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1. Einige grundsätzliche Bemerkungen zur Einleitung
Einen Text über Musikerinnen zu schreiben ist nicht möglich, ohne vorher zur Heranführung einige historische gesellschaftliche Prozesse und Entwicklungen darzustellen, die zur Formung der bürgerlichen Gesellschaft einerseits und unseres (also des eurozentrischen) Musikbegriffs andererseits beigetragen haben. Beides ist letzten Endes eng miteinander verknüpft. Denn in Abgrenzung zur feudalen Hofgesellschaft wurde der emanzipierte (männliche!) Bürger zum Zentrum einer neu geordneten Sozialstruktur. Eine besondere Bedeutung hatte hierbei die Kultur, insbesondere der Musik in Form des Konzerts: Dieses lässt sich in seinem kunstmusikalischen Anspruch – stark verkürzt dargestellt – als Abgrenzung zur höfischen Musikkultur verstehen. Dabei diente Musik nicht mehr ausschließlich der Repräsentation, sondern wurde als Mittel der moralischen und geistigen Vervollkommnung aufgewertet. Als Medium der Selbstvergewisserung und Ausdruck gesellschaftlicher Reibungs- und Neuordnungsprozesse spiegelt es in seinen subtilen Veränderungen auch die Entwicklungen der bürgerlichen Gesellschaft wider.
Gleichzeitig schuf das Bürgertum damit eine Abgrenzung zu den niedrigeren Gesellschaftsschichten. Musikalischer Ausdruck dessen ist das Schlagwort der „ernsten Musik“, die sich im Verlaufe des 19. Jahrhunderts immer mehr von der „Unterhaltungsmusik“ abgrenzte. Während Letztere als für „die Massen“ tauglich abgewertet wurde, wurde die Kunstmusik bürgerlicher Prägung sogar nahezu auf die Stufe der institutionell ebenfalls geschwächten Kirche gehoben: Ein Besuch von Johann Sebastian Bachs (1685–1750) „Matthäus-Passion“ in der Osterzeit konnte durchaus auf der Stufe eines Gottesdienstes stehen. Dies lässt ahnen, warum das Konzert als öffentliche Veranstaltungsform besonders auf eine breite, bürgerliche Trägerschicht angewiesen war und demzufolge die gesellschaftlichen Normen erfüllen musste.
Für die aus dem höfischen Bereich entlehnte Oper, die zwar nun für jedermann gegen Eintritt erlebbar war, aber nicht wesentlich modifiziert weiter bestand, galt dies nicht im selben Maße: Die Bühne blieb ein durch den Orchestergraben symbolisch vom Publikum getrennter Ort, wo die Aufhebung gesellschaftlicher Konventionen zumindest zeitweilig akzeptiert war. Entsprechend galten auch für Darsteller und Darstellerinnen besondere Regeln, wobei auch hier unsichtbare Barrieren aufgerichtet blieben: In den wenigen Fällen, in denen es tatsächlich einer (dann in der Regel weiblichen) Bühnengröße gelang, durch Heirat Teil bürgerlicher oder gar adliger Kreise zu werden, blieb die Erwartung selbstverständlich, dass die Person in mindestens zeitlicher Nähe zur Vermählung ihre Tätigkeit aufgab. Das Feld des Gesangs und der entsprechenden Künstlerinnen soll aus diesen Gründen im Folgenden ausgespart bleiben.
Auch die Kirchenmusik bildete einen traditionell mehr oder weniger autonomen Bereich, auf den das Bürgertum erst allmählich Einfluss gewann. Zwei Faktoren sind hier grundlegend mitzudenken: Da Musik als Gotteslob und damit ohnehin als Aufgabe jedes Christenmenschen verstanden wurde, war die Frage nach besonderen künstlerischen Verdiensten in der kirchenmusikalischen Betätigung von vornherein mit Vorbehalten behaftet. Daneben war außerhalb der Nonnenklöster öffentliches Hervortreten von Frauen über Jahrhunderte unerwünscht. Allerdings wurde das apostolische Verdikt mulier tacet in ecclesiam unabhängig von Konfessionen immer wieder einmal gelockert, wenn die Musikpraxis es erforderte. So erinnert sich Max Bruch in einem längeren autobiographischen Brief: „Ueber die Geschichte der Kathol. Kirchenmusik in den Rheinlanden seit 1815 kann ich nur sagen, daß in meiner Jugend (etwa bis 1860) im Kölner Dom während des „Hochamts“ (Sonntag Vormittags) Messen mit Orchester und gemischtem Chor (in dem Damen mitwirkten) aufgeführt wurden. Ich hörte dort u. A. Messen von Haydn, Mozart, Abt Vogler etc. in denen es oft recht lustig zuging, und die an vielen Stellen nicht der Würde des Ortes entsprachen. Als dann eine strengere Richtung in der kath. Kirche aufkam, wurde überall in Deutschland, Oesterreich, und auch in Köln das Orchester und die Damen aus der Kirche hinausgeworfen; man behielt nur Knaben- u. Männerchor und Orgel bei.“[1]
Die hier geschilderten Entwicklungen stehen in Zusammenhang mit allgemeinen restaurativen Bemühungen innerhalb der katholischen Kirche, die schließlich 1868 in der Gründung des „Allgemeinen Cäcilienvereins für die Länder deutscher Sprache“ mündeten. Schon der Begriff „Verein“ lässt die enge Verknüpfung von Kirchenmusik und bürgerlichen Strukturen zu diesem Zeitpunkt erahnen. Doch sind es eben auch diese bürgerlichen Strukturen und Konventionen, die immer wieder dafür sorgten, dass Frauen in der Öffentlichkeit eine untergeordnete Rolle spielten. Eine Aufarbeitung dieser Prozesse hat nach ersten Bemühungen von Sophie Drinker (1888–1967) mittlerweile vor allem durch (und in Bezug auf) die wichtigen Publikationen von Freia Hoffmann (geboren 1945) zumindest in Ansätzen soziologisch und musikhistorisch stattgefunden. Eine umfassende, vielleicht sogar bestenfalls lexikalische Darstellung von Biographien und Leistungen der Musikerinnen, die gegen entsprechende Einschränkungen anspielten, liegt trotz Bemühungen des Sophie Drinker-Instituts noch nicht vor. In den folgenden Kapiteln wird daher versucht, anhand einzelner Instrumente und Praktiken öffentlichen Musizierens an die Leistungen repräsentativer Künstlerinnen zu erinnern, die sich allen Hindernissen zum Trotz im Rheinland zu behaupten wussten.
2. Akzeptierte Ausnahmen: Pianistinnen
Während traditionell jenseits der obersten Gesellschaftsschicht jedes Familienmitglied einen Platz in der Erwerbsstruktur etwa eines häuslichen Betriebs hatte, änderte sich dies mit der Emanzipation des Bürgertums grundlegend. Wesentliches Merkmal der Zugehörigkeit zur neuen Mittelschicht war nun, dass der Mann als Familienoberhaupt im Berufsleben nach außen die Familie vertrat und finanzierte – „und drinnen waltet die züchtige Hausfrau“, wie Friedrich Schiller (1759–1805) in seinem „Lied von der Glocke“ die Rollenverteilung definierte. Eine Berufstätigkeit der Frau war, sofern sie keiner Notlage entsprang, nicht mehr gewünscht. Die Ehefrau wurde zum ruhenden Pol der Familie und hatte sich vor der Demonstration von körperlicher Tatkraft oder gar Sinnlichkeit zu hüten, wollte sie nicht gesellschaftliche Ächtung riskieren. Der scheinbare Luxus der Bewegungslosigkeit wurde zur Norm des Bürgertums für die „holde Weiblichkeit“. Dabei wurden die Vorgaben, wie Frauen sich in der Öffentlichkeit zu verhalten hatten, selbstverständlich von Männern festgelegt: Die Korsetts der Zeit bestanden nicht nur aus Fischgrät und Metallbügeln, sondern auch aus den Schlagworten „Sittsamkeit“ und „Tugendhaftigeit“. Für das Konzert als Bildungsinstitution und die Musik im häuslichen Kreis galt gleichermaßen: „Der Stand des Weibes ist Ruhe“. Dieser Satz stammt von dem Pfarrer [!] und Gelegenheitskomponisten Carl Ludwig Juncker (1748–1797), der 1783 seine Abhandlung „Vom Kostüm des Frauenzimmer Spielens“ zunächst anonym im „Musikalischen Taschenbuch auf das Jahr 1784“ veröffentlichte. Andere Autoren, die sich seine Position zu eigen machten, mussten wenige Jahre später solche Vorsicht nicht mehr walten lassen. In der bürgerlichen Musik ist bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts eine generelle Entsexualisierung zu beobachten, die sowohl als Gegenentwurf zur höfischen Musik als auch Unterstützung des Bildungsgedankens diskutiert werden kann, in dieser Doppeldeutigkeit aber jedenfalls hervorragend zu instrumentalisieren war.
Welche Instrumente für die Damen schicklich waren, war bald entschieden. Dass es hierbei nicht um Fähigkeit, sondern die Zementierung gesellschaftlicher Normen ging, gab auch Juncker offen zu: „Die Beyspiele, die wir von dergleichen weiblichen Virtuosen ausweisen können, beweisen uns auch, daß das zweyte Geschlecht es wenigstens auf eben den Grad der Vollkommenheit bringen können, wie wir.“[2] Als ideale Frauen-Instrumente galten die bald wieder ausgestorbene Glasharmonika und in besonderem Maße das Klavier. Die damals propagierte Schule, die von mit möglichst ruhigem Arm kombinierter Fingertechnik ausging, machte ein annähernd bewegungsloses Spiel am Instrument möglich. Als Pianistin konnten Frauen also durchaus auftreten, sofern Sitte und Anstand nicht gefährdet schienen. So war etwa Dorette Scheidler-Spohr (1797–1834) 1817 in Aachen, Köln, Düsseldorf und Kleve zu hören, wobei sie nicht nur als Pianistin, sondern auch als Harfenistin glänzte – über dieses Instrument wird noch gesondert zu sprechen sein. Bei diesen Auftritten begleitete sie jedoch auch ihren Mann, den Violinisten Louis Spohr (1784–1859), so dass sie quasi unter Aufsicht ihres Familienoberhauptes spielte.
Wurde dies in Städten wie Paris, Wien oder London nicht gar so streng gesehen, zeigte man sich in Deutschland Leipzig, Berlin und auch im Rheinland deutlich rigider. So war etwa in der Düsseldorfer Lokalpresse am 25.9.1848 ein „Concert der Pianistin Wittwe Rommerskirchen, geborne Rüttiger“ in der Diakonissen-Anstalt Kaiserswerth angekündigt. Lisette Rommerskirchen war im Großraum Düsseldorf seit mindestens 1841 als Klavierlehrerin aktiv und bekannt; dennoch musste darauf verwiesen werden, dass sie verwitwet war, denn andernfalls wäre ein Solokonzert wohl nicht akzeptiert worden. Auch Clara Schumann (1819–1896) trat nach dem Tod ihres Mannes nur noch in Witwentracht vor die Öffentlichkeit. Zuvor reiste sie zumeist in Begleitung ihres Vaters, später mit Robert Schumann . Auch die Auftritte der Aachener Pianistin Rosalie Girschner (1822–?) fanden unter den Augen des Vaters statt. 1841 erntete sie in Brüssel großen Beifall für ihre Mitwirkung in einem Konzert der Aachener Liedertafel, deren Dirigent ihr Vater war. Konzertierende Künstlerinnen, die solche Gepflogenheiten missachteten, konnten sich zwar hören lassen, bekamen jedoch selten die Gelegenheit, in den renommiertesten Sälen zu spielen. Auffällig ist dieses etwa in Düsseldorf, wo Räumlichkeiten mit unterschiedlichem Prestige zur Verfügung standen: Die Düsseldorfer Pianistin Hanna Krause (Lebensdaten unbekannt) spielte am 28.1.1901 im Hotel Heck, die „jugendliche Virtuosin“ Natalie Hauser (circa 1858–?) wiederum präsentierte im Breidenbacher Hof am 4.11.1874 ein anspruchsvolles Programm mit Werken von Carl Maria von Weber (1786–1826), Adolf Henselt (1814–1889), Frédéric Chopin (1810–1849), Felix Mendelssohn (1809–1847) und Franz Liszt (1811–1886), und selbst die als Schülerin von Carl Tausig (1841–1871) und Franz Liszt international bekannte Pianistin Vera Timanoff (1855–1942) war am 16.1.1880 nur im Stadttheater zu hören. Dass Robena Ann Laidlaw (1817–?), Widmungsträgerin von Robert Schumanns „Phantasiestücken“ op. 12, ihre „Soiree Musicale“ am 25.5.1839 im Beckerschen Saal spielen konnte, verdankte sie vermutlich überwiegend der Auszeichnung „Pianistin Ihr. Maj. der Königin von Hannover“, die ein entsprechendes Forum geradezu erzwang. Alle anderen spielten permanent gegen Vorurteile an. Dies zeigt beispielhaft die Rezension eines Konzerts, das die Pianistin Therese Pott (1880–nach 1934) am 4.3.1901 in Düsseldorf (im Breidenbacher Hof) gemeinsam mit der Sängerin Johanna Rothschild gab. Nicht nur pflegt der Kritiker seine Vorurteile über das „zarte Geschlecht“ trotz gerade erlebtem Beweis des Gegenteils, er kann das Zusammenspiel der Musikerinnen auch noch als Vorwand für eine Anzüglichkeit nutzen: „Bei so zarter und anmutiger Erscheinung so viel männliche Kraft habe ich noch nie gefunden. [...] dazu eine Begleiterin nach meinem Herzen – ich meine ‚selbstredend’ auf dem Klavier zum Gesange – [...].“[3]
Letztlich ist es Clara Schumann zu verdanken, dass sich für Pianistinnen die Situation ab etwa 1900 in vergleichbar kurzer Zeit besserte: Als sie nach langen Jahren privaten Unterrichtens tatsächlich 1878 am neu gegründeten Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M. eine Klavierklasse übernehmen durfte, erwiesen sich bald viele ihrer Zöglinge wie etwa Leonard Borwick (1868–1925), Fanny Davies (1861–1934), Adelina de Lara (1872–1961), Ilona Eibenschütz (1873–1967), Olga Neruda (1858–1945), Franklin Taylor (1843–1919) oder Mathilde Verne (1865–1936) als international konkurrenzfähig; daneben wirkte ihr Schüler Lazzaro Uzielli (1861–1943) bis etwa 1924 am Kölner Konservatorium und berief sich methodisch ausdrücklich auf seine Lehrerin. Clara Schumann war so die erste Pianistin, die eine eigene Schule bildete, und nicht zuletzt dank ihres Unterrichts fiel neben vielen Vorurteilen bald auch eine letzte selbstverständliche Beschränkung für Pianistinnen: Schumanns Schülerinnen spielten die Werke Ludwig van Beethovens, die bis dahin aufgrund intellektueller und körperlicher Anforderungen in Deutschland als für Frauen ungeeignet galten. In der kommenden Generation gab es, oft vom Rheinland ausgehend, die ersten ausgesprochenen Beethoven-Spezialistinnen. Seit 1896 lebte die Schweizerin Ellen Saatweber-Schlieper (1874–1933) in Barmen (heute Stadt Wuppertal) und entfaltete im Umland eine bedeutende Konzerttätigkeit. Überregional war sie seltener zu hören, um in der Nähe ihrer Kinder bleiben zu können, war aber als Solistin und langjährige Kammermusikpartnerin auf Augenhöhe etwa des Violinisten Henri Marteau (1874–1934) geschätzt. Sie etablierte sich als Spezialistin für anspruchsvolles Repertoire und galt als hervorragende Reger-Interpretin. Im Herbst 1920 präsentierte sie in Berlin an drei Abenden sämtliche Beethovenschen Klaviertrios mit dem Violinisten Anton Schoenmaker (1885– nach 1946) und dem Kölner Cellisten Willy Lamping (1880–1951), also als zwei Herren übergeordnete Ensembleführerin. Die Bonnerin Elly Ney (1882–1968) suchte selbst in ihrem Äußeren die Nähe zu Beethoven und feierte große internationale Erfolge, wenn sie auch durch ihre Sympathien für den Nationalsozialismus ihrem Nachruhm massiv schadete. Am Kölner Konservatorium lehrte Ney zeitweilig gleichzeitig mit der etwa 20 Jahre älteren Hedwig Meyer (Lebensdaten unbekannt), die schon in ihrer Examensprüfung in Dresden 1883 durch die Darbietung des 4. Klavierkonzerts von Beethoven Aufsehen erregt hatte und auch später dessen Werke zu Säulen ihres Repertoires machte. Bei Franz Wüllner (1832–1902) hatte sie zudem Kompositionsunterricht genommen und kann daher auch zu den wenigen im Rheinland aktiven Komponistinnen gezählt werden. Sie wirkte zwar bis 1924 am Kölner Konservatorium, doch war dies erst nach dem Tod ihres ehemaligen Lehrers und Förderers möglich: Unter Wüllners Leitung waren weibliche Lehrkräfte noch nicht denkbar, wenn auch Frauen unterrichtet wurden. Schon dies war keine Selbstverständlichkeit: Erst ab 1908 waren Frauen generell für ein Studium an allen preußischen Musikhochschulen zugelassen. Der Zugang zu einer staatlichen Musikausbildung war traditionell schwierig, blieb dies auch weiterhin und bot Frauen sowieso nur eine kleine Anzahl von Studienfächern. Zudem wurde selbstverständlich davon ausgegangen, dass nahezu alle der Damen bald heiraten und danach bestenfalls noch pädagogisch tätig sein würden. Doch selbst unter diesen Voraussetzungen wurde die Zahl der Musikerinnen immer größer, so dass im späteren 19. Jahrhundert zunehmend versucht wurde, durch Hinweis auf (für Frauen) mangelnde Berufsmöglichkeiten von der entsprechenden Ausbildung abzuschrecken: „Es werden [...] in den nächsten 12 bis 13 Jahren 20,000 (zwanzigtausend) Fachmusiker aller Gattungen aus den verschiedenen Anstalten ausgebildet werden, unter diesen etwa 6- bis 7000 Sängerinnen und Pianistinnen (die Zahl der Geigerinnen ist eine verschwindend kleine).“[4]
3. Solo und Ensembles: Violinistinnen
Dass es in Deutschland überhaupt Violinistinnen (wenn auch zunächst in „verschwindend kleiner“ Zahl) geben sollte, war zu Beginn der bürgerlichen Ära keineswegs abzusehen. Man(n) empfand die ausladenden Bogenbewegungen als unweiblich und dazu in Verbindung mit der damaligen Damenmode als problematisch. Insofern war Anna Hartleb (1797–1887), eine Schülerin Louis Spohrs, die seit etwa 1828 nach ihrer zweiten Heirat mit dem Musiker und Klavierstimmer Josef Hoffmann in Düsseldorf lebte, eine absolute Ausnahme. Dies galt nicht nur bezüglich ihrer Instrumentenwahl, denn ihre Karriere dauerte selbst nach heutigen Maßstäben außergewöhnlich lange. Noch Ende 1884 konzertierte sie in Düsseldorf und fand die Bewunderung der Presse: „Die alte Dame regiert den Bogen mit Meisterhand und spielt ihre Staccatos mit jugendlicher Gewandheit.“[5]
Jegliche Bedenken wurden jedoch durch das Auftreten zweier italienischer Mädchen hinweggefegt, die zu den Superstars des 19. Jahrhunderts zählten: Teresa Milanollo (1827–1904) und ihre Schwester Maria (1832–1848). Als sie am 10.9.1842 erstmals in Schloss Brühl im Rheinland zu hören waren, hatten sie bereits in anderen Ländern Aufsehen erregt. Als präpubertäre „Wunderkinder“ unterlagen sie noch nicht denselben Zwängen wie erwachsene Frauen und lösten mit ihrer unbefangenen Art und hoher Musikalität Begeisterungsstürme aus. In Städten mit entsprechenden Sälen kamen bis zu 4.000 Besucher zu ihren Konzerten, und auch der erste Auftritt in Düsseldorf am 10.10.1842 wurde so bejubelt, dass noch drei Wiederholungskonzerte folgen mussten. Die Erfolge in Köln und Aachen waren vergleichbar, desgleichen weitere Konzerte im Jahr 1845. Auch sofern sie gerade nicht im Rheinland zu hören waren, blieben die Milanollo-Schwestern präsent: Die Presse berichtete ausführlich über die Erfolge in anderen Städten und Ländern, Blumenzüchtungen wurden nach ihnen benannt, sogar Romanfiguren nach ihrem Vorbild gestaltet. Der Würzburger Komponist Johann Valentin Hamm (1811–1874) komponierte einen Milanollo-Marsch (heute offizieller Geschwindmarsch der Britischen „Coldstream Guards“), der sich auch im Rheinland großer Beliebtheit erfreute. Nach dem frühen Tod von Maria trat Teresa Milanollo zwar seltener, doch unvermindert erfolgreich als Solistin auf (so 1852 in Aachen und 1854 in Düsseldorf). Ihr Nimbus erlaubte es ihr, Grenzen des bürgerlichen Konzertlebens zu durchbrechen und so auch den Weg für Nachfolgerinnen zu ebnen. 1887 gastierten nochmals „Geschwister Milanollo“ auf zwei Geigen im Rheinland – allerdings Clot[h]ilde (1864–1937) und Adelaide (1870–1933), Nichten der „Originale“, die beide später als Pädagoginnen in Deutschland lebten. Rheinische Violinistinnen waren nach wie vor nicht die Regel, doch finden sich nun zumindest einzelne Vertreterinnen des Fachs mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Die meisten von ihnen waren Absolventinnen des Konservatoriums in Köln.
Seit mindestens 1885 war Clara Schwartz (Lebensdaten unbekannt) aus Köln aktiv; 1892 war sie in der Düsseldorfer Tonhalle in einem Konzert des dortigen Mozart-Vereins zu hören, wurde allerdings fälschlich und wenig charmant als „Clara Schwarte“ angekündigt. Von 1902 bis 1913 lehrte sie am Stern’schen Conservatorium in Berlin. Etwas jünger war die Kölnerin Marie Weimershaus (1880–?), die bereits als Heranwachsende größere Hallen füllte und im Januar 1893 im Düsseldorfer Floragarten spielte – die dortige Konzerthalle fasste immerhin 1.000 Personen! Als erste rheinische Violin-Virtuosin mit internationalem Ruf darf Elvira Schmuckler (1885–1943) gelten, die mehrfach den Wohnsitz wechselte, aber trotz internationaler Erfolge vor allem in England immer dem Rheinland verbunden blieb. In Düsseldorf geboren und in Köln aufgewachsen, finden sich erste Zeitungsberichte über ihre Auftritte bereits 1897. In den kommenden Jahrzehnten findet sich ihr Name regelmäßig auf den Programmen der Abonnementreihen und Festkonzerte im Rheinland. 1907 war sie die erste deutsche Violinistin, die Schallplattenaufnahmen machte, wobei ihr Wohnort auf den Etiketten mit Dortmund angegeben wurde; diese Platten der Firma „Lyrophon“ wurden bis nach Indien vertrieben und dokumentieren, wie hoch ihre Fähigkeiten damals geschätzt wurden. Das Ende der jüdischen Künstlerin gestaltete sich tragisch: Bis 1933 konnte sie noch von ihrem damaligen Wohnort Bonn aus ihre Karriere fortsetzten. Später entschloss sie sich zur Emigration und lebte in Amsterdam, wo sie als Musikpädagogin tätig war. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gelang es ihr nicht mehr, das Land zu verlassen; sie wurde schließlich interniert und im Konzentrationslager Sobibór umgebracht. Wenig später wurde im gleichen Lager Betty Schwabe (1875–1943) ermordet. Die gebürtige Aachenerin hatte zunächst in Köln, dann bei Joseph Joachim (1831–1907) in Berlin studiert. 1891 gewann sie ein Mendelssohn-Stipendium und legte damit den Grundstein ihrer Violinistinnen-Karriere. 1924 besuchte sie als Solistin des Aachener Bach-Festes noch einmal ihre Geburtsstadt.
War Elvira Schmuckler eine phonographische Pionierin, so stellte für die nachfolgende Generation der Violinistinnen die Schallplatte bereits ein wesentliches Medium dar, das der eigenen Popularität Ausdruck verlieh oder sie sogar beförderte. So wurde Grete Eweler (1899–?) mit ihrem Streichquartett rasch bekannt und gastierte von Düsseldorf aus in ganz Deutschland. Berühmt wurde sie jedoch durch „Homocord“-Schallplatten. Seit 1927 erschienen Dutzende von Aufnahmen, bei denen sie als Solistin, Leiterin eines Salonorchesters oder Begleiterin von Gesangsstars in Erscheinung trat. Nach ihrer Heirat mit dem Pathologen Curt Froboese (1891–1994) im Jahr 1936 verlegte sie ihren Wohnsitz nach Berlin, wo sie bis mindestens 1959 ihre Karriere fortsetzte und 1952 nochmals Aufnahmen mit dem jungen Dietrich Fischer-Dieskau (1925–2012) machte.
Schon recht bald nach Abschluss ihres Studiums war auch die gebürtige Krefelderin Riele Queling (1897–1980) auf Tonträgern solistisch und mit ihrem Streichquartett präsent. Nach dem Gewinn des Mendelssohn-Wettbewerbs 1917 in Berlin startete sie eine bedeutende internationale Solistenkarriere, doch galt ihre eigentliche Liebe dem Quartettspiel. Ihr Riele-Queling-Quartett bestand ausschließlich aus Frauen – obwohl zuvor bereits die Österreicherin Marie Soldat-Röger (1863–1955) mit ihrem berühmten Damen-Quartett beim Beethoven-Fest in Bonn 1900 aufgetreten war, konnte dies immer noch als Novität im Rheinland gelten. Dabei ging die Besetzung nicht ohne Schwierigkeiten ab: Während Queling, die zweite Violinistin Lotte Hellwig Josten (1903–1984) und die aus Arnheim stammende Bratschistin Gerda van Essen alle bei Bram Eldering (1865–1943) am Kölner Konservatorium studiert hatten, lebte die Cellistin und zeitweilige Managerin des Ensembles Ilse Bernatz (1902–?) in Frankfurt am Main: Es gab in Deutschland kaum Cellistinnen zu dieser Zeit. Das Queling-Quartett bildete später auch die Stütze des Kölner Kammer-Sinfonie-Orchesters. Hier fungierte Riele Queling zeitweilig als Konzertmeisterin – eine in Deutschland einzigartige Spitzenposition in einer Zeit, wo Frauen gemeinhin nicht einmal in Orchester aufgenommen wurden. In Deutschland geriet Riele Queling in Vergessenheit, nachdem sie 1934 ein Jahr nach ihrer Hochzeit mit dem holländischen Bakteriologen Robert Scholtes (1905–1987) ihren Wohnsitz in die Niederlande verlegt und auch die deutsche Staatsbürgerschaft abgegeben hatte. Dies machte ihre Auftritte in Deutschland außerhalb geschlossener Gesellschaften unmöglich. In Holland jedoch war sie weiter aktiv, leitete seit 1937 die Violinausbildung am Konservatorium in Utrecht und gründete nach Kriegsende ein neues Quartett, das sie im Angedenken an ihre Ausbildungsstätte und ihren Lehrer Eldering, der in Köln bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen war, „Domstad-Quartett“ nannte. Drei Tage vor ihrem Tod leitete sie letztmalig ein Quartett mit Beethovens opus 131.
Wie hart auch der Erfolg dieses Quartetts erkämpft war, lässt sich im Vergleich mit einer anderen Violinistin ermessen: Mimy Schulze-Prisca (1876–?, geborene Bussius) spielte über Jahre hinweg als zweite Violinistin an der Seite ihres Mannes Walter (1879–?) im weltbekannten Schulze-Prisca-Quartett, das von Köln aus Europa bereiste. Obwohl das Ehepaar noch 1943 im Deutschen Musiker-Kalender gemeinsam in der Besetzung dieses Quartetts aufgeführt ist, spielt auf Aufnahmen des Ensembles aus den Jahren 1935 bis 1939 entweder Will Smit oder Heinz Schkommodau (dessen Nachname auf den Etiketten darüber hinaus als „Schkommodan“ auch noch falsch geschrieben ist). War eine Frau, die gleichberechtigt an der Seite ihres Mannes stand, kulturpolitisch nicht erwünscht? Walter Schulze-Prisca jedenfalls schien die Arbeit mit Musikerinnen als bereichernd zu empfinden: 1943 war auch die Bratschistin Hedwig Emmel (Lebensdaten unbekannt) Mitglied des Quartetts. Eine weitere Kölner Formation verdient zumindest Erwähnung: Das „Westdeutsche Trio Köln“ mit der Pianistin Sascha Bergdolt (1888–?), Steffi Koschate (Violine; 1895–?) und Käthe Pabst-Hess blieb trotz mehrerer Personalwechsel immer ein Frauen-Ensemble. 1929 kam Else Müschenborn (1892–1962) für Bergdolt, etwa zehn Jahre später kam die bereits erwähnte Ilse Bernatz für Pabst-Hess. Das Ensemble spielte bis mindestens 1943 zusammen.
4. Exotinnen am Instrument
Frauen, die sich auf andere Instrumente spezialisieren wollten, konnten kaum auf Akzeptanz des Konzertpublikums hoffen. Selbst bei den Streichinstrumenten war die Violine das einzige akzeptable. Cellistinnen hingegen wurden als skandalös empfunden: Eine Dame der Gesellschaft, die öffentlich die Beine spreizte, wenn auch nur zum Halten des Instruments, war eine verstörende Vorstellung. Eine der wenigen Cellistinnen, die dennoch gegen Konventionen anspielte, Lise C[h]ristiani-Barbier (1827–1853), wurde vom deutschen Publikum kühl aufgenommen und starb jung, von den ständigen Reisestrapazen geschwächt, während einer Tournee durch Sibirien an Cholera. Ein Ausnahme-Talent muss Kato van der Hoeven (1877–1959) gewesen sein. Nachdem sich ihre Karriere in Köln nicht wie erhofft entwickelte, kehrte sie nach Amsterdam zurück, wo sie bald sogar Mitglied des Concertgebouw-Orkest wurde. Ebenso bahnbrechend wie skandalös präsentierte sich schließlich die ungarische Cellistin Judith Bokor (1899–1972), Meisterschülerin von David Popper (1843–1913), die seit 1919 in den Niederlanden lebte und von dort aus Tourneen durch Europa und die USA unternahm. Sie repräsentierte einen neuen Frauentyp, indem sie sich auf ihren Pressefotos in selbstbewusster Körperlichkeit in Verbindung mit ihrem Instrument inszenierte und damit offensiv gegen die nach wie vor virulenten bürgerlichen Vorbehalte vorging. Eine chronische Krankheit zwang sie früh zur Aufgabe ihrer Karriere. Im Rheinland war sie letztmalig in den Gürzenich-Konzerten 1930 unter Hermann Abendroth (1883–1956) zu hören, ihr letzter bekannter Auftritt war ein Rundfunkkonzert mit dem Tenor Richard Tauber (1891–1948) unter Leitung des Komponisten Franz Lehár (1870–1948) im Dezember 1933. Gleichwohl öffnete ihre kurze, aufsehenerregende Karriere manche Tür für andere, auch und gerade weniger provokant auftretende Musikerinnen.
Blasinstrumente galten allgemein als für Frauen ungeeignet, egal, ob es sich um Blechblasinstrumente handelte (die schon rein klanglich „zarten“ Frauen nicht entsprachen) oder die sanfteren Holzblasinstrumente. Auch dies hatte keine musikalischen Gründe. Der bekannte Musiktheoretiker (und Dirigent eines Frauenchors!) Hans Georg Nägeli (1773–1836) hatte sich schon 1826 „aus ästhetischen Gründen“ gegen Blasinstrumente für Frauen ausgesprochen, weil „das Blasen eines Instruments aber schöne Lippen verunstalte[t]“.[6] Es gab in ganz Europa kaum Bläserinnen, die im 19. Jahrhundert nachhaltige Erfolge erzielen konnten und unter diesen nicht eine Rheinländerin. Eine bedeutende Ausnahme auf internationaler Ebene war Caroline [Schleicher-]Krähmer (1794/1798–1873), die nicht nur als Violinistin, sondern auch und primär als Klarinettistin tätig war. Die konservative Presse Preußens tat sich schwer mit der blasenden Dame, während sie in ihrer Heimatstadt Wien fast durchgängig höchste Anerkennung fand. Lediglich in der Wiener Allgemeinen Musikzeitung vom 16.4.1842 finden sich kritische Töne. Längere Auszüge daraus sollen hier angeführt werden, da die Argumentationskette des Autors ebenso zeittypisch wie perfide ist: Zunächst werden gängige Vorurteile dem Leser ins Gedächtnis gerufen, danach scheinbar dagegen argumentiert (wobei jedoch den Frauen im gleichen Atemzug die Qualifikation für weitere Instrumente abgesprochen wird), um schließlich die konkrete Künstlerin doch aufgrund von Geschlechterklischees abzuwerten:
„Eine Virtuosinn auf der Clarinette gehört zu den selteneren Erscheinungen, und man hört sogar oft dieses Instrument und ebenso auch die übrigen Blas- und Streichinstrumente als unweiblich zeichnen. Wer die Aufgabe des Musiktreibenden als ein Mittel, sich selbst persönlich zu producieren, erfaßt, dem mag es mit einigem Recht so erscheinen, indem die Stellung des Körpers und die Verziehung der Gesichtsmuskeln, wie sie die Behandlung solcher Instrumente erheischt, allerdings nicht geeignet ist, die weibliche Schönheit zu erhöhen. Wem aber der vortragende Künstler dazu berufen scheint, das in sich empfundene auch anderen Kunstverwandten in Tönen zugänglich zu machen [...], der wird es bedauern, daß gerade die Instrumente, deren Natur dem Zarten und Gemüthlichen, dem Sentimentalen und Elegischen sich besonders zuneigt, [...] den Mädchen und Frauen entzogen werden, die denn doch sicherlich zum größten Theil etwas weit Höheres erreichen würden, wenn sie auf Violine und Clarinette u.s.w. sich eines innigen und lieblichen Vortrags befleißigten, als jetzt, da sie sammt und sonders ihre zarten Finger zur beiten [!], und es doch mit äußerst seltenen Ausnahmen nicht über eine mittelmäßige, kraftlose Copie hinausbringen. [...] Mad. Krähmer leistet auf der Clarinette wirklich etwas recht Löbliches und Ansprechendes. Ihre Fertigkeit ist nicht unbedeutend, ohne jedoch auf den Namen Virtuosität Anspruch machen zu können. [...] Ihre Behandlung des Instruments ist zu weiblich. Sie hat sich nämlich fast ausschließlich auf das Zarte und Weiche verlegt und sich dadurch einen schönen und sehr ausgebildeten, sichre [!] ansprechenden Ton im Piano und Mezzo angeeignet, [...] aber ihr fehlt die Auffassung für die männliche Seite des Tonausdrucks.“[7]
Bezeichnender Weise ist der Autor dieser Zeilen Alfred Julius Becher (1803–1848), der zuvor einer der führenden Musikschriftsteller und Kritiker des Rheinlands war. Erst kurz vor der zitierten Veröffentlichung war er nach Wien gekommen und mit örtlichen Gepflogenheiten noch wenig vertraut. Seine Ausführungen sind daher wohl eher als Ausdruck der rheinischen Sichtweise zu verstehen. Dass auch die Zahl der im Westen Deutschlands gastierenden Bläserinnen verschwindend gering ist, kann vor diesem Hintergrund kaum verwundern. Immerhin wurde in der Düsseldorfer Presse Ende April 1830 angekündigt: Friderike Rousseau, „erste Flötistin des Warschauer Theaters, wünscht in dieser Woche ihr [...] ausgezeichnetes Talent auf der Flöte in einer Abendunterhaltung darzustellen“. Presseresonanz zog dieser Auftritt allerdings nicht nach sich. Die wenigen Virtuosinnen auf Blasinstrumenten, die sich in den kommenden Jahrzehnten ins Rheinland wagten, mussten sich auf Kurzauftritte in Varietés oder anderen Vergnügungsetablissements beschränken. Eine seriöse Würdigung ihrer Leistungen fand nicht statt, und auch biographisch ist in der Regel über sie nicht mehr bekannt als der Name. Dies gilt etwa für die „Piston-Virtuosinnen“ Margarethe Cobin und Anna Eberius, die in den 1890er Jahren aktiv waren, sowie die bis mindestens 1925 auf Bühne, Schallplatte und im Radio tätige Okarina-Virtuosin Hedi Hilma. Herausragend waren die Leistungen der Flötistin Erika Stoltz (1878–nach 1952): Bereits als Zwölfjährige war sie erstmals öffentlich aufgetreten und hatte später in München mit ihren Schwestern Emilie, genannt „Mila“ (Harfe; Lebensdaten unbekannt) und Eugenie (Cello; 1884–?) ein Trio gebildet, mit dem sie ab 1895 überregional aktiv war. Nach Studien bei den berühmten Flötisten Rudolf Tillmetz (1847–1915) in München und Emil Prill (1867–1940) in Berlin war sie zunächst unter dem italienisch anmutenden Künstlernamen „Panita“ in Europa und später auch in den USA tätig. Nach ihrer Heirat mit dem Flugpark-Betreiber Hans von Klösterlein (1872–1958) im Herbst 1907 sowie 1914 – nach einer zwischenzeitlichen Scheidung heiratete das Paar ein zweites Mal – war sie auch unter dem angeheirateten Namen Erika von Klösterlein aktiv. Auch sie spielte während eines Großteils ihrer Karriere in Varietés und in den USA teilweise sogar in Zirkusprogrammen, war aber dennoch nicht bereit, ihre künstlerischen Ansprüche anzupassen. In jedem Rahmen präsentierte sie die klassische Virtuosen-Literatur ihres Instruments und fand damit nicht nur im Mai 1906 im Düsseldorfer Apollo-Theater großen Anklang. Im folgenden Monat wurde „Panita“ Stoltz auf Schallplatten aufgenommen – als Flötist war ihr damit in Deutschland nur ihr Lehrer Emil Prill zuvorgekommen; dies belegt ihre außergewöhnliche Popularität. Im April 1908 schließlich trat sie in einem Konzert der Musikalischen Gesellschaft Köln schließlich einmal in einem ihrem Können angemessenen Rahmen auf und wurde – wenn auch in knapper Form – auch in der Fachpresse gewürdigt: „Eine nicht alltägliche Darbietung fand viel Anklang, indem die Flötenspielerin Erika v. Klösterlein ein Flötenkonzert von Toulon [recte Toulou], eine Etüde von Tillmetz und Mozarts Andante mit weit vorgeschrittener Technik und guter Stilanpassung zum Vortrag brachte.“[8] Eine Signalwirkung ging jedoch auch von diesem Auftritt nicht aus und Blasinstrumente blieben für weitere Jahrzehnte eine Männerdomäne.
In ihrer Außenwirkung ohnehin beschränkt und vielleicht gerade deshalb für Frauen akzeptabel war die Familie der Zupfinstrumente. Laute und Gitarre waren seit Jahrhunderten bei Hofdamen verbreitet, wie auch bildliche Darstellungen belegen, hatten jedoch außerhalb des privaten Musizierens praktisch keine Bedeutung mehr. Erst dem spanischen Virtuosen Andrés Segovia (1893–1987) sollte es ab 1915 gelingen, die Gitarre als ernstzunehmendes Konzertinstrument allgemein neu zu etablieren. So konnten auch schon vorher tätige Gitarristinnen nur unter unzulänglichen Bedingungen wirken, wie schließlich anlässlich eines Gastspiels der bedeutenden italienischen Virtuosin Maria Rita Brondi (1889–1941) im Düsseldorfer Apollo-Theater sogar der Presse auffiel: „Schade auch, dass der Raum des Apollo-Theaters für die hervorragenden musikalischen Leistungen der Guitarre-Virtuosin Brondi nicht intim genug ist.“[9] Klanglich wesentlich stärker war die Harfe. Ihre Wertung als typisches Fraueninstrument hängt mit unterschiedlichen Faktoren zusammen: Dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Zahl männlicher Harfenspieler deutlich zurückging, mag mit dem zunehmend militaristischen Männerbild des neuen Deutschen Reiches nach 1871 in Verbindung stehen. Andererseits verweist das Instrument auf die Antike und macht die Spielerin auch durch den musikalischen Ausdruck des Feierlichen, Ätherischen oder religiös Erhabenen quasi zur Priesterin, die somit der körperlichen Sinnlichkeit entrückt ist. Hinzu kam allerdings ein anderer Aspekt: Die (vor der Entwicklung der Doppelpedal-Harfe) tonal beschränkten Möglichkeiten des Instruments hatten bei allem Erhabenen in Kirchen- und Konzertmusik doch eine Reduktion des Kunstwerts und Prestiges des Instruments zur Folge. Dies stand somit in bestem Einklang mit der gesellschaftlichen Stellung der Frauen. Semantisch war zudem die Harfe so fest auf den Bereich des Kultisch-Feierlichen oder Jenseitigen in Oper und Oratorium festgelegt, dass das Instrument nur zögerlich in die deutschen Symphonieorchester integriert wurde. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts war es durchaus üblich, die etwa von Berlioz in symphonischen Werken geforderte Harfe in Konzerten durch ein Klavier zu ersetzen. Nachdem aber spätestens durch die Werke Richard Wagners (1813–1883) die Harfe im Orchester einen festen Platz hatte, fand nach wenigen Jahren ein bemerkenswerter Wandel statt: Zunächst war das „körperlose“ Instrument für Frauen besonders geeignet, doch sobald die Instrumentalistinnen den Männern zahlenmäßig überlegen waren, schlug die Wahrnehmung wieder um und entwertete so das Instrument! Hinzu tritt die Tatsache, dass durch recht großen Tonumfang und Transportabilität die Harfe eine wesentliche Rolle in der Straßen- und Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts spielte. Für wandernde Musikerinnen, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung automatisch (und sicherlich bis auf Ausnahmen zu Unrecht) der Prostitution verdächtigt wurden, bürgerte sich die abfällige Bezeichnung „Harfenjule“ ein (auch die Wurzel des Begriffes „einbürgern“ ist an dieser Stelle bedenkenswert). Wenige Harfenistinnen sind aufgrund dieser Umstände tatsächlich zu einer Solistinnenkarriere gekommen, doch bot die Harfe zumindest die Chance, im Rahmen eines Symphonie- oder Theaterorchesters auch als Frau eine feste Stelle zu erhalten – so etwa Olga Riedner-Hausmann in Barmen, Adelheid Mertens und Maria Kabisch in Düsseldorf, Else Reyck in Essen, Clara Wessel, Luise Hauskeller und Maria Harf in Köln und schließlich Clara Rhein und Fanny Fischer in Krefeld. Den meisten Frauen, die jenseits der „Einzelhaft am Klavier“ musizieren wollten, blieb jedoch nur der mit sozialem Abstieg gleichzusetzende Weg in die Unterhaltungsbranche.
5. Trompeter-Corps und Donauschwalben: Damen-Kapellen
Über die Geschichte der ausschließlich oder überwiegend mit Frauen besetzten Ensembles, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts für etwa 75 Jahre die Unterhaltungsetablissements Deutschlands geradezu überfluteten, ist an anderer Stelle Grundsätzliches publiziert worden. Wesentliche Faktoren sollen daher hier nur kurz skizziert werden. Die aufkeimende Industrielle Revolution führte um 1800 in vielen kleineren Orten zu wirtschaftlichen Krisensituationen, die zusammen mit der gesellschaftlichen Umstrukturierung des sich emanzipierenden Bürgertums eine neue Erwerbsstruktur notwendig machten, sofern nicht entsprechende Gemeinden aufgelöst werden sollten. Infolgedessen formten sich einige Orte, deren Unter- und untere Mittelschichten besonders betroffen waren, zu regelrechten Musikantenstädten um, in denen Musik als Handwerks- und Ausbildungsberuf gewertet wurde. Durch Arbeit in der Fremde als Straßen- und Wirtshausmusiker wurde so Geld in die Heimat getragen. Da Musikausbildung hier nicht akademisch gehandhabt wurde und darüber hinaus Frauen bislang in Landwirtschaft und Hausmanufaktur ohnehin zum Broterwerb mitverpflichtet waren, war es selbstverständlich, dass auch Musikerinnen auf allen Instrumenten ausgebildet wurden, die für entsprechende Ensembles benötigt wurden – das gutbürgerliche Klavier war hier eben gerade nicht (oder kaum) vertreten. Zudem stellte sich heraus, dass reine Frauen-Ensembles die Schaulust in wirtschaftlich besser gestellten Städten besonders reizten und gute Verdienste bringen konnten. So etablierte sich relativ schnell eine breite Schicht von reisenden Musikerinnen, die sicher nicht immer auf musikalisch höchstem Niveau arbeiteten, aber flächendeckend demonstrierten, dass es keine physisch-biologischen Einschränkungen waren, die Trompeterinnen oder Schlagzeugerinnen aus dem bürgerlichen Konzertsaal ausschlossen. Zwar lag keine der großen Musikantenstädte im Rheinland (die Zentren waren vor allem Preßnitz in Böhmen, Kusel in der Pfalz und Salzgitter in Niedersachsen), doch waren die Orchester in den rheinischen Zentren regelmäßig präsent. Die Herkunft der Ensembles wurde oft hinter exotisch anmutenden, ausländischen Namen verborgen, vor allem, wenn wie bei den Preßnitzer Ensembles ein deutlicher Akzent nicht zu verbergen war. Diese etwa wurden oft als „Wiener“ oder „Österreichische“ Formationen angekündigt, um einen Abglanz der Metropole Wien für die Eigenwerbung nutzen zu können. Vergleichbar städtischen Legenden von Jugendlichen, die aus den einengenden Verhältnissen zum Zirkus oder zur Seefahrt flüchteten, waren auch die Damenkapellen – das abschätzige Wort „Kapelle“ sollte die Ensembles von den Kulturorchestern abgrenzen – sicher selten, aber bisweilen doch ein Zufluchtsort für musikbegeisterte Bürgertöchter. Hier konnten sie als Lehrmädchen auch Instrumente erlernen, auf denen sie keinerlei Vorkenntnisse besaßen, oder mit ihren bereits erlernten Fertigkeiten glänzen. So berichtet etwa das Düsseldorfer Volksblatt am 10.2.1889 anlässlich eines Karnevals-Auftritts der „Wiener Damenkapelle“: „Ihr künstlerischer Ruf hat sich in den letzten Jahren, durch Engagement einer der bedeutendsten Violin-Virtuosinnen, gesteigert.“ Der Name der gesellschaftlich so abgestiegenen Virtuosin wurde allerdings schamhaft verschwiegen.
Überhaupt lebten die Musikerinnen, die in solchen Orchestern tätig waren, in höchst problematischen und nicht ungefährlichen sozialen Verhältnissen. So geriet das Düsseldorfer „Etablissement Hölsken“ 1899 in die überregionalen Schlagzeilen, als der Düsseldorfer Schauspieler Friedrich Kühn die dort engagierte Musikerin Bertha Lipka, Mitglied des Damen-Trompetercorps „Lyra“, an der Eingangstür zu erstechen versuchte. Sie überlebte schwer verletzt, der Täter stellte sich nach abgebrochenem Selbsttötungsversuch der Polizei. Welche Vorgeschichte auch immer die Tat gehabt haben mag, sie ist symptomatisch für die Schwierigkeiten der reisenden Musikerinnen. Das permanente Reisen machte dauerhafte Bindungen schwierig, daneben ergaben sich Auftritte oft erst kurzfristig und machten Planung kaum möglich. Denn da die Ensembles meist nicht als „kulturwertig“ anerkannt waren, brauchten sie für Auftritte einen Erlaubnisschein der örtlichen Gewerbepolizei, der oft nur kurzfristig erteilt oder auch widerrufen wurde. Trat ein Ensemble ohne Genehmigung auf, war der Straftatbestand der Landstreicherei erfüllt. Ebenso stand dauernd der Verdacht der Prostitution im Raum. Es ist zwar bei objektiver Betrachtung schwer vorstellbar, dass eine mit Reisen, Üben und täglichen Auftritten voll ausgelastete Instrumentalistin tatsächlich nebenbei diesem Gewerbe nachging. Doch war das Bürgertum geneigt, alle jene sozial niedriger stehenden Frauenberufe ohnehin miteinander zu vermengen und wurde darin teils noch von Gastwirten ermutigt, indem diese damit lockten, nach Auftritt der Damenkapelle ergäbe sich noch (für begrenzte Zeit von ein oder zwei Stunden) die Gelegenheit, mit den Damen beisammen zu sitzen und „in Kontakt zu kommen“. Sich der unvermeidlichen Avancen zu erwehren, ohne direkt in polizeiliche Schwierigkeiten verwickelt zu werden, war eine der schwierigsten Aufgaben für Musikerinnen. Dies galt umso mehr, wenn eine Stadt ohnehin (wie etwa Duisburg) den reisenden Damen gegenüber kritisch eingestellt war und Auftritte nach Möglichkeiten zu erschweren suchte. Kam es zu übergriffigem Verhalten, so lauteten in der Regel die polizeilichen Konsequenzen, wie sie im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf nachzulesen sind: Antritt von Untersuchungshaft wegen „falscher Anschuldigung“ (1896 gegen Hedwig Rochotsch, geboren 26.11.1874 in Buckau, Bekanntmachung Nr. 12767, 1901 nochmals erneuert unter 1209), oder „Gewerbsunzucht“ (die Musikerin Caroline Paschen, genannt Passing, geboren 28.4.1891 Duisburg, wurde deswegen am 27.10.1911 in ihrem Geburtsort zu vier Wochen Haft verurteilt).
Dass solche Arbeit also eher letzter Ausweg als erste Wahl war, liegt auf der Hand. Dennoch lassen sich selbst bei kursorischer Suche im Internet 24 Damenkapellen (Gesangsensembles nicht mitgezählt) finden, die zwischen 1900 und 1925 in rheinischen Städten teils mehrmals pro Jahr gastierten. Dass diese Welle ausgerechnet während Inflation und Wirtschaftskrise schließlich abebbte, kann mit dem immer stärkeren Einfluss der amerikanischen Tanzmusik erklärt werden, die in Deutschland generell nur unvollkommen zu erlernen war. Ein weiterer Faktor war aber sicherlich ebenso, dass sich zeitgleich ein neues Betätigungsfeld für begeisterte, qualifizierte Musikerinnen im Ensemble- und Orchesterbereich auftat.
6. Neue Chancen: Alte Musik
Die Beschäftigung mit der Musik der vorklassischen Zeit, entsprechenden Instrumenten und ihrer eigenen Klanglichkeit begann gegen Ende der Kaiserzeit zunächst als wenig beachtetes Spezialgebiet. So galt etwa das Cembalo als zwar interessanter, aber doch minderwertiger Vorläufer des modernen Konzertflügels. Mit seinem leisen Ton und der begrenzten Dynamik mochte sich kaum ein renommierter Pianist beschäftigen. Nach altem, schon beschriebenen Muster wurde es „Fraueninstrument“. Durch die Pionierleistung der Cembalistin Wanda Landowska (1879–1959) jedoch gewann die Beschäftigung mit der „Alten Musik“ zunehmend an Dynamik. Bereits am 6.6.1910 wurde beim fünften Deutschen Bach-Fest in Duisburg ein historisches Konzert mit alten Instrumenten veranstaltet, bei dem auch Landowska mitwirkte. Nicht nur wurde sie zu Vorbild und Ausbilderin zahlreicher Cembalistinnen (so von 1913 bis 1919 an der Berliner Musikhochschule), sondern erschloss auch in gleichzeitigem Rück- und Vorausblick vielen anderen Instrumentalistinnen ein neues Betätigungsfeld, das noch nicht von Männern dominiert war, sondern auf eine Zeit zurückwies, wo in der Kammermusik-Kultur die Hofdamen noch durchaus neben den Herren ihren Platz finden konnten.
Im Herbst 1923 schließlich kam es durch Gustav Classens (1894–1978) zur Gründung des „Kölner Kammer-[Sinfonie-]Orchesters“, das sich auf vorklassische Musik spezialisierte. Classens hatte bereits im Gründungskonzert des Orchesters am 10.11.1923 die Konzertmeisterposition mit Violinistin Gertrud Höfer (Lebensdaten unbekannt) besetzt, die er von seinem Violinstudium bei Bram Eldering kannte. Auch die schon erwähnte Gerda van Essen gehörte zum Ensemble, ebenso als Cembalistin Lilli Wieruszkowski (1899–1971), die zuvor auch Cello bei Friedrich Grützmacher (1866–1919) studiert hatte und später von 1925 bis zu ihrem Gang ins Schweizer Exil 1933 als Organistin in Berlin wirkte. Später stießen mit Lotte Hellwig Josten und Riele Queling als neuer Konzertmeisterin weitere Mitglieder des Queling-Quartetts zum Orchester. Unter der Leitung von Hermann Abendroth, der das Ensemble nach einigen Jahren übernahm, wurde die Formation schließlich über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Der Frauenanteil war bis dahin nicht kleiner geworden und betrug zeitweilig über 40 Prozent – dies wohlgemerkt zu einer Zeit, als die Mehrzahl der deutschen Symphonie- und Opernorchester noch reine Männerbünde waren. Viele Frauen, die in den kommenden Jahrzehnten gewichtige Beiträge zum deutschen Musikleben leisten sollten, wirkten zumindest zeitweilig im Kammerorchester mit: so etwa die Violinistinnen Ida Oppenheimer (1894–1941?), Gertrude-Ilse Tilsen (1899–1984), die nachfolgend in Berlin das „Berliner Frauen-Kammerorchester“ leitete, und die gelegentlich auch Viola spielende Josefa Kastert (Lebensdaten unbekannt, mindestens bis 1943 Leiterin ihres eigenen „Kastert-Quartetts“ und nach dem Krieg Lehrerin an der Rheinischen Musikschule in Köln), ferner die Cellistin Beatrice Reichert (1903–1972) und – nach den ersten Jahren fast ein ruhender Pol im Ensemble – die Cembalistin Julia Menz (1901–1944). Menz gehört sicher zu den interessantesten Persönlichkeiten unter den Musikerinnen ihrer Generation. Obgleich chronisch lungenleidend und entsprechend geschwächt, verausgabte sie sich für ihr Instrument, soweit ihre Gesundheit dies zuließ, und galt als eine der wesentlichen Cembalo-Interpretinnen ihrer Generation. Daneben unternahm sie Reisen in entlegene Länder, über die sie dann als Reiseschriftstellerin berichtete, und war durchaus auch der leichteren Muse nicht abgeneigt: In privatem Kreis war sie auch als Saxofonistin zu hören.
Dem nahezu ausschließlich weiblichen Kern des Kölner Kammerorchesters dürfte dessen Erfolg viel mehr zu verdanken sein als den wechselnden Herren, die ebenfalls mitwirkten. Mit dem „Spielkreis für gesellige Musik“ bestand in Köln Ende der 1930er Jahre zudem ein erfolgreiches Sextett, das mit Flöten, Gamben und Lauten besetzt war und ganz ohne Männer auskam. Die heute noch wesentlich größere und differenziertere Szene der „Alten Musik“ ist nach Meinung des Autors bislang viel zu wenig dahingehend beachtet worden, dass hier die Grundlagen eines wirklich gleichberechtigten Musizierens auch im Orchesterverbund gelegt wurden.
7. Epilog
In der Kammermusik und auf solistischem Gebiet hat sich bezüglich der Gleichstellung der Frauen in den vergangenen Jahrzehnten vieles positiv entwickelt, wenn auch bis heute in der Instrumentenwahl die alten Vorurteile noch nachwirken. Ähnlich verhält es sich in Symphonieorchestern, wenn auch hier die Vorbehalte desto stärker sind, je mehr ein Verband sich der Tradition verbunden fühlt. Es sei daran erinnert, dass es erst 1984 war, als die Berliner Philharmoniker Sabine Meyer (geboren 1959) nicht als Solo-Klarinettistin akzeptieren wollten und ihr Fürsprecher Herbert von Karajan (1908–1989) schließlich das Orchester verließ. Nicht zuletzt die Bundeswehr dürfte durch die Aufnahme von Frauen in ihre Musikkorps seit dem Jahr 1991 eine wichtige Signalfunktion erfüllt haben, dass Frauen in der Lage sind, auf jedem Instrument musikalisch-repräsentative Staatsaufgaben zu erfüllen – warum also nicht anderswo?
In anderen Bereichen und Funktionen der Musik (Rock, Pop und Jazz mit ihren eigenen Marktgesetzen bewusst ausgeklammert) sieht es allerdings nicht annähernd so gut aus. Mit einer kurzen spontanen Auflistung berühmter Dirigenten und Dirigentinnen und Komponisten und Komponistinnen mag jede(r) für sich testen, wie hier der Geschlechterproporz aussieht – und dies hat sicherlich keine rein fachlichen Gründe. Auch die Kirchenmusik ist nach wie vor männlich dominiert. Dass sich der vorliegende Artikel auf das 19. und frühe 20. Jahrhundert konzentriert, hat nicht zuletzt den Grund, dass hier die Grundsteine unseres heutigen Musiklebens gelegt wurden. Einige Namen, die in diesem Zusammenhang auch hätten fallen können, aber zu denen kaum greifbares Material vorliegt, sollen als Ausklang zumindest aufgelistet werden – sofern keine Eckdaten angegeben werden, sind sie nicht bekannt: Die Bonner Komponistin Johanna Kinkel (1810–1858) wurde erst lange nach ihrem Tod im Londoner Exil angemessen gewürdigt. In Duisburg spielte mindestens von 1939 bis 1943 Editha Ludwig-Wiebe (1890–1965) als Violinistin im „Niederrheinischen Trio“; die Düsseldorfer Sängerin Selma Lenz leitete in der frühen Kaiserzeit in Düsseldorf einen „Damen-Gesangverein“. Ebenfalls in Düsseldorf waren 1893 Kompositionen von H. Vorwerk zu hören (Vorname nicht zu ermitteln [!] – die Gattin von Benno Vorwerk, der bis 1915 der Internationalen Mozart-Gemeinde Düsseldorf vorstand).
Von 1914 bis mindestens 1929 fungierte in Barmen Elisabeth Potz als Kantorin und zeitweise Dirigentin des Bach-Vereins Wupperfeld; später lebte sie in Düsseldorf. In Emmerich war von mindestens 1939–1943 die Organistin Cornelia van Sijn im Kirchendienst. Die Pianistin Toni Tholfus[-Klein] (1877–?) blieb nach ihrem Studium zunächst in Köln und konzertierte im ganzen Rheinland; mit ihrem Ehemann Johannes Geller organisierte sie später mehrere anspruchsvolle Konzertreihen in Neuss. Helene Gartz leitete von etwa 1927 bis mindestens 1950 den Frauenchor Köln-Nippes. Die Kölner Pianistin Lonny Epstein (1885–1965) war eine Pionierin des Hammerflügels, auf dem sie vor allem als Mozart-Interpretin glänzte. Ida van Megen, Grete Terwelp, Agnes van Megen und Hilde [Houcken-]Hormann bildeten in Krefeld zu Beginn der 1940er Jahre das Krefelder Streichquartett. Im Raum Remscheid entstanden zwischen 1918 und 1943 vier Frauenchöre, die alle heute noch bestehen. Die Violinistin und Violistin Kläre/Klara Meis (1898–1983) wurde 1939 Mitglied des Bergischen Landesorchesters und 1943 des Städtischen Orchesters Solingen.
Wären Männer in vergleichbar bahnbrechender Position ebenso vergessen worden? Hoffen wir weiter, dass es irgendwann zumindest in der Musik Selbstverständlichkeit wird, was der große Kompositionspädagoge Simon Sechter (1788–1867) schon 1847 formulierte: „[I]m unverdorbenen Zustande hat der weibliche Verstand eben so viel Bildungsfähigkeit als der männliche, und umgekehrt im verdorbenen Zustande hat der männliche eben so wenig als der weibliche. Nicht das Geschlecht, sondern wozu es gemacht wird, macht hier den Unterschied.“[10]
Literatur
Kursiv = Kurzzitierweise
Becher, Alfred Julius, Concert der Frau Caroline Krähmer, geb. Schleicher, im Saale des Musikvereins, den 10. d. M., in: Allgemeine Wiener Musik-Zeitung, Jg. 2 Nr. 46 (16.4.1842), S. 190.
Drinker, Sophie, Die Frau in der Musik. Eine soziologische Studie, Zürich 1955.
Ehrlich, H., Die Frauen und der Musikberuf. Eine Mahnung, in: Der Basar, Jg. 30 Nr. 18 [5.5.1884], S. 142–143.
Hiller, Paul, Konzerte. Köln, in: Die Musik Jg. 7 Nr. 16 (2. Maiheft 1908), S. 250.
Hoffmann, Freia, Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur, Frankfurt a.M/Leipzig 1991.
Hoffmann, Freia (Hg.), Reiseberichte von Musikerinnen des 19. Jahrhunderts. Quellentexte, Biographien, Kommentare, Hildesheim [u.a.] Olms 2011.
Juncker, Carl Ludwig, Vom Kostüm des Frauenzimmer Spielens, in: Musikalischer Almanach auf das Jahr 1784: Musikalisches Taschenbuch auf das Jahr 1784, Freiburg o.J. [1783], S. 85–99.
Kaufmann, Dorothea, „... routinierte Trommlerin gesucht“. Musikerin in einer Damenkapelle. Zum Bild eines vergessenen Frauenberufes aus der Kaiserzeit [= Schriften zur Popularmusikforschung 3], Karben 1997.
Levin, Theodor, Konzerte, in: Bürger-Zeitung für Düsseldorf und Umgebung, 6.3.1901.
Nägeli, Hans Georg, Vorlesungen über Musik mit Berücksichtigung der Dilettanten, Stuttgart [u.a.] 1826.
Sechter, Simon, Aphorismen, in: Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Jg.7 Nr. 65/66 (1./3.6.1847), S. 268.
Valder-Knechtges, Claudia, Feinheiten köstlichster Art schlugen an unser Ohr. Zur Frühgeschichte des Kölner Kammerorchesters, in: Mitteilungen 91. Köln: Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte 2009, S. 59–90.
- 1: Max Bruch an Ernst Wolff, 27.11.1912, S. 18–19. Original in der Handschriften-Sammlung des Heinrich-Heine-Archivs, Inv.-Nr. HHI.AUT.67.6333/2.
- 2: Juncker, Kostüm, S. 87.
- 3: Levin, Konzerte.
- 4: Ehrlich, Frauen und der Musikberuf, S. 142.
- 5: Lokales und Provinzielles, in: Düsseldorfer Volksblatt, 4.11.1884 (n.p.)
- 6: Nägeli, Vorlesungen, S. 174.
- 7: Becher, Concert.
- 8: Hiller, Konzerte.
- 9: Düsseldorfer Theater-Woche Jg. 1 (1910), Nr. 12, S. 12.
- 10: Sechter, Aphorismen.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Lehl, Karsten, Mehr als nur Fußnoten - Musikerinnen im Rheinland und ihre Rezeption, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/mehr-als-nur-fussnoten---musikerinnen-im-rheinland-und-ihre-rezeption/DE-2086/lido/604721a9db1b23.14694924 (abgerufen am 19.08.2024)