Die Fastenpredigten im Jahr der Orden 2015 stehen unter dem Leitwort
„Gerufen zum Zeichen in Kirche und Welt“.
Die Predigt am ersten Fastensonntag hielt Prof. Dr. Johannes Brantl, Moraltheologe an der Theologischen Fakultät Trier. Die weiteren Predigt-Termine: 1. März Bischof Stephan Ackermann; 8. März Br. Athanasius Polag OSB (St. Matthias Trier); 15. März Sr. Johanna Domek OSB (Köln); 22. März Prof. Dr. Johannes Brantl
Liebe Schwestern und Brüder, vor allem liebe Schwestern und Brüder aus den Orden und in den verschiedensten Formen des geweihten Lebens!
„Mama, schau mal! Da vorne ist ‚Kirche’!“ – Mit diesem Ausruf reagierte vor kurzem ein etwa sechs Jahre altes Mädchen auf eine Ordensschwester, die sich zwei Plätze weiter in die Warteschlange an der Kasse im Supermarkt eingereiht hatte.
Zunächst war die besagte Ordensschwester, die in meinem Heimatbistum Passau in der Diözesanstelle für geistliche Berufe arbeitet, nach eigenen Angaben etwas verdutzt. Denn als „Frau vom lieben Gott“ oder – weniger schmeichelhaft – als „Pinguin“ hatten sie Kinder bzw. Jugendliche schon gelegentlich tituliert; aber als „Kirche“ war sie bis dato noch von keinem bezeichnet worden. Im Nachhinein konnte sie über den Ausruf des Mädchens allerdings nicht nur schmunzeln, sondern sich sogar regelrecht freuen. Denn im Grunde genommen wird man so falsch nicht liegen, wenn man hier quasi aus Kindermund das bestätigt findet, was auch das 2. Vatikanische Konzil über die Ordensleute gesagt hat: nämlich dass sie in besonderer Weise mit der Kirche und ihrem Auftrag verbunden sind.
Wenn also unsere Kirche insgesamt ein Zeichen der Nähe zu Gott und zu den Menschen sein soll, dann dürfen jene, die in den Orden oder auch in den verschiedenen Formen des geweihten Lebens auf dem Weg der evangelischen Räte arm, keusch und gehorsam Christus nachfolgen wollen, sich in besonderer Weise als lebendige Zeichen dieser Gottes- und Menschennähe verstehen.
Ja mehr noch: Papst Franziskus hat im Vorfeld des von ihm ausgerufenen Jahres der Orden bzw. des geweihten Lebens wiederholt davon gesprochen, dass die Ordensleute dazu berufen sind, in der Kirche und über sie hinaus regelrechte Propheten zu sein. Und zwar Propheten, die bezeugen, wie Jesus auf dieser Erde gelebt hat und wie das Evangelium auch heute konkret Gestalt annehmen kann. Propheten, die – so Papst Franziskus – durchaus aufrütteln, irritieren und Lärm machen dürfen, in jedem Fall aber wie ein Sauerteig wirken und leidenschaftlich für Gott in dieser Welt eintreten sollen.
Mit so einer Aufgabenbeschreibung sind zweifellos ein großer Vertrauensvorschuss und vielleicht noch größere Erwartungen verbunden. Aber derartige Erwartungen erzeugen auch einen gewissen Druck und werfen gerade mit Blick auf die schwierige Situation vieler Ordensgemeinschaften hier und heute womöglich bange Fragen auf: Wie soll uns das Propheten-Sein eigentlich noch gelingen? Gehören wir nicht einer immer kleiner und schwächer werdenden Art an? Macht uns nicht die Verwaltung unserer großen Einrichtungen oft weit mehr Kopfzerbrechen als die Hinwendung zu neuen Herausforderungen?
Leider gehört es zu den Kennzeichen einer echten Krisensituation, dass die alten Ufer in der Regel versinken, noch bevor die neuen Horizonte erkennbar werden. Und so geht es uns ja auch heute: Wir befinden uns in der gegenwärtigen Situation unserer Kirche quasi mitten auf dem Meer, keiner weiß so recht, wo und wie sich neues Land zeigen wird.
Nur auf eines dürfen wir fest vertrauen: dass nämlich Christus seine Kirche nicht verlässt, dass er bei uns auf dem Meer ist und sein Heiliger Geist es ist, der die Fahrt in die richtige Richtung lenken kann.
Liebe Schwestern und Brüder!
„Lasst euch vom Geist entflammen und dient dem Herrn!“ – so haben wir es vorhin in der Lesung aus dem Römerbrief gehört. Mir scheint, dass genau damit das Gebot der Stunde auf den Punkt gebracht ist. Nicht immer oder in erster Linie nur auf die blanken Zahlen zu schauen gilt es, sondern die Flamme des Geistes, das Feuer der Hoffnung und der Leidenschaft für Gott und die Menschen in den Herzen lebendig zu halten.
Freilich, das ist leichter gesagt als getan. Am ehesten kann es uns vielleicht gelingen, wenn wir uns an solche Gestalten halten und erinnern, die in ihrem christlichen Leben genau dieses Feuer des Geistes, diese Leidenschaft für Gott und die Menschen an den Tag gelegt haben.
Jeder und jede von Ihnen hat da sicher auch schon ganz bestimmte Personen vor Augen, die für das eigene Christsein wegweisend und prägend gewirkt haben. Womöglich handelt es sich dabei sogar um Menschen, die gar nicht besonders prominent und kirchenoffiziell als Vorbildgestalten ausgewiesen sind.
Auch ich persönlich habe in dieser Hinsicht zwei Ordensfrauen – Deutschordensschwestern und Lehrerinnen aus meiner Schulzeit – vor Augen, die für mich durchaus so etwas wie Prophetinnen des Glaubens im Alltag gewesen sind, die mir in ganz jungen Jahren ein Bild von Kirche vermittelt haben, für das ich nach wie vor dankbar bin, und die beide sicher nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass ich heute hier vor Ihnen stehe.
Allerdings möchte ich in dieser Predigt nicht in erster Linie auf diese individuell prägenden Vorbildgestalten eingehen, sondern unseren Blick auf jene drei sehr prominenten Gestalten der Kirchen- und Ordensgeschichte lenken, mit denen auch unmittelbar der Sachverhalt zusammenhängt, dass ausgerechnet das Jahr 2015 von Papst Franziskus als „Jahr der Orden bzw. des geweihten Lebens“ ausgerufen worden ist.
Es handelt sich dabei um den Hl. Franz von Assisi, der im Jahr 1215, also genau vor 800 Jahren, eine große Wallfahrt nach Santiago de Compostela unternommen hat. Sodann um die Hl. Theresia von Avila, die im Jahr 1515, also vor genau 500 Jahren, geboren worden ist; und schließlich um Johannes Don Bosco, der im Jahr 1815, also vor 200 Jahren im italienischen Piemont zur Welt kam. Alle drei Gestalten waren auf ihre je eigene Art maßgebliche Zeichen der christlichen Leidenschaft für Gott und die Menschen. Alle drei wirkten auf ihre ganz besondere Weise an der inneren Erneuerung der Kirche mit und können mit ihren Akzenten, die sie gesetzt haben, auch für die gegenwärtige Zeit wichtige und begeisternde Vorbilder sein.
Nur ein paar Kerngedanken freilich möchte ich dazu an dieser Stelle formulieren.
In gewisser Hinsicht könnte man den heiligen Franz – wie das der Religionspädagoge Alfred Läpple einmal getan hat – als einen „Idealisten im Erscheinungsbild eines Hippie“ bezeichnen, der von einer so überzeugenden Christusliebe und von einer so ungebrochenen Treue zur Kirche erfüllt gewesen ist, dass er bis heute die Menschen nicht nur innerhalb der Kirche sondern auch weit darüber hinaus bleibend fasziniert.
Er hatte es wahrhaft nicht leicht mit seiner Kirche und er hat von deren höchsten Repräsentanten einiges an Zumutungen hinnehmen und verkraften müssen. Berühmt geworden ist gleich die erste Begegnung zwischen dem damaligen Papst Innozenz III. und dem Bettelbruder Franziskus. Als der nämlich im wenig präsentablen Rupfengewand am prächtigen päpstlichen Hof erschienen war, um sich den Segen des Papstes zu holen, soll der kalt zu ihm gesagt haben: „Geh hin, mein Bruder, und suche die Schweine, denn mit diesen scheinst du mehr gemein zu haben als mit Menschen. Wälze dich mit ihnen im Morast, übergib ihnen deine Regel und übe an ihnen dein Predigtamt.“
Worauf dann der heilige Franz tatsächlich zu den Schweinen ging und sich in ihrem Schmutz wälzte, um dann mit seinem nun noch dreckigeren und noch übler stinkenden Gewand zum Papst zurückzukehren und ihn mit entwaffnender Einfalt anzureden: „Herr, ich habe getan, was du mir geboten hast. Erfülle du nun mein Flehen.“
Auch wenn eine solche Szene heute natürlich undenkbar ist, gibt sie doch in einer zweifachen Hinsicht zu denken, was die Perspektive der kirchlichen Erneuerung unserer Tage betrifft: Zum einen müssen sich diejenigen, die heute schnell der Kirche den Rücken zudrehen und sich von einer in mancher Hinsicht tatsächlich unglaubwürdigen Kirche distanzieren, fragen lassen, ob sie nicht zu schnell das Handtuch werfen und den Weg des geringsten Aufwands bzw. des geringsten Widerstandes gehen. Zum anderen werden sich aber auch die Verantwortlichen in der Kirche kritisch befragen müssen, ob sie bereit sind, auch vielleicht zunächst nicht ganz geheuere Reformimpulse ernst zu nehmen und eventuell auch die eine oder andere Provokation einzustecken.
Mit Blick auf die prophetische Rolle der Orden hat vor kurzem der ehemalige Erfurter Bischof Joachim Wanke deshalb sehr treffend gesagt: „Die Orden sind nicht Hilfsinstrumente der Ordinariate – sie sind vielmehr dazu da, die Kirche insgesamt mit dem Evangelium zu salzen.“
Auch sie eine Gestalt der Kirchen- und Ordensgeschichte, die wirklich vom Geist Gottes entflammt, leidenschaftlich für Gott und die Menschen gelebt und gewirkt hat. Und auch sie eine Reformgestalt, die es wahrhaft mit der kirchlichen Obrigkeit ihrer Zeit nicht leicht hatte.
Der päpstliche Nuntius in Madrid äußerte sich etwa in einem Brief aus dem Jahr 1578 recht abfällig über sie, wenn er schreibt: „Sie ist ein unruhiges Frauenzimmer, herumstreunend, ungehorsam und verstockt; unter dem Schein der Frömmigkeit denkt sie falsche Lehren aus; entgegen den Anordnungen ihrer Ordensoberen verletzt sie die Klausur; ferner doziert sie wie ein Theologieprofessor, obgleich der heilige Paulus sagt, dass die Frauen nicht lehren dürfen.“ Es ist wirklich erstaunlich, dass die heilige Theresa trotz der vielen Widerstände und Anfeindungen, die sie erfahren musste, ebenfalls nicht am Glauben und an der Kirche irre geworden ist.
Was sie in ihr Brevier geschrieben hat, das kennzeichnet ihr unerschütterliches Gottvertrauen und das ist ein zeitlos gültiges Gebet. Dort hat sie notiert: „Lass nichts dich verwirren, von nichts dich erschrecken, alles geht vorüber, Gott ändert sich nicht. Die Geduld erreicht alles. Wer sich an Gott hält, dem fehlt nichts. Gott allein genügt.“
Mir selber sind diese Sätze in meinem eigenen geistlichen Leben außerordentlich wichtig und wertvoll geworden. Und gerade mit Blick auf die gegenwärtige Zeit in Kirche und Welt, die so sehr von Veränderung, Unsicherheit und auch Angst geprägt ist, weisen sie den Weg zu einem wirklich gelingenden Leben. Ein gelingendes Leben, zu dem die Stille, das Bemühen um Ruhe und Konzentration, das Gebet ganz elementar mit dazu gehört.
Zum Gebet sagt Theresa: „Das Gebet ist meiner Ansicht nach nichts anderes als das Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft und gern allein zusammenkommen, um mit ihm zu reden, weil wir sicher sind, dass er uns liebt.“
Bis heute gilt er als die herausragende Pioniergestalt einer modernen kirchlichen Jugendarbeit. Eines Tages, so wird von ihm berichtet, soll er sich gerade in der Sakristei auf die Messe vorbereitet haben, als er sieht, wie der Küster einen ziemlich verwahrlosten Jungen aus der Kirche hinausbugsieren will. Johannes Bosco greift ein und fragt den Jungen, wie er heißt. Und nachdem er ihm seinen Namen genannt hat, fragt er weiter: Was kannst Du? Kannst Du zum Beispiel singen? Der Befragte schüttelt resigniert den Kopf, worauf Don Bosco sagt: Macht nichts; aber pfeifen kannst Du sicher. Der Junge muss lachen und das Eis ist gebrochen.
„Der Mensch ist der Weg der Kirche“ – so hat es der heilige Papst Johannes Paul II. einmal programmatisch formuliert; und wenn gegenwärtig Papst Franziskus die Kirche dazu auffordert, stärker an die Ränder der Gesellschaft zu gehen, dann wird das vor allem auch für die Jugendarbeit gelten müssen. Mich beeindruckt sehr, was gerade in dieser Hinsicht jene leisten, die im Geist des heiligen Johannes Bosco darauf aufmerksam machen, dass sich oft in den ganz unspektakulären Situationen des Lebens Gott erfahren lässt und Kirche einen Ort findet.
„Kirche muss einfach da sein“ – so war in der letzten Ausgabe des Paulinus ein Beitrag überschrieben, der sich unter anderem der Jugendarbeit der Salesianer Don Boscos hier in Trier gewidmet hat. Hier wird meinem Eindruck nach durchaus überzeugend etwas von der Grundwahrheit des christlichen Glaubens deutlich, die darin besteht, dass die Beziehung zu Gott und die Beziehung zum Mitmenschen nicht voneinander zu trennen ist.
Denn das gehört seit jeher zur Erfahrung der großen und kleinen Heiligen unserer Kirche, der berühmten oder unbekannten Gottsucher und Mystiker des Christentums bis heute, nämlich: Je intensiver ein Mensch an Gott denkt, in das Geheimnis Gottes eintaucht, desto liebender taucht er an der Seite seiner Mitmenschen wieder auf.
Liebe Schwestern und Brüder!
Unser Bischof hat sich heute in einem Hirtenwort zur Österlichen Bußzeit auch ausführlich unter dem Titel „Für Gott und für die Menschen. Der Beitrag des Ordenslebens für unser Bistum“ an uns alle gewandt. An den Schluss seines Hirtenbriefes stellte er ein Gebet, das ich auch jetzt am Schluss meiner Fastenpredigt noch einmal aufgreifen und mit ihnen gemeinsam beten möchte:
„Barmherziger und treuer Gott, wir danken Dir für so viele Ordensschwestern und Ordensbrüder und ihre Gemeinschaften, die unser Bistum durch ihren Glauben und ihr Leben bereichern. Mit ihrem Zeugnis erinnern sie uns daran, dass wir uns Dir ganz weihen sollen.Alle Bereiche unseres Lebens sollen geprägt und verwandelt werden vom Sauerteig des Evangeliums. Nur dann können wir als Deine Kirche Salz der Erde und Licht der Welt sein. Herr, Du kennst aber auch unsere Trägheit, unsere Angst und unseren Unwillen.Deshalb hast Du Deinem Volk immer wieder prophetische Menschen geschickt, die es wach rütteln und an seinen göttlichen Auftrag erinnern.Wir bitten Dich: Stärke die Schwestern und Brüder in den Ordensgemeinschaften in ihrer prophetischen Aufgabe, die sie für uns und für die Welt haben, und mache uns bereit, ihr Zeugnis anzunehmen, damit wir nicht nur Christen heißen, sondern es in Wahrheit sind.“
Amen.