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Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mühte sich die historische Forschung mehr oder weniger erfolgreich, die Person der Irmgardis von Süchteln zu identifizieren. Immer wieder entzieht sie sich mangels Quellen dem erkennenden Zugriff. Davon unberührt zeigt sich der Volksglauben, der um ihre Person die vielfältigsten Legenden rankte. Die Frage nach der „historischen" Irmgardis ist damit von der Legendengestalt zu unterscheiden.
Die Legende
Wahrscheinlich entstand die Irmgardis-Legende um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Danach soll Irmgardis eine Tochter des Grafen von Zutphen gewesen sein, die nach dem Tod ihrer Eltern allem irdischen Reichtum entsagte und sich in die Einsamkeit nach Süchteln zurückzog, um ganz Gott zu dienen. Ihr gehörte nämlich der Forst bei Süchteln mit all seinem Zubehör, ebenso die Stadt Rees mit der Burg Aspel. Diese Besitzungen habe sie zu Ende ihres Lebens der Kirche vermacht, und zwar Rees mit der Burg Aspel dem Erzbischof von Köln und den Forst bei Süchteln dem Kloster Sankt Pantaleon in Köln, weil ihr Bruder dort Abt gewesen sei. Aus Süchteln habe sie schließlich der Neid missgünstiger Menschen vertrieben. Ihr Aufenthalt sei aber lang genug gewesen, damit sie die erste Stufe der Vervollkommnung hat erreichen können. Um die Stufe der Vollendung zu erlangen, begab sie sich anschließend in die Stadt Köln. Dort besuchte sie die heiligen Stätten, diente den Armen und unternahm drei Pilgerreisen nach Rom. Aus der heiligen Stadt brachte sie unter anderem das Haupt Papst Silvesters mit nach Köln. Als sie starb, wurde sie in der Domkirche bestattet.
Der historische Kern
Als historischer Kern der Legende ist eine Urkunde des Kölner Erzbischofs Anno II. von 1075 anzusehen, mit der er die Übertragung der Propstei Rees an die Kölner Kirche durch eine Gräfin Irmtrudis bestätigt. Wahrscheinlich handelt es sich bei ihr um eine Enkelin Godizos, Herr von Aspel und Rees (gestorben 1011). Nun heißt die Wohltäterin der Kölner Kirche aber Irmtrudis und nicht Irmgardis. Die Schwierigkeit versuchte die Forschung dadurch zu lösen, dass sie eine Namensgleichheit annahm.
Weitere Hinweise liefert eine Schenkungsurkunde Kaiser Heinrichs III. (Regierungszeit 1039-1046) von 1041 für seine Base Irmgardis. Es handelt sich dabei um Landgüter in Herve, Epen, Vaals und Falkenburg. Diese Güter befinden sich 1063 im Besitz der Geschwister Irmgardis, Irmtrudis und des Grafen Bruno von Heimbach, die auch in Rees und Straelen über gemeinsamen Besitz verfügen. Die Landgüter hatten sie von Irmgardis erhalten. Das führte zu dem Schluss, eine ältere Irmgardis, nämlich die Mutter der Geschwister, von einer jüngeren zu unterscheiden.
Nicht nur Irmtrudis hat der Kirche Zuwendungen gemacht, sondern auch ihre Schwester Irmgardis, die zwischen 1079 und 1089 zum Heil ihrer Seele und ihrer in Rees beigesetzten Eltern dem dortigen Propst das Ehrenrecht bei Friedensbruch, Diebstahl oder anderen Vergehen über die Mitglieder der familia richten zu dürfen sowie den Schweinezehnt in Rees, Emmerich und Straelen übertrug.
Die Reeser Schenkung von 1075 wurde von Erzbischof Arnold von Köln im Jahr 1142 in Erinnerung gerufen und mit dem Zusatz christianissima mulier versehen – das erste Indiz einer beginnenden Irmtrudis-Verehrung. Die nächste Spur findet sich in einer Urkunde von 1319. Darin weist Hermann von Jülich den Kölner Domvikaren der Heiligen Severin, Katharina, Jacobus, Johannes des Täufers, Maria, Irmtrudis (Yrmetrudis), Michael und anderen fromme Gaben zu. Auch in der Lobrede auf die Stadt Köln aus dem 14. oder 15. Jahrhundert werden unter den Reliquienschätzen des Domes die Gebeine der seligen Irmtrudis (beate Ernitrudis) genannt.
Im 14. Jahrhundert verschwindet Irmtrudis und an ihre Stelle tritt Irmgardis. Es könnte mit dem gotischen Domneubau und der Überführung der sterblichen Überreste aus dem alten Dom in den neuen zusammenhängen, bei der es dann auch zum Namenswechsel kam. Die feierliche Schlussweihe des Chores mit dem Kapellenkranz erfolgte 1322, die Gebeine fanden im Bernhard-Chor, der späteren Agnes-Kapelle, ihre neue Ruhestätte. Mit der Errichtung des gotischen Grabmonuments beginnt dann die Irmgardis-Verehrung.
Irmgardis und Süchteln
Um zu verstehen, wie aus Irmtrudis Irmgardis wurde, ist der Blick auf das Kölner Kloster Sankt Pantaleon und seine Süchtelner Grundherrschaft zu lenken. Im Klosterurbar findet sich in kopialer Überlieferung eine Urkunde aus dem Jahr 1225, mit der es ohne nähere Bestimmung Weinberge und Neuäcker erhält. Diese Schenkung taucht im Klosternekrolog des 14. Jahrhunderts erneut auf und wird in einer dritten Stufe im 15./ 16. Jahrhundert nochmals überliefert, diesmal aber mit dem Zusatz, dass mit dieser Urkunde die Zutphener Gräfin Irmgardis dem Kloster Süchteln geschenkt hat. Willem van Berchen, der Verfasser der zwischen 1465 und 1481 entstandenen Geldrischen Chronik, berichtet ebenfalls von der Schenkung Süchtelns durch Irmgardis an das Kloster Sankt Pantaleon. Im 16. Jahrhundert hält das Klosterkopiar fest, dass die Schenkung 1071 erfolgt sei, was uns in die Nähe der Irmtrudis-Schenkung von 1075 führt. Irmgardis ist aber an die Stelle der Irmtrudis getreten.
Die frühesten Spuren einer Irmgardis-Verehrung in Süchteln finden sich zu Ende des 15. Jahrhunderts. Im Visitationsbericht des Xantener Archidiakons von 1498 wird eine Irmgardis-Kapelle auf dem Berg erwähnt. 1518 trägt er die (niederdeutsche) Bezeichnung Helderberg, was soviel wie abschüssiger Berg bedeutet. Zu Ende des 17. Jahrhunderts spricht der aus den Niederlanden stammende Süchtelner Pfarrer Romanus Antonii vom Heiligenberg – wahrscheinlich weil ihm die Bedeutung der niederdeutschen Bezeichnung Helderberg nicht bekannt war.
Erste Hinweise auf ein Fest der heiligen Irmgardis gibt das Florarium sanctorum von 1486, das den 10. November als Festtag nennt. 1521 ist erstmals der bis heute gültige Festtag am 4. September belegt. Das Martyrologium Usuardi notiert 1583 unter dem 4. September ebenfalls den Festtag, vermerkt aber, dass Irmgardis nicht heilig gesprochen sei.
Daran hat sich bis heute trotz intensivster Anstrengungen der Süchtelner Geistlichen vor allem im 19. Jahrhundert nichts geändert. Gleichwohl ist die Irmgardis-Verehrung im kirchlichen Leben lebendig und führt zahlreiche Gläubige aus dem Ort und der näheren Umgebung zur jährlich stattfindenden Irmgardis-Oktav auf dem Heiligenberg in Süchteln zusammen.
Quellen
Historisches Archiv des Erzbistums Köln, Gen. 32, 21 sowie 32, 21 a und b.
De b. Irmgarde virgine, comitissa Zutphaniae, Coloniae Agripppinae commentarius praevius. Cultus antiquus, annus emortualis, nobiles natales, vita ex Germanico edenda, in: Acta Sanctorum Septembris, Tomus Secundus (1748), S. 270-278.
Literatur
Nabrings, Arie, Die hl. Irmgardis von Süchteln, Siegburg 1995.
Wesseling, Klaus Gunther, Artikel "Irmgard von Köln, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 2 (1990), Sp. 1334-1335.
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Nabrings, Arie, Irmgardis von Süchteln, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/irmgardis-von-suechteln-/DE-2086/lido/57c92a62ed6513.28658346 (abgerufen am 19.08.2024)