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zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Grötzingen (Stadt Karlsruhe)
Jüdische Geschichte / Betsaal/Synagoge
Download möglich von: Festschrift zum
Hundertjährlichen Jubiläum der Synagoge in Grötzingen von
Sigmund Metzger, Vorsitzender des Synagogenrats der Israelitischen Gemeinde
Grötzingen.
Erschienen 1899 im Selbstverlag des Verfassers.
wieder veröffentlicht von der Evangelischen Kirchengemeinde
Karlsruhe-Grötzingen durch Pfarrer Ulrich Schadt mit einem Anhang.
Karlsruhe-Grötzingen
2002. DOWNLOAD
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Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In Grötzingen bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938.
Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17. Jahrhunderts zurück. Möglicherweise
waren bereits im 15./16. Jahrhundert einzelne Juden am Ort (1472/1532). Die
Entstehung der neuzeitlichen Gemeinde geht auf das Jahr 1677 zurück, als
Markgraf Friedrich Magnus eine erste jüdische Familie aufnahm. 1741 wurden
sechs jüdische Familien gezählt, 1770 12, 1798 15 Familien.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie
folgt: 1825 99 jüdische Einwohner (5,5 % von insgesamt 1.814 Einwohnern), 1844
152, 1869 131 (6,3 % von 2.091), 1875 97 (4,5 % von 2.180), 1900 72 (2,2 % von
2.226), 1910 64 (1,7 % von 3.794). Zur jüdischen Gemeinde in Grötzingen
gehörten auch die in Durlach lebenden
jüdischen Personen. Die jüdischen Familien lebten hauptsächlich vom Handel.
Im Revolutionsjahr 1848 kam es zu Krawallen gegen die jüdischen
Einwohner. Die jüdische Wirtschaft "Zum Kranz" in der Mittelgasse
oberhalb des Rathauses wurde dabei abgebrannt.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule (seit 1899 in einem Schulraum im Synagogengebäude), ein
rituelles Bad und seit ca. 1900 ein eigener Friedhof (Beisetzungen zuvor in
Obergrombach). Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein
Lehrer
angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. 1868 bis 1872 war
Samson Rothschild Lehrer in Grötzingen (siehe unten). In besonderer
Erinnerung blieb der 32 Jahre lang in Grötzingen tätige Lehrer Abraham Liberles (gest. 1918, siehe Bericht unten). Die Gemeinde gehörte seit 1827 zum
Rabbinatsbezirk Karlsruhe, seit 1885 zum
Rabbinatsbezirk Bretten.
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Gefreiter Max
Liberles (geb. 29.12.1892 in Grötzingen, gef. 30.3.1918). Sein
Name findet sich auf der Gefallenengedenktafel in der Grötzinger
Friedhofskapelle. Außerdem ist gefallen: Unteroffizier Hermann Schmalz (geb.
8.5.1897 in Durlach, gef. 24.4.1918).
Um 1924, als noch 31 jüdische Einwohner gezählt wurden (0,8 % von
3.995 Einwohnern), waren die Vorsteher der Gemeinde Sigmund Sinauer, Max Schmalz
(Durlach), David Falk (Durlach). Die damals neun schulpflichtigen jüdischen
Kinder wurden durch Lehrer Jakob Ehrlich aus Weingarten unterrichtet. An
jüdischen Vereinen bestanden der Wohltätigkeitsverein Chewra
Kadischa (bzw. Israelitischer Männerverein, 1924 unter Leitung von
Isak Palm mit 16 Mitgliedern, Zweck und Arbeitsgebiet: Wohltätigkeit) und der Israelitische
Frauenverein (1924/32 unter Leitung der Frau bzw. Witwe von Isak Palm mit 14
Mitgliedern; Zweck und Arbeitsgebiet: Wohltätigkeit). 1924 gehörten aus Durlach
zur jüdischen Gemeinde Grötzingen 47 Personen (1932: 60). 1932 waren
die Gemeindevorsteher weiterhin Sigmund Sinauer (1. Vorsitzender), David Falk (Durlach,
2. Vorsitzender) und (neu:) Max Schmalz (Durlach, 3. Vorsitzender). Inzwischen
wurden die schulpflichtigen jüdischen Kinder der Gemeinde (im Schuljahr 1931/32
11 Kinder) durch Lehrer Godlewsky aus Untergrombach
unterrichtet.
An ehemaligen, bis nach 1933 bestehenden Handels- und Gewerbebetrieben im
Besitz jüdischer Familien sind bekannt: Viehhandlung und Metzgerei Ludwig Palm (Schustergasse 3), Manufakturwaren Max Palm (Schultheiß-Kiefer-Straße
27), Ellenwarengeschäft Sinauer & Veith (Niddastraße 2), Haus- und Küchengeräte, Eisenwaren Emil Weil (Niddaplatz 3).
An früher bestehenden Betrieben sind zu nennen: ehemalige Mazzenfabrik von
Hermann Oppenheimer (bis zum Ersten Weltkrieg, Niddastraße 14, siehe Anzeige
unten), ehemalige jüdische Wirtschaft "Zum Kranz" (1813 von Isaak Goldschmied eingerichtet, Schultheiß-Kiefer-Straße
1), Ölmühle (von Jud Borich 1797 eingerichtet, Schultheiß-Kiefer-Straße
4).
1933 lebten noch 20 jüdische Personen in Grötzingen (0,5 % von
insgesamt 4.008 Einwohnern). In
den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Mindestens vier der
jüdischen Gemeindeglieder konnten in die USA emigrieren, zwei starben noch vor
den Deportationen in Grötzingen. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die
Synagoge zerstört (siehe unten). Die letzten 12 jüdischen
Einwohner wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert.
Von den in Grötzingen geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Sofie Dreyfus geb.
Veith (1855), Meta Fröhlich (1906), Mathilde Löwenhardt geb. Marx (1870),
Walter Marx (1903), Jenny Mayer geb. Palm (1892), Auguste Palm geb. Flegenheimer
(1864), Luise Palm geb. Kohn (1897), Max Palm (1889), Emilie Plonski geb. Palm
(1889), Max Schmalz (1866), Berta Traub (1868), Jenny Traub (1902), Leopold
Traub (1871), Ludwig Traub (1868), Mina Traub (1901), Pauline Traub (1866),
Julius Beith (1880), Elias Emil Weil (1877), Thekla Weil geb. Palm (1884).
1991 wurde gegenüber dem Rathaus, am früheren Haus einer jüdischen
Familie, eine Gedenktafel für die in der NS-Zeit umgekommenen
Grötzinger jüdischen Einwohner angebracht.
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Hinweis auf Lehrer Samson Rothschild
(1868 bis 1872 Lehrer in Grötzingen)
Samson Rothschild (geb. 1848 in
Külsheim, gest. 1939 in London) war nach
seiner Ausbildung am Lehrerseminar Karlsruhe jüdischer Lehrer, zunächst 1868 bis
1872 in Grötzingen, danach ab 1872 in
Worms (ab 1874 Hauptlehrer an der städtischen
Volksschule und Religionslehrer am Gymnasium), aktiv in zahlreichen Ämtern der
jüdischen Gemeinde Worms, insbesondere als Gemeindearchivar und Historiker; 1938
nach London emigriert, wo er am 10. Juni 1939 verstarb. Für Samson Rothschild
wurde in Worms ein "Stolperstein" verlegt (Haus Adenauerring 12), siehe
http://www.warmaisa.de/stolpersteine/rothschild-samson-1848-1939/.
Zum Tod von Lehrer Abraham Liberles (1918)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Oktober 1918: "Grötzingen,
13. Oktober (1918). Lehrer Abraham Liberles dahier ist im Alter von nur 55
Jahren aus dem Leben geschieden. 32 Jahre genoss der Verstorbene in seiner
Gemeinde hohe Wertschätzung und erregt sein frühes Hinscheiden
aufrichtige Teilnahme. Als Sohn des Bezirks-Rabbiners S. Liberles - er
ruhe in Frieden - in Bretten wurde
er im Geiste der Tora groß gezogen, sodass er später andere zu belehren
imstande war und auf die Wege des Rechten zu leiten.
Ein Seelenbedürfnis war es ihm, in die Herzen der Gemeinde, sowie
namentlich der ihm anvertrauten Jugend reichen Samen der Belehrung zu
senken, Jung und Alt in die Gänge des religiösen Schrifttums
einzuführen. Zur Trauerfeier hatte sich eine große Anzahl Leidtragender
in der Synagoge, wohin der Sarg getragen wurde, eingefunden. Herr
Bezirksrabbiner Dr. Grzymisch, Bruchsal
und Herr Lehrer Ehrlich, Weingarten,
hielten tief empfundene Nachrufe. Kollege Rabinowitz, Flehingen,
sang in ergreifender Weise die Psalmen 'Mo-Enosch' ('Was ist der
Mensch...'). Auf besonderen Wunsch wurde die irdische Hülle in Karlsruhe
auf dem Friedhofe der israelitischen Religions-Gesellschaft gebettet.
Dort widmete Herr Rabbiner Dr. Schiffer dem Verstorbenen einen ehrenden
Nachruf. Herr Kantor Lippmann, Karlsruhe,
entbot dem Entschlafenen im Namen des Großherzoglichen Oberrats und
seiner Kollegen in warmen, herzlichen Worten den Scheidegruß. Seine
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zum Tod von Sofie Liberles, Tochter des Lehrers Abraham
Liberles (1924)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Juni 1924: "Karlsruhe,
6. Juni (1924). Am Mittwoch, 24. Ijar (= 28. Mai 1924) wurde auf dem Friedhof
der Religionsgesellschaft in Karlsruhe unter großer Beteiligung aus
Nah und Fern Frl. Sofie Liberles, Tochter des bekannten Lehrer Abraham
Liberles in Grötzingen, nach langem, schwerem, mit großer Geduld
ertragenem Leiden zur letzten Ruhe gebettet. Wer die edle Entschlafene
kannte, versteht den Schmerz der trauernden Hinterbliebenen. Sie war mit
allen guten Eigenschaften ausgezeichnet und passen auf sie die Worte,
welche Herr Lehrer Meyer in so trefflicher Weise in seiner Trauerrede
ausführte. Möge Gott der schwer geprüften Mutter sowie den tief
trauernden Geschwistern Trost senden. Ihre Seele sei eingebunden in den
Bund des Lebens." |
Berichte zu einzelnen Personen
Über
Noach Jehuda Leib mi-Grötzingen (gest. 1697)
Anmerkung: auf dem jüdischen Friedhof in
Mackenheim (Elsass) findet sich der Grabstein einer 1697 gestorbenen und
dort beigesetzten Gitla bat Abraham, die mit Jehuda Leib mi-Grötzing(en)
verheiratet war. Sehr wahrscheinlich ist damit Grötzingen im heutigen Kreis
Karlsruhe gemeint.
Beitrag von Günter Boll: Noach Jehuda Leib mi-Grötzingen und Gitla bat Avraham Gad
mi-Medinat Necker: als pdf-Datei eingestellt
Der Grabstein der 1697
verstorbenen
Gitla bat Avraham Gad s"l mi-Medinat Necker
(Fotos rechts) wurde von
Günter Boll am 21.4.1985 ausgegraben;
der Grabstein wurde später wieder aufgerichtet. |
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Hinweis auf Lieselotte Margot Elikan (1924-1944)
Foto links: Klassenfoto der allgemeinen Schule in Grötzingen 1931,
rechtsaußen stehend: Lieselotte Margot Elikan.
Lieselotte Margot Elikan, genannt Lilo (geb. am 7. Mai 1924 in Heidelberg)
verbrachte die ersten sieben Lebensjahre in Grötzingen. Hier lebte sie zusammen mit ihrer Mutter, Helene Elikan, im Haushalt ihrer Großmutter und ihres Stiefgroßvaters, der Vorbeter und Gemeindediener der Grötzinger Synagoge war. Lieselotte hatte eine vier Jahre jüngere Halbschwester, Marianne.
Von Lieselottes Vaters sind lediglich der Name und das Todesdatum bekannt: Willi Lichtenwalder starb im Dezember 1938. Lieselotte Elikan besuchte in
Grötzingen zwei Jahre lang die Volksschule, bis sie nach dem Tod ihrer Großmutter Ende des Jahres 1931 mit ihrer Mutter nach
Ettlingen zog.
Die Mutter heiratete einen nicht-jüdischen Ofensetzer. Auch Lieselotte war nun in Ettlingen gemeldet, ging aber ab 1932 bis zum Frühjahr 1939 im jüdischen
Landschulheim in Herrlingen nahe Ulm zur Schule. Ihre kleine Schwester Marianne lebte bei Pflegeeltern.
Nachdem das Landschulheim in Herrlingen im März 1939 zwangsweise geschlossen worden war, lebte Lieselotte vermutlich vorübergehend bei ihrer Mutter, die sich inzwischen von ihrem Mann getrennt hatte und nach Karlsruhe gezogen war. Hier war Lieselotte jedenfalls gemeldet, als sie am 26. Mai 1939
im Heim des jüdischen Frauenbundes in
Neu-Isenburg eine hauswirtschaftliche oder pflegerische Ausbildung begann.
Nach zweijährigem Aufenthalt verließ Lieselotte im Sommer 1941 Neu-Isenburg und nahm eine Stelle
als Krankenschwester im Israelitischen Krankenhaus in der Gagernstraße 36 in Frankfurt an.
Hier lernte sie Werner de Vries kennen. Am 5. Dezember 1941 ging sie mit ihm in seine Heimatstadt Gelsenkirchen. Ihre letzte Adresse dort lautete Karl-Laforce-Straße 3a (Heute Arminstraße, die damalige Bebauung existiert heute nicht mehr.)
Am 27. Januar 1942 wurde Lieselotte Elikan zusammen mit Werner de Vries und dessen Familie deportiert. Am Vortag hatte man sie zur Ausstellungshalle auf dem Wildenbruchplatz in Gelsenkirchen gebracht, dem Sammelort für die zur Deportationen vorgesehenen Menschen. |
An Margot Elikan erinnert seit Dezember 2013
in Gelsenkirchen, Arminstraße/Höhe Kurt Neuwald-Platz ein
"Stolperstein".
Informationen von der Seite www.stolpersteine-gelsenkirchen.de:
Seite
zu Lieselotte Margot Elikan. |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeige der Mazzenbäckerei Hermann Oppenheimer
(1893)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Dezember 1893: "Mazzot.
Die 1879 gegründete Mazzosbäckerei von Hermann Oppenheimer in
Grötzingen (Baden) empfiehlt ihre streng jomtoftig (für die Feiertage
geeigneten) hergestellten Mazzen (10 bis 11 Stück aufs Pfund) à 28
Pfennig. Ferner: Honig, eigener Züchterei auf Pesach, Pfund Mark 1.20.
Referenzen zu Diensten. Bestellungen baldigst erbeten." |
Anzeige des Manufakturwaren- und
Herrenkonfektionsgeschäftes Sinauer & Veith Nachfolger (1911)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 11. August
1911: "Für mein Manufakturwaren- und Herrenkonfektionsgeschäft
suche per 1. Oktober dieses Jahres, auch früher, bei freier Kost und
Wohnung einen Lehrjungen mit guten Schulkenntnissen.
Sinauer & Veith Nachfolger. Grötzingen bei
Karlsruhe". |
Zur Geschichte des Betsaales / der Synagoge
1677 wurde von Markgraf Friedrich
Magnus ein erster Jude aufgenommen, der nach einigen Jahren verstarb. Seine
Witwe heiratete einen Moses. Dieser kaufte 1697 ein altes Haus in der Grötzinger
Mittelgasse, dessen Besitzer gestorben war. Er reparierte dieses Haus und zog
auf Georgi 1699 ein. Beim Umbau hatte er eine Dachkammer ausgebaut, die als Betsaal
für die Juden Grötzingens und der umliegenden Orte Verwendung finden sollte.
Der damalige Grötzinger Pfarrer Bechtold versuchte dies mit der Begründung zu
verhindern, "dass die christlichen Schabbesmägde zu Instrumenten ihres Gräueldienstes
missbraucht werden und ihrer Sünden teilhaftig machen würden; sie sollten ihre
Satansschule da halten, wo sie ihre Begräbnisstätte hätten, nämlich in
Durlach". Pfarrer Bechtold konnte freilich nur erreichen, dass die Grötzinger
Juden die Auflage erhielten, ihre Gottesdienste im Privaten zu halten und nicht
an den Bau einer Synagoge zu denken. 1701/02 kam es zum Streit zwischen den
Durlacher und Grötzinger Juden, da der in Durlach zugezogene Emanuel Reutlinger
den Betsaal für beide Orte in Durlach einrichten wollte. Nachdem jedoch in
beiden Orten in den folgenden Jahren mehrere Familien zugezogen sind, konnten
Gottesdienste sowohl in Durlach wie in Grötzingen gefeiert werden. Wie lange
der Betsaal im Haus in der Mittelgasse benützt wurde, ist nicht bekannt. Nach
einem Bericht des Oberamtes Durlach vom 12. Januar 1791 war der Betsaal vor dem
Bau der Synagoge "in einer kleinen, dunklen, feuchten Stube im Veith'schen
Haus..., die jetzo zu dieser Absicht unbrauchbar wird, indem alles daselbst
zusammenfault".
Nachdem um 1770 in Grötzingen 12 jüdische Familien
lebten, reichte der bisherige Betsaal sowieso nicht mehr aus. Man plante den Bau
einer Synagoge. Im Januar 1787 konnte der Kaufvertrag für ein geeignetes
Grundstück "zur Erbauung einer Schule" in der Oberen Gasse
unterzeichnet werden. Die jüdische Gemeinde – vertreten durch Hayum Veith,
Hirsch Baruch und Moses Seeligmann – bezahlte dem Ehepaar Michael und Barbara
Arheidt für den Bauplatz 215 Gulden. 1796 wurden die ersten Gelder gesammelt,
um die Baukosten für eine Synagoge zu beschaffen. Diese wurden auf 5000
Gulden geschätzt, die großenteils in den folgenden beiden Jahren beschafft
werden konnten: 2000 Gulden erbrachte eine Umlage auf alle Gemeindeglieder, dazu
kamen freiwillige Spenden der Gemeindeglieder (747 Gulden), Erlöse aus einer in
anderen Gemeinden durchgeführten Kollekte (633 Gulden) und aus der öffentlichen
Versteigerung der Synagogenplätze (620 Gulden). Da damit die finanziellen Kräfte
der jüdischen Familien völlig erschöpft waren, musste noch ein Darlehen von
1000 Gulden aufgenommen werden.
Die Synagoge ist 1798/99 erbaut worden. Mit einem großen
Fest für die jüdische und christliche Bevölkerung Grötzingens wurde sie
eingeweiht. Markgraf Karl Friedrich schickte zur Einweihung seinen Enkel, Prinz
Karl (der spätere Nachfolger Karl Friedrichs und Großherzog Karl). Die "Obere
Gasse" in Grötzingen hieß seitdem "Synagogengasse". Zunächst
waren in der Synagoge jeweils 12 Betstühle für Männer (im Betsaal) und für
Frauen (in der "Frauenloge") vorhanden, die jedoch durch die weitere
Vermehrung der Gemeindeglieder in den folgenden Jahren ergänzt werden mussten.
So wurden 1814 sechs neue Stühle angeschafft. 1841 war eine erste größere
Instandsetzung des Synagogengebäudes nötig. Damals war der Dachstuhl baufällig
geworden. Statt der bislang einzelnen Betstühle wurden nun zusammenhängende,
in Reihen angeordnete Betpulte aufgestellt. Die Frauenloge erhielt Fenster, das
bislang vorhandene Drahtgitter wurde entfernt. Die nächste größere Reparatur
stand 1874 an. Damals wurden die Umfassungsmauern der Synagoge erneuert, größere
Fenster eingesetzt und der Betsaal renoviert. Durch eine Spende des früheren
Synagogenchorvereins konnte man einen schönen Kronleuchter aus Bronze
anschaffen. Auch ist damals ein Ofen aufgestellt worden; vermutlich war die
Synagoge zuvor nicht heizbar. Die Kosten der Baumaßnahmen sind großenteils auf
die Gemeindeglieder umgelegt worden. Der nächste Umbau wurde 1899 vorgenommen.
Damals ist vor allem das Nebengebäude der Synagoge mit dem Schulraum für den
Religionsunterricht der Kinder neu beziehungsweise umgebaut worden. In der
"Festschrift zum Hundertjährigen Jubiläum der Erbauung der Synagoge in Grötzingen"
schrieb der damalige Vorsitzende des Grötzinger Synagogenrats Sigmund Metzger
im Rückblick auf die Baumaßnahmen: "Wir haben unser Gotteshaus IHM zu
Ehren wieder hergestellt, damit die Mit- und Nachwelt daran erkennen soll, dass
man neben der Erwerbung von irdischen Gütern auch noch wirken kann und soll für
unsere religiösen Ideale, welche die Grundlage bilden zur sittlichen
Weltordnung. So möge denn der Himmel unser Gotteshaus beschützen, möge er uns
vergönnen, noch recht viele Jahre darin in Eintracht und Frieden unsere religiösen
Gefühle betätigen zu können". Über dem Eingang der Synagoge war als
Portalinschrift ein hebräisches Zitat aus Psalm 133,1 angebracht (übersetzt:
"Siehe, wie schön und lieblich ist es, wenn Brüder zusammenwohnen").
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung ist 1934
die "Synagogengasse" Grötzingens in "Krumme Straße"
umbenannt worden. Im Zusammenhang mit der Pogromnacht 1938 wurde die Synagoge am
10. November 1938 zerstört. Am späten Vormittag waren vor der Synagoge
vier Personenkraftwagen vorgefahren, aus denen je vier mit Beilen bewaffnete Männer
in Zivil ausstiegen. Sie drangen in die Synagoge ein, schlugen Fenster und Bänke
entzwei und warfen sie zusammen mit den Torarollen, Gebetbüchern und allem, was
sich in der Synagoge befand, aus dem Gotteshaus. In Stücke geschlagen wurde
auch die über der Tür angebrachte Portalinschrift. Als die Männer die
Synagoge anzünden wollten, verhinderten dies die Nachbarn unter Hinweis darauf,
dass die beiderseits auf die Grenze gebauten Häuser zwangsläufig mit gefährdet
wären. Die vor der Synagoge liegenden Trümmer wurden einige Tage später von
Gemeindearbeitern weggeräumt. Den geretteten Teil einer Torarolle, den der
letzte Vorbeter Leopold Traub (umgekommen 1941 in Gurs) dem damaligen
evangelischen Pfarrer Herbert Fuchs überließ, wurde 1978 dem Oberrat der
Israeliten in Baden überreicht. Die Synagoge selbst wurde Anfang 1939
abgebrochen. Seit 1983 erinnert an ihrem Platz (Krumme Straße 15) eine
Gedenkstele an das Schicksal des Hauses und der jüdischen Gemeinde in Grötzingen.
Adresse: Krumme Straße (1932
Adresse: Synagogenstraße 15)
Fotos
Historische Fotos / Pläne:
(Quelle: S. Asche, Grötzingen s. Lit. S. 86 und 254)
Historische Ansichten |
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Synagoge in Grötzingen
(rechts im Hintergrund) |
Zeichnung der ehemaligen
Synagoge
auf Grund des Fotos links
(Ehepaar Werner Hahn, Grötzingen) |
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Pläne für den Umbau des
Nebengebäudes
der Synagoge
(mit Schulsaal) 1898/99 |
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Übersichtsplan: Synagogenstraße (heute Krumme Straße) mit Synagoge,
dahinter das Nebengebäude mit dem Schulzimmer (auf Plan
"Bauplatz")
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Um den Hofraum stehen links
die Synagoge, rechts ist im
Nebengebäude der
Schulraum |
Ansicht der Synagoge von hinten:
im Vordergrund der Anbau mit
dem
Schulzimmer |
Blick auf den 1899 neu erstellten Anbau
(die Synagoge steht links)
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Fotos nach 1945/Gegenwart:
Fotos um 1985:
(Fotos: Hahn) |
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Standort der ehemaligen Synagoge
(Krumme Straße) |
Die Gedenkstele für die
Synagoge von 1983 |
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Fotos 2003:
(Fotos: Hahn,
Aufnahmedatum 15.9.2003) |
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Straßenschild "Krumme
Str." mit
zusätzlichen Hinweisen |
Standort der
ehemaligen Synagoge |
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Die Gedenkstele für die
Synagoge von 1983 |
Zusätzliche Erklärungen zu
Standort und
Geschichte der ehemaligen Synagoge |
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
"Gedenkbuch für die Grötzinger Juden"
erschienen (Dezember 2008)
Links:
Foto aus Gurs (Quelle: Werner "Hakenkreuz und
Juden")
Artikel von Rupert Hustede in: "Badische Neueste Nachrichten"
(Ausgabe Karlsruhe) vom 4. Dezember 2008
Eine Überlebende des Holocaust gefunden - Autorengruppe erarbeitet Gedenkbuch für die Grötzinger Juden / Zeitzeugen berichten von Leiden, Terror und Courage.
DIE VORHÖLLE VON AUSCHWITZ, so wird das französische Lager Gurs genannt, in das die Grötzinger Juden 1940 verschleppt wurden. Die Szene zeigt die Trostlosigkeit hinter Stacheldraht, als schon die Deportationen ins Vernichtungslager Auschwitz liefen.
Sieben Grötzinger Bürger haben ein Gedenkbuch für 13 Grötzinger Juden geschrieben. Viereinhalb Jahre haben sie daran gearbeitet, um 68 Jahre nach der Deportation dieser Opfer des Nazi-Terrors und des Rassenwahns noch möglichst viel über deren Leben und Leiden zu erfahren.
Ein Familienschicksal soll beispielhaft angerissen sein: Die Geschenke liegen noch auf dem Tisch. Zehn Tage nach Ruth Palms zehntem Geburtstag erscheinen Männer von der Gestapo und befehlen, alle Fensterläden zu schließen, einen Koffer pro Person und Proviant für zwei Tage zu packen. Die Grötzinger Familie wird mit den badischen Juden am 22. Oktober 1940 von den Nazi-Schergen ins Lager Gurs nach Frankreich deportiert. Luise Palm kann 1942 noch die Ausreise ihres einzigen Kindes über Marseille und Casablanca nach Amerika dank der Hilfe der Quäker von Philadelphia erreichen. Max Palm ist wenige Wochen vorher mit 52 Jahren gestorben. Luise Palm wird im Sommer 1942 nach Auschwitz deportiert.
'Als letztes Lebenszeugnis erscheint ihr Name auf einer Liste für einen Transport von 991 Personen, die Auschwitz in einem Güterzug am 16. August 1942
erreichten', berichtet Ilse Charlotte Güß, eine der Autorinnen des Erinnerungsbuchs. Über ihr Ende in dem Vernichtungslager findet sie heraus:
'Bei diesem Transport wurden keine Frauen zur Arbeit abgesondert und als Häftlinge in das Lager eingewiesen, das heißt Luise Palm wurde noch am selben Tag oder innerhalb von drei Tagen umgebracht. Sie wurde nicht einmal 45 Jahre
alt.'
Ihre Tochter Ruth aber lebt noch in den USA. Es ist schwierig, sie zu finden.
'Wahrscheinlich ist sie verbittert und will mit Grötzingen nichts mehr zu tun
haben', meint Güß. Sie versucht es trotzdem, und nach eineinhalb Jahren der vorsichtigen Annäherung mit vielen Briefen
'war irgendwie der Bann gebrochen', erzählt sie. 2008 ist Ruth Palm zu einem offenen Besuch in ihr Heimatdorf zurückgekehrt. Die Frau, die ihre ganze Familie durch den Holocaust verloren hat, trifft sich mit den
Klassenkameraden im Grötzinger Rathaus. Das Autorenteam hat Zeitzeugen im Dorf befragt, andere rund um den Globus aufgespürt. In Archiven wurden Akten und Zeitungen gewälzt - aus Erinnerungssplittern ein Gesamtbild erschlossen.
'Wir haben im Herzen Grötzingens Spuren gefunden, das möchten wir
weitergeben', sagt Peter Güß. Dabei habe man auch Beispiele für Zivilcourage aufgedeckt.
'Es gab die Möglichkeit zu sehr verschiedenem
Verhalten. Eine ganze Menge Leute hat versucht, vorsichtig zu helfen', berichtet er.
Ortsvorsteher Thomas Tritsch unterstreicht die Bedeutung dieser Erinnerungsarbeit, die auch die
'dunklen Momente' der mehr als 1 000-jährigen Geschichte des Malerdorfs ausleuchte. Ernst Otto
Bräunche, Chef des Stadtarchivs, lobt das Buch als
'wichtige Ergänzung für das seit 2001 im Internet entstehende 'Gedenkbuch für die Karlsruher
Juden'. Inzwischen seien von 1 012 Opfer-Biographien 372 bearbeitet.
Das "Gedenkbuch für die Grötzinger Juden" hat 56 Seiten und eine Auflage von 250 Exemplaren. Es kostet 7,50 Euro und ist im Grötzinger Rathaus sowie beim Stadtmuseum, beim Pfinzgaumuseum und beim Stadtarchiv erhältlich. Ortsverwaltung und Stadtarchiv sind die Herausgeber, der Heimatverein hat finanziell geholfen. |
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
| Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden.
1968. S. 112-113. |
| Germania Judaica III,1 S. 472. |
| Wilhelm Mössinger: Grötzingen. Grötzingen 1965. S. 268-270. |
| Heinz Schmitt (Hg.) unter Mitwirkung von Ernst Otto Bräunche
und Manfred Koch: Juden in Karlsruhe. Beiträge zu ihrer Geschichte
bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung. Karlsruhe 1988. 1990² (=
Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Band 8). zu Grötzingen die
Beiträge von Susanne Asche S. 21-41 und 189-218. |
| Josef Werner: Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der
Karlsruher Juden im Dritten Reich. 1988. 1990² (= Veröffentlichungen des
Karlsruher Stadtarchivs Band 9). Zur Pogromnacht in Grötzingen: S. 185. |
| Susanne Asche: 1000 Jahre Grötzingen. Die Geschichte eines Dorfes
(= Veröffentlichungen des
Stadtarchivs Karlsruhe Band 13). 1991. |
| Sigmund Metzger: Festschrift zum Hundertjährigen Jubiläum der
Erbauung der Synagoge in Grötzingen. Grötzingen 1899. Reprint:
Evangelische Kirchengemeinde Karlsruhe-Grötzingen (Hg. Ulrich Schadt).
Karlsruhe-Grötzingen 2002. online abrufbar (als pdf-Datei): hier
anklicken. |
| Joseph Walk (Hrsg.): Württemberg - Hohenzollern -
Baden. Reihe: Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from
their foundation till after the Holocaust (hebräisch). Yad Vashem Jerusalem
1986. S. 299-302. |
| Joachim
Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als
Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte
und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt,
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial,
Jerusalem. Stuttgart 2007. |
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
|