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Der Philosoph, Mediävist und Ethiker Wolfgang Kluxen prägte wie kaum ein anderer Denker die Scholastik-Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg und war einer der Initiatoren der „Rehabilitierung der praktischen Philosophie" im 20. Jahrhundert.
Kluxen wurde am 31.10.1922 in Bensberg (heute Stadt Bergisch Gladbach) als Sohn des Lehrers Heinrich Kluxen und dessen Frau Anna Witter geboren. Er studierte – unterbrochen durch den Zweiten Weltkrieg – Philosophie und Theologie in Köln, Bonn und an der Katholischen Universität Leuven. Als nachhaltig prägend für seinen philosophischen Werdegang sollte sich in diesem Kontext für den angehenden Philosophen ein Seminar über Nikolaus von Kues herausstellen, an dem er im kriegszerstörten Bonn bei dem Philosophen und Mittelalterexperten Josef Koch (1885-1967) teilnahm. Nachdem Koch 1948 als erster Ordinarius den Lehrstuhl für mittelalterliche Philosophie in Köln übernommen hatte, bot sich Kluxen ein Jahr später die Möglichkeit, die Stelle eines „Amanuensis" (einer Hilfskraft) anzunehmen. Als Koch in Köln am 10.10.1950 das Thomas-Institut gründete, wurde Kluxen dessen Sekretär. Im selben Jahr wurde er Mitglied der katholischen Studentenverbindung KDStV Rheno Baltia zu Köln im Cartellverband katholischer deutscher Studentenverbindungen (CV). Die Verbindung, 1922 gegründet und 1935 durch die Gleichschaltung der Nationalsozialisten zur Selbstauflösung getrieben, rekonstituierte sich 1947 und gehört seit 1950 dem ebenfalls wieder gegründeten Cartellverband an.
Es war vor allen Dingen die Verbindung zu Koch und dem Thomas-Institut, die Kluxens philosophischen Zugang über die Mediävistik entscheidend formte. 1953 wurde er Wissenschaftlicher Assistent Kochs, eine Position, in der er besonders für den Aufbau der Forschungsbibliothek verantwortlich war. In den 1950er Jahren setzte auch seine intensive Forschung über den jüdischen Gelehrten Moses Maimonides (1135-1204) ein, über den er im Jahr 1951 bei Koch mit einer Arbeit mit dem Titel „Untersuchungen und Texte zur Geschichte des lateinischen Moses Maimonides" einschließlich einer kritischen Edition des Liber de uno deo benedicto promoviert wurde. Das Werk begründete seine lange und fruchtbare Laufbahn als Forscher und Experte auf dem Gebiet der Philosophie des Mittelalters. Essentiell für Kluxen war dabei unter anderem die Unterstützung John O. Riedls (1905-1992), Professor für Philosophie an der Marquette University Milwaukee, den ein leidenschaftliches Interesse an Maimonides mit Koch (und später Kluxen) verband und dessen Unterstützung Koch ganz wesentlich die gelungene Gründung des Thomas-Instituts zu verdanken hatte. Somit war die Tatsache, dass die philosophische Erforschung des Mittelalters nach dem großen Bruch des Zweiten Weltkrieges erneut Weltruhm erlangte, sowohl der Zusammenarbeit der Spezialisten Koch und Riedl als auch Wolfgang Kluxen zu verdanken, dessen Werke über Thomas von Aquin (1224-1274), Johannes Duns Scotus und Moses Maimonides bis heute zu den maßgebenden Arbeiten über die Philosophie des Mittelalters zählen.
Es folgte ein Forschungsstipendium am „Hoger Instituut voor Wijsbegeerte", dem „Institut superieur de la philosophie" an der Universität Leuven, das mit Namen wie dem Psychoanalytiker Jacques Lacan (1901-1981), den Philosophen Paul Ricœur (1913-2005), Emmanuel Levinas (1906-1995), Jacques Derrida (1930-2004) und Karl Popper (1902-1994) in Verbindung zu bringen ist. Gastprofessuren nahm Kluxen in Villanova, in Cordoba (Argentinien), Tokio und dann wieder in Leuven wahr. 1962 wurde Kluxen als Professor für Philosophie an die Pädagogische Hochschule Neuss berufen und 1964 zum ordentlichen Professor an der neu gegründeten Ruhr-Universität Bochum ernannt, wo er die Tradition philosophischer Mediävistik begründete.
In Leuven war Kluxen zudem an der Gründung der „Société internationale pour l’étude de la philosophie médiévale" (SIEPM) im Jahr 1958 beteiligt. Nachdem er dort zunächst den Posten als Schatzmeister innehatte, bekleidete er in den Jahren 1972-1982 das Amt des Präsidenten. Die spätere Ernennung zum Ehrenpräsidenten sollte nur eine von vielen Ehrungen sein, die bewies, wie sehr seine Leistungen auf dem Gebiet der Mediävistik gewürdigt wurden. Zeitgleich mit diesen Entwicklungen in der beruflichen Laufbahn setzte in den 1960er Jahren eine „Rehabilitierung der praktischen Philosophie" im Nachkriegsdeutschland ein. Es ist davon auszugehen, dass sie ohne Kluxen wohl kaum eine derartige Wirksamkeit entfaltet hätte. Während noch nach dem Ersten Weltkrieg sowohl phänomenologische wie auch neuscholastische Ansätze wesentliche Träger des philosophischen Nachdenkens über die Ethik waren, hatten beide nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs ihre Überzeugungskraft verloren. Weder die Existenzanalyse Martin Heideggers (1989-1976) noch die ebenfalls einflussreiche und die intellektuellen Diskussionen dominierende negative Dialektik von Max Horkheimer (1895-1973) und Theodor W. Adorno (1903-1969) schufen Raum für ein Ethikverständnis als leitende Disziplin. In diesem Kontext verweist gewissermaßen schon der Titel seines 1964 erschienenen Werkes „Die philosophische Ethik bei Thomas von Aquin", das bis heute als Standardwerk auf diesem Gebiet gilt, auf die zweite große philosophische Passion Kluxens: die Ethik. In seiner 1974 publizierten Arbeit „Ethik des Ethos" entwickelt Kluxen die These, dass „das Ethos […] die jeweils besondere und begrenzte Gestalt [ist], in welcher allein die praktische Vernunft konkret und wirklich sein kann". Es ist diese wesenhafte Gestalt, die zum Objekt ethischer Reflexion wird. Das Sittliche wird also geschichtlich konkret – eine These, die Kluxen seinem Lehrer Werner Maria Schöllgen (1883-1985) verdankt. Den Menschen als moralisches Subjekt, das auf Freiheit und Vernunft hin angelegt ist, auslegend, öffnet Kluxen dann den möglichen Überstieg zu einem gleichsam rahmengebenden (und damit von geschichtlichen Vorgaben unabhängigen) „offenen Gesamtethos" weiter. Es sind diese Kerngedanken, die Kluxen auch auf dem Gebiet der angewandten Ethik zu einem Vorreiter machen und in seinem 2006 erschienenen Werk „Grundprobleme einer affirmativen Ethik: universalistische Reflexion und Erfahrung des Ethos" noch einmal meisterlich zusammengefasst und angewandt werden.
1969 wechselte Kluxen an die Rheinische Friedrichs-Wilhelm-Universität Bonn, wo er eine Professur für Philosophie übernahm, in den Jahren 1976/1977 Dekan der Philosophischen Fakultät war und wo er nach seiner Emeritierung im Jahr 1988 weiterhin lehrte.
Dass Ethik als angewandte Verantwortung funktioniert, hat Wolfgang Kluxen selbst vorbildlich demonstriert: Seit 1975 war er Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, übernahm den Vorsitz der Averroes Latinus-Kommission, war 1978 bis 1984 für zwei Amtszeiten die Präsident der „Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland" (AGPD), der heutigen „Deutschen Gesellschaft für Philosophie", (DGPhil), wurde 1984 deren Ehrenmitglied und gehörte von 1988 bis 1998 dem „Comité Directeur der Fédération Internationale des Sociétés de Philosophie" an, dem Weltverbandes der Philosophie. Die nahezu einstimmige Wahl Wolfgang Kluxens zum Präsidenten der „Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland" während des Weltkongresses der Philosophie in Düsseldorf vom 27.8.-2.9.1978 bestätigte ebenso die Anerkennung seiner philosophischer Analysen und originären Leistungen wie die Verleihung des Grossen Bundesverdienstkreuzes und der Ehrendoktorwürden der Universidad Nacional de Cordoba (Argentinien) (1973), der Ludwig-Maximilians-Universität München (1983) und der katholischen Universität Eichstätt (1987).
Wolfgang Kluxen verstarb nach kurzer schwerer Krankheit am 12.5.2007 in Bonn, wo er auf dem Alten Friedhof beigesetzt wurde.
Werke (Auswahl)
Ethik des Ethos, München 1974.
Grundprobleme einer affirmativen Ethik: universalistische Reflexion und Erfahrung des Ethos, Freiburg/München 2006.
Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, Darmstadt 1998 (1964).
Untersuchungen und Texte zur Geschichte des lateinischen Moses Maimonides, Dissertation, Köln 1951.
Literatur (Auswahl)
Beckmann, Jan P. (Hg.), Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen. Wolfgang Kluxen zum 65. Geburtstag, 2. durchgesehene Auflage, Hamburg 1996.
Korff, Wilhelm, Wolfgang Kluxen, Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin und die Ethik des Ethos, in: Philosophisches Jahrbuch, 89 (1982), S. 411-422.
Nachruf
Fohrmann, Jürgen (Hg.), In Memoriam Wolfgang Kluxen: (31.10.1922 - 12.05.2007). Reden gehalten bei der akademischen Gedenkfeier am 11. Juli 2008 im Festsaal der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn 2009.
Honnefelder, Ludger, Nachwort auf Wolfgang Kluxen, in: Jahrbuch der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften 2008, S. 138-143.
Online
Wieland, Georg, Vernunft, Natur, Geschichte. Wolfgang Kluxen zum 80. Geburtstag, in: Die Politische Meinung 395 (2002), S. 83-85. (Text als PDF-Dokument auf der Website der Konrad-Adenauer-Stiftung). [Online]
Speer, Andreas, In Memoriam Wolfgang Kluxen, in: Bulletin de philosophie médiévale 49 (2007), S. VII-XI. (Text als PDF-Dokument auf der Website Brepols Journals Online). [Online]
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Gottlöber, Susan, Wolfgang Kluxen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wolfgang-kluxen-/DE-2086/lido/57c935fced8ea7.90580012 (abgerufen am 19.08.2024)