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Joseph Hubertus Pilates war der Erfinder einer auf Atmung und Muskelkontrolle basierenden ganzheitlichen Trainingsmethode („Contrology“ – später „Pilates“ genannt), die in ihrer Weiterentwicklung bis heute Welt weit Anerkennung findet und gelehrt wird.
Joseph Hubertus (Joe) Pilates, katholischer Konfession, wurde am 9.12.1883 als Sohn des Schlossergesellen und Turners Heinrich Friedrich (Fritz) Pilates (1859-1922) und der Helena Pilates, geboren Hahn (1860-1891), als zweites von neun Kindern in der Waldhausener Straße 20 in Mönchengladbach geboren.
Im Alter von fünf Jahren verlor er sein rechtes Augenlicht durch einen auf ihn gerichteten Faust- oder Steinschlag; er soll ein schwächliches Kind, das an Rachitis, rheumatischem Fieber und Asthma litt, gewesen sein. Doch begann er wohl schon in frühen Jahren seinen Körper mit Gymnastik und Krafttraining, vermutlich in dem Turnstudio, das sein Vater zeitweise unterhielt, zu stärken. Joseph beschäftigte sich zudem mit westlichen und fernöstlichen Bewegungslehren, auch mit der menschlichen Anatomie, beobachtete die Tiere im Wald, studierte ihre Bewegungsabläufe und übte sich im griechisch-römischen Ringen, Schwimmen, Tauchen, Skifahren und Boxen. Im Alter von 14 Jahren war sein Körper so gut trainiert, dass er sich Geld als Modell für Anatomietafeln verdienen konnte. Ansonsten arbeitete er in einer Brauerei in Engelbeck (Stadt Mönchengladbach).
1905 heiratete er Katharina Maria, geborene Tüttmann (1882-1913), die ihm am 30.11.1905 eine Tochter gebar, die den Namen Helene (Leni) trug. 1908 kam Sohn Hans Heinrich zur Welt, der jedoch schon zehn Monate später verstarb. Die Familie wohnte seinerzeit in Gelsenkirchen. Die Tochter heiratete am 4.12.1930 den Kölner Kaufmann Franz Friedrich; sie wohnten in Köln-Heumar. 1939 besuchte Leni ihren Vater in den USA.
1912 ging Pilates nach England und fand Arbeit als Boxer und Zirkusartist. Außerdem lehrte er Selbstverteidigung bei Scotland Yard. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er zusammen mit anderen deutscher Nationalität in einem Internierungslager in Lancaster gefangen gehalten und ein Jahr später in das Lager Knockaloe Moar Farm auf der Isle of Man verlegt, wo er seine Mitgefangenen trainierte und auf der Krankenstation aushalf. Hier entwickelte er mit den wenigen Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung standen, zum Beispiel Bettgestelle und Bettfedern, Turngeräte für ein spezielles Training, das die Bettlägerigen ausführen konnten – Grundlage für seine späteren Übungsgeräte, wie zum Beispiel den „Universal Reformer“, für den er am 27.8.1924 in Berlin und ein Jahr später, am 24.8.1925 in den USA mit Hilfe des Anwaltsbüros „Marks and Clerk“ Patent anmeldete. Durch die körperstärkenden Übungen wurden die Kranken, das Lager zählte 1915 23.000 Gefangene, im Umfeld von Pilates von der Grippewelle 1918 verschont.
Nach dem Krieg kehrte Pilates 1919 nach Deutschland (Hamburg) zurück und ging am 10. Oktober eine 2. Ehe mit Elfriede Samm (1879-1931) ein.
Joseph Pilates beschäftigte sich in jener Zeit intensiv mit der Analyse verschiedener Körpertrainingssysteme, zum Beispiel mit dem von Eugen Sandow (1867-1925), der schon 1900 in Berlin das Buch „Kraft und wie man sie erlangt“ veröffentlicht hatte oder mit dem des Dänen Jens P. Müller (1866-1938), dessen Buch „Mein System“ mehr als eine Million Käufer fand. Außerdem machte er Bekanntschaft mit dem Tanz- und Bewegungstheoretiker Rudolf von Laban (1879-1958), der 1923 die erste Laban-Schule in Hamburg gründete. All diese Einflüsse: Kraftsport, Boxen, Tanz, die fernöstliche Bewegungsschule, wie Yoga und Kung Fu sowie Gesundheitslehre flossen in die von Pilates entwickelte Methode ein.
Des Weiteren arbeitete er als Trainer für die Hamburger Polizei und hatte auch einige Privatkunden. 1922 in Gelsenkirchen gemeldet, bestritt er in der Mittelgewichtsklasse vier offizielle Boxkämpfe: Am 5. März gegen Fritz Dubois (Kampfjahre 1920-1926) im Central Theater Gelsenkirchen (unentschieden), am 26. März gegen Albert Wagner (Kampfjahre 1921-1924) im Kristallpalast Köln (KO in der 4. Runde), am 2. April gegen Joe Dirksen (Kampfjahre 1920-1923) im Central Theater Gelsenkirchen (unentschieden) und am 12. Mai gegen Franz Wrueck (Kampfjahre 1921.1923) in der Kaiser-Friedrich-Halle in Mönchengladbach (Sieg durch KO in der 7. Runde).
In Berlin traf Joseph 1923 den Amerikaner Nathaniel Stanley (Nat) Fleischer (1887-1972), Boxpromoter, Sportjournalist und Herausgeber des 1922 gegründeten „Ring-Magazine“, der nach jungen Talenten Ausschau hielt. Joseph war damals engagiert, den Boxsport, der vor dem Ersten Weltkrieg öffentlich verboten war, zu propagieren. Mit Nat Fleischer sollte ihn von da an eine langjährige Freundschaft verbinden. Im gleichen Jahr wurde Pilates angeboten, die deutsche Armee zu trainieren, doch er lehnte dies ab.
Eine erste Reise in die USA unternahm Pilates am 6.10.1925 mit dem Dampfer „Albert Ballin“. Zwar gab er „Urlaub“ als Grund der Reise an, doch wird er bereits hier den Plan zur Auswanderung gehabt und die Lage sondiert haben. Er blieb zwei Monate und besuchte in New York das amerikanische Patentamt und das Anwaltsbüro Marks and Clerk. Bereits 1913 waren seine Schwester Anna Helena (geboren 1886) und sein Bruder Clemens Friedrich (1890-1978) in die USA ausgewandert. Joseph Hubertus folgte mit 42 Jahren, legte mit dem Dampfer „Westphalia“ am 14.4.1926 in Hamburg ab und erreichte New York am 27. April. Auf der Überfahrt lernte er seine zukünftige Lebensgefährtin Anna Clara Zeuner (1883-1976) kennen. In den Einreisepapieren gab Joseph Pilates als zukünftigen Wohnort die Adresse seines Onkels, William Meyer, 112 E. 59th Street Manhatten, Clara Zeuner die ihres Onkels Louis Mitschang, 480 Harman Street in Brooklyn an.
Pilates stellte am 20.6.1929 einen Antrag auf Einbürgerung, die am 7.2.1935 vom Southern District Court of New York vollzogen wurde. Nat Fleischer und Charles Trier, Musik- und Theaterproduzent, wurden als vereidigte Zeugen benannt. Die angegebene Wohnadresse lautet wie die seines Studios, 939 8th Avenue und als Beruf ist dort „Director of Physical Culture“ angegeben. Clara Zeuner wurde erst am 14.1.1937 eingebürgert, nachdem sie den Antrag am 28.11.1933 gestellt hatte. Als Wohnort gab sie den gleichen wie Pilates an und als Berufsbezeichnung „Assistant Director of Physical Culture“. Die vereidigten Zeugen waren Clarence Busch, Künstlerin, und Ruth Coe, Musikerin.
Spätestens 1929 eröffnete Pilates sein Körpertrainings-Studio (Universal Gym) in 939 8th Ave, The Van Dyck Building. Auf seinen Visitenkarten gab er sein Geburtsdatum mit 1880 an. Gründe, warum er sich drei Jahre älter machte, sind nicht bekannt, vermutlich um zu propagieren, wie fit man auch mit knapp 50 Jahren noch sein kann. Der Text auf den Karten lautete: „A MAN IS AS OLD AS HIS SPINE IS FLEXIBLE – A WOMAN AS OLD AS SHE LOOKS IN THE MORNING (Ein Mann ist so alt, wie die Beweglichkeit seiner Wirbelsäule und eine Frau ist so alt, wie sie am Morgen aussieht).
Das Studio konnte Pilates trotz Weltwirtschaftskrise zu großem Erfolg führen, Sportler, Geschäftsleute, Schauspieler, dazu gehörten zum Beispiel Catherine Hepburn (1929-1993) und Sir Lawrence Olivier (1907-1989), vor allem aber Tänzer waren von seiner Trainingsmethode begeistert. Hierzu gehörten unter anderem die Pionierin des Modern Dance, Martha Graham (1894-1991), die 1926 in Manhattan die Martha Graham School of Dancing gründete, und viele Stars des New York City Balletts. In seiner 38-jährigen Karriere als Studioleiter zählte seine Kundenliste über 2.000 Schüler, ein Kanadisches Magazin stufte in den 1940er Jahren, aufgrund der hohen Gebühr einer Sitzung von 10 Dollar, das Pilates-Studio als „a high-class exercise salon“ ein. Neben Clara assistierten ihm seine Nichte Mary Pilates und Claras Nichte, Irene Zeuner-Zelonka.
1934 veröffentlichte Pilates seine Schrift „Your Health“ („Deine Gesundheit“) und 1945 „Return to life through Contrology“ (Kehre durch „Contrology“ zum Leben zurück) hier werden die Philosophie und die Grundlagen seiner Methode beschrieben. Sie basieren auf dem Streben nach einer Ganzkörpergesundheit, in der Körper, Geist und Seele in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, was durch Körperübungen, angemessene Ernährung, Hygiene, ausgewogenen Schlaf, viel Bewegung im Freien und ein Gleichgewicht von Arbeit, Freizeit und Entspannung erreicht werden kann. Durch die von ihm entwickelten Übungen „Contrology“ wird auch mentale Kraft und geistiges Wohlbefinden entwickelt. Die besondere Form der Pilates-Atmung, bewusst während den Übungen durchgeführt, erlaubt die optimale Funktion des Körpers. Als eine „innere Dusche“ soll sie den Körper reinigen und letztendlich zur Verjüngung und Kräftigung des gesamten Menschen führen.
Durch die von Pilates selbst entwickelten und patentierten Geräte - es waren über 20 - wurde dem so genannten „Mattentraining“, das aus einer Serie von 34 Bodenübungen besteht, nicht nur eine zusätzliche Dimension der Körperstärkung und Korrektur von Haltungsfehlern verliehen, sondern auch in der Rehabilitation eingesetzt. Pilates erstellte für Verletzte, wie zum Beispiel Tänzer, ein spezielles Übungsprogramm zusammen und arbeitete mit diesen Klienten in einem separaten Raum. Die Erfolge müssen groß gewesen sein, denn der Orthopäde Dr. Henry Jordan übernahm das Pilates-Trainingskonzept in seine Therapie ebenso wie Dr. James Garrick, Gründer der ersten Klinik für Tanzmedizin.
Pilates hielt zahlreiche Vorträge und Kurse sowohl für Mediziner als auch für Studenten der Chiropraktischen Akademie ab, lehrte auf US-Militärbasen und gründete die Gesundheitsgruppe mit dem Namen „Return to Life“. Er dokumentierte seine Arbeit ausführlich mit Fotografien und auch im Film. 1939-1951 unterrichtet Pilates regelmäßig im Sommercamp für Tänzer „Jacob´s Pillow“, Berkshire Mountains, wo sich die Pioniere des zeitgenössischen Tanzes, wie zum Beispiel Ted Shawn, und viele Studenten trafen. Joe und Clara besaßen dort ein Haus.
Pilates starb am 9.10.1967, kurz vor seinem 84. Geburtstag, in dem New Yorker Krankenhaus Lenox Hill an einem Lungenemphysem, das ihm wohl schon seit längerem Probleme bereitet hatte. Seine Urne und auch später die von Clara Zeuner wurden im Ferncliff Mausoleum in Hartsdale, New York beigesetzt.
Clara Zeuner führte das Studio bis 1972 weiter, nach ihrem Tod 1976 wurde es 1977 von der klassischen Tänzerin und Pilates-Schülerin Romana Kryzanowska (1923-2013) übernommen.
Inzwischen hatten seine Schüler die Pilates-Methode weltweit verbreitet, die in ihrer Weiterentwicklung sich in verschiedene Stilrichtungen aufspaltet. Noch heute sind es viele Stars, die auf der Suche nach Fitness und Figur verbessernden Methoden, Pilates als ideales Training begreifen und zum Bekanntheitsgrad seiner Methode beitragen. Aber auch in der modernen Sportwissenschaft, Physiotherapie und Rehabilitation hat die Pilates-Methode, nach neuesten Erkenntnissen ergänzt und verfeinert, ihren festen Platz.
Schriften
Your Health; a corrective system of exercises that revolutionizes the entire field of physical education, New York 1934. Neuausgabe: Presentation Dynamics, Incline, NV 1998.
Return to Life Through Contrology, hrsg. v. Joseph H. Pilates und William John Miller, New York 1945, Neuausgabe: Presentation Dynamics, Incline, NV.
Neuausgabe beider Schriften: A Pilates´Primer: The Millenium Edition, Presentation Dynamics, Incline, NV 2000-2005.
Literatur
Geweniger, Verena/Bohlander, Alexander, Das Pilates-Lehrbuch, Berlin/Heidelberg 2012.
Kryzanowksa, Romana/Gallagher, Sean P. (Hg.), Joseph H. Pilates Archive Collection, The Photographs, Writings and Designs, 2000.
Online
Aparicio, Esperanza und Javier Pérez Pont, Hubertus Joseph Pilates, The Biography. HakaBooks.com e-ditions 2013. [online]
Geweniger, Verena/Bohlander, Alexander, Das Pilates-Lehrbuch, Berlin und Heidelberg 2013. [online]
Thomson, Bruce, Joseph Pilates life & biography. [online]
Wiggin, Mej, Joseph H. Pilates: The History. [online]
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Steger, Denise, Joseph Hubertus Pilates, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/joseph-hubertus-pilates/DE-2086/lido/5ba8aa995065c7.83713593 (abgerufen am 19.08.2024)