Fastenzeit ist nicht eine Art von religiösem Trainingslager

... sondern erneuerte Ausrichtung auf Gott - Predigt von Weihbischof Dr. Stephan Ackermann am Aschermittwoch 2007 im Hohen Dom zu Trier

[Lesungs-Texte: Joel 2,12-18/ 2 Kor 5,20-6,2/ Mt 6,1-6.16-18]


Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
liebe Mitbrüder im Diakonen-, Priester- und Bischofsamt!

Die Collecta, das Tagesgebet, des Aschermittwochs berührt mich immer wieder, wenn ich es höre und bete. Es ist Programm nicht nur für den heutigen Tag, sondern für die gesamte Fastenzeit. Ich möchte es daher mit Ihnen ein wenig bedenken:

Getreuer Gott,
im Vertrauen auf dich beginnen wir
die vierzig Tage der Umkehr und Buße.
Gib uns die Kraft zu christlicher Zucht,
damit wir dem Bösen absagen
und mit Entschiedenheit das Gute tun.

Getreuer Gott, im Vertrauen auf dich beginnen wir die vierzig Tage der Umkehr und Buße: Das ist das Erste, der Ausgangspunkt von allem: das Vertrauen auf Gott. Wir beginnen diese 40 Tage gerade nicht damit, dass wir das Vertrauen in unsere eigenen Selbstheilungskräfte beteuern, beginnen nicht damit, dass wir unsere guten Vorsätze benennen. Nein, wir beginnen die Fastenzeit damit, dass wir uns auf Gott beziehen, den anrufen, der durch die Heilsgeschichte hindurch seine Treue gezeigt hat und uns Menschen treu bleibt.

Damit wird deutlich: Fastenzeit ist nicht eine Art von religiösem Trainingslager, sondern erneuerte Ausrichtung auf Gott. Ansonsten würden wir uns doch wieder nur um uns selbst drehen. In vielen säkularen Spielarten der Fastenzeit, die es inzwischen ja auch gibt, weil man den Wert von körperlicher und geistiger Entschlackung entdeckt hat, ist das ja auch so: Die Fastenzeit wird verstanden als Zeit erhöhter Sorge und Aufmerksamkeit auf sich selbst. Ich will nicht leugnen, dass darin durchaus Richtiges und Wichtiges steckt, aber leicht besteht die Gefahr, dass man am Ende doch nur Nabelschau betreibt. Die heiligen 40 Tage dagegen wollen uns gerade die Chance bieten, Kopf und Herz herauszustrecken aus dem Kreislauf, in den wir durch unsere alltägliche Arbeit und unsere Gewohnheiten eingespannt sind.

Wie das geht, sagt uns der zweite Satz des Gebetes. Es ist die eigentliche Bitte: Gib uns die Kraft zu christlicher Zucht, damit wir dem Bösen absagen. Das klingt nun einigermaßen antiquiert. Wer spricht heute noch von christlicher »Zucht«? Manch einem steigen unangenehme Bilder aus der Schulzeit auf, als noch Zucht und Ordnung herrschten ... Wenn wir aber auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes hören, nach der Wortwurzel fragen, dann kann sich für uns ein positiver Sinn von »Zucht« erschließen. Denn Zucht kommt schließlich von ziehen. Das bedeutet: Richtig verstandene Zucht, d.h. ein gutes Maß und die rechte Ausrichtung des Lebens werden nur demjenigen gelingen, der sich von etwas ziehen lässt, sich anziehen lässt, innerlich gezogen wird. Genau daran wollen die hl. 40 Tage uns wieder erinnern, indem sie uns fragen: »Was zieht dich eigentlich in deinem Leben? Was ist der Motor, die innere Dynamik, die dich nach vorne treibt?« Mit dieser Frage stellt die Fastenzeit uns zugleich neu den Gott vor Augen, der die Menschen an sich ziehen will (Joh 12,32). Richtig verstandene christliche Zucht ist also nicht zuerst eine Sammlung von Verhaltensmaßregeln und »züchtigen« Eigenschaften, sondern die Bereitschaft, sich von Gott anziehen, von ihm bewegen zu lassen.

Gib uns die Kraft zu christlicher Zucht
, heißt: Um den Mut zu bitten, Gott als die Grunddynamik meines Lebens anzuerkennen. Alles andere ist »Zucht« à la Münchhausen, die versucht, sich am eigenen Schopf selbst aus dem Sumpf zu ziehen ... Das wäre »Zucht«, die nur an die eigenen Kräfte appelliert. Sie geht aber am eigentlichen Sinn der Fastenzeit, ja des ganzen Glaubens vorbei. Und wahrscheinlich ist sie ohnehin zum Scheitern verurteilt, weil unsere Kräfte zur Selbstheilung in der Regel nicht ausreichen.

In diesem Zusammenhang muss ich immer an einen Satz denken, den ich vor einigen Jahren aufgeschnappt habe und der sich mir eingeprägt hat. Es ist eine Bitte, die ein Mensch gegenüber einem anderen ausdrückt. Es könnte aber auch die Bitte an Gott zu Beginn der Fastenzeit sein:

Erwarte nicht, dass ich mich ändere, damit du mich lieben kannst.
Liebe mich, damit ich mich ändern kann.
(Fritz Köbler)

Nichts anderes setzt in uns Menschen solche Kräfte frei wie eine Liebe, eine Zuneigung, die uns entgegengebracht wird und auf die wir in Freiheit antworten. Wer von der Liebe getroffen ist, der ändert sich. Eltern kennen ihre eigenen Kinder nicht mehr ... Gott weiß darum. Denn er selbst hat dieses Gesetz in uns hineingelegt. Deshalb beschreitet er in Jesus Christus den Weg der bedingungslosen Liebe, um uns für seine Art des Lebens zu gewinnen. Wer sich also anziehen lässt von Jesus Christus, dem wird die Kraft zu christlicher »Zucht« geschenkt (oder richtiger noch: in dem wird diese »Zucht« selbst zur Kraft); der bekommt die Kraft zu einem Leben, das dem Leben in Gott entspricht.

Damit erschließt sich auch der zweite Teil der Gebetsbitte. Denn die Bitte gibt sich nicht damit zufrieden, dass wir dem Bösen abzusagen, sondern sie will auch, dass wir mit Entschiedenheit das Gute zu tun. Christsein ist eben nicht nur Abkehr vom Bösen, sondern Hinkehr zum Guten. Dieses Gute ist keine abstrakte Sache, sondern es muss konkret werden. Darin hat Erich Kästner mit seinem bekannten Spruch Es gibt nichts Gutes, außer man tut es Recht. Das Gute ist nicht abstrakt. Das gilt für uns Christen umso mehr, als wir davon überzeugt sind, dass das Gute nicht ein irgendein Etwas, nicht ein jenseitiger philosophischer Wert ist, sondern ein Gesicht hat: das Gesicht Jesu von Nazaret. Er ist der Gute, das Gute in Person.

Liebe Schwestern und Brüder! Mehr als alle anderen Zeiten des Kirchenjahres steht die Fastenzeit im Zeichen des Kreuzes. Es ist der Anziehungspunkt, der Bezugspunkt für uns Christen schlechthin. Könnte es nicht eine Fastenanregung sein, in den vor uns liegenden 40 Tagen – über die Vorsätze, die Sie sich vielleicht schon gefasst haben, hinaus – bewusster als sonst nach den Kreuzen in unserer Umgebung, in unseren Häusern und Straßen, Ausschau zu halten. Nicht bloß kontrollierend, ob sie noch da sind, sondern um dabei neu den zu entdecken, der der Motor unseres Lebens als Christen ist: Jesus, der Gekreuzigte. Und warum beim Anblick des Kreuzes nicht – laut oder leise – die Bitte formulieren: »Herr, lass mich neu angezogen werden von deiner Barmherzigkeit und Liebe. Dann finde ich die Kraft, mich zu ändern.« Amen.

Weiteres: