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Da sein Hauptwerk zu Lebzeiten ungedruckt blieb, war Christian Sgrooten lange eine völlig unterschätzte Gestalt der Kartographiegeschichte. Er war der Autor der ersten halbwegs genauen Kartierung der Rheinlande und zahlreicher weiterer deutscher und niederländischer Regionen.
Christian Sgrooten wurde um 1525 im klevischen Sonsbeck geboren. Sein Vater war der aus Zaltbommel (heutige niederländische Provinz Gelderland) gebürtige Jurist und Stadtschreiber Peter Sgrooten (gestorben 1553/1554). Die Mutter Styne van Aldenhoven (gestorben 1580/1581) entstammte der örtlichen Bürgerschicht. Ein älterer Bruder Jacob (gestorben 1566/1567) wurde 1542 Bürger in Kalkar, wo er als Kaufmann tätig war und durch seine Heirat Beziehungen zur dortigen Künstlerfamilie van Holt unterhielt. Auch Christian Sgrooten erwarb 1549 Bürgerrecht und Hausbesitz in Kalkar, wo er für den Rest seines Lebens ansässig blieb. Sein Berufsbild in den frühen Jahren ist nicht ganz klar. Denkbar ist eine Lehre als handwerklicher Maler. Für 1553 liegen Belege vor, dass er Grundstückshandel betrieb und es zu Wohlstand brachte.
Eine Sgrooten zuschreibbare, als Zeichenübung zu deutende kleine Manuskriptweltkarte zeigt, dass er bereits in frühen 1540er Jahren Interesse an der Kartographie hatte. Um 1554 begann er in diesem Fach eine Lehre, wodurch er zeitweilig in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Eine Reihe verlässlicher Indizien lässt darauf schließen, dass er diese Ausbildung bei Gerhard Mercator machte, der seit 1552 in Duisburg ansässig war. Das von Mercator an Sgrooten vergebene „Meisterstück" war die erste moderne Kartierung des Herzogtums Kleve und der angrenzenden Gebiete. Das Ergebnis erschien 1558 bei Bernard van den Putte (1528-1580) in Antwerpen als Wandkarte, die nur aus sekundären Quellen bekannt ist.
Mit einer Manuskriptkarte der Veluwe in ähnlich hoher Qualität als Referenz erhielt Sgrooten Ende 1557 eine feste Anstellung als „Königlicher Geograph" Philipps II. (1527-1598, Regierungszeit als König von Spanien 1556-1598) in den Niederlanden. In diesem Amt publizierte er in den folgenden Jahren zahlreiche kleinere Vermessungsaufträge. Weitere Veröffentlichungen folgten. Im renommierten Antwerpener Kartenverlag von Hieronymus Cock (um 1510-1570) erschien 1563/1567 eine grundlegende, komplett auf eigenen Vermessungen beruhende Wandkarte der Niederrheinlande bis zum Eifelrand. 1566/1567 folgte eine ebenfalls sehr innovative Wandkarte des Heiligen Römischen Reiches. Letzte Edition bei Cock war eine 1570 eine Palästina-Wandkarte Sgrootens nach Daten eines Petrus Laicksteen, der 1556 den Vorderen Orient bereist hatte. Ein Jerusalem-Plan ebenfalls nach Laicksteen und eine Wandkarte des Mittelmeerraumes mit den Schauplätzen der Bibel erschienen 1570 bzw. 1572 im Privatverlag des Kalkarer Kaufmanns Vincenz Houdaen. Durch Amt und Arbeiten kam Sgrooten wieder rasch zu Wohlstand und Ansehen. Er engagierte sich für seine Heimatstadt, zum Beispiel um 1560 mit einer Denkschrift über die Austiefung der Kalflak, eines alten Rheinarms nördlich von Kalkar, um über diesen einen direkten Anschluss der Stadt an den Rheinhandel herzustellen. 1564 erwarb er ein repräsentatives Haus neben dem Dominikanerkloster, dem er zeitlebens als Förderer verbunden war. In diesen Jahren heiratete er die Kalkarer Kaufmannstochter Agnes van Bedber (gestorben 1608). Aus dieser Ehe stammten eine Tochter Agnes (gestorben 1579) und ein Sohn Peter (gestorben nach 1608), der 1582 in den Jesuitenorden eintrat und später in Köln und Emmerich lebte.
Seit Anfang der 1560er Jahre und intensiv seit 1568 arbeitete Sgrooten für die Militärplanungen der spanischen Behörden in Brüssel an dem großen Projekt seines Lebens: einem Kartenwerk des deutschen Raumes mit Schwergewicht auf den Niederlanden und die angrenzenden Regionen. Eine erste unfertige Fassung lieferte er 1573 ab. Dieser so genannte „Atlas Bruxellensis" (Bibliothèque royale, Brüssel) enthält 37 kolorierte Manuskriptkarten (je etwa 60 x 60/120 cm) in gestaffelten Maßstäben in folgender Gliederung: zwei Übersichtskarten, 13 Karten der niederländischen Provinzen, elf Karten des Grenzraumes von Kurtrier bis Friesland, elf Karten des übrigen Reichsgebietes. In der quellenkundlichen Analyse erweist sich dieses Werk als ein Meilenstein in der Kartierungsgeschichte Deutschlands. Die Darstellung des gesamten Raumes von Luxemburg über den Niederrhein, das Sauerland, Westfalen bis nach Friesland beruht vollständig auf eigenen Erstkartierungen Sgrootens. Gleiches gilt wohl auch für Mecklenburg, Brandenburg, Hessen, Württemberg und Oberschwaben. Die Wiedergabe der übrigen Regionen zeigt die Verwendung fremder Vorlagen, aber ebenfalls mit Ergänzungen Sgrootens nach eigener Reiseerfahrung.
Bezahlt über die geldrische Rechenkammer in Arnhem, verlor Sgrooten 1577 mit der sich immer stärker abzeichnenden Abspaltung der nördlichen Niederlanden von der spanischen Krone Amt und Einkommen. Für das nächste Jahrzehnt sind die Quellen spärlich. Er arbeitete weiter an seinem Großprojekt für den spanischen Hof, aber auch für andere Auftraggeber, und unternahm weitere Reisen. Aus seinem angesammelten Fundus topographischer Daten konnte sich Gerhard Mercator umfassend für Karten seines Atlas’ (Duisburg 1585ff.) bedienen.
Isoliert und verarmt nahm Sgrooten Ende 1588 Verbindung zu Philipp II. auf, der ihn formal in seinem Amt bestätigte. 1592 schloss er den so genannten „Atlas Madritensis" (Biblioteca nacional, Madrid) ab, den er 1596 in Brüssel ablieferte. Diese etwas unsystematisch angelegte Sammlung besteht aus 38 handgezeichneten kolorierten Karten (je etwa 80 x 120 cm): drei Weltkarten, zwei Karten zum Vorderen Orient, neun Karten zu West-, Nord- und Osteuropa, 16 Karten zu den Niederlanden, acht Karten zum deutschen Raum. Die Werkanalyse zeigt, dass Sgrooten seit dem Abschluss des „Atlas Bruxellensis" den gesamten deutschen und niederländischen Raum nochmals bereist und teilweise neu kartiert hatte. Umfangreiche, aber schwer deutbare Spuren von Primärinformationen finden sich auch in der Darstellung Frankreichs, Skandinaviens, Russlands und des Vorderen Orients. In der Gesamtsicht gehört der „Atlas Madritensis" Sgrootens zu den Spitzenleistungen der europäischen Renaissancekartographie. Der Detailreichtum, etwa in den Ortseinträgen und auch in den zumeist wirklichkeitsähnlichen Ortsminiaturen, ist enorm. Hinsichtlich seiner künstlerischen Gestaltung und Ausführung existiert neben seinem Kartenwerk zeitgenössisch nichts Vergleichbares.
Die letzten Lebensjahre Sgrootens waren trist. In Kalkar erlebte er 1598/1599 spanische Besatzung und Pestepidemie. Um die von Philipp II. zugesagte Auszahlung seiner Honoraraußenstände musste er mit den Behörden in Brüssel einen jahrelangen Kampf führen, der erst 1608 unter seinen Erben zum Ausgleich kam. Christian Sgrooten starb wahrscheinlich am 13.5.1603 und wurde in der Dominikanerkirche in Kalkar begraben.
Im Rückblick erscheint Christian Sgrooten als eine tragische Gestalt. Die erste Fassung seines Hauptwerkes, der „Atlas Bruxellensis," war durch den Auftraggeber zur Geheimhaltung bestimmt. Beim späteren „Atlas Madritensis" gab es kurzfristig Pläne zur Publikation, die dann aber aus Kostengründen und auch wegen fehlender Notwendigkeit nicht realisiert wurden. Dadurch blieb Sgrooten die Chance verwehrt, seiner Bedeutung gemäß in die Wissenschaftsgeschichte einzugehen.
Literatur
Meurer, Peter H., Die Manuskriptatlanten Christian Sgrootens, Alphen aan den Riijn 2007.
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Meurer, Peter H., Christian Sgrooten, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/christian-sgrooten/DE-2086/lido/57c94f14dfe048.21080484 (abgerufen am 19.08.2024)