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"Synagogen im Main-Kinzig-Kreis"
Vollmerz (Stadt
Schlüchtern, Main-Kinzig-Kreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Vollmerz bestand eine jüdische
Gemeinde bis nach 1933. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17./18.
Jahrhunderts zurück. 1587 werden erstmals Juden am Ort genannt. 1687
waren es drei jüdische Familien in Vollmerz.
Im 18. Jahrhundert nahm die Zahl der jüdischen Familien weiter zu (1751
sieben Familien, 1769 12 Familien).
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie
folgt: 1835 105 jüdische Einwohner, 1861 103 (22,7 % von insgesamt 454
Einwohnern), 1871 78 (9,7 % von 804), 1885 52 (6,5 % von 803), 1905 34 (4,8 %
von 711).
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische Schule
(Religionsschule), ein rituelles Bad (im Synagogengebäude) und einen Friedhof. Zur Besorgung
religiöser Aufgaben der Gemeinde war im 19. Jahrhundert zeitweise ein
jüdischer Lehrer angestellt, der auch als Vorbeter und Schochet tätig war.
Unter den Lehrern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Vollmerz ist
bekannt: Heym Neumark, Vater des Lehrers (in Hochstadt)
Salomon Neumark (1824-1864). Vermutlich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besuchten die jüdischen Kinder der
Gemeinde die israelitische Elementarschule in Sterbfritz. 1898 waren es fünf,
1933 noch drei schulpflichtige Kinder am Ort. Die Gemeinde gehörte zum
Rabbinatsbezirk Hanau.
Nach einem Bericht von 1865 gab es damals einen Sofer
(Toraschreiber) in Vollmerz (siehe Artikel aus der Zeitschrift "Der
Israelit" bei Ungedanken):
"Auch in unserer Gegend hat sich seit einiger Zeit ein Sofer etabliert,
Herr Wolf Grünebaum in Vollmerz, der bis jetzt sehr schöne Arbeiten
geliefert hat, und recht tüchtig in seinem Fache zu sein
scheint."
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Unteroffizier
Theodor Nußbaum (geb. 26.11.1891 in Vollmerz, vermisst seit 21.3.1916).
Um 1924, als zur Gemeinde noch 23 Personen gehörten (2,7 % von insgesamt
838 Einwohnern), waren die Gemeindevorsteher Arnold Nußbaum und Jakob
Grünebaum. Als Kantor und Schochet wird Jacob Grünebaum genannt. Damals gab es
zwei schulpflichtige jüdische Kinder am Ort, die ihren Religionsunterricht in
Schlüchtern erhielten. An jüdischen Vereinen gab es einen Wohltätigkeitsverein
(1924 unter Leitung von Arnold Nußbaum mit sechs Mitgliedern). 1932 waren die
Gemeindevorsteher weiterhin Arnold Nußbaum (1. Vors.) und Jakob Grünebaum
(Schriftführer). Im Schuljahr 1931/32 erhielten drei Kinder der Gemeinde
Religionsunterricht.
1933 wurden noch 22 jüdische Einwohner in Vollmerz gezählt. In
den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert.
Von den in Vollmerz geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Ida Baum geb. Nussbaum
(1899), Rebekka Friedmann geb. Levi (1887), Margot Grünfeld (1928), Rosa
Grünfeld geb. Hecht (1896), Rose Grünfeld geb. Hecht (1868), Johanna Heymann
geb. Nussbaum (1871), Jenny Katz geb. Grünebaum (1892), Fanni Kaufmann geb.
Grünebaum (1878), Emanuel Levi (1864), Israel Nussbaum (1869, siehe Bericht
unten), Käthe van der
Walde geb. Nussbaum (1907).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus dem jüdischen Gemeindeleben
Rittmeister Stumm macht in seiner Wohltätigkeit keinen
Unterschied zwischen den Konfessionen (1885)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Januar 1885: "Schlüchtern.
Die ehemalige Grafschaft Degenfeld, zu welcher die Gemeinden Vollmerz,
Ramholz und Hinkelhof gehören, ist im vorigen Jahre in den Besitz des
Herrn Rittmeisters Stumm vom 1. Hessischen Husaren-Regiment Nr. 13
käuflich übergegangen. Der neue Besitzer dieser Herrschaft hat sich in
der kuren Zeit schon die ehrende Anerkennung aller Edeldenkenden durch
seine Wohltätigkeit gewonnen. Vor einigen Tagen hat er alle
Hilfsbedürftigen in den genannten Ortschaften seiner Besitzung in
reichlichem Maße durch Gaben in barem Gelde, Viktualien und Stoffen zu
Kleidungsstücken bedacht. Bei einer früheren, derartigen Gelegenheit war
es übersehen worden, die armen, israelitischen Einwohner der Gemeinde Vollmerz
in Vorschlag für diese Unterstützungen zu bringen. Auf eine Anfrage des
Gemeindeältesten, Herrn David Löwenberg zu Vollmerz, bei dem ebenso
leutseligen als edeldenkenden Gutsherrn, ob nicht auch die israelitischen
Ortsarmen auf gleiche Berücksichtigung wie die christlichen Armen hoffen
dürften, erwiderte der Herr Rittmeister, dass er keinen Unterschied der
Konfession bei Akten der Menschenliebe kenne. Bei der jüngsten
allgemeinen Verteilung wurden daher auf Vorschlag des Herrn Löwenberg
auch die armen Israeliten zu Vollmerz ebenso wie die übrigen
Ortsarmen in höchst liebevoller und freundlicher Weise beschenkt.
Ehre dem edlen Philanthropen und seiner hochherzigen Frau Gemahlin, welche
den erhabenen Grundsatz, dass man bei Akten der Wohltätigkeit die
Angehörigen anderer Konfessionen mit den eigenen Glaubensgenossen zu
unterstützen habe, in so schöner Weise zu betätigen verstehen. H.G." |
Berichte zu einzelnen
Personen aus der Gemeinde
50jähriges Dienstjubiläum von Lehrer Samuel Neumark (geb.
um 1808 in Vollmerz, gest. 1880 in Windecken)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. April 1879: "Windecken,
26. März (1879). Gestern feierte der Lehrer der hiesigen israelitischen
Gemeinde, Herr Samuel Neumark, sein 50-jähriges Dienstjubiläum. Eine
große Anzahl seiner während dieser langjährigen Dienstzeit gewesenen Schüler
und Schülerinnen sowie die Mitglieder der hiesigen israelitischen
Gemeinde, die Führer der hiesigen städtischen Schulen, die Lehrer der
umliegenden Gemeinden, endlich das Vorsteheramt in Hanau erfreuten mit
Glückwünschen und passenden Geschenken den wackeren Lehrer. Abends war
gesellige Vereinigung im Gasthause 'Zur Hochmühle', wo sowohl die
städtischen Behörden, die Kollegen des Jubilars von Wundecken und
Umgegend und sonstige Gäste anwesend waren." |
Zum Tod von Simon Levi (1898)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. April 1898: "Vollmerz,
Kreis Schlüchtern. Am Heiligen Schabbat - Halbfeiertag (zu
Pessach) (= 9. April 1898) verschied in Vollmerz nach
mehrwöchentlichem Leiden Herr Simon Levi, im hohen Alter von 82 Jahren.
Gestern wurde der Verlebte unter sehr starker Beteiligung, auch von
Auswärts, zur letzten Ruhe bestattet. Herr Simon Levi stand, nachdem die
Gemeinde schon 20 Jahre ohne Lehrer war, nicht nur der Gemeinde, sondern
ganz besonders der dortigen Chewra (Wohltätigkeitsverein) insofern
zu Diensten, dass er den Erfolg seines Torastudiums, dem er trotz seiner
steten, erwerblichen, angestrengten Tätigkeit mit Fleiß oblag, zum
Besten gab. Die Gemeinde und Chewra hat dadurch wirklich ihre Krone
verloren. M.M.R." |
Zum Tod von Esther Loeb (1915)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. Mai 1915: "Schlüchtern,
23. Mai (1915). Am 2. Tag von Schawuoth (Wochenfest) wurde eine
wahre wackere Frau zur letzten Ruhe bestattet, deren wirklich
musterhaft frommes Wesen es verdient, hier gewürdigt zu werden. Frau
Esther Loeb aus Vollmerz, die von frühester Jugend schwer um ihr
tägliches Brot kämpfen musste und deren Haus danach einem Heiligtum
glich, in dem Arme stets offenen Eingang hatten; jeder Betrübte ging froh
von ihr; das Letzte, was die Verblichene besaß, konnte sie entbehren und
dem Betrübten reichen; machte sie doch die schwersten Fußwege, um für
andere zu sorgen und sie zu erfreuen. Ihr Andenken wird uns erhalten
bleiben. Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des
Lebens." |
Über Israel Nussbaum (1869-1942)
Israel Nussbaum
ist 1869
in Vollmerz in einer orthodoxen Landjudenfamilie geboren. Sein Vater war
Viehhändler. Felix Nussbaum konnte sich in Köln zum Lehrer ausbilden
lassen und wandte sich dem liberalen Judentum zu. In seinem Buch "'Gut
Schabbes!' Jüdisches Leben auf dem Lande. Aufzeichnungen eines Lehrers
(1869-1942). Berlin 2002" setzte er sich mit der Orthodoxie und
manchen Gebräuchen jüdischer Landgemeinden auseinander. Dabei wird
vielfach das jüdische Gemeindeleben in Vollmerz beschrieben. Felix Nussbaum
war von 1897 bis 1932 Lehrer und Kantor in Viersen. Im Juli 1942 wurde er
über Düsseldorf nach
Theresienstadt deportiert, wo er Anfang Dezember 1942 umgekommen ist.
Links: Gedenkmedaille des Kreises Viersen aus dem Jahr 2004 für Israel
Nussbaum. |
Über Theodore Levitt (1925-2006)
Zur Geschichte der Synagoge
Zunächst war vermutlich
ein Betraum in einem der jüdischen Häuser vorhanden.
Eine Synagoge wurde 1811 erbaut. Erstellt wurde ein einfacher Fachwerkbau
mit steilem, geschweiftem Satteldach, beidseitig mit Krüppelwalmen. Das Gebäude
hatte einen Grundriss von 7 mal 11 Metern. Es umfasste den Betsaal mit einer
einseitigen Frauenempore, einem gesonderten Raum in einem Anbau (ursprünglich
Schulraum?) sowie ein rituelles Bad.
Wie lange in dem Gebäude Gottesdienste abgehalten wurden, ist nicht bekannt.
Nach 1933 war die Gemeinde bereits zu klein für regelmäßigen Gottesdienst.
Das Synagogengebäude wurde bereits vor dem Novemberpogrom 1938 verkauft.
Beim Novemberpogrom 1938 wurden, obwohl das Gebäude bereits verkauft
war, dennoch der Innenraum und die Fensterscheiben durch SA-Leute zerstört.
Danach wurde das Gebäude als Spenglerei und Pferdestall verwendet. 1976
wurde das Gebäude nach jahrelangem Leerstand durch einen neuen Besitzer
abgebrochen. Das noch teilweise gut erhaltene Gebälk wurde zum Bau eines
Wohnhauses in Stork bei Flieden (Kreis Fulda) verwendet. Zwei beim Abbruch
vorgefundenen Gedenksteine von 1813, Gebotstafeln aus Holz unter einem
Magen David (vermutlich vom Vollmerzer Toraschrein) sowie Gebetbuchfragmente
(mit Brandspuren) wurden dem Bergwinkelmuseum im Lauterschen Schlösschen
in Schlüchtern übergeben, wo sie in der Abteilung Judaica ausgestellt sind.
Zum Bau des Wohnhauses in Stork wurde nicht nur das Bauholz der ehemaligen
Synagoge, sondern auch von zwei Bauernhäusern und einer Scheune verwendet. Der
ehemaligen Fachwerksynagoge entstammen beide Traufseiten und ein Giebel. Die
gebogenen Dreiviertelstreben, Sporne und Gegenstreben entstammen anderen Gebäuden
oder wurden neu angefertigt. Die Ritualbad-Anlage wurde beim Abbau und Versetzen
der ehemaligen Synagoge zerstört und entfernt.
1987 wurde das Synagogengrundstück mit einem neuen Wohnhaus überbaut.
Adresse/Standort der Synagoge: an
Stelle des heutigen Gebäudes Hinkelhofer Straße 6A
Fotos / Abbildungen
(Quelle: Altaras 1988 S. 25; 2007² S. 346-347)
Plan / Schnitt /
Isometrie der Synagoge |
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Plan des Erdgeschosses
der
ehemaligen Synagoge |
Senkrechter Schnitt
durch das
Synagogengebäude |
Isometrie des Fachwerks und
des
Holzgefüges der ehemaligen Synagoge |
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Foto der ehemaligen
Synagoge
(Quelle: Stadtarchiv Schlüchtern;
vermittelt durch Horst Möwes) |
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Foto
links
in höherer Auflösung (318 kb) |
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Blick auf das 1811 erbaute
Gebäude mit
einem bei Landsynagogen häufigen
Krüppelwalmdach; das
kleine Fenster über
dem Haupteingang gehört zur Frauenempore. |
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Privatwohnhaus im Storker
Hof, erbaut
mit dem Bauholz der ehemaligen Synagoge |
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Aufnahme April 1987 |
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Synagogengrundstück
(Foto: Hahn, Aufnahmedatum 9.4.2015) |
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Blick auf das Grundstück der
ehemaligen Synagoge mit Neubebauung |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. II S. 331. |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 25. |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 138 (keine weiteren
Informationen). |
| dies.: Neubearbeitung der beiden Bände. 2007² S.
346-347. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S.
223. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 535. |
| Jens Hoppe: Jüdische Geschichte und Kultur in
Museen. Zur nichtjüdischen Museologie des Jüdischen in Deutschland. New
York / München / Berlin. Waxmann-Verlag. 2002. S. 142-143. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Vollmerz (now
part of Schluechtern) Hesse-Nassau. Dating from the 18th century, this Jewish
community numbered 103 (23 % of the population) in 1861 and 22 in 1933. Its
wooden synagogue had an interior design and Hebrew inscriptions executed by a
Christian artist in 1812. The interior was destroyed on Kristallnacht
(9-10 November 1938) and by 1941 all the remaining Jews had left.
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