Jesus und das Reich Gottes
Damit beginnt Jesu öffentliches Wirken – mit der Verkündigung: „Das Reich Gottes ist nahe!“ - Von der Lehre über das Reich Gottes sind die Evangelien voll. „Das Reich“ war Inhalt des Wirkens Jesu. Sein ganzes Denken und Lehren, sein Tun und Schicksal kreisten darum. Es ist unmöglich mit kurzen Worten zu sagen, was es bedeutet…
Reich Gottes bedeutet: Herrschaft Gottes
Jesus sagt: „Die Zeit hat sich erfüllt; das Reich Gottes ist herbeigekommen.“ Reich Gottes ist also keine feste Ordnung, die steht, sondern etwas Lebendiges, das herankommt. Es war lange fern, hat sich genähert und ist nun so nahe, dass es verlangt, aufgenommen zu werden. - Reich Gottes bedeutet, dass Gott herrscht.
Wie ist das, wenn Gott herrscht?
Fragen wir einmal so: Was hat denn tatsächlich Macht in uns? Was herrscht in mir?
Menschen vor allem. Jene, die zu mir sprechen; deren Worte ich lese; mit denen ich umgehe oder die sich mir entziehen. Solche, die mir geben oder verweigern; die mich hemmen oder mir helfen. Die Menschen, die ich liebe; denen ich verpflichtet bin; für die ich sorge; auf die ich Einfluss habe. Diese herrschen in mir.
Gott hingegen kommt in mir nur zur Geltung trotz der Menschen; soweit die Zeit, die sie fordern, noch Raum lässt…
Auch Dinge herrschen in mir. Die Dinge, die ich begehre, die mir hinderlich sind, die Dinge, die mir überall begegnen, dadurch, dass sie meinen Geist reizen, beunruhigen, in Anspruch nehmen… Sie herrschen in mir, nicht Gott. Gott nur soweit, als die alles erfüllende Vielheit der Dinge ihm Raum lässt… Wahrlich, Gott herrscht nicht in mir. Jeder Baum, der mir im Wege steht, scheint mehr Gewalt zu haben als Er und sei es auch nur dadurch, dass er mich zwingt, um ihn herumzugehen.
Wie würde es also sein, wenn Gott herrschte?
Ich würde wissen – aber nicht in mühsamer Vergegenwärtigung, sondern von selbst, aus beständiger, lebendiger Begegnung: Er ist wirklich. Er ist er, vor allen Menschenbegriffen und Namen…
Gott würde mit der Gewalt seiner Wesenheit in meinem Geiste stehen als Ausgang, Sinn und Ziel von Allem. Mein Herz, mein Wille, würde ihn als den Heiligen erfahren, der alle Werte richtet und aller Sinne Sinn ist; als den, der endgültig allein lohnt…
Wenn das alles wäre und sich entfaltete – was wäre das Reich Gottes.
Aber bei uns ist das Reich der Menschen; Reich der Dinge; Reich der irdischen Mächte und Ereignisse, Einrichtungen und Interessen. Sie verdecken Gott, verdrängen ihn. Nur in Pausen des Daseins, an seinem Rande, lassen sie ihn zur Geltung kommen… Wie ist es möglich, dass er mir nicht überall allmächtig in Herz und Bewusstsein dringt?
So etwa könnte man ausdrücken, was Gottes Reich sein müsste.
(Prof. Dr. Romano Guardini (+1968): „Der Herr, Betrachtungen über die Person und Leben Jesu, Würzburg 1951, 10. Auflage, Seite 40f.)
Vom Wachsen des Reiches Gottes
Für Jesus ist das Reich Gottes eine Realität, deren vollendete Wirklichkeit er erst für die Zukunft verheißt, die aber verborgen, klein, unansehnlich und unscheinbar schon jetzt beginnt und sich durch Gottes Macht in der Welt durchsetzen wird. In diesem Sinn beschreibt Jesus das Kommen des Reiches in den Gleichnissen vom Sämann, vom Wachsen der Saat, vom Senfkorn, vom Sauerteig u. a. (vgl. Mk 4; Mt 13)…
(Seite 149)
Beten um das Kommen und Wachsen des Reiches Gottes
Das Entscheidende an der Botschaft Jesu vom Kommen der Herrschaft Gottes ist, dass die Erfüllung dieser Menschheitshoffnung nicht Tat und Leistung der Menschen, sondern ausschließlich und alleine Tat und Gottes Geschenk ist. Letztlich meint das Kommen der Herrschaft Gottes das Kommen Gottes selbst. Für Jesus ist das Reich Gottes also keine innerweltliche (politische, gesellschaftliche, soziale, kulturelle) Größe. Es beinhaltet eine Verheißung. Deshalb können wir das Reich Gottes nicht bauen und erst recht nicht mit Gewalt herbeizwingen, nicht durch moralische, soziale, wissenschaftliche, kulturelle oder politische Anstrengung.
Wir können um sein Kommen beten: Dein „Reich komme“ (Mt 16,10).
(Seite 147)
Kirche und Reich Gottes
Die Kirche ist noch unterwegs zu ihrer endzeitlichen Vollendung. Sie ist pilgernde Kirche, die in ihren Sakramenten und Einrichtungen, die noch zu dieser Weltzeit gehören, die Gestalt dieser Welt trägt…
In der Kirche sind aber die Kräfte des kommenden Reiches Gottes schon wirksam; besonders in der Feier der Liturgie wird die endzeitliche Verherrlichung Gottes schon jetzt vorweggenommen (vgl. LG 50-51; SC 8). Dennoch ist die Kirche nicht das Reich Gottes. Sie nimmt vielmehr an der Knechtsgestalt Jesu teil: Sie ist die Kirche der Armen und der Leidenden; sie ist die Kirche der Sünder, sie ist stets der Reinigung bedürftig und muss immerfort den Weg der Buße und der Erneuerung gehen; sie ist schließlich die verfolgte Kirche, die ihren Weg durch Prüfungen und Trübsale hindurch gehen muss (vgl. LG 8).
So ist sie nur „Keim und Anfang“ des Reiches Gottes auf Erden (LG 5). Sie ist ein messianisches Volk und für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils (LG 9).
(Seite 260)
(vgl. Katholischer Erwachsenen-Katechismus [KEK]
hrsg. von der Deutschen Bischofskonferenz, 1985)