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Frankfurt am Main
Die Synagogen der Israelitischen Religionsgesellschaft im 19./20. Jahrhundert
Synagoge in der Schützenstraße und Synagoge in der Friedberger Anlage (Solomon Breuer Synagoge)
Übersicht:
Zur Geschichte der Synagogen
Geschichte der Synagoge Schützenstraße
Nachdem seit der Mitte der 1840er-Jahre unter Rabbiner Leopold Stein die
Gottesdienste in der Hauptsynagoge immer mehr von den Reformideen des liberalen
Judentums geprägt waren (Orgel, deutsche Gebete, gemischter Chor u.a.m.),
spalteten sich 1851 die orthodox Gesinnten der Gemeinde von der Israelitischen
Gemeinde Frankfurts ab und bildeten fortan die Israelitische
Religionsgemeinschaft. Diese bemühte sich unter ihrem nach Frankfurt
berufenen Rabbiner Samson Raphael Hirsch sehr schnell um die Abhaltung von
traditionellen Gottesdiensten in einem eigenen Betraum beziehungsweise einer
eigenen Synagoge. Zunächst wurden die Gottesdienste in einer provisorischen Synagoge,
die in einer gemieteten Wohnung eingerichtet worden war, abgehalten.
Zum Bau einer Synagoge konnte 1852 ein Bauplatz gekauft und
auf diesem in den folgenden Monaten ein Gotteshaus erbaut werden. Das
Grundstück, auf dem auch eine eigene Schule errichtet wurde, war im Osten von
der Schützenstraße und im Norden von der Rechneigrabenstraße begrenzt. Die
Grundsteinlegung fand am 30. September 1852 statt, die feierliche
Einweihung am 29. September (28. Elul) 1853. Der Bau wurde durch die
Familie Rothschild
finanziell stark unterstützt; in der Synagoge selbst gab es auf der Empore
einen abgeschlossenen Raum für die Rothschild'sche Familie. Die Synagoge wurde
hebräisch auch Bet Tefilat Jeschurun genannt. Im Unterschied zu der als
"Stein'sche Synagoge" genannten Hauptsynagoge wurde bei der Synagoge
Schützenstraße auch von der "Hirsch'schen Synagoge" gesprochen.
Hinter diesen Bezeichnungen standen die Namen der beiden prägendenden Gestalten
der seinerzeitigen liberalen beziehungsweise der orthodoxen jüdischen Gemeinde
in Frankfurt: Rabbiner Leopold
Stein und
Rabbiner Samson Raphael Hirsch. Die
Synagoge hatte 250 Männer- und 200 Frauensitzplätze.
Bereits 1870 musste die Synagoge vergrößert werden (siehe Bericht
unten). Der Umbau wurde 1872/73 vorgenommen. Dabei wurde die Synagoge nur
in der Länge erweitert; der Erweiterungsbau wurde im Garten der Schule der
Religionsgesellschaft erstellt. Während der Bauzeit konnten die Gottesdienst in
der Synagoge abgehalten werden, da erst nach Fertigstellung des Anbaus im
Bereich der bisherigen Ostwand ein Abbruch derselben vorgenommen wurde. Die
Einweihung der erweiterten Synagoge war drei Tage vor Rosch Haschana 1873, das
heißt am 19. September 1873.
1881
erhielt die Synagoge einen neuen Toraschrein (siehe Bericht unten). Um 1900 war absehbar,
dass die Israelitische Religionsgesellschaft auf Grund der gestiegenen Zahl der
Gemeindeglieder eine neue Synagoge bauen sollte. An den Hohen Feiertagen mussten
zu den Gottesdiensten in der Synagoge auch welche im Hörsaal der Gemeinde in
der Schützenstraße durchgeführt werden, um alle Gottesdienstbesucher
aufnehmen zu können (siehe Anzeige von 1904 unten). Der letzte
Gottesdienst in der Synagoge Schützenstraße war am 29. April 1907. An
diesem Tag wurden die 22 Torarollen der Gemeinde feierlich zur neuen Synagoge an
der Friedberger Anlage gebracht (siehe Berichte unten).
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge zerstört, auch wenn dort
nicht mehr Gottesdienste abgehalten wurden.
Geschichte der Synagoge an der Friedberger Anlage
Nach mehrjährigen Vorüberlegungen in verschiedenen Gremien der Gemeinde
beschloss eine Generalversammlung der Israelitischen Religionsgesellschaft im
Dezember 1903 oder Anfang Januar 1904 den Bau einer neuen Synagoge an der
Friedberger Anlage. Ein Architektenwettbewerb wurde ausgeschrieben, der im Oktober
1904 die Entscheidung brachte, aus 129 eingegangenen Entwürfen den Plan der Architekten Jürgensen und
Bachmann in Berlin-Charlottenburg auszuführen. Die Grundsteinlegung erfolgte am
21. November 1905. In den folgenden anderthalb Jahren wurde die Synagoge
in einem damals sogenannten spätromanischen Stil erbaut. Die Pläne hatten die
Berliner Architekten Peter Jürgensen und Jürgen Bachmann gezeichnet. Spenden zum Bau der Synagoge gingen von vielen
Gemeindegliedern ein; auch für diese Synagoge kam eine große Spende aus der
Familie Rothschild.
Die neue Synagoge an der Friedberger Anlage wurde am 29. April 1907 durch
Rabbiner Dr. Breuer eingeweiht (zu den
Einweihungsfeierlichkeiten und Beschreibungen der Synagoge siehe die Berichte
unten). Die Synagoge verfügte über 1000 Sitzplätze für Männer und 600
Sitzplätze für Frauen.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge angezündet. Das Feuer
richtete zunächst nur einen begrenzten Schaden an, weswegen in den folgenden
Tagen insgesamt viermal die Synagoge erneut unter Einsatz von Benzinfässern
angezündet wurde. Auf polizeiliche Anweisung hin danach musste die Gemeinde wegen
Einsturzgefahr das Gebäude auf eigene Kosten abbrechen lassen. Mit dem Abbruch
wurde am 17. November 1938 begonnen. Auf Grund der massiven Bauweise der
Synagoge zog sich der Abbruch über mehrere Monate hin.
1942/43 wurde auf dem Grundstück der abgebrochenen Synagoge durch
französische Kriegsgefangene (Zwangsarbeiter) ein Luftschutzbunker für den Zivilschutz erbaut,
der bis zur Gegenwart vorhanden ist. am 7. November 1988 wurde innerhalb einer
Gedenkstätte ein Gedenkstein mit dem Text aufgestellt: "Hier stand die
1907 erbaute Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft. Sie wurde in der
Pogromnacht des 9. Novembers 1938 angezündet und zerstört" (mit
hebräischem Text). Die Gedenkstätte wurde durch die Landschaftsarchitektin
Jeanette Garnhartner gestaltet.
Berichte zur Geschichte der
Synagoge
(Anmerkung: die Texte wurden dankenswerterweise von Susanne Reber
abgeschrieben und mit Anmerkungen versehen).
Beiträge zur Geschichte der Synagoge in der Schützenstraße
Die orthodoxe Gemeinde kauft einen Bauplatz für eine neue
Synagoge (1852)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 1. März 1852: "Frankfurt am Main, 12. Februar
(1852). Die orthodoxe Partei unserer hiesigen Israeliten hat dieser Tage
einen Bauplatz in der Nähe des Wollgrabens angekauft, um daselbst eine
neue Synagoge für die Abhaltung ihres Gottesdienstes zu
erbauten." |
Die neue Synagoge wird alsbald fertig (1853)
Artikel in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter"
vom 18. Februar 1853: "Frankfurt. Unsere neue Synagoge,
die bereits längere Zeit unter Dach gebracht ist, schreitet ihrer
Vollendung immer näher und wir hoffen noch diesen Sommer der feierlichen
Einweihung beiwohnen zu können. Auch die Stein'sche Partei ist jetzt
eifrig bemüht, eine neue Synagoge zu erbauten; man hat aber bis jetzt die
dazu erforderliche Summe noch nicht aufbringen können. Hirsch's Gemeinde
gewinnt immer mehr an Mitgliedern, und man ist von seinen Predigten, sowie
von seinen religiösen Vorträgen, die er mehrere Mal wöchentlich in
seinem Hause hält, ganz begeistert. - Für junge Leute, die sich dem
talmudischen Fache widmen, hält Herr Rabbiner Hirsch ebenfalls jeden Tag
einen zweistündigen Vortrag. So entwickelt dieser Mann nach allen Seiten
hin eine ruhmvolle Tätigkeit, und wir wünschen seinem frommen Wirken den
schönsten Erfolg". |
Über die neue Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft "Beth Tefilla Jeschurun"
(1856)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 24. November 1856: "Es ist Samstag. Ich ströme mit vielen
Andern in die Synagoge Beit Tefilat Jeschurun von Hirsch. Ein sehr
schönes, imposantes Gotteshaus, allen Anforderungen der Neuzeit und der
Eleganz entsprechend. Die Galerie enthält einen abgeschlossenen Raum für
die Freiherrlich Rothschild'sche Familie. Der Gottesdienst wird mit
größter Ordnung, im Übrigen ganz in der früheren Weise verrichtet. Ein
trefflicher Chor, der auf die Westseite der Synagoge parterre, aber etwas
erhöht, platziert ist, unter der tüchtigen Leitung des Herrn Jafet,
steht dem Vorsänger zur Seite. Die sämtlichen Chorgesänge - natürlich
nur hebräische - werden vierstimmig ausgeführt und sind im Drucke
erschienen. Sonntags wohnte ich in derselben Synagoge einer Trauung bei.
Auch diese fand ganz nach altem Ritus statt, nur wurde das Brautpaar von
dem Chore mit einem Gesange ('Baruch Haba Beschem Adonai') empfangen
und schloss ein solcher den Akt. - die im Bau begriffene Hauptsynagoge
(der Stein'schen Gemeinde) wird in einem prachtvollen Stile und in sehr
großen Dimensionen ausgeführt; nur schade, dass das Hauptportal in
keiner schönen Straße liegt; dagegen steht die Ostseite auf einem
schönern Platze.
Da auch in Frankfurt gerade Ferien waren, so hatte ich keine Gelegenheit,
die dortigen Schulanstalten, noch die an deren Spitze stehenden Männer,
die Herren Rabbiner Hirsch, Dr. Jost, Dr. Stern persönlich kennen zu
lernen..."
Anmerkungen: - Stein'sche Gemeinde: Gemeinde von Rabbiner
Dr. Leopold Stein
http://www.judengasse.de/dhtml/P129.htm
- Rabbiner Hirsch: Rabbiner Samson Raphael Hirsch
http://www.judengasse.de/dhtml/P134.htm
- Dr. Stern: Dr. phil. Siegmund Stern, Oberlehrer an der
israelitischen Schule, Rechneigrabenstraße 14. |
Besuch am Schabbat in der Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft (1866)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Mai
1866: "Aus Württemberg. Bei meiner jüngsten Reise nach
Norddeutschland blieb ich über Schabbat in Frankfurt a. M. - Ich machte
mir das Schabbat-Vergnügen Herrn Rabbiner Hirsch zu besuchen,
der sich in freundlichster Weise meines Besuches erinnerte, den ich vor 2
Jahren bei ihm zu machen die Ehre hatte. Unsere Hauptunterhaltung betraf
württembergisch-israelitische Zustände, wobei die württembergischen
Korrespondenten des 'Israelit' (konservative Zeitung)
rühmlich erwähnt wurden, die den Eifer für die gute Sache, welcher Herr
Rabbiner Hirsch recht gerne auch seine Feder zu leihen sich bereit erklärte,
wach und rege erhielten. Den Gottesdienst der Religionsgemeinde (gemeint
ist die Israelitische Religionsgesellschaft in Frankfurt a. M.)
besuchte ich 4mal. Da hier Schacharit an diesem Sabbat schon um
7 Uhr begann, so kam's, dass ich auch in die Geiger'sche Synagoge
(gemeint ist die liberale Hauptsynagoge) gehen konnte, deren
Dienst erst um 9 Uhr eröffnet wird... Während ich bei Herrn
Hirsch - Gott sei gepriesen - das Gotteshaus jedes Mal so voller Leute und darunter die hervorragendsten Männer von echter Religiosität angetroffen hatte, empfand
ich die entgegengesetzten Eindrücke bei dem Eintreten in den
Stein-Geiger'schen Tempel. Es war mir fast, als ginge ich in eine Kirche. Wie
ein Neugieriger nur blieb ich deshalb am Eingang stehen. In der Versammlung
selbst bemerkte ich meistenteils Lehrjungen, Soldaten, Durchreisende, aber
wenig Männer, die der eigentlichen Gemeinde angehören. Der ganze Ritus
gleicht wie die ganze Einrichtung mehr denen eines Theaters als einer
Synagoge. Während die noch nicht sehr lange stehende Synagoge der
Religionsgesellschaft bedeutend vergrößert werden muss, gähnt dem Besucher
im Reformtempel (sc. Hauptsynagoge) zu Frankfurt eine erschreckende
Leere entgegen. - Auf meiner Reise über Würzburg besuchte ich auch unseren
alten württembergischen Kämpen, den Seminarlehrer Stern (gemeint Ludwig
Stern, Leiter der Israelitischen Lehranstalt) daselbst, der noch
immer mit warmer Sympathie an unserem Vaterlande hängt und mit uns der
Revision der württembergischen Kirchenverfassung harret. Schade, dass sein
jetziger Beruf ihm nicht gestattet, so wie früher für die geistige
Wiedergeburt Israels in Schwaben kräftig mitzuwirken Würde, wie es das
deutsche Volk jetzt lauter und lauter verlangt, die deutschen Grundrechte
wieder zu allgemeiner Anerkennung gelangen, so hätten wir und alle deutschen
Glaubensgenossen mit einem Male auch in religiösen Dingen die volle
Autonomie der Gemeinden erreicht. In Würzburg hatte ich auch die
Ehre, Herrn Rabbiner Bamberger kennenzulernen. Welch ein würdiger Mann! Weit
winziger noch erscheinen mir seitdem unsere inländischen Pygmäen, die doch
als Koryphäen figurieren möchten und sollten - Wie, Menschen machen sich
Götter und sind selber keine Götter? (Jeremia 16,20) Heile mich,
Ewiger, und ich werde heil! (Jeremia 17.14), rufe ich
schließlich mit Jirmejah in jüngster Hapthora."
Anmerkungen: - Rabbiner Hirsch = Rabbiner Samson Raphael Hirsch vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson_Raphael_Hirsch
-
Israelitische Religionsgesellschaft:
https://de.wikipedia.org/wiki/Israelitische_Religionsgesellschaft
-
Hauptsynagoge:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hauptsynagoge_(Frankfurt_am_Main)
sowie
interne Seite
-
Stein: Rabbiner Dr. Leopold Stein
https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Stein_(Rabbiner)
-
Geiger: Rabbiner Dr. Abraham Geiger
http://www.judengasse.de/dhtml/P142.htm
-
Rabbiner Bamberger = Rabbiner Seligmann Bär Bamberger
https://de.wikipedia.org/wiki/Seligmann_Bär_Bamberger
-
Jirmejah: Jeremia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jeremia
-
Haphtora:
https://de.wikipedia.org/wiki/Haftara |
Bericht über Besuche der Gottesdienstes der Israelitischen Religionsgesellschaft
und in der reformierten Synagoge (1867)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22.
Mai 1867: "Aus Norddeutschland. (Aus einem Privatbriefe).
Den Sabbat, welcher auf den 4. Mai fiel, verbrachte ich in Frankfurt a.
M.; ich besuchte natürlich die Synagoge der israelitischen
Religionsgesellschaft, wo der Gottesdienst sehr erhebend und anregend
auf mich wirkte. Diese große Synagoge war sowohl am Freitagabend, wie
Sonnabend morgens, nachmittags und abends förmlich überfüllt, und auch
Sonntagmorgens war der Gottesdienst ungemein zahlreich besucht, wie man mir
erzählt hat, könne bereits 19 Mitglieder keine Plätze haben, so dass man an
einen vergrößernden Umbau zu denken genötigt ist.*) - Zu meinem Bedauern
predigte Herr Rabbiner Hirsch an jenem Sabbat nicht, so dass es mir
nicht vergönnt war, diesen berühmten Mann sprechen zu hören. - Nach dem
Schlusse des Sabbatmorgengottesdienstes führte mich die Neugier in die
reformierte Synagoge, an der Herr Dr. Geiger Rabbiner ist; dort
beginnt der Gottesdienst nicht so früh, dass ich noch gerade recht kam. Die
Synagoge ist ein imposantes Gebäude, allein sie war fast leer. Die
Anwesenden, etwa 20 Herren und 30 Damen, verloren sich in dem großen
Gebäude; als aber Herr Dr. Geiger zu predigen begann, eilten auch diese
wenigen Andächtigen zur Türe hinaus, sodass nur drei oder vier Personen
zurückblieben und Herr Dr. Geiger buchstäblich vor leeren Bänken predigen
musste. - ('Der Stein schreit aus der Mauer' - Habakuk 2,11)! - Einem
solchen Schauspiele beizuwohnen, verspürte ich keine Lust und deshalb
schloss ich mich der allgemeinen Auswanderung an!! - Das ist geregelter,
veredelter Gottesdienst, das ist Weckung des Andachtgefühls, das ist
Gewinnung der Indifferenten durch veredelte Formen! Oh, kommt nach Frankfurt
a. M., alle ihr vom Reformschwindel Befallenen und überzeugt euch von der
Anziehungskraft des echten, unverfälschten Judentums und von den Erfolgen
der sogenannten Reform!
Wie Sie wissen, verehrter Freund, bin ich ein enthusiastischer Verehrer der
Musik, trotzdem hat die Orgel in der Geiger'schen Synagoge (sc.
Hauptsynagoge, Anm. S.R.) - ich bin Kenner, es ist das ein ganz
vorzüglich gebautes Instrument – einen abstoßenden Eindruck auf mich
gemacht; das christliche Instrument passt einmal nicht zu jüdischen Gebeten.
Beten wir lieber unser Schma Jisrael aus vollem Herzen – ohne
Instrumentalbegleitung.
A. M.
Anmerkungen: - Rabbiner Hirsch: Rabbiner Samson Raphael Hirsch
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson_Raphael_Hirsch
-
Rabbiner Dr. Geiger: Rabbiner Dr. Abraham Geiger
https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Geiger
http://www.judengasse.de/dhtml/P142.htm
-
Sch'ma Jisrael:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schma_Jisrael |
Die Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft soll vergrößert
werden (1870)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
19. Januar 1870: "Frankfurt am Main, den 13. Januar (1870).
Die Synagoge der hiesigen (orthodoxen) israelitischen Gesellschaft ist im
Laufe der Zeit für die große Menge der Besucher derselben zu klein
geworden. Sie wird nunmehr durch einen Umbau bedeutend vergrößert werden
- so mehrte sich das Volk und breitete sich aus [nach 2. Mose
1,12]". |
Einweihung eines neuen Toraschreines in der Synagoge
der Israelitischen Religionsgesellschaft (1881)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
28. September 1881: "Frankfurt a. M., 23. Sept. Gestern Abend fand
in der Synagoge der israelitischen Religionsgesellschaft die Einweihung des
neuen Aron Hakodesch (Toraschrein) statt. Durch freiwillige Spenden
seitens der Mitglieder der Religionsgesellschaft ist dieselbe in den Besitz
eines Aron HaKodesch (Toraschrein) gelangt, welcher als imposantes
Kunstwerk die Bewunderung aller erregt. Derselbe ist aus weißem Marmor und
von so feiner Arbeit, dass er sicherlich zu den schönsten seiner Art gezählt
werden kann. Die Feierlichkeit war erhebend. Mit dem Gesange Ma towu
wurden sie eingeleitet und begrüßt von dem Gesang Baruch Haba, trugen
Mitglieder der Verwaltung, worunter auch solche, die früher derselben
angehört haben, die schön geschmückten Torarollen in die in allen
Räumen gefüllte Synagoge. Nach einem einmaligen Umgange um den Alememor
wurde unter den üblichen Gesängen die Torarollen 'eingehoben' und
Herr Rabbiner Hirsch - sein Licht leuchte - bestieg die Kanzel, um
die Festrede zu halten. An den bereits vorher rezitierten Ps. 132
anknüpfend, lenkte der Redner die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf 30 Jahre
zurück, wie unter schwierigen Umständen die Religionsgesellschaft
entstanden, wie sie sich aus winzigen Anfängen emporgeschwungen habe, wie
ihr Heiligtum ähnlich den Mikdosch-Wanderungen viermal gewandert sei von der
Betstube bis zur eigenen Synagoge, dann wieder ausgewandert, bis sie
erweitert worden war, wie denn jetzt der Abschluss des Heiligtumbaues, sich
dem prächtigen Aron Hakodesch (Toraschrein) darstelle. Habe man aber
eine Toralade, auf welche man stolz sein könnte, habe man der Tora eine
Prachtstätte errichtet, so drücke das eben aus, dass man die Tora als das
herrlichste Gut betrachte, als dasjenige, von dem das ganze Leben
beherrscht, von dessen Geiste das ganze Leben getragen sein müsse: Darum hat
der Besitz einer solch prächtigen Lade auch seine sehr ernste Seite, da aus
demselben die Pflicht erwächst, die Tora zu hüten, sie im Leben zu bewähren,
damit wir unseren Kindern mit dem Monumente auch den Geist der Tora ihnen
vererben, dass sie bei dessen Anblick auf ihre Väter weisen können: 'Das
haben unsre Väter uns gestiftet, in dem Geiste der Tora haben unsre Väter
gelebt!' Wie auch die Zeiten sich verwandeln mögen, so schloss der Redner,
welche Drangsale unserm Volk doch bestimmt sein sollten, wie auch die
Generationen sich ändern, bewahren wir die Tora, Gottes Güte ist
unwandelbar: 'Denn er ist gütig, seine Gnade währet ewig und seine
Wahrheit für und für' (Psalm 100,5). Mit dem Gesange Mismor leTora
und dem sich daran reihenden Maariw-Gebete schloss die Feier.
Anmerkungen: - Ma towu
https://de.wikipedia.org/wiki/Ma_Towu
- Almemor:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bima
- Rabb. Hirsch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson_Raphael_Hirsch
- Mikdosch (Mikdasch): Heiligtum, Tempel
- Maariw: https://de.wikipedia.org/wiki/Maariw_(Judentum) |
Kohanim-Waschbecken als Geschenk für die Synagoge der
Religionsgesellschaft (1896)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. April
1896: "Frankfurt a. M., 10. April. Ein prachtvolles Geschenk
wurde vorige Woche dem Vorstande der israelitischen Religionsgesellschaft
für die Synagoge übergeben und zum ersten Male an den hinteren Tagen des
Pessachfestes in Gebrauch genommen, ein silbernes Kohanim-Waschbecken,
dessen Schüssel 47 cm im Durchmesser und 8 cm in der Höhe beträgt und dessen
Kanne 36 cm hoch ist. Das Ganze hat ein Gewicht von 17 Pfund. Es ist ein
Kunstwerk von seltener Pracht; im reinsten Rokokostil gehalten, erregt es
die Bewunderung der Kenner durch die feine Ziselierarbeit, welche der
Schüsselrand und der Kannenbauch nebst Griff aufweisen. Das Atelier der
hiesigen Silberwarenfabrik von S. u. D. Löwenthal, aus dem diese Werk
hervorgegangen ist, hat hier wiederum eine glänzende Probe von seinen
Künsten und tüchtigem Können gegeben. Das Geschenk ist von Herrn Hermann
Meyer aus London zu Ehren seines vor einem Jahr verstorbenen Vaters, der
40 Jahre lang in der Synagoge der israelitischen Religionsgesellschaft als 'Kohen'
fungiert hat, dieser Synagoge in der treuen Anhänglichkeit, die er auch im
Auslande der Religionsgesellschaft bewahrt, gewidmet worden. Am
Jahreszeittag des Verstorbenen wurde es zum ersten Mal in Gebrauch
genommen."
Anmerkungen: - zu Kohen vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Cohen.
- zur Silberwarenfabrik S. & D. Löwenthal in Frankfurt vgl. den
Chewra-Kadischa-Becher der Beerdigungsbruderschaft von 1904:
https://sammlung.juedischesmuseum.de/objekt/chewra-kadischa-becher-becher-der-beerdigungsbruderschaft/ |
Hinweis auf Gottesdienste der Israelitischen Religionsgesellschaft im Hörsaal
in der Schützenstraße zu den
hohen Feiertagen (1904)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 2. September
1904: "Bekanntmachung
Wir bringen hierdurch zur Kenntnis, dass an den beiden Neujahrstagen, sowie
am Versöhnungstage in unserem
Hörsaale, Schützenstrasse 12 Gottesdienst
stattfinden wird und werden Anmeldungen für Herren- und Damenplätze bei
Herrn David Ginsberger, Rechneigrabenstr. 3 entgegengenommen.
Der Vorstand der Synagogen-Gemeinde 'Israelitische Religionsgesellschaft'. |
Abschied von der alten Synagoge der Israelitischen
Religionsgesellschaft und Einweihung der neuen Synagoge Friedberger Anlage (1907)
Hinweis: weitere Berichte zur Einweihung der neuen Synagoge siehe unten; der
Bericht ist hier eingestellt, da zunächst über den Abschied von der Synagoge
Schützenstraße berichtet wird.
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. September
1907: "Frankfurt am Main, 30. August (1907). Am
Donnerstagnachmittag um 3 Uhr versammelten sich die Mitglieder der
'Israelitischen Religionsgesellschaft' in ihrem alten Gotteshause, um mit
dem Mincha-Gebet von der geweihten Stätte Abschied zu nehmen.
Tiefer Ernst lag auf Aller Antlitz. Wie in der Neïlastunde. Wie bei jedem
großen Scheiden. Mit bebender Stimme trug Oberkantor Friesländer, der
ein Menschenalter hindurch in dieser Synagoge gewirkt, die Psalmen 42 und
132 und die Tefila vor. Dann bestieg Rabbiner Dr. Breuer die
Kanzel, um den Gefühlen Ausdruck zu geben, die die Gemüter Aller im
Innersten bewegten. Der Redner knüpfte an das Wort der Weisen an
(hebräisch und deutsch:) Bei der Tefilat Mincha soll man sagen: 'Es
sei Dein Wille, Gott, mein Gott, wie Du mich die Sonne sehen ließest bei
ihrem Aufgang, so lass mich die Sonne auch sehen bei ihrem Untergang.'
das Minchagebet ist der getreueste Ausdruck der Stimmung, die in dieser
Stunde uns beherrscht. Es ist das Gebet, mit dem wir Abschied nehmen von
jedem Tag, der sich seinem Ende zuzuneigen beginnt. Drum nehmen wir mit
ihm Abschied von diesem geweihten Raum, von dieser herrlichen Bet
Haknesset (Synagoge), das einst unsere heimgegangenen Brüder und
Schwestern vereinte, wo wir alltäglich zu Gott emporgefleht, an den Tagen
der Freude und des Leids, wo wir die Kraft geschöpft für die Erfüllung
der unser im Leben harrenden Pflichten. Eine Abendhuldigungsgabe ist das
Minchagebet, Minchat Erew in besonderem Sinne ist auch dieser
letzte Gottesdienst in unserer alten Synagoge. In die Freude, die uns aus
dem neuen Gotteshaus entgegenstrahlt, mischt sich der Schmerz des
Abschieds, und wie könnte es anders sein? Wäre nicht kaltes Erz unser
Inneres, wenn uns nicht schmerzte die Trennung von diesem Hause, wo jeder
Stein den Sieg der Wahrheit über die Lüge, die Macht des Torageistes kündet,
der aus so kleinen Anfängen unserer Gemeinde so Wunderbares und Großes
erstehen ließ! Wie könnten wir ohne Schmerz von dieser Stätte scheiden,
wo nahezu 40 Jahre hindurch unser großer Rabbiner S. R. Hirsch - das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen, das Wort der Sinaitischen
Lehre verkündet und seine Hörer für sie entflammt und begeistert hat.
Und doch soll uns die Wehmut der Trennung die Freude nicht rauben. Lehrt
uns doch gerade das Minchagebet, in jedem Wechsel des Geschickes nur die
eine, lichtspendende Gotteswaltung zu erkennen. Lehren uns doch die Weisen
in der Tefilat Mincha beten, Gott möge, wie er uns die Sonne beim
Aufgehen sehen ließ, so auch bei ihrem Untergang sie uns weiter leuchten
lassen. Denn die Sonne geht in Wahrheit niemals unter. Wenn sie hier dem
Blick entschwindet, scheint sie dort schon im alten Glanze. Und wenn wir
von diesem Gotteshaus nach mehr als einem halben Jahrhundert scheiden
müssen, die Herrlichkeit des Neuen Baues strahlt uns schon entgegen. Nur,
was irdisch ist, Stein und Holz, lassen wir hier zurück, die Keduscha
aber, das Ewige, nehmen wir mit. Die Tora wird dort wie hier uns
erleuchten, dort wie hier uns maß- und normgebend sein. Und der Segen,
der uns beim Eintritt in die alte Synagoge begleitet, wird uns auch beim
Auszug folgen. Wie unser Lehrer Moscheh so rufen wir, beim Reisen der
Bundeslade, wenn die Lade sich nun erhebt (hebräisch und deutsch): 'Auf,
o Gott, so zerstieben Deine Feinde, so fliehen Deine Feinde vor Deinem
Angesicht!' Räume uns hinweg die Hindernisse auf dem Weg, der zu Deinem
Licht führt. - Nachdem der Redner geschlossen, wurden die Torarollen
aus dem Toraschrein entnommen, und während der Chor Adon Olam
sang, entfernte sich die Gemeinde aus den altgewohnten Räumen, die noch
nicht die Spuren des Alters tragen, und nur, weil sie zu eng geworden
sind, verlassen werden mussten.
Die Einweihung des Neuen Gebäudes
nahm ihren Anfang, Abends 1/2 7 Uhr. Die mächtigen Räume, über die ein
Meer von Licht ausgegossen lag, waren dicht gefüllt. Als Vertreter der
staatlichen und städtischen Behörden erschienen der kommandierende
General von Eichhorn, Regierungsrat Mahrenholz, Bürgermeister Grimm, Bürgermeister
Varrentrapp; eine große Zahl auswärtiger Rabbiner und Gemeindevertreter,
hatten sich zur Teilnehme an dem Feste eingefunden. Mit dem Gesang Mah
towu leitete der Chor die Feier ein. Während des Vortrags von Psalm
118 treten die Träger der Torarollen in den Synagogenraum und bewegen
sich auf den Almemor zu. Es ist ein ergreifender Augenblick, wie der
Rabbiner den Almemor betritt und mit fester Stimme die Birkat
hatow wehamtiw spricht. Nun folgt der Umzug mit den Torarollen
und das Einheben derselben. Die Festpredigt des Herrn Rabbiner Dr. Breuer
nimmt ihren Ausgang von dem letzten Verse des oben gesungenen Psalms 30
(hebräisch und deutsch): 'Darum soll alles Herrliche Dir singen und
nie aufhören, Gott, mein Gott, in alle Zukunft will ich dir danken.'
Das Gefühl des Dankes, so begann der Redner, das der König David mit
diesen Worten zum Ausdruck brachte für die Verwirklichung seines
heißesten Wunsches, die durch seinen Nachfolger vollzogen werden sollte,
dieses Gefühl des Dankes bewegt auch unsere Brust, des Dankes gegen Gott,
der uns diese Stunde erleben ließ, der selbst gut ist und Gutes
veranlasst, |
der
von seiner Güte einen Funken in die Menschenbrust gelegt und Edelsinn und
Freigebigkeit geschaffen. Dank sei auch den Mitgliedern der Gemeinde, den
Männern und Frauen, den Jünglingen und Jungfrauen, die nach Maßgabe
ihres Könnens beigetragen zu dem Werk, Dank dem Vorstand und den Herren
des Baukomitees für die selbstlose Hingebung, die sie dem Bau gewidmet,
Dank den Meistern und Architekten, die ihn entworfen und bis zur
Vollendung gefördert. Der Redner geht dann dazu über die Bedeutung des Beit
Haknesset (Synagoge) zu kennzeichnen. Gottesdienst ist dieses Hauses
Zweck und Bestimmung. Was aber haben wir unter Gottesdienst zu verstehen?
Gott dienen heißt Gott gehorchen. Nur als Voraussetzung für diesen Gottesdienst,
als die Stätte, wo wir uns für den Gottesdienst draußen im Leben
rüsten, haben wir die Synagoge zu betrachten. Ihren Wert erhält sie
durch die Art, wie wir in unseren Häusern, in unserem Wirken und Streben
den Pflichten des Gottesgesetzes gerecht zu werden suchen. Dieser
Bestimmung sei das neue Haus geweiht. Es sind nun etwa, so fuhr dann der
Redner fort, etwa 56 Jahre her, dass hier eine kleine Schar Gott
begeisterter Männer der Not gehorchend sich in ein kleines Stübchen
flüchtete, um da ihren Gottesdienst abzuhalten. Mit verächtlichem
Lächeln sahen die Fernstehenden dieses Tun mit an. Wer hätte gedacht,
dass das Häuflein sehr bald zum Bau einer Synagoge schreiten und dass sie
diese später auf das Doppelte erweitern würden. Und nun ist auch diese
große Synagoge zu enge geworden. Wahrlich, das ist vom Ewigen geschehen
und ist ein Wunder vor unseren Augen (Psalm 118,23). Zum dritten Male
begeht unsre Gemeinde das Fest der Synagogenweihe. Aber die heutige ist
verschieden von beiden ersten. Unwillkürlich kommt uns die Erzählung von den
drei Brunnen unseres Stammvaters Isaak in die Erinnerung, von denen die
beiden ersten Streit, und Hinderung, der dritte Weite genannt wurde. Die
beiden ersten mussten unter der Abwehr feindlicher Angriffe und
Hemmungsversuche gegraben werden. Bei der Herstellung des dritten aber gab's
keinen Kampf mehr, darum nannte ihn Isaak (hebräisch und deutsch:)
'Weite', 'denn' , so sprach er, 'jetzt hat uns Gott Weite gegeben und
wir breiteten uns aus im Lande.' Unsere Weisen erblicken in diesen drei
Brunnen das Vorbild der drei Heiligtümer in Zion. Unter Kampf mit der
Umgebung entstanden das erste und das zweite Beit Hamikdasch
(Tempel), unter der Anerkennung Israels durch die Allmenschheit wird einst
das dritte errichtet werden. Die drei Brunnen sind auch das Vorbild der von
unserer Religionsgesellschaft erbauten Gotteshäuser. Es waren schwere
Zeiten, mächtige Hindernisse waren wegzuräumen, schwere Kämpfe waren zu
bestehen, als das erste und das zweite gebaut wurden. Jetzt, da wir das
dritte erbauten, waren die schwersten Kämpfe vorüber. Die kleine Schar, die
man einst nicht einmal unter die Zahl der übrigen Gemeinden einreihen
wollte, ist heute anerkannt vor aller Welt, ja, sie ist die angesehendste
gesetzestreue Gemeinde im ganzen deutschen Reiche geworden. Weite ist
ihr Name, denn jetzt hat uns Gott Weite gegeben und wir breiteten uns aus
im Lande. In dankbarer, ehrfurchtsvoller Erinnerung aber gedenken wir an
diesem Tage des Mannes, der uns den Weg zu diesem Ziel bereitet, unseres
großen Rabbiners, gesegnet sei sein Andenken. Wie König Davids Psalm schon
die Einweihung des Tempelheiligtums besingen konnte, obwohl erst Salomo ihn
erbaut, - weil David es vorbereitete und Salomo nur es ausgeführte – so hat
auch Samson Raphael Hirschs geistiges Auge diesen Bau erschaut, wenn
er ihn auch selbst nicht erlebte. Sein Geist wird hier fortwirken, sein
Licht hier fortleuchten, sein Name verknüpft sein mit dieser Synagoge,
solange sie besteht. Mit der Bitte um Gottes Segen für das neue Gotteshaus,
die Gemeinde, die Vaterstadt, das Vaterland und den Landesherrn endete die
Rede, die auf die Festversammlung eines tiefen Eindrucks nicht verfehlte.
Das Maariw-Gebet bildete den Abschluss der Feier, die einen Markstein
darstellt in der Geschichte der Frankfurter Israelitischen
Religionsgesellschaft.
Am Abend vereinigten sich etwa vierhundert Teilnehmer zu einem Festbankett
im Saalbau*, das in den üblichen Formen verlief. Herr Besthoff*, der
Leiter der Tafel, brachte in schwungvollen Worten das Kaiserhoch aus, worauf
namens der Gemeindeverwaltung Herr Louis Feist* die Versammelten
begrüßte und in längerer Rede einen Rückblick auf die Geschichte der
Religionsgesellschaft warf. An Stelle des durch Trauer am Erscheinen leider
verhinderten Rabbiners sprach Herr Rabbinatsassessor Posen*,
Mittelpunkt seiner Ausführungen, die in ein Hoch auf Herrn Rabbiner Dr.
Breuer* ausklangen, bildete der Hinweis auf die Bedeutung des
Thorastudiums für den Bestand der Gemeinde.
Namens der Gemeinde brachte Herr Jakob Rosenheim* den Dank an die
Verwaltung, die so manchen gärenden Most zu ertragen habe, an den Rabbiner
für sein rücksichtsloses und wahrheitmutiges Wort der Zurechtweisung und an
die Vorbeter, die in dem alten Gotteshause als wahrhafte Gesandte der
Gemeinde (= Titel für Vorbeter) gewirkt, zum Ausdruck. Er kennzeichnete
die erhöhten Pflichten, die sich aus der Entwicklung der
Religionsgesellschaft zur Großgemeinde für die Wirksamkeit der jüdischen
Gesamtheitszwecke ergäben und schloss mit einem Hoch auf die in großer
Zahl anwesenden Rabbiner und Vorsteher auswärtiger gesetzestreuer Gemeinden.
Namens der letzteren ergriff hierauf Provinzial-Rabbiner Dr. Cahn –
Fulda das Wort zu geistvollen, von
launigem Humor getragene Ausführungen, denen sich Herr Wolf Möller –
Altona,im Namen der Vorsteher, anschloss. Erst in früher Morgenstunde fand
das Fest sein Ende. Im Laufe der Woche bildete die neue Synagoge infolge der
begeisterten Berichte der Zeitungen das Wanderziel vieler Tausender und
allen Gesellschaftskreisen der Stadt, sodass der Vorstand sich geneigt sah,
begrenzte Stunden (Sonntag und Mittwoch von 10 -12 Uhr) für die Besichtigung
festzusetzen.
Zu den Abbildungen: - Die nachstehende Abbildung zeigt den mächtigen
Chanukkaleuchter, den die Firma Lazarus Posen Wwe.* für die neue
Synagoge der Religionsgesellschaft angefertigt hat. Diesem schon wegen
seiner Größe und seines Materialwertes auffallenden Stück haben die
Verfertiger durch liebevolle und sorgfältige Ausführung künstlerischen Wert
verliehen. Der ganze Leuchter ist getriebene und geschmiedete Ziselierabeit.
Die schöne Feuervergoldung lässt die fein gedachten Ornamente noch besser
hervortreten und die geschmackvoll, über den ganzen Leuchter verteilten
Edelsteine beleben seine Oberfläche, die sich von dem bunten Marmorgrunde
des Oraunhakaudesch* (Toraschrein) wirkungsvoll abhebt.
- Der unten reproduzierte Berit-Milah (Beschneidungs)-Leuchter der
neuen Synagoge ist im kunstgewerblichen Atelier des Juweliers Felix Horovitz*
ausgeführt worden. Der fünfarmige Leuchter ist in vergoldetem Silber
gefertigt. Seine Höhe beträgt, bis zu den in Onyx gearbeiteten Kerzen, etwa
2,30 m. Auf einem dreiteiligen Fuß, der auf Kugeln ruht, erhebt sich, nach
oben sich je verjüngend, der vierkantige Schaft, aus dem sich die fünf Arme
entwickeln, die oben von einer fein durchbrochenen Querleiste
zusammengehalten werden. Jeder Arm trägt oben eine Tülle, die je eine große
Onyxsäule (für Gas eingerichtet), umgeben von 12 Wachskerzen, hält.
Komposition und Ornamentstil schließen sich dem Stil der Synagoge an.
Anmerkungen: - Saalbau: Konzerthaus in der Junghofstraße
- Maariw:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ma%27ariv
- Herr Besthoff: Jacob Besthoff, Kaufmann, Friedberger Anlage 17 II
- Louis Feist: Kommerzienrat Louis Feist, 1857 -1913 https://dbs.anumuseum.org.il/skn/en/c6/e239944/Photos/Louis_Feist_1857_1913_Frankfurt_am_Main_Germany_c_
, Obermainanlage 30 E
- Rabbinatsassessor Posen: Gerson Posen, Sandweg 44; genealogische
Informationen
https://www.geni.com/people/Dayan-Rabbi-Gershon-Posen/6000000006953438891.
- Rabbiner Dr. Breuer: Rabbiner Dr. Raphael Breuer
https://de.wikipedia.org/wiki/Raphael_Breuer.
- Jakob Rosenheim: Jacob Rosenheim, Buchhandlung und Verlag, Neue Zeil 63,
Königswartherstraße 11 II oder Jacob Rosenheim, Kaufmann, Westendstraße 82
pt.
- Chanukka/Chanukka-Leuchter:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chanukka
- Lazarus Posen Wwe:
http://objekte.jmberlin.de/person/jmb-pers-11312;jsessionid=BB3BF789FD01E918A192A5BFF9BB8075
Steinweg 12, Inhaber: Salomon Posen, Philipp Posen, Eli Posen
- Oraunhakaudesch: Toraschrein
https://de.wikipedia.org/wiki/Toraschrein
- Felix Horovitz:
https://artsandculture.google.com/culturalinstitute/beta/asset/kiddush-cup-workshop-of-felix-horovitz-frankfurt-am-main-1876-1964/aAFnG_W7H8j8VQ?hl=de
|
Nach der Weihe
Erloschen die Kerzen,
Verklungen die Klänge
Der heiligen Lieder
Durchfluten den Raum
Zerstreuet die Menge
Die tränenden Auges
Doch freudigen Herzens
Die Weihe vollzog.
Leise nur rauschen
Die Wipfel der Bäume
Sich flüsternd erzählend,
Was jüngst sie gehöret,
Was staunend geschaut,
Da - - - -
Ein Zephirlächeln,
Ein leises Tönen,
Wie Aeolsharfen,
So süß und mild.
|
Und sieh, aus dem Osten
Ein Wolkengebilde
Zart luft'ger Gestalten,
Wie segnende Hände,
Umgibt es das Haus.
'O Du, der Erfüllung
Bringt unserem Hoffen,
Du herrlicher Bau,
O sei uns gegrüßt.
Stolz, glänzend
Nach außen,
Und wertvoll
Im Innern,
als Sinnbild steh' uns
Der kommenden Zeit!
Wofür wir gekämpft,
Das führe zum Siege:-
Zur Leuchte der Funken
Vom Führer entzündet
Zur Ernte der Samen,
den einst er gesät. |
O werde zum Quell Du
Frisch sprudelnden Lebens,
Erquickend die Menschen,
Befruchtend das Land:
Mit Liebe, die wirket
Sanft trocknend die Träne,
Die Not geboren
Und Kummer genährt.
Mit Treue, die knüpfet
In festeste Bande
Die Herzen der Brüder
Zu einigem Streben
Erstarkender Kraft.
Mit Glaube, der krönet
Das Werk, das geschaffen,
Demütigen Sinnes,
Dem Bruder zum Heile,
Dem Höchsten zum Preis!
|
Ja, mach, erstarke
Und mache erstarken…'
-------------------------------
Ein Zephirlächeln,
Ein leises Tönen,
Wie Aeolsharfen,
So süß und mild.
Verschwunden die Wolke,
Aufstrahlet die Sonne
Und küsset verheißend
Die Türme des Bau's.
|
Die Räume der alten Synagoge dienen für Lazarett- und Militärzwecke (1914)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 7. August
1914: "Frankfurt a. M. Die israelitische Gemeinde hat der
Militärverwaltung in dem erst vor kurzem eröffneten Gemeindekrankenhaus
in der Gagernstraße fünfzig Betten zur Verfügung gestellt, sowie
ferner den Garten des Krankenhauses für die Ausstellung von zwei Döckerschen
Baracken.
Die Israelitische Religionsgesellschaft hat für Lazarett und
Quartierzwecke die Räume ihrer ehemaligen Synagoge in der Schützenstraße
und den anschließenden Hörsaal zur Verfügung gestellt.
Frankfurt a. M., 4. August. Der größte Trauertag der Judenheit, der
Tag der Zerstörung Jerusalems und damit der Vernichtung des jüdischen
Reiches, gab der Israelitischen Religionsgesellschaft Veranlassung,
beim Abendgottesdienste der so ernsten Stunde des deutschen Vaterlandes zu
gedenken. Rabbinatassessor Posen* sprach in eindrucksvollen Worten;
auf unserer Seite stehe die Gerechtigkeit, auf der Seite der Feinde der
unersättliche Machthunger; wir Deutschen können zum Vater im Himmel die
Hände rein erheben.
Einen Tag später, Montag, veranlasste die Israelitische Gemeinde in
ihren Synagogen gleichfalls feierliche Gottesdienste. Die Synagogen waren
überfüllt. Wahrhaft erschütternd war es in der Börneplatz-Synagoge, als das
große Sündenbekenntnis gesagt wurde.
Frankfurt a. M.., 5. August. Auf Befehl des Kaisers fanden heute in
allen Gotteshäusern unseres deutschen Vaterlandes Bittgottesdienste
statt.
Wie überall, so waren auch hier in Frankfurt die Synagoge überfüllt. Eine
weihevolle Stimmung, Gottvertrauen und ruhige Zuversicht herrschten unter
der Masse der Beter."
*Anmerkung: Rabbinatsassessor Posen: Gerson Posen, Sandweg 44;
genealogische Informationen
https://www.geni.com/people/Dayan-Rabbi-Gershon-Posen/6000000006953438891.
|
Verkauf der alten Synagoge in der Schützenstraße
(1921)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. März
1921: "Verkauf der alten Synagoge in der Schützenstraße.
Die alte Synagoge der 'Israelitischen Religionsgesellschaft' in der
Schützenstraße samt dem Eckhaus, in dem sich die Büros zahlreicher Vereine,
insbesondere auch der 'Freien Vereinigung' befinden, ist an den Buchhändler
Alfed Weber, hier, verkauft worden. Der Käufer wird den großen
Synagogenraum zur Ausstellung von Kunstgegenständen verwenden. Die
Einrichtung, insbesondere der künstlerisch monumentale Araun hakaudesch*,
der Almemor* und das Gestühl stehen zum Verkauf.
Manches Gemeindemitglied, das in ernster Erinnerung an die Zeiten
zurückdenkt, in denen in dem einfach schönen Raum die hinreißenden Worte
Rabbiner Samson Raphael Hirsch - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen
- erklangen, sah man in den letzten Tagen in die Schützenstraße wandern, um
von der verlassenen Stätte der Erhebung und der Andacht noch einmal Abschied
zu nehmen.
*Anmerkungen: - Araun hakaudesch: Toraschrein
https://de.wikipedia.org/wiki/Toraschrein
- Almemor:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bima |
Zum Verkauf der alten Synagoge in der Schützenstraße
(1921)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. März
1921: "Frankfurter Berichte. Zum Verkauf der alten Synagoge. Ein
Abschiedswort.
Die letzte Nummer des 'Israelit' brachte die Nachricht, dass die alte
Synagoge als Ausstellungsraum verkauft sei und dass in diesen Tagen manches
Gemeindemitglied den Weg nach der Schützenstraße gefunden habe, um von der
alten Schul Abschied zu nehmen.
Die alte Schul, Großschul! Aus vergangenen Kindheitstagen steigt die
Erinnerung empor, und mir deucht es, als ob ein Grüßen des alten Hauses zu
mir zöge – jetzt, da seine Jahre zu Ende gehen. Mit ihnen verband sich die
lebendige Erinnerung an ein Geschlecht, das lange schon schlafen gegangen,
das aber weiterlebte, weil die alte Schul in lautloser und doch weit
vernehmlicher Sprache von ihnen und ihrem Leben Kunde gab. Und mir ist es,
als ob dies Geschlecht in seiner Gesamtheit erst jetzt hier auf Erden
heimatlos geworden sei.
So möge denn kindliche Liebe den ehrwürdigen, mächtigen Raum noch einmal mit
dem Leben vergangener Zeiten erfüllen, bevor des Alltags nüchterne Hand den
letzten Rest versinkender Schönheit unwiederbringlich weggewischt hat.
Seht - da ziehen sie einher in unübersehbarer Reihe, die Männer und Frauen
eines halben Jahrhunderts.
Hört ihre Tefillaus*, denkt all die stillen Bitten und der lauten
Huldigungen, der hoffenden Zuversicht und des überquellenden Dankes, der
tiefen Seufzer, der Tränen, der geweinten und ungeweinten, die aus wehen
Herzen aufgestiegen.
Seht die Schamosim* in weißen Haaren, die in hingebender Treue den
Dienst im Heiligtum vollzogen; hört die Chasonim*, die den Geist des
Frankfurter Chasonus* liebevoll gepflegt, schaut ihn, der mit der Würde des
Hohepriesters am Omed* gestanden und dessen unvergleichliche Nigunim*, immer
leiser und leiser werdend, in dem heiligen Raum verhallen.
Seht die Parnosim* und Manhigim*, die der Kehilla* gedient voll Stolz auf
ihre aufblühende Größe und Kraft, voller Demut vor dem Manhig* auf dem
göttlichen Throne.
Seht ihn auf der Kanzel, den Greis mit dem Jünglingsauge, dem man zugejubelt
in kindlicher Liebe und ehrfurchtsvoller Scheu, dem Rabbiner, dem Großen,
dessen Mund voller Weisheit und dessen nimmer rastende Hand unsterbliche
Werte geschaffen.
Ein Geschlecht geht und ein Geschlecht kommt, Geschlechter versinken;
jedoch - Jahre sterben und und Wohltaten sterben nicht - Jahre
sterben, aber Liebestat und Menschengröße dauern fort.
Alte Schul – so heißt es jetzt für immer von dir Abschied nehmen. Abschied
auch von leuchtenden Kindheitserinnerungen. In bunter Fülle strömen sie mir
zu: Da ist der erste Slichausmorgen*; draußen die Nacht im Sternengefunkel
und dem scheidenden Mond; da huschen wir Knaben über den Schulhof durch die
Seitentüre in Schul; daraus uns taawor al päscha in hinreißender
Innigkeit entgegentönt. Die Weihe der Jamim Nauroim* hat die Beter
ergriffen und die Huldigung des HaSchem HaSchem* wogt, von Hunderten
von Stimmen getragen, durch den lichterfüllten Raum.
(hebräisch und deutsch:) – du hast nun Ruhe für immer gefunden – alte
Schul.
Oder Chanukoh*! Man hat die Schule eine Viertelstunde früher geschlossen,
und ein ganzes Heer von Knaben eilt im Sturmschritt in die Schützenstraße.
Die Menora* steht bereit und nach Mincha steigt der große
Schaliach Zibur (Vorbeter) langsam die Stufen zu ihr empor. Lautlose
Stille ringsum, auf dass nicht ein Ton der wunderbaren Brochoh*
verloren gehe. Leise beginnt er, dann aber erhebt sich seine Stimme zu
machtvoller Höhe. Ihn preisend, der den Vätern Wunder erwiesen, in seinen
Tagen zu dieser Zeit.
Oder Simchat Tora*! Kein Plätzchen in der großen Schul, das nicht
doppelt und dreifach besetzt wäre. Auf dem Omed im seidenen Tallis,
'ich will jubeln und mich freuen an simchat torah' tönt es aus seinem
Munde und mit unnachahmlicher Grazie tanzt er, sein Sefer*
(Torarolle) im Arm. Kein Auge, das diesen heiter-ernsten Gottesdienst nicht
lächelnd zugeschaut, kein Mund, der die ewig jungen Klänge nicht
mitgesungen.
Aber niemand glücklicher als die Jugend, die nicht um alle Schätze auf
Simchat Tora* in Großschul Verzicht geleistet hätte.
Aber nicht nur die festlichen und ehrfurchtsgebietenden Tage waren es, die
unsere Herzen zusammenklingen ließen mit dem Leben und Weben der alten
Schul; jeder Tag in ihr war uns ein Geschenk, jeder Stein in ihrer Mauer war
uns vertraut. Ob man am Erew Pessach* im Hofe Chamez*
verbrannte, ob man vor Hauschana Rabba* dort die Erwachsenen ihre
Schekolim* spendeten oder ob man die Verkündigung der Mazzo*mehl-Anmeldung
vernahm – es war alles gleich schön und unvergesslich.
Aber eine Erinnerung ist’s, sei vor allen, die mich nie die alte Schul
vergessen lassen wird. Es war |
am
28. Tewes des Jahres 5648. Vor dem Hause in der Schönen Aussicht stand der
schwarze Wagen, darauf man köstliche Bürde lud zur letzten Fahrt. Langsam
setzte sich der Zug in Bewegung. Die Schüler der Prima der Realschule voran,
die Werke Samson Raphael Hirschs in den Händen; dann die sterbliche
Hülle des Meisters, sodann wir kleinen Schüler, nach uns die anderen Klassen
der Schule und viele Tausende Leiderfüllte. Wir bogen in die Schützenstraße
ein, um an der Synagoge vorüber zu ziehen. Und siehe da! Man hatte die Tore
der Schule weit geöffnet; niemand befand sich in den Gängen und Korridoren,
und in tiefem Schweigen und in einsamer Größe entbot sie ihrem Schöpfer den
letzten Gruß.
Mehr als drei Jahrzehnte sind seit jener letzten Stunde vergangen. Der
kleine Junge, der damals neben seinem kleinen Kameraden ging, wusste noch
nichts von dem Tode, noch davon wusste er, dass es Auserwählte unter den
Menschen gibt, die den Tod überdauern und in dem Gedächtnis ihres Volkes
weiterleben. Aber ein leiser Hauch der großen Lehre vom Leben und
Sterben der Unsterblichkeit mag in jener Stunde doch durch seine kindliche
Seele gezogen sein und die alte Schul war es, die ihm davon verkündet.
Alte Schul - liebe, alte Schule, hab Dank, hab ewig Dank!
H.Sch.". |
* Anmerkungen:
-
Schul = Synagoge
-
Tefillaus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Achtzehnbittengebet
- Schamosim: Synagogendiener
https://de.wikipedia.org/wiki/Schammes
- Chasonim: Kantoren
https://de.wikipedia.org/wiki/Chasan_(Kantor)
- Chasonus: Synagogaler Gesang
- Parnosim: Gemeindevorstände
- Manhigim: Plural von Manhig
- Kehilla: Gemeinde
- Manhig: Leiter, Vorsitzender
- Slichaus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Slichot
- Jamim Nauroim: ehrfurchtgebietende Tage - Hohe Feiertage im Herbst
- HaSchem Haschem: Ausdruck zum Bekenntnis zu Gott gemäß dem Schma Jisrael
- Chanukoh: Lichterfest
https://de.wikipedia.org/wiki/Chanukka |
- Menora: Leuchter (an Chanukka Chanukiah =
Chanukka-Leuchter)
- Brochoh: Segen
https://de.wikipedia.org/wiki/Bracha
- Simchat Tora:
https://de.wikipedia.org/wiki/Simchat_Tora
- Omed: Lesepult des Kantors in der Synagoge
- Chason: Kantor
https://de.wikipedia.org/wiki/Chasan_(Kantor)
- Tallis:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tallit
- Sefer: Torarolle
https://de.wikipedia.org/wiki/Tora
-
Erew Pessach: Vorabend von Pessach
https://de.wikipedia.org/wiki/Pessach
- Chamez: Gesäuertes, das an Pessach nicht verzehrt und nicht in Besitz sein
darf
https://de.wikipedia.org/wiki/Chametz
- Hauschana Rabba: Siebter Tag des Laubhüttenfests
https://de.wikipedia.org/wiki/Hoschana_Rabba
- Schekolim: hier Geld
- Mazzo: Matzenmehl
https://de.wikipedia.org/wiki/Matze |
Zur Erinnerung an die alte Synagoge in der Schützenstraße
(1921)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. Juni
1921: "Zur Erinnerung an die Synagoge in der Schützenstraße
Mancher, der heute die Schützenstraße passiert, wirft wehmutvollen Gedenkens
einen Blick in die nun zu einer Stätte des Kunstschauens und geschäftigen
Betriebes umgewandelten Andachtsstätte; an der Samson) Raphael Hirsch's
machtvolles Wort dereinst erscholl und Friesländer seine anmutigen
Melodien in die Herzen schmeichelte. Die herrliche heilige Lade mit dem
strahlenden Glanze ihrer weißen Marmorquadern ist nun von
Abbildung links: Der Araun hakaudesch in der alten Synagoge
Schützenstraße
Draperien verhüllt und harret der jüdischen Gemeinde, die sie erwerben und
ihrem geheiligten Zwecke wieder zuführen will. Unsere Frankfurter Leser
werden gerne das Bild des schönen Generationen liebgewordenen
architektonischen Kunstwerkes an der hier wiedergegebenen Reproduktion in
sich erneuern.
Anmerkungen: - S.R. Hirsch: Rabbiner Samson Raphael Hirsch
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson_Raphael_Hirsch und
https://www.deutsche-biographie.de/pnd118774522.html und
http://www.judengasse.de/dhtml/P134.htm
Anmerkungen:
Friesländer: Oberkantor Julius Friesländer, Ostendstraße 11 III
Araun hakaudesch: Toraschrein
https://de.wikipedia.org/wiki/Toraschrein |
Erinnerung an die alte Synagoge in der
Schützenstraße (1921)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23.
Juni 1921: "Zur Erinnerung an die alte Synagoge Schützenstraße
Wir nehmen Bezug auf die in der Nummer 23 des 'Israelit' erschienener
Notiz zur Erinnerung an die ehemalige Synagoge der Israelitischen
Religionsgesellschaft in der Schützenstraße und erlauben uns den
verehrlichen Interessenten bekannt zu geben, dass Original-Photographien des
in der erwähnten Notiz veröffentlichten Clichés (Abbildungen) des
Araun hakaudesch* der ehemaligen Synagoge, welche von uns mit der
Genehmigung des Vorstandes der Israelitischen Religionsgesellschaft
hergestellt werden durften, in künstlerisch vollendeter Ausführung in
Bildgröße 18 x 24 zum Preise von Mk. 28,- bei uns zu haben sind.
Ein Teil des Ertrages aus dem Verkauf dieser Photographien fließt
wohltätigen Zwecken der Israelitischen Religionsgesellschaft zu. Gefällige
Bestellungen wolle man bitte baldigst an uns ergehen lassen.
Samson & Co. Frankfurt am Main. Zeil 100."
Anmerkung: Araun hakaudesch: Toraschrein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Toraschrein |
Generalversammlung der Israelitischen Religionsgesellschaft, u.a. mit
kritischer Diskussion des Verkaufs der alten Synagoge
(1922)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19.
Januar 1922: "Synagogengemeinde Israelitische
Religionsgesellschaft
Die am Sonntag, den 15. Januar stattgehabte Generalversammlung war
von Beginn an stark besucht, sodass die vorgeschriebene Mindestziffer von
900 stimmberechtigten Mitgliedern sehr bald festgestellt werden konnte. Vor
Eintritt in die Tagesordnung widmete der Vorsitzende, Herr Rosenheim,
dem vor wenigen Tagen heimgegangenen ersten Vorsitzenden der Gemeinde,
Geheimrat Dr. Rosenbaum - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen
-, einen warm empfundenen Nachruf. Nachdem hierauf eine Reihe, der aus
Mitgliederkreisen zum Satzungsentwurf eingelaufenen Abänderungsanträge
älteren und neueren Datums verlesen worden waren, eröffnete der Vorsitzende
die Generaldiskussion, an der sich die Herren Leon Sänger, Sanitätsrat
Dr. Wolf Hirsch, Quadrat und Hermann Levi beteiligten. Dr. Hirsch
beantragte, an den alten Satzungen lediglich das Wahlsystem zu ändern, die
Wählbarkeit der Beamten einzuführen und eine Steuerordnung zu schaffen, im
übrigen aber die alte Verfassung bestehen zu lassen. Demgegenüber hielt die
Verwaltung ihren Antrag auf Annahme der neuen Satzung einschließlich der
durch Rundschreiben mitgeteilten, verschiedenen Änderungen des Entwurfes
aufrecht. Die hierauf vorgenommene geheime Abstimmung durch Stimmzettel
ergab die Annahme des vom Vorstande vorgelegten Satzungsentwurfes mit
244 von 339 abgegebenen Stimmen.
Es gelangte hierauf der außerordentlich umfangreiche Geschäftsbericht des
Vorstandes, dessen Verlesung etwa dreiviertel Stunde in Anspruch nahm,
zum Vortrag. Auf den Inhalt des Berichtes kommen wir zurück. In der
anschließenden Diskussion wurde an dem vom Vorstande im Laufe des Jahres
vorgenommenen Verkauf der alten Synagoge (sc. in der Schützenstraße)
scharfe Kritik geübt, angesichts der Pietät, die man in weiteren Kreisen der
Gemeinde eines Gotteshauses, in dem ein Samson Raphael Hirsch gewirkt, sei
es unbegreiflich, dass die Gemeindeverwaltung sich zur Veräußerung des
Gebäudes entschlossen habe. Vorn Seiten der letzteren wurde erwidert, dass
man nur vor der Wahl gestanden habe, die Gebäude entweder zu verkaufen, oder
aber angesichts ihrer immer stärker in die Erscheinung tretenden
Baufälligkeit Hunderttausende für ihre Wiederherstellung aufzuwenden.
Nachdem vom religionsgesetzlichen Standpunkt gegen den Verkauf nichts
einzuwenden war, hielt sich die Gemeindeverwaltung nicht für berechtigt,
einen Vertrag von mehr als einer halben Million Mark, die Reparaturkosten
ungerechnet, in Holz und Stein stecken zu lassen, während man mit diesem
Betrage so vielen lebendigen Menschen Mittel zum Lernen der Tora und zur
Erfüllung der Mizwas gewähren könnte. Aufgrund der bisher geltenden Satzung
stellte der Vorstand den Antrag, den Verkauf, bei dem die Genehmigung durch
die Generalversammlung vorbehalten worden war, nunmehr zuzustimmen. Der
Antrag wurde mit allen gegen etwa 10 Stimmen angenommen. Einen
weiteren Gegenstand der Aussprache bildete, die auch in diesem Jahre vom
Vorstand beschlossene Herstellung der Mazzos in einer auswärtigen
Bäckerei. Der Vorstand führte aus, dass auch er, ebenso wie das Rabbinat,
die Notwendigkeit dieses Schrittes aufs Tiefste bedauere, da hierdurch nicht
nur einer sehr großen Zahl von Gemeindemitgliedern aus den Kreisen des
Mittelstandes angesichts der hohen Fahrtkosten die persönliche Anwesenheit
beim Mazzosbacken sehr erschwert wird, sondern auch das Backen von
Schmuro-Mazzos am Erew Pessach nicht möglich ist. Der Vorstand habe ich aber
auch in diesem Falle nicht entschließen können, die Mehrkosten von 150.000
Mark, die durch den Backbetrieb in Frankfurt selbst verursacht worden wären,
dem Gemeindesäckel leichten Herzens aufzuerlegen. Für einwandfreies Kaschrus
sei selbstverständlich absolut gesorgt, da die in Betracht kommende
auswärtige Bäckerei für die Dauer der Backzeit vollkommen in die
Gemeinderegie übergeht. Dennoch sei die Gemeindeverwaltung entschlossen, die
Wiederherstellung des früheren Zustandes mit aller Energie zu erstreben. Auf
eine Anfrage des Herrn Dr. Ehrmann über den Stand der Eruwfrage
erwiderte namens der Verwaltung Herr Sondheimer, dass in dieser
Angelegenheit, die sehr kompliziert sei, festgesetzte Verhandlungen mit den
Behörden schwebten und dass eine in den letzten Tagen eingegangene Antwort
die Möglichkeit eines günstigen Ergebnisses erhoffen lasse.
Anmerkungen: - Herr Rosenheim: David Rosenheim, Rentner, Königsteiner Straße 51 oder Jacob Rosenheim, Verlagsbuchhändler,
Königswarter Straße 11 II oder Julius Rosenheim, Kaufmann, Cornelius-Straße
13 I oder K. Rosenheim, Ingenieur, Mainzer Landstraße 38 oder Otto
Rosenheim, Kaufmann, Gutleutstraße 6 I oder Siegfried Rosenheim, Kaufmann,
Gutleutstraße 6 I
- Geheimrat Dr. Rosenbaum: Dr. med. E. Rosenbaum, Geheimer Sanitätsrat,
Hanauer Landstraße 25
- Leon Sänger: Leon Sänger, Kommiss., Gwinnerstraße 18
- Quadrat: Samuel Wolf Quadrat, Wäschefabrik, Große Friedbergerstraße 25
- Hermann Levi: Hermann Levi, Kaufmann, Cronberger Straße 23 oder
Hermann Levi, Kaufmann, Fichard-Straße 63 Erdgeschoss oder Hermann Levi,
Warenvertreter, Dörnigheimer Straße 9 Erdgeschoss
- Samson Raphael Hirsch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson_Raphael_Hirsch
https://www.deutsche-biographie.de/pnd118774522.html
http://www.judengasse.de/dhtml/P134.htm
- Mizwas:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mitzwa
- Mazzos:
https://de.wikipedia.org/wiki/Matze
- Schmuro-Mazzos:
https://de.chabad.org/holidays/passover/pesach_cdo/aid/1488265/jewish/Schmura-Mazza.htm
- Erew Pessach: Vorabend des Pessachfestes
https://de.wikipedia.org/wiki/Pessach
- Kaschrus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdische_Speisegesetze
- Dr. Ehrmann: Dr. S. Ehrmann, Zahnarzt, Hanauer Landstraße 15 I oder Dr.
Walter Ehrmann, Arzt für innere Krankheiten, Forsthausstraße 52
- Eruwfrage:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eruv
-
Herr Sondheimer: Alfons Sondheimer, Kaufmann, Obermainanlage 16 II oder
Fritz Sondheimer, Kaufmann, Liebigstraße 1 I oder Joseph Sondheimer,
Kaufmann, Rechneistraße 4 oder Max Sondheimer, Kaufmann, Schützenstraße 21
oder Nathan Sondheimer, Kaufmann, Fellner-Straße 5 I |
50-jähriges Jubiläum des Frankfurter Mekor Chajim (1924)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Juni
1924: "Zum 50jährigen Jubiläum des Frankfurter Mekor Chajim -
Frankfurter jüdische Vereine in alter Zeit*
Von Dr. med. Willy Hofmann in Frankfurt a. M.
*Der nachfolgende Aufsatz sollte ursprünglich in der Festschrift des Mekor
Chajim-Vereins erscheinen, konnte aber aus technischen Gründen nicht mehr
aufgenommen werden.
Wenn in Frankfurt ein Verein wie der Mekor Chajim ein Jubiläum begeht, so
dürfte es sich geziemen, den Blick der geschichtlichen Betrachtung nicht nur
in die Vergangenheit dieses Vereins selbst, sondern weithin zurück in
frühere Zeiten schweifen zu lassen. Blühte doch gerade in Frankfurt von
jeher ein reges jüdisches Vereinsleben und ganz besonders die Quellen des
17. Jahrhunderts wissen uns mancherlei Interessantes hierzu zu erzählen. Wir
wollen daher im Folgenden über einige Frankfurter Vereine aus dieser Zeit
und über die Zwecke, die sie mit ihrer Tätigkeit verfolgten, in Kürze
berichten.
Als Vereine ganz besonderer Art müssten wir zunächst diejenigen nennen, die
sich mit der Ausübung tätiger Nächstenliebe befassten, mit Unterstützung
notleidender Brüder, Krankenfürsorge und Liebesdiensten an Verstorbenen. Sie
trugen schon zur Zeit als Rabbi Jesaia Hurvitz Halevi, der Verfasser
des Scheloh, in Frankfurt Rabbiner war, und des Verfassers des Josef Omez,
Rabbi Josef Hahn (Anfang des 17. Jahrhunderts), bestimmten
ausgeprägten Charakter und hatten festgefügte Statuten. Wir gehen indessen
im Rahmen dieser Abhandlung nicht näher auf ihre Geschichte ein, da wir vor
allem solche Vereine schildern möchten, deren Aufgabe darin bestand, für
Lehre und Gottesdienst (Tora weAwoda) zu wirken. Hingegen möchten
wir an dieser Stelle einen Verein aus der Zeit des Josif Omez erwähnen den
wir am besten als Musar- oder Teschuwah-Verein bezeichnen. Er
wurde von Rabbi Josef Hahn selbst gegründet, der uns in der Vorrede zum
Josif Omez darüber näheren Ausschluss erteilt. Bald nach der Wahl und
Krönung des Kaisers Matthias (1609) befand sich die Frankfurter jüdische
Gemeinde in arger Bedrängnis. Es begann in der Stadt zu gären, und es
entstand jene Bewegung, die schließlich zum Fettmilchschen Aufstande führte.
Rabbi Josef Hahn sah Schlimmes voraus; so ließ er denn an seine Freunde und
Schüler den alten Ruf ergehen: Wer für Gott ist, der eile zu mir! Er
forderte sie auf, besonders sorgfältig ihre Handlungen und Lebensweise zu
prüfen, den Weg des Bösen zu verlassen und sich innerlich zu läutern, um
nach altjüdischer Weise durch aufrichtige Rückkehr zu Gott den Versuch zu
machen, das drohende Unheil von der Frankfurter Judenheit abzuwenden. 18
Männer folgten dem Rufe ihres Führers, auch solche von großem Ansehen waren
unter ihnen. Sie schlossen sich zu einem Vereine zusammen, dessen Statut vom
Josif Omez selbst festgesetzt und in einem besonderen Buche aufbewahrt
wurde.
Nur der grundlegende Paragraph wird im Josif Omez näher gewürdigt, da er in
umfassender Weise die Absicht der Genossenschaft kennzeichnet. Jeder
Donnerstag vor dem Rüsttage zum Neumond oder ein anderer Tag, der dazu
festgesetzt wurde, war von den Vereinsmitgliedern in besonderer Weise
begangen samt der darauffolgenden Nacht. Sie fasteten, und ein jeglicher war
verpflichtet, den anderen zurechtzuweisen und ihm alle unrechten Dinge
vorzuhalten, die er im Laufe des Monats bei ihm gesehen oder im Kreise der
Genossen gehört hatte. Diese Zurechtweisung geschah unabhängig von der
Pflicht, die jedem Jehudi (Juden) auferlegt ist, seinen Nächsten
sogleich, wenn er bei ihm ein Unrecht sieht oder hört, darauf aufmerksam zu
machen. Der Zurechtgewiesene durfte zunächst nichts zu seiner Entschuldigung
erwidern, bis drei Tage vergangen waren. Diese Anordnung entsprach einer
gleichen in Safed in Palästina üblichen. wie sie in dem Buche Tozaat
Chajim berichtet wird.
Der Josif Omez hebt hervor, wie groß die Zahl der guten Taten war, die so
veranlasst wurden. Viel segensreiche Arbeit hat infolgedessen dieser Verein
geleistet. Er bestand bis zum Marcheschwan des Jahres 1614, in diesem Jahre
erfolgte bekanntlich die Vertreibung der Juden aus Frankfurt.
Vom Jahre 1632 bis 1642 wirkte in Frankfurt als Rabbiner Rabbi Scheftel
Hurwitz Halevi, der Sohn des oben erwähnten Rabbi Jesaja (Scheloh).
Er verfasste das bekannte Werk, Wowe hoamudim, das er in seiner
Bescheidenheit nur als eine Art Anhang zu dem großen Werk seines Vaters
herausgab. In diesem Buch finden wir an mehreren Stellen Anhaltspunkte über
Frankfurter Vereinstätigkeit. Was besonders interessant dabei erscheint,
ist, dass auch die damaligen Lernvereine schon dieselben Stoffe in ihren
Kursen und Schiurim behandelten, wie es heute noch der Mekor Chajim und
unsere Lernvereine überhaupt tun. Vor allem suchten sie auch den im
Berufsleben Stehenden, wie dem Kaufmann und anderen, Gelegenheit zum Lernen
zu geben. Wir lesen darüber im Amud Hatauroh, Abschnitt 5, in dem
über die Verpflichtung zum Torastudium gesprochen wird, Folgendes: Darum
gehört es sich für jedermann in Israel (gemeint ist hier: 'innerhalb der
jüdischen Gemeinschaft'), dass er sich mit den Worten der Lehre
beschäftige, auch der Geschäftsmann soll sich eine bestimmte Stunde hierfür
Tag für Tag auswählen, er soll sich einen Genossen suchen oder sich einem
Vereine anschließen, damit man lerne. Und als ich Vorsitzender des Gerichts
oder Vorsteher des Lehrhauses (dies war der offizielle Titel des Rabbiners)
(mit dem 'Lehrhaus' ist damit die Synagoge, auch 'Schul' genannt,
gemeint) in der heiligen Gemeinde Frankfurt war, bestand dort der
Brauch, dass sich an jedem Tage, wenn der Mittag kam, kleine Gruppen,
Abteilungen und Vereine zusammenfanden. Jede Gruppe hatte als Vorsitzenden
einen Lehrer, der ihr vortrug, je nach Weisheit und Einsicht, danach wurde
Rabbonon Kaddisch gesagt und in die Büchsen eine Münze
geworfen. So erfreute man mit diesem Gelde Gott und die Menschen. Heil dem
Auge, das dies alles ansehen durfte!
Wir haben hier also regelmäßige Mittagsschiurim und Lernen in kleinen
Zirkeln, ganz besonders sei aber auf den Minhag hingewiesen, bei jedem
Schiur etwas für Zedakah zu geben. Er wäre wohl auch heute noch am Platze!
Im Anschluss an diese Beschreibung wird die Lehrmethode von Amsterdam
gerühmt, die Rabbi Scheftel bei seiner Übersiedelung von Frankfurt nach
Posen kennenlernte. Er machte hierbei eigens einen Umweg über Amsterdam.
Dort lernten die Kleinen systematisch zuerst die ganze Thauro (Tora),
dann Tennach (Abkürzung für Tora, Propheten und Schriften), dann
Mischnajoth, erst wenn sie größer wurden, auch Talmud. All dies wurde
ebenfalls in vielen Einzelabteilungen gelernt und zwar waren diese durch
Wände voneinander getrennt.
Auch damals wurde schon morgens nach dem Gottesdienste Mischnajoth gelernt.
Dieser Brauch kam von Prag her, es lag ihm die Absicht zugrunde, überhaupt
etwas zu lernen und ganz besonders auch Geläufigkeit in der Mischnah zu
erlangen. Man lernte in der Synagoge, damit man es nicht so schnell
vergesse. Hierbei dachte man auch an die Erfüllung des Psalmverses ('Sie
gehen von Kraft zu Kraft', Psalm 84,8) sie gehen von einem Werke der
Kraft zum anderen, darum sollte dem Gebete unmittelbar das Torastudium
folgen. Die Art und Weise, wie indes gelernt wurde, missfiel Rabbi Scheftel
so sehr, dass er von einer Schaaruria (= Skandal), etwas
Abscheulichem, spricht. Er sagt: Ich habe manche Leute gesehen, die den
Perek Mischnajoth lernen, ohne vorher irgendwie über das Lernen
nachzudenken. Sie kommen manchmal in die Synagoge mitten im Gebet oder fast
zu dessen Ende. Dann beeilen sie sich, den Abschnitt Mischnajoth während des
Gebetes, zu lesen, damit sie später noch am Lernen des Vereins teilnehmen
können, ihr Gebet aber haben sie noch nicht verrichtet. Manchmal liest man
den Perek während der Zeit des Gebetes, ein Auge ist auf das Mischnajoth
gerichtet, und ein Auge schweift umher, in Gedanken auf den Gegenstand des
Lernens gerichtet, um Gebet und Lernen zu vereinen, in Wahrheit aber kommen
beide nicht zurecht, und keines tritt dem anderen nahe. Und wie oft habe ich
diejenigen gescholten, die diesen Weg gehen, denn die Thauro (Tora) hat ihre
Zeit für sich und das Gebet ebenfalls. Darum gehört es sich, solchen
Männern, die so handeln, zu wehren und sie zu schelten, denn dies ist kein
Lernen um seiner Selbst willen; lieber soll man den Perek zuhause lesen oder
vor dem Gebet miteinander verknüpft und verbunden ebenso wie die Flamme mit
der Kohle. Man sieht also, dass sich der Autor hier vor allem auch gegen ein
gedankenloses Lernen der Mischnah oder ein bloßes Heruntersagen wendet, |
um
nur ohnehin der Pflicht des Lernens Genüge getan zu haben: Die Vorbereitung,
die von ihm verlangt wird, soll selbstredend dazu dienen, dass das Gelernte
auch vom Zuhörer verstanden wird.
In der 'Säule des Gottesdienstes', Abschnitt 10, tadelt der Verfasser, dass
es so viele gäbe, die auch den Sinn der Gebete, die sie sagten, gar nicht
begriffen. Um diesem Missstand zu begegnen, habe er, als er Rabbiner in
Frankfurt war, eine große Einrichtung (Tickun godaul) getroffen. Alle
Mitglieder der Chewra-Kadischa sollten sich in besonderen Vereinen
zusammenschließen, um die Gebete zu lernen, von Anfang bis Ende des Jahres,
ebenso die Pijutim und die Selichaus mit Erklärungen, oder wenigstens die
Bedeutung der Worte, damit sie die Gebete nicht plappern wie zwitschernde
Vögel. Erst dann wird ihnen das Gebet auch nützen. Wir haben somit die
Begründung von Kursen und Vorträgen über Tefilla, Pijutim und Selichaus,
ganz wie sie heute noch bestehen.
Der Mekor-Chajim-Verein hat es verstanden, sich in würdiger Weise seinen
alten Vorbildern anzuschließen und deren Traditionen bis in unsere Tage zu
wahren. Merkwürdig ist, dass auch damals die äußeren Verhältnisse denkbar
ungünstig waren, es sind ja die Zeiten des unheilvollen 30jährigen Krieges,
die über ganz Europa so viel schweres Leid brachten. Und doch sehen wir, wie
hell in Israel (gemeint ist hier die jüdische Gemeinschaft)
damals das Licht der Tora strahlte, dass die damaligen Führer unbeirrt von
der Ungunst der Zeit, ihren Weg für Tora und Awaudoh (Lehre und
Gottesdienst) gingen. Auch heutzutage liegen die Zeiten für das jüdische
Volk äußerlich nicht günstiger. Und darum haben wir erst recht die Pflicht,
wie der Josif Omez und wie Rabbi Scheftel und alle anderen Großen jener Tage
für uns im Innern zu sorgen, auf dass hell das Licht der Tora leuchte.
Möge es auch dem Mekor Chajim-Verein beschieden sein, hierzu beizutragen,
möge er als Lernverein weiter dafür sorgen, dass bald die Geulah (Erlösung)
komme. Amen.
Der Toten Vermächtnis*) Von Studienrat Max Munk.
*Zum 50jährigen Jubiläum des Mekor Chajim überreicht der Verein seinen
Mitgliedern und Freunden eine Festschrift, die auf 114 Seiten, neben
der Chronik des Vereins, Mitteilungen und anschauliche Schilderungen aus
seiner Tätigkeit während des Krieges usw. wissenschaftliche Aufsätze
enthält. Einer derselben sei hier wiedergegeben.
Die Stimmen der Toten sprechen zu uns aus dem Grabe. In dieser Stunde wollen
wir ihnen lauschen. Was sie geduldet und ertragen, brauchen sie uns nicht
künden. Wir glauben, es zu wissen. Doch was sie an innerem Erleben, an
tiefem Sinnen und Denken mit hinübernahmen, dies Vermächtnis wollen wir
heute empfangen. Wer gleich ihnen das Wüten des Krieges gesehen, wer gleich
ihnen dem Tod ins Auge schauten, steht ihnen am nächsten, weiß am besten,
welche Probleme ihnen das grausige Bild da draußen stellte. Nur selten fand
der Geist der Ruhe zu innerer Sammlung. Der Sturm des Kampfes, das ewige Hin
und Her, die Aufgaben des Augenblicks ließen keinen Raum für Gedanken, die
über den Augenblick hinausragten. Nur hier und da gewährte auch dort die
Stunde der Muße zur tieferen Erfassung des Geschehens, zum Fragen und Suchen
nach dem Sinn dieser großen, schrecklichen Zeit. In eine solche Stunde
wollen wir uns versetzen.
In heller Mondnacht steht der Posten vor dem Feind. Da ist keine
Kampfhandlung zu befürchten. Jede Bewegung würde den Feind sofort verraten.
Das milde Mondlicht spendet auch hier Ruhe und Frieden. Nun mag der Blick
sich getrost nach innen wenden. Nun mag der Geist Halt machen im ewigen
Vorwärtsblicken und rückschauend fragen: Was ist die Ursache dieses großen
Kämpfens, was überhaupt treibt die Völker gegeneinander, warum leben sie
nicht friedlich miteinander, warum gibts für die Menschheit kein Paradies
auf Erden? - Warum kein Paradies? Warum wurden die ersten Menschen aus dem
Paradies vertrieben? Sollte nicht die Ursache ihrer Vertreibung auch die
Ursache allen weiteren Unglücks sein?
(1. Mose 3,17 hebräisch und deutsch:) 'Weil du von dem Baume aßest, von
dem ich dir befahl, nicht zu essen,' wegen dieser Sünde verlor die
Menschheit das Paradies. Warum aber versagte der Mensch dem göttlichen
Gebote den Gehorsam?
(1. Mose 3,6 hebräisch und deutsch:) 'Weil der Baum gut zur Speise und
eine Lust für die Augen und köstlich der Baum für die Betrachtung war.'
- Der Mensch war in den Garten des Paradieses gesetzt (hebräisch und
deutsch) 'ihn zu bearbeiten und zu behüten'. Eine göttliche
Aufgabe war ihm gesetzt. Und die Früchte des Gartens waren ihm zum
Genuss gegeben. Nur eine Frucht war ihm verboten. Hier sollte es sich
entscheiden, ob er sich der Aufgabe gewachsen und sich stark genug zeigen
werde, die von Gott gesetzte Schranke innezuhalten. Ob er sich stets als
Gottes Geschöpf und Gottes Diener fühlen werde, ob es ihm höchste Aufgabe
sein werde, Gottes Willen zu erfüllen, oder ob es ihm höheres Ziel
sein werde, dem Genuss sich hinzugeben, sich selbst die Zäle seines
Wollens zu setzen, zu vergessen, dass ein Höherer ihn ins Leben rief, der
ihm Aufgaben und Schranken legte. Und indem der Mensch von der Frucht des
Baumes aß, siegte sein Ich über die göttliche Stimme. Hier vollzog sich die
völlige Umkehrung in der Stellung des Menschen zu Gott. Nicht mehr ist Gott
der Herr der Welt und des Menschen, sondern der Mensch ist der Herr der Welt
und sein eigener Herr. Er hat sich von seinem Schöpfer und Vater losgesagt
und sich damit selbst zum Gott gemacht. So verlor er das Paradies.
Hat die Menschheit von diesem Sündenfall gelernt? Begreift sie es als
höchste Stufe der Entwicklung sich von der Hand des ewigen Vaters führen zu
lassen? Mitnichten! Seit dem stolzen Wort beim Turmbau zu Babel (hebräisch
und deutsch:) 'Wir wollen uns einen Namen machen', hat die ganze
Menschheit, hat jedes Volk, das zum Lebensmotto gewählt, was das erste
Menschenpaar zur Richtschnur seines Handelns machte. Die eigene
Einsicht soll die Wege zeigen, die zum vermeintlichen höchsten Glück, zur
höchsten Vollkommenheit führen. Streben nach Besitz und Macht, nach Macht
des Einzelnen, nach der Macht des Staates, das war und ist das Hochziel
aller Arbeit. Die Staaten setzten sich zum Gott ein für ihr Volk, ihr Wille,
ihre Machtentfaltung ist höchste Aufgabe des Volkes. Dass ein Gott aller
Völker Vater ist, ist ein Gedanke, der keinen Raum gewinnt, wenn der
Schwache des Starken Größe Eintrag tut. Wer die Macht hat, hat das Recht.
Kann da Frieden herrschen zwischen Volk und Volk? 'Das in geheimnisvoller
Macht sich immer neu schärfende Schwert' (deutsch und hebräisch) wie es
an den Pforten des Paradieses seinen Ausgang nahm, wandelt seitdem über die
Erde, wandelt als Fluch für die Menschen, geboren aus ihrer irrenden Sünde,
um sie zu strafen für den stolzen Gedanken des göttlichen Vaters und Leiters
entraten zu können. Wandelt aber nicht nur als Strafe, wandelt auch als
Mittel der Erziehung des Menschengeschlechtes, dass sie lernen, welches
Unglück, welchen Jammer ihr eitles Denken im Gefolge hat, und das aus dieser
Not sich zurücklehnen ins Paradies, zum Baum des Lebens. Je ärger das Leid,
um so klarer muss die Erkenntnis werden, dass der alte Weg verlassen und ein
neuer gesucht werden muss.
Und auch hier hat uns Gott seine Hilfe geschenkt. Er ließ von den Pforten
des Paradieses außer dem erziehenden Schwert auch die 'Cherubim' ausgehen,
die Engel, 'die den Weg zum Baum des Lebens behüten sollen.' Cherubim sind
alle Großen, die Funken göttlichen Lichts in die Zeiten tragen; Cherubim die
großen Dichter und Denker, die ewige Wahrheit ins Herz der Menschheit
pflanzten. Ja, jeder ist berufen, als Cherub mitzuwirken an der Erlösung der
Menschheit. Uns Juden vor allem ist diese Aufgabe gestellt. In vollendetem
Bild stand sie vor uns als Symbol im Heiligtum. Zwei Cherubim erhoben
schützend ihre Fittiche über der heiligen Lade, in der Gottes Gesetz ruhte.
Ihre Augen waren aufs Gesetz gerichtet und blicken zugleich flehend einander
an. Sie verkünden damit als Aufgabe des jüdischen Volkes: Hut des göttlichen
Wortes und Menschenliebe. Nur aus dem Gehorsam gegen des Vaters Wort kann
die Liebe der Kinder zueinander erblühen. Wer daran mitarbeiten will, an der
Gewinnung des ewigen Friedens, stelle sich ganz in den Dienst Gottes und
entthrone das Irdische im Menschen von seiner stolzen, eitlen Höhe.
So mag sich der Sinn der Weltgeschichte und der Menschenaufgabe dem Auge des
jüdischen Kriegers dargeboten haben. Es ist die alte, ewig neue Lehre vom
Kampf gegen das immer neu entstehende Schwert. Noch trennt es Volk von Volk,
noch tötet es, trennt die Seele vom Körper und lässt sie nur einziehen ins
Paradies.
Darum dringt umso lauter der Ruf dieser abgeschiedenen Seelen als ihr
Vermächtnis an unser Ohr: Lernt besiegen die Zauberkraft des schier
unsterblichen Schwerts, seid Cherubim in Treue zu Gott und Liebe zu den
Menschen! So nur bahnt ihr hineieden den Weg ins Paradies, zum Baum des
Lebens.
Aus der Chronik des Frankfurter Mekor Chajim - Gründung und erste
Entwicklungsjahre
Die Männer, die im Jahre 1850 die Gemeinde Adaß Jeschurun in
Frankfurt am Main gegründet und deren Geschick 1851 in die Hand von Gott
zu großen jüdischen Aufgaben hergesandten Rabbiners Samson Raphael Hirsch
- das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen - legten, wussten es, wie
ihr großer Führer, dass von den drei Grundlagen eines wahrhaft jüdischen
Gemeinwesens Tora an erster Stelle stehen muss. Als Wahrzeichen der
neuen alten jüdischen Gemeinde stand bald neben der Synagoge 1853
eine Schule, die über das allgemeine Ziel der Realschule (gemeint ist die
Samson-Raphael-Hirsch-Schule) hinaus den Geist zu pflegen hatte, aus dem
das ganze geboren war, den Geist, wie er nach Talmudverklärung aus dem
Psalmworte hervorleuchtet 'Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge
hast Du Dir Macht bereitet'. Sollte aber die Jugend Trägerin der
jüdischen Zukunft sein, so musste ihr Gelegenheit geboten werden, in
reiferem Alter das in der Schule Erworbene zu vertiefen und zu mehren. Es
musste aber auch den auswärtigen jungen Leuten, die den Anschluss an die
Kehillah suchten, Gelegenheit zu gemeinsamem Lernen gegeben werden. Aus
dieser Notwendigkeit entstand aus den Kreisen der Jüngeren der Verein
Mekor Chajim.
Wackere, tatkräftige Männer nahmen sich der Idee mit der ganzen Glut ihres
Herzens an. Wir nennen hier von den Gründern: Emanuel Beer - das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen, der bis zu seinem früh
erfolgten Tode (1878) auch Präsident des Vereins war, während ihn
Rabbiner S.R. Hirsch - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen
- als Ehrenvorsitzender erhöhten Glanz verlieh. Die ersten Statuten
waren entworfen, die ersten Lehrpläne versuchsweise ausgestellt, und am 12.
Siwan 5634 (28. Mai 1874) konnte die Lehrtätigkeit des Vereins mit einem
Vortrag von Samson Raphael Hirsch - das Andenken an den Gerechten ist zum
Segen - eröffnet werden, der einleitend seiner Freude über die Gründung
– nach Aufzeichnung eines Ohrenzeugen - mit folgenden Worten Ausdruck gab:
'Sie werden es mir glauben, meine Herren, dass ich die Gründung eines
Vereins wie des Ihren, in dieser Zeit, unter diesen Umständen, von Leuten
Ihres Alters mit keiner geringen Erregung von Freude und Hochgefühl begrüße.
Ich habe es nicht nötig, ein so großes Streben mit meinen schwachen Worten
zu segnen – es ist gesegnet, es ist geadelt
|
Abbildungen: Die alte Synagoge mit dem Gemeindehause, dem ersten
Vereinslokale in der Schützenstraße
Innenansicht des gegenwärtigen Vereinslokals Langestraße 18
bis auf ewige Zeiten. Heißt es ja von einem solchen Zusammentreffen von
Menschenwesen zu diesem hohen Zweck (Malechi 3,16) 'Einst bereden sich,
die den Ewigen fürchten, miteinander, und der Ewige vernimmt und hört es...'
Noch höher als das Selbstlernen ist die Bemühung für das Lernen anderer
gekennzeichnet. 'und sie sollen mir sein, spricht der Ewige der
Heerscharen' diese Menschen sind mein, spricht 'der Ewige der
Heerscharen', auf sie werde ich rechnen können, überall und zu allen
Zeiten 'für den Tag, den ich als ein Eigentum schaffe, und ich werde sie
schonen, wie ein Mann seines Sohnes schonet, der ihm dient.' (Maleachi,
3, 15-17) Betrachten Sie es nie als etwas Geringfügiges, was Sie
unternommen; werden Sie nicht irre an Ihrem Werke und lassen Sie es nicht
bei dem Vorsatze bewenden – dann wird Gott Ihr Wirken segnen, dass es
Früchte bringe und darauf können wir von ganzem Herzen Amen sagen.'
'Ehrenvorsitzender' sollte für Rabbiner S. R. Hirsch kein bloßer Titel sein,
er wollte in der Tat ersten Anteil an der geistigen Arbeit des
Vereins haben und begann gleich nach dessen Begründung mit einem
Vortragszyklus über die Gesetzeslehre, den er so lange es ihm seine Kräfte
gestatteten, durch all die Jahre fortsetzte. Neben ihm wirkte als Dozent
Rabbiner S. Fromm - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen,
der je am Sabbatnachmittag aus Mizwot Haschem lernte und Karl
Guggenheim mit einem vielbesuchten Mischnajot-Schiur.
Dieser Mischna-Schiur wurde, nachdem in Karl Guggenheim im
vorgerückten Alter aufgegeben hatte, von Herrn Dr. Jonas Bondi
weitergeleitet. Von Anfang an hielt Direktor Dr. Mendel Hirsch -
das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - je am Sabbat nach dem
Morgengottesdienste seine beliebten und stark besuchten Tehillim-Vorträge.
Den Gemoro-Unterricht übernahm in der Folge Herr Rabbinatsassessor Gerson
Posen.
Im Vorstande des Mekor Chajim saßen nach der Gründung neben dem erwähnten
Emanuel Beer s.A., Jonas Bing und Perez Posen, ebenso die
Herren Jakob Strauß, Emil Schwarzschild und Gustav Altmann,
die sich um die Gründung sehr verdient gemacht hatten. Nach dem 1878
erfolgten Tode Emanuel Beers übernahm Jonas Bing das Präsidentenamt,
das er bis 1882, da er seinen Wohnsitz nach Hamburg verlegte, innehatte. Als
sein Nachfolger wirkte kurze Zeit Perez Posen, dann 1883 – 1887 Herr
Maximilian Michel. Seit 1887 bis zum Abschluss des ersten
Vierteljahrhunderts führte Herr Josef Wohlfahrt als erster
Vorsitzender die Geschäfte des Vereins.1902 übernahm Herr Markus Hirsch
die Führung des Vereins, er gab sie 1910, nachdem schon der Verein einen
hohen Blütenstand erreicht hatte, an Nathan Hamburger weiter, der mit
bekannter Aufopferung bis zu seinem früh erfolgten Tode (Sukkaus 5684;
Laubhüttenfest/Sukkot 1923) seines Amtes waltete.
Zur Zeit wirken im Vereine sieben ständige Dozenten, und zwar die Herren
Ehrenpräsident Rabbiner Dr. S. Breuer (gelegentliche
Schulchan-Aruch-Vorträge), Rabbinats-Assessor G. Posen (Gemoro
Traktat Chullin), Rabbiner Dr. Jos. Breuer (Gemoro Traktat
Schabbat. Jecheskiel und Piutim), Rektor B. Falk (Dinim
und Mischna), H. Halpern (Schass = Talmud), Redakteur
Schachnowitz (Ein Jaakow und jüdische Geschichte), Professor A. Weyl
(Nebiim - Propheten). Im Winter und in der Omerzeit, bei besonderen
Anlässen im Sommer und vor den Feiertagen, ist der Sonntagabend für die
Lehrtätigkeit gut ausgenützt. Sommer wie Winter wird allmorgendlich nach
Schul (Gottesdienst) Mischna gelernt (Mitgliederlernen), bzw. 'Mizwas
Haschem' und Dinim. Diesem Morgenlernen schließen sich die
Jahrzeitstiftungslernen an. Im Winter haben die Mikro-Vorträge am
Freitagabend und im Sommer die Midrasch-Vorträge eine Stunde vor
Sabbatausgang stets ein volles Haus. Im übrigen geben ein klares Bild über
den derzeitigen Lehrbetrieb im Mekor Chajim die an anderer Stelle regelmäßig
abgedruckten Lehrpläne und Ankündigungen des Vereins.
Zur Entstehungsgeschichte des Mekor Chajim.
Zum ersten Teile der Chronik in der Festschrift geht uns von Mitbegründern
nachstehende wertvolle Ergänzung zu:
Im Hotel Ulmann in der Allerheiligenstraße kamen die auswärtigen
jungen Leute zusammen, die, sofern sie gemeinsame religiöse und geistige
Interessen haben, eng zusammenhielten. Unter ihnen waren auch die Herren
Jakob Strauß und Emanuel Beer, von denen die erste Initiative
ausging. Die bessere Gesellschaft von Frankfurt war damals ziemlich exklusiv
und es fiel den auswärtigen jungen Leuten schwer, Anschluss zu finden. Zum
gemeinsamen Lernen hatten diese kaum Gelegenheit. Der Hamburger 'Mekor
Chajim' bestand damals schon, und die jungen Leute waren sich darüber einig,
dass hier etwas Ähnliches geschaffen werden müsste. Man wandte sich an die
Gemeindeverwaltung und fand auch die Zustimmung des Herrn Emanuel
Schwarzschild. Zusammen mit dessen Sohn, Herrn Emil Schwarzschild,
begab sich dann Herr Jakob Strauß zu Rabbiner S.R. Hirsch -
das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - und beide trugen dem Herrn
Rabbiner den Plan vor, der ihn mit solch glühender Begeisterung aufnahm,
dass man, nachdem der Herr Rabbiner auch seine Mitwirkung versprochen hatte,
sofort an die Gründung treten konnte. Der ersten Verwaltung gehörten neben
den in der Festschrift Genannten, auch die Herren Emil Schwarzschild
- das Andenken an den Gerechten ist zum Segen, Gustav Altmann
und Jakob Strauß an. Wie sehr ursprünglich der Verein nur für die
Jugend und vornehmlich für die auswärtige, gedacht war, beweist die
Bestimmung der ersten Statuten, dass mit der Verheiratung eines Mitglieds
seine Mitgliedschaft aufhört.
Ein Gruß von der Kanzel
Zu seiner auch an sich ungemein wirkungsvollen Predigt am zweiten
Schwuaustage (2. Tag von Schawuot, Wochenfest), von der man nur wünschen
könnte, dass sie in Druck späteren Zeiten erhalten bleibe, kam Herr
Rabbiner Dr. S. Breuer - sein Licht leuchte - zum Schlusse auch
auf den Mekor Chajim zu sprechen, würdigte in kurzen, eindringlichen
Worten seine fünfzigjährige segensvolle Wirksamkeit zur Verbreitung der
Toralehre und verband seine Wünsche für die Zukunft des Vereins mit der
Hoffnung, dass es ihm gelinge, zur Erfüllung des Bibelworts beizutragen: 'und
all deine Kinder sind Lehrlinge des Ewigen, und groß ist der Friede deiner
Kinder' (Jesaja 54,13)!
Die Jubiläumsfeier.
Für die akademische Feier Sonntagvormittag 5.45 Uhr im großen Saalbau ist
folgendes Programm vorgesehen:
1. Chorgesang
2. Vorspruch
3. Begrüßung
4. Festrede
5. Chorgesang
6. Dozentengruß
7. Ansprache
8. Schlussgesang
Abends 6 Uhr in der Frankfurt-Loge beginnt die Veranstaltung mit dem
Auslernen der (Hebräisch). Während der darauffolgenden Festtafel werden
Ansprachen gehalten, ebenso Rezitationen und Gesangsvorträge geboten.
Anmerkungen: - Rabbi Jesaia Hurvitz Halevi:
http://www.judengasse.de/dhtml/F037.htm
-
Scheloh: Die zwei Tafeln des Bundes
-
Josef Omez: Buch von Juspa Hahn
https://de.wikipedia.org/wiki/Juspa_Hahn
-
Rabbi Josef Hahn:
https://de.wikipedia.org/wiki/Juspa_Hahn
http://www.judengasse.de/dhtml/P110.htm
http://www.judengasse.de/dhtml/F032.htm
-
Kaiser Matthias:
https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_(HRR)
-
Fettmilchscher Aufstand:
https://de.wikipedia.org/wiki/Fettmilch-Aufstand
-
Safed: wichtiger Ort jüdischer Gelehrsamkeit
https://de.wikipedia.org/wiki/Safed
-
Marcheschwan:
https://de.wiktionary.org/wiki/Marcheschwan
-
Rabbi Scheftel Hurvitz Halevi:
http://www.judengasse.de/dhtml/F037.htm
-
Schiur:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schi'ur
-
Amud Hatauroh:
https://de.chabad.org/library/howto/wizard_cdo/aid/853873/jewish/Der-Amud-Lesepult.htm
-
Rabbonon Kadisch: Kaddisch der Rabbiner
-
Büchsen:
https://sammlung.juedischesmuseum.de/objekt/spenden-b%C3%BCchse-zedaka-b%C3%BCchse/
-
Schiurim: Plural von Schiur
-
Minhag:
https://de.wikipedia.org/wiki/Minhag_(Judentum)
-
Zedakah:
https://de.wikipedia.org/wiki/Zedaka
-
Thaura = Tora
https://de.wikipedia.org/wiki/Tora
-
Tennach:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tanach
-
Rischnajoth: Mischnajot
https://de.wikipedia.org/wiki/Mischna
-
Perek Mischnajoth:
https://de.wikipedia.org/wiki/Traktat
-
Mischnah:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mischna
-
Chewra-Kadischa:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
-
Pijutim:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pijjut
-
Selichaus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Slichot
-
Geulah:
https://en.wikipedia.org/wiki/Atchalta_De%27Geulah
-
Samson Raphael Hirsch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson_Raphael_Hirsch
-
Samson-Raphael-Hirsch-Schule:
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson-Raphael-Hirsch-Schule
https://www.juedischesmuseum.de/de/lernen/detail/die-samson-raphael-hirsch-schule-in-frankfurt-am-main/
http://www.lilit.de/kabbala/frankfurt/Samson_Raphael_Hirsch_Schule.htm
https://scripta.bbf.dipf.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:0111-bbf-spo-19042286
-
Kehillah: jüdische Gemeinde, Gemeinschaft
-
Maleachi:
https://de.wikipedia.org/wiki/Maleachi
-
Gemora:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gemara
-
Tehillim:
https://www.talmud.de/tlmd/tanach/tehillim-psalmen/
-
Schulchan Aruch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schulchan_Aruch
-
Omerzeit:
https://de.wikipedia.org/wiki/Omer-Z%C3%A4hlen
-
Mizwas Haschem: religiöse Handlungen zu Ehren Gottes
-
Dinim: Gesetze
-
Midrasch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Midrasch
-
Sabbatausgang
https://sammlung.juedischesmuseum.de/objekt/lichtsegen-bei-schabbatausgang/
-
Zwei Reformsynagogen:
https://www.alemannia-judaica.de/frankfurt_hauptsynagoge.htm und
https://www.alemannia-judaica.de/frankfurt_synagoge_westend.htm
-
Saalbau: Konzerthaus mit 1.800 Plätzen in der Junghofstraße
-
Rabbiner S. Fromm: Rabbiner Seligmann Fromm
https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/bio/id/3264
-
Rabbinatsassessor G. Posen: Gerson Posen, Sandweg 44
-
Karl Guggenheim
-
Dr. Jonas Bondi:
https://www.deutsche-biographie.de/sfz49069.html Mainstraße 7
2
-
Dr. Mendel Hirsch: Dr. phil. Mendel Hirsch, Lehrer an der Realschule der
Israelitischen Religionsgesellschaft, Schützenstraße 1 p.
-
Jakob Strauß: unklar (Jacob Strauss, Sp. Bank und Wechselgesch.,
Brönnerstraße oder Jacob Strauss jun., Kaufmann, Bankgesch. Töngesgasse 10t
oder Jacob Strauss, Geflügelhändler, Breitegasse 42 oder Jacob Strauss,
Geflügelhändler, Judengasse 99 oder Jacob Strauss, Priv. Fahrgasse 804
-
Emil Schwarzschild: Emil Schwarzschild, Bank- und Wechselgesch., Rossmarkt 3
-
Perez Rosen: Perez Posten geb. Lange, Witwe, Privatiere, Am Schützenbrunnen,
13 pf.
-
Maximilian Michel: Maximilian Michel, unbeeid. Börsensensal, Inhaber des
Nachschlagbureau 'Glück auf', Zeil 10/122
-
Josef Wohlfahrt: Joseph Wohlfahrt, Kaufmann, Palmstraße 113
-
Markus Hirsch: Marcus Hirsch, Kaufmann, Windeckstraße 82
-
Rabbiner Dr. S. Breuer: Rabbiner Dr. Salomon Breuer, Friedberger Anlage 4,
Erdgeschoss; genealogische Informationen
https://www.geni.com/people/Salomon-Breuer/6000000003788875284 (Dr.
Breuer war ein Schwiegersohn von Samson Raphael Hirsch; er hatte dessen
Tochter Sophie geheiratet). Sein Sohn Raphael Breuer war seit 1890 als
Nachfolger Hirschs Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft in
Frankfurt, ein anderer Sohn war der im Text oben gleichfalls genannte Joseph
Breuer, der auch Rabbiner war.
-
Rektor B. Falk: Benjamin Falk, Bären-Straße 11
-
Halpern: Emil Halpern, Kaufmann, Schiller-Straße 18 oder Herz Halpern,
Lehrer, Rückertstraße 45 III
-
Redakteur Schachnowitz: Selig Schachnowitz, Windeckstraße 60 III
-
Professor A. Weyl: Prof. Adolf Weyl, Studienrat, Rückertstraße 44
-
Prof. Dr. A. Sulzbach: Prof. Dr. Abraham Sulzbach, pension. Oberlehrer,
Baumweg 37 Erdgesch. |
Beiträge zur Geschichte der Synagoge Friedberger Anlage
Zum Neubau einer zweiten Gemeindesynagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft (1900)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. Mai
1900: "Frankfurt a. M. 16. Mai. (Der projektierte Neubau
einer zweiten Gemeindesynagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft).
Im Jahre 1901 ist ein halbes Jahrhundert dahingegangen, dass die
Israelitische Religionsgesellschaft zu Frankfurt a. M. ins Leben getreten
ist. Es war eine schwere, ernste Zeit, in der ihre Gründung sich vollzog;
neuerungssüchtige Reform wütete in rücksichtslosem Fanatismus gegen das
alte, überlieferte Judentum, mit eisigem Spotte, mit giftigem Hohne jede
noch so winzige Regung des gesetzestreuen Judentums erstickend. Jire at
schetisaw war die Losung der Pflichtvergessenen, wenn erst die paar
Alten, die noch in hartnäckiger Verblendung am Religionsgesetz hängen – so
sprach man – dahingegangen sein werden, dann gehört das alte Judentum einer
begrabenen und zu begrabenden Vergangenheit an. Es ist schwer für die
heutige Generation, sich hineinzudeuten in die Schwierigkeiten, die den
wenig Frommen in den Weg gelegt wurden, schwer, sich die Opfer vorzustellen,
die gewissenhafte Eltern bringen mussten, um ihre Kinder vor den Fängen des
Abfalls (sc. vor der liberalen Richtung) zu bewahren. Schule und
Kanzel waren im Dienste der Reform, die Mikwoh (Mikwe, rituelles Bad)
von frevelhaften Händen zugeschüttet worden, und alle sonstigen religiösen
Institutionen in trostlosem Zustande. Doch lau litausch haschem eß ammau,
in der Brust von elf rein gebliebenen Männern weckte er die Begeisterung,
ließ sie zusammentreten, um die alte Frankfurter Killoh, jene
Gemeinde, in der Jiro und Emunoh, Gottesfurcht und treue
Anhänglichkeit an die Thauro zuhause waren, wieder aufzurichten. Schwer war
das Wort, kühn das Vorhaben, aber sie wagten es, die kleine begeisterte
Schar, sie wagten den Kampf - und errangen den Sieg.
Wem kämen nicht diese rückblickenden Reflektionen in den Sinn, in dem
Momente, wo die Synagogengemeinde 'Israelitische Religionsgesellschaft' sich
anschickt, eine zweite Synagoge zu erbauen. Ja, das Unerwartete ist |
Ereignis
geworden. Der einmal winzige Kreis der im Jahre 1851 bei seiner Gründung das
Tageslicht scheuen musste, der seinem großen Führer Samson Raphael Hirsch
s.A. bei seinem Einzuge in Frankfurt als Stätte seines Wirkens lediglich
zwei armselige Stübchen anbieten konnte – er ist unter der begeisterten und
begeisternden Führung des unsterblichen Meisters gewachsen von Jahr zu Jahr
– derart, dass das große Gotteshaus in der Schützenstraße, das wohl kein
gläubiger Jude, der in Frankfurt sich aufhält, aufzusuchen versäumt, zu eng
geworden ist, um die immer größer werdende Zahl der Mitglieder zu fassen.
Schon seit einigen Jahren harrte eine große Zahl auf Sitzplätze, ohne dass
es möglich ist, auch nur den kleinsten Teil der Wünsche zu befriedigen.
Obwohl die Verwaltung der Religionsgesellschaft sich der Befürchtung nicht
verschließt, dass das einheitliche Band, welches alle Glieder derselben
umschließt, durch eine Teilung der Synagogenbesucher sicherlich gelockert
wird – bildet ja die Religionsgesellschaft ihrer heutigen Konstruktion nach
– eine einheitliche Familie, so glaubt sie doch der Entwicklung der
Großstadt dahin Rechnung tragen zu müssen, dass sie sich entschlossen hat,
eine zweite Synagoge (gemeint neben der
Hauptsynagoge) zu erbauen. Geradezu glänzend bewährt sich bei dieser
Gelegenheit die so oft erprobte Opferfreudigkeit, dieser Ir w’ehm
bjisroel. Ein Aufruf an die Mitglieder der Religionsgesellschaft hat
außer der hochherzigen Spende von Mk. 80.000 des treu anhänglichen
Mitgliedes Freiherrn Baron Wilhelm von Rothschild bereits bewirkt, dass für
den gedachten Zweck in wenigen Tagen Mk. 150.000 aufgebracht worden sind.
Wahrlich, wem schwellt nicht das Herz in freudiger Erregung bei solch
glänzend bewährter Opferwilligkeit, wenn unsere heutige Zeit die Welt immer
versinken lässt im Materialismus und Egoismus, so bildet die ideale
Auffassung und Begeisterung der Frankfurter Kehillah für alle echt jüdischen
Institutionen ein erhebendes Bewusstsein, ein erquickender,
herzerfrischender Trost, und wo immer noch ein Jude lebt, der sich den Sinn
bewahrt hat für jüdische Pflichttat, wird er des Allmächtigen Segen auf
diese begnadeten Gemeinwesen herabrufen."
Anmerkungen: Killoh: Kehillah
https://de.wikipedia.org/wiki/Kehillah
Thauro: Tora
https://de.wikipedia.org/wiki/Tora
Baron Wilhelm von Rothschild:
https://frankfurter-personenlexikon.de/node/951
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Carl_von_Rothschild
Samson Raphael Hirsch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson_Raphael_Hirsch
Kehillah: Gemeinde, Gemeinschaft. |
Generalversammlung der Israelitischen Religionsgesellschaft
(1902)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 30. Dezember 1902: "Frankfurt a. M., 28. Dezember 1902. Die
Religions-Gemeinde 'Israelitische Religionsgesellschaft', hier hielt heute
Nachmittag 5 ¾ Uhr ihre jährliche Generalversammlung ab. Der Präsident Herr
W. Ch. Hackenbroch erstattete den Rechenschaftsbericht für das
letztvergangene Jahr, in welchem unter anderem berichtet ward, dass der
Religionsgemeinde beziehungsweise den verschiedenen israelitischen
angegliederten Institutionen auch im vergangenen Jahre von Seiten ihrer
Mitglieder mehrere hochherzige Zuwendungen zuteil geworden sind. Es sei
hiervon besonders ein großes Legat der Erben des seligen Herrn Selig
Goldschmidt hervorgehoben, dessen Zinsertrag zum Besten der
israelitischen Volksschule verwendet werden soll. Die Bilanz schließt mit
einem Defizit von einigen tausend Mark ab, die aus der Kultuskasse
statutengemäß gedeckt werden. Die Ausgaben für die Realschule haben ca. Mk.
141.000 betragen (gedeckt durch Schulgeld und Mitgliederbeiträge). Die
Schule besteht jetzt 50 Jahre. Der vor 2 ½ Jahren beschlossene Bau einer
zweiten Synagoge konnte noch nicht in Angriff genommen werden, da zu dem
passenden Platz, Seilerstraße 6- 8, die behördliche Genehmigung nicht zu
erlangen war, die anderen Plätze bezüglich Kostenpunkt, Lage, Raumausdehnung
nicht passend sind. An diesen Bericht schloss sich eine recht rege Debatte
an. Bei der nun folgenden Vorstandswahl wurde neugewählt: Herr Dr. med. E.
Rosenbaum (es verblieben außerdem die Herren Moritz Baß, Meier S.
Goldschmidt, Wilh. Hackenbroch, Dr. Jos. Roos), in den Ausschuss wurden
wiedergewählt: Herr Mich. Schwarzschild, neu gewählt: Meier Nussbaum (es
verbleiben außerdem E. Ettinghausen, Max Mayer, Naftali Schwabacher, Louis
Feist)."
Anmerkungen: W. Ch. Hackenbroch: Wilhelm Hackenbroch, Kaufmann
(Lazar. Hackenbroch), Pfingstweidstraße 29 p.
Selig Goldschmidt:
https://brotmanblog.com/2020/12/01/selig-goldschmidt-part-iv-tributes-to-the-man-family-man-entrepeneur-philanthropist-and-patron-of-the-arts/
https://www.geni.com/people/Selig-Goldschmidt/6000000001435760609
http://www.geocities.ws/rcibella/seliggold.htm
Israelitische Volksschule: Gegründet 1851, Ecke
Rechneigrabenstraße/Schützenstraße
Realschule:
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson-Raphael-Hirsch-Schule
Dr. med E. Rosenbaum, Geheimer Sanitätsrat, Hanauer Landstraße 25
Moritz Baß: Moritz Bass, Kursmakler, Palmstraße 5p
Meier S. Goldschmidt: Meier Goldschmidt, Kaufmann (J. & S.
Goldschmidt), Friedberger Anlage 25
Mich. Schwarzschild: Michael Schwarzschild, Kaufmann (J. A.
Schwarzschild Söhne), Bleichstraße 8 I
Meier Nussbaum: Meier Nussbaum, Kaufmann, (Emil Schwarzschild),
Ostendstraße 31 oder Meier Nussbaum, Schuhmacher, Wollgraben 8 II
E. Ettinghausen: Emanuel Ettinghausen, Kaufmann, Palmstraße 11 I
Max Mayer: Max, Fabrikant (M. F. Mayer & Co.), Trutz 27 oder Max
Mayer, Kaufmann, Agentur und Kommissionsgeschäft, Haushaltungs- und
Patentartikel, Gelbe Hirschstraße 12 II, Gl. Hasengasse 6 oder Max Mayer,
Kaufmann (Amerikaner & Mayer), Gausstraße 35 II oder Max Mayer, Kaufmann,
Oberlindau 64 II oder Max (Meier) Mayer, Kaufmann, (Jos. Mayer Sohn),
Uhlandstraße 38 p oder Max Mayer, Kaufmann, (H. Salomon & Co), Am
Thiergarten 88 oder Max Mayer, Privatier, Sternstraße 15
Naftali Schwabacher: Naftali Schwabacher, Fabrikant (M. Schwabacher &
Co.), Schwanenstraße 12 p
Louis Feist: Louis Feist, Kaufmann (bei Beer, Sondheimer & Co),
Obermainanlage 30. |
Artikel über die Israelitische Religionsgesellschaft und die
Synagogenbaufrage (1903)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 31. Dezember
1903: "Sprechsaal.
(Wir übernehmen für diese Rubrik nicht die redaktionelle
Verantwortlichkeit). Israelitische Religionsgesellschaft und
Synagogenbeauftragte
In den nächsten Tagen findet die jährlich wiederkehrende Generalversammlung
der Synagogengemeinde 'Israelitische Religionsgesellschaft' statt,
die voraussichtlich wieder Zeugnis ablegen wird von dem steten Wachstum
ihrer wohlbewährten Einrichtungen und Institutionen. Dies freundlich helle
Bild wird nur von einem einzigen Schatten getrübt: Die Synagogenbau-Frage
wird, wie zu befürchten steht, auch in dieser Gemeindeversammlung nicht zur
Lösung kommen, weil der Vorstand bzw. die Baukommission noch immer nicht in
der Lage ist, einen geeigneten Vorschlag zu machen.
Während es sonst im Leben häufig vorkommt, dass ein Bauprojekt mit allen
Einzelheiten vorhanden ist, während die Gelder zu seiner Ausführung fehlen
und auch nicht zu beschaffen sind, ist es bei uns umgekehrt. Gelder sind
längst vorhanden, aber das Projekt selbst fehlt und will nicht kommen, trotz
der alljährlich wiederkehrenden stereotypen Versicherung des Vorstandes,
dass er hoffe, demnächst in der Lage zu sein, einen geeigneten Vorschlag zu
unterbreiten.
Wie kommt es nun, dass Vorstand und Baukommission sich seit Jahren
vergeblich um die Lösung dieses Problems bemühen, trotzdem es beiden Gremien
weder an Eifer noch an Sachverständnis und Erfahrung mangelt?
Wir glauben, dass das Haupthindernis für eine gedeihliche Lösung dieser
Frage eine gewissen Unklarheit ist, die unter Mitgliedern herrscht, über
das, was ein Synagogenneubau erreichen kann und erreichen soll. Es ist unser
lebhafter Wunsch mit diesen Zeilen zu einer Klärung der ganzen Frage
beizutragen; da uns lediglich sachliche Motive leiten und wir wünschen, dass
diese Ausführungen gerne sine ira et studio aufgenommen werden, so kommt es
auf die Person ihres Urhebers hier nicht weiter an.
Die Notwendigkeit der Schaffung neuer Synagogenplätze ist so allseitig
anerkannt, dass wir bei diesem Punkte nicht zu verweilen brauchen, es
handelt sich nur um die Frage, wie es geschehen soll.
Der erste Gedanke ist natürlich der einer Vergrößerung des bestehenden
Baues, wozu der Umstand, dass die Häuser links und rechts der Synagoge
Gemeindeeigentum sind, förmlich einladet. Indessen haben die Fachmänner, mit
denen diese Idee besprochen wurde, sofort erklärt, dass sie unausführbar
ist. In einem entsprechend vergrößerten Bau würden für einen Teil der
Besucher, die auf das Hören angewiesenen gottesdienstlichen Handlungen –
Toravorlesung, Predigt usw. - unvernehmbar sein, ein Umstand, der genügt, um
diesen Plan endgültig abzutun.
In zweiter Linie kam ein Neubau auf den gleichen Grundstücken in
Betracht. Selbstredend ließen sich hierbei günstigere akustische
Verhältnisse schaffen als bei einem bloßen Anbau und wenn es sich bloß um
Hinzufügung von 3-400 Plätzen handelte, wäre diese Lösung durchaus
annehmbar. Da aber ein paar Hundert neue Plätze höchstens für den
Augenblicksbedarf genügen und den ganzen in der Zukunft zu erwartenden
Zuwachs außer acht lassen, so müssen wir uns auch gegen diese Lösung
aussprechen.
Wir kommen hier schon zum Kernpunkt der ganzen Frage, denn was in dieser
Beziehung gegen einen Neubau auf der seitherigen Stelle einzuwenden ist,
lässt sich auch gegen jeden Neubau, auch gegen die dauernde Lösung den
Platzfrage durch eine einzige Synagoge, stehe sie, wo sie wolle,
einwenden. In Wirklichkeit ist auch von allem Anfang an die Schaffung einer
zweiten Gemeindesynagoge, neben der bisherigen in Frage gekommen. Diese Idee
hat zahlreiche und sehr entschieden auftretende Gegner gefunden. Man macht
vor allem geltend, dass der Zusammenhang in der Gemeinde leiden müsse, wenn
sie nicht mehr in ihrer Mehrzahl allsabbatlich sich am gleichen Orte
einfinde, um dort in gemeinsamem Gebet Stärkung und Kräftigung zu suchen;
die Einheit des Raumes sei es, die auch die Einheit der Gesinnung beschere
und bedinge.
Dem möchten wir entgegenhalten, dass auch heute schon eine ganze Anzahl
Mitglieder, sei es aus Platzmangel, sei es der Entfernung wegen oder aus
anderen Gründen, die Synagoge in der Schützenstraße nicht oder nicht
regelmäßig besuchen, dafür aber in der Claus, Waisenhaus-, Königswarter-,
Hermesweg-, Träub’schen-Synagoge und wie sie alle heißen, Stammgäste sind.
Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, dass unsre Synagoge nur 600
Männersitzplätze enthält, während schon über 800 Mitglieder vorhanden sind,
zu denen noch Söhne, künftige Angehörige und eine Anzahl Sitze innehabender
Nichtmitglieder kommen, um festzustellen, das auch heute schon ein ziemlich
hoher Prozentsatz der Gemeindemitglieder die Synagoge nicht benutzen kann.
So sehen wir denn heute schon, dass die Einheit im Raum nur ein
schöner Traum ist, dass sie in der Praxis ersetzt werden muss und ersetzt
werden kann durch die 'Einheit im Geiste', die sich glücklicherweise
aufrechterhalten lässt, wenn jene schon längst undurchführbar geworden ist.
Die einfache Erklärung, dass es technisch unmöglich ist, eine Gemeinde, die
rüstig an, das erste Tausend an Mitgliedern lossteuert, räumlich in den
Schranken eines Gotteshauses festhalten zu wollen, sie zeigt uns den
Weg, den wir gehen müssten, wenn dieser oben angeführte Umstand nicht
vorhanden wäre.
Für die Schaffung einer räumlich getrennten zweiten Synagoge spricht nämlich
noch ein anderer, mindestens ebenso gewichtiger Grund: Die immer weiter
und weiter wachsenden Ausdehnung unseres Gemeinwesens. Als vor mehr als
50 Jahren unsere Gemeinde gegründet, die Synagoge in der Schützenstraße
erbaut wurde, da hatte Frankfurt 60.000 Einwohner, von denen nur ein für uns
gar nicht in Betracht kommender Bruchteil außerhalb der Innenstadt und ihrer
wichtigsten Umgebung wohnte. Als vor ca. 30 Jahren eine Erweiterung der
Synagoge nötig wurde und sie ihren heutigen Umfang erhielt, hatten sich
diese Verhältnisse noch nicht wesentlich geändert. Wie ganz anders heute!
Die Einwohnerzahl Frankfurts ist auf über 300.000 gewachsen; ein Netz von
Trambahnen überzieht die Stadt nach allen Richtungen und ermöglicht es, dass
die Innenstadt immer mehr zum Geschäftsviertel wird, während die wohlhabende
Bevölkerung nach der Peripherie drängt, Der Zug nach dem Westen, ohnehin
fast allen europäischen Großstädten gemein, tritt seit die Hinauslegung des
Hauptbahnhofes bei uns in erhöhtem Maße auf. Prachtvolle, breite Straßen,
mit allem modernen Komfort aufgestellte Neubauten, die Nähe des
Hauptbahnhofes, der Theater und Museen haben dazu geführt, dass in unserer
Stadt in den letzten 25 Jahren der Westen zum bevorzugten Aufenthalt der
Wohlhabenden geworden ist. Dementsprechend ist das Ostend in der allgemeinen
Wertschätzung entsprechend gesunken. 'Nur eine hohe Säule zeugt von
entschwundener Pracht!' Die jüdische Orthodoxie und die von ihr
unterhaltenen Anstalten, sie stützen den Rest des Ansehens, den das Ostend
noch genießt. Aber wie lange noch? Wie lange noch wird es möglich sein,
unsere Gemeinde, im Ostend und den angrenzenden nördlichen Gebieten
zusammenzuhalten? Schon mehren sich die Anzeigen, dass geschäftliche und
andere Interessen den einen und anderen bewegen, diesen Rayon zu verlassen
und sich dem Zuge der allgemeinen Entwicklung anzuschlie-ßen. Mag das Tempo
auch vorläufig ein langsames sein, die nächsten Jahre werden sicher eine
starke Beschleunigung und Vermehrung bringen.
Wir haben nun den hier geschilderten Umstand – die Konzentrierung unserer
Gemeindeanstalten im Ostend zu betrachten. Es ist bekannt, dass alljährlich
ein bedeutender Zugang jüdischer Familien stattfindet. Dieser Zuzug stammt
ausschließlich aus Hessen, Nassau und Süddeutschland. In allen diesen
Gebieten hat sich im Gegensatz zu Norddeutschland, das jüdisch-religiöse
Gefühl noch vielfach erhalten. Die Ursachen sind natürlich nicht überall die
gleichen. Die klare Erkenntnis, dass allein das gesetzestreue Judentum eine
Zukunft hat, mag bei den meisten noch nicht vorhanden sein, aber lebhaftes
jüdisches Gefühl, Pietät gegen das, wofür unsere Ahnen gekämpft und gelitten
haben, ist wohl bei der Mehrzahl vorauszusetzen. Wie kommt es nun, dass
unsere Gemeinde von jenem auswärtigem Zuzug so wenig profitiert, dass mehr
als 80 Prozent von ihnen der Hauptgemeinde beitreten? Die Erklärung ist eher
einfach. Was können wir den neuen Zuzüglern bieten? Plätze in unserer
Synagoge? Es sind seit Jahren keine mehr zu haben! Aufnahme ihrer
schulpflichtigen Kinder? Die Lage der Schule im äußersten Osten erschwert
ihre Benutzung all den Familien, die sich nicht gerade im Osten oder
Nordosten niederlassen. Die meisten von auswärts kommenden Familien siedeln
sich im Westen oder Nordwesten an; sie suchen und finden Anschluss an die
Hauptgemeinde, weil unsere Gemeinde ihnen nach der praktischen Seite nichts
zu bieten vermag. Dass sich auch einige rühmliche Ausnahmen finden, Leute,
die ihren Anschluss an unsere Gemeinde aus ideellen Gründen vorziehen, kann
an jener Tatsache wenig ändern. Es ist unberechenbar, was hier an gutem
brauchbarem Material für uns schon verloren gegangen ist, und so lange die
heutigen Zustände dauern, noch verloren geht!
Wie anders würde sich das alles gestalten, wenn unsere Gemeinde über eine
zweite, mittelgroße, schön ausgestaltete Synagoge verfügte, deren Lage am
zweckmäßigsten etwa in die Nähe des Peterstores zu setzen wäre. Ein
Teil der Besucher würde sich rekrutieren aus Mitgliedern unserer Gemeinde,
die in der Nähe wohnen, wodurch sofort eine Entlastung der Synagoge
Schützenstraße einträte. Der größte Teil aber würde aus Leuten bestehen, die
heute noch unserer Gemeinde fernstehen. Gehören diese erst einmal zu den
regelmäßigen Besuchern eines nach altjüdischen Prinzipien geleiteten
Gottesdienstes, und kommen sie infolgedessen fortgesetzt mit begeisterten
und überzeugungstreuen Gesinnungsgenossen in Verbindung, dann können wir
ihre völlige Gesinnung ruhig der werbenden Kraft unserer Prinzipien und der
Macht des Beispiels überlassen. Dann können wir sicher sein, dass aus diesen
Besuchern Mitglieder werden, die auch ihre Kinder trotz aller Entfernung in
unsere Schule entsenden werden. Ja, wir halten noch weiter ausschauende
Pläne für ausführbar. Wir glauben mit aller Bestimmtheit, dass auch eine
zweite Synagoge, eine günstige Lage vorausgesetzt, in 4, 5 Jahren gefüllt
sein und dass man dann eine dritte Synagoge im Westen zu errichten gezwungen
sein wird.
Hier mag der Platz sein, einen Einwand zurückzuweisen, den man gegen unsere
Darlegungen in der bevorstehenden Generalversammlung voraussichtlich erheben
wird. Der Vorstand hat eine Art Enquete über die Wohnverhältnisse seiner
Mitglieder veranstaltet und als Resultat ergab sich, dass nur ein Bruchteil
außerhalb jenes Rayons wohnt, der noch einen bequemen Besuch der Synagoge
gestattet. Gutem Vernehmen nach ist der Vorstand geneigt, aus diesem
Ergebnis den Schluss zu ziehen, dass nun keinerlei Bedürfnis vorliegt, eine
Synagoge außerhalb jenes Rayons zu errichten.
Stimmt das, so liegt eine bedauerliche Verwechslung von Ursache und Wirkung
vor, über die nach unseren obigen Darlegungen kein Zweifel mehr sein könne.
Wir dürfen nicht schließen: 'Weil wir außerhalb eines bestimmte Rayons wenig
oder keine Mitglieder haben, brauchen wir dorthin auch keine Synagoge zu
stellen', sondern umgekehrt muss der Schluss lauten: 'Weil wir dort keine
Synagoge haben, geht der reiche Zuzug, der sich in jenen Gebieten
niederlässt, unserer Gemeinde als Mitglieder verloren!'
Wir möchten zum Schlusse als warnendes Exemplar die die Hamburger
Verhältnisse erwähnen, Dort stehen am Sabbat die großen, prächtigen
Synagogen in Kohlhöfen und Elbestraße leer und verödet, während eine Anzahl
kleiner Synagogen im Grindelviertel gefüllt und überfüllt sind. Auch dort
hat sich die Leitung des Synagogenverbandes Jahrzehnte hindurch gesträubt,
der Entwicklung der Wohnverhältnisse Rechnung zu tragen. Jetzt endlich
bequemt sie dazu; die Synagoge Elbestraße wird geschlossen und vor dem
Dammtor eine neue errichtet werden. Aber der Schaden, der diese Verzögerung
anrichtete, ist wie alle Kenner der Hamburger Verhältnisse wissen, ein
ungeheurer, die vielfach unerquickliche Verhältnisse, die in der Hamburger
Gemeinde herrschen, sie dürfen zum große Teil auf Rechnung der verfehlten
Politik in der Synagogenfrage gesetzt werden.
Hoffen wir, dass der gleiche Fehler bei uns vermieden wird, dass Vorstand
und Gemeindeversammlung sich entschließen, nicht hinter den Ereignissen
einher zu hinken, sondern sich der Entwicklung, wie sie dem weitschauenden
Blicke klar sich darstellt, heute schon Rechnung tragen.
Also: Keine Aufgabe unserer Synagoge Schützenstraße, mit der unsere
pietätvollen Erinnerungen verknüpft sind, zu Gunsten einer utopischen
'Zentralsynagoge', dagegen Schaffung einer zweiten so Gott will auch
dritten Synagoge in jenem Viertel, wohin uns die Entwicklung unserer Stadt
gebieterisch verweist."
Anmerkungen: 'sine ira et studio':
https://de.wikipedia.org/wiki/Sine_ira_et_studio
Claus: Klaussynagoge, Ostendstraße 18:
weitere Informationen (interner Link)
Königswarter: Synagoge im Hospital der israelitischen Gemeinde Frankfurt in
der Königswarter Straße 26:
weitere
Informationen (interner Link)
Hermesweg: Hier befand sich die Religionsschule
Träub’sche Synagoge:
https://www.alemannia-judaica.de/frankfurt_kleinere_synagogen.htm#Die%20Tr%C3%A4ub%27sche%20Synagoge
Schule: Samson-Raphael-Hirsch—Schule
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson-Raphael-Hirsch-Schule
Hauptgemeinde: weitere
Informationen (interner Link)
Synagoge Kohlhöfen (Hamburg):
https://de.wikipedia.org/wiki/Synagoge_Kohlh%C3%B6fen
Synagoge Dammtor (Hamburg):
https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Dammtorsynagoge |
Die Generalversammlung der Israelitischen Religionsgesellschaft
stimmt dem Synagogenneubau zu (1904)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. Januar
1904: "Frankfurt am Main, 6. Januar (1904). Die
Generalversammlung der Israelitischen Religionsgesellschaft gab ihre
Zustimmung zum Bau der neuen Synagoge Friedberger Anlage 5 und 6. Der Bau
soll 1000 Plätze für Männer und 6 bis 800 für Frauen enthalten. Trotz
eines Defizits bei der Realschule schließt der Etat sehr günstig
ab." |
Architektenentwürfe für die neue Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft
- Ausschreibung und Auswahl (1904)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 17. Juni
1904: "Frankfurt a. M.. Die Synagogengemeinde 'Israelitische
Religionsgesellschaft' schreibt zur Erlangung eines Vorentwurfs für den
Neubau einer Gemeinde-Synagoge einen allgemeinen Wettbewerb aus.
Die Entwürfe sind spätestens bis zum 15. Sept. 1904, abends 6 Uhr an den
zweiten Vorsitzenden des Vorstandes der Syn.-Gemeinde 'Israelitische
Religionsgesellschaft', Herrn Wilhelm Hackenbroch, Schützenbrunnen
17, Frankfurt a. M., einzureichen, bei welchem das Bauprogramm nebst
Bedingungen und Lageplan kostenfrei erhältlich ist.
Bausumme für die Gesamtausführung Mk. 475.000. An Zeichnungen verlangt:
Lageplan 1 : 250, Grundrisse sämtlicher Geschosse, 3 Ansichten, 2
Durchschnitte 1 : 200 und eine perspektivische Skizze. -
Erläuterungsbericht, Kostenüberschlag laut Bauprogramm. Erster Preis Mk.
4.000, zweiter Mk. 2.500, dritter Mk. 1.500.
Preisrichter sind: Geh. Oberbaurat Professor Hofmann - Darmstadt, Kgl.
Baurat von Hoven – Frankfurt, Kgl. Baurat Reher – Frankfurt, Geh. Baurat
Schwechten – Berlin, Wilhelm Hackenbroch, Mitglied des Vorstandes der
Synagogengemeinde 'Israelitische Religionsgesellschaft', Frankfurt a. M.,
Dr. Israel Roos, Mitglied des Ausschusses genannter Gemeinde, Frankfurt a.
M. Michael Schwabacher, Mitglied der Bau-Kommission, gen. Gemeinde,
Frankfurt a. M.
Anmerkungen: Wilhelm Hackenbroch: Wilhelm Hackenbroch, Kaufmann
(Lazar. Hackenbroch), Pfingstweidstraße 29 pt.
Dr. Israel Roos: Dr. phil. Israel Roos, Chemiker, Schöne Aussicht 5 I
Michael Schwabacher: Michael Schwabacher, Fabrikant, Eschersheimer
Landstraße 27 I. |
|
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. Oktober
1904: "Deutschland. Frankfurt a. M. (Neue Synagoge an der Friedberger
Anlage)
Die Synagogengemeinde 'Israelitische Religionsgesellschaft' hat zur
Erlangung von Entwurfskizzen für einen Synagogenneubau einen Wettbewerb
veranstaltet, an dem sich 129 Bewerber beteiligt haben. Das Preisgericht hat
nunmehr sein Urteil abgegeben. Es erhielten: Den ersten Preis von 4.000 Mk.
(Kennwort: Laubhütten) die Architekten Josef Reuters – Berlin-Wilmersdorf
und Karl Friedenthal – Charlottenburg, den zweiten Preis von 2.500 Mk.
(Kennwort: Ohne Kuppel) Hessemer und Schmidt – München und den dritten Preis
von 1.500 Mk. (Kennwort: Vorhof II) Jürgensen und Bachmann – Charlottenburg.
Außerdem wurden auf Empfehlung des Preisgerichts fünf Entwürfe für je 500 Mk.
angekauft und zwar die Arbeiten von Privatdozent Dr. Vetterlein – Darmstadt.
Robert Bischoff – Karlsruhe, Otto Kuhlmann – Charlottenburg, Jürgen Kröger –
Berlin und Hellmuth Cuno (in Firma Philipp Holzmann) – Frankfurt a. M.
Anmerkungen: Jürgensen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_J%C3%BCrgensen
Bachmann:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Bachmann_(Architekt)
Privatdozent Dr. Vetterlein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Vetterlein
Otto Kuhlmann:
https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Kuhlmann
Jürgen Kröger:
https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Kr%C3%B6ger
Hellmuth Cuno:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hellmuth_Cuno |
Grundsteinlegung für die neue Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft
(1905)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 27. Oktober
1905: "Frankfurt a. M. Die Grundsteinlegung für die
neue Synagoge der Synagogen-Gemeinde Israelitische Religionsgesellschaft
wird in den nächsten Tagen in feierlicher Weise vorgenommen werden. Die
Aktiengesellschaft für Hoch- und Tiefbau hat den Bau übernommen; vom 1. März
1907 muss sie dem Vorstand der Israel. Religionsgesellschaft die Schlüssel
der Synagoge überreichen. |
|
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 17. November
1905: "Frankfurt a. M. Am Dienstag, den 21. des Monats, 10 Uhr
morgens, wird die von uns bereits angekündigte Grundsteinlegung für
den Neubau der Synagoge der 'Synagogengemeinde Israel.
Religionsgesellschaft' stattfinden. Das Programm ist folgendes: 1) Gesang
(Chor), 2) Psalm-Rezitativ (Vorbeter), 3) Weiherede des Herrn Rabbiner Dr.
Breuer, 4) Einkapselung der Urkunde nebst zugehörigen Gedenkstücken, 5)
Hammerschläge, 6) Schlussgesang (Chor)." |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 8. Dezember 1905: "Am 21. des Monats wurde die Grundsteinlegung
der neuen Gemeindesynagoge der orthodoxen Israelitischen
Religionsgesellschaft an der Friedberger Anlage 5 -6 vorgenommen.
Rabbiner Dr. Breuer hielt die Festrede, dann folgten die üblichen
Zeremonien: Einmauerung und Hammerschläge. Die Synagoge, im romanischen
Stile gehalten, fasst 1.000 Sitzplätze für Männer und 600 für Frauen. Der
Bau wird in 1 ½ Jahren vollendet sein. Die Kosten mit Grunderwerb werden 1
Million Mark betragen. Die Pläne und Zeichnungen stammen von den Architekten
Jürgensen und Bachmann – Charlottenburg, die Ausführung des Baus ist der
hiesigen Firma Aktiengesellschaft für Hoch- und Tiefbauten, vormals Gebrüder
Helfmann, übertragen."
Anmerkungen: Rabbiner Dr. Breuer: Rabbiner Dr. phil. Salomon
Breuer, Friedberger Anlage 4, Erdgesch.
Jürgensen und Bachmann:
https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Jürgensen
https://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Bachmann_(Architekt)
https://www.diegeschichteberlins.de/geschichteberlins/persoenlichkeiten/persoenlichkeiteag/444-juergensen-a-bachmann.html
|
Darf an der Synagoge auch am Sabbat gebaut werden?
(1907)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 29. März 1907: "Frankfurt am Main. Gegenwärtig werden
die Gemüter der Mitglieder der israelitischen Gemeinde lebhaft bewegt
durch die Nachricht, dass man beabsichtigt, bei den geplanten Neubauten
der Gemeinde, Synagoge und Schule, auch am Samstag zu bauen. Zu
einer Aussprache über diesen Gegenstand und zur Stellungnahme dazu ladet
nunmehr der Zentralverein israelitischer Gemeindemitglieder die
Mitglieder der Gemeinde zu einer öffentlichen Versammlung ein, welche am
Dienstag, 9. April, abends 1/2 9 Uhr im Saale des Kaufmännischen Vereins
stattfindet. Das einleitende Referat hat Herr Dr. med. W. Hanauer
übernommen."
Anmerkung: Dr. med. W. Hanauer: Dr. med. Wilhelm Hanauer, prakt. Arzt,
Mainzer Landstraße 17 I. |
Versammlung von Gemeindemitgliedern gegen Bauarbeiten an der
neuen Synagoge und des Philanthropins am Sabbat (1907)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 12. April
1907: "Frankfurt a. M., 10. April. Eine stattliche Versammlung von
Gemeindemitgliedern hatte sich gestern Abend auf Einladung des
Zentralvereins israelitischer Gemeindemitglieder im Saale des
Kaufmännischen Vereins eingefunden, um gegen den Bau der neuen Synagoge
und des Philanthropins am Samstag zu protestieren.
Herr Dr. med. W. Hanauer erstattete das Referat. Er gab zunächst
einen Überblick über die Baugeschichte der Gemeinde. Die Gemeinde
befindet sich mit der Errichtung einer neuen Synagoge, dem Neubau des
Philanthropins und dem beabsichtigten Neubau des Krankenhauses gegenwärtig
in einer Bauperiode, wie sie solche seit dem großen Brande im Jahr 1711
nicht gesehen hat, und es erscheint daher ein historischer Rückblick
angebracht. In dem ältesten Judenviertel zwischen Main und Dom befand sich
die Synagoge am östlichen Ende des Archivgebäudes, das Krankenhaus an der
Ecke der heutigen Schmidtstube und der kleinen Fischgasse. Nach
Übersiedelung der Juden in die Judengasse um 1462 ging jene erste Synagoge
in den Besitz der Stadt über, die auf ihre Kosten auf dem Platze der
heutigen Hauptsynagoge ein Gebäude errichten ließ, das 1711 abbrannte und
später wiederaufgebaut wurde. Der jetzige Bau besteht seit 1853. Zu Anfang
der 80er Jahre wurde an der Stelle, an der sich das sogenannte
Fremdenhospital befand, die zweite Synagoge auf dem Börneplatz erbaut. Der
Bau des Gemeindehospitals, zu dem die Familie Königswarter 215.000 fl.
beisteuerte, sodass die Gemeinde nur 20.000 Gulden zuzuschießen brauchte,
wurde 1872 beschlossen. Das Philanthropin befand sich bis 1845 im
Kompostellhof. - Nach dieser kurzen Abschweifung kommt der Redner auf das
eigentliche Thema des Abends. Wie es jedem als Blasphemie
erscheine, eine Kirche am Sonntag zu bauen, so auch das Bauen einer Synagoge
am Samstag. Sofort, wie es verlautete, dass der Vorstand einem Bauen am
Samstag sympathisch gegenüberstehe, haben daher die vom Zentralverein in den
Ausschuss der Gemeinde gewählten Herren Vorstellungen erhoben und auch die
letzte Generalversammlung des Zentralvereins nahm gegen das Vorgehen
Stellung und beauftragte den Vorstand des Vereins, dem Vorstand der Gemeinde
von dem Standpunkte der Generalversammlung Kenntnis zu haben. Aus der
Antwort des Gemeindevorstandes ergab sich nun, dass er sich die endgültige
Entscheidung noch vorbehält. Abgesehen von der Berücksichtigung etwaiger
gesetzlicher Vorschriften, muss man gegen das Bauen am Samstag sein, weil es
bei diesen Gemeindemitgliedern Anstoß und Ärgernis erregt und weil in
Synagoge und Schule – auch in den 'liberalen' Synagogen und Schulen – als
ein Hauptpfeiler unserer Religion die Sabbatruhe gepredigt und gelehrt wird.
Neben der Mäßigkeit und der Reinheit des Familienlebens ist es er gerade die
peinliche Beachtung der Sabbatruhe gewesen, welche das jüdische Volk bis auf
den heutigen Tag erhalten hat. Zu diesem kommt noch der weitere
Gesichtspunkt dazu, dass, wenn am Samstag gebaut wird, jüdische Handwerker
nicht beschäftigt werden können; - und man spricht immer so viel von der
Förderung des jüd. Handwerkerstandes! Zur Zeit der Hochflut der Reform unter
der Ägide eines Rabbiner Stein hat die Gemeinde an den Samstagen " |
die
Arbeiten beim Bau des Tempels (1854 -60) ruhen lassen. Schließlich ist noch
in Erwägung zu ziehen, dass die ausführende große Baufirma in der Lage ist,
die Arbeiter samstags anderweitig zu beschäftigen und so keine Mehrkosten
entstehen.
Aus der dem Referate folgenden Diskussion, in der sämtliche Redner das Bauen
am Samstag verurteilen, sei nur das Hauptsächliche angeführt.
Isaac Mainz: Wir dürfen mit unserem Protest gegen das Bauen am Samstag
bei dem Vorstand nicht die Meinung aufkommen lassen, dass diese Bauten
überhaupt unsere Zustimmung haben.
Max Bauer: Es kann für das Bauen am Samstag für den Vorstand doch nur
der Zeitpunkt oder der Kostenpunkt in Frage kommen – und da kommt es nicht
darauf an, ob die Synagoge einige Monate eher oder später fertig ist, und
was die Kostenfrage betrifft, so entstehen nach Erkundigung bei ersten
Baufirmen durch das Richtarbeiten an den Samstagen keine Mehrkosten. Die
jüdischen Handwerker, die infolge des Bauens am Samstag übergangen werden,
werden das Vorgehen des Vorstandes als Antisemitismus
charakterisieren. Unbegreiflich ist auch, warum der Vorstand in dieser
Angelegenheit nur Herrn Rabbiner Dr. Seligmann als Experten genommen hat,
während doch drei Gemeinderabbiner da sind.
Schottenfels: Ich stehe nicht ganz auf konservativem Standpunkte; ich
würde aber erröten, wenn ich am Samstag mit einem christlichen Freunde an
Bauten der jüdischen Gemeinde, bei denen die Sabbatruhe nicht gewahrt wird,
vorbeigehen sollte.
Emanuel Lehmann: In der Tora steht mitten in der Stelle, wo vom Bau des
Stiftzeltes gesprochen wird: Vergiss nicht, meine Sabbate zu heiligen. Also
selbst damals, als die Kinder Israel noch kein Heiligtum hatten, sollten sie
nicht in dem Drange, dasselbe zu errichten, den Sabbat entweihen.
Hugo Fränkel: Welche Interessen der Liberalen werden verletzt, wenn das
Bauen am Samstag unterbleibt? Selbst Herren vom liberalen Verein verurteilen
ein Bauen am Samstag.
Dr. Heinemann: Die Freisinnigen betonen, wenn es gilt, ihre Wünsche
durchzuführen, immer, ohne die ihren Wünschen angepassten Einrichtungen
würden der Gemeinde Steuerzahler verloren gehen; ob aber der Gemeinde
orthodoxe Steuerzahler verloren gehen – und die Gefahr liegt in Folge des
Neubaues der Religionsgesellschafts-Synagoge sehr nahe – danach fragen sie
nicht. Merkwürdig ist es, dass der Vorstand das Urteil des Rabbiners
eingeholt hat, dessen Kinder das Philanthropin nicht besuchen und nicht das
Urteil des Rabbiners, dessen Kinder das Philanthropin besucht haben. Für das
Bauen am Samstag kann es nur ein Motiv geben: Rischus! (=
Gotteslästerung).
Raphael Ettlinger: Nun möge auch das schlechte Beispiel bedeuten, dass
die angesehene Gemeinde Frankfurts den anderen Gemeinden Deutschlands gib.
Nachdem noch mehrere Redner im Sinne der Vorrede gesprochen haben, wird
einstimmig eine Resolution und eine mit den Unterschriften der
Gemeindemitglieder zu versehene Petition an den Vorstand beschlossen, deren
Abfassung dem Vorstande des Zentralvereins überlassen wird.
Anmerkungen: Dr. med. W. Hanauer: Dr. med. Wilhelm
Hanauer, prakt. Arzt, Mainzer Landstraße 17 I
..im Saale des Kaufmännischen Vereins:
https://de.wikipedia.org/wiki/Volksbildungsheim_Frankfurt_am_Main
http://www.frankfurt-nordend.de/Images/1910_volksbildungsheim.jpg
http://www.frankfurt-nordend.de/Images/1910_volksbildungsheim_grosser_saal.jpg
Philanthropin:
https://de.wikipedia.org/wiki/Philanthropin_(Frankfurt_am_Main) ,
Hebelstraße 15 -19, Leiter: Studiendirektor Dr. Driesen, Hebelstraße 15. 848
Kinder (1932/33)
Krankenhaus:
http://www.juedische-pflegegeschichte.de/juedische-krankenhaeuser
...dem großen Brande im Jahr 1711:
https://www.judengasse.de/dhtml/E006.htm
Hauptsynagoge: siehe Seite zur
Hauptsynagoge (interner Link)
Fremdenhospital: Hospital zum heiligen Geist
https://de.wikipedia.org/wiki/Hospital_zum_Heiligen_Geist_(Frankfurt_am_Main)
..ein Gebäude errichten ließ:
http://architectura-virtualis.de/rekonstruktion/synagogefrankfurt.php?lang=de&img=O
Familie Königswarter:
https://de.wikipedia.org/wiki/Königswarter_(Adelsgeschlecht)
Kompostellhof:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kompostellhof
Isaac Mainz: Isaac Mainz, Privatier, Königswarterstraße 25 pt
Max Bauer: Max Bauer, Peterweilstraße 45 H. I. oder Max Bauer,
Kaufmann, Eschenheimer Anlage 35 E oder Max Bauer, Kaufmann, Schloßstraße 88
III
Rabbiner Dr. Seligmann: Rabbiner Dr. Cäsar Seligmann,
https://de.wikipedia.org/wiki/Caesar_Seligmann
https://www.judengasse.de/dhmtl/P145.htm
Schottenfels: Adolf Schottenfels, Kaufmann, Feststraße 11 oder Josef
Heinrich Schottenfels, Le-derkomissionsgeschäft, Holzgraben 9, Wohnung
Merianstraße 36 I
Emanuel Lehmann: Wahrscheinlich E. Lehmann, Kursmakler, Rotteckstraße
10 I
Hugo Fränkel: Hugo Fränkel, Fabrik und Erv. von Silberware,
Eschenheimer Anlage 30 I
Dr. Heinemann: Dr. Isaak Heinemann, Lehrer, Hermesweg 23 I
Raphael Ettlinger: Raphael Ettlinger, Möbelstoffe und Teppiche,
Kronprinzenstraße 12, Wohnung: Friedberger Anlage 1. |
Resolution des Zentralvereins israelitischer
Gemeindemitglieder gegen Arbeiten an Samstagen und Feiertagen bei Neubauten der
jüdischen Gemeinde (1907)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 12. April
1907: "Resolution des Zentralvereins israelitscher ….(1907)
Frankfurt a. M. Die Resolution, die seitens des Vorstandes des
Zentralvereins israel.(itischer ) Gemeindemitglieder an den Vorstand der
israel.(itischen) Gemeinde abging lautet:
'Die am 9. April l.(etzten) J.(ahres) im Saale des kaufmännischen Vereins
abgehalten außeror-dentlich zahlreich besuchte öffentliche Versammlung
hiesiger Gemeindemitglieder hat auf das Entschiedenste dagegen protestiert,
dass an den Neubauten der Israelitischen Gemeinde – Wes-tend-Synagoge
https://www.alemannia-judaica.de_frankfurt_synagoge_westend.htm und
Phi-lanthropin - an Samstagen und jüdischen Feiertagen gearbeitet wird.
Die Versammlung war einstimmig der Ansicht, dass durch die Ausführung der
Bauten am Samsta-ge und jüdischen Feiertagen das religiöse Empfinden einer
großen Anzahl Gemeindemitglieder aufs Tiefste verletzt und die
Gesamtinteressen der Gemeinde nach innen und nach außen aufs Schwerste
geschädigt werden würden.
Sie hat auf die für Israeliten aufgeführten Neubauten wie Waisenanstalt,
Suppenanstalt, Versor-gungshaus, Loge, Kindergarten für Israeliten, Bauten
der Israelitischen Religionsschulen im Her-mesweg und Unterlindau, auf den
Bau der Israelitischen Krankenpflegerinnen hingewiesen; auch auf den Bau der
Hauptsynagoge in der Allerheiligenstraße selber, bei denen sämtlich der Bau
an Samstagen und an jüdischen Feiertagen ausgesetzt wurde.
Die Versammlung spricht daher die bestimmteste Erwartung aus, dass auch bei
den Neubauten an Samstagen und an jüdischen Feiertagen nicht gearbeitet und
etwaige dementsprechende Abma-chungen sofort rückgängig gemacht werden.'
..im Saale des Kaufmännischen Vereins: https://de.wikipedia.org/wiki/Volksbildungsheim_Frankfurt_am_Main
http://www.frankfurt-nordend.de/Images/1910_volksbildungsheim.jpg
http://www.frankfurt-nordend.de/Images/1910_volksbildungsheim_grosser_saal.jpg
Philanthropin: Hebelstraße 15- 17
Waisenanstalt: https://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Salmon-Selma.pdf
, Leiter: Isidor Marx
Suppenanstalt: Israelitische Suppenanstalt, Theobaldstraße 5
" |
Versammlung der Zionistischen Vereinigung, dabei Diskussion um
das Bauen am Sabbat bei der neuen Synagoge und dem Philanthropin
(1907)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
18. April 1907: "
Versammlung der zionistischen…….. (1907)
Frankfurt a. M., 17. April. Gestern Abend hielt die hiesige Zionistische
Vereinigung im Saale des Kaufmännischen Vereins eine Versammlung ab, deren
Tagesordnung einen Vortrag von Dr. Schmarja Lewin aus Wilna über die Juden
im Osten und eine Besprechung Frankfurter Ge-meindeangelegenheiten umfasste.
Die Rede des Herrn Dr. Lewin nahm den größten Teil des Abends ein. Er
schilderte die Lage der russischen und dann die der amerikanischen Juden in
tem-peramentvollen Ausführungen und forderte zum Beitritt zur zionistischen
Organisation auf, deren Arbeit allein die Judennot zu beseitigen imstande
sei. Das zweite Referat erstatte Herr Fritz Sondheimer. Er beschäftigte sich
hauptsächlich mit der Frage des Bauens am Sabbat bei der neu-en Synagoge
(Westend-Synagoge, Anm. S. R.) und dem Philanthropin. Es handle sich darum,
fest-zustellen, dass Tausende von Mitgliedern der Frankfurter israelitischen
Gemeinde nicht mit dem jetzigen Einrichtungen der Gemeinde zufrieden sind
und es nicht dulden werden, dass mit den jüdischen Überlieferungen gebrochen
wird. Man könne sich nicht damit zufrieden geben, dass die Beschaffung eines
positiven Religionsunterricht verweigert, dass die Zionsgebete in einer
Syna-goge aus den Gebetbüchern gestrichen wurden und auch die hebräische
Sprache fast ganz daraus verbannt ist. Man müsste gegen die immer
fortschreitende Annäherung an den christlichen Glau-ben entschieden
protestieren. Wenn jetzt die Nachricht komme, dass der Vorstand beschlossen
habe, an der Synagoge am Sabbat nicht bauen zu lassen, so sei das nur unter
dem Druck ver-schiedener öffentlicher Kundgebungen geschehen. Und jedenfalls
ist doch hinsichtlich des Phi-lanthropins ein derartiger Beschluss nicht
gefasst worden. Wenn die Katholiken an ihren besonde-ren Feiertagen
keinerlei öffentliche Bauarbeit vornehmen lassen, so darf das auch bei uns
nicht geschehen. Der Redner verlangt eine Abänderung des
Philanthropinstatuts, damit auch die kon-servative Majorität einen Einfluss
auf die Anstalt gewinne. Zur Charakteristik der Gemeindezu-stände führt er
an, dass Unterstützung seitens des israelitischen Almosenkastens nicht nach
der Bedürftigkeit verliehen worden seien, sondern nur unter der Bedingung
politischer Selbstenthaup-tung. Wir müssen, schließt der Redner, nicht
Resolutionen beschließen, denn das hatte ja doch keine Wirkung, es ist
vielmehr notwendig, dass wir mit dem Stimmzettel ein anderes Wahlsys-tem für
den Vorstand erkämpfen. In der Diskussion spricht Herr Levigard im Sinne des
Referen-ten Das Philanthropin ist, wenn man von seinen Leistungen in den
profanen Fächern absieht, das traurigste System einer jüdischen Schule, das
man sich denken kann. Das Judentum ist gänzlich daraus verbannt. Die Lehrer
dürfen den Sabbat öffentlich entweihen, der Religionsunterricht steht mit
allem wahrhaft Jüdischen auf dem Kriegsfuß. Redner erinnert daran, dass das
Verlangen, beim Religionsunterricht die Kopfbedeckung aufzusetzen,
verweigert worden ist. Wir müssen da-für sorgen, dass wir nicht mehr dagegen
zu protestieren haben, dass gegen das jüdische Gesetz und das jüdische
Gefühl gesündigt wird. - Dem Protest der Vorredner tritt Herr Weinberg bei,
worauf die Versammlung geschlossen wird.
Fritz Sondheimer: Fritz Sondheimer, Kaufmann, Eschenheimer Anlage 3 pt
Herr Levigard: Martin Levingard, Adressenverlag, Liebfrauenberg 24 I,
Wohnung: Sandweg 60 I
Herr Weinberg: Alexander Weinberg, Auslaufer, Hinter der Schönen Aussicht 14
II oder
Dr. Arthur Weinberg, Chemiker und Fabrikbesitzer, Palmengartenstraße 12 oder
Carl Weinberg, Fabrikbesitzer, Griechischer Generalkonsul, Waldfried bei
Niederrad, Konsulat Feuerbachstraße 50 oder
Emanuel Weinberg, Kaufmann, Kleine Obermainstraße 19 für Gutmann & Weinberg
und für che-mische Fabrik Mainau, Emanuel Weinberg & Co. Oder
Gustav Weinberg, Etuisfabrik, Großer Kornmarkt 18, Wohnung: Böttgerstraße 33
oder
Dr. phil. Gustav Weinberg, Assistent a. d. Akademie für Sozial- und
Handelswissenschaften, Nidda 39 III oder
Hermann Weinberg, Ellenbachstraße 53 für Germania-Lackfabrik Wilhelm Kaiser
& Co. Oder
Hermann Weinberg, Manufakturwaren und Schuhwaren, Neue Zeil 15 III oder
Hugo Weinberg, Kaufmann, Eilenbachstraße 53 oder
Julius Weinberg, Kaufmann, Hölderlinstraße 10 pt oder
Max Weinberg, Kaufmann, Mauerweg 4 II für Germania-Lackfabrik Wilhelm Kaiser
& Co. Oder
Richard Weinberg, Chamois- und Portefeuille-Leder, Elbestraße 32 E, Wohnung
Blittersdorffplatz 27 pt.
" |
Über die neue Synagoge der Israelitischen
Religions-Gesellschaft (Friedberger Anlage) (1907)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
29. August 1907: "Die neue Synagoge der Israelitischen
Religions-Gesellschaft zu Frankfurt am Main. Sechsundfünfzig Jahre
sind es in diesem Monat. Ein kleines Häuflein nur hatte den zerstörenden
Stürmen der Reform stand gehalten. Nur wenige waren übrig geblieben in
der einstigen Stadt und Mutter in Israel, als die Frankfurt von
altersher gegolten hatte - unter der Jugend so wenige, dass einer von
ihnen in seinen Erinnerungen berichtet, er habe keinen Altersgenossen
gehabt, der nur noch das Gebot, Tefillin anzulegen geübt hätte.
Diesen wenigen fehlte nicht der Mut. Sie ließen an einen rüstigen
Kämpfer ihren Ruf ergehen, an einen Mann, der seines Geistes Schwungkraft
der Weilt schon offenbart hatte in zwei Schriften voll heiligen Eifers und
zündender Gedanken. Und er, der Landesrabbiner von Mähren, folgte dem
Ruf der kleinen Schar, weil er erfüllt war von der Überzeugung, dass
Gott mit den Wenigen ist, wofern die Wahrheit und das Recht nur auf ihrer
Seite steht. 56 Jahre sind es in diesem Monat, dass Samson Raphael
Hirsch - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - nach
Frankfurt kam, um hier die Fahne der Tora mit starker Hand aus dem Staub
zu erheben und die Treugebliebenen um sie zu sammeln. Außer einem
gewaltigen Arbeitsfeld hatte die Religionsgesellschaft, die sich kurz
vorher zur Erhaltung der überlieferten Heiligtümer gebildet, dem eine
hervorragende äußere Stellung aufgebenden Manne nicht viel zu bieten.
Nicht einmal eine Stätte, wo er seinem Kreise das Wort der Tora hätte
verkünden können, nicht einmal eine Synagoge war vorhanden. Die Betstube
der Israelitischen Krankenkasse bat man ihn zu besuchen. Aber hier war
seines Bleibens nicht; die Verwaltungs-Kommission der Krankenkasse, der
auch jene Synagoge unterstand, verletzte die Rücksicht, die Hirsch als
Rabbiner gebührte, und die Religionsgesellschaft war gezwungen, in
einer gemieteten Wohnung eine provisorische Synagoge zu errichten. Hier
hielt Hirsch nun allsabbatlich die begeisternden, von der Fülle der
Gedanken überströmenden Reden, mit denen er die Herzen entflammte und
die Gemüter erleuchtete. In diesen Räumen erschloss er einer immer mehr
wachsenden Schar von Zuhörern die Tiefen des göttlichen Gesetzes, gewann
und stärkte er sie zum Kampf gegen die feindlichen Bestrebungen, die sich
der jungen Religionsgesellschaft bei ihrer friedlichen Arbeit hindernd in
den weg stellten, die sie aber unter Gottes Beistand, geführt von ihrem
genialen Meister, Schritt vor Schritt siegreich überwinden
sollte.
Dem Geschlechte, das heute zur Weihe des zweiten Gotteshauses der
Religionsgesellschaft sich anschickt, nachdem das erste die Zahl der
Einlassbegehrenden nicht mehr zu fassen vermocht, ziemt der Rückblick auf
diese Anfänge der Gemeinde. Anfänge waren es, wiewohl nur der Faden
weitergesponnen werden sollte, den die Väter in Händen gehalten, den
aber eine neue, ihres Gottes vergessende Zeit abgerissen hatte. Die
Geschichte der Religionsgesellschaft gleich darin der des jüdischen
Volkes im ganzen, dass auch in ihr das unwahrscheinlich Klingende volle
Wirklichkeit ward. 'Der Stein, den die Bauleute verachtet, ist zum
Haupteckstein geworden.' Und der Winzigkeit ihres Beginnes sich erinnernd beugt
sich die Gemeinde im Angesicht des mächtig sich dehnenden Baues, der nun
vollendet ward, demütig das Haupt vor dem Lenker der Geschichte, der auch
diesen Tag in wunderbarer Weise gewirkt. -
Im Jahre 1853, am 28. Elul (29. September), zog die
Religionsgesellschaft aus ihrem bisherigen gemieteten Bet HaKnesset
(Synagoge) in die Synagoge, die sie in der Schützenstraße errichtet
hatte; die Lehranstalt der Gemeinde bestand bereits seit einem halben
Jahr. Die Synagoge umfasste nur 250 Männersitze und etwa 200 Frauensitze;
und man glaubte, dass diese Zahl den Bedarf weit übersteigen würde. Aber
schon nach einigen Jahren waren die Plätze vergriffen, Bald erwies sich
eine Vergrößerung des Gebäudes als dringend erforderlich. Man suchte
sich lange Jahre zu behelfen, bis man schließlich im Jahre 1872,
als keine Wahl mehr blieb, sich zum Bauen entschloss. Der Garten der
Unterrichtsanstalt wurde für den Anbau benutzt. Die Synagoge wurde nur in
der Länge erweitert, sodass der Gottesdienst während des Bauens nicht
verlegt zu werden braucht. Erst nachdem der Anbau vollständig ausgeführt
war, wurde er durch Abbruch der bisherigen Ostwand mit der Synagoge
vereinigt, aber auch während dieser Abbrucharbeit wurde der Gottesdienst
nicht gestört; man errichtete eine Holzwand, die währenddessen die
Ostseite abschloss, und nur in der kurzen Zeit, die zu deren Niederlegung
notwendig war, fand das gemeinsame Gebet in den Räumen der
Unterrichtsanstalt statt. Der Tage vor Rosch Haschana im Jahr 1873
ward in derselben weise wie zwanzig Jahre vorher die Einweihungsfeier
vollzogen.
In den folgenden Jahrzehnten, die der Religionsgesellschaft die volle
Selbständigkeit und alle Rechte einer Gemeinde brachten, wuchs die Zahl
der Mitglieder unaufhörlich, sodass jetzt schon seit Jahren die weiten
Räume der Synagoge in der Schützenstraße nicht genügten. Man erließ
im Jahre 1904 ein Ausschreiben, durch das den drei besten eingelieferten
Entwürfen zum Neubau Preise von 4000, 2500 und 1500 Mark zugesichert
wurden. Das Preisgericht, das aus den Herren Geheimer Oberbaurat Professor
Hofmann - Berlin, Königlicher Baurat Neher - Frankfurt am Main,
Königlicher Baurat March - Charlottenburg, Wilhelm Hackenbroch (Mitglied
des Vorstandes), Dr. Israel Roos (Mitglied des Ausschusses) und Michael
Schwabacher (Mitglied der Baukommission) bestand, trat im Oktober
desselben Jahres zusammen. Von den durch das Preisgericht prämiierten
Arbeiten wurde schließlich die der Architekten Jürgensen und Bachmann in
Charlottenburg zur Ausführung bestimmt. Die Grundsteinlegung erfolgte am 21.
November 1905. Über den vollendeten Bau seien im Anschluss an unsere
Illustrationen folgende Daten mitgeteilt:
Der Hauptraum hat im Grundriss die Form eines Rechtecks, dessen
Längsachse genau von Osten nach Westen gerichtet ist; die Synagoge ist
somit genau orientiert. Vor dem Hauptbau lagert sich ein geräumiger
Vorhof, der nach der Friedberger Anlage hin durch zwei große Portale
(Männereingänge) geöffnet, und nach den Seiten hin durch die vorderen
Flügelbauten abgeschlossen ist. Durch den dem Hauptgiebel vorgelagerten
Portalvorbau gelangt man zunächst in die geräumige Vorhalle, von wo
breite Türen zu den Männergarderoben und zum Hauptraum führen. Das
Mittelschiff des Hauptraumes ist durch eine riesige Tonne überwölbt, in
welche die Querschiffe der Seitenemporen als Stosskappen hineinschneiden
und dem Raum eine ruhige monumentale Gesamtwirkung geben. Vorne an der
Ostwand erhebt sich der Estradenaufbau (ganz in nassauischem Marmor
gehalten); zu beiden Seiten liegen die Räume für Rabbiner, Kantoren und
Synagogenbeamten. In der Mitte steht der Almemor, aus kostbarem
Kyrosmarmor mit Bronzefüllungen gefertigt. Die Frauen gelangen durch die
zu beiden Seiten der Hauptportalbögen gelegenen Vorhallen auf breiten
hellen Aufgängen in die geräumigen Frauengarderoben, die durch je 2
Türen mit der West- respektive den Seitenemporen verbunden sind. Im Osten
der Seitenemporen sind Nottreppen angebracht. Das Erdgeschoss hat Raum
für 1000 Plätze, das Emporengeschoss für 600 Plätze. Die
Versammlungssäle mit Nebenräumen sind im Parterre des rechten
Flügelbaues angeordnet. In dem vorderen Teil des rechten Flügelbaues ist
im Obergeschoss eine Wohnung vorgesehen und über der Frauengarderobe eine
weitere Wohnung für den Hausmeister. Im linken Flügel liegt im Parterre
das Sitzungszimmer, durch eine Wendeltreppe mit der Kanzlei und den
Archivräumen verbunden. Beide Flügelbauten, die große Vorhalle und die
Räume im Osten, sind unterkellert, zunächst aber nur für Heizungs- und
Lüftungszwecke in Anspruch genommen. Im Hauptraum ist überall doppelte
Verglasung vorgesehen und zwar an der Innenseite Kunstverglasung. Das
Gestühl ist in Eichenholz, die Wandvertäfelungen der Haupt- und
Nebenräume in Kiefernholz angefertigt. Auf gute Heizung und Lüftung
wurde sehr viel gewicht gelegt; namentlich die Lüftungsanlage wurde mit
allen Verbesserungen der Neuzeit ausgeführt. Außer der elektrischen ist
auch Gasbeleuchtung vorgesehen. Die Architektur ist in modernisiert
romanischen Formen gehalten und zeigt stellenweise auch maurische Anklänge.
Der Hauptbau mit sehr reich detailliertem Giebel türmt sich zu einer
mächtigen, von zwei gedrungenen Türmen flankierten Gruppe auf. Durch das
Zurückschieben des Hauptbaues und die niedrigen vorgeschobenen
Flügelbauten ist eine ebenso zweckmäßige wie fein empfundene malerische
Anlage geschaffen, womit gleichzeitig eine wirkungsvolle Steigerung des
Hauptbaues erzielt wurde. Durch den gewählten Muschelkalk als
Hauptbaumaterial kommt die eingehende und liebevolle Durcharbeitung aller
Einzelheiten, namentlich der originellen Bildhauerarbeiten besonders
charakteristisch zur Geltung. Es lohnt sich die Einzelheiten zu studieren.
Überall neue Motive, neue Gruppierungen und doch nirgends Überladung,
immer herrscht das Gefühl der Notwendigkeit und ernsten, feierlichen
Erhabenheit vor. Im Inneren gestattete die Opferwilligkeit der vielen
Spender eine reichere Ausstattung als zu Anfang geplant war. Es würde
hier zu weit führen die vielen Details entsprechend zu würdigen, es
seien nur die reichen, kostbaren Marmor-, Bronze- und Schmiedearbeiten
erwähnt und die eigenartige Technik in der Ausmalung des Hauptraumes, die
verhältnismäßig einfach ausgeführt, doch sehr reich wirkt. Die
Architektur, wie überhaupt die ganze Art der Ausstattung und Behandlung
weicht von den in Frankfurt am Main üblichen Formen ab; aber trotzdem
dürfte das Gebäude, was Frische der Gestaltungskraft und Feinheit des
Empfindens anlangt, der Stadt Frankfurt am Main zur Zierde
gereichen. -
Die 'Israelitische Religionsgesellschaft' kann stolz sein auf das große
und schöne Gotteshaus, in das sie aus den historischen Räumen der alten Synagoge
heute übersiedelt. Ist ja der neue Bau ein Wahrzeichen der sich immer
verjüngenden Lebenskraft des Geistes, der in der Gemeinde Gestalt
gewonnen hat. Der Geist des alten gesetzestreuen Judentums, bestrahlt von
dem Lichte der modernen Bildung, ist in dieser Gemeinde zum Siege geführt
und von hier aus hinausgetragen worden in die weitesten Kreise der
Judenheit, dort neuen Mut und neues Leben zu wecken. So werden die
Bekenner des gesetzestreuen Judentums auf dem ganzen Erdenrunde an dem
Festtage, den die Frankfurter 'Israelitische Religionsgesellschaft' heute
begeht, freudigen Anteil nehmen." |
|
"Festgruß
an die neue Synagoge.
Ich grüße Dich, Du stolzer Bau,
Der neu sich dort erhebet;
Grüß jede Seele, die in Dir
Für unsre Tauroh lebet.
Zwar schleicht sich Wehmut leis ins Herz,
Da sich Dein Tor verriegelt,
Du altes Heim, wo Meistergeist
Hat Tauroh einst entsiegelt.
Doch weiß ich, lebt' der Meister noch -
Wie würd' ihm Dank entquillen,
Dass prangend die Gemeinschaft wuchs,
Die schuf sein Geist und Willen.
Die aus dem Nichts entstand durch ihn,
Der erst ihr gab das Leben,
Und dessen Geist durchglühte sie
Mit seinem Adlerstreben.
Vor sich sein lichtes Ideal,
Konnt hier er wirken, schaffen,
Nicht irrte ihn der Spötter Hohn,
Der Hochmut leerer Laffen.
Und bald - da wandelt Spott und Hohn
Sich in ein staunend Schweigen,
Und vor der Wahrheit Hoheit muss
Sich Feind und Hasser neigen.
|
Als ir woëm bejisroël,
Als Muster jüd'scher Kreise,
Bricht der 'Kehilloh' Glanz die Bahn
Der alten jüd'schen Weise.
Und wenn auch heim der Meister ging,
Er lebt und atmet weiter
In der Gemeinde Herzen fort,
In ihrem Führer und Streiter, -
Und nun gemehrt von Jahr zu Jahr,
Ward ihr der Raum zu enge,
Und heut' durchbrausen das neue Haus
Des Jubels und Dankes Klänge.
Was Menschenkunst und -Hand vermag
Und reiche Liebesgaben -
Wie ragst Du himmelweisend, Bau,
Den sie errichtet haben.
Nun stehen alle dankerfüllt
Im strahlenden Gebäude
Und beugen demutsvoll das Haupt,
Bewegt vor Gott in Freude.
So mög' des Himmels Segen reich
Mit uns hinüberziehen
Und alle dunkle Schatten Dich,
Du heil'ge Stätte, fliehen.
Und jede Andacht, die sich hier,
Herr, im, Gebet entzündet -
Leih gnädig, Herr, dem Wort Dein Ohr,
Das Deinen Namen kündet." |
Zur Abbildung: "Die hier in
Originalgröße dargestellte Plakette wurde nach einem Entwurfe des Herrn
M. Schnerb von dem Medailleur Reinhold Heun angefertigt. Sie zeigt den
Neubau in einem Rahmen, welcher der Nische des Oraun hakaudesch der alten
Synagoge nachgebildet ist, und bildet so gleichzeitig eine sinnige
Erinnerung an das alte Gotteshaus. Die Plakette ist von Herrn Leo
Hamburger, hier, zu beziehen.
Postkarten mit Ansichten der neuen Synagoge wurden von den Firmen Grödel,
A. und M. Löwenthal und Gebr. Roos angefertigt." |
Einweihung der neuen Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft
(1907)
Anmerkung: auch in dem Bericht aus der Zeitschrift "Der Israelit" -
oben unter "Abschied
von der alten Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft"
eingestellt - wird ausführlich über die Einweihung der neuen Synagoge
berichtet.
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 30. August
1907: "Die Einweihung der neuen Synagoge der
Synagogengemeinde 'Israelitische Religionsgesellschaft' in Frankfurt am
Main.
Vor mir liegen drei Programme:
Programm für die Einweihung der Synagoge Bes Tefillas Jeschurun zu
Frankfurt am Main am 29. September 1853.
Programm zum feierlichen Empfange Seiner Ehrwürden des Herrn Rabbiner Dr.
S. Breuer, 2. April 1880.
Programm für die Feier der Einweihung der neuen Synagoge Bes Tefillas
Jeschurun der Synagogengemeinde 'Israelitische Religionsgesellschaft', 29.
April 1907.
Jede dieser drei Feiern bedeutet den Beginn eines neuen Abschnittes in der
Geschichte der Frankfurter Israelitischen Religionsgesellschaft. Als unter
dem Voranzug der Schuljugend und dem Nachfolgen der Erwachsenen die
Torarollen im feierlichen Zuge aus dem Betlokale in die nunmehr errichtete
stattliche Synagoge in der Schützenstraße getragen wurden, da ward der
ganzen Welt sichtbar, dass nach langen Kämpfen eine lebenskräftige
Gemeinde erstanden war; als dann 27 Jahre später der Schöpfer dieses
imponierenden Gemeinwesens die Augen geschlossen hatte und sein Nachfolger
eingeführt wurde, nahm wieder eine neue Periode ihren Anfang, eine
Periode ohne die gewaltige Persönlichkeit des genialen S. M. Hirsch's s.A.;
und heute, nachdem die bisherige Synagoge längst zu eng geworden war und
nun der Prachtbau einer neuen, gewaltigen Synagoge entstanden ist, tritt
die Religionsgesellschaft in eine neue Phase ihrer Entwicklung, für die
wir ein Prognostikon noch nicht stellen können, der wir aber eine reiche
Fülle von Segen für den engeren Kreis der Gemeinde und für die gesamte
Judenheit wünschen.
Moses sprach zu der ganzen Gemeinde der Kinder Israels: 'Das ist die
Sache, die Gott geboten: Nehmet von Euch eine Gabe für Gott, jeder, den
sein Herz dazu treibt, bringe die Gottesgabe an Gold, Silber und Kupfer.'
Und das Volk brachte so viel, dass seinem Bringen Einhalt geboten werden
musste.
Auch diesmal hat dem Bringen gewehrt werden müssen. Ein erhebender
Anblick: eine Gemeinde von vielleicht 700 Familien errichtet eine Synagoge
mit dem Kostenaufwande von einer Million Mark, zu der noch die innere
Einrichtung im Werte von fast hunderttausend Mark gespendet wurde.
An der Friedberger Anlage erhebt sich der weiße mächtige Kalkstein-Bau
mit seinen beiden wuchtigen, stumpfen Türmen, dem ein Vorhof mit zwei
Seitengebäuden, die Sitzungszimmer, Kanzlei, Archiv, Portierwohnung usw.
enthalten, vorangestellt ist. Es war eine schwere Aufgabe, die die
ausführenden Architekten zu lösen hatten, denn es galt, auf einem für
ein solch' gewaltiges Gebäude beschränkten Raume ein frei wirkenden Bau
hinzustellen. Und die ausführenden Architekten haben diese Aufgabe nicht
allein restlos gelöst; nein, sie haben sogar dank der vollständigen
Freiheit, welche ihrem künstlerischen Empfinden die Auftraggeberin
gewährt hat, etwas durchaus Selbständiges Originelles geschaffen, sodass
die neue Synagoge als eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges bezeichnet
werden darf. Denn auch das Innere ist nach eigenem künstlerischem
Empfinden geschaffen.
Durch eine Vorhalle, die durch eine in gelbgrauen Tönen bemalte
Decke überspannt wird und die bereits eine das Profane verwischende
Stimmung erweckt, tritt man auf die geschliffenen Marmorfließen des Synagogenraumes.
Man ist überwältigt, aber in demselben Augenblick durchzieht beseligende
Ruhe das Herz; denn imponierend und beruhigend wirkt der Innenraum, ein
von mächtigen Pfeilern getragenes Tonnengewölbe von 22 Meter
Spannung.
Die Wände dieses Innenraumes sind in vermalter Kratztechnik ornamentiert.
In der Mitte erhebt sich der von Frau Menko Kulp Witwe gestiftete Almemor
aus feinstem weißen Marmor, unterbrochen durch getriebene Metall-Einsätze.
Der Almemor ist ein Meisterwerk. Doch der Oraun Hakaudesch (Toraschrein)
steht ihm nicht nach. Gerade in der Partie des Oraun Hakaudesch hat die
Erfindungsgabe des Künstlers mit Königslaune schwelgen können. Die
Masse des Oraun Hakaudesch, der ein Geschenk der Herrn Meier Selig
Goldschmidt ist, besteht aus grauem nassauischen Marmor. Er wird
flankiert von zwei mächtigen, mit Beleuchtungskörpern versehenen
Pylonen, die in ihrem Metallglanze - sie sind aus Tombak getrieben - sich
von der Marmorverkleidung wirkungsvoll abheben.
Nachdem der Eintretende so das zuerst auf ihn Einwirkende in sich
aufgenommen hat, lenkt sich sein Auge auf die Einzelheiten. Da sind
die von Herrn Louis Feist gestifteten vornehmen Beleuchtungskörper,
die von verschiedenen Gemeindemitgliedern gestifteten bunten großen Fenster,
das von Herren Gebrüder Mosbacher geschenkte kunstvoll
geschmiedete Gitter zur Frauen-Galerie, das Ner Tomid (ewiges
Licht), welches eine Gabe der Jugend ist usw. Bei dem Oraun Hakaudesch
sollen die in Feuer vergoldeten Brismiloh- und Chanukkaleuchter - ersterer
ein Geschenk der Herren Gebrüder Sondheimer, letzterer ein
Geschenk des Herrn Adolf Stern - auf.
Über die besonders schönen Silber-Gegenstände einige Worte: das Ner
Tomid (ewige Lampe), von der Firma Carl Grebenau gefertigt, aus
gediegenem Silber feuervergoldet hergestellt, ist vollständig
handgearbeitet, reich ziseliert und mit Edelsteinen gefasst. Zeichnung und
Modell sind nach den Intentionen der bauleitenden Architekten ganz im
spätromanischen Stile, in welchem die Synagoge gehalten, ausgeführt. -
Der Brismilohleuchter ist im kunstgewerblichen Atelier des
Juweliers Felix Horovitz ausgeführt. Dieser fünfarmige Leuchter,
dessen Höhe bis zu den in Onyx angefertigten Kerzen ca. 2,30 Meter
beträgt, ist von vergoldetem Silber gefertigt. Auf einem dreiteiligen
Fuß, der auf Kugeln ruht, erhebt sich, nach oben sich verjüngend, der
vierkantige Schaft, aus dem sich die fünf Arme entwickeln, die oben von
einer fein durchbrochenen Querleiste zusammengehalten werden. Jeder Arm
trägt oben eine Tülle, die je eine große Onyxsäule (für Gas
eingerichtet) umgeben von 12 Wachskerzen halten. Komposition und
Ornamentik schließt sich dem Stil der Synagoge an. - Die gleiche Höhe
wie der von |
der
Firma Felix Horovitz angefertigte Brismilohleuchter hat der aus der
Werkstätte der Silberwarenfabrik Lazarus Posen Witwe
hervorgegangene Chanukkaleuchter. Auch er ist dem Stile der Synagoge
angepasst; zu seiner Anfertigung wurde allein ein Zentner Silber verwandt.
Die Firma Lazarus Posen Witwe hat außerdem die vier reizenden
feuervergoldeten Omedleuchter, ein Geschenk des Herrn Meier
Selig Goldschmidt, angefertigt, außerdem eine Weinkanne, die
Herr Max David Goldschmidt, einen reichgetriebenen großen Hawdolohkerzenhalter,
den Herr Gottschalk Engelbert, und die in Bronze ausgeführten
Beleuchtungskörper für die Jahrzeitlichter und einen bis ins kleinste
Detail ausgeführte Silber-Toragarnitur, die Herr Ferdinand Meyer gestiftet
hat.
Manches aus der Fülle des Gestifteten wäre noch zu erwähnen - so der
gesamte Linoleum-Belag von Herrn Dr. Roos und der wertvolle
antike silberne Toraschmuck von Herrn Jacob Besthoff -; aber das
bereits Beschriebene gibt einen Begriff von dem Opfersinne, den die
Mitglieder der Israelitischen Religionsgesellschaft betätigt haben, da
sie Gott ein Heiligtum bauten.
Der Abschiedsgottesdienst, der auf heute, Donnerstag, nachmittags 3
Uhr festgesetzt war, vereinigte zum letzten Male die Gemeinde - es war
eine dichte Menge tief ergriffener Menschen, kein Plätzchen in dem weiten
Raum war frei. Vor dem Mincha-Gebet wurde Psalm 42 abwechselnd vom Oberkantor
Friesländer und der Gemeinde vorgetragen und nach demselben vom
Oberkantor Psalm 132 rezitiert. Hiernach beschritt unter feierlicher
Stille Herr Rabbiner Dr. Breuer die Kanzel.
Der ehrwürdige Redner begann mit dem bekannten Mincha-Gebet: 'Es möge
sein Wille sein, so wie er uns begnadet hat, die Sonne zu sehen in ihrem
Aufgange, so möge er sie uns auch schauen lassen bei ihrem Abzuge'.
Dieses Gebet sei angebracht bei der gegenwärtigen Feier; vor fünfzig
Jahren wurde der Einzug in dieses Haus gefeiert, und heute wird nun der
Auszug vorgenommen, aber es ist kein Untergang, sondern ein neuer Aufgang
der Sonne, denn wie die Sonne nicht untergeht, so auch das Judentum. Und
ebenso wie Moses einst bei jedem Zuge der Bundeslade das Gebet 'Wajehi
binsaua' zu sagen pflegte, so verfahren auch wir: Bei unserem Umzuge
nehmen auch wir unsere Tora mit. Wir wollen in demselben Geiste, der bis
jetzt unsere Gemeinde beseelte, weiter fortleben. Nachdem Redner den Segen
'Gesegnet sei dein Eintritt, wie dein Austritt', der sich nach unseren
Weisen auf Eintritt und Austritt aus der Synagoge bezieht, ausspricht,
segnet er die Gemeinde und erfleht Gottes Segen auf sie herab; der Geist
Samson Raphael Hirschs möge auch fernerhin in ihr walten. - Nach der
Predigt wurden die 22 Sifre Tauroh (Torarollen) unter den Gesängen des
Chors, den Herr Kantor Neumann von der Hermesweg-Synagoge mit
seinem Takt leitete und unter Herrn Oberkantor Pessachowitsch's Gesang
hinausgeführt und in 11 Wagen nach der neuen Synagoge
gebracht.
6 1/2 Uhr wurde die Einweihungsfeier in Gegenwart von mehr als
2.000 Personen, darunter Vertreter von 40 jüdischen Gemeinden - auch die
hiesige jüdische Gemeinde hatte zwei Vertreter entsandt - Polizeirat
Mahrenholz als Vertreter des Polizeipräsidenten, der kommandierende General
Eichhorn, Bürgermeister Grimm in Vertretung des
Oberbürgermeisters und 30 Rabbiner, eröffnet. Herr Oberkantor
Friesländer intoniert den 'Matauwu' und der Chor tritt in Aktion.
Nach Psalm 118, der von Vorbeter und Chor abwechselnd vorgetragen wird,
wird die Synagogentüre geöffnet, und indem Herr Oberkantor
Pesachowitz 'Se haschaar' rezitiert, tritt er mit dem Zuge der
Toraträger ein. Seine Ehrwürden Herr Rabbiner Dr. Breuer spricht
die Brochoh 'Halauw wehamtiw' und der Zug der Toraträger schreitet einmal
um den Almemor, während der Vorbeter das Simchas-Tora-Lied 'Ono haschem'
mit der Simchas-Tora-Melodie vortrögt. Die Torarollen mit ihrem
auffallend prächtigen Gold- und Silberschmuck werden nun unter den
entsprechenden Gesängen in den 'Oraun hakaudesch' (Toraschrein)
gestellt, ein überaus feierlicher Moment! Der Rabbiner schließt die Lade
und entzündet den 'Ner Tomid' (ewiges Licht), während der Chor
Psalm 30 singt. Nun beginnt der Rabbiner die Festrede mit dem
letzten Verse des soeben verklungenen Psalms, der mit 'Dank' abschließt.
Er dankt allen, die zu dem Gelingen des Werkes beigetragen, und führt
dann aus: Nicht der Gottesdienst in der Synagoge, sondern der Gottesdienst,
den jedes Mitglied der Gemeinde im Leben betätigt, ist das Wichtige. Der
Gradmesser für die Bethäuser ist die Gemeinde; Gottestempel muss jeder
Jude sein! Jerusalem ist zerstört worden, weil das Schwergewichtig auf
den Gottesdienst und nicht auf die Betätigung der jüdischen Anschauungen
im Leben gelegt wurde. Übergehend auf die Gemeinde, sagt Redner, dass von
ihr zum dritten Male eine Synagoge eingeweiht wird; die Gemeinde begann
sehr klein, dann konnte sie eine stattliche Synagoge bauen, und jetzt hat
sie, die tonangebend geworden ist, eine der größten Synagogen der Welt
errichten können. Wie die Knechte Abimelechs einst unserem Stammvater
Isaak 2 mal die Brunnen verschütteten und man deshalb die Brunnen 'Zank'
und 'Streit' nannte und der 3. Brunnen, 'Rechaubauth' (Erweiterung)
genannt, gedieh, so hofft der Redner, dass der 3. Bau, zu dem Samson
Raphael Hirsch, wie einst David zum Tempel, den Grundstein gelegt hat,
gedeihen und blühen wird. - Mit dem Maariw-Gebete und Chorgesang
schließt die Feier. Das Festessen, das sich dem Gottesdienst
anschloss, vereinigte 400 Personen im 'Saalbau'. Arrangement und Lieferung
desselben lag in den bewährten Händen des Herrn Hotelier Ries.
Herr Jakob Besthoff führte das Präsidium. Es wurden zahlreiche
Toaste (Louis Feist, Rabbinatsassessor Posen, Jakob
Rosenheim, Provinzialrabbiner Dr. Cahn usw.) gehalten und Tischlieder
gesungen. Die Tafelmusik war eine erstklassige, und der Abend bildete
einen würdigen Abschluss der vornehm und imponierend verlaufenen
Feierlichkeiten."
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Breuer: gemeint Rabbiner Dr.
Salomon Breuer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Breuer und https://www.geni.com/people/Salomon-Breuer/6000000003788875284;
sein Sohn war Rabbiner Raphael Breuer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Raphael_Breuer, ein anderer Sohn Joseph
Breuer war gleichfalls Rabbiner.
-
S. M. Hirsch: Wohl Samson Raphael Hirsch
-
Frau Menko Kulp Witwe: Wohl Julie Kulp, Obermainanlage 29 E
-
Almemor:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bima
-
Meier Selig Goldschmidt: Meier Selig Goldschmidt, Kaufmann, Friedberger
Anlage 25 E
-
Gebrüder Mosbacher: Gebrüder Mosbacher, Eisen und Metalle, Engr.,
Rechneigrabenstraße 9 pt.,
-
Leopold und Maier Mosbacher, privat: Leopold Mosbacher, Kaufmann, Schöne
Aussicht 5 II
-
Maier Mosbacher, Kaufmann, Hölderlinstraße 7 II
-
Gebrüder Sondheimer: Feist Sondheimer, Lehrer, Röderbergweg 87 oder Fritz
Sondheimer, Kaufmann, Eschenheimer Anlage 3 pt oder Nathan Sondheimer,
Kaufmann, Eschenheimer Anlage 1 I oder Nathan Richard Sondheimer Kaufmann,
Obermainanlage 16 II
-
Adolf Stern: Adolf Stern, Kaufmann, Friedberger Anlage 22 E oder Adolf
Stern, Kaufmann, Hegelstraße 11 I oder Adolf Stern, Kaufmann, Agenturen,
Herderstraße 5 pt. oder Adolf Stern, Kaufmann, Palmstraße 13 oder Adolf
Stern, Kaufmann, Sandweg 13 oder Adolf Stern, Kaufmann, Sandeweg 44 oder
Adolf & Leo Stern, Manufakturwaren, Tuche- und Hemdenfabrik Engr., Große
Friedberger Str. 46, Inhaber Adolf Stern
-
Carl Grebenau: Carl Grebenau, Kaufmann, Juwelen, Uhren, Gold- und
Silberware, Zeil 3, privat: Ostendstraße 13 II
-
Felix Horovitz: Felix Horovitz, Juwelen, Uhren, Gold- und Silberware,
Schillerstraße 7: Atelier: Grüneburgweg 28, privat: Börneplatz 16 I
-
Lazarus Posen Witwe: Lazarus Posen Witwe, Silberwarenfabrik, Modellier- und
Ziselierwerkstatt, Steinweg 12, Inhaber H. und Moritz Posen (Berlin); Jacob
Lazarus und Sal. Posen in Frankfurt, Prok. Philipp Posen
- Max David Goldschmidt: Max David Goldschmidt, Kaufmann, Beethovenstraße 13
II
- Gottschalk Engelbert: Gottschalk Engelbert, beeid. Bücherrevisor für die
kgl. Gerichte des Landesgerichtsbezirks und für das Kgl. Oberlandesgericht
Frankfurt a. M., Sachverständiger für kaufmännische Angelegenheiten,
Börsenstraße 1 I, privat: Thüringer Straße 13 I
- Ferdinand Meyer: Ferdinand Meyer, Schlosser, Wickerer Straße 14
-
Dr. Roos: Israel Roos, Dr. phil., Chemiker, Schöne Aussicht 5 I
-
Jacob Besthoff: Jacob Besthoff, Kaufmann, Friedberger Anlage 17 II
- -Mincha:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mincha
-
Oberkantor Friesländer: Julius Friesländer, Ostendstraße 11 III
-
Polizeirat Mahrenholz: Adolf Mahrenholz, Regierungsrat, Eppsteiner Straße 35
II
-
General Eichhorn: Hermann Eichhorn, General der Infanterie, Kommandierender
General des XVIII. Armee-Korps Erz., Untermainkai 13
https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_von_Eichhorn_(Generalfeldmarschall)
)
-
Bürgermeister Grimm: Otto Grimm, Bürgermeister, Feldstraße 13 E
-
Matauwu: Ma Towu
https://de.wikipedia.org/wiki/Ma_Towu
-
Brochoh: Bracha
https://de.wikipedia.org/wiki/Bracha
-
Simcha(t) Tora
https://de.wikipedia.org/wiki/Simchat_Tora
-
Maariw:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ma%27ariv
-
Hotelier Ries: Julius Ries, Hotel Ulmann, Zeil 68. |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 6. September 1907: "Die neue Synagoge der israelitischen
Religionsgesellschaft Frankfurt am Main an der Friedberger Anlage, wurde
am 29. vorigen Monats durch einen Festgottesdienst ihrer Bestimmung
übergeben. Das Gotteshaus ist von den Berliner Architekten Jürgensen und
Bachmann im romanischen Stil erbaut worden". |
Rituelle Kunstgegenstände in der neuen Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft (1907)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 6. September
1907:
"Künstlerisch hervorragende Gegenstände der neuen Synagoge der Frankfurter
Israelitischen Religionsgesellschaft.
1. Ner Tamid aus dem Atelier der Firma Carl Grebenau
2. Chanukkaleuchter aus dem Atelier der Firma Lazarus Posen Wwe.
Anmerkungen: - Ner Tamid:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ner_Tamid und
https://de.wikipedia.org/wiki/Ewiges_Licht
-
Carl Grebenau: Carl Grebenau, Kaufmann, Juwelen, Uhren, Gold- und
Silberware, Zeil 3, privat: Ostendstraße 13 II
-
Chanukka:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chanukka
-
Lazarus Posen Witwe: Lazarus Posen Witwe, Silberwarenfabrik, Modellier- und
Ziselierwerkstatt, Steinweg 12, Inhaber H. und Moritz Posen (Berlin); Jacob
Lazarus und Sal. Posen in Frankfurt, Prok. Philipp Posen |
|
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 13. September
1907: Künstlerisch hervorragende Synagogen-Gegenstände.
Der von der Firma Felix Horovitz, Frankfurt a. M. für die neue
Synagoge der Frankfurter Israelitischen Religionsgesellschaft
gelieferte Brismilahleuchter.
Anmerkungen: Firma Felix Horovitz: Felix Horovitz, Juwelen, Uhren, Gold- und
Silberware, Schillerstraße 7, Atelier: Grüneburgweg 28. Wohnung: Börneplatz
16 I
https://artsandculture.google.com/culturalinstitute/beta/asset/kiddush-cup-workshop-of-felix-horovitz-frankfurt-am-main-1876-1964/aAFnG_W7H8j8VQ?hl=de
Brismilah:
https://de.wikipedia.org/wiki/Brit_Mila |
|
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 13. September
1907: Künstlerisch hervorragende Synagogen-Gegenstände.
Die von der Firma Lazarus Posen Wwe., Frankfurt a. M., für die neue
Synagoge in Posen gefertigte Bekrönung des Araun Hakaudesch
Das über 2 Meter hohe Kunstwerk stellt 2 in Hochrelief getriebene romanische
Löwen dar, die mit ihren Vorderpranken ein von goldenen Strahlen bekröntes
Tor mit reich ziselierten Säulen halten, aus dessen Mitte ein Bibelvers in
transparenter Schrift hervorleuchtet. Den Hintergrund bildet ein vergoldetes
fein getriebenes und ziseliertes streng romanisches Ornament, von dem sich
die in mattem Silber gehaltenen, hervorragend schön durchgeführten Körper
der Löwen mit ihren gelbgoldenen Mähnen wirkungsvoll abheben."
Anmerkungen: - Neue Synagoge Posen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Synagoge_(Posen)
-
Lazarus Posen Witwe: Lazarus Posen Witwe, Silberwarenfabrik, Modellier-und
Ziselierwerkstatt, Steinweg 12, Inhaber H. und Moritz Posen (Berlin); Jacob
Lazarus und Sal. Posen in Frankfurt, Prok. Philipp Posen
-
Araun Hakaudesch: Toraschrein
https://de.wikipedia.org/wiki/Toraschrein . |
Ergänzungen zum Bericht über die Einweihung der neuen
Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft (1907)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. September
1907: "Frankfurt a. M., 11. Sept. Dem Berichte über die
Einweihung der neuen Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft sei
noch nachgetragen, dass bei dem Weiheakte Herr Oberkantor Pessachowitsch
in gewohnter Meisterschaft fungierte. - Die von der Jugend der Gemeinde
gestiftete kostbare Lampe für das Ner tamid (ewiges Licht)
entstammt dem Atelier des Herrn Carl Grebenau hier. - Das Festessen
im Saalbau, dessen Arrangement hohe Ansprüche an die Leistungsfähigkeit des
Wirtes stellte, war dem Hotel Ullmann (Julius Ries) übertragen.
Anmerkungen: - Oberkantor Pessachowitsch: Oberkantor Benno Pessachowitsch,
Ostendstraße 29 III
-
Ner tamid:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ner_Tamid
-
Carl Grebenau: Carl Grebenau, Kaufmann, Juwelen, Uhren, Gold- und
Silberware, Zeil 3, privat: Ostendstraße 13 II
-
Saalbau: Konzerthaus mit 1.800 Plätzen in der Junghofstraße
https://de.wikipedia.org/wiki/Saalbau_GmbH
-
Julius Ries: Julius Ries, Hotel Ullmann, Zeil 68 |
Publikation
von Fotografien der neuen Synagoge an der Friedberger Anlage (1908)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt vom 12. Juni 1908:
"Die neue Synagoge an der Friedberger Anlage hat wegen ihrer
hervorragenden künstlerischen Bedeutung bereits mehrere Aufnahmen im Bild
gefunden. Dieser Tage ist nun wiederum eine Aufnahme erschienen, und zwar
ein Kunstblatt in Hochglanz-Photographie-Ton, dessen Ausführung
eine sehr exakte und dessen Preis ein mäßiger - 30 Pfennig - ist. Das
Kunstblatt ist von dem Kunstverlag A. und M. Löwenthal zu
beziehen." |
Radierung der Synagoge Friedberger Anlage
(1925)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. März
1925: "Die Radierung der Synagoge Friedberger Anlage
- Synagoge Friedberger Anlage zu Frankfurt a. M. - Radierung Alfred
Vietze -
dürfte die beste aller bisherigen Wiedergaben sein. Sie entstammt der
Meisterhand des Architekten Alfred Vietze hier und ist im Verlage der
'Memoria', Frankfurt a. M., erschienen. Die Aufnahme im 'Israelit' ist nach
einer uns vom Verlage zur Verfügung gestellten Original-Radierung erfolgt.
Das Blatt ist in sämtlichen jüdischen Buchhandlungen zu sehr mäßigem Preise
zu haben und eignet sich auch zu Geschenkzwecken.
Anmerkung: - Memoria: 'Memoria', Inhaber Alfred Goldstein,
Reiseandenkenfabrik, Reineckstraße 7.
Der Architekt Alfred Vietze ist 1889 geboren, vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Vietze_&_Helfrich. |
Neues Bild der Synagoge Friedberger Anlage
(1926)
Anmerkung: Das Bild siehe unten bei Fotos/Abbildungen; das Gemälde war bei
einer Auktion in Israel angeboten.
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Juni
1926: "Ein neues Bild der Synagoge Friedberger Anlage
Ein herrliches Kunstblatt danken wir der Künstlerin Hilffert-Andorff
(statt: Hilppert-Andorff). Es bietet die Innenansicht der Synagoge
Friedberger Anlage, in Zeichnung und Farbe so glücklich gelungen, dass es
nicht allein die Einrichtung und die Ausmaße zeigt, sondern lebend die
heilige Stimmung im Gotteshause widerspiegelt. Das Gemälde dürfte bald den
Wandschmuck aller guten Frankfurter und auch aller Freunde der
Israelitischen Religionsgesellschaft außerhalb Frankfurts und Deutschlands
bilden. (Den Vertrieb hat Herr M. Posen, Frankfurt a. M.,
Fischerfeldstraße 2. Preis Mk. 25,-).
Von der Künstlerin wissen wir Folgendes: Sie wurde am 28. Juli 1885 als
Tochter des bekannten Frankfurter Malers Professor P. Andorff geboren
und erhielt ihre erste Ausbildung in der Radierklasse von Professor B.
Mannfeld. Sie vervollkommnete sich dann in ihrer Kunst eine Zeit lang in
der Berliner Kunstschule. Ein Zyklus von Radierungen aus Alt-Dresden aus der
Hand der Künstlerin wurde 1914 von der Stadt Dresden angekauft und befindet
sich im dortigen städtischen Archiv. Hier in Frankfurt sind ihre Radierungen
aus Altfrankfurt bekannt, auch andere Bilder nach Motiven aus alten Städten
in Württemberg. Mit dem Bild der Synagoge sehen wir die tiefschauende Kunst
der Malerin auf einer beachtenswerten Höhe.
Anmerkungen: - Professor Paul Andorff (1849-1920):
https://www.lagis-hessen.de/pnd/1118378490
-
Professor B. Mannfeld:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_Mannfeld
-
Berliner Kunstschule:
https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigliche_Kunstschule_zu_Berlin
|
Gedenkblätter zum 25-jährigen Bestehen der Synagoge
Friedberger Anlage (1932)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22.
September 1932: "Gedenkblätter zum 25jährigen Bestehen der Synagoge
Friedberger Anlage.
Der Vorstand der Rabbiner-Hirsch-Gesellschaft überreicht ihren
Mitgliedern zum 19. Elul eine Broschüre, die das Ereignis der Einweihung
unserer Synagoge vor 25 Jahren in unserer Erinnerung aufleben lässt und ein
paar wichtige Dokumente aus der damaligen Zeit und früheren Zeiten der
Gemeindegeschichte veröffentlicht . An erster Stelle sehen wir die
Grundsteinurkunden der Synagoge Schützenstraße (Grundsteinlegung 30.
September 1852) und der Synagoge Friedberger Anlage (datiert 21.
November 1905). Es folgen drei Reden von Herrn Rabbiner Dr. Salomon
Breuer - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen - bei der
Grundsteinlegung in der Friedberger Anlage, beim Abschied von der
Synagoge Schützenstraße und bei der Einweihung der Synagoge
Friedberger Anlage am 19. Elul. Die hebräischen Texte der zwei
Grundsteinurkunden bilden den Abschluss der schön ausgestatteten
Gedenkblätter.
Eine offizielle Feier der Israelitischen Religionsgesellschaft aus
Anlass des Synagogenjubiläums wird, wie schon gemeldet, am Chanukkah
stattfinden.
Anmerkungen: - Elul:
https://de.wikipedia.org/wiki/Elul
- Chanukkah:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chanukka |
Fertigstellung einer Torarolle für die Synagoge Friedberger
Anlage (1933)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Februar
1933: "Das Jubiläums-Sefer der Synagoge Friedberger Anlage
Das in voriger Nummer angekündigte Ausschreiben des Sefer (Torarolle) für
die Synagoge Friedberger Anlage musste wegen Erkrankung des Herrn Sofer
Schreiber verschoben werden. Es findet nunmehr am nächsten Sonntag, den
5. Februar und Sonntag den 12. Februar, im Hörsaale Friedberger
Anlage, vormittags von 10 bis 1 Uhr und nachmittags von 3 bis 6 Uhr statt.
Es ist damit allen Gelegenheit geboten, sich zur angegebenen Zeit an dem
Gebot zum Schreiben einer Tora zu beteiligen. Der Minimalpreis für einen
Buchstaben ist auf eine Mark festgesetzt, für Jugendliche im Alter von 17
bis 20 Jahren auf 50 Pfennige.
Anmerkung: -Sofer Schreiber: Toraschreiber Mendel Schreiber,
Ostendstraße 45 Erdgesch. |
Neue Torarolle in der Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft
(1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
25. Oktober 1934: "Das neue Sefer in der Synagoge der Israelitischen
Religionsgesellschaft.
Nach der herrlich verlaufenen Abendveranstaltung zu Ehren des neuen Sefer am
Sonntag wurde das Sefer am Freitag Abend mit einem feierlichen Akt auch in
der Synagoge eingeweiht. Im festlich beleuchteten G’tteshause standen die
Beter Kopf an Kopf, sodass das Bild an hohe Feste in der Glanzzeit der
Gemeinde erinnerte. Dass diese Glanzzeit nicht der Vergangenheit gehört,
zeigte übrigens nicht allein das volle Haus, sondern auch die ganze
Stimmung, das Frohgefühl der Gemeindemitglieder, zu denen sich auch viele
Gäste aus den anderen Synagogen und Bethäusern einfanden in schwerer Zeit
der Tora ein Fest feiern zu dürfen.
Die Feier spielte sich nach einem in allen Teilen festgelegten Programme ab.
Nach dem üblichen Freitagsabendg’ttesdienst, vorgetragen von Herrn
Oberkantor Peissachowitsch mit Unterstützung des Synagogenchores,
der unter Leitung von Max Neumann sein Bestes gab, bestiegen die
Herren vom Vorstand und Gemeinderat die Stufen zum heiligen Schrein, um das
Ausheben der sechs Seforim zu flankieren und damit ein echtes Simchas
Tora-Bild dem Auge zu bieten. Die große Kinderschar harrte strahlenden
Gesichtes unten vor den Stufen um voller Jubel die Torarollen auf ih-rem
Rundgange zu küssen. Unter Gesängen setzte sich der Zug in Bewegung, die
neue Tora, getragen vom Raw, wurde vom Hörsaale eingeholt und mit einem
Baruch Haba ("Gesegnet, der da kommmt) des Synagogenchores begrüßt. Nach
einer Hakafah wurde die Tora unter feierlichen Gesängen wieder
eingehoben, worauf die Predigt erfolgte. In einer formschönen und
wirkungsvollen Rede schilderte unser Gemeinderabbiner J. Horovitz die
Eigenart des Festes und das Gebot des Toraschreibers in all sei-nen
Ausstrahlungen und seiner Bedeutung für die Totalitätserfassung des
jüdischen Pflichtenleben.
Ein festliches 'Jigdal' beschloss die Feier, die in ihrer Seltenheit den
Teilnehmern unvergessen bleiben wird.
Am Sabbatmorgen wurde das neue Sefer ausgehoben und mit der Verlesung des
Wochenabschnittes seinem eigentlichen Zwecke zugeführt. Allgemein wird die
saubere, schöne Schrift und die herrliche Ausführung bewundert, die der
Kunst unseres Sofers, Herrn Mendel Schreiber, wiederum ein ehrendes
Zeugnis ausstellt.
Anmerkungen: - Sefer: Torarolle
- Oberkantor Peissachowitsch: Benno Pessachowitsch, Ostendstraße 29
III
- Max Neumann:
https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erle-ben/stadtportrait/stadtgeschichte/stolpersteine/stolperstein-im-ostend/familien/neumann-max
- Seforim (Plural für Sefer): Torarollen
- Raw: Rabbiner
- Simchas Tora:
https://de.wikipedia.org/wiki/Simchat_Tora
- Hakafah: Prozession
https://de.wikipedia.org/wiki/Hakkafot
- J. Horovitz: Gemeinderabbiner Dr. phil. Jakob Horovitz,
Staufen-Straße 30
- Jigdal:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jigdal
- Sofer: Toraschreiber
http://juedisches-leben.erfurt.de/jl/de/mittelalter/handschriften/wissenswertes/118686..html
- Herrn Mendel Schreiber: Mendel Schreiber, Toraschreiber,
Ostendstraße 45 Erdgesch. |
Adresse/Standort der Synagoge: Friedberger
Anlage 5-6
Fotos
(Quellenhinweis: die historischen Abbildungen der ersten
beiden Fotozeilen Mitte und rechts wurden als
scans dem Webmaster ohne präzise Quellenangaben zur Verfügung gestellt; die
Scans liegen nicht in höherer Auflösung vor; die historische Ansichtskarte
links ist in höherer Auflösung eingestellt; die historischen Abbildungen der
beiden folgenden Fotozeilen aus der Website www.vor-dem-holocaust.de
(dort finden sich Einzelnachweise); die Fotos des
"Synagogenbunkers": Hahn, Aufnahmedatum:
20.8.2012)
Die
Synagoge an der
Friedberger Anlage -
historische Abbildungen |
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Historische
Ansichtskarte (in höherer Auflösung eingestellt)
(Quelle: Sammlung Hahn) |
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Nachstehende
Aufnahmen sind aus der Sammlung der Website des Fritz-Bauer-Instituts www.vor-dem-holocaust.de/,
wo sich unter "Frankfurt" noch einige weitere Fotos zur Synagoge
in der Friedberger Anlage finden |
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Außenaufnahme |
Innenaufnahmen
der Synagoge |
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Gemälde
der Künstlerin Hilffert-Andorff
(siehe oben Bericht von 1926) |
Auf
der Straße vor den Toren zur Synagoge Friedberger Anlage
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Der
"Synagogenbunker" auf
dem Grundstück der 1938
zerstörten Synagoge |
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Blick
auf den auf dem Grundstück der Synagoge im Zweiten Weltkrieg erbauten
Hochbunker |
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Das Foto oben in
hoher Auflösung |
Das Foto
oben in hoher Auflösung |
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Das
Foto oben in hoher Auflösung |
Gedenkstätte
mit Gedenkstein - Inschrift (deutsch und hebräisch): "Hier stand
die
1907 erbaute Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft. Sie wurde
in der
Pogromnacht des 9. November 1938 angezündet und zerstört". |
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Informationstafeln
zum Bunker und über die Arbeit der Initiativen zur künftigen Gestaltung |
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Seit
2010: Einige Presseartikel zur Diskussion um den "Synagogenbunker" an
der Friedberger Anlage
Juni 2010:
Frage nach der neuen Nutzung des
"Synagogenbunkers" an der Friedberger Anlage |
Artikel von Claudia Michels in der
"Frankfurter Rundschau" vom 12. Juni 2010 (Artikel):
"Gedenkstätten - Neue Rolle für den Nazi-Bunker
Der Bunker an der Friedberger Anlage, auch der "Synagogenbunker" genannt, ist jetzt zu neuer Nutzung freigegeben. 25 Jahre, nachdem die Bundesregierung das Nazi-Bollwerk von 1942 noch zum Schutzbau nach einem Atomschlag hochgerüstet hatte, gibt die Bundesvermögensverwaltung BIMA den Betonklotz auf und die Stadt kann ihn kaufen. "Ich warte nur noch, welches Geld die wollen", teilt Alfred Gangel im Liegenschaftsamt mit. Sein Angebot: ein Euro; "wenn´s 1000 sind, kann ich auch damit leben".
Damit wird das Netz der Erinnerungsstätten in Frankfurt dichter, denn es ist Beschluss, den Schutzbau auf dem Grundstück der unvergessenen Synagoge Friedberger Anlage dem Gedenken zu widmen. Man befinde sich "auf verbrannter Erde", hatte Salomon Korn, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde, bei einer Veranstaltung der "Initiative 9. November" zum 100. Jahrestag des Synagogenbaus 1907 in Erinnerung gerufen. Das Kulturdezernat erkennt an der Friedberger Anlage 5-6 "einen Ort, wo die Geschichte der Juden und der NS-Zeit aufeinandertrifft", sagte Referentin Ann Anders am Freitag.
Das Dezernat lässt erheben, welche Institutionen hier bereits welche Angebote des Gedenkens machen, um die neue Rolle des Bunkers zu beschreiben. Beispielsweise fehlt eine Stelle, die sich mit Tätern auseinandersetzt.
Auch die 22 Jahre alte "Initiative 9. November" will "die Debatte eröffnen, wie der Bunker künftig genutzt wird", wie ihr Mitglied DiWi Dreysse sagt. Und zwar am morgigen Sonntag bei der Vorstellung eines Sammelbands mit Referaten zu Geschichte und Umgang mit dem Ort.
Auf 125 Seiten finden sich darin auch die Berichte alter Frankfurter, jüdischer und nichtjüdischer, die rund um die Synagoge den tiefen Bruch erlebten, der sich im Zusammenleben nach 1933 mehr und mehr auftat: "Menschen, die gestern noch einflussreiche, mit dem Zylinder in der Synagoge sitzende, wohlhabende Hausherren waren, wurden erniedrigt bis in den Staub", schildert es zum Beispiel Max Mayer in einem Interview von 2002.
"Was aus dem Bunker werden könnte", ist zur Buchvorstellung Thema des Referats von Architekt Dreysse zum "Gestaltungs- und Nutzungskonzept". Man plane, auch Gruppen wie die Stolpersteine-Initiative reinzunehmen. Nach dem Kauf werde das Gebäude "dem Kulturdezernat angeboten", teilt das Liegenschaftsamt mit.
Das Buch "Erinnerung braucht Zukunft" ist bei Brandes & Apsel erschienen. Die Veranstaltung, Friedberger Anlage 5-6 , beginnt am 13. Juni, um 16 Uhr." |
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Januar 2011:
Aus dem Bunker soll ein Mahnmal werden |
Artikel (göc) in der "Frankfurter Neuen Presse" vom 10. Januar
2011 (Artikel):
"Aus dem Bunker soll ein Mahnmal werden.
Ostend. Der Bunker in der Friedberger Anlage soll zur Gedenkstätte umgebaut werden. Wie genau der Bunker einmal aussehen soll, ist noch offen. Der
'Initiative 9. November', die sich seit ihrer Gründung vor mehr als 20 Jahren die Frage stellt, wie der Bunker zur Begegnungsstätte werden könnte, schwebt ein
'Lichtkeil' vor. Der könnte ein architektonisches Gegenwicht zu den meterdicken Betonwänden bilden. Einer Idee, der die Stadtverwaltung positiv gegenübersteht.
'Der Magistrat befürwortet eine zukünftige Nutzung des Bunkers Friedberger Anlage 5 durch die Initiative 9. November als Gedenkstätte', heißt es im jüngsten Magistratsbericht zur Nutzung des Bunkers. Danach soll der Bunker künftig als Mahnmal an die nationalsozialistische Verfolgung von Juden in Frankfurt erinnern. Denn dort, wo seit 1942/43 der Betonbunker in die Höhe ragt, stand einst eine Synagoge. Doch wie das Mahnmal aussehen könnte, ist noch völlig offen.
Zu Form, Gestaltung, Kosten und Finanzierung der Gedenkstätte könne jedoch derzeit keine Aussage getroffen werden, da genaue bautechnische Untersuchungen noch ausstünden, heißt es im Bericht der Stadtverwaltung. Bisher findet im Bunker eine Dauerausstellung der Initiative Platz. In den Wintermonaten muss diese jedoch schließen, da es im Bunker zu kalt werde. Unterstützt wird die Initiative vom Kulturamt der Stadt.
Die Frage nach den künftigen Besitzverhältnissen des Bunkers ist allerdings noch immer ungeklärt. Klar ist: Der Bunker befindet sich im Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Die könnte ihn an die Stadt Frankfurt verkaufen. Im Hinblick auf die beabsichtigte Nutzung als Gedenkstätte auch ohne öffentliche Ausschreibung. Dann fiele für die Stadt nur ein symbolischer Kaufpreis von einem Euro an.
Eine Entscheidung, mit der die Stadt genauso wie die Initiative 9. November sicherlich gut leben könnte. Die endgültige Entscheidung darüber, ob die Immobilie doch zum Verkauf ausgeschrieben werden muss oder ob der symbolische Verkauf über die Bühne gehen kann, stehe, so die Stadtverwaltung, allerdings noch aus. Das Finanzministerium muss noch sein Einverständnis zum Verkauf geben. göc." |
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Februar 2012:
Soll der Bunker zu einer Wohnanlage umgebaut
werden? |
Artikel in der "Frankfurter Neuen
Presse" vom 27. Februar 2012: "Schöner Wohnen im Bunker.
Die alte Militäranlage an der Friedberger Anlage könnte umgebaut werden.
Diese Wohnungen dürften besonders haltbar sein: Die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben (BIMA) hat vorgeschlagen, den Bunker an der Friedberger
Anlage in Wohnraum umzubauen. Ob das Projekt verwirklicht werden kann, ist
umstritten..."
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zum Artikel |
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April 2012:
Bund soll Bunker verschenken |
Artikel in der "Frankfurter Neuen
Presse" vom 9. April 2012: "Bund soll Bunker verschenken.
CDU-Abgeordneter setzt sich für Gebäude an der Friedberger Anlage ein.
Die Gedenkstätte im Bunker an der Friedberger Anlage soll nicht durch
einen Verkauf an einen privaten Investor gefährdet werden. Der
CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Zimmer will erreichen, dass die Stadt
das Gebäude für einen symbolischen Preis übernehmen kann..."
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April 2012:
Bund will Bunker verkaufen |
Artikel von Frank van Bebber in hr-online
vom 18. April 2012: "Bund will Bunker verkaufen. 'Vernichtung der
Erinnerung'. Erst zerstört Nationalsozialisten die größte
Frankfurter Synagoge, dann errichteten sie an ihrer Stelle einen Bunker:
Der Bund will den historischen Ort nun teuer vermarkten - gemäß
Haushaltsgesetz. Kritiker warnen vor einer zweiten
Vernichtung..."
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zum Artikel |
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Artikel in der "Frankfurter Neuen
Presse" vom 21. April 2012: "Bunker nicht auf dem Markt.
Gedenkstätte im Ostend wird nur der Stadt angeboten - Noch keine Einigung
mit dem Bund. Den Bunker in der Friedberger Anlage bietet der Bund
zunächst nur der Stadt Frankfurt zum Kauf an. Und die schwarz-grüne
Koalition will auch zuschlagen. Allerdings gibt es noch keine Einigung
über den Preis..."
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zum Artikel |
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Artikel in der "Frankfurter Neuen
Presse" vom 22. April 2012: "Bunker soll Mahnmal bleiben.
Initiative 9. November ist gegen die Errichtung von Wohnungen -
Ausstellung im Ostend wieder eröffnet..."
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zum Artikel |
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Mai 2016:
Neu konzipierte Ausstellung im
Bunker |
Artikel von Gernot Gottwals in der
"Frankfurter Neuen Presse" vom 6. Mai 2016: "Ausstellung der Initiative 9.
November im Bunker an der Friedberger Anlage. Neu konzipierter Gedenkort
Die überarbeitete Dauerausstellung 'Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel'
öffnet am kommenden Sonntag, 8. Mai, im Bunker an der Stelle der früheren
Synagoge am Friedberger Platz. Während der umbaubedingten Schließung des
Jüdischen Museums gibt sie als Dokumentationsstandort zugleich neue
Einblicke ins jüdische Leben der Nachkriegszeit.
'Es handelt sich um circa 400 Menschen, die sehnsüchtig darauf warten, von
hier in eine neue Heimat zu kommen.' Mit diesen Worten rief der Rabbiner
Leopold Neuhaus dazu auf, vielen Juden, die auch als 'Displaced Persons' den
Holocaust überlebt hatten, im Frankfurter Ostend ein neues Zuhause zu geben.
Denn obwohl hier nach dem Krieg rund 70 Prozent der Bausubstanz zerstört
waren, gab es im traditionellen jüdischen Quartier noch intakte Gebäude,
darunter auch die Baumwegsynagoge. Dieses wichtige Kapitel der
Nachkriegszeit gehört zu den neuen Abteilungen der Dauerausstellung 'Ostend.
Blick in ein jüdisches Viertel', die am kommenden Sonntag, 8. Mai, um 11 Uhr
im Hochbunker in der Friedberger Anlage an der Stelle der früheren, 1938
zerstörten Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinde eröffnet wird. Da
der Bunker in der kalten Jahreszeit schwierig zu beheizen ist, kann die
Schau nur bis zum 27. November regelmäßig sonntags von 11 bis 14 Uhr
besichtigt werden. Um 11.30 Uhr wird jeweils eine Führung durch die neu
überarbeitete Dauerausstellung angeboten. Hinzu kommen Konzerte wie 'One Day
Life' am 21. und 22. Mai, Lesungen und Ausstellungen wie die Schau 'Von
Föhrenwald nach Frankfurt', die am 19. Juni um 16 Uhr eröffnet wird. Im
ersten Stock ist weiterhin Joachim C. Martinis Ausstellung 'Musik als Form
geistigen Widerstands' über verfolgte Musiker im Nationalsozialismus zu
sehen. 'Die Stadt Frankfurt wird den Bunker übernehmen', sagt Hans-Peter
Niebuhr, Vorstand der Initiative 9. November, die den Bunker als
Erinnerungsort an die jüdische Stadtgeschichte etablieren möchte und
zusammen mit dem Jüdischen Museum die Dauerausstellung neugestaltet hat.
Derzeit befinde sich die Stadt noch mit der Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben in Kaufverhandlungen. 'Der Bunker ist jedoch eher ein
Gedenkort und weniger ein Museum im Sinne einer pädagogischen Ausrichtung',
ergänzt Niebuhr. 'Zusammen mit dem Museum Judengasse und der Gedenkstätte in
der Großmarkthalle ist er zur Dokumentation gerade jetzt wichtig, da unser
Hauptmuseum im Rothschildpalais um- und neubaubedingt bis 2018 geschlossen
ist', betont Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums. Schon am
Eingang in den Bunker durch die charakteristische Schleuse empfangen den
Besucher Gemälde und Fotos der Synagoge, auch nach der Zerstörung. Ein
dreidimensionales Foto zeigt, wie der Sakralbau zu seiner Einweihung im Jahr
1907 aussah – in ihrer Architektur strahlte die Synagoge damals über
Frankfurt hinaus aus. Eng mit der Erbauung ist der Name des Rabbiners Samson
Raphael Hirsch verbunden: 1851 hatte er die orthodoxe Israelitische
Religionsgesellschaft gegründet, der die Synagoge als Bethaus für 750
Männer, Frauen und Chorsänger diente. Die Dauerausstellung, die im Jahr 2000
von der damaligen Kustodin des Jüdischen Museums Helga Krohn konzipiert
wurde, teilt sich in sechs Abteilungen auf. Sie widmen sich der
Israelitischen Religionsgesellschaft, dem Alltagsleben im Ostend, der
wirtschaftlichen Prägung des Ostends sowie den jüdischen Lehr- und
Wohlfahrtseinrichtungen. 'Die Texte und Bilder haben einige Änderungen und
Aktualisierungen erfahren, hier und da sind Details in der Forschung
hinzugekommen', erklärt Gottfried Kößler vom pädagogischen Zentrum im
Jüdischen Museum. Beispielhaft nennt er die Ansiedlung von 'Displaced
Persons' in der Waldfriedstraße. Dazu beigetragen haben auch ehemalige
jüdische Ostend-Bewohner mit ihren Berichten. 'Neu hinzugekommen ist auch
ein Stadtplan mit einer Übersicht über jüdische Einrichtungen in Frankfurt.
So wird die Geschichte des Judentums im Ostend erfahrbar: 1800 wurde das
Ghetto in der Judengasse aufgelöst, im 19. Jahrhundert entstanden soziale
Einrichtungen wie das jüdische Krankenhaus an der Gagernstraße und die
Samson-Raphael-Hirsch-Schule an der Stelle des heutigen Gagern-Gymnasiums.
Ab 1941 wurden rund 10 000 jüdische Mitbewohner vom Bahnhof in der
Großmarkthalle in Konzentrationslager deportiert. Der heutigen rund 8000
Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde in Frankfurt dienen im Ostend vor
allem das Altenheim an der Gagernstraße und die Synagoge an der
Baumwegstraße als Heimat."
Link zum Artikel |
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Mai 2019:
Eine Initiative will die Reste
der zerstörten Synagoge ausgraben lassen |
Artikel in der "Frankfurter Allgemeinen
Zeitung" vom 19. Mai 2019: "Zerstörte Synagoge. die Tatsachen unter der
Erde..."
Link zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Salomon Korn, B. Clausmeyer: Die Synagoge an
der Friedberger Anlage: Gedenkstätte für die ehemalige Synagoge der
Israelitischen Religionsgesellschaft. 30 S. 1988. |
| Micha Brumlik / D.W. Dreysse / Kurt Grünberg:
Erinnerung braucht Zukunft. Der Ort der zerstörten Synagoge an der
Friedberger Anlage in Frankfurt. 265 S. Verlag Brandes & Apsel.
2010. |
| Roland Tasch: Samson Raphael Hirsch. Jüdische
Erfahrungswelten im historischen Kontext. Walter de Gruyter
2011. |
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