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Wilhelm Marx war ein aus Köln stammender katholischer Zentrumspolitiker der Weimarer Republik. Er stand dreimal einer Koalitionsregierung vor und ist mit mehr als drei Jahren Regierungszeit der am längsten amtierende Kanzler zwischen 1918 und 1933. Marx war 1925 Präsidentschaftskandidat der Weimarer Koalition (SPD, DDP, Zentrum), verlor die Wahl jedoch gegen Paul von Hindenburg (1847-1934).
Wilhelm Marx wurde am 15.1.1863 als Sohn eines Volksschullehrers in Köln geboren. Er war seit 1891 mit Johanna Verkoyen verheiratet, mit der er vier Kinder hatte. Marx besuchte das Kölner Marzellengymnasium und legte dort 1881 sein Abitur ab. Anschließend studierte er zwischen 1881 und 1884 Rechtswissenschaften in Bonn. Dort trat er dem Katholischen Studentenverein Arminia im KV (Kartellverband der katholischen deutschen Studentenvereine) bei, der ihn nach eigenen Angaben tief prägte und ihm Sicherheit in seinen Anschauungen gab. Das katholische Korporationswesen war ein wichtiges Lern- und Rekrutierungsfeld für die Elite in Kirche, Politik und Verbänden des 19. und 20. Jahrhunderts. Neben Marx waren die Reichs- und Bundeskanzler Georg Graf von Hertling und Konrad Adenauer, der Landeshauptmann der Rheinprovinz Johannes Horion sowie der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings Mitglied der Bonner Arminen.
Nach Abschluss des Referendariats wechselte Marx in den preußischen Staatsdienst. 1889 wurde er Assessor in Simmern/Hunsrück, 1894 Landrichter in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal), 1904 Landgerichtsrat und 1906 Oberlandesgerichtsrat in Köln. 1907 wechselte er an das Oberlandesgericht nach Düsseldorf; 1921 wurde er Landgerichtspräsident in Limburg an der Lahn, im gleichen Jahr schon Senatspräsident am Kammergericht in Berlin. Diese Stelle behielt er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst am 1.12.1923 inne.
Schon frühzeitig wendete sich Marx der Politik, zunächst der Kommunalpolitik, zu. Zwischen 1899 und 1904 war er Vorsitzender der Zentrumspartei in Elberfeld, zwischen 1907 und 1919 in Düsseldorf. Gleichzeitig war er von 1906 bis 1919 stellvertretender Vorsitzender der Rheinischen Zentrumspartei. Hinzu kamen zahlreiche Ehrenämter und Aufgaben, die Marx in dem weit verzweigten katholischen Vereins- und Verbandswesen wahrnahm. So war er 1911 Initiator der Katholischen Schulorganisation und übernahm zwischen 1911 und 1933 den Vorsitz. 1919/1920 war er zudem Generaldirektor, 1921-1933 Vorsitzender des Volksvereins für das katholische Deutschland. In Augsburg 1910 und in Freiburg 1929 war er Präsident von Katholikentagen.
Von 1899 bis 1921 war Marx Mitglied im preußischen Abgeordnetenhaus sowie 1919/1920 der Verfassungsgebenden Preußischen Landesversammlung. 1910 wurde er in den Reichstag gewählt, dem er bis 1932 angehörte. Zwischen 1921 und 1923 war Marx Vorsitzender der Zentrumsfraktion, ebenso nochmals 1926. 1922 bis 1928 war er Vorsitzender der Gesamtpartei. Seine wichtigste politische Phase waren die Jahre 1923 bis 1928, in denen er an vorderer Front die Geschicke von parlamentarisch organisiertem Katholizismus und Staat leitete. Dabei stand er insgesamt vier Kabinetten vor. Zweimal zwischen dem 30.11.1923 und dem 15.1.1925 war er Reichskanzler (Kabinette Marx I und II). Zudem wurde er Februar/März 1925 zweimal zum preußischen Ministerpräsidenten gewählt, blieb aber in der Regierungsbildung erfolglos.
1925, auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn, war er Kandidat für die Reichspräsidentenwahl, zunächst im ersten Wahlgang am 29.3.1925 als Kandidat des Zentrums, im zweiten Wahlgang am 26.4.1925 als Kandidat der Weimarer Koalition. Er unterlag nur knapp gegen Paul von Hindenburg (Amtszeit 1925-1934). Zwischen dem 20. Januar und dem 16.7.1925 war er Reichsjustizminister und Minister für die besetzten Gebiete. Den Kabinetten III und IV stand Marx als Reichskanzler zwischen dem 17.5.1926 und dem 28.6.1928 vor. Nach dem Scheitern des IV. Kabinetts trat Marx am 8.12.1928 vom Parteivorsitz zurück und legte sein Reichstagsmandat am 10.6.1932 nieder. Gestürzt hatte ihn die Enthüllung durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann (1865-1939) über die geheime Zusammenarbeit der durch den Versailler Vertrag stark in ihrer Rüstungsmöglichkeit beschnittenen Reichswehr mit der Roten Armee. Von 1933 an lebte er bis zu seinem Tode am 5.8.1946 zurückgezogen in Bonn.
Einen guten Ruf schuf sich Marx in der Frühphase seines politischen Wirkens vor allem als Fachmann für Schulpolitik in der Auseinandersetzung um die Bekenntnisschule. Darüber hinaus hatte er in seiner Kanzlerschaft, der längsten in der Weimarer Republik, sowohl innen- als auch außenpolitische Erfolge in schwieriger Zeit aufzuweisen. So wurde unter seiner Ägide der Ruhrkampf beigelegt, der Separatismus im Rheinland zurückgedrängt und die Inflation überwunden (Kabinette I/II).
Der erste größere Wirtschaftsaufschwung nach dem Ersten Weltkrieg fiel in die Regierungszeit des Kölners und war Ergebnis einer planvollen Spar- und Ordnungspolitik. Darüber hinaus glänzte er, der überzeugte Weimarer, als kompromissbereiter Moderator und Vermittler zwischen den demokratischen Parteien. Außenpolitisch war er eine wichtige Stütze für die Politik Stresemanns. Mit dem Dawes-Plan von 1924, der Reparationsleistungen nach der Wirtschaftskraft des Deutschen Reiches sowie ein Wachstumsprogramm vorsah, fiel der Beginn der Regelung für die deutschen Reparationen in die Regierungszeit Marx’, und auch der deutsche Eintritt in den Völkerbund wurde in seiner dritten Amtszeit vollzogen. Dabei stellte sich der Jurist stets in den Dienst der Sache, weshalb er noch heute im Schatten seiner großen Zeitgenossen Friedrich Ebert (1871-1925), Gustav Stresemann (1878-1929) und Heinrich Brüning (1885-1970) steht.
Marx war wohl keine starke Führungspersönlichkeit. Allerdings machten ihn seine Fähigkeiten als zuverlässiger Verwalter, Schlichter und Vermittler wertvoll für die Konsolidierungsphase der jungen Demokratie. Nicht zuletzt aufgrund seiner Integrität, seiner persönlichen Bescheidenheit und Interessenunabhängigkeit wurde er für zahlreiche höchste Partei- und Staatsämter vorgeschlagen. Seine politische Arbeit verrichtete er aus dem Verständnis von der Pflicht des tätigen Christen heraus. Er repräsentierte somit, wie der Staatspräsident Badens, der der liberalen DDP (Deutsche Demokratische Partei) angehörige Willy Hellpach (1877-1955), anmerkte, den „idealtypischen Zentrumspolitiker".
Literatur
Elz, Wolfgang, Artikel „Marx, Wilhelm", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 5 (1993), Sp. 971-973.
Hehl, Ulrich von, Wilhelm Marx 1863-1946. Eine politische Biographie, Mainz 1987.
Hehl, Ulrich von, Wilhelm Marx in den politischen Auseinandersetzungen der Zentrumspartei während des Ersten Weltkriegs, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 186 (1983), S. 98-138.
Stehkämper, Hugo, Wilhelm Marx, in: Först, Walter (Hg.), Politik und Landschaft. Beiträge zur Neueren Landesgeschichte des Rheinlandes und Westfalens, Band 3, Köln 1969, S. 126-134.
Stehkämper, Hugo, Wilhelm Marx (1863-1946), in: Morsey, Rudolf (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Band 1, Münster i.W. 1973, S. 174-205, S. 306-307.
Stehkämper, Hugo, Wilhelm Marx (1863-1946), in: Rheinische Lebensbilder 6 (1975), S. 189-210.
Online
Marx, Wilhelm in der Datenbank der deutschen Palramentsabgeordneten (Informationsportal der Bayerischen Staatsbibliothek). [Online]
Marx, Wilhelm (Edition "Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik" online des Bundesarchivs und der Historischen Kommission München). [Online]
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Rönz, Helmut, Wilhelm Marx, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wilhelm-marx/DE-2086/lido/57c948cccdce28.56504387 (abgerufen am 19.08.2024)