Predigt zur Diakonen-Weihe am 13. Dezember 2008 - von Weihbischof Dr. Stephan Ackermann
Liebe Weihekandidaten,
liebe Eltern und Verwandten,
liebe Mitbrüder im Dienst als Diakon, Priester und Bischof,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge,
Schwestern und Brüder im Glauben!
In den letzten Jahren hat in der Priesterausbildung das Schlagwort von den »burning persons« die Runde gemacht. Damit sind Menschen gemeint, die »brennen«, die »Feuer und Flamme« sind für eine bestimmte Sache oder ein bestimmtes Anliegen. Das Schlagwort stammt zwar nicht unmittelbar aus dem kirchlichen Bereich, aber es lässt sich doch leicht übertragen auf Menschen, die einen Dienst in der Kirche anstreben. Nur »burning persons« können etwas bewegen. Das gilt für Unternehmen, das gilt in der Gesellschaft. Das gilt erst recht für den Glauben und die Kirche. Wenn ich nicht selbst ergriffen bin, werden andere sich nur schwer von der Botschaft ergreifen lassen, die ich verkünden soll.
So betrachtet, passen die biblischen Lesungen vom heutigen Samstag der 2. Adventswoche, die wir soeben gehört haben, ja zum Anlass der Diakonenweihe. Das gilt vor allem für diesen Lobpreis, den das Buch Jesus Sirach auf den Propheten Elija singt: Gleich viermal ist in den Versen vom Feuer die Rede: Er war ein Prophet wie Feuer, seine Worte waren wie ein brennender Ofen, Feuer ließ er vom Himmel herniederfallen, im Wirbelsturm und in Feuermassen wurde er himmelwärts entrückt. Aber das Motiv des Feuers findet sich auch bei Johannes dem Täufer, von dem das Evangelium spricht. Er ist nach der Deutung Jesu der wiederkehrende Elija, den man erwartete, damit er dem kommenden Messias den Weg bereite. Johannes hatte ja in seiner Predigt das bevorstehende Gericht mit Feuer verglichen, in dem die Spreu einer veräußerlichten Frömmigkeit und eines Glaubens ohne Konsequenzen verbrannt wird (Lk 3,8-17).
Wird also unseren Weihekandidaten an ihrem heutigen Weihetag das Feurig-Prophetische in besonderer Weise ins Stammbuch geschrieben? Wenn ja, dann lässt sich fragen: Verträgt sich denn das Prophetische überhaupt mit dem Dienst des Diakons? Im Weihegebet wird es nachher heißen, dass die Kandidaten »mit Würde und Bescheidenheit« allen begegnen sollen. Ob das aber Eigenschaften sind, die Propheten auszeichnen? Echte Propheten waren und sind doch in aller Regel sperrige Zeitgenossen, unbequeme Mahner, zu keinen Kompromissen bereit ... Wünschen wir uns solche Männer für unsere Gemeinden? Sehen die Fünf so aus? Wollen Sie, liebe Weihekandidaten, solche prophetischen »Typen« nach dem Modell eines Elija oder eines Täufers Johannes sein? Wenn ich das Zeugnis, das der Herr Regens zu Beginn der Weiheliturgie den Fünf ausgestellt hat, richtig verstanden habe, müssen wir nichts Schlimmes befürchten ...
Dennoch, auch das Amt des Diakons kommt – ebenso wenig wie das des Priesters oder des Bischofs - nicht ohne ein prophetisches Element aus. Sonst wird aus Amt Beamtentum im negativen Sinn des Wortes. Worin aber könnte dieses prophetische Element im diakonalen und später im priesterlichen Dienst unserer fünf Weihekandidaten liegen?
Für die Antwort möchte ich eine prophetische Gestalt der jüngsten Kirchengeschichte zu Hilfe nehmen: den Jesuitenpater Alfred Delp, der im Widerstand gegen das Nazi-Regime aktiv war. Nach dem misslungenen Attentat auf Hitler im Juli 1944 wurde er, obwohl er an der Planung und Durchführung nicht beteiligt war, verhaftet und wenige Monate vor Kriegsende hingerichtet. In seinen berühmt gewordenen Adventspredigten, die er 1941 in München-Bogenhausen hielt, sagt er über das Auftreten von Johannes dem Täufer und dessen Anliegen: »es soll wieder entdeckt werden, dass Gott der Herr ist. Dass der Mensch wieder lernt, persönlich und praktisch und alltäglich mit Gott als der letzten Kategorie des Wirklichen [...] zu rechnen. Wir haben diese Kategorie verloren, wir sind nicht mehr die Menschen der Eindeutigkeit, die wissen um diesen einen Herrn, wir sind Menschen der vielen Herren geworden, irgendwie gespalten, irgendwie zerteilt. Wir könnten mehr als zwei Hände brauchen, um es allen recht zu machen ...« (Predigt zum 4. Advent). Wir spüren: Was P. Delp vor nun fast 70 Jahren gesagt hat, das hat in unserer Zeit nichts von seiner Aktualität verloren, im Gegenteil, man muss den Eindruck haben, dass es sogar an Dringlichkeit gewonnen hat, obwohl wir unter völlig veränderten Bedingungen leben. Doch auch wir könnten wahrhaftig »mehr als zwei Hände brauchen, um es allen Recht zu machen«. Woran liegt es?
Liegt es nicht an den vielen und z. T. konkurrierenden Ansprüchen, die von den unterschiedlichen Seiten an uns herangetragen werden und die dazu führen, dass wir uns häufig so »gespalten« vorkommen? Und liegt es nicht daran, dass im Grunde alles, was uns umgibt und was wir tun, in der Optik von Kosten und Nutzen, von Leistung und Effektivität betrachtet wird? Immer stellt sich die Frage: Was bringt es? Lohnt sich der Aufwand? Können und wollen wir uns das leisten? So fragen wir ja nicht nur, wenn es ums Geld geht, sondern auch um das Erreichen von anderen Werten in der Gestaltung unseres individuellen und sozialen Lebens. Wieviel Mitmenschlichkeit kann und will ich mir leisten? Wieviel unentgeltliches Engagement? Wo ist die Schmerzgrenze erreicht, weil mein persönliches Fortkommen behindert ist? Wer wach ist, merkt, wie sehr durch diese Optik nicht nur die verschiedenen Bereiche unseres Lebens, sondern der Mensch selbst immer mehr unter diesen Maßstab von Ertrag und Nutzen gestellt wird. Wehe dem, der spürt, dass sein Leben eigentlich zu nichts mehr nütze ist!
Gott steht jenseits all dieser Überlegungen. Er lässt sich nicht nutzen, lässt sich gerade nicht verzwecken. Genau das macht den Gottesglauben heute vielfach so schwer. Man spricht ja schon von der »verlorenen Nützlichkeit der Religion« (T. Ruster): Vor einigen Jahrzehnten brachte die Zugehörigkeit zu Glauben und Kirche noch konkrete Vorteile. Heutzutage kann man den Nutzen etwa im Bereich der Erziehung, der sozialen Unterstützung, der Geborgenheit in einem Sinnhorizont ähnlich auch in vielen anderen Institutionen erfahren. Den Menschen einen direkt messbaren »Mehrwert« des Glaubens zu beweisen, fällt schwer. Das erschwert den Glauben insgesamt. Andererseits liegt darin gerade seine befreiende Kraft: Denn wer an Gott glaubt, verfolgt damit keine Zwecke. In dem Maße, in dem wir das entdecken, werden wir aus der Sklaverei des Zweck- und Nützlichkeitsdenkens befreit. - Damit wir uns nicht missverstehen: Natürlich müssen wir rechnen können. Natürlich müssen wir (auch in der Kirche) auf die Ressourcen schauen, die uns für ein bestimmtes Ziel zur Verfügung stehen. Doch dürfen diese Fragen nicht die letzte und alles beherrschende Perspektive sein. Das meint ja P. Delp, wenn er dazu ermahnt, »dass der Mensch wieder lernt, persönlich und praktisch und alltäglich mit Gott als der letzten Kategorie des Wirklichen [...] zu rechnen«, d. h. mit der Wirklichkeit, die nicht zur Disposition steht, auch wenn sie keine direkt messbaren Ergebnisse zeigt. »Wenn Gott ist, dann ist das das Wichtigste« (R. Spaemann).
Das in Erinnerung zu rufen mit Worten, aber vor allem durch das gelebte Leben, das ist seit jeher der Kern der Prophetie, auch wenn sie keine sichtbaren Erfolge aufweisen kann und das Kommen Gottes sich ganz anders vollzieht als der prophetische Zeuge sich das selbst vorgestellt hatte. Beispiele dafür sind die beiden Gestalten, auf die die biblischen Lesungen anspielen: Elija, der an seinem Glauben an Jahwe als den wahren Gott festhielt, auch als der Himmel verschlossen blieb und der ersehnte Regen auf sich warten ließ (1 Kön 18,43ff) Beispiel ist der Täufer, der an Jesus die bange Frage ausrichten lässt: »Bist du [tatsächlich] der, der kommen soll?« (Mt 11,2f)
Die Wirklichkeit Gottes zu bezeugen über alle Zweck- und Nützlichkeitserwägungen hinaus, das ist das prophetische Zeugnis, das unsere Zeit braucht, auch wenn sie es nicht weiß oder nicht wahrhaben will. Und dieses Zeugnis ist nicht nur prophetisch, sondern es ist auch diakonisch. Denn es hilft, den Menschen in seiner Würde zu retten oder ihn gar darin wiederzugewinnen anstatt in ihm nur den Leistungsträger oder den Kostenfaktor zu sehen.
Liebe Mitbrüder, wenn Sie gleich Ihre Bereitschaft erklären, sich zu Diakonen weihen zu lassen, dann sagen Sie damit: »Nicht wir wollen Gott an uns binden, um ihn für unsere Zwecke in Anspruch zu nehmen. Nein, wir wollen uns von ihm, von seiner Wirklichkeit in Anspruch nehmen lassen und uns an ihn binden.« Die Diakonenweihe macht das, so finde ich, noch deutlicher als die Priesterweihe. Denn mit der heutigen Diakonenweihe werden Ihnen ja - anders als bei der Priesterweihe - noch keine besonderen amtlichen Vollmachten übertragen. Gerade deshalb ist es sinnvoll, dass alle, die auf dem Weg zum Priestertum sind, vorher die Diakonenweihe empfangen und damit zum Ausdruck bringen: Vor jeglicher Vollmachtsübertragung geht es zuerst und vor allem um die Bereitschaft, sich vom lebendigen Gott, der »letzten Kategorie des Wirklichen«, wie A. Delp sagt, in Beschlag nehmen zu lassen.
In Ihrem gemeinsamen Weihespruch, der sich ja auch auf dem Liedblatt findet, sehe ich diese Bereitschaft ausgedrückt: »Dient dem Herrn mit Freude, kommt vor sein Antlitz mit Jubel!« Sie, liebe Weihekandidaten sind bereit, dem Gott zu dienen, der uns in Jesus ganz konkret sein Antlitz gezeigt hat. Gerade von Jesus her dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott – mögen wir auch immer wieder in die Versuchung fallen, ihn für unsere Zwecke einzuspannen –, seine Diener nicht für seine Zwecke missbraucht. Augustinus hat das übrigens in der Auslegung zu Psalm 100, dem der Weihespruch entnommen ist, wunderschön formuliert. Er sagt über den Dienst, in den Sie nun eintreten: »Eine freie Knechtschaft ist beim Herrn, eine freie Knechtschaft, wo nicht der Zwang, sondern die Liebe dient ... Zum Knecht macht dich die Liebe, denn die Wahrheit hat dich frei gemacht ... So bist du in einem Knecht und Freier«. Wir wollen darum beten, dass Sie Ihr Leben lang die beanspruchende und zugleich befreiende Wirklichkeit Gottes erfahren und dass Sie sie den Menschen, zu denen Sie gesandt werden, bezeugen. Dann wird Ihr Dienst wirklich diakonisch und prophetisch zugleich sein. Amen