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Franz Ludwig Zahn war ein bedeutender Pädagoge, der sich bleibende Verdienste um die Ausbildung der Elementarschullehrer erwarb. Von 1832 bis 1857 leitete er das Seminar zur Ausbildung von evangelischen Elementarschullehrern in Moers.
Franz Ludwig Zahn war kein Rheinländer, sondern entstammte einer Thüringer Pfarrerfamilie. Geboren wurde er am 6.10.1798 in Wasserthaleben, einem Dorf an der Helbe im Kyffhäuserkreis. Nach dem Besuch der dörflichen Elementarschule und der Lateinschule im nahen Greussen bezog Zahn 1817 die Universität Jena zum Studium der Jurisprudenz, das er 1820 mit dem Examen abschloss. Offensichtlich behagte ihm die Arbeit als Advokat und „Aktuarius“ bei einem sächsischen Gericht nur wenig, denn 1822 begann er ein zweites Studium, jetzt der Theologie an der neugegründeten und renommierten Berliner Universität.
In Berlin geriet er an den schlesischen Adligen Hans Ernst Baron von Kottwitz (1757-1843), der schon während der französischen Besetzung Preußens begonnen hatte, sich um die zahlreichen Armen Berlins zu kümmern und ihnen Arbeit und Unterhalt zu verschaffen. Mit seiner praktizierten christlichen Nächstenliebe, seiner tiefen Frömmigkeit und seinem Charisma war Baron von Kottwitz das Haupt der Berliner Erweckungsbewegung. Darüber hinaus verfügte er über ausgezeichnete Beziehungen zum preußischen Hof. Wie viele andere erlebte auch der Theologiestudent Zahn unter dem Einfluss des Barons eine innere Wandlung, die ihn zu einem überzeugten Anhänger eines undogmatischen und auf die Praxis gerichteten christlichen Glaubens werden ließ.
Nach seinem theologischen Examen 1824 strebte Zahn nicht in die Wissenschaft oder in das Pfarramt, sondern in die Lehrerbildung. Mit der Einführung der Schulpflicht in den deutschen Staaten hatte auch die Ausbildung der Elementarlehrer feste Strukturen bekommen. Ausbildungsseminare mit mehrjährigen Studiengängen wurden eingerichtet und ausgebaut, und dafür brauchte man Lehrer. 1825 wurde Zahn Lehrer an dem Seminar, das kurz vorher in dem ehemals sächsischen, seit dem Wiener Kongress aber preußischen Städtchen Weißenfels an der Saale errichtet worden war. Das Seminar wurde von dem bedeutenden Pädagogen Wilhelm Harnisch (1787-1864) geleitet, einem Anhänger Pestalozzis (1746-1826) und Erfinder des Faches „Heimatkunde“ in der Volksschule.
Zahns Tätigkeit in Weißenfels währte nur wenige Jahre; bereits 1827 finden wir ihn – knapp 30-jährig - in Dresden, wohin er als Direktor des Fletscherschen Lehrerseminars berufen worden war, einer Stiftung der ursprünglich aus Schottland stammenden sächsischen Freiherrnfamilie von Fletscher. Im selben Jahr heiratete er die aus St. Gallen stammende Anna Schlatter (1800-1853), eine Tochter der schon damals in pietistischen Kreisen bekannten Anna Schlatter-Bernet (1773-1826), die in einer verzweigten und umfangreichen Korrespondenz Zeugnis ablegte von ihrem Ringen um den wahren christlichen Glauben. Noch in Dresden wurde dem Paar der Sohn Johannes geboren, dem weitere neun Kinder folgen sollten. In der sächsischen Hauptstadt entfaltete Franz Ludwig Zahn neben seiner pädagogischen auch eine segensreiche diakonische Wirksamkeit und gründete zum Beispiel eine Anstalt für Taubstumme, die er seinem Seminar angliederte.
Auch in der Rheinprovinz hatte Preußen Lehrerseminare errichtet. Zum Leiter des Seminars im niederrheinischen Moers war Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg berufen worden. 1832 übernahm Diesterweg die Leitung des Berliner Lehrerseminars. Auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger für ihn wurde das Berliner Ministerium von Seiten evangelischer Kirchenmänner auf Franz Ludwig Zahn in Dresden aufmerksam gemacht. Zahn selbst war an der Stelle im Rheinland interessiert und bat seinen väterlichen Förderer, Baron von Kottwitz, sich für ihn zu verwenden. Den letzten Ausschlag für Zahns Berufung nach Moers gab vermutlich ein Schreiben des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm IV. (Regentschaft 1840-1858), der den frommen Seminardirektor bei einem Besuch in Dresden kennen- und schätzen gelernt hatte.
Im Juli 1832 kam Zahn nach Moers, wo er etwa 30 Seminaristen vorfand, die in zwei Klassen von zwei Lehrern unterrichtet wurden. Der neue Direktor unterrichtete ebenfalls am Seminar, seine Fächer waren Religion, Pädagogik und Geschichte. Sein Unterricht wird als eine „lebhafte Konversation“ geschildert. Er lehrte die zukünftigen Lehrer, „erst Exempel, dann Regel, erst Vorbild, dann Gebot und Mahnung“ zu praktizieren. Im Fach Religion etwa legte er den Schwerpunkt auf die biblische Geschichte als eine Geschichte des Reiches Gottes auf Erden, nicht auf Dogma und Katechismus. Sein „System der Pädagogik“ orientierte sich ebenfalls an der christlichen Religion und an Jesus Christus als dem Kinderfreund, der allen Kindern mit großem Verständnis begegnete, sie ernst nahm und mehr Lob als Tadel verteilte. Da die Vorbereitung auf das Lehrerseminar nicht geregelt war, begannen viele Seminaristen ihre Ausbildung nur mit mangelhafter Vorbildung. Um dieser Tatsache zu begegnen, richtete Zahn 1836 auf seinem Gut Fild in der Nähe von Moers eine private „Präparandenanstalt“ ein. Vom Schulgeld allein konnte diese Anstalt nicht leben. Zahn finanzierte einen erheblichen Teil der Ausgaben aus seinem Vermögen und seinem Einkommen, zum Beispiel aus den Erlösen, die er mit dem Verkauf von Büchern erzielte, die von einer von ihm gegründeten „Rheinischen Schulbuchhandlung“ herausgegeben wurden. So druckte er etwa eine handliche Bibelausgabe in einer Auflage von 30.000 Stück und vertrieb sie zum Subskriptionspreis von einem Taler das Stück Mit dem Gewinn aus dieser Aktion und einem Darlehen des preußischen Staates richtete er eine Taubstummen- und Blindenanstalt auf seinem Gut ein. Beide wurden der Aufsicht der staatlichen Behörden unterstellt, „so daß von vornherein ihr Bestehen nicht persönlich mit dem Besitzer des Gutes verwachsen ist“, wie Zahn zusicherte.
Er verfasste selbst etliche Schriften, die weit verbreitet waren. Vor allem trifft dies auf seine „Biblischen Historien“ zu, die 1832 zum erstenmal publiziert wurden und noch bis weit ins 20. Jahrhundert im Unterricht der Volksschule Verwendung fanden. Aber auch „Das Reich Gottes auf Erden. Handbuch zur biblischen und Kirchengeschichte“ (2 Bände, 1830 und 1834), „Die Leidensgeschichte Jesu Christi, nach den vier Evangelisten zusammengestellt und mit Liedversen begleitet“ (1830), die „Biblische Geschichte nebst Denkwürdigkeiten aus der christlichen Kirche“ (1831) oder der „Wegweiser für das Bibellesen“ (1839), der Filder Bibelkalender und das Filder Gesangbuch wurden gekauft und gelesen, trotz der scharfen Kritik, die Diesterweg an ihnen übte, weil diese Bücher fertige Wahrheiten lieferten, anstatt ihre Leser zur „Selbsttätigkeit“ zu ermuntern.
Doch auch darum war Zahn bemüht. Er lud die Lehrer, oft seine ehemaligen Seminaristen, zum Beispiel seinen berühmtesten Schüler Friedrich Wilhelm Dörpfeld , zu „Lehrerkonferenzen“ ein, bei denen „Lehrerfortbildung“ auf dem Programm stand. Zu seinen Aufgaben gehörte es, in den Ferien eine Reihe von Schulen im Regierungsbezirk Düsseldorf zu „revidieren“ und zu kontrollieren. Dabei regte er behutsam die Bereitschaft der Lehrer zu eigener beruflicher Fortbildung und Professionalisierung an. 1848 war er einer der Initiatoren bei der Gründung des „Vereins evangelischer Lehrer für Rheinland und Westfalen“. Seine Zeitschrift „Schulchronik“ wurde das offizielle Vereinsorgan, ihm beigegeben wurde später die Beilage „Der Grafschafter“, die sich zu einer bemerkenswerten Zeitung für den Niederrhein entwickelte und als eine der Wurzeln der heutigen „Rheinischen Post“ betrachtet werden kann.
Bereits in den 1840er Jahren trübte sich das Verhältnis Zahns zu seinen Vorgesetzten in Berlin ein. Zahn konnte wichtige Ziele der Berliner Schulpolitik nicht oder nur halbherzig vertreten. Der Moerser Seminardirektor meinte, dass die Volksschule mehr Unabhängigkeit von Kirche und Staat benötige. Die Lehrer müssten aus der geistlichen Schulaufsicht durch den örtlichen Pfarrer befreit und verselbständigt werden. Und der Religionsunterricht wie auch die anderen Fächer in der Schule müssten anderes und mehr leisten als nur den gehorsamen Bürger zu erziehen. Nach der Revolution 1848/1849 wurden derartige Überlegungen in Berlin mit großem Misstrauen aufgenommen, waren doch von oberster Stelle die „halbgebildeten Lehrer“ und deren Unterricht als eine der Ursachen der Revolution ausgemacht worden. Im Kultusministerium wünschte man den inzwischen unbequem gewordenen Seminardirektor zu entlassen.
Doch war dies nicht so einfach, denn Zahn hatte sich große Verdienste um das rheinische Schulwesen erworben und war dabei von „hohen und höchsten Autoritäten“, selbst vom König Friedrich Wilhelm IV., unterstützt worden. Die Behörden hofften deshalb, Zahn werde „wegen Arbeitsüberlastung“ freiwillig aus seinem Amt scheiden. Als das nicht geschah, wurde schließlich ein Grund für seine Entlassung gefunden. Zahn hatte schon seit längerem seinen Wohnsitz auf seinem Gut Fild und nicht im Hause des Seminars in Moers genommen, wie es eigentlich vorgesehen war. 1854 forderte man ihn auf, unverzüglich nach Moers umzuziehen, da andernfalls seine Aufsicht über das Seminar leide. Das lehnte Zahn ab. Damit nahm er seine Entlassung in Kauf.
Die Regelung der Pension und die Suche nach einem Nachfolger zogen sich in die Länge. 1857 endlich stand beides fest. Jetzt konnte Zahn aus seinem Amt scheiden. Franz Ludwig Zahn starb am 20.3.1890 im hohen Alter von 92 Jahren. Er wurde auf dem von ihm eingerichteten Familienfriedhof beigesetzt, wo fast 40 Jahre vorher seine Frau begraben worden war. Seine zahlreichen Nachkommen – der Familienverband umfasst nahezu 500 Personen – pflegen das Andenken an ihn bis heute.
Werke (Auswahl)
Die Leidensgeschichte Jesu Christi, nach den vier Evangelisten zusammengestellt und mit Liedversen begleitet, 1830.
Das Reich Gottes auf Erden. Handbuch zur biblischen und Kirchengeschichte, 2 Bände, 1830/1834.
Biblische Geschichte nebst Denkwürdigkeiten aus der christlichen Kirche, 1831.
Biblische Historien für evangelische Schulen, 1832, 296. Auflage, Düsseldorf 1916.
Die biblischen Geschichten. 46. Auflage, Düsseldorf 1916.
Wegweiser für das Bibellesen, 1839.
Literatur
Carnap, Anna, Friedrich Wilhelm Dörpfeld. Aus seinem Leben und Wirken, Gütersloh 1903.
Bloth, Hugo Gotthard, Der Pädagoge Franz Ludwig Zahn (1798-1890) und seine Amtsenthebung durch Ferdinand Stiehl (1812-1878), in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 24 (1975), S. 163-202.
Burghard, Hermann, Moers vom Wiener Kongreß bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1815-1918), in: Wensky, Margret (Hg.), Moers. Die Geschichte der Stadt von der Frühzeit bis zur Gegenwart, Band 2, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 143-312, bes. S. 267-271.
Goebel, Klaus, Franz Ludwig Zahn (1798-1890). Ein Lebensbild, in: Goebel, Klaus, Wer die Schule hat, der hat die Zukunft. Gesammelte Aufsätze zur rheinisch-westfälischen Schulgeschichte, hg. von Hans Georg Kirchhoff, Bochum 1995, S. 135-149.
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Wittmütz, Volkmar, Franz Ludwig Zahn, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/franz-ludwig-zahn/DE-2086/lido/57c8271e76b669.67252481 (abgerufen am 19.08.2024)