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Erbstadt und Ostheim (Stadt
Nidderau, Main-Kinzig-Kreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Windecken bestand bereits im Mittelalter eine jüdische Gemeinde. In
den folgenden Jahrhunderten war es zeitweise die größte jüdische Gemeinde im
Hanauischen Land. Vermutlich haben sich die ersten Juden im Zusammenhang mit der
Stadterhebung Windeckens 1288 niedergelassen. 1310 wurden die Juden der Stadt
von Heinrich VII. an Ulrich von Hanau verpfändet. 1311 wurde Jud Samuel aus
Windecken in Frankfurt als Bürger aufgenommen. Im 14. Jahrhundert werden
in den Gerichtsbüchern der Stadt Frankfurt mehrfach Juden aus Windecken bei
Darlehensgeschäften genannt. Die jüdischen Familien lebten vermutlich in der
erstmals 1353 genannten "Judengasse" in der Stadt. Im Zusammenhang mit
der Judenverfolgung in der Pestzeit 1348/49 wurden die Juden aus
Windecken vertrieben, teilweise erschlagen.
Im 15. Jahrhundert lassen sich wieder jüdische Personen in Windecken
nachweisen (seit 1411), doch könnten auch bereits in der zweiten Hälfte des
14. Jahrhunderts wieder einzelne in der Stadt gelebt haben. 1412 werden
genannt: Symon aus Oppenheim, Falcke Nuwenstein, Jacob aus Assenheim, Mayer und
Vadten, Joselin Wonnecker (jetzt zu Marköbel),
Josep aus Lindheim und Salom.
Im 16. Jahrhundert gab es zwischen sechs und zwölf jüdischen
Haushaltungen in der Stadt. Als Höchstzahl werden 1563 12 jüdische Familien
mit 59 Personen genannt. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts ging die Zahl auf Grund
der beabsichtigten Vertreibung der Juden aus der Grafschaft Hanau zurück, um im
17. Jahrhundert wieder stark zuzunehmen (1616 30 jüdische Familien, 1632 28).
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1827 112 jüdische Einwohner (9,0 % von insgesamt 1.240 Einwohnern), 1850
192 (11,2 % von 1.720), 1861 164 (10,5 % von 1.557), 1871 57 (4,0 % von 1.442),
1885 47 (3,2 % von 1.481), 1905 49 (3,0 % von 1.657). Der Rückgang der jüdischen
Einwohner seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ging auf die starke Abwanderung in
die umliegenden Großstädte wie Frankfurt und Offenbach zurück.
Zur jüdischen Gemeinde in Windecken gehörten auch die in Erbstadt und Ostheim
lebenden jüdischen Familien. Die Anwesenheit von Juden in Ostheim ist dort bereits
seit dem 16. Jahrhundert belegt (1512 wird Jud Nathan genannt, 1531 Jud
Liebermann und zahlreiche weitere Nennungen bis 1583). Zwischen 1583 ist 1707
lassen sich keine jüdischen Personen am Ort nachweisen. 1707 gab es wieder zwei
jüdische Familien. Freilich blieb die Zahl der jüdischen Einwohner auch in der
Folgezeit gering: 1905 23 jüdische Einwohner (vgl. aus dieser Zeit unten die
Anzeigen der Bäckerei B. Adler und der Metzgerei Adolf Wolf), 1932 19.
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde von Windecken eine Synagoge
(s.u.), eine Schule (1853 wurde das Schulhaus neu erbaut; bis 1880 gab es eine
israelitische Volksschule, danach eine israelitische Religionsschule), ein
rituelles Bad und einen Friedhof.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer
angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Bereits im 16.
Jahrhundert werden Lehrer und Vorsänger genannt. Im 19. Jahrhundert wirkte als
Lehrer vor allem Samuel Neumark (geb. um 1808 in Vollmerz),
der von 1835 an in Windecken tätig war, hier 1879 sein 50-jähriges Dienstjubiläum
feiern konnte (siehe Bericht unten) und am 13. Oktober 1880 in Windecken starb.
Zuletzt hat Lehrer Neumark 13 Schüler in drei Klassen unterrichtet. Nach seinem
Tod wurde der Unterricht von Lehrer Wertheimer aus Heldenbergen
erteilt. 1900/1901 bemühte sich die jüdische Gemeinde wieder um einen eigenen
Religionslehrer (siehe Ausschreibungstexte unten). Darauf konnte Lehrer Sally
Katz eingestellt werden (geb. 1864 in Guxhagen,
war seit 1884 Lehrer in Vilbel),
der bis 1907 blieb und schließlich nach Babenhausen
wechselte. In der Folgezeit liest man seit 1909 von einem Lehrer J. Neumark,
seit 1913 einem Lehrer Josef Eschwege. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg
wurden die Kinder der Gemeinde von auswärtigen Lehrern unterrichtet.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Sigmund Jacob
(geb. 20.8.1891 in Breitenbach am Herzberg, gef. 5.3.1915), Siegfried Katz (geb.
19.7.1894 in Ostheim, gef. 27.9.1915) und Unteroffizier Josef Wolf (geb.
31.8.1892 in Windecken, gef. 3.6.1917).
Um 1925, als noch 44 Personen zur jüdischen Gemeinde gehörten (2,4 %
von insgesamt 1.863 Einwohnern), waren die Vorsteher der Gemeinde Jacob
Levi und Salli Reichenberg. Als Schochet kam Lehrer Marcus aus Assenheim
nach Windecken. Den Religionsunterricht der noch sechs schulpflichtigen jüdischen
Kinder wurde von Lehrer Sulzbach aus Hanau erteilt (1932 8 Kinder). Die Gemeinde
gehörte zum Rabbinatsbezirk Hanau. Unter den jüdischen Vereinen sind zu
nennen: der Wohltätigkeitsverein Chewra Gemiluth Chasodim (gegründet
1824, Bestattungs- und Wohltätigkeitsverein) und der Frauenverein (gegründet
1902, siehe Bericht unten; 1907 bis 1924 war Ida Wolf Vorsitzende). Zudem
bestand das Israelitische Krankenstift (1924 unter der Leitung von
Raphael Wolf, Julius Kahn und Julius Reichenberg (gegründet 1890 als jüdische
Krankenkasse). Die damals 20 jüdischen Einwohner von Ostheim
gehörten zur Gemeinde in Windecken (1932: 19 Personen). 1932 war Salli
Reichenberg 1. Vorsitzender der Gemeinde, als 2. Vorsitzender und Schatzmeister
war Salomon Reichenberger tätig.
Die um 1933 noch in Windecken lebenden jüdischen Haushaltsvorsteher waren als
Kaufleute tätig. Vier Familien hatten noch 1937 Handelsgeschäfte: zwei
Manufakturwaren- und je ein Eisenwaren- und Baumaterialiengeschäft.
Nach 1933 ist ein Teil der jüdischen Gemeindeglieder (1933: 44 Personen,
2,1 % von insgesamt 2.100 Einwohnern) auf Grund Folgen des wirtschaftlichen
Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen
beziehungsweise ausgewandert. Bis zum November 1937 sind zwei Personen in
Windecken verstorben, fünf nach Frankfurt beziehungsweise Fulda verzogen, neun
nach Amerika und Südafrika ausgewandert. Beim Novemberpogrom 1938 wurden
die Synagoge und das jüdische Schulhaus zerstört (s.u.). Es kam zu gewaltsamen
Aktionen gegen die noch in Windecken lebenden jüdischen Personen, ihre Häuser
und Geschäfte. Ludwig und Julius Reichenberg wurden in das KZ Buchenwald
verschleppt. 1939 wurden noch sechs jüdische Einwohner gezählt.
Von den in Windecken geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen
Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945", dazu Liste bei M. Kingreen
s.Lit. S. 140): Dina David geb. Neumark (1848), Thekla Feist geb. Kahn
(1897), Mathilde Grünebaum geb. Speier (1878), Helene Joachim geb. Strauss
(1872), Selma Kahn geb. Speier (1875), Elise Kaufmann geb. Speier (1887), Louis
Levi (1874), Kathinka Müller geb. Wolf (1865), Moritz Müller (1867), Recha
Rosa Müller (1894), Hilda Oppenheimer geb. Wolf (1889), Bertha Reichenberg geb.
Rapp (1888), Ernst Josef Reichenberg (1919), Hilda Reichenberg geb. Löwenstein
(1885), Johanna Reichenberg geb. Hirschmann (1881), Julius Reichenberg (1875),
Salli Reichenberg (1882), Rosa Rollmann geb. Reichenberg (1908), Franziska
Rosenthal geb. Kallmann (1860), Rosa Seligmann geb. Wolf (1905), Jenny Sommer
(1885), Mathilde Speier (1878), Siegmund Strauss (1871), Betty Traub geb. Stern
(1879).
Von den in Ostheim geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen
Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945", dazu Liste bei M. Kingreen
s.Lit. S. 255): Paulina Adler (1865), Johanna Grünebaum geb. Reis (1896),
Anselm Katz (1867), Betty Katz geb. Jacoby (1870), Mathilde Katz (1900), Regina
Katz geb. Strauß (1875), Samuel Katz (1879), Klara Levi geb. Katz (1893), Kurt
Levi (1929), Moritz Levi (1892), Walter Levi (1923), Selma Löwenstein geb. Reis
(1892), Adolf Wolf (1865), Mathilde Wolf geb. Kaufmann (1871).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Lehrers, Vorsängers und Schochet 1900 / 1901 / 1907
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. September 1900:
"In der Synagogengemeinde Windecken ist die Stelle eines Lehrers,
Vorsängers und Schächters mit einem jährlichen Gehalt von 600 Mark, 300
Mark (statt 3.000) Einkommen aus dem Schächterdienste und freier
Wohnung sofort zu besetzen. Bewerber wollen ihre Meldungen unter
Beifügung von Zeugnisabschriften bis 22 September anher einsenden.
Hanau, 3. September. Das Vorsteheramt der Israeliten,
Hirsch." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. März 1901: "Die
erledigte Lehrer- und Vorsängerstelle bei der Synagogengemeinde zu Windecken
soll wieder besetzt werden. Mit derselben ist ein fixer Gehalt von 600
Mark jährlich nebst freier Wohnung, sowie ein Einkommen von ungefähr 400
Mark für Schächten verbunden. Dem Anzustellenden soll auch die Erteilung
des Religionsunterrichtes und die Ausübung der Schächtfunktion in
Marköbel, wofür ein Gehalt von Mark 250 beziehungsweise ein Einkommen
von ungefähr 150 Mark angesetzt ist, übertragen werden. Bewerber um
diese Stelle wollen ihre Meldungsgesuche mit den erforderlichen Zeugnissen
versehen, bis zum 18. März einreichen.
Hanau, 28. Februar 1901. Das Vorsteheramt der Israeliten: Dr. Bamberger." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. März 1907: "Bei
der Synagogen-Gemeinde Windecken ist die Stelle eines Religionslehrers,
Vorsängers und Schächters alsbald wiederzubesetzen. -
Das Gehalt beträgt bei freier Wohnung nebst Garten Mark 600, das
garantierte Nebeneinkommen aus der Schechita Mark 600.- Bewerber
wollen sich unter Einsendung von Zeugnisabschriften bis zum 1. April bei
uns melden.
Hanau, den 17. März 1906.
Das Vorsteheramt der Israeliten. Dr. Bamberger." |
Die Stelle konnte offenbar nicht leicht
besetzt werden. Drei Monate später wurde die Stelle immer noch
ausgeschrieben: |
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. Juni 1907: "Die Religionslehrer-,
Vorsänger- und Schächterstelle bei der Synagogengemeinde
Windecken soll wieder besetzt werden. Das pensionsfähige Einkommen
besteht bei freier Wohnung nebst Garten aus dem Gehalt von Mark 600 und
dem Schächtereinkommen von Mark 600 per Jahr. Bewerber wollen sich
baldigst bei uns melden.
Hanau, 3. Juni 1907.
Das Vorsteheramt der Israeliten. Dr.
Bamberger." |
50-jähriges Dienstjubiläum von Lehrer Samuel Neumark (1879)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. April 1879: "Windecken,
26. März (1879). Gestern feierte der Lehrer der hiesigen israelitischen
Gemeinde, Herr Samuel Neumark, sein 50-jähriges Dienstjubiläum. Eine
große Anzahl seiner während dieser langjährigen Dienstzeit gewesenen Schüler
und Schülerinnen sowie die Mitglieder der hiesigen israelitischen
Gemeinde, die Führer der hiesigen städtischen Schulen, die Lehrer der
umliegenden Gemeinden, endlich das Vorsteheramt in Hanau erfreuten mit
Glückwünschen und passenden Geschenken den wackeren Lehrer. Abends war
gesellige Vereinigung im Gasthause 'Zur Hochmühle', wo sowohl die
städtischen Behörden, die Kollegen des Jubilars von Wundecken und
Umgegend und sonstige Gäste anwesend waren." |
Aus dem jüdischen
Gemeinde- und Vereinsleben
In der Gemeinde wird für die Hungernden in Palästina gesammelt (1846)
Artikel
in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter" vom 4. November
1846: "Hanau. Auch bei uns hat sich ein Lern-Verein
konstituiert. Alte, würdige Männer an der Spitze, haben sich jüngere
dem Unternehmen angeschlossen, und von dem Grundsatze ausgehend, dass
jetzt im Interesse des orthodoxen Judentums nichts Entsprechenderes
geschehen könnte, als Förderung jüdischen Studiums zur wahren
Volkssache zu machen, tagtäglich einige Mußestunden diesem hochheiligen
Gegenstande zu widmen, verabredete man, jeden Abend zwei Stunden
zusammenzukommen, und selbige zum Talmud-Studium zu verwenden. Die Idee
fand bald den erwünschten Anklang, und wurde, wie erwähnt, von Alt und
Jung gleich aufgefasst und gewürdigt. Wie sehr außerdem in unserer
Provinz überall echt religiöser Sinn noch wahrhaft vorherrscht, geht
auch daraus hervor, dass von dem benachbarten Windecken, wo nur 20 Familienväter
wohnen, als kaum durch die Blätter die Nachricht von der Hungersnot in
Palästina dort bekannt wurde, an ca. 60 Gulden hierher zur
Weiterbeförderung an die Hungerleidenden eingesandt wurden, gewiss ein
Zug von echter Religiosität und Humanität zeugend, wodurch diese
Gemeinde sich auszeichnet, und den andern Gemeinden des Sprengels als
rühmliches Beispiel vorangeht." |
Erfolglose Antisemiten-Versammlung in Windecken (1891)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. März 1891: "Hanau,
10. März (1891). Dr. Boeckel, der am Sonntag in Windecken bei Hanau eine
Antisemiten-Versammlung abhalten wollte, erregte durch seine Erklärung,
dass nur Gesinnungsgenossen Einlass haben sollten, einen derartigen
Tumult, dass die Versammlung nicht stattfinden konnte. Als nun von
antisemitischer Seite der Ruf 'diese Bande' ertönte, erfolgte stürmische
Auftritte. Boeckel wurde von Gendarmen aus dem Saal geleitet. Als es zu
tätlichen Zwistigkeiten kam, sah sich schließlich der Bürgermeister
genötigt, militärischen Schutz zu requirieren. von Hanau kam Militär in
einem Extrazuge an und 40 Mann blieben bis Montagvormittag im Orte. Dr.
Boeckel hatte inzwischen einen fluchtartigen Rückzug
angetreten." |
|
Über
die "Antisemiten-Versammlung" (beziehungsweise "Böckelschlacht")
von Windecken wurde auch in der nichtjüdischen Presse ausführlich
berichtet. Links eine Darstellung in einem Bericht der "Kleinen
Presse" vom 12. März 1891 (aus: M. Kingreen s.Lit. S. 106).
Im Zusammenhang mit der Antisemiten-Versammlung kam es zu einer schweren
Schändung des jüdischen Friedhofes. |
Über eine Versammlung des "Deutsch-Evangelischen
Schulvereins des Regierungsbezirks Kassel" mit Protest gegen den
Antisemitismus (1904)
Artikel in der Zeitschrift "Der
Israelit" vom 21. April 1904: "Windecken, 18. April
(1904). Der 'Frankfurter Generalanzeiger' berichtet unter dem 7. dieses
Monats von einer Versammlung, welche der 'Deutsch-evangelische Schulverein
des Regierungs-Bezirks Kassel' dort abgehalten hat, der auch der Pfarrer
Baumann von heir beiwohnte und dieselbe mit einem Gebete eröffnete. Auf
der Tagesordnung stand die sehr interessante Frage, ob auch das Neue
Testament ohne das alte gelehrt werden könnte. Männer aus theologischen,
philosophischen, antisemitischen und antichristlichen kreisen wollen das
alte Testament aus den Schulen verbannt wissen. Der evangelische Lehrer
Kühnle aus Cannstatt (Württemberg) äußerte sich: Die jüdische
Religionsgeschichte ist unentbehrlich, da sie die Religionsgeschichte der
ganzen Menschheit, und das Neue Testament an das Alte gekettet sei. Es
wurde am Ende der einstimmige Beschluss gefasst, den die Versammlung
kundgab mit den Worten: Wir protestieren gegen Alle, welche den Versuch
machen, die jüdische Religion aus ihrer zentralen Stellung als Quellen
aller Religionen zu verdrängen. Was wird Professor Delitzsch zu dieser
Kundgebung, die von seinen Leuten kommt, äußern? Es vereinigen sich doch
nicht alle mit ihm, und den Nimbus, die ersten Empfänger des Göttlichen
Geschenkes am Sinai zu sein, zu nehmen. Aber auch diejenigen unter uns,
welche leugnen und nicht glauben wollen, dass die Tora vom Himmel ist,
mögen sich von diesen Männern belehren und in ihrem Glauben stärken
lassen. Wenn datum in wenigen Wochen der Tag wiederkehrt, an dem sich unsere
Vorfahren versammelten, um aus der Hand des göttlichen Dieners Moses das
wertvolle Geschenk, das Israel besitzt, zu empfangen, so dürfen wir auch
heute wie immer wieder sagen dass der Tag, an dem unsere Tora gegeben
wurde unser eigen ist, und wir allein ihn zu feiern und uns mit ihm zu
freuen berufen sind, und jedem, der unser heiligstes Gut in entweihender
Weise antastet, zuzurufen, dass er die jüdische Religion als Religion der
Menschheit antastet, und die Quelle aller Religionen
verunreinigt." |
Spendenaufrufe für ein arme Gemeindeglieder (1901/1904)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. Juli 1901:
"'Wohl dem, der sich vernünftig des Armen annimmt, am Tage des
Unglücks errettet ihn der Herr' (hebräisches und deutsches Zitat aus
Psalm 41,2).
Wohltätige Glaubensgenossen! Wiederum bietet sich edlen
Menschenfreunden die Gelegenheit, ihren zehnten in würdiger Weise zu
verwenden. Es gilt einen braven, fleißigen und frommen Jehudi,
Vater einer zahlreichen Familie, noch mehreren unversorgten Kindern, vor
dem völligen Ruin zu bewahren. Wenn nicht gute Menschen helfen, so ist
für den Mann, der sich ehrenhaft ernährte, die große Gefahr vor
der Türe, dass ohne sein Verschulden, Hab und Gut verkauft wird.
Mildtätige Menschen verhütet, dass sich nicht die schlimme Befürchtung
erfülle, richtet ein verzweifelndes Herz auf, spendet schnell! Wer
schnell gibt, gibt doppelt.
Gaben nehmen der Unterzeichnete und die Geschäftsstelle dieses Blattes
unter Nr. 4545 gerne entgegen.
Windecken, 16. Juni (1901). S. Katz, Lehrer." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. März 1904: "Edle
Glaubensgenossen.
(hebräisch und deutsch:) Wer eine Seele von Israelit erhält, erhält
gleichsam eine ganze Welt.
Windecken, 20. März 1904. Ein braver Jehudi, Vater von 10 noch fast
unmündigen Kindern, der sich kümmerlich und redlich ernährt, besitzt
einen Sohn, den ältesten seiner Kinder, der schwer leidend ist, und
infolgedessen dem Berufe, dem er sich gewidmet, entsagen musste. Nach
Aussage der Ärzte ist durch mehrwöchentlichen Besuch eines Badeortes
Hilfe möglich. Der Vater ist nicht in der Lage, die Kurkosten aus seinen
Mitteln bestreiten zu können, eine große Gebotserfüllung kann hier
geübt werden, wenn sich gute Menschen bereit finden würden, ein
hoffnungsvolles Leben, das ohne Beistand verkümmern würde, erhalten, und
den tiefbetrübten Eltern eine Sorge erleichtern zu helfen. Auch in diesem
Falle gibt, wer schnell gibt, doppelt. Auf Verlangen bin ich bereit, den
Namen des Bittstellers, den Spendern zu offenbaren. Gaben nimmt außer den
Unterzeichneten, auch die Geschäftsstelle dieses Blattes unter Nr. 2282
entgegen.
S. Katz, Lehrer." |
Anzeige von Lehrer Sally Katz: Spendenliste für den
kurbedürftigen jungen Mann (1904)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 21. April 1904: "Auf meinen Aufruf im Israelit Nr. 23 für den
kurbedürftigen jungen Mann gingen bei mir folgende Spenden ein: N.N. in
Anvers (Belgien) 5 Mark, N. Schwabacher in Frankfurt am Main, 5 M., M.L.
in Tiefenort 5 M., M.F. in Stuttgart -30. H. P. in Frankfurt am Main 5 M.,
N.N. in T. 3,05 M. N.N. in Straßburg 1 M., Siegmund Fließ in Ballenstedt
5 M., Adolf Rosenblatt in Regensburg 20 M:
Bei der Geschäftsstelle direkt gingen ein: A.H. in Pudewitz 3 M., N.N. 1
M., Max Neumann in Kattowitz 3 M., Eugen Fribourg in Metz 3 M. Allen edlen
Spendern sage ich herzlichsten Dank.
Windecken, 18. April 1904. S. Katz, Lehrer."
|
Gründung eines Frauenvereines (1902)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Januar 1902: "Windecken,
28. Januar (1902). Am Chanukkafeste wurde in hiesiger Gemeinde ein
Frauenverein gegründet, als dessen Vorstandsmitglieder Frau Sophie
Müller, Frau Hedwig Katz und Herr Abraham Wolf gewählt
worden." |
Eine Versammlung des "Deutsch-Evangelischen
Schulvereins" diskutiert über die Frage der Beibehaltung des Alten
Testaments (1904)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 21. April 1904: "Windecken, 18. April (1904). Der
'Frankfurter Generalanzeiger' berichtet unter dem 7. dieses Monats von
einer Versammlung, welche der 'Deutsch-Evangelisch Schulverein des
Reg.-Bez. Kassel' dort abgehalten hat, der auch der Pfarrer Baumann von
hier beiwohnte und dieselbe mit einem Gebete eröffnete. Auf der
Tagesordnung stand die sehr interessante Frage, ob auch das neue Testament
ohne das alte gelehrt werden könnte. Männer aus theologischen,
philosophischen, antisemitischen und antichristlichen Kreisen wollen das
alte Testament aus den Schulen verbannt wissen. Der evangelische Lehrer
Kühnle aus Cannstatt (Württemberg) äußerte sich: Die jüdische
Religionsgeschichte ist unentbehrlich, da sie die Religionsgeschichte der
ganzen Menschheit, und das neue Testament an das alte gekettet sei. Es
wurde am Ende der einstimmige Beschluss gefasst, den die Versammlung
kundgab mit den Worten: Wir protestieren gegen alle, welche den Versuch
machen, die jüdische Religion aus ihrer zentralen Stellung als Quelle
aller Religionen zu verdrängen. Was wird Professor Delitzsch zu dieser
Kundgebung, die von seinen Leuten kommt, äußern? Es vereinigen sich doch
nciht alle mit ihm, uns den Nimbus, die ersten Empfänger des Göttlichen
Geschenkes am Sinai zu sein, zu nehmen. Aber auch diejenigen unter uns,
welche leugnen und nicht glauben sollen, dass die Tora von Gott ist,
möglich sich von diesen Männern belehren und in ihrem Glauben stärken
lassen. Wenn Datum in wenigen Wochen der Tag wiederkehrt, an dem sich
unsere Vorfahren versammelten, um aus der Hand des göttlichen Dieners
Moses das wertvollste Geschenk, das Israel besitzt, zu empfangen, so dürfen
wir auch heute wie immer wieder sagen, dass der Tag, an dem unsere Tora
gegeben wurde, unser eigen ist, und wir allein ihn zu feiern und uns mit
ihm zu freuen berufen sind, und jedem, der unser heiligstes Gut in
entweihender Weise antastet, zuzurufen, dass er die jüdische Religion als
Religion der Menschheit antastet, und die Quelle aller Religionen
verunreinigt." |
Eingang von Spenden nach dem Spendenaufruf für einen
kurbedürftigen jungen Mann (1904)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 21. April 1904: "Auf meinen Aufruf im Israelit Nr. 23 für den
kurbedürftigen jungen Mann gingen bei mir folgende Spenden ein. N.N. in
Anvers (Belgien) 5 M., N. Schwabacher in Frankfurt am Main, 5 M., M.L. in
Tiefenort 5 M., M.F. in Stuttgart -30, H.P. in Frankfurt am Main 5 M.,
N.N. in T. 3,05 M., N.N. in Straßburg 1 M., Siegmund Fließ in
Ballenstedt 5 M., Adolf Rosenblatt in Regensburg 20 M.
Bei der Geschäftsstelle direkt gingen ein: 1.K. in Pudewitz 3 M., N.N. 1
M., Max Neumann in Kattowitz 3 M., Eugen Fribourg in Metz 3 M.
Allen edlen Spendern sage ich herzlichsten Dank.
Windecken, 18. April 1904. S. Katz, Lehrer." |
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde
Zum Tod des Nathaniel
Heß (1871)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. August 1871: "Aus
der Wetterau, im Elul. Am 23. vorigen Monats starb Herr Nathaniel
Heß aus Windecken und wurde am folgenden Tage begraben; Herr
Distrikts-Rabbiner Adler aus Aschaffenburg hielt die Trauerrede. Das Leben
des Heimgegangenen verdient es, in weitern Kreisen bekannt zu werden.
derselbe errechte ein Alter von 76 Jahren und lebte 48 Jahre in sehr
glücklicher Ehe. Das ganze Leben dieses Mannes war der Tora und Gottes
Gebot geweiht und dies alles, so viel als möglich in bescheidener
Weise; er war Mohel (Beschneider) und an den
ehrfurchtgebietenden Tagen war er ehrenamtlicher Vorbeter. Sein
Haus war stets den Armen geöffnet; auch seine edle und fromme Ehefrau
stand ihm bei allem Guten würdig zur Seite. Die Wohltätigkeit dieses
Mannes war unbegrenzt und war derselbe auch allgemein hoch geachtet und
geehrt. So kam vor kurzer Zeit ein nichtjüdischer Bauer aus der Umgegend
und bat, man möge ihm doch gestatten, seinen kranken Wohltäter, der vor
mehreren Jahren mit vielen Opfern es dahin brachte, dass er von seinem
Anwesend nicht vertrieben wurde, besuchen zu dürfen, um demselben die
freudige Mitteilung zu machen, dass er, der Bauer, nun schuldenfrei
sei.
Besonders aber suchte dieser Fromme das Torastudium zu fördern. Obwohl
seit vielen Jahren sehr leidend, war er dennoch täglich morgens einer der
Ersten in der Synagoge. Die Liebe zur Tora war die Krone seiner
Frömmigkeit. Seit 16 Jahren hatte er sich gänzlich vom Geschäfte
zurückgezogen; seitdem studierte er fast immer in der heiligen
Gotteslehre. Obwohl er in seiner Kindheit nur wenig Gelegenheit gehabt
hatte zum Studium der Tora, so brachte er es dennoch durch eigenen
Fleiß und Liebe zur Sache recht weit darin, sodass er bei Familienfesten
über Worte der Tora Vorträge hielt, welche immer bezweckten, seine
Kinder und das Haus seines Nächsten dazu zu bringen um den Weg Gottes zu
beachten. Dieses Streben bewährte der Fromme namentlich bei Erziehung
seiner Kinder, und hat er häufig seiner Familie Worte der Moral aus einem
Buch so eindringlich vorgetragen, dass es Worte waren, die aus dem Herzen
kamen und in das Herz eindrangen. Einen seiner Söhne ließ er viele Jahre
lang von einem frommen Toralehrer erziehen zu Tora und
Gottesfurcht, was auch bei den guten Grundlagen vom elterlichen Hause
aus und der eigenen innerlichen Gottesfurcht des Knaben zum besten Erfolge
führte, sodass es uns zum Troste gereicht, bei diesem herben Verluste
sagen zu können, dass der Sohn versöhnt ist über seinen Tod -
der Verstorbene Fromme ertrug die langjährigen schmerzlichen,
körperlichen Leiden als Leiden der Liebe. Seine Seele sei
eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zum Tod des bedeutenden Finanziers Hermann Oppenheim (1876)
Anmerkung zu den "ägyptischen Oppenheims": Simon
Oppenheim (geb. 1803 in Zwickau, Familie war seit 1817 in Windecken) war
zunächst im Frankfurter Handelshaus Gebrüder Beyfus tätig, später
selbständiges Geschäft, ging 1850 nach London und gründete dort das Bankhaus
Simon Oppenheim & Co.; Partner war Simons Bruder Hermann, u.a. in
Konstantinopel und in Alexandria. Die Filiale in Alexandria (Oppenheim, Chabert
& Co.) wurde 1862 liquidiert. Eine neue Bank wurde später durch Henry
Oppenheim, den Sohn von Simon Oppenheim, der 1835 in Windecken geboren war,
gegründet (Oppenheim, Neven & Co.); sie bildete den Finanzmittelpunkt in
Ägypten (insbesondere für den Eisenbahnbau).
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. Juli 1876:
"Paris. Hier starb unlängst Herr Hermann Oppenheim, Chef der
Firma Alberti Oppenheim u. Co. in Alexandrien. Der im besten Mannesalter
Verstorbene, dessen Wiege in Windecken bei Frankfurt stand, hat es
verstanden, sich aus kleinen Verhältnissen und trotz mannigfaltiger
Wechselfälle zu einer bedeutenden und einflussreichen Finanzmacht
emporzuarbeiten. Frühzeitig nach London gelangend, und dort einen Einblick
in das verwickelte Getriebe der Haute Finance erhaltend, war er es,
welcher später die Agentur in den ägyptischen Vorschuss- und
Anlehensgeschäften an sich zu ziehen wusste, sodass er bald dieses Gebiet
fast ausschließlich beherrscht. Oppenheim war es auch, welcher die
großen Anlehen mit dem Khedive abschloss und speziell an den deutschen
Markt durch Vermittlung der Mitteldeutschen Kreditbankgruppe die ersten ägyptischen
Fonds brachte. Zu seinen großen Erfolgen trug namentlich auch der Umstand
bei, dass er, ebenso wie später Hirsch in der Türkei, das ägyptische
Geschäft als seine Spezialität ansah und auf diese seine ganze Kraft
verwendend, allen anderen Unternehmungen prinzipiell fern blieb. Anerkannt
muss werden, dass das Glück ihn nicht vergesslich machte, und dass er
stets großartige Unterstützungen nach Deutschland sandte. Der
Verstorbene, welcher enorme Reichtümer hinterlassen haben muss, besaß
Geschäftshäuser in Alexandrien, London, Paris und
Konstantinopel." |
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Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. August 1876:
"Mainz, 18. August (1876). In Nummer 30 des 'Israelit' war über den
Tod des Bankier Hermann Oppenheim zu Paris, gebürtig aus Windecken
unweit Frankfurt am Main berichtet. Zu unserem Bedauern erfahren wir durch
den 'Univ. Israélite', dass der Genannte seit längerer Zeit getauft
war." |
Über Lassa Francis Lawrence Oppenheim (geb. 1858 in Windecken, gest. 1919
in London)
Lassa Francis Lawrence Oppenheim wurde am 30. März 1858 in Windecken geboren und ging hier zur Schule. Er studierte gegen den Willen seines Vaters Jura,
war zunächst Professor des Strafrechts in Freiburg und Basel (1885
beziehungsweise 1891) und seit 1895 in England, wo er zunächst an der
London School of Economics, seit 1908 als Professor an der Universität Cambridge
unterrichtete. Er war einer der ersten, die sich mit dem Internationalen Recht befassten. Seine wichtigste Publikation ist das 1905 erschienene zweibändige Werk
"International Law: A Treatise", das 1990 zum 8. Mal neu aufgelegt wurde und heute noch weltweit Grundlage des Völkerrechts ist. Professor Oppenheim starb am 7. Oktober 1919 in London. |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Lehrlingssuche der Metzgerei Raphael Wolf (1898)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. September 1898:
"Ein kräftiger Junge, aus guter Familie, kann die Metzgerei
gründlich erlernen bei Raphael Wolf in Windecken bei Hanau.
Samstags geschlossen." |
Lehrlingssuche der Metzgerei Adolf Wolf in Ostheim (1900)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. Oktober 1900: "Ein
braver kräftiger Junge, von guter Familie, der die Metzgerei und
Wurstfabrikation erlernen will, findet sofort Stellung. Samstags und
Feiertage geschlossen.
Adolf Wolf, Ostheim bei Hanau." |
Anzeige der Bäckerei B. Adler in Ostheim (1901)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. Juli 1901: "Ein
tüchtiger Bäckergeselle kann sofort eintreten. Samstage und
Feiertage geschlossen.
B. Adler, Ostheim, Kreis Hanau." |
Anzeige des Mehl- und Landesproduktengeschäftes Jacob Levi (1906)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 1. Juni
1906:
"Für mein Mehl und Landesproduktengeschäft suche ich zum
alsbaldigen Eintritt einen
Lehrling.
Kost und Logis im Hause. Samstags und Feiertage geschlossen.
Jacob Levi, Windecken bei Hanau." |
Zur Geschichte der Synagoge
Eine Synagoge war bereits seit dem Mittelalter
vorhanden. 1429 wird in einer Urkunde Juden Josep genannt, der damals und noch
etliche Zeit später in der Judenschule zu Windecken wohnte. Ende des 15.
Jahrhunderts wird von einer "neuen Judenschule" berichtet
(1498). Die "alte Judenschule" wurde 1512 abgebrochen. Über ihren
Standort liegen keine Angaben vor. Bei der "neuen Judenschule"
handelte es sich um die bis zum 20. Jahrhundert bestehende Synagoge. 1590
wurde die Synagoge auf Befehl der Herrschaft in Hanau geschlossen, da damals die
Vertreibung der Juden aus der Herrschaft geplant war. Auf Intervention des
Kaisers konnte sie 1603 wiedereröffnet werden. In den Jahren der Schließung
war das Gebäude baufällig geworden und musste renoviert werden.
Die Synagoge in Windecken war schon auf Grund ihres Alters historisch besonders
wertvoll. Bis zu ihrer Zerstörung 1938 verfügte sie über einen großen Schatz
antiker Kultgeräte (von L. Horwitz, Kassel als "Museum des hessischen
Judentums" bezeichnet). Der Tora-Schmuck, der Tora-Schrein, Vorhänge, die
Kultdecken und die sonstigen rituellen Gegenstände waren teilweise Hunderte von
Jahre alt. Noch 1937 wurde an jedem Sabbat Gottesdienst abgehalten. Der Betraum
hatte 66 Männer- und 34
Frauenplätze.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge geschändet
und zerstört. Bereits am 9. November kam es zu einem ersten Versuch, die
Synagoge anzuzünden. Am frühen Nachmittag des 10. November 1938 hatten sich SA-Leute
und andere Nationalsozialisten vor der Synagoge gesammelt. Die Fenster wurden
eingeschlagen; der Innenraum wurde verwüstet, das "brauchbare"
Inventar gestohlen, danach wurde versucht, Feuer zu
legen. Ein nichtjüdischer Nachbar versuchte, dies zu verhindern. Darauf begann
man, die Mauern der Synagoge einzureißen. Am nächsten Tag wurde der
geplünderte Innenraum mit Strohballen angefüllt und Benzin darüber gegossen.
Die Synagoge brannte die ganze Nacht, eine große Menschenmenge schaute zu. In
den folgenden Tagen wurden die Trümmer auf Kosten der jüdischen Gemeinde
beseitigt, das Grundstück planiert. Im April 1940 kam das Grundstück in
den Besitz der Stadt, die 1943 hier einen Feuerlöschteich anliegen ließ. Nach
1945 wurde der Teich wieder aufgefüllt und das Grundstück 1950 mit einem
Wohnhaus überbaut. 1986 wurde dieses Haus abgebrochen, dabei kamen die
Fundamente der Synagoge wieder zum Vorschein. 1988 wurde auf dem
ehemaligen Synagogengrundstück eine evangelisch-methodistische Kirche
erbaut.
Im November 1985 wurde am Platz der früheren Synagoge eine Gedenktafel
angebracht. Die Inschrift der Gedenktafel lautet: "Den Toten zum
Gedenken - Den Lebenden zur Mahnung. An dieser Stelle standen die im Jahre 1481
erbaute Synagoge, das Judenbad, das Gemeindehaus und die Schule der Juden von
Windecken und Ostheim. Die Synagoge - als Museum und Kleinod des hessischen
Judentums bezeichnet - wurde am 9. November 1938 niedergebrannt und zerstört.
Die jüdische Gemeinde hatte im Ersten Weltkrieg drei Gefallene: Sigmund Jacob,
Siegfried Katz und Joseph Wolf. Letzter Vorsitzender der jüdischen Gemeinde war
Salli Reichenberg, dem im Ersten Weltkrieg für seinen Militärdienst das
Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen wurde. In den zwanziger Jahren hatte
Windecken 2 jüdische Stadtverordnete: Moritz Müller und Felix Schuster. Durch
die nationalsozialistische Diktatur ihrer Existenzgründlage beraubt, wanderten
viele jüdischer Mitbürger aus. Nicht alle konnten ihr Leben durch Flucht aus
ihrer Heimat retten. Die letzten noch in Windecken verbliebenen jüdischen
Mitbürger, darunter Salli Reichenberg, wurden in Konzentrationslager
verschleppt und dort ermordet. Wir trauern um das Leid aller Windecker und
Ostheimer Juden. Schalom - Schalom."
Adresse/Standort der Synagoge: Synagogenstraße 22 (alte
Judengasse, 1925 in Synagogenstraße beziehungsweise in Ostheimer Straße
umbenannt wurde; 1935 in Braugasse umbenannt, seit 1988 wieder
Synagogenstraße).
Fotos
(Quelle: Plan der Stadt Windecken von 1727: Geschichtsverein
Windecken; Abbildungen der Synagoge bei M. Kingreen s.Lit.)
Pläne |
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Ausschnitt aus dem Plan der
Stadt Windecken von 1727 mit
Eintragung der "Judengasse" und mit
Nr. "6" der Synagoge |
Lage der
Synagoge mit dem Gemeindehaus,
dem rituellen Bad, der jüdischen Schule
und
dem Synagogengarten, im Süden und Osten
von der Stadtmauer begrenzt. |
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Historische Fotos |
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Ostseite der
Synagoge im März 1938,
links ein Stück der Stadtmauer |
Blick von Süden
auf die Synagoge
und das Gemeindehaus |
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Rekonstruktionszeichnungen
von Frank Schmidt (1985) |
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Die Ostseite der
Synagoge mit den
hohen Fenstern und der Rosette im Giebel |
Rekonstruktionszeichnung
von
Synagoge und Gemeindehaus |
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Gedenken an die
ehemalige Synagoge
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 22.3.2009) |
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Die an Stelle der
früheren Synagoge erbaute
evangelisch-methodistische Kirche |
An der Mauer hinter
dem parkenden Auto
ist die Gedenktafel angebracht |
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Teil der Stadtmauer
beim ehemaligen
Synagogengrundstück |
Gedenktafel
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Straßenschild
"Synagogenstraße" |
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
September
2008: Erste Verlegung von
"Stolpersteinen" in Nidderau
Hinweis: Zum Lesen der Artikel bitte
Textabbildung anklicken |
Bericht
in der "Frankfurter Neuen Presse" vom 2. September 2008 von Susanne
Krejcik: "Auf den Spuren der Juden". |
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Bericht in der "Frankfurter Neuen Presse" vom 5. September 2008
von Susanne Krejik: "Erinnerung auf 10x10 Zentimetern". |
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Bericht
in der "Frankfurter Rundschau" vom 5. September 2008 von Jörg
Andersson: "Stolpersteine - Vor 70 Jahren wurden jüdische Familien
aus Nidderau deportiert. Erinnerung vor Haus Nummer 9. Nidderau -
Gedenksteine für ermordete Juden". |
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Oktober
2009: Zweite Verlegung von
"Stolpersteinen" in Nidderau |
Nidderau: Zweite Stolpersteine-Verlegung in Nidderau
Pressemeldung der Stadt Nidderau - Pressestelle vom 14. Oktober 2009
(Quelle: www.pressemeldung-hessen.de,
Artikel) :
Nidderau. 26 Stolpersteine vor fünf Häusern im Stadtgebiet Nidderau erinnern bereits an Opfer der nationalsozialistischen Diktatur. Am 20. Oktober kommen 13 weitere Gedenktafeln hinzu, die der Kölner Künstler Gunter Demnig zwischen 9 und 11.30 Uhr eigenhändig verlegt. Der Rabbiner Andrew Steiman aus Frankfurt begleitet die Einbettung der Mahnmale vor fünf ehemaligen Wohnstätten jüdischer Bürgerinnen und Bürger in Windecken. Interessierte Bürgerinnen und Bürger sind herzlich eingeladen, an der Verlegung teilzunehmen.
Die Verlegung beginnt um 9 Uhr vor dem Anwesen in der Glockenstraße 6. Im Abstand von jeweils etwa einer halben Stunde setzt Demnig den Vorgang an vier weiteren Windecker Adressen fort. Folgender 13 Opfer wird in Form neuer Stolpersteine namentlich gedacht: Selma Kahn (Glockenstraße 6), Julius und Johanna Reichenberg (Glockenstraße 4), Recha Rosa und Sophie Müller (Ostheimer Straße 1), Moritz, Kathinka, Joseph, Lilli, Doris und Grete Müller (Friedrich-Ebert-Straße 12) und Hilda und Lollo Oppenheimer (Heldenberger Straße 5).
Als einer von über 480 Orten in Deutschland, Österreich, Ungarn Polen, der Ukraine und den Niederlanden ist Nidderau somit am größten dezentralen Denkmal und Kunstprojekt der Welt beteiligt. Insgesamt über 20.000 etwa 10 mal 10 Zentimeter große Gedenktafeln aus Messing hat Demnig inzwischen jeweils in den Bürgersteig vor dem letzten freiwilligen Wohnort von Opfern des nationalsozialistischen Terrors eingelassen. Eingeprägt ist nach den Worten
"Hier wohnte" der Name und das jeweilige Schicksal der Person. Die Platten werden ebenerdig verlegt,
"stolpern" sollen nur das Auge und das Herz.
Am Samstag, den 17. Oktober findet um 14 Uhr ein Rundgang mit dem Thema
"Auf den Spuren der jüdischen Familien Windeckens und der Geschichte der Jüdischen Gemeinde
Windecken" mit Monica Kingreen statt. Treffpunkt für diese Veranstaltung ist der Marktplatz in Windecken. |
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September
2010: Dritte Verlegung von "Stolpersteinen" in Nidderau |
Pressemitteilung der Stadt
Nidderau vom 30. August 2010 (Quelle: www.pressemeldung-hessen.de):
"Nidderau: Gedenken an NS-Opfer in Ostheim und Heldenbergen. Dritte Verlegung von
'Stolpersteinen' in Nidderau am 9. September.
Nidderau – Am Donnerstag, den 9. September 2010, kommen die Namen von 28 Opfern des Nationalsozialismus wieder dahin zurück, wo diese ihr Zuhause hatten. Der Kölner Künstler Gunter Demnig setzt sein Erinnerungsprojekt fort und verlegt zum dritten Mal
'Stolpersteine' in Nidderau.
Über 22.000 zehn mal zehn Zentimeter große Gedenktafeln in über 500 Orten Deutschlands und mehreren Ländern Europas hat Demnig bereits in den Bürgersteig eingefügt. Sie erinnern direkt vor ihrer letzten freiwilligen Wohnstätte an Menschen, die während der Herrschaft der Nationalsozialismus verfolgt, deportiert und ermordet wurden. 39
'Stolpersteine' in Ostheim, Windecken und Heldenbergen rufen bereits die Erinnerung an die Opfer wach. 28 weitere sollen am 9. September folgen und das schon jetzt größte dezentrale Mahnmal der Welt ergänzen.
Die Verlegung beginnt um 9 Uhr in der Spessartstraße 2 in Ostheim, wo Bürgermeister Gerhard Schultheiß ein Grußwort sprechen wird. An zwei Stellen in Ostheim werden insgesamt acht
'Stolpersteine' in den Bürgersteig eingelassen, es folgen 20 Gedenksteine an sechs Stellen in Heldenbergen. Begleitet wird die Verlegung von mehreren Geistlichen der Kirchen Nidderaus sowie von Schulklassen der
Bertha-von-Suttner-Schule. Bürger der Stadt tragen vor Ort Gedenkworte an die Opfer vor.
Die Initiative 'Stolpersteine' wird durch bürgerschaftliches Engagement getragen. Die Kosten für die Steine in Höhe von jeweils 95 Euro tragen einzelne Bürger. Wer sich an der Initiative beteiligen möchte, findet mehr Informationen im Internet unter
www.stolpersteine-nidderau.de
oder kann sich telefonisch unter 0177/4541345 an Dr. Ralf Grünke wenden." |
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Zum aktuellen Stand der
"Stolperstein-Verlegung" in Nidderau siehe die Website www.stolpersteine-nidderau.de |
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Juni
2012: Die "Stolpersteine" werden
durch Mormonen gereinigt |
Pressemitteilung vom 4. Juni
2012: "'Mormon Helping Hands' reinigen Gedenktäfelchen für
jüdische Opfer des Nationalsozialismus..."
Link
zum Artikel
Anmerkung: durch 45 Gläubige der "Kirche Jesu Christi der
Heiligen der Letzten Tage" wurden die insgesamt 80
"Stolpersteine" in Heldenbergen, Windecken und Ostheim
gereinigt. Künftig sollen alle ein bis zwei Jahre in Nidderau jeweils
eine Schule, ein Verein oder eine Kirchengemeinde die Messingtäfelchen
polieren und so die Erinnerung an ehemalige jüdische Mitbürger wach halten. |
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Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
| Monica Kingreen: Jüdisches Landleben in Windecken, Ostheim und
Heldenbergen. Hg. von der Stadt Nidderau. Hanau 1994 (mit weiteren
Literaturangaben). CoCon Verlag
Hanau. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 219-220. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 465-466. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Windecken
(now part of Nidderau) Hesse-Nassau. Expelled during the Black Death
persecutions of 1348-49, Jews returned and built a synagogue in 1429 that was
maintained for over 500 years. Numbering 192 (11 % of the total) in 1850, the
community was the birthplace of eminent individuals such as Lassa Francis L.
Oppenheimer (1858-1919), an authority on international law at Cambridge
University. Socialists led the battle against antisemitism from 1891 until 1933,
when the community (affiliated with the Hanau rabbinate) dwindled to 44. The
Nazis burned the ancient synagogue on Kristallnacht (9-10 November) and
by July 1941 no Jews remained. Thirteen had emigrated and at least 12 perished
in the Holocaust.
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