die Verwaltung hat
in ihrer Vorlage für den Fall der Fälle schon mal ein paar Auflagen
formuliert: das Verlegen von Stolpersteinen auf öffentlichem Grund bedürfe
der Genehmigung durch die Stadt, mit der man sich dann rechtzeitig
kurzschließen müsse, wenn das Vorhaben konkreter werden sollte. Es müsse auf
alle Fälle die Verwendung von 'Tätersprache' ausgeschlossen werden. Und die
Stolpersteine sollten sich auf alle Opfergruppen der NS-Zeit beziehen. Und
schließlich: Werden keine Angehörigen ermittelt, werden auch keine
Stolpersteine verlegt. Auch müsse durch eine fachliche Expertise
sichergestellt werden, dass es sich bei den zu gedenkenden Personen um Opfer
oder Verfolgte des NS-Regimes handelt. Es liegt jetzt 'in den Händen unserer
Stadträte', hofft Häfelinger auf Unterstützung."
Link zum Artikel
Zu den Verlegungen in den folgenden Jahren siehe Wikipedia-Artikel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Tübingen
und Wikipedia-Artikel
https://de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine_in_Tübingen_Innenstadt
November 2017:
Gedenken an den Novemberpogrom
1938
Artikel in der
"Neckarchronik" (Südwestpresse) vom 9. November 2017: "Tübingen.
Gedenkstunde zur Reichspogromnacht
Vom 9. auf den 10. November 1938 brannte die Tübinger Synagoge in der
Gartenstraße bis auf die Grundmauern nieder.
79 Jahre nach der Reichspogromnacht war dies am Donnerstag für etwa 100
Menschen Anlass, sich zur Gedenkstunde am Ort des Pogroms einzufinden.
Martin Ulmer von der Geschichtswerkstatt Tübingen streifte nicht nur die
historischen Geschehnisse, sondern mahnte als erster Redner: „Es gilt, die
Erinnerung wachzuhalten.“ David Holinstat von der Israelitischen
Religionsgemeinschaft Württemberg thematisiert auch aktuelle
Fremdenfeindlichkeit. Nach einem Zitat von AfD-Bundespartei-Vize Alexander
Gauland appelliert er: „Ein ,schon wieder‘ darf keinesfalls zur
Selbstverständlichkeit werden.“ Für Jugendgemeinderätin Charlotte Siegmann
ist der 9. November „eine persönliche Erinnerung an Menschenrechte und
Zivilcourage.“ Nach den Reden wurden die Namen aller Tübinger Juden, die
während der NS-Zeit ermordet worden sind, verlesen."
Link zum Artikel
Januar
2018: Relikte der Synagoge wurden am
Synagogenplatz entdeckt
Artikel im
"Schwäbischen Tagblatt" vom 20. Januar 2018: "TÜBINGEN.
Relikte der Tübinger Synagoge entdeckt
Bei Sanierungsarbeiten am Zaun der ehemaligen Synagoge in der Gartenstraße haben die Restauratoren 28 Glasfragmente unterschiedlicher Größe gefunden.
Dabei handelt es sich um Teile der Synagogenfenster, die Reste der früheren Schablonenbemalung aufweisen. Die Scherben seien, teilt die Stadtverwaltung mit, in in einem schlechten Zustand und sehr fragil. Das Landesamt für Denkmalpflege hat die konservatorische Behandlung übernommen. Ebenfalls entdeckt wurden ein Fragment einer Gehwegplatte und einige Biber-Dachziegel. In den vergangenen Wochen hat die Stadtverwaltung den Zaun samt Sockel denkmalgerecht sanieren lassen. Die Synagoge der jüdischen Gemeinde, 1882 erbaut, wurde am 9. November 1938 in der Reichspogromnacht von Tübinger Nationalsozialisten verwüstet, geplündert und in Brand gesetzt. Sie brannte bis auf die Grundmauern nieder." Link
zum Artikel
Fotos von der
Fundstelle
(Fotos: Fabian Schorer)
Das Foto links zeigt den Blick von der
Gartenstraße auf den historischen Zaun des Synagogengrundstückes. Die
Fotos 2-6 wurden vom Grundstück Gartenstraße 33 (ehemalige Synagoge)
nach Westen gemacht. Der Fundort liegt hinter dem Zaun, also auf
Grundstück Gartenstraße 31, zwischen Zaun und einer Gartenmauer. Neben
Glasscherben der Synagogenfenster wurden Metallteile und Baudetails
(Ziegel, Münchner Gehwegplatte u.a.) gefunden. Das Foto mit dem grauen
Anstrich des Zaunes (links) zeigt den Endzustand nach Restaurierung mit
nachempfundener Farbigkeit. Das Foto rechts zeigt eine schablonierte
Glasscheibe der ehemaligen Synagogenfenster. Alle Fundstücke befinden
sich nun im Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Amt
Tübingen.
Juli 2018:
Verlegung von "Stolpersteinen" in
der Tübinger Innenstadt
Anmerkung: 29 Stolpersteine wurden am 10. Juli 2018 an acht Orten von dem
Kölner Künstler Gunter Demnig in der Tübinger Innenstadt verlegt. Dazu waren
für drei Tage 23 Nachkommen der Tübinger Juden aus England, Frankreich,
Israel und den USA angereist. Die aufgeführte Reihenfolge entspricht der
Verlegung und kann so auch durch die Stadt erwandert werden.
Dazu Wikipedia-Artikel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine_in_Tübingen_Innenstadt.
Januar 2019:
Erinnerungen am
Holocaust-Gedenktag
Artikel
von Dorothee Hermann im "Schwäbischen Tagblatt" vom 28. Januar 2019: "Stolpersteine
zeigen den Weg. Zum Jahrestag der Befreiung des Todeslagers Auschwitz
erinnerten Tübinger an die ermordeten jüdischen Mitbürger. Zum Internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust luden am
Sonntag die Tübinger Eberhardsgemeinde in der Südstadt, der Verein für
jüdische Kultur und die hiesige Stolperstein-Initiative. Etwa 30 Menschen
versammelten sich zunächst an der Eberhardskirche, dann am Haus
Christophstraße 1, wo sich an die 60 Personen beteiligten. Es war das Heim
der Familie Spiro, bis diese von den Nationalsozialisten vertrieben,
verschleppt und ermordet wurde. Der Vater Ludwig Spiro war im März 1941 nach
langer Krankheit gestorben. Der promovierte Philosoph, Latein- und
Französischlehrer war 1939 aus der Weimarer Goethe-Gesellschaft
ausgeschlossen worden, der er seit seiner Studienzeit angehört hatte. Er war
der Vater von Hans und Elfriede Spiro, die beide evangelisch getauft waren.
Elfriede Spiro hatte ihrem verwitweten Vater den Haushalt geführt. Liselotte
Spiro, geboren 1924, entkam 1939 mit einem Kindertransport nach England.
Elfriede Spiro wurde zunächst nach Theresienstadt gebracht. Ihre Spur
verliert sich Auschwitz. Seit dem 25. November 2011 erinnern Stolpersteine
des Künstlers Gunter Demnig an die Familie. Am 27. Januar 1945 befreite die
Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Für elf jüdische Tübinger kam
die Hilfe zu spät. 19 weitere wurden an anderen Orten von den
Nationalsozialisten ermordet, sagte Harald Schwaderer vom Verein für
jüdische Kultur. In einer Zeit, in der rechtsextreme Kräfte Hetze und
Antisemitismus verbreiteten, sei es besonders wichtig, den Opfern und den
Überlebenden zur Seite zu stehen, sagte er. Begegnungen mit Nachkommen wie
bei der Stolpersteinverlegung in Tübingen im Juli 2018 machten Hoffnung. Für
die Ermordeten der Familie Spiro gab es in der Eberhardskirche im November
1945 den einzigen Gedenkgottesdienst in Tübingen nach Kriegsende, ergänzte
Pfarrer Harry Wassmann."
Link zum Artikel
Juli 2020:
Weitere Verlegung von
"Stolpersteinen" in Tübingen
Anmerkung: nach Verlegung von weiteren 26 "Stolpersteinen" gibt es insgesamt
82 dieser Gedenksteine in Tübingen. Eingestellt:
Prospekt zur Verlegung der "Stolpersteine" am 13. Juli 2020 (pdf-Datei).
Artikel
in rtf1.de vom 13. Juli 2020: "Tübingen: Den Opfern Gedenken - 26 weitere
Stolpersteine verlegt
Mit den Stolpersteinen stolpert nicht der Fuß sondern das Herz - so
beschreiben die Verantwortlichen die Idee hinter den Pflastersteinen mit den
Messingtafeln, auf denen die Namen von durch die Nationalsozialisten
verfolgten und ermordeten Menschen eingraviert sind. Überall in Tübingen
haben die Mitglieder der Tübinger Stolperstein-Initiative zusammen mit dem
Künstler Gunter Demnig am heutigen Montag 26 weitere Stolpersteine verlegt.
Tübingen ist nicht seine erste und auch nicht seine letzte Station - der
Kölner Bildhauer und Künstler Gunter Demnig ist seit 1996 überall in Europa
unterwegs und verlegt Stolpersteine zur Erinnerung an die Opfer des
Nationalsozialismus. Die Steine tragen oben kleine Messingplatten mit den
Namen der Opfer. Wer die Namen lesen möchte, der muss kurz innehalten und
sein Haupt beugen. Die Steine kommen immer genau dahin, wo der Mensch seinen
letzten freien Wohnsitz hatte. Allein sechs Millionen Juden haben die
Nationalsozialisten ermordet. Davon sind rund vier Millionen in
Konzentrations- und Vernichtungslagern zu Tode gekommen.
Die Tübinger Stolperstein Initiative hatte einen Rundgang durch die
Universitätsstadt geplant. Begonnen haben sie in der Uhlandstraße 16, wo
einst die Familie des Optikers Adolf Dessauer eine Heimat hatte. Oben haben
sie gewohnt und unten Brillen gefertigt und verkauft. Günter Häfelinger von
der Tübinger Stolperstein-Initiative hat persönlich dafür gekämpft, dass
Tübingen Stolpersteine bekommt.
Seit er von den Gräueltaten des NS-Regimes erfahren habe, sei es für ihn
eine Belastung gewesen, erklärte Häfelinger. Mit dem Abschluss dieses
dritten Projektes in Tübingen gibt es insgesamt 82 Stolpersteine in der
Universitätsstadt. Die Steine erinnern an fast alle Tübinger Jüdinnen und
Juden, deren Namen auf dem Denkmal am Tübinger Synagogenplatz zu finden
sind. Der Hass, der damals die Verbrechen der Nationalsozialisten ermöglicht
hatte, sei immer noch da. Mit den Stolpersteinen wollen die Mitglieder der
Stolperstein-Initiative dem etwas entgegen setzen." Link zum Artikel
Juli 2024:
Theaterspaziergang auf den Spuren
der jüdischen Geschichte
Artikel
im "Generalanzeiger" am 3. Juli 2024: "PREMIERE. Gang durch die jüdische
Geschichte Tübingens. Das LTT lädt mit 'Lebendige Stolpersteine' zu einem
Theaterspaziergang durch die Universitätsstadt TÜBINGEN. Die aus Israel stammende Regisseurin Sapir Heller
erarbeitet derzeit am Landestheater Tübingen (LTT) mit der Produktion
'Lebendige Stolpersteine' einen 'theatralen Gang durch die jüdische
Geschichte Tübingens', wie es im Untertitel heißt. Das Projekt, das im
Stadtraum angesiedelt ist, führt, so Sapir Heller, durch die Altstadt bis
zum LTT. 'Das Publikum wird dabei von einem markanten Punkt – oft sind das
Stolpersteine – zum nächsten geführt, wo schon die LTT-Schauspieler und
-Schauspielerinnen warten und eine Szene spielen werden', so die
Regisseurin. Dabei werden Szenen aus der wechselvollen jüdischen Geschichte
Tübingens gezeigt. Viele haben mit Flucht und Vertreibung oder Ermordung im
Dritten Reich zu tun, 'manche aber auch mit der Vertreibung der Juden im
Zuge der Universitätsgründung oder mit der Situation heute'. Generell sei
als Nicht-Tübingerin interessant nachzuverfolgen, 'wie massiv Jüdinnen und
Juden aus der Stadt ferngehalten wurden'. Auch dass sich nach dem Holocaust
und dem Ende des Dritten Reichs keine eigene Gemeinde mehr in der Stadt
gebildet hat, findet sie bemerkenswert: 'Warum kam niemand mehr hierher
zurück? Welche Geschichten wurden damit für immer verdrängt? Diesen Fragen
haben wir versucht nachzuspüren. Und auch Kontakt aufzunehmen zu hier
lebenden Israelis oder Jüdinnen und Juden, um mit ihnen darüber zu sprechen,
wie die Situation heute ist. All das floss dann in die Produktion ein und
wird erlebbar gemacht', so Heller. Warum sie dieses Projekt nun in Tübingen
realisiert, erklärt sie so: 'Es gab eine Anfrage durch den Förderverein für
jüdische Kultur in Tübingen, der sich 2024 kulturell mit der Ansiedelung von
Jüdinnen und Juden vor 250 Jahren in Wankheim zwischen Reutlingen und
Tübingen auseinandersetzt – und so kam es zu einer Kooperation mit dem LTT.'
Außerdem wurden Kooperationen mit der Universität Tübingen vereinbart:
'Studierende der Universität haben eine eigene digitale Plattform entworfen,
die es ermöglicht, während des Stadtrundgangs zusätzliche Informationen
audiovisuell zu erhalten oder sogar mit der Szene zu interagieren.' Bereits mehrfach am LTT. Sie selbst hat bereits 2016 in Tübingen über
den NSU-Prozess theatral gearbeitet. 2023 zeigte das LTT kurz nach dem
Terrorüberfall der Hamas auf Israel den Text '17 Schritte humanistisch zu
bleiben nach einem Massaker' von Maya Arad Masur in einer von Sapir Heller
erarbeiteten Performance. Ob in der heutigen Zeit ein Theaterabend in diesem
Format vielleicht besonders wichtig sei, beantwortet Sapir Heller so: 'Wir
wurden direkt bei der ersten Probe im öffentlichen Raum von heftigen
Zwischenrufen und Pöbeleien unterbrochen. Das war sehr aggressiv, dabei ging
es in der Szene, die wir probten, weder um Israel noch den Krieg in Gaza.'
Hier verschiebe sich gerade etwas. Antisemitismus werde wieder öffentlich
geduldet. Daher: 'Ja, ich glaube, dass ein solcher Abend sehr wichtig ist.
Wir müssen die Wurzeln unserer Geschichte betrachten, um uns mit unserer
Gegenwart auseinandersetzen zu können.' (eg) AUFFÜHRUNGSINFO. Mit: Franziska Beyer, Dennis Junge, Jennifer
Kornprobst, Stephan Weber/Andreas Guglielmetti, Sabine Weithöner. Regie,
Idee & Konzept: Sapir Heller. Raum und Kostüme: Sarah Elena Kratzl.
Dramaturgie, Konzept & Produktionsleitung: Adrian Herrmann.
Multimedia-Konzept: Erwin Feyersinger, Kevin Körner, Studierende der
Universität Tübingen. Premiere: 7. Juli, 19 Uhr. Beginn am Synagogenplatz
(Gartenstraße 33), Ende im LTT. Weitere Vorstellungen: 11.,13. und 21. Juli.
(eg)
www.landestheater-tuebingen.de"
Link zum Artikel
Paul Sauer: Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und
Hohenzollern. 1966. S. 176ff.
Germania Judaica III,2 S. 1489-1490.
Lilli Zapf: Die Tübinger Juden. 1978².
Geschichtswerkstatt Tübingen (Hg.): Zerstörte Hoffnungen
– Wege der Tübinger Juden. (Reihe: Beiträge zur Tübinger Geschichte.
Hg. von der Stadt Tübingen. Kulturamt Band 8) Stuttgart 1995.
dies./Wilfried Setzler: Jüdisches Tübingen. Schauplätze und
Spuren. 1999.
dies.: Jüdisches Tübingen um 1900, in: Tübinger Blätter
2001 S. 45-52.
Martin Ulmer: Pogromnacht 1938, in: Tübinger Blätter
1998/99 S. 27-31.
Geschichtswerkstatt Tübingen (Hg.): Wege der
Tübinger Juden. Eine Spurensuche. (Dokumentarfilm). Tübingen 2004.
Joachim
Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als
Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte
und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt,
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial,
Jerusalem. Stuttgart 2007.
Adelheid
Schlott: Die Geschichte der Geschichten des Tübinger
Synagogenplatzes. Mit Beiträgen von Ulrike Baumgärtner, Daniel Felder,
Martin Ulmer und Michael Volkmann. Reihe: Tübinger Besonderheiten 3. Verlag
der faire Kaufladen Tübingen 2009.
Matthias Märkle:
Jüdische Studenten an der Universität Tübingen 1807 bis 1871. Reihe:
Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte Bd. 23. Jan Thorbecke Verlag
2013. ISBN 978-3-7995-5523-4. € 24,90. Dieses Buch widmet sich mit den Studenten jüdischen Glaubens einem bislang kaum erforschten Aspekt der Tübinger Universitätsgeschichte im 19. Jahrhundert. Nicht nur bekannte Männer wie der Schriftsteller Berthold Auerbach (1812-1882) und der Bankier Kilian von Steiner (1833-1903) hatten die württembergische Landesuniversität besucht, auch viele weitere Juden zog es zum Studium an den Neckar.
Wie stand es um ihre Integration in die Studentenschaft zu einer Zeit wachsender rechtlicher Gleichstellung, nachdem ihre Glaubensgenossen jahrhundertelang in Württemberg und anderen Territorien nicht geduldet waren? Inwieweit praktizierten die jüdischen Studierenden in Tübingen ihre Religion? Und welche Berufe ergriffen sie später? Das sind einige der behandelten Fragenkomplexe. Der Band wird durch eine Datensammlung zu den Studenten komplettiert, die sich bis 1871 immatrikulierten.
Adelheid Schlott: Zur Erinnerung an die Synagoge in Tübingen
Gartenstraße 33 (1882-1938). Zeugnisse und Dokumente. Schriftenreihe des
Fördervereins für Jüdische Kultur in Tübingen e.V. Band 1. 110
Seiten.
Verlag der
faire Kaufladen (Bruno Gebhart) Tübingen 2016. www.derfairekaufladen.de/
Erhältlich über den Fairen Kaufladen: Adresse Marktgasse 12
72070 Tübingen, Tel.: 07071-26916 Preis: 16,80 €
Kontakt zum "Förderverein für jüdische Kultur in Tübingen e.V."
über den Vorsitzenden Harald Schwaderer E-Mail
(haraldschwaderer[et]t-online.de)
Tuebingen
Wuerttemberg. Jews were present in the 13th century, 30 of their houses being
preserved to this day and indicating a population of 100-150 families. They were
expelled in the Black Death persecutions of 1348-49, again in 1456, and again
with the opening of the university in 1477.
Jewish students were first enrolled in the university in the early 19th century
and numbered 54 in 1842. The settlement was renewed in 1848 by Jews from
neighboring Wankheim. The Jewish population
rose from 34 in 1869 to 139 in 1910 (total population 19.076). While Jews
participated actively in the town's public and economic life they were not
accepted socially, which accounts for the unusually high rate of conversion.
While 82 Jews remained in Tuebingen prior to the Nazi rise to power, another 43
were converts of offspring of mixed marriages. Antisemitism was already felt at
the university in the 1920s and Jewish lecturers were dismissed in 1933. In the
city, synagogue windows were smashed in 1928 and the SA often attacked Jews in
the streets. The economic boycott introduced in 1933 destroyed Jewish business.
By 1938 all Jewish establishments had either been closed of "Aryanized".
On Kristallnacht (9-10 November 1938), the synagogue was burned. By 1940,
68 Jews had emigrated, of whom 34 went to the U.S. and 15 to Palestine; 21 were
deported to their deaths in the Riga and Theresienstadt ghettoes and in
Auschwitz in late 1941 and in 1942-43. Six of 11 Jews in neighboring Rottenburg,
whose medieval community was now attached to Tuebingen, were also
deported (three emigrated).
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge