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"Synagogen im Stadtkreis Wiesbaden"
Wiesbaden (Landeshauptstadt
von Hessen)
Jüdische Geschichte / Synagogen
(erstellt unter Mitarbeit von Dorothee Lottmann-Kaeseler, Wiesbaden)
Bitte besuchen Sie auch die Seite
https://juedische-geschichte-wiesbaden.de/
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Wiesbaden besteht eine jüdische
Gemeinde - von der Unterbrechung durch die NS-Zeit abgesehen - bis zur
Gegenwart. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17. Jahrhunderts zurück,
doch lebten bereits in den Jahrhunderten zuvor einzelne Juden in der
Stadt.
1348 wird ein Jude namens Josiban von Wiesbaden in Altweilnau genannt.
1385 erhielt ein Wiesbadener Jude (Kirsam bzw. Kirsan = Gerson) einen Schutzbrief in Mainz. 1418
ließ Graf Adolf II. von Nassau-Idstein-Wiesbaden einen Wiesbadener Juden im
Rhein bei Biebrich ertränken. 1427 wird ein Jude Gebhardt als Hausbesitzer
genannt. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird
ein Gelehrter namens David Wiesbaden genannt. 1518 erhielt ein nach
Nürnberg benannter Jude Jacob einen Schutzbrief von Graf Philipp I. von
Nassau-Idstein-Wiesbaden und gestattete ihm den Geldhandel bei festgesetzten
Maximalzinsen.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts werden 1573 jüdische Einwohner in
der Stadt genannt (Jude Joseph, der mit Familie im Badhaus "zum Helm"
in der Goldgasse 1 wohnte). 1621 befahl Graf Ludwig die Ausweisung der Juden aus
der Stadt. Doch konnten sie gegen hohe Bezahlung bis Oktober 1628
bleiben. 1637 wurde dem Juden Nathan durch den Erzbischof von Mainz eine
Niederlassung in Wiesbaden gestattet. Weitere jüdische Personen folgten. 1684
werden drei jüdische Familien in der Stadt genannt.
Anfang des 18. Jahrhunderts lebten etwa sechs jüdische Familien in
Wiesbaden, 1724 waren es neun Familien, 1747/50 elf Familien (Elias, Gerson,
Löser, ein Jud "beym Berghoff", Rappiner, Löw, Sender,
Samuel, Mayer, Feist und ein Vorsänger), 1763 15, 1781 12. Die jüdischen Wohnhäuser waren in der Stadt verteilt; es gab keine
Ghetto-Situation in der Stadt. Die "Judengasse" war in der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts die Gasse, in der damals die Synagoge stand (sonst
auch Metzgergasse genannt, heute
Wagemannstraße). Im 18. Jahrhundert lebten die Juden in der Stadt noch mit
zahlreichen Beschränkungen. Sie durften keine Badehäuser benutzen, die auch
von christlichen Kurgästen besucht wurden, das Betreten der Kurpromenaden war
ihnen nicht gestattet. Die jüdischen Badegäste waren auf die
"jüdischen" Badehäuser angewiesen wie das Badhaus "Zum
Rebhinkel" in der Spiegelgasse, "Zum
Stern" des Juden Nathan, das Badhaus "Zum Hirsch" u.a. Seit 1774
hatten die Juden der Stadt ihr eigenes Kaffeehaus (Inhaber war der Jude
Liebmann).
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1805 14 jüdische Familien, 1815 20 jüdische Familien, 1820 85 jüdische
Einwohner, 1825 152 jüdische Einwohner (2,2 % von insgesamt 6.887 Einwohnern), 1840
237 (2,2 % von 10.934), 1842 247, 1867 693 (2,3 % von 30.085), 1871 893 (2,7 % von
33.450), 1885 1370 (2,5 % von 55.454), 1895 1719 (2,3 % von 74.133), 1905 2.656
(2,6 % von 100.453). Zur Steigerung der Zahl jüdischer Einwohner trug auch der
Zuzug von Juden aus Osteuropa bei ("Ostjuden"). Insbesondere auf
Grund des starken Engagements von Rabbiner Dr. Paul Lazarus gelang die Integration der "Ostjuden" in der Stadt.
An Einrichtungen bestanden u.a. eine Synagoge beziehungsweise seit dem
Ende des 19. Jahrhunderts mehrere Synagogen / Bethäuser (s.u.),
zeitweise eine jüdische Schule, ein rituelles Bad (im 19. Jahrhundert im
früheren Badhaus "Zum Rebhuhn" in der Spiegelgasse 11) und ein Friedhof. Zur Besorgung religiöser Aufgaben in der Gemeinde war (neben dem
Rabbiner s.u.) ein Lehrer angestellt, der auch als Vorbeter und Schochet tätig
war. Im 19./20. Jahrhundert waren diese Aufgaben auf mehrere Personen/Kultusbeamte
der Gemeinde verteilt.
Seit 1708 war Wiesbaden Sitz eines Rabbiners, der auch für die Gemeinden
in der Umgebung zuständig war (Bezirksrabbinat). Der liberal gesinnte Rabbiner
Dr. Abraham Geiger (Rabbiner in Wiesbaden 1832 bis 1838) prägte die Gemeinde
für die nächsten Jahrzehnte. Rabbiner Dr. Samuel Süskind (Rabbiner in
Wiesbaden 1844 bis 1884) konnte 1869 eine neue Synagoge einweihen, in der sich
auch eine Orgel befand. Schon 1863 wurde ein gemischter Chor gegründet, der die Gottesdienste begleitete. Die
Einweihung der Synagoge war Anlass für die Abspaltung einer orthodoxen Gruppe, die 1879 als "Altisraelitische
Kultusgemeinde" rechtlich anerkannt wurde. Die
"Altisraelitische Kultusgemeinde" stellte einen eigenen Rabbiner
(jahrzehntelang Rabbiner Dr. Leo Kahn) und Lehrer an, baute eine Synagoge mit
traditioneller Einrichtung und legte einen eigenen Friedhof
an, nachdem ihren Mitgliedern die Beisetzung auf dem allgemeinen jüdischen
Friedhof untersagt worden war. Weitere Informationen zu den Rabbinern auf der Seite
zu den Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde und auf der Seite
zur Altisraelitischen Kultusgemeinde.
Die jüdischen Einwohner leisteten große Beiträge in den unterschiedlichsten
Bereichen des kommunalen Lebens. Zahlreiche bedeutende Geschäfte der Stadt
waren im Besitz jüdischer Personen. Es gab eine größere Anzahl jüdischer
Ärzte und Rechtsanwälte in Wiesbaden. Es gab mehrere
rituell geführte Hotels (vgl. Anzeigen).
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde: Gefreiter Adolf
Ackermann (geb. 6.3.1888 in Wiesbaden, gef. 23.8.1914), Fritz Baer (geb.
22.9.1891 in Wiesbaden, gef. 17.19.1914), Ludwig Birnzweig (geb. 7.1.1896 in
Mainz, gef. 1.9.1914), Sally Callmann (geb. 16.1.1881 in Wiesbaden, gef.
17.10.1916), Jakob Dombrower (geb. 3.3.1877 in Frankfurt am Main, gef.
3.9.1914), Max Goldbach (geb. 23.12.1894 in Bühl, gef. 23.9.1915), Gefreiter
Walter Halberstaedter (geb. 18.3.1896 in Königshütte, gef. 10.11.1917), Albert
Hamburger (geb. 8.3.1884 in Wiesbaden, gef. 25.9.1915), Karl Hamburger (geb.
19.5.1894 in Wiesbaden, gef. 16.6.1915), Josef Herz (geb. 17.7.1893 in
Wiesbaden, gef. 13.3.1919), Eduard Hirsch (geb. 17..1893 in Wiesbaden, gest. an
der Kriegsverletzung 13.3.1919), Leo Jourdan (geb. 24.4.1899 in Wiesbaden, gef.
16.7.1918), Fritz Kahn (geb. 24.2.1899 in Mainz, gef. 13.9.1918), Feldhilfsarzt
Hans Jakob Kahn (geb. 9.4.1894 in Wiesbaden, gef. 22.8.1917), Gefreiter Julius
Klein (geb. 7.12.1894 in Budapest, gef. 4.4.1918), Unteroffizier Hans Günther
Lilienstein (geb. 10.11.1897 in Wiesbaden, gef. 29.9.1918), Dr. Arthur Marchand
(geb. 23.8.1889 in Wiesbaden, gef. 10.11.1918), Gefreiter Ernst Marx (geb.
20.7.1884 in Wiesbaden, gef. 10.11.1918), Benjamin Marxheimer (geb. 29.8.1886 in
Wiesbaden, gef. 23.10.1916), Gefreiter Louis (Ludwig) Marxsohn (geb. 21.6.1874
in Wiesbaden, gef. 29.10.1917), Siegmund Metzler (geb. 231.3.1880 in
Langenschwalbach, gef. 29.9.1914), Otto Nußbaum (geb. 12.5.1896 in Wiesbaden,
gef. 24.8.1916), Max Rödelheimer (geb. 27.10.1882 in Wiesbaden, gef.
18.9.1914), Unteroffizier David Roos (geb. 12.1.1887 in Muggensturm, gef.
16.1.1915), Jakob Rosenbaum (geb. 6.12.1889 in Butzbach, gef. 13.5.1916), Benno
(Benjamin) Rosenstock (geb. 26.3.1883 in Eiterfeld, gef. 3.9.1914), Willy
Rosenthal (geb. 23.2.1881 in Holzappel, gef. 3.11.1916), Feldwebel Leutnant Ernst
Simon (geb. 20.3.1884 in Wiesbaden, gef. 8.3.1915), Robert Solimann (geb.
18.6.1890 in Wiesbaden, gef. 28.3.1918), Unteroffizier Max Strauß (geb.
30.9.1893 in Wiesbaden, gef. 26.9.1918), Albert Süß (geb. 28.5.1898 in
Mannheim, gef. 15.12.1917), Unteroffizier Ernst Süßer (geb. 26.2.1897 in
Frankfurt am Main, gef. 12.10.1917), Walter Vorsänger (geb. 19.6.1898 in
Wiesbaden, gef. 25.9.1918), Stabsarzt Dr. Markus Witkowski (geb. 20.3.1866 in
Gnesen, gef. 8.4.1915).
Außerdem sind gefallen: Hermann Jacoby (geb. 12.8.1895 in Sonnenberg,
wohnt in Sonnenberg, gef 19.5.1918), Arnold Mainzer (geb. 18.12.1893 in
Wiesbaden, vor 1914 in Darmstadt, gef. 24.10.1916), Gefreiter Richard Meyer
(geb. 20.2.1891 in Wiesbaden, vor 1914 in Marburg, gef. 5.3.1915), Max
Ranzenhofer (geb. 14.7.1898 in Wiesbaden, vor 1914 in Essen, gef. 24.2.1916),
Fritz Rosenthal (geb. 14.3.1884 in Wiesbaden, vor 1914 in Heidelberg, gef.
28.8.1914), Gefreiter Max Tendlau (geb. 18.5.1890 in Wiesbaden, vor 1914 in
Mainz, gef. 7.6.1916). Für die Gefallenen gibt es ein Denkmal auf dem
Nordfriedhof.
1925 wurden 3.463 jüdische Einwohner gezählt (2,3 % von insgesamt
151.961 Einwohnern; dazu 30 jüdische Gemeindeglieder in Sonnenberg sowie 29 in
Dotzheim). Damals gehörten dem Gemeindevorstand der
Israelitischen
Kultusgemeinde Gemeindevorstand der
Israelitischen
Kultusgemeinde an: Justizrat M. Marxheimer (Luisenstr. 41), Leopold Cohn,
Max Heß, Dr. W. Kahn, Adolf Blumenthal, M. Marchand, Leop. Nußbaum, Dr. Georg
Goldstein, Mor. Steinberg. Als Stadt- und Bezirksrabbiner war Dr. Paul
Lazarus tätig (wohnt Taunusstraße), als Oberkantor Abraham Nußbaum
(wohnt Bismarckring 24), als Lehrer und Kantoren Edmund Capell und Julius
Kaufmann, als Rendant Arthur Straus, als Kastellan Josef Goldschmidt, als
Friedhofsgärtner Julius Katz und Heinrich Blum. Die unter Leitung von Rabbiner
Dr. Lazarus stehende Religionsschule für Schüler der Volks- und
Mittelschule besuchten im Schuljahr 1924/25 74 Kinder; als Lehrer waren die
Herren Oberkantor Nußbaum, Capell und Kaufmann tätig. Der Religionsunterricht
an höheren Schulen wurde durch den Rabbiner und die genannten Lehrer für
insgesamt 240 Kinder erteilt. Die Geschäftsstelle der Gemeinde befand sich in
der Emser Straße 6.
An besonderen Einrichtungen gab es eine Israelitische
Gemeindebibliothek (Leiter war 1924 Justizrat Marxheimer), die rituelle
Küche der Nassau-Loge (Mittagstisch für den verarmten Mittelstand) in der
Schwalbacher Straße 39 (1932 in der Faulbrunnenstraße 13, ein Israelitisches
Schwesternheim (Geisbergstr. 24 mit 1924 drei, 1932 sechs Plätzen), ein Israelitisches
Altersheim (1932 Walkmühlenstr. 85, 9 Plätze), ein Kindertagesheim
(1932 genannt; Vereinigung jüdischer Frauen, Faulbrunnenstraße 13 mit 30
Plätzen).
An jüdischen Vereinen bestanden: der Israelitische
Unterstützungsverein (gegründet 1871; 1924 unter Leitung von Max Heß,
Schulberg 3; 1932 unter Leitung von Dr. Erich Cosmann, Adelheidstr. 47 mit 300
Mitgliedern; Zweck und Arbeitsgebiet: Allgemeine Fürsorge für Einheimische,
Wanderfürsorge), der Israelitische Waisen-Unterstützungsverein (Erziehung
der Waisen, 1924 unter Leitung von Rabbiner Dr. Lazarus), der Nassauische
Verein zur Förderung des Handwerks unter den Juden (gegründet 1899; 1924
unter Leitung von Dr. L. Lindt, Adolfsallee 33 mit 170 Mitgliedern; 1932 unter
Leitung von Alfred Rothschild, Kapellenstr. 45 mit 100 Mitgliedern; Zweck und
Arbeitsgebiet: Unterstützung unbemittelter Israeliten, vornehmlich deutscher
Herkunft, welche mindestens 2 Jahre im Bezirke des ehemaligen Herzogtums Nassau
ihren Wohnsitz haben, bei der Erlernung von Handwerk und Kunstgewerbe), der Synagogen-Gesang-Verein
(gegründet 1863, 1924 unter Leitung von Leopold Nußbaum mit 200 Mitgliedern), ein Verein zur
Errichtung eines israelitischen Krankenhauses und Schwesternheimes
(gegründet 1900; 1924 unter Leitung von Sanitätsrat Dr. Heß mit 400
Mitgliedern; 1932 unter Leitung von Rechtsanwalt Arnold Kahn mit 280
Mitgliedern; Zweck und Arbeitsgebiet: Private und gemeindliche Krankenpflege),
ein Verein für Ferienkolonien für Kinder unbemittelter Eltern (1924/32
unter Leitung von Hedwig Kahn mit 150 Mitgliedern, 1932 182 Mitglieder; Zweck
und Arbeitsgebiet: Unterbringung erholungsbedürftiger Kinder in Kuranstalten
oder Ferienheimen), ein Verein Israelitisches Altersheim (1924 unter
Leitung von Gustav Floersheim, Victoriastr. 35), die Chewra Kadischa der
Israelitischen Kultusgemeinde zu Wiesbaden (1923 gegründet; 1924 unter
Leitung von Leopold Cohn, Emser Str. 6; 1932 unter Leitung von Arthur Ganz,
Wielandstr. 18 mit 300 Mitgliedern; Zweck und Arbeitsgebiete: Krankenpflege und
Bestattungswesen), die Nassau-Loge U.O.B.B. (1924 Präsident Rabbiner Dr.
Lazarus, 1932 Vorsitzender Dr. G. Goldstein), die Vereinigung jüdischer
Frauen (gegründet 1917; 1924 unter Leitung von Frau Capell; 1932 unter
Leitung von Louise Marxheimer, Kaiser-Friedrich-Ring 71 mit 445 Mitgliedern;
Zweck und Arbeitsgebiet: Frauen- und Mädchenhilfe, Familienfürsorge,
Kinderfürsorge, Berufsberatung für jüdische Mädchen), der Frauenverein
Gemilus Chesed (1932 unter Vors. der Frau von Sanitätsrat Dr. Lipman; Zweck
und Arbeitsgebiet: Frauen- und Mädchenhilfe), das Jüdische Lehrhaus (Verein
für jüdische Geschichte und Literatur, 1924 unter Leitung von Rechtsanwalt
Liebmann), ein Jüdischer Jugendverein (1924 unter Leitung von Hans
Berger), eine Ortsgruppe des Central-Vereins, eine Zionistische
Ortsgruppe, eine Jüdische Darlehenskasse (1932 Vors. Wirgin, Dotzheimer
Str. 172). 1932 waren die Wohlfahrtsvereine zusammengeschlossen in einer Örtlichen
Zentrale für jüdische Wohlfahrtspflege - Arbeitszentrale der Jüdischen
Wohlfahrtsvereinigungen Wiesbadens (Adresse Michelsberg 28; Vorsitzender Dr.
jur. E. Cosmann, Adelheidstr. 47, Geschäftsführer Dr. Danelius; Zweck und
Arbeitsgebiete: Zentrale Durchführung der gesamten offenen Fürsorge, Beratung
Hilfsbedürftiger in Wohlfahrtsangelegenheiten, Vertretung der Vereine und der
Petenten bei den Behörden).
Der Alt-Israelitische Kultusgemeinde Wiesbaden
gehörten 1924 etwa 70 Familien an. 1925 waren im Vorstand: Levy Ackermann (Luisenstr.
47), Jos. Blumenthal, Berthold Kahn, Adolf Plottke, Julius Katz. Die
Geschäftsstelle befand sich im Synagogengebäude Friedrichstraße 33. Rabbiner
der Kultusgemeinde war Dr. Leo Kahn (Gerichtstr. 7), Lehrer Heß (Sonneberger Str.),
Schochet Langermann und Synagogendiener Bastansky. Die unter Leitung von
Rabbiner Dr. Kahn stehende Religionsschule der Gemeinde wurde von 22 Kindern
besucht, die durch den Rabbiner und Lehrer Heß unterrichtet wurden. 1932
waren die Gemeindevorsteher Rechtsanwalt Dr. M. Sulzberger (Luisenstr. 35, 1.
Vors.), F. Goldschmidt (2. Vors.), Berthold Kahn (3. Vors.). Als Rabbiner war
inzwischen Dr. J. Ansbacher tätig (Walluferstr. 8), als Lehrer Herr Grünbaum (Göbenstraße),
als Schochet ein Herr Dachs. 70 Kinder erhielten Religionsunterricht durch
Rabbiner und den Lehrer.
1932 bildeten den Gemeindevorstand der Israelitischen Kultusgemeinde 12
Personen. 1. Vorsitzender war weiterhin Justizrat M. Marxheimer (Uhlandstr. 8).
Sein Stellvertreter war Adolf Blumenthal (Parkstr. 35), Schriftführer und
Schatzmeister Arthur Straus (Emser Str. 6). Der Vorstand hatte mehrere Ausschüsse:
Finanzausschuss (Vorsitzender Adolf Blumenthal), Bauausschuss (Vorsitzender Dr.
Georg Goldstein), Friedhofsausschuss, Synagogenausschuss (Vorsitzender Leopold
Nußbaum), Schulausschuss, Bibliotheksausschuss (Vorsitzender Rabbiner Dr.
Lazarus), Sozialer Ausschuss (Vorsitzende Louise Marxheimer), Rechtsausschuss
(Vorsitzender Justizrat Marxheimer). Rabbiner Dr. Lazarus wohnte in der Lanzstr. 14. Als Kantoren und Lehrer waren weiterhin
Abraham Nußbaum (Bismarckring 24) und Edmund Capell (Rauentaler Str. 4) sowie
seit 1925 (zuerst in Posen, seit 1921 Freiburg
im Breisgau) Saul Lilienthal (Querfeldstr. 5)
tätig.
1933 lebten 2.713 jüdische Personen in der Stadt (1,7 % von insgesamt
159.755). In
den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Bis 1938 wurden fast alle
der jüdischen Gewerbetriebe "arisiert" (über 250 Geschäfte). 1936
war für 160 Schüler eine jüdische Schule eröffnet worden (Mainzer
Straße/Welfenstraße), da die jüdischen Schülerinnen und Schüler nicht mehr
die allgemeinen Schulen besuchen konnten. Seit Februar 1938 durften jüdische
Kurgäste die Kureinrichtungen nicht mehr benutzen. Beim Novemberpogrom 1938
wurde die liberale Synagoge weitgehend zerstört, die orthodoxe Synagoge
beschädigt (siehe unten). Es kam zu schweren Ausschreitungen und Gewaltaktionen
in der Stadt gegen die noch bestehenden jüdischen Geschäfte und jüdischen
Wohnhäuser/Wohnungen und ihre Bewohner. Unzählige Fenster wurden zerschlagen,
die Waren jüdischer Geschäfte geplündert oder auf die Straße geworfen. Von
den Gewaltaktionen waren u.a. das Hutgeschäft Ullmann, die Weinhandlung Simon,
das Kinderbekleidungsgeschäft Baum, das Juweliergeschäft Netter, Herz und
Heimerdinger, die Parfümerie Dr. Moritz Albersheim, das Geschäft Kugelmann im Hotel Bellevue und
das Verkehrsbüro Ecke Webergasse betroffen. Das Büro und die Wohnung des Rechtsanwaltes
Guthmann in der Bahnhofstraße wurden mit Äxten zerstört. Mehrere hundert
jüdische Männer wurden in das KZ Buchenwald verschleppt, darunter Rechtsanwalt
Guthmann und Justizrat M. Marxheimer. 1939 wurden noch 1.232 jüdische Einwohner gezählt (0,7 %
von insgesamt 165.646 Einwohnern). Die jüdische Schule bestand bis
1942.
Viele der jüdischen Einwohner waren geflohen, manche konnten sich retten. Im Mai wurden etwa
400 jüdische Einwohner aus Wiesbaden in
Vernichtungslager des Ostens deportiert, im September 1942 etwa 370 in
das Ghetto Theresienstadt. Damit war die jüdische Gemeinde zerstört. Fast alle
der Deportierten sind umgekommen beziehungsweise wurden grausam ermordet. Etwa
40 jüdische Einwohner nahmen sich im August 1942 vor der Deportation das Leben.
Im Februar 1945 wurden noch 5 (?) Kinder aus "gemischten"
Familien mit ihrem jüdischen Elternteil in das Ghetto Theresienstadt
deportiert; sie überlebten. Andere hatten in den letzten Monaten noch
untertauchen können. Einer nichtjüdischen Familie gelang es, ihren Verwalten
Naphtali Rottenberg vom Sommer 1939 bis zur Befreiung 1945 zu verstecken.
Auf dem "Namensband"
der Gedenkstätte am Michelsberg wird an über 1.500 aus Wiesbaden
umgekommene / ermordete jüdische Einwohner erinnert.
Zur
Erinnerung an die aus Wiesbaden deportierten und ermordeten jüdischen
Einwohner liegen in der Stadt auch zahlreiche "Stolpersteine".
Verlegungsaktionen gab es im Februar 2005, September 2005, Februar 2006,
August 2006, Juni 2007, Januar 2008, Januar 2009, Oktober 2009. Seit 2003
werden "Erinnerungsblätter" für die EInzelne oder Familien
erstellt, die verfolgt und ermordet wurden.
Links die "Stolpersteine" für die Geschwister Benni
Ehrenreich (1927), Mary Ehrenreich (1922) und Rosi Ehrenreich (1924) in
der Neugasse 3.
Link: "Aktives
Museum Spiegelgasse" - Gedenkprojekt "Stolpersteine" Link
zur Übersicht über die "Erinnerungsblätter" |
Zur jüdischen Geschichte nach 1945
siehe weitere Seite.
Zur Geschichte der Synagogen
Synagogen
vom 16. bis zum 18. Jahrhundert
Von einem Betraum ist erstmals 1573 im Haus des Jude Joseph, der mit Familie im
Badhaus "zum Helm" in der Goldgasse 1 wohnte, die Rede.
Eine erste Synagoge befand sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts
vermutlich in der Metzgergasse, die zeitweise "Judengasse" genannt
wurde (heute Wagemannstraße). 1724 wurde die Synagoge in das jüdische
Badhaus "Zum Rebhuhn" verlegt (in der heutigen Spiegelgasse). Von 1820
bis 1824 wird ein "kleines Gotteshaus" in der Webergasse 40 benutzt.
Danach wurde eine neue Synagoge erbaut, die Anfang 1826 durch Rabbiner Salomon
Herxheimer aus Dotzheim (später Landesrabbiner in Anhalt-Bernberg) eingeweiht
wurde.
Die Synagoge von 1826
Über die am 24. Februar 1826 eingeweihte Synagoge erfährt man in
einer Rede von Kommerzienrat M. Berle, die 1869 aus Anlass der Einweihung der
neuen Synagoge vor deren Portal gehalten wurde: "Nachdem zu Anfang der
zwanziger Jahre von der damaligen kleinen und wenig bemittelten israelitischen
Kultusgemeinde dahier die alte Synagoge mit dürftigen Mitteln erbaut worden
war, wurde dieselbe im Februar 1826 feierlich eingeweiht und bis heute in
gottesdienstlichem Gebrauche gehalten. Bei der inzwischen erfolgten starken
Zunahme der Gemeinde und bei ihrem durch Fleiß, Intelligenz und Regsamkeit
gesteigerten Wohlstande regte sich schon zu Anfang der sechziger Jahre der
Gedanke, die räumlich viel zu beengt gewordene alte Synagoge durch einen
entsprechend größeren Neubau zu ersetzen." Die Synagoge von 1826
hatte etwa 200 Plätze.
Die Synagoge stand in der Schwalbacher Straße 43.
Die Synagoge am Michelsberg 1869 bis 1938
Ein wohlhabendes Gemeindeglied spendet ein Grundstück
zum Neubau einer Synagoge (1863)
Anmerkung: die Mitteilung ist der konservativ-orthodoxen Zeitschrift
"Der Israelit" entnommen, die sich sehr kritisch gegenüber der
liberal geprägten jüdischen Gemeinde in Wiesbaden äußert.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 1. April 1863: "Wiesbaden. Die hiesige israelitische
Gemeinde will eine neue Synagoge bauen. Ein reicher Mann, in unserer Nähe
wohnhaft, hat freigebig der Gemeinde einen großen und schöngelegenen
Platz zum Geschenk gemacht. Zur Feier dieses frohen Ereignisses wurde ein
solennes Essen in einem christlichen Gasthofe, bestehend aus verbotenen
Speisen, veranstaltet. Das ist moderne Gottesverehrung! Es werden hier
nunmehr die Früchte der Aussaat geerntet, welche Geiger vor 25 Jahren
hier gesät hat und die seitdem sorgfältig gepflegt worden
ist." |
Mit dem Bau der neuen Synagoge konnte im Oktober 1863 begonnen werden. Die
Entwürfe für die Synagoge hatte Oberbaurat / der Herzoglich Nassauische
Landesbaumeister Philipp Hoffmann gezeichnet. Er gestaltete die Synagoge in
einem neo-orientalischen (maurisch-byzantinischen) Stil. Das am 13. August 1869
eingeweihte, 35 m hohe Gebäude mit seiner prägenden Kuppel galt als eines der
schönsten Bauwerke der Stadt. Die Synagoge hatte 358 Männer- und 224
Frauenplätze sowie eine Orgel.
Die Einweihung der Synagoge am 13. August 1869
Nach
der Einweihung der Synagoge erschien die Publikation
"Einweihungsfeier der neuen Synagoge zu Wiesbaden am 13. August 1869
(6. Elul 5629)" (die
Publikation ist eingestellt als pdf-Datei).
In dieser Publikation finden sich Reden und Texte (Gebete usw.), die
während der Einweihungsfeier gehalten wurden, insbesondere die
Einweihungspredigt von Rabbiner Süskind. Die Feier begann mit
einem Gottesdienst (Mincha-Gebet) in der bisherigen Synagoge. Nach einem
letzten Gebet wurden die Torarollen von Rabbiner Süskind aus dem
Toraschrein entnommen und den ältesten Gemeindegliedern übergeben. In
feierlicher Prozession wurden die Torarollen zur neuen Synagoge gebracht.
Vor dem Portal überreichte Oberbaurat Hoffmann dem Gemeindevorsteher
(Präses) Kommerzienrat M. Berle, den Schlüssel zur neuen Synagoge, die
von ihm aufgeschlossen wurde. Während des Einweihungsgottesdienstes hielt
Rabbiner Süskind die Festpredigt.
Am Sabbat, dem 14. August 1869 hielt der frühere Rabbiner der Gemeinde
Wiesbaden - Dr. Abraham Geiger (inzwischen Rabbiner in Frankfurt am
Main) - eine weitere
Festpredigt. |
Berichte aus der Geschichte der Synagoge am Michelsberg
Über ein Konzert in der Synagoge zugunsten des
Pensionsfonds für israelitische Kultusbeamte in Anwesenheit hoher Vertreter des
Adels (1880)
Anmerkung: vor allem im zweiten Bericht findet sich eine außergewöhnliche
Schilderung der Synagoge als eines "wahren Schmuckkästchens von
Architektur"
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 23. November 1880: "Wiesbaden, 14. November (1880). Am
Freitag Abend fand in der hiesigen Synagoge von Seiten des
Synagogen-Gesangvereins ein großes Konzert zum Besten des Pensionsfonds
der Kultusbeamten statt. Die bedeutendsten Künstler und der Theaterchor
hatten ihre Mitwirkung zugesagt. Alle hiesigen Blätter sprechen sich
höchst lobend über das Konzert aus. Wir entnehmen dem 'Wiesbadener
Anzeiger' folgende Schilderung: 'Das von dem Synagogen-Gesang-Verein
gestern Abend in der Synagoge veranstaltete Konzert wurde durch den Besuch
Ihrer kaiserlichen und königlichen Hoheiten des Kronprinzen und der Frau
Kronprinzessin, sowie Ihrer Hoheiten des Erbprinzen der der Frau
Erbprinzessin von Meiningen nebst hohem Gefolge ausgezeichnet. Am Portal
vom Vorstand des Vereins empfangen, nahmen die beiden hohen Damen zwei,
Ihnen im Namen des Vereins überreichte prachtvolle Blumenbuketts
entgegen, und nahmen alsdann auf der reservierten Estrade Platz. Ist der
Prachtbau der Synagoge an sich schon ein herrlicher Anblick, so war dieser
gestern umso bedeutender, als das Haus bis auf den letzten Platz gefüllt
war; ja ein wahrhaft märchenhaftes, bezauberndes Bild war es, welches
sich da den Blicken bot. Unser Kronprinzenpaar nebst seinem Hofstaat in
diesem Tempel, umgeben vom herrlichsten Blumen- und Pflanzenschmuck und
der weite Raum, strahlend in einem Meer von Licht! Und herrlich, wie das
Auge, wurde das Ohr entzückt.' Ob alle Nummern des Programms dem
Charakter eines kirchlichen Konzerts entsprachen, wollen wir nicht in
Betracht ziehen. 'Der Synagogen-Gesangverein brachte unter Leitung seines
Dirigenten Herrn C. Koch einen Klein'schen Psalm für Männerchor zu
wirkungsvollster Darstellung. Schöne Stimmen und nuancierter Vortrag
zeichneten dieselbe vornehmlich aus. Den Schluss des Konzertes bildete ein
'Lobgesang' von W. Jahn. Diese Kantate, von unserem Hofkapellmeister vor
mehreren Jahren schon für Solo, Chor und Orgel und für hebräischen Text
komponiert und dem Synagogen-Gesangverein gewidmet, zählt ohne Zweifel zu
den hervorragendsten Erscheinungen auf dem Gebiete der modernen
Kirchenmusik: reiche Erfindung, weihevolle Stimmung und meisterliche
Arbeit charakterisieren diese Tondichtung.' Am Schlusse heißt es: 'Die
allerhöchsten Herrschaften sprachen sich wiederholt anerkennend über die
gebotenen künstlerischen Genüsse aus und bezeichneten die Veranstaltung
als überhaupt sehr befriedigend und gelungen. Im Auditorium gewahrten wir
u.a. seine Durchlaucht den Prinzen Nikolaus von Nassau nebst Frau
Gemahlin, die Prinzessinnen von Ardeck und von Thurn und Taxis, Herrn
Regierungspräsident von Wurmb sowie fast die gesamte Elite der hiesigen
Gesellschaft.' Jedenfalls beweist die Anwesenheit der Kronprinzlichen
Herrschaften bei diesem Synagogen-Konzert abermals, wie erhaben dieselben
über den traurigen Geist sind, welcher sich jüngst in Berlin so laut
vernehmbar gemacht hat." |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 21. Dezember 1880: "Das Konzert in der Synagoge zu
Wiesbaden. Obgleich über dieses Konzert bereits kurz berichtet
worden, so wird doch folgendes Referat aus der 'Wiesbadener
Montags-Zeitung' interessieren.
Das Konzert in der hiesigen Synagoge zum Besten des Pensionsfonds für die
israelitischen Kultusbeamten, welches verflossenen Freitagabend stattfand,
darf als ein Glanzpunkt der Saison bezeichnet werden. Nur mit Mühe
vermochten wir uns einen Weg durch das dichtgedrängte Publikum, welches
die Synagoge umlagerte, wie durch die endlose Wagenreihe, welche die
Spitzen der hiesigen Gesellschaft nach dem allgemeinen Rendezvous der
Synagoge führte, zu bahnen, doch in der Synagoge selbst herrscht,
trotzdem Alles bis auf den letzten Platz ausverkauft war, die
musterhafteste Ordnung. Dank der Umsicht und Zuvorkommenheit der
Mitglieder des Komitees, welche jede einzelne Person an ihren Platz
geleiteten; bei Eintritt in die prachtvolle Synagoge waren wir wahrhaft
frappiert über den imposanten Totaleindruck, welchen dieser herrliche
Tempel Gottes auf uns machte, und fragten wir uns erstaunt, wie es
möglich war, dass uns bei wiederholten Besuchen, welche wir der Synagoge
mit fremden Gästen, allerdings am Tage, machten, dieses herrliche
Gotteshaus nicht in seinem vollen Werte erkannten, welches von Herrn
Oberbaurat Hofmann erbaut, bis in die kleinsten Details so edel, schön,
stil- und kunstgerecht ausgeführt ist, dass es ein harmonisches Ganzes
bildet, wie wir in der weiten Welt, wir sagen nicht zu viel, noch kein
schöneres sahen. Größere, durch verschwenderische Pracht überladenere
sagen wir wohl in Paris, Marseille etc., schönere nicht! Und wenn
Frankfurt uns in mancher Beziehung überbietet, wenn sein Opernhaus etc.
das schönste Deutschlands ist, seine Synagoge reicht, wie man zu sagen
pflegt, der hiesigen, welche ein wahres Schmuckkästchen von Architektur
ist, das Wasser nicht; wir möchten allen, die etwa Zweifel hegen, ob das
von uns Gesagte nicht etwa übertrieben sei, ersuchen, die Synagoge
Freitag abends, wo sie, wie wir hören, während des Gottesdienstes
beleuchtet ist, zu besuchen, und man wird sich überzeugen, dass wir in
diesem kurzen Referate, welches ja nur dem heute stattgehabten Konzerte
gelten soll, dieses herrliche Baudenkmal nicht voll und ganz zu würdigen vermochten.
Erstaunt bewunderten wir noch den imposanten Bau, da plötzlich ging eine
Bewegung durch das Auditorium, welche uns aus all den Betrachtungen riss,
in welche uns der Anblick des herrlichen, in der magischen Beleuchtung so
andachtsvoll stimmenden Gotteshauses versetzt hatte, - ehrfurchtvoll
begrüßte schritten Ihre Kaiserlichen und Königlichen Hoheiten der
Kronprinz und die Kronprinzessin des deutschen Reiches und von Preußen
und Seine Hoheit der Erbgroßherzog von Meiningen, mit seiner hohen
Gemahlin und Gefolge, durch das Kirchenschiff nach der von Herrn
Hofkunstgärtner A. Weber auf das Prachtvollste geschmückten Estrade vor
dem Allerheiligsten zu, wo Fauteuils im Halbkreise für die Allerhöchsten
Herrschaften bereit standen, und wie ein Strahlenkranz reihten sich die
Träger Hoher Erlauchter Namen im Halbkreis zu Füßen der Estrade, wir
nennen nur Ihre Durchlaucht die Frau Prinzessin Ardeck, Seine Durchlacht
Prinz Nicolaus von Nassau, Herrn Regierungspräsident von Wurmb u.a., um
kurz zu sein, die gesamte Haute volée war vollzählig vertreten. Die
Herren Simon Heß, erster und Louis Heymann, zweiter Präsident des
Synagogen-Gesangvereins hatten bei Eintritt in die Synagoge Namens des
Gesamtvorstandes, welcher die Allerhöchsten Herrschaften am Hauptportale
empfing, Ihre Kaiserliche und Königliche Hoheit der Frau Kronprinzessin
und Höchstderen Tochter, der Frau Erbgroßherzogin von Meiningen, je ein
prachtvolles Bouquet überreicht, welches in huldvollster Weise akzeptiert
wurde. Nachdem die Allerhöchsten Herrschaften kaum Platz genommen, begann
das Konzert unter W. Jahn's persönlicher Leitung durch eine von Herrn E.
Uhl auf der schönen Orgel meisterhaft vorgetragene 'Orgel-Sonate' von
Mendelssohn /(Wir bemerken hierbei, dass die Akustik der Synagoge nichts
zu wünschen übrig lässt, und dadurch alle Vorträge zur besten Geltung
gelangten). Hieran reihten sich in prompter Reihenfolge die Vorträge von
Frl. Hedwig Rolandt und der Herren José Ledérer, A. Peschiér, H.
Philippi, wie des Männerchors des Synagogen-Gesangvereins unter der
trefflichen Leitung des Dirigenten, Herrn Koch, und schloss das Konzert
mit dem von Herrn Hofkapellmeister Jahn komponierten 'Lobgesang' für
Solo, Chor und Orgel (Text von H. Dickmann), welcher von dem durch den Theatercorps
verstärkten Synagogen-Gesangverein ganz brillant exekutiert wurde; in den
Solis brachte Herr Philippi seine mächtige sympathische Stimme zur vollen
Geltung und als es feierlich durch den Tempel erklang: 'Er ist einzig und
ewig Gott, unser Herr!' und der Chor mit seinen prachtvollen sonoren
Stimmen jubelnd einfiel: 'Singe, Israel, dem Höchsten! er behütet Zion
ewig. Halleluja!' da erfasste alle Anwesenden eine so weihevolle,
begeisterte Stimmung, da überkam es Alle so sonderbar, als fühle man die
Nähe Gottes, des Ewigen Höchsten, dem wir ja Alle, wenn auch in
verschiedenen Zungen, unter verschiedenen Namen und in verschiedenen
Tempeln preisen. Haben ja doch die Angehörigen aller Nationen, die
Völker aller Zungen, die Bekenner aller Religionen bereits eine
'Universalsprache, welche das, was in jedem Herzen unbewusst schlummert,
zum Leben erweckt, eine Sprache, in welcher wir uns verstehen, begreifen,
miteinander denken, fühlen, lernen, die göttliche Kunst, die Macht der
Töne', und mit dem Dichter rufen wir begeistert aus: 'Musik, du
mächtige, vor dir verschwindet der armen Sprache ausdrucksvollstes Wort!
Warum auch sagen, was das Herz empfindet? Lebt doch in dir die ganze Seele
fort!' - Mögen anderwärts finstere Fanatiker immerhin Hass anstatt Liebe
predigen und des Glaubens halber Bürger gegen Bürger hetzen wollen, hier
bei uns, - das bewies der Verlauf des herrlichen Konzertes in der
Synagoge, - ist kein Feld, auf welchem religiöser Fanatismus fruchtbaren
Boden findet, und die Anwesenheit der Allerhöchsten Herrschaften bewies
uns klar, dass die hiesige Bevölkerung in Bezug auf Toleranz sich in
vollem Einklang, wie mit unserem erhabenen Kaiser, so auch mit dem
künftigen Herrscher unseres gemeinsamen Vaterlandes befindet. Möge es
immer so sein! - Der pekuniäre Erfolg des Konzertes soll, wie der
künstlerische, ein ganz außerordentlicher sein. Die Allerhöchsten
Herrschaften sprachen dem Komitee gegenüber ihre vollste Anerkennung
über den Verkauf des Konzertes aus, und mag diese Anerkennung sowie das
Bewusststein einen edlen Zweck gefördert zu haben, sämtliche
Mitwirkenden für ihre viele Mühe und Hingebung
entschädigen." |
Einladung zu einem Konzert in der Synagoge (1886)
Anmerkung: auch aus diesem Artikel ist die Kritik der konservativ-orthodoxen Zeitschrift "Der Israelit" am Konzert in
der liberalen Orgelsynagoge an einem Freitagabend (Schabbatbeginn!) deutlich zu
vernehmen.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 1. März 1886: "Wiesbaden, 24. Februar (1886).
Im hiesigen 'Anzeigeblatt' wird für Freitag Abends 7 Uhr zu einem
Konzerte in der Synagoge eingeladen. Das Programm ist ein sehr
reichhaltiges und verspricht man sich großen Genuss von den
Gesamtsvorträgen der Frau Dr. Maria Wilhelmi und der Königlichen
Opernsängerin Fräulein Anna Radecke. -
Am Schlusse der Einladung heißt es: 'Der Reinertrag wird dem Moses
Mendelssohn-Denkmal in Dessau und dem Franz Abt-Denkmal hier zugewendet.
Die Synagoge ist geheizt und festlich erleuchtet.'
Bei solche Anlässen tritt es deutlich hervor, wie zweckmäßig eine Orgel
für die Synagoge ist, denn ohne dies könnte ja ein so reichhaltiges
Konzert gar nicht ausgeführt werden und den beiden Denkmälern würde ein
ansehnlicher Beitrag entgegen!!! Dass dieses Konzert am Freitagabend
|
25-jähriges Jubiläum der Synagogen-Einweihung
(1894)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 31. August 1894: "Wiesbaden, 27. August (1894).
Die hiesige israelitische Kultusgemeinde beging am 18. dieses Monats Schabbos
Nachmu das 25-jährige Jubiläum der Synagogen-Einweihung.
Jeder, der schon einmal in Wiesbaden war, ließ sich gewiss unter den
Sehenswürdigkeiten der Stadt auch die Synagoge zeugen, ein Prachtbau, der
unter dem Oberbaurat Hoffmann aufgeführt wurde. An diesem Tage war die
Synagoge aufs Herrlichste mit Blattpflanzen und Girlanden geschmückt. Die
Hauptfeier fand am Freitag Abend statt. Eröffnet wurde diese durch ein
vom Organisten der Synagoge komponierten 'Mah towu'. Mit voller Spannung
warteten jedoch alle auf den Mittelpunkt der Feier, auf die Festpredigt
des Herrn Stadt- und Bezirks-Rabbiners Dr. Silberstein. Wir müssen
bekennen, dass wir gewohnt sind, von ihm Predigten zu hören, die dem
Inhalte nach mustergültig. Die hiesigen Zeitungen sprechen daher mit
Recht von der sehr eindrucksvollen Predigt mit gedankenreichem Inhalt. Mit
Bezug auf die trefflichen Leistungen des Synagogen-Gesangvereins wäre es
dringend zu wünschen, dass derselbe sich auch mehr mit den Kompositionen
der hebräischen Liturgie bekannt machte und dadurch mehr den echten
Charakter eines jüdischen Gottesdienstes wahre und hebe. Am Abend
vereinte die Festteilnehmer ein vom Synagogen-Gesangverein arrangiertes
Kränzchen, das einen sehr gemütlichen Verlauf nahm. Der Abendgottesdienst
wurde durch Gesänge des Synagogen-Gesangvereins besonders
verherrlicht." |
Gottesdienst in der Synagoge zum hundertjährigen
Jubiläum des Füsilierregiments von Gersdorff Nr. 80
(1913)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 18. Juli 1913: "Wiesbaden, 11. Juli (1913). Zur Feier
des hundertjährigen Jubiläums des hiesigen Füsilierregiments von
Gersdorff Nr. 80 fand auch ein Gottesdienst in der Synagoge statt.
Jetzige und frühere Angehörige des Regimentes hatten sich zahlreich
eingefunden. Die Festrede hielt Stadt- und Bezirksrabbiner Dr. Kober.
Einleitung wies der Redner auf das unlängst stattgefundene
Regierungsjubiläum des Kaisers hin und bezeichnete dann des weiteren die
Bedeutung des Regiments, besonders seine Tapferkeit in dem Kriegsjahr
1870, in welchem Christ und Jude Schulter an Schulter ihr Herzblut für
das Vaterland geopfert haben. Mit flammenden Worten geißelte der Prediger
die von unseren Gegnern ausgestreute infame Behauptung von der
Minderwertigkeit des jüdischen Soldaten. Trotz der uns bewiesenen
Undankbarkeit fänden die Juden die kraft zu treuer Pflichterfüllung in
ihrer Religion. Mit einem stimmungsvollen Gebete für Kaiser und Reich
schloss Dr. Kober seine glänzende Rede, die einen sichtlich tiefen
Eindruck auf alle Anwesenden machte." |
Über die "Wiesbadener Synagogen-Gesänge"
(1913)
1913
erschienen: Nussbaum, Abraham / Otto Wernicke (Hrsg.): Wiesbadener Synagogen-Gesänge. Eine Sammlung gottesdienstlicher Gesänge für Cantor, Soli, Gemeindegesang, gemischten & Männerchor; für den Wiesbadener Synagogen-Gesangverein von verschiedenen Autoren componiert. Herausgegeben von Abr. Nussbaum, Oberkantor, und Otto Wernicke, Dirigent an der Hauptsynagoge zu Wiesbaden. [Dem Wiesbadener Synagogen-Gesangverein zu Fünfzigjahrfeier gewidmet und zugeeignet]. Wiesbaden: Verlag Wiesbadener Synagogen-Gesangverein
1913, 89 S.
Enthält 41 Nummern von H. Berggrün, E. Birnbaum, M. Hast, M. Henle, C. Heuss,W. Jahn, F. Kaminsky,
J. Mannheim, A. Nussbaum, J. Tennenbaum, E. Uhl, O.Wernicke, N. von Wilm. –
Abbildung aus dem Beitrag: Günther Grünsteudel: Musik
für die Synagoge. Die Sammlung Marcel Lorand der
Universitätsbibliothek Augsburg. Historische Einführung und Katalog.
Universitätsbibliothek Augsburg 2008.
Der
Beitrag ist online einsehbar (pdf-Datei, 7,8 MB). |
Während der Zeit der französischen Besatzung: Französischer Gottesdienst in
der Synagoge (1921)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 11.
November 1921: "Französischer Gottesdienst in der Synagoge in
Wiesbaden. Von Benas Levy (Berlin). Der Herbst in Wiesbaden ist
unvergleichlich schön. Die Blätter fallen von den Bäumen und besäen
die Gärten und Alleen. Im Kurgarten und im Nerotal finden wir noch viele
vollbelaubte Bäume, die in den herrlichsten Farben sich zeigen - bald
hellgrün, bald dunkelgrün, bald hellgelb, bald goldgelb. In allen
Nuancen zeigen sich die Blätter bevor sie vom Sturme verweht, zu Boden
gleiten. Und fährt man nach dem nahen Biebrich, dann grüßen wir wieder
den deutschen Rhein, der so ruhig dahinfließt, als wäre nichts gegen
früher verändert. Leider aber ist es ganz anders geworden. Die
Amerikaner und die Engländer, die Franzosen und die Holländer haben sich
in Wiesbaden eingenistet und haben alle Hotels und Pensionen besetzt. Sie
lebten hier bei dem jetzigen hohen Stand ihres Geldes fast umsonst. sie
kaufen in den Geschäften nötige und unnötige Gegenstände, da diese
trotz der hohen Preise lächerlich billig für die Ausländer sich
stellen, und schicken sie in ihre Heimat. Die Folge hiervon ist, dass der
Deutsche, der hierher kommt, Mühe hat, eine Unterkunft zu finden, und
dass er die teuersten Preise anzulegen gezwungen ist. - Die französische
Besatzung macht sich hier überaus unangenehm fühlbar. Auf den Straßen
Wiesbadens promenieren die französischen Offiziere und Soldaten in
großer Menge. Kurz vor dem Kurgarten, im früheren Hotel Hohenzollern,
ist die Intendantur der Entente. Davor steht ein Schilderhaus,
blauweißrot angestrichen, und auf und ab marschiert die Wache - ein
Marokkaner mit einem roten Fez auf dem Kopfe. Das frühere Schloss, in dem
ehemals Kaiser Wilhelm II. so oft gewohnt hat, ist das Hauptquartier und
die blauweißrote Fahne flattert von dem dache. Wir glauben, in einer
französischen Garnison uns zu befinden. Wie tief aber schmerzt es uns,
wenn wir plötzlich Trompeten hören und eine Division französischer
Soldaten mit ihrer Fahne an der Spitze durch die Straßen marschieren
sehen. Ein vor mir befindlicher Herr, ein Glaubensgenosse, bedeckte mit
seiner Hand seine Augen, um dieses jeden Deutschen tief bedrückende
Schauspiel nicht mit ansehen zu müssen. Vae victis - wehe den Besiegten!
Das empfinden wir hier, in Biebrich und in Mainz, auf Schritt und
Tritt.
Das war auch heute, am Mittwoch, den 2. November, das Gefühl, das mich
beherrschte, als ich mich früh 8 Uhr in die schöne Wiesbadener Synagoge
am Michelsberg begab, um dem französischen Gottesdienst beizuwohnen.
Allerseelentag ist's - und diesen Tag begehen die Franzosen in allen
Kirchen und Synagogen, um ihrer Toten zu gedenken. Schon der Eingang zur
Synagoge war mit französischen Fahnen reich geschmückt. Im Innern der
Synagoge waren 25 bis 30 blauweißrote Fahnen angebracht und selbst das
Almemor war bedeckt mit Stoffen aus den gleichen Farben. Nur das
Allerheiligste, von dem der meist mit Gold bestickte Vorhand hing, war
frei geblieben. Pünktlich fanden sich die Besucher ein und 8 1/2 Uhr, zum
Beginn des Gottesdienstes, war die Synagoge ganz gefüllt. Auf der rechten
Seite saßen Hunderte von fran- |
zösischen
Offizieren in ihren Paradeuniformen, auf den ersten Plätzen Majore und
Generäle. Auf der linken Seite nahmen französische Zivilpersonen Platz,
darunter drei sehr würdig aussehende Matronen vom Roten Kreuz. Auf den
Seitenplätzen waren die Soldaten untergebracht - jüdische und
christliche untereinander gemischt. Marokkanische Soldaten, unter denen
ich viele mit streng orientalischem - meist jüdischen Typus entdeckte, -
waren nicht zum Gottesdienst gekommen. Vermutlich, weil sie den
Allerseelentag nicht feiern.
Die Synagoge machte den Eindruck, als ob ein Feldgottesdienst im Kriege
stattfände - nicht als ob wir schon drei Jahre Frieden hätten. Das
einzige, was unseren tiefen Schmerz milderte, war das Bewusststein, dass
die Feier den Toten halt. Wir betrauern alle ohne Unterschied des Glaubens
und der Rasse, die ihr Leben für ihr Vaterland hingegeben
haben.
Der Gottesdienst wurde mit einem Präludium auf der Orgel eingeleitet;
ernst und feierlich klangen die Töne durch das Gotteshaus. Der Synagogenchor
sang 'Min hamezar' in der Komposition von Halévi, und nach Beendigung des
Gesanges trat der französische Armeerabbiner Justin Schuhl an die
Rampe vor den Almemor. Er sprach ein längeres Gebet mit eindrucksvollen
Worten in französischer Sprache, öffnete dann die heilige Lade, nahm
eine Torarolle heraus und mit der Tora im Arm verrichtete er das Gebet
für die Toten. Der Armeerabbiner war in militärischer Kleidung, mit dem
Käppi auf dem Kopf und hatte einen Tallis umgelegt. Der hiesige
Oberkantor Abraham Nußbaum sang mit seiner wohlklingenden Stimme Adonoj
moh odom und Moh raw tuwcho in der Komposition von Goldberg, und alle
Anwesenden wurden von diesen tief ergreifenden Tönen mächtig bewegt. Der
Armeerabbiner stellte dann die Torarolle zurück, sprach vor der
geöffneten Lade das Kaddischgebet und nach einem kurzen Nachspiel auf der
Orgel war der stimmungsvolle Gottesdienst zu Ende. Der General drückte
dem Armeerabbiner seinen Dank aus, schüttelte ihm die Hand und verließ,
begleitet von seinem Adjutanten, das Gotteshaus. In bereitstehenden
Kraftfahrzeugen fuhren die höheren Offiziere in die Kirche, wo ebenfalls
Gottesdienst abgehalten wurde. Der Armeerabbiner ratterte in seinem Auto
nach Mainz, wo er stationiert sein soll, zurück.
Es war eine so seltene Feier, dass die Bescheibung als ein Dokument
unserer Zeit aufgewahrt zu werden verdient." |
Konzert des Synagogen-Gesangvereins in der Synagoge
(1927)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 1. April 1927: |
"Betrachtungen über die Wiesbadener Synagoge auf
dem Michelsberg" (1927)
Anmerkung: der Verfasser des Beitrages setzt sich in kritischer Weise mit der
Architektur und dem "Stil" der Synagoge am Michelsberg auseinander.
Ende der 1920er-Jahre gefiel der neo-orientalische (maurische, neu-islamische)
Stil in der Synagogenarchitektur nicht mehr. Beispielsweise wurden damals auch
die Kuppeln der Synagoge in Ulm durch
pyramidenartige Aufsätze ersetzt. Anstelle eines vor allem für die
Repräsentation erstellten Synagogengebäudes votiert er in seinem
Lösungsvorschlag für den Neubau eines jüdischen Gemeindezentrum in der
Stadt, in dem neben der Synagoge in einem Gemeindehaus vor allem die Gruppen und
Vereine der Gemeinde ausreichend Platz finden.
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung Wiesbaden-Nassau" vom
26. September
1927: "Betrachtungen über die Wiesbadener Synagoge auf dem
Michelsberg. Von Dipl.-Ing. Rudolf Joseph.
Mit der Zerstörung des Tempels zu Jerusalem ist der Begriff des zentralen
Mittelpunktes jüdischen Kultes verschwunden. An die Stelle des einen
großen religiösen Mittelpunktes mussten für die in der Zerstreuung
lebenden, streng an ihren religiösen Bräuchen und Vorschriften
hängenden Juden mehrere Tempelstätten treten, die mir der Zeit den
griechischen Namen 'Synagoge' - Versammlungsraum - erhielten. Es ist bemerkenswert,
dass diese Synagogen wohl in ihrer Hauptdisposition nach den
althergebrachten Bräuchen eingerichtet wurden, jedoch auch durch meist
geistreiche Auslegungen späterer Gelehrter charakteristische Merkmale und
Eigenheiten erhielten, die in keiner Weise im Bau des alten Tempels
begründet waren.
Interessant ist vor allen Dingen die Tatsache, dass die Bauten in
konstruktiver wie formaler Hinsicht ganz dem Zeitcharakter entsprachen,
und wir aus dem Mittelalter Synagogen in unverfälschten Zeitstilen, sei
es in romanischem oder gotischem, noch heute vorfinden. Der Umstand, dass
wohl zumeist nichtjüdische Architekten mit den jüdischen Kultbauten
jener Tage aus Mangel an jüdischen Künstlern beauftragt werden mussten,
lässt diese Tatsache einigermaßen verständlich erscheinen. So sei an
die uns benachbarte, zweischiffige Synagoge in Worms erinnert, wie an das außerordentlich
interessante Frauenbad in Friedberg in Hessen, dem Werk des Erbauers der
dortigen Stadtkirche. Wir müssen hier von einer Exkursion in das
interessante Gebiet historischer Denkmäler Abstand nehmen, doch möge
hierbei auf die 'Mitteilungen der Gesellschaft zu Erforschung Jüdischer Kunstdenkmäler'
vom Oktober 1914 hingewiesen sein. Wir müssen jedoch noch ein Merkmal vor
Augen halten, ehe wir zum eigentlichen Thema - der Wiesbadener Synagoge am
Michelsberg - gelangen, das ist die allen Telnehmern des Feldzuges im
Osten bekannte Eigenart der Synagogen in Polen und Russland - Holzbauten
mit zumeist ganz eigenartig geschwungenen Dachformen, die ihre Umgebung
meist durch ihre Massen überragten, jedoch in keiner Weise irgendwie das
an Kirchen bemerkbare Charakteristikum eines Kultbaues durch Türme,
Kuppeln oder dergleichen zum Ausdruck brachten.
Selbst die uns geläufige Orientierung gen Osten ist
nicht |
allenthalben
durchgeführt. Zwei Merkmale des Synagogenbaues, die Abtrennung des
Frauenbaues und der Almemor in der Mitte oder doch dem vorderen Mittel des
Baues, sind bei den uns bekannten, sogenannten 'liberalen' Gemeinden -
gegenüber den am Hergebrachten strenger festhaltenden 'orthodoxen'
Synagogen - in Wegfall gekommen. Statt dessen weisen diese Synagogen, zu
denen die Wiesbadener am Michelsberg gehört, zwei andere Merkmale auf -
ein rein prinzipielles -: die Orgel, und ein äußerliches, das mit
der ganzen Entstehungszeit dieser Bauwerke logisch zusammenhängt,
nämlich der etwas abenteuerlich anmutende Versuch, der Synagoge entweder
die Formensprache der romanischen, gotischen, byzantinischen oder
altspanisch-islamischen Baukunst zu geben. Ein erheiterndes Sammelsurium
solcher missglückter Versuche liegt beim Schreiben dieser Zeilen vor mir.
Die Abtei Maria Laach mag bei der wohl um 1900 erbauten Synagoge in
Mülheim a.d. Ruhr Pate gestanden haben, der Dom zu Aachen und seine Zeit
der der Synagoge in Hannover, die Hagia Sophia in Pforzheim
und die Alhambra in Nürnberg und - Wiesbaden!
Alle diese Bauten entstammen nämlich einer Zeit, die keinen Stil
im guten Sinne des Wortes, keinen formal-konstruktiven Ausdruck ihres
Zeitgeistes, mehr kannte, sondern durch formalistische Studien einerseits
und eine unorganisch impulsiv sich entwickelnde Technik andererseits
glaubte, alles nachmachen oder gar übertreffen zu können, was ältere
Zeiten aus dem Empfinden und den technischen Kenntnissen ihrer Zeit heraus
geschaffen hatten. Nur so war es möglich, dass ein und derselbe Architekt
in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in der aufstrebenden Residenzstadt
Wiesbaden, die zugleich der gesellige Mittelpunkt eines aus aller Welt
zusammenströmenden Fremdenpublikums jeder Konfession war, die
protestantische Marktkirche in anglikanischer Gotik, die Griechische
Kapelle in der Formensprache der im griechisch-russischen Kult sich
einbürgernden Architektur und zugleich die Synagoge mit der
Pseudoornamentik spanisch-arabischer Baukunst bauen
konnte.
Es wäre ungerecht, diesem begabten Baukünstler einen Vorwurf daraus zu
machen; er war ein Kind seiner Zeit - die Aufgabe, die ihm zuteil wurde,
hat er sicherlich im Sinne seiner Zeit vorzüglich gelöst - der Vorwurf
gebührt lediglich der inneren Unwahrhaftigkeit jener ganzen Zeit in ihrer
ganzen Stillosigkeit des inneren Erlebens, die sich nicht nur auf die
Baukunst erstreckte. Bezüglich des Gebäudes an sich müssen wir den Hut
ziehen vor dem großzügigen Geist einer damals noch kleinen Gemeinschaft,
die ein verhältnismäßig sehr großes und au0ßerordentlich prunkvolles
Haus ad majorem dei gloriam bauen ließ.
Wenn man bedenkt, dass der Bauplatz der Gemeinde kostenlos zur Verfügung
gestellt worden war, so kann man verstehen, dass man nicht lange gezögert
haben mag, mit beiden Händen zuzugreifen. Nicht wie heute an einer starb
belebten Verkehrsstraße, als Hemmnis des Verkehrs bei starkem Besuch des
Gotteshauses, mag man damals diesen Bau betrachtet haben, sondern als
Kultbau auf beherrschender Anhöhe über niedrigen
Nachbarhäusern." |
Mit
außerordentlich reicher Ornamentik gebrannter Tonplatten wurde die reich
bewegte Fassade verkleidet, und der Bau selber stark durch die große
Hauptkuppel mit den Nebenkuppeln der Treppenhäuser in den Massen
gegliedert, durch verschieden proportionierte Fenster in der Wirkung
verstärkt. Innerhalb eines weiten Gartens wäre die Wirkung wohl zu
verstehen; der hohe, stark gedrängte Backsteinsockel mit seinen steilen
Treppenführungen - der Notlage des engen Platzes entsprechend - hat
leider die ganze Wirkung zerstört. Mit Ausnahme dieses Sockels ist der
ganze Bau auf Repräsentation eingestellt. Da, wo der Blick in erster
Linie im Inneren wie im Äußeren hinfallen wird, ist ein großer formaler
Aufwand getrieben. Die Treppenhäuser, die Garderoben für die
Kultusbeamten sind völlig vernachlässigt. Auf die Möglichkeit der
Sehwirkung des Vorbeterpultes wie des Rabbiners beim Predigen ist - bei
der früheren Stellung der Kanzel - gar kein Wert gelegt worden,
insbesondere nicht von den Plätzen der Frauen aus, die doch in den
liberalen Synagogen in dieser Hinsicht wenigstens eine gewisse
Gleichberechtigung hatten. Der - viel zu kleine - Vorraum, der auch
zugleich die ganze Garderobe darstellt, vermittelt eine Zugluft im Innern,
die nur notdürftig und in primitivster Weise durch Rollwände verhindert
zu werden vermag. Chor und Orgel sind in primitivster Weise so
untergebracht, dass eine Verständigung mit dem amtierenden Kantor
unmöglich ist, jedoch größter Wert auf eine wirkungsvolle
Formgestaltung des Orgelprospektes - einer Kulisse -
gelegt.
Der reinen Raumwirkung, deren Bestandteile reiche Wölbungen, eine Kuppel
mit schlankem Tambour (Zwischenstück, eine lichtbetonte Apsis mit
kuppelgeschmücktem Vorbau des Araun Hakodesch bildet, ist .- insbesondere
durch den überaus reichen Schmuck in Stuckwerk und Farben - kaum ein
ähnlicher Synagogenbau aus jener Zeit an die Seite zu stellen. Auch
mögen diese Momente der bekannt guten Akustik des Raumes zugute gekommen
sein.
Eine andere Frage ist, ob die zum Teil viel zu kleinen Fenster der unteren
Seitenschiffe - dagegen bis zum Boden herabgehenden und als ständige
Zugquellen wirkenden Fenster der Frauenemporen dem Innenraum zum Vorteil
gereichen, oder ob sie nicht vielmehr einer schönen Fassade zuliebe
geschaffen worden sind? Dass die geringe Anzahl der Sitzplätze heute an
Feiertagen dem Andrang nicht mehr genügt, ist bei dem starken Anwachsen
der Gemeinde zu verstehen, doch kaum wieder gutzumachen. Auch die
unzulänglichen sonstigen Räume, die in drangvoll fürchterlicher Enge in
einem Nebengebäude untergebracht sind, und ein schwer erreichbares
Sälchen der Wochentagssynagoge, Sitzungssaal und Bibliothek zugleich
gestempelt haben, ferner die unzureichende, dunkle Wohnung des
Gemeindedieners enthalten, kurzum eine Reihe von Umständen, deren
einzelne Aufführung geradezu eine Ketzerei bedeuten würde, lassen in
Anbetracht der bevorstehenden Feiertage, die eine starke Inanspruchnahme
aller Räumlichkeiten und noch - unwürdiger Zustand! - die
Inanspruchnahme profaner Räume erfordern, ernsthafteste Erwägungen
aufkommen, wie unter den gegenwärtigen Verhältnisse da radikale Abhilfe
geschaffen werden könnte.
Möge es mir verstattet sein, in einem zweiten Artikel, unter Hinweis auf
auswärtige Synagogen neuester Zeit, meine Ideen in Wort und Bild als
Anregung hierzu in diesen Blättern, der Allgemeinheit der hiesigen
Glaubensgenossen zum Ausdruck bringen zu
dürfen." |
Lösungsvorschlag "Zum Problem der Wiesbadener Synagoge"
(1927)
Artikel
in der "Jüdischen Wochenzeitung Wiesbaden-Nassau" vom 7.
Oktober
1927: "Zum Problem der Wiesbadener Synagoge - ein
Lösungsvorschlag. II. Von Dipl.-Ing. Rudolph Joseph,
Wiesbaden.
Die in dem vorhergehenden Aufsatz aufgeführten Schwierigkeiten, welche
der vorhandene Synagogenbau den Zwecken und Ansichten der Gegenwart - und
noch mehr der Zukunft entgegenstellen, treffen zusammen mit
Schwierigkeiten, die beim sehr regen Vereinsleben der hiesigen Juden
entgegenstehen. Kaum einer der vielen Vereine hat eine würdige
Unterkunftsstätte. Ferner musste meines Erachtens der
Synagogengesangverein, der doch letzten Endes eng mit den Vorgängen des
Gottesdienstes in Verbindung steht, einen Übungssaal in unmittelbarer
Verbindung mit dem Gotteshaus haben. Seit Jahren drängt sich für die
starb anwachsende Nassauloge der Gedanke eines größeren und würdigeren
Heimes auf, als es über einem Tanzlokal, erreichbar durch eine schmale
Hintertreppe möglich ist. Die Jugendvereine, Wohltätigkeitsvereine, das
Lehrhaus ermangeln geeigneter Räumlichkeiten. Ein großer Festsaal für Wohltätigkeitsveranstaltungen,
Vorträge und Vergnügungen ist für eine so rege Vereinstätigkeit eine
Notwendigkeit. Alle diese Vereine benötigen mehr oder minder eine rituell
bewirtschaftete Küche, die mit der als soziale Einrichtung geschaffenen
'Rituellen Küche' durch Personalunion der in Betrieb tätigen Personen
aus Ersparnisgründen in Verbindung gebracht werden sollte.
Drängt sich da nicht von ganz allein der Gedanken auf, in großzügiger
Weise eine Anlage zu schaffen, die ich mit dem Namen 'Synagogenbezirk' zusammenfassen
möchte, eine Vereinigung aller jüdischen Einrichtungen, das Gotteshaus,
das Gemeindehaus, das jüdische Vereinshaus?
Man sprach schon davon, an die Stadt heranzutreten, und im Tauschweg für
den vorhandenen Synagogenbau von der Stadt ein Grundstück an der
Kaiserstraße zu erhalten. Ich halte dieses Platz für ungeeignet, und
zwar aus folgenden Gründen. Die Synagoge soll möglichst zentral gelegen
und für alle Gemeindemitglieder gleich gut zu erreichen sein. Da ein
großer Teil im Westend, dem hauptsächlichen Wohnquartier des
Bürgerstandes wohnt, ist die obengenannte Lage zu weit entfernt. Ferner
scheint mir die Gegend - jetzt (wegen der überaus hohen Grund- |
stückskosten)
überhaupt noch völlig unbebaut -, mehr als Luxushotel- und
Geschäftshäuserstraße gedacht zu sein, worin ein Gotteshaus stark als Fremdkörper
wirken müsste, während ein alter Brauch die Gotteshäuser gern unter die
Wohnviertel, wenn auch möglichst an Platzerweiterungen, verteilt. (Es sei
an Kirchen und dergleichen erinnert). Schließlich wird wohl in Anbetracht
des sehr teuren Geländes kein großer Platz an der Kaiserstraße zu
erhalten sein, und in diesem Falle ist mit dem Tausch gar nichts gewonnen,
und die Kosten lohnten nicht.
Dagegen wüsste ich einen Platz, der in idealster Weise allen Bedingungen
gerecht würde, die ich im obigen stellen zu müssen glaubte:
Es ist das Viereck zwischen Bleich-Schwalbacherstraße und Boseplatz, auf
der einen Seite noch frei durch den Faulbrunnen-Platz. Lediglich ein
Spielplatz befindet sich auf dem früheren Kasernengelände und ein altes Militärgebäude,
in dem heute Werkstätten für Schwerkriegsbeschädigte notdürftig
untergebracht sind, die über kurz oder lang doch den Ausbau der Straße
zum Opfer gebracht und an anderer Stelle untergebracht werden müssten.
Dieser zentral gelegene, freie Platz mit zwei ruhigen und zwei belebten
Straßenzügen, leicht ansteigend und in einer Größe von etwa 54 mal 102
Metern wäre ideal für die Schaffung eines 'Synagogenbezirks' in der oben
erwähnten Weise!
Ja, er hätte sogar noch einen großen Vorteil, nämlich den einer
wirtschaftlich günstigen Bebauung und Ausnutzung - denn an dem Platz
längs der Bleichstraße, an dem das Gemeinde- und Vereinshaus liegen
müssten, könnte im Erdgeschoss eine große Anzahl gut zu vermietender
Läden geschaffen werden, die eine beträchtliche Beisteuer zur Verzinsung
der etwa aufgenommenen Baugelder sein werden. Man sage nicht, dass dies
unwürdig des Baues sei! Wenn, wie ich vor wenigen Tagen von einem
Amerikaner hörte, die Jüdische Gemeinde New York ihre Synagoge an der
Ecke von zwei Hauptgeschäftsstraßen für 12,5 Millionen Dollar auf
Abbruch verkaufte, für 8 Millionen Dollar die Villa Astor in ruhigerer
Lage erwarb, abreißen lässt. und für 2 bis 3 Millionen Dollar eine
Riesensynagoge mit Schulen für 3000 Kinder neu aufbaut, und vom Rest des
erworbenen Geldes aus dessen Zinsen seine gesamten Beamtengehälter
bezahlt, sodass diese reichste jüdische Gemeinde der Welt keine
Kultussteuer kennt, dann, meine ich, darf die Gemeinde Wiesbaden auch
wirtschaftliche Gesichtspunkte in Erwägung ziehen, die ihr zugute kommen!
Nicht zuletzt sei daran erinnert, dass im entstehenden gemeinschaftlichen
Neu bau des Finanzamtes und des Telegraphenamtes in Mainz - also
staatlicher Bauten - im Erdgeschoss so viele Läden geschaffen werden,
dass deren Ertrag allein den Zinsendienst des Neubaues vollständig tilgt!
Was dem Reich und Staat recht ist, sollte auch der Kultusgemeinde billig
sein!
Ich denke mir die Anlage so:
Von der Achse des Lyzeums blickt man auf einen Vorhof, der rings von
Bauten des Synagogenbezirks umgeben ist. Rechts gelangt man durch
Vorhalle, Garderobe zur Männersynagoge mit etwa 700 Sitzplätzen mit
einheitlich guter Sicht und Belichtung. Es stuft sich gen Osten an und
bereitet dem Vorpeterpult, der Kanzel und dem Araun Hakaudesch einen
würdigen, freien Raum. Hinter diesen Räumen ausreichende Gemächer für
Rabbiner, Vorbeter, Gesangsprobensaal. Anschließend Treppen und Toiletten
für den Chor. Dieser oberhalb des Vorbeters, in Sichtverbindung mit
diesem und der Gemeinde. Darüber als Abschluss die weiträumige Orgel mit
Nebenräumen für Organist und Solisten. Im Obergeschoss auf auslandender Galerie
die Frauenplätze mit freiem, Blick auf den Vorbeter und die Kanzel - 380
Sitzplatze, ansteigend und gut beleuchtet, aber ohne Zugluft, da die
Fenster hoch liegen, der Zugang durch Vorräume von den Treppen getrennt
ist. Eine breite Kleiderablage ist unter den ansteigenden Sitzreihen der
Rückwand angeordnet. Die Treppen, bequem und breit, führen zur äußeren
Vorhalle, nicht wie jetzt, in den Garderobenraum der Männer. Die eine
Längsseite des Gotteshauses bildet die Platzwand am Boseplatz, die andere
Längswand Seite eines breiten Ziergartens. Dieser ist durch eine offene
Bogenstellung vom Vorhof getrennt, und enthält das dringend notwenig zum
Gemeindehaus gehörige Büro der Gemeinde, sowie einen großen
Bibliotheksraum für den vorhandenen Bücherschatz. Darüber ist zwei
Geschissen würdige Wohnungen für die Beamten er Gemeinde. Der Trakt
längs der Schwalbacherstraße enthält Lehrer- und Klassenzimmer für den
Religionsunterricht sowie einen heute fehlenden Be- |
ratungsraum
für den Vorstand, darüber eine komfortable Wohnung des Rabbiners mit
Amtsräumen und eine weitere Beamtenwohnung.
Der oben erwähnte Vorhof wird an seiner Stirnseite und linker Hand
abgeschlossen vom Haus der Jüdischen Vereine. Im Erdgeschoss links an
einer ruhigen Straße die rituelle Küche mit weiteren Speiseräumen für
andere Gäste sowie einer Speiseaufzug-Verbindung zum darüberliegenden
Saalgeschoss. Wo immer angängig, sind in der Nähe der Restauration
Vereinslokale angeordnet. Im Obergeschoss, das durch zwei Raumhöhen des
Beamtwohnhauses geht, befindet sich, durch eine bequeme Treppe erreichbar,
eine Garderobe, Toilettenanlage und Telefonzellen. Rechts Logenvorraum,
Beratungszimmer und Tempel für die Nassauloge, nun nicht mehr behindert
durch ein Vorzimmer, das zugleich Restaurant, Garderobe und Telefonraum
ist. 191 Sitzplätze dürften auch für den stärksten Logenbesuch
ausreichen- zu offenen Sitzungen oder Festlichkeiten würden der
gegenüber befindliche Festsaal oder der zweite, kleinere Saal herangezogen
werden. Ein Bühnenpodium, ein kleines Künstlerzimmer und Anrichte für
Bewirtschaftung des Raumes sind selbstverständliche Attribute eines
solchen Saales. Daneben (eingeschossig) weitere Klubzimmer mit
Nebengelassen (Toiletten und Garderobe), darüber Wohnräume der im
Restaurationsdienst tätigen Personen, die zugleich Hausmeisterstelle
versehen könnten.
Die ganze Anlage denke ich mir so, dass sie - je nach den vorhandenen
Mitteln, in drei Bauabschnitten errichtet werden könnte: 1. Synagoge,
2. Gemeindehaus, 3. Vereinshaus. Bedingung wäre natürlich die
völlige Einheitlichkeit der großen Anlage. Dass aller Komfort und alle
modernen technischen Einrichtungen, wie zum Beispiel Heizung der Synagoge
mit vorgewärmter Luft, Absaugung der verbrauchten Luft, Warmwasser Heizung
der übrigen Teile des Gebäudes vorzusehen wären, versteht sich
eigentlich von selbst. Formal und im Material denke ich mir eine
schlichte, von allem der Mode unterworfenen, ornamentalen Beiwerk
befreite, dauerhafte Ausgestaltung mit dem Hinblick darauf, dass nicht
für Fremde ein Prunkstück, sondern in erster Linie für die einheimische
Judenschaft ein würdiger Tempelbezirk - kein Ghetto - geschaffen werden
muss.
Ich halte es für meine Pflicht, allen etwaigen irrigen Auffassungen
gegenüber zu betonen, dass ich diesen Vorschlag und die zeichnerische
Festlegung dieser meiner Idee, die ich augenblicklich gelegentlich meiner
Ausstellung bei Banger in der Luisenstraße in skizzenhafter Weise für
Interessenten ausgestellt habe, aus meiner eigenen Initiative
hervorgegangen sind.
Möchten meine Anregungen, die darin auch für das Auge zur Anschauung
gebracht sind, beim Vorstand der Gemeinde, der Vereine und bei der
Gesamtheit der Glaubensgenossen Anlass zu einer ersprießlichen Diskussion
des aktuellen Themas sein! Wiesbaden, 26.September 1927." |
Die Synagoge der Altisraelitischen Kultusgemeinde in der Friedrichstraße
Die (orthodoxe) Altisraelitische Kultusgemeinde erbaute Mitte der 1880er-Jahre eine neue Synagoge
in der Friedrichstraße. Für den Neubau war eine Kollekte in und außerhalb
Wiesbadens durchgeführt worden. 1883 hatte u.a. Jakob Israel (Berlin) 3.000 Mark gespendet. In
der Friedrichstraße konnte ein Grundstück gekauft und die Synagoge erstellt
werden (durch Umbau eines schon vorhandenen Saales).
Bei Arnsberg und anderen Darstellungen wird für den Bau beziehungsweise die
Einweihung der Synagoge in der Friedrichstraße gewöhnlich das Jahr 1897
angegeben. In diesem Jahr wurde jedoch die Synagoge in der Friedrichstraße nach
dem eindeutigen Bericht des "Israelit" vom 19. August 1897 (siehe
unten) umfassend renoviert und vergrößert. Im Bericht von 1887 wird
bereits von einer Laubhütte neben der "prachtvollen Synagoge der
altisraelitischen Kultusgemeinde" in der Friedrichstraße berichtet. Auch setzt
der Artikel von 1890 mit den Spenden für die Einrichtung "unseres
herrlichen Bethauses" dafür, dass es sich um Spenden für die bereits
stehende neue Synagoge in der Friedrichstraße handelt. So dürfte die
Synagoge in der Friedrichstraße bereits um 1885 und nicht erst 1897
erstellt worden sein. Ein Einweihungsbericht wurde jedoch in jüdischen
Periodika noch nicht gefunden.
Eine Laubhütte wird neben der Synagoge in der
Friedrichstraße aufgestellt (1887)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 17. Oktober 1887: "Wiesbaden. Auf Veranlassung
unseres ehrwürdigen Rabbiners, Herrn Dr. L. Kahn, unterstützt vom
Vorsteher Herrn Max Bensheim, wurde dieses Jahr zum ersten Male
eine sehr geräumige Synagoge der altisraelitischen Kultusgemeinde im
Vorhofe der prachtvollen Synagoge der altisraelitischen Kultusgemeinde,
Friedrichstraße Nr. 25 dahier, errichtet. Diese Einrichtung fand beim
Publikum allgemeinen Beifall, und wurde von allen Seiten der Wunsch rege,
dass dies jedes Jahr geschehen und allenthalben Nachahmung finden
möge." |
Gedenkveranstaltung
in der Synagoge zu Ehren von Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1889)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 17. Januar 1889: "Wiesbaden, 13. Januar (1889). Heute
Nachmittag hielt Herr Rabbiner Dr. Cahn in der Synagoge der
israelitischen Religionsgesellschaft eine Gedächtnisrede zu Ehren des
Herrn Rabbiner S. R. Hirsch - das Andenken an den Gerechten ist zum
Segen. Nicht nur die hiesige Religionsgesellschaft, auch viele Fremde,
namentlich aus den israelitischen Gemeinden der Umgegend, waren erschienen
und füllten das geräumige Gotteshaus bis auf den letzten Platz.
Anknüpfend an einen Ausspruch unserer Weisen, dass das Hinscheiden eines
Talmid Chacham (sc. Talmudgelehrter) ein unersetzlicher Verlust ist,
entwarf der Redner ein herrliches Bild von dem großartigen Wirken des
Verewigten, seiner Gelehrsamkeit, seines edlen Charakters, seiner
gotterfüllten Familienlebens. Die Rede, welche länger als eine Stunde
währte, hatte sichtlich die Herzen aller Anwesenden ergriffen. Möge die
dadurch hervorgerufene Begeisterung für die heilige Gotteslehre eine
dauernde sein." |
Spenden für die Inneneinrichtung der Synagoge der
altisraelitischen Kultusgemeinde (1890)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 5. Juni 1890: "Wiesbaden. Eine freudige Überraschung
ward letzten Freitag Abend den Mitgliedern unserer altisraelitischen
Kultusgemeinde in der Synagoge. Ein kürzlich in den Vorstand gewählter
Herr hatte es sich angelegen sein lassen, Lichwand Jomtof, einigen
fühlbar gewordenen Bedürfnissen unseres herrlichen Bethauses abzuhelfen.
So veranlasste der betreffende Herr, dass an Stelle des Brettes, das
ehemals die Gebetzeiten angab, von 2 Mitgliedern der Gemeinde eine
prächtige Tafel gespendet wurde, auf welcher jede Sman Hatfiloh
(Gebetszeit) von einer besonderen Uhr angezeigt wird. Das Ganze, ein Kunstwerk
ersten Ranges, ist ein Geschenk der Herren Glasermeister Offenstadt und
Kaufmann Sulzberger. Ferner erblicken wir jetzt rings um den Allmemor
Menauroß. Auch einer neuen geschmackvollen Uhr hat sich unsere Synagoge
jetzt zu erfreuen. Schließen wir mit dem Wunsche, dass auch fernerhin die
Gemeinde stets Zeichen ihrer Opferwilligkeit und ihres Gedeihens gebe.
Deka." |
Beeidigung der jüdischen Soldaten in der Synagoge
(1892)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 14. November 1892: '"Wiesbaden, 11. November (1892). In
altgewohnter Weise fand heute in der Synagoge der altisraelitischen
Kultusgemeinde in der Friedrichstraße die Beeidigung der neueingezogenen
Mannschaften israelitischer Religion statt. Herr Rabbiner Dr. Kahn,
dessen unermüdliche Anteilnahme an dem religiösen und körperlichen Wohl
der hiesigen jüdischen Soldaten militärbehördlich schon wiederholte
Anerkennung gefunden, ermahnte die Soldaten gegen das angestammte
Herrscherhaus als den natürlichen Beschützer, die festeste Treue zu
bewahren und durch Pflichtbewusststein, Aufrichtigkeit und Gehorsam einen
erneuten Beleg davon zu geben, dass das unverfälschte Judentum auch die
idealsten Pflichten des Menschtums lehrt, und dass nur der der
gesetzestreueste Jude sein kann, der zu gleicher Zeit den höchsten
Anforderungen der Menschenpflichten, Gehorsam, Aufrichtigkeit, Treue etc.
nachkommt. Wenn diese Ausführungen des wackeren Seelsorgers in
christlichen Kreisen ihrem vollen Inhalte nach bekannt wären, so dürfte
wahrlich das System der Partei, welche Rohheit und Vertierung
Bürgerrechte verleihen will, der Antisemitismus, bei jedem denkenden
Menschen die Verurteilung finden, die er bei dem Gros derselben mehr und
mehr fand und findet. v.B." |
Die
Synagoge wurde umfassend renoviert und neu eingeweiht (1897)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 19. August 1897: "Wiesbaden, 17. September (1897).
Die Synagoge der altisraelitischen Kultusgemeinde, Friedrichstraße 25,
hat eine Renovation erfahren, die das Gotteshaus in einem glanzvollen,
würdigen Schmuck erscheinen lässt. In erster Linie war man darauf
bedacht, eine Vergrößerung derselben zu erzielen, da bei dem stetig
wachsenden Besuch der Synagoge, namentlich in der Hochsaison auch durch
die Kurfremden, die bisherigen Räumlichkeiten sich als zu eng erwiesen
hatten. In geschickter Weise hat es unser Glaubensgenosse der bauleitende
Architekt Herr Langroth verstanden, diesem Übelstande durch Verlegung und
Erweiterung der Empore - Galerie, welche die Plätze für die Damen
enthält, zweckmäßig abzuhelfen. Eine breite Treppe führt hinauf zu
Empore, die außerdem eine Nottreppe hat und mit ihrer elegant
ausgestatteten Galerie einen vornehmen Eindruck macht. Die Erneuerung des
Anstriches, die geschmackvoll ausgeführten Dekorationsarbeiten, die
Anlage einer Ventilation, Linoleumteppiche in den Gängen geben dem ganzen
Gotteshause, das durch hochherzige Spender außer anderen
Ausstattungs-Gegenständen auch ein neues silbernes ewiges Licht erhalten
hat, ein freundliches Aussehen. Wie im Innern, so hat die Synagoge auch
äußerlich ein neues schmuckes Kleid erhalten. Über dem Eingange sind
die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten angebracht, während das Ganze von
dem jüdischen Symbol in Form einer Sonne, und ein andern Zwecken
dienender, in gotischem Stil gehaltener kleiner Turmbau von einer Sonne
bekrönt wird. Die neu renovierte Synagoge wurde vor einigen Tagen ihrer
Bestimmung übergeben und fand aus diesem Anlasse ein Festgottesdienst
statt, zu dem auch Andersgläubige Zutritt hatten und bei welchem Herr Rabbiner
Dr. Kahn die Festpredigt hielt. Erwähnen wollen wir noch dass, die
Renovierungsarbeiten unter der Aufsicht des Vorsitzenden der Baukommission
Herrn Meyer Sulzberger ausgeführt wurden, dem für seine eifrige
Mühewaltung aufrichtiger Dank gebührt." |
Trauerfeier in der Synagoge der Altisraelitischen
Gemeinde zur Erinnerung an Baron W. C. von Rothschild (1901)
Anmerkung: Wilhelm Carl von Rothschild verstarb am 25. Januar 1901 in
Frankfurt am Main. Vgl. Wikipedia-Artikel
"Wilhelm Carl von Rothschild"
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 28, Februar 1901: "Wiesbaden, 22. Schwat (=30.
Januar 1902). Gestern Abend nach dem Minchagebet fand in der überfüllten
Synagoge der altisraelitischen Gemeinde eine erhebende Trauerfeier zur
Erinnerung an den unvergesslichen Herrn Baron W. C. von Rothschild seligen
Andenkens statt.
Nachdem Herr Kantor Blochem ein herzergreifendes Gebet zum Vortrag
gebracht, bestieg Herr Rabbiner Dr. Kahn die Kanzel und hielt einen von Herzen
kommenden und zu Herzen gehenden Hesped (Trauerrede). Nach der Einleitung,
worin Redner an der Hand von Talmudstellen dem Scherz über den Verlust
des Einzigartigen seiner Generation Ausdruck gab, verglich er den Toten
mit der Menora, von der es heißt 'gediegen aus einem Stück aus
reinem Gold' (2. Mose 25,36).
Unendliches Licht ging aus vom Toten für Tora und Gottesdienst und
geradezu Unzählbaren hat er das Licht des Trostes gespendet und sie neu
belegt. Wer ist mehr im Leben beschäftigt, als Baron von Rothschild es
war, und doch hatte er Zeit für Tora und das öffentliche Gebet...
Wer hätte es mehr als er in seiner Hand gehabt, diese Welt zu
genießen, und doch hat er nur für die kommende Welt leben wollen.
Sein ganzes Leben war ein ununterbrochener Gottesdienst. Seine
geistigen Kräfte, sein Denken, Fühlen und Wollen, alle seine
Seelenvermögen bilden ein harmonisches Ganzes gediegenes Gold. Er
war ein Mann von goldreinem Adel, ein Zadik aus einem Guss.
Es würde zu weit führen, die fast einstündige Rede mit ihren zahlreich
eingeflochtenen Talmud und Midraschstellen annähernd wiederzugeben. Mit
dem El Male Rachamim Gebet schloss die für jeden Anwesenden
unvergessliche Feier." |
Sijum-Feier in der Synagoge in der Friedrichstraße
(1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 8. November 1934: "Wiesbaden, 1. November (1934). Am
Sonntag, den 19. Cheschwan (28. Oktober 1934) fanden sich zum Maariw-Gebet
in der Friedrichstraße die Mitglieder und Freunde der altisraelitischen Kultusgemeinde
Wiesbaden ein, um das seltene Fest eines Sijums auf Traktat Aboda Sara mit
Herrn Rabbiner Dr. Ansbacher und denjenigen Baalebatim
(Familienvorstehern) der Gemeinde zu begehen, welche in zweijährigem
Studium diesen Traktat durchgelernt hatten. Von der Kanzel herab verstand
es Herr Rabbiner Dr. Ansbacher in meisterhafter Weise, den Hadran zu einem
packenden Lehr- und Mahnwort an die Zuhörerschaft zu gestaltet. Nach der
Synagogenfeier versammelten sich an die 100 Teilnehmer zu dem Sijum-Mahls,
an dem Vertreter der Freien Vereinigung, Frankfurt am Main, der
Religionsgesellschaft Mainz und einer Reihe jüdischer Landgemeinden aus
dem Bezirk Wiesbaden teilnahmen. Der Geist und die Stimmung, welcher bei
diesem Sijum herrschte, beweist deutlich die Lebenskraft und den
Lebenswillen der Altisraelitischen Kultusgemeinde unter Leitung ihres
Rabbiners und des rührigen Vorstandes. In dessen Namen begrüßten die Herrn
Josef Altmann und Dr. Cahn die Festgäste und überbrachten
auch die schriftlichen Grüße des Herrn Rabbiner Dr. Kahn, der bedauerte,
am Feste nicht persönlich anwesend sein zu können. Herr Rabbiner Dr.
Ansbacher schilderte in seiner Ansprache die Treue und echt jüdische
Arbeit des des Vorstandes und schloss mit der Mitteilung, dass außer der
Fortsetzung des bisherigen Schiurs, der bereits mit der ersten Mischna des
Traktates Sabbat angefangen hat, noch ein weiterer Talmud-Schiur
eingerichtet wird. Der Senior der Korona, Herr Ackermann,
überbrachte die Grüße der Chewra Kadischa, Herr Dr. Ehrmann,
Frankfurt am Main, diejenigen der Freien Vereinigung, er führte aus,
welche Kraftwelle es für die deutsche Judenheit bedeutete, wenn überall
der Torageist Wurzel fasst und dass Bekenntnis zu den Prinzipien der
altisraelitischen Kultusgemeinde Wiesbaden Dauer und Festigung nach
Kenntnis der Tora erfahre. Den Wunsch nach gemeinsamem Zusammenwirken mit
der Nachbargemeinde Mainz überbrachte Herr Dr. Schlesinger namens
der dortigen Religionsgesellschaft, Herr Lehrer Sulzbach, Bierstadt,
fand treffliche Worte für die Vertreter der Provinzialgemeinden.
Besonderen Dank sprachen alle Redner dem geistigen Leiter und Führer der
Gemeinde, Herrn Rabbiner Dr. Ansbacher, aus. - Auch die Jugend und der
Frohsinn kamen durch eine Reihe gutgelungener Tischlieder und
humoristischen Darbietungen zu ihrem Rechte." |
Weitere Beträume
Nach den Angaben bei Paul Arnsberg (s.Lit. S. 389) gab es neben den bereits
genannten Synagogen (Hauptsynagoge, Betraum im jüdischen Gemeindehaus am
Schulberg, orthodoxe Synagoge) zwei weitere Betsäle:
- ein Betsaal gehörte dem Talmud-Tora-Verein: nach Arnsberg war er in
der Blücherstraße 6 (Betsaal ca. 60 qm für Männer und zwei kleinere Räume
mit je 15 qm für Frauen); hier wurde im konservativen Ritus gebetet. Unklar
ist, wie sich diese Angabe zum Bericht einer Einweihung der Synagoge des
Talmud-Tora-Vereins 1910 in der Nerostraße 16 verhält;
- ein anderer Betsaal wurde von der ostjüdischen Gruppe "Ahawath
Zion" in der Geisbergstraße betrieben.
Im Kurzentrum besteht ein Betraum (Privatminjan) (1910)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 13. Mai 1910: "Wiesbaden. Endlich ist es gelungen, ein ständiges
Privatminjan im Kurzentrum zu errichten. Dasselbe berücksichtigt ganz
besonders die religiösen Bedürfnisse der jüdischen Kurgäste aus dem
Osten und soll auch Gelegenheit zur Torabelehrung bieten.
Spectator". |
Einweihung der Synagoge des Talmud-Tora-Vereins in der Nerostraße 16
(1910)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 30. September 1910: "Wiesbaden. Am 20. dieses Monats,
um 6 Uhr abends, fand die Einweihung der Synagoge des
Talmud-Tora-Vereins (Nerostraße 16) statt. Ein zahlreiches Fremden Publikum
füllte die freundlichen, hellen, gefällig ausgestatteten Räume. Nach
dem Solo-Vortrag des Mah-Touwuh durch Felix Goldschmidt wurde das
Minchagebet von J. F. Aktuarjus verrichtet. Den üblichen Psalmen,
dem Königsgebete und dem Vortrag des Uvenuchau folgte sodann die
Festrede, gehalten von Dr. Ratner. Von dem Wochenabschnitt Ki-sowau
ausgehend, unterzog der Redner den Tempelbau Salomonis in Anlehnung an
Traktat Sabbat 30a einer eingehenden Betrachtung und schloss mit einer
beachtenswerten exegetischen Erklärung des Ausspruches 'Lepum Zaaroh
agroh', sowie des Jechadschehu-Gebetes. Nachdem noch einige Psalmen
rezitiert waren, trugen J. F. Aktuarjus und Felix Goldschmidt
den Psalm 150 vor. Das Maariw-Gebet schloss die erhebende allseitig
befriedigende Feier.
Möge die neu eingeweihte Vereinssynagoge, die auch gleichzeitig als
Bet-Hamidrasch dient, wirken lehagdil Thauro ulhaatiro! H." |
Gottesdienst
zu den hohen Feiertagen in der Synagoge des Talmud-Tora-Vereins (1910)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 11. November 1910: "Wiesbaden. Wenn es noch irgend eines
Beweises für die Existenzberechtigung unseres Talmud Tora-Vereins bedurft
hätte, so haben die verflossenen hohen Feiertage denselben
erbracht. Unser Verein hat sozusagen die Feuerorobe glänzend bestanden.
Die Vereinssynagoge war von Andächtigen überfüllt; die jüdische
geistige Elite stellte dabei das Hauptkontingent. Ein zur Steuerung der
Überfüllung veranstaltetes sephardisches Separatminjan im Nachbarhause
war ebenfalls überfüllt. Unter den Besuchern herrschte einstimmig helle
Begeisterung für die Bestrebungen des Vereins, was sie auch praktisch zu
beweisen bestrebt waren.
Zur Verschönung des Gottesdienstes trug auch nicht wenig unser
Vereinsredner, Dr. med. Ratner bei. In der ihm eigenen
faszinierenden Art, durchtränkt von großem jüdischen Wissen, behandelte
er in seinen Deraschas am Jomkippur die Erziehungsfrage im Anschluss an
Traktat Rosch-Haschanah 32b und den Toraabschnitt, während er am
Schemini-Azeres die soziale Fürsorge zum Gegenstand seiner Betrachtung
machte. Am Vorabend der Haschanah-Rabbah waren die Synagogenbesucher einer
Einladung des Vereins zum 'Lernen' in das Restaurant 'Deutsch' gefolgt.
Auf stürmisches Verlangen gab unser Dr. Ratner extempore tiefsinnige
exegetische Erklärungen zu fast allen Sidraus von Sefer Deworim.- - Am
Simchas-Tauroh vereinigte wieder im Restaurant Deutsch ein gemütlicher
Abend, gewürzt durch geistreiche, gelehrte und humoristische Ansprachen,
viele der Synagogenbesucher und hiesige Kurgäste. Zum Schluss noch eine
Tatsache, zum Beweise, dass unser Verein einem wirklichen dringenden
Bedürfnisse entspricht. Sogar jetzt in der sogenannten Stillen Zeit sind
alle seine Veränderungen von einem zahlreichen, intelligenten Publikum
besucht. H.B." |
Zerstörungen der
Synagogen in der NS-Zeit
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge am Michelsberg
niedergebrannt und weitgehend zerstört. Dabei hatten zunächst SA-Männer der SA-Standarte
80 in den frühen Morgenstunden (nach den Berichten gegen 4.00 Uhr) des 10. November 1938 die
Synagoge angezündet und dazu mit brennbarer Flüssigkeit getränkte Putzwolle
verwendet. Zwischen 6.00 Uhr und 7.00 Uhr Uhr erschien ein weiterer SA-Trupp. Mit
Äxten wurde alles zerschlagen, was noch nicht verbrannt war. Alles Brennbare
im Innenraum wurde aufeinandergeschichtet, mit Benzin übergossen und
angezündet. Beim Brand stürzte die Kuppel ein. Im Juni 1939 wurde die Brandruine
beseitigt.
Die orthodoxe Synagoge in der Friedrichstraße wurde geschändet und
beschädigt, aber es wurde kein Feuer gelegt, da ein Brand
die Nachbarhäuser in Gefahr gebracht hätte.
Nach dem Novemberpogrom konnten die jüdischen Einwohner noch im Gebäude der
jüdischen Schule in der Mainzer Straße Gottesdienst abhalten, ab 1939 in
der notdürftig wieder hergerichteten Synagoge in der Friedrichstraße. Im Frühjahr
1939 konnte Rabbiner Dr. Bruno Finkelscherer eine letzte Konfirmation von
Mädchen in der Synagoge durchführen, darunter Charlotte (Lotte) Guthmann
(später verheiratete Opfermann).
1942 (vom 27. August bis 1. September) war die Synagoge Friedrichstraße der Sammelpunkt
für den letzten großen Abtransport der jüdischen Einwohner Wiesbadens. Tagelang haben
über 400 Menschen dort ohne sanitäre Einrichtungen, ohne Möbel und ohne Verpflegung gehaust. Mehrere der
Unglücklichen starben dort und auch schon vorher an Suizid
Gedenken nach 1945
Am Standort der Synagoge am Michelsberg (heute: Heinrich-Heine-Anlage) wurde Anfang
der 1950er-Jahre eine Bronzetafel angebracht, die den früheren Synagogenbau
im Relief darstellt. Sie trug die Inschrift: "Hauptsynagoge am Michelsberg.
Entwurf Herzoglich Nassauischer Landesbaumeister Philipp Hoffmann. Eingeweiht am
13. August 1869. Zerstört am 9. November 1938. 'Liebe Deinen
Nächsten'." 1987 kam im Bereich der Gedenkstätte für die Synagoge
eine weitere Tafel dazu mit dem Text: "Synagoge. Die Gedenktafel wurde von
den Bürgern der Stadt gestiftet. Gestaltung Professor Werner Schneider,
Fachhochschule Wiesbaden. Idee und Planung Stadtrat Dr. Wolfgang Liese.
Gefertigt von der Glocken- und Kunstgießerei Rincker in Sinn. 1987 Kur- und
Verkehrsverein Wiesbaden." Eine Säule mit der Inschrift "Der Welt
Gewissen ist die Liebe" und eine weitere Gedenktafel mit der Inschrift:
"Zum Gedenken an die Synagoge, die hier bis zum 9.11.1938
stand".
Nach dem Abriss einer Hochbrücke im Jahr 2001 wurde in der Stadt über die
Nutzung des Grundstückes der früheren Synagoge diskutiert. 2006 wurde ein
städtebaulicher Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Bereiches mit Gestaltung
einer Gedenkstätte ausgeschrieben. Auf Grund des Ergebnisses dieses
Wettbewerbes (der erste Preis ging an die Arbeitsgemeinschaft "barbara
willecke planung - freiraum mit Reinhard Angelis und Valeria Sass) wurde 2010/11
die "Gedenkstätte am Michelsberg" geschaffen. Die
Grundsteinlegung war am 21. Mai 2010, die Einweihung am 27. Januar 2011. Mit der
Gedenkstätte wird sowohl an die auf diesem Grundstück stehende Synagoge
erinnert wie auch - über ein "Namensband" - an über 1.500 bisher
bekannten jüdischen Umgekommen der NS-Zeit aus Wiesbaden. Jeder Name steht auf
einer eigenen Natursteinplatte; weitere Namen können ergänzt werden.
Link:
Informationsseiten auf der Website der Stadt Wiesbaden zur Gedenkstätte
Synagoge nach 1945 siehe
weitere Seite (interner Link)
Adresse/Standort der Synagogen:
Synagoge vor 1742: vermutlich in der heutigen
Wagemannstraße
Synagoge 1742 bis 1826: Spiegelgasse 9
Synagoge 1826 bis 1869: Schwalbacher Straße 43
(Liberale) Synagoge 1869 bis 1938: Michelsberg 17
Synagoge der Altisraelitischen Kultusgemeinde 188? bis 1938 / 1942 und Synagogen nach 1945 (1946 /
1966): Friedrichstraße 33
Fotos
Historische Ansichtskarte
der Synagoge am Michelsberg
(aus der Sammlung von
Peter Karl Müller, Kirchheim/Ries) |
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Die Karte wurde am 19. August
1906 von Wiesbaden nach Scheveningen - Holland verschickt
an einen jungen Herrn namens Stimm. Der Absender war ebenfalls gleichen
Nachnamens.
Die Karte trägt den Scheveninger Ankunftsstempel vom nächsten Tag, dem
20. August 1906.
Hinweis: die
Karte ist auch eingestellt in hoher Auflösung (2,2 MB). |
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Historische
Ansichtskarten
mit der Synagoge am Michelsberg
(aus der Sammlung von Michael Sauber) |
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Die Karte ist aus
der Zeit vor 1900, als in
Wiesbaden noch Pferdebahnstrecken
betrieben wurden |
Die
Karte des Polizei-Gefängnisses
am Michelsberg ("Stümbert") zeigt
im Hintergrund die Synagoge |
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Luftaufnahme
von Wiesbaden
mit der Synagoge
(aus der Sammlung von Michael Sauber) |
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Es handelt sich um
eine frühe Zeppelinaufnahme
der Synagoge und Peripherie |
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Weitere
historische Ansichtskarten / Fotos der Synagoge am Michelsberg
(Sammlung: Alemannia Judaica - es liegen meist nur Scans, keine
Originale
dieser Karten vor) |
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Innenansicht |
Das
Gemeindehaus der Israelitischen
Kultusgemeinde am Schulberg 3 (mit Betraum
- 40 Plätze, Bibliotheksräume u.a.m.)
(Arnsberg Bilder S. 201) |
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Die
orthodoxe Synagoge in
der Friedrichstraße
(Arnsberg Bilder S. 201
Innenansicht Stadtarchiv Wiesbaden
Fotonummer 000127) |
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Außenansicht |
Innenansicht |
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Die Zerstörung der
Synagogen
beim Novemberpogrom 1938
und der Abbruch der
Synagoge am Michelsberg 1939
(Foto in der Mitte rechts - beim Abbruch -
aus der Sammlung von Michael Sauber) |
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Die brennende und
1939 abgebrochene
Synagoge am Michelsberg |
Inneres
der Synagoge in der Friedrichstraße
nach dem Novemberpogrom |
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Deportation
1942
(Fotos: Pinkas HaKehillot s.Lit.) |
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Die
Synagoge Friedrichstraße war vom 27. August bis 1. September 1942
Sammelpunkt für den letzten großen Abtransport
jüdischer Einwohner aus Wiesbaden. Über 400 Menschen waren hier ohne
sanitäre Einrichtungen, ohne Möbel und Verpflegungen eingesperrt. Es kam
zu 43 Suiziden.
Nach dem Aufenthalt in der Friedrichstraße wurden die
Personen am 1. September 1942 zum Bahnhof verbracht. |
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Straße
oberhalb des Synagogen-
grundstückes: "An der alten Synagoge" |
Die
alte Gedenkstätte am Michelsberg aus den 1950er-Jahren |
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Die Ende Januar 2011
eingeweihte
Gedenkstätte am Michelsberg |
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In der Innenstadt zeigen
zahlreiche
Schilder den Weg zur Gedenkstätte |
Informationstafel
an
der Gedenkstätte |
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Auf den
Außenlinien des Sockels der Synagoge markieren sieben Meter hohe Wände
auf einer Gesamtlänge von 62 Meters
den "Leerraum" sowie den Standort der zerstörten Synagoge. |
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Die über
das frühere Grundstück der
Synagoge führende Straße; auf der
Fahrbahn wurde die Grundfläche der
Synagoge nachgebildet. |
In Augenhöhe sind die
Namen über 1500
Umgekommenen der NS-Zeit zu lesen |
Integriertes
Foto
des Synagogeninneren |
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Im Zentrum von
Aktivitäten zur
Erinnerungsarbeit in der Stadt:
Das Aktive Museum Spiegelgasse |
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Der
Gebäudekomplex Spiegelgasse 9-11 beherbergte im 18. und im frühen 19.
Jahrhundert
ein jüdisches Badehaus, die Rabbinerwohnung, einen Betraum und ein
rituelles Bad. |
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Erinnerungs-
und Denkmale in der Stadt
(Fotos: D. Bluthardt, Aufnahmen vom 21.6.2016) |
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In
Wiesbaden wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Erinnerungs- und
Denkmale angebracht, mit denen an jüdische Personen der Stadt erinnert
wird, die Opfer der NS-Verfolgung wurden, darunter Hinweistafeln und "Stolpersteine". Oben beispielhaft die "Stolpersteine"
für Ludwig Mantel genannt Grosshut und seine Frau Rosa Grosshut, ihre Töchter Irma
und Hedwig sowie den Enkel Heinz vor dem Haus Wagemannstraße 27. Am Haus
befindet sich auch eine Erinnerungstafel für Dr. Sally Grosshut, Jurist und
Schriftsteller (geb. 1906, emigriert 1933 nach Palästina, gest. 1969 in
den USA). Die Fotos entstanden beim Besuch einer Gruppe junger Israelis in
Wiesbaden im Juni 2016. |
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Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte
Dezember
2011: Architekturpreis für das
Mahnmal am Michelsberg |
Artikel von Gaby Buschlinger in
der "Frankfurter Rundschau" vom 9. Dezember 2011: "Gedenken
trifft auf Alltag. Mahnmal am Michelsberg mit Architekturpreis
ausgezeichnet..."
Link
zum Artikel. |
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Januar
2012: Aus der Arbeit des "Aktiven
Museums" |
Artikel von Christina Franzisket
in der "Frankfurter Rundschau" vom 30. Januar 2012: "Lebenslinien
- Der letzte schöne Tag.
Das Aktive Museum stellt die Lebensgeschichten von Wiesbadener
Jüdinnen aus und dokumentiert ihre Verfolgung durch die
Nazis..."
Link
zum Artikel |
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April 2016:
Weitere Stolpersteine-Verlegung in
Wiesbaden zu den
Stolpersteinen in Wiesbaden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Wiesbaden
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Artikel von Anja
Baumgart-Pietsch im "Wiesbadener Kurier" vom 20. April 2016: "In
Wiesbaden werden an elf Orten 19 Stolpersteine verlegt
WIESBADEN - Dass mit den Stolpersteinen, die auf Anregung des Künstlers
Günter Demnig in Deutschland vor Häusern verlegt werden, in denen Juden
wohnten, die Erinnerung wachgehalten wird, findet John Mendel sehr wichtig.
'Wir sind alle viel später geboren. Wir müssen uns damit auseinandersetzen,
es den späteren Generationen vermitteln, damit nicht vergessen wird, was
geschehen ist', sagt der aus Brüssel angereiste Nachfahre von Jenny und
Ingeborg Mendel. Für die beiden wurden vom Aktiven Museum zwei Stolpersteine
vor dem Haus Viktoriastraße 39 gesetzt. Persönlich sei er nicht so sehr
bewegt, sagt Mendel. 'Ich habe von der Existenz dieses Hauses, das meinen
Großtanten gehörte, erst jetzt erfahren.' Wer genau hinsieht, entdeckt am
schmiedeeisernen Portal der Villa einen Davidstern. Das Haus gehörte seit
den 20-er Jahren der Familie Weis, die vorher in Nordenstadt lebte. Jenny
Weis, eine von vielen Geschwistern, heiratete den Getreidehändler Emil
Mendel, der früh verstarb. Mit ihrer Tochter Ingeborg kehrte sie zurück aus
Westfalen und lebte in der Villa zusammen mit einigen Geschwistern. Einigen
Familienmitgliedern gelang die Flucht nach Südafrika. Jenny und Ingeborg
mussten das Haus verkaufen, in eine Judenunterkunft umziehen und wurden 1941
nach Lublin deportiert. Sie fanden vermutlich den Tod im Gas von Sobibor.
Elf Orte und 19 Steine. Die beiden Stolpersteine gehören zu 19, die
an diesem Tag an elf Wiesbadener Orten verlegt wurden. Damit liegen, so
Elisabeth Lutz-Kopp vom Aktiven Museum, bereits 635 Steine an 285
unterschiedlichen Orten in Wiesbaden. Wann immer es gelingt, lebende
Angehörige zu finden, werden diese über die Aktion informiert. So war es
auch bei Jenny und Ingeborg Mendel, deren Angehöriger John Mendel aus
Brüssel und Professor Andreas Altenhoff aus Köln zur Verlegung gekommen
waren. Man habe in der Familie nicht viel über dieses Thema gesprochen, sagt
Altenhoff. Und John Mendel meint: 'Unsere Eltern wollten uns schonen und auf
Distanz gehen.' So haben beide erst jetzt durch die Stolpersteinverlegung
manches über ihre Vorfahren herausbekommen. Die Stolpersteinaktionen werden
in Wiesbaden von vielen Gremien und Schulen unterstützt. So wurden
beispielsweise die Steine für Julie Baum und Klara Dreifuß in der
Ellenbogengasse 11 sowie für die Familie Wolf in der Körnerstraße 8 vom
Ortsbeirat Mitte als Paten gesponsert. Die Schulze-Delitzsch-Schule, die
sich als 'Schule gegen Rassismus' profiliert, hat die Patenschaft für den
Stein für Klara Schirmer im Kaiser-Friedrich-Ring 23 übernommen. Die Klasse
11 HH 2 der Höheren Handelsschule hat im Rahmen eines Unterrichtsprojekts
recherchiert und war bei der Verlegung anwesend. Die Klassensprecher Ram
Sanita und Randjbar Some Shervin legten die weißen Rosen nieder als Zeichen
der Trauer und des Gedenkens.
Erinnerung an Nachbarn. Für zwei Steine in der Dotzheimer
Josef-Siegfried-Gasse, die an Gustav und Mina Stein erinnern, hat der
Heimatverein des Vororts die Patenschaft übernommen. Und für Steine in der
Adolfsallee für Ludwig und Helmut Lindt sowie in der Albrechtstraße für
Helene und Irma Strauß sind die Konfirmanden der Lutherkirche die Paten.
Weitere Steine wurden am Dienstag in der Adelheid-, Wieland-, Bertram- und
Taunusstraße verlegt. Mit ihnen, so die Mitglieder des Aktiven Museums,
'erinnern wir an unsere ehemaligen Nachbarn'."
Link zum Artikel |
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September 2016:
SchülerInnen entwickeln eine
App "Stolpersteine in Wiesbaden" |
Artikel von Hendrik Jung im
Wiesbadener Kurier vom 6. September 2016: "Schüler des Campus Klarenthal
entwickeln eine Stolperstein-App.
WIESBADEN - Ihr Schulprojekt zum Thema Nationalsozialismus ist bereits
seit den Osterferien abgeschlossen. Die Stolperstein-App, die drei
Schülerinnen und zwei Schüler des Campus Klarenthal in diesem Rahmen
zusätzlich programmiert haben, ist jedoch gerade erst endgültig fertig
geworden. Noch nicht geklärt ist die Finanzierung der Applikation, die es
ermöglicht, die Erinnerungsblätter der Personen zu lesen, denen in Wiesbaden
bereits Stolpersteine gewidmet sind, um an ihr Schicksal während der
Nazi-Zeit zu erinnern. Außerdem ist jeder der bislang 640 Stolpersteine auf
einer Karte zu finden, und eine Suchfunktion ermöglicht es, gezielt nach
einer Person zu recherchieren. Neben einer Vorstellung des fünfköpfigen
Teams, das mittlerweile die zehnte Klasse besucht, bietet die Applikation
außerdem die Möglichkeit, dafür zu spenden. 800 Euro werden benötigt, damit
zwei Jahre lang darauf zurückgegriffen werden kann. Nachdem bereits die
Einnahmen aus dem Schulfest dafür verwendet worden sind, legen die Schüler
den monatlich benötigten Betrag zunächst einmal aus eigener Tasche vor. 'Je
mehr man sich mit dem Thema beschäftigt, desto mehr berührt einen das',
erläutert die 15-jährige Zoe. Daher habe sich die Gruppe entschlossen, nicht
allein über den Künstler Gunter Demnig zu recherchieren, der die Idee
entwickelt hat, vor den ehemaligen Wohnhäusern oder Arbeitsstätten von
Menschen, die während der Nazi-Herrschaft vertrieben oder ermordet worden
sind, Stolpersteine zu verlegen. Nach Interviews mit Mitgliedern des Aktiven
Museums Spiegelgasse haben sie sich schließlich auch für die Programmierung
der Applikation entschieden, damit vor allem mehr junge Menschen auf die
Stolpersteine aufmerksam gemacht werden können. 'Bevor ich mich in dem
Projekt damit auseinandergesetzt habe, habe ich davon auch nichts gewusst',
erläutert die 15-jährige Najiba. 'Mit der App geht es viel schneller, die
Erinnerungsblätter zu finden', ergänzt die gleichaltrige Tayla. Denn die
Inhalte sind auch auf der Internet-Seite des Aktiven Museums Spiegelgasse zu
finden und aus Gründen des Urheberrechts von dort mit der Applikation
verknüpft. Deren Programmierung ist die Sache der beiden IT-Spezialisten
Vincent und Ben gewesen. Vor allem Ben hat auch nach der Schule viel Zeit
damit verbracht, die Daten zu verarbeiten, und wird sie auch weiterhin
einpflegen, wenn neue Stolpersteine verlegt werden. 'Das macht mir viel
Spaß, und ich weiß jetzt, wie es geht', resümiert der 16-Jährige. Auch für
andere Projekte wäre er nun bereit, Applikationen zu programmieren. Aber
nur, wenn er sich nicht um deren Finanzierung kümmern müsse, schränkt er
ein. Für die Stolperstein-App werben die fünf Mitglieder der Hibiskus-Klasse
jedoch weiter hartnäckig Spenden ein und werden ihr Projekt auch beim Tag
der offenen Tür des Campus Klarenthal am 12. November vorstellen, um die
Finanzierung ihres Projekts sicher zu stellen.
IM APP-STORE: Die Applikation mit dem Titel 'Stolpersteine in Wiesbaden'
kann kostenfrei bei iTunes als auch bei Google Play heruntergeladen werden.
Im Hauptmenü gibt es unter anderem eine Rubrik für potenzielle Spender.
Interessierte können das Projekt aber auch direkt auf der Internet-Seite
www.betterplace.org unterstützen.
Hier trägt es den Titel 'Stolperstein App Wiesbaden'."
Link zum Artikel |
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Oktober
2016: Weitere Stolpersteine-Verlegung
in Wiesbaden zu den Stolpersteinen in
Wiesbaden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Wiesbaden
Anmerkung: es wurden am 6. Oktober - wiederum auf Initiative des
Aktiven Museums Spiegelgasse - Stolpersteine verlegt: in der Stiftstraße
16 für Jeanette Rosenzweig, ihre Tochter Augusta und die Enkeltochter
Hilde; in der Hallgarter Straße 9 für das Kaufmannsehepaar Ferdinand und
Ida Feibel; in der Bahnhofstraße 1 für Oscar Braun, Inhaber der
"Rheinischen Wollwarenfabrik"; in der Luisenstraße für Ottilie
Herz; in Dotzheim in der Josef-Siegfried-Gasse 3 für Arthur Stein (für
seine Eltern Gustav und Mina wurden bereits Stolpersteine verlegt); in der
Mainzer Straße 60 für den Lebensmittelhändler Isidor Haas.
Mit Stand Juni 2016 liegen in Wiesbaden in der Innenstadt und den Vororten
vor 288 Häusern 640 Stolpersteine.
Weitere Informationen zu den Wiesbadener Stolpersteinen siehe in der
Website des Aktiven Museums Spiegelgasse:
http://www.am-spiegelgasse.de/willkommen-in-der-spiegelgasse/geschichte-und-erinnerung/stolpersteine/
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Artikel im "Wiesbadener
Kurier" vom 8. Oktober 2010:
Gegen das Vergessen: Stolpersteine an weiteren sechs Orten in Wiesbaden verlegt (Wiesbadener Kurier, 08.10.2016) |
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November 2018:
Gedenken am Mahnmal für die Opfer
der NS-Zeit am Michelsberg |
Artikel von Matthias Laux im
"Wiesbadener Kurier" vom 10. November 2018: "Mittendrin, laut und
bedrückend: Am Mahnmal der Synagoge
Deutschlandweit wird an die Pogromnacht vor 80 Jahren erinnert. Doch wie
sieht eigentlich der Alltag rund um das Mahnmal am Wiesbadener Michelsberg
aus?
WIESBADEN - Dass vor allem die Stille fehlt, muss man ausblenden. Zu
laut, zu geschäftig, zu schnell geht es an einem gewöhnlichen
Dienstagvormittag am Michelsberg zu, als dass ein angemessenes Innehalten so
ohne Weiteres möglich wäre. Wiesbaden erwacht. Erst mit der abendlichen
Dunkelheit wird es langsam wieder ruhiger. Die im Jahr 2011 ihrer Bestimmung
übergebene Gedenkstätte an der Coulinstraße, dem Standort der ehemaligen
Synagoge, ist durch die Straßenführung in zwei miteinander korrespondierende
Bereiche unterteilt. An diesem klaren Novembermorgen wird ihr das zum
Verhängnis: Es vergeht kaum eine Sekunde, in der nicht mindestens zwei Autos
gleichzeitig, in entgegengesetzter Fahrtrichtung, aneinander vorbeirauschen.
Der Lärmpegel ist enorm. Letzteres hängt aber auch damit zusammen, dass sich
die hessische Landeshauptstadt ihre kollektive Müdigkeit aus den Knochen
schüttelt: Kinder werden gähnend zur Schule gefahren, die Blicke der
vorbeieilenden Passanten sind gesenkt, der Lieferverkehr bahnt sich seinen
geräuschvollen Weg. Touristen sind keine in Sicht. Es bleibt also Zeit, sich
mit der illustren Ansammlung von Gewerbetreibenden zu beschäftigen, die in
den Jahren rund um das Mahnmal ansässig wurden – ein Spirituosenhandel, ein
Kiosk, zwei Friseure, ein Blumenhaus, ein türkisches Restaurant, eine
Pizzeria. Die Pilsstube öffnet laut Aushang jeden Tag um acht Uhr in der
Früh. Ein vergessenes Wahlplakat an einer Laterne ruft in Großbuchstaben
dazu auf, 'Rassismus und Hetze zu bekämpfen'.
'Zufällig kommt hier keiner vorbei'. 'Jaja, hier kommen oft Gruppen
vorbei, meistens mit einem Bus.' Der Kioskbesitzer steht rauchend vor seinem
Laden, die dunkelblaue, löchrige Wollmütze ungleichmäßig in die Stirn
gezogen. Er spricht langsam, mit osteuropäischem Akzent. 'Die fotografieren
dann sich und das Mahnmal. Manche kaufen auch etwas bei mir. Das Erinnern
ist wichtig.' Auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung wurde 2006 ein
Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Areals um die vormalige
Heinrich-Heine-Anlage am Michelsberg ausgerufen. Das Ziel war es, einen
würdevollen Ort zum Gedenken an alle während der nationalsozialistischen
Diktatur ermordeten jüdischen Bürger Wiesbadens zu schaffen. Bis zu diesem
Zeitpunkt befand sich dort lediglich ein kleines Gedenk-Ensemble, womit an
die am 10. November 1938 von den Nationalsozialisten überfallene,
geschändete und in Brand gesetzte Hauptsynagoge Wiesbadens erinnert wurde.
Hinter der Theke eines Imbisses um die Ecke richtet sich das
Besitzer-Ehepaar für den hungrigen Mittagsansturm. 'Nein, Touristen sehen
wir hier kaum. Wenn überhaupt, dann sind es Schulklassen, die das Mahnmal
besuchen', erklärt die Frau unter Geschirrgeklapper. 'Das hängt aber auch
mit der Lage zusammen. Zufällig kommt hier keiner vorbei. Auf der anderen
Straßenseite laufen sowieso nicht viele. Und hier? Von 100 stoppt vielleicht
einer.' Aber findet sie, die Gedenkstätte sei gelungen? 'Sie erzählt eine
Geschichte. Da kann man nicht sagen, sie ist schön. Das wäre nicht passend.'
Die Gedenkanlage, wie sie heute den Michelsberg prägt, befindet sich genau
an jener Stelle, an der einst die von Philipp Hoffmann 1869 im maurischen
Baustil errichtete Synagoge als Zentrum der liberalen jüdischen Gemeinde
weithin sichtbar emporragte. 'Ich finde es prima gemacht. Allerdings ist es
mir fast zu nüchtern.' Auf seinem nachmittäglichen Heimweg von der
Mauritius-Mediathek, berichtet ein Arzt im Ruhestand, nimmt er sich oft ein,
zwei Minuten, um am Mahnmal innezuhalten. 'Auch wenn es kein Ort ist, der
zwingend zum Verweilen einlädt.' In einem Hospiz am Niederrhein habe er
zuletzt praktiziert. Und jetzt? 'Als Pfarrerssohn interessiere ich mich für
alle Religionen. Als ich einmal in Israel war, habe ich einen Rabbi sagen
hören: ‚Schreibt alles auf! So lange es geschrieben steht, ist das Unrecht
nicht gelöscht.‘ Das hat mich tief beeindruckt.'
Falschparker und Sperrmüll säumen das Straßenbild. Ein Polizeiwagen
rollt langsam von der Schwalbacher Straße heran. Die Uniformierten verteilen
im Tagesverlauf fleißig Knöllchen an Falschparker vor dem Eingang der
Fußgängerzone. Ein dick eingepacktes Paar macht kurz Halt an dem Haufen
Sperrmüll, der sich auf der südlichen Seite der Coulinstraße aufwölbt.
Schüler strömen, mit dicken Kopfhörern ausgestattet, in Richtung der
innerstädtischen Schnellrestaurants – oder nach Hause. Eine hochgewachsene
Frau nimmt sich auffallend viel Zeit vor dem Namenband, auf welchem die
Daten aller 1507 jüdischen Opfer des NS-Rassenwahns aus Wiesbaden verewigt
sind. 'Ich bin Provenienzforscherin. Es ist mein täglich Brot, mich mit dem
Schicksal von Menschen jüdischen Glaubens auseinanderzusetzen. Deswegen bin
ich hier', erläutert die Wissenschaftlerin. 'Ich finde das hier gut
umgesetzt. Es ist halt recht bedrückend, wenn man mittendrin steht. Aber das
soll es wahrscheinlich auch sein.' Mit der Sonne geht der Lärm. Die
Bedrücktheit bleibt."
Link zum Artikel https://www.wiesbadener-kurier.de/lokales/wiesbaden/nachrichten-wiesbaden/mittendrin-laut-und-bedruckend-am-mahnmal-der-synagoge_19174043#
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Juni 2019:
Stolperstein für den
Komponisten Heinz Lewin
Anmerkung: bis Ende Juni 2019 wurden in Wiesbaden 659 Stolpersteine
verlegt. Zu Heinz Lewin vgl. Wikipedia-Artikel
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Letton. |
Artikel von Sarah Peuter im
"Wiesbadener Kurier" vom 29. Juni 2019: "Stolperstein für den Wiesbadener
Komponisten Heinz Lewin. Mit einem Stolperstein wird nun auf dem
Wiesbadener Luisenplatz des Komponisten Heinz Lewin und im Nerotal Arthur
und Luise Guttmanns gedacht.
WIESBADEN - Seit 2005 sieht man sie in der ganzen Stadt: Kleine Platten,
in den Bürgersteig eingelassen, die in der Sonne glänzen. Ein Gedenken an
die Ermordung der Juden während der Nazizeit. 659 Stolpersteine liegen jetzt
in Wiesbaden, noch nicht mal der Hälfte aller Opfer wurde damit bisher
gedacht.
Am Luisenplatz 2 wurde ein solcher Stein für den 1888 in Wiesbaden
geborenen Komponisten und Zigarettenfabrikanten Heinz Lewin gelegt. Er war
eine lokale Berühmtheit seiner Zeit, komponierte Anfang der 1930er Jahre
auch Filmmusik für Hollywood. Zusätzlich leitete er die Zigarettenfabrik
seines Vaters, die jedoch der Wirtschaftskrise 1928 zum Opfer fiel. 1936
floh er nach Frankreich. Nach der Eroberung Frankreichs durch die
Nationalsozialisten wurde Lewin in ein Internierungslager gebracht. Am 9.
September 1942 folgte die Deportation nach Auschwitz, wo er kurz darauf
ermordet wurde. Jedoch hat sein Sohn überlebt. Er konnte 1936 nach London
fliehen. Seine Tochter, Yvonne Mocatta, begann vor einigen Jahren,
Nachforschungen über das Leben und Schicksal ihres Großvaters anzustellen:
'Ich konnte ihn nie treffen, er starb drei Jahre vor meiner Geburt',
berichtet Mocatta sichtlich gerührt. Zur Verlegung des Stolpersteins ist die
Familie aus London gekommen. Bei der Gedenkfeier spricht Lewins Urenkel und
Rabbi Jeremy Lawrence ein Gebet und es wird der Slowfox 'Man läuft rum in
der Welt' von Lewin gespielt. Zahlreiche Anwohner sind zu der Verlegung
erschienen sowie Offizielle der Stadt. Auch Katja Demnig, die Frau von
Gunter Demnig, ist anwesend. Ihr Mann ist der Gründer der Stolpersteine.
Dank ihm liegen über 74 000 Stolpersteine in Europa, 67 000 davon in
Deutschland. Alle Messingplatten auf den Steinen werden von dem Bildhauer
Michael Friedländer von Hand gefertigt. Das macht jeden Stein besonders.
In Wiesbaden ist das Aktive Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische
Geschichte zuständig für die Stolpersteine. Auf Anfrage wird Recherche über
jüdische Opfer betrieben. Ein Pate übernimmt die Kosten für die Herstellung
des Steins. Für Arthur und Luise Guttmann, die zuletzt im Nerotal 43
wohnten, übernahm die Bergkirchengemeinde Patenschaft und Recherche. Luise
Gutmann nahm sich 1940 das Leben, ihr Mann wurde 1942 deportiert."
Link zum Artikel |
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Juni 2019:
Grundschüler reinigen
"Stolpersteine" |
Artikel von Maya Vogel im
"Wiesbadener Tagblatt" vom 18. Juni 2019: "Grundschüler putzen
Stolpersteine im Wiesbadener Westend
659 der kleinen Messing-Gedenktafeln liegen in Wiesbaden, ein Großteil davon
im Westend. Schüler der Blücherschule haben die regelmäßige Reinigung der
Stolpersteine übernommen.
WIESBADEN - 'Es ist doof, dass unschuldige Menschen sterben mussten.'
Die zwei Schüler der dritten Klasse haben gerade Putzdienst für
Stolpersteine im Westend. Alle zwei Wochen reinigen Schüler der
Blücherschule die Erinnerungssteine für ermordete Juden der NS-Zeit – und
das schon seit vier Jahren.
'In den letzten vier Jahren haben wir gemeinsam schon 350 Steine geputzt',
erzählt Peter Riedle vom Aktiven Museum Spiegelgasse für die
deutsch-jüdische Geschichte (AMS). Insgesamt gibt es in Wiesbaden 659
Stolpersteine – der Großteil davon liegt im Westend, da dort seinerzeit
viele Juden wohnten. Riedle betont: 'Es gibt einen Unterschied zwischen dem
Reden über Menschenrechte und ihrer tatsächlichen Pflege. So wissen die
Kinder, worum es geht und haben sich schon mal mit dem Thema auseinander
gesetzt. Damit haben sie vielen Erwachsenen in Wiesbaden etwas voraus.' Die
Schüler setzen sich auch im Unterricht mit dem Thema auseinander. 'Wenn man
dann stolpert, dann soll man erkennen, wie viele Juden gestorben sind',
fassen die beiden ihre Aufgabe zusammen. Doch es herrscht großes
Unverständnis über den Diktator Hitler: 'Warum braucht man überhaupt Krieg?
Dabei geht es nur um Macht. Es reicht doch, wenn man in einem Land regiert'
und 'Jeder darf glauben, was er will!' Doch die beiden haben auch viele
Fragen und lassen sich von Elisabeth Lutz-Kopp vom Aktiven Museum
beispielsweise erklären, warum es einen Judenstern gab und wie die Juden
erst gezielt aus der Gesellschaft ausgeschlossen und dann ermordet wurden.
Die beiden sind mit vollem Einsatz dabei. Jeder Messingstein muss glänzen: 'Stop,
da ist noch etwas. Machst du das noch mal?', spornen sie einander solange
an, bis wirklich jeder Stein wieder strahlt."
Link zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Hinweis
auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde
Wiesbaden |
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs
(innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus
hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar:
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41
Zu Wiesbaden sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur
Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):
HHStAW 365,915 Geburts-, Trau- und Sterberegister der Juden von
Wiesbaden 1832 - 1876 (Abschrift vom September 1943): enthält
jüdisches Geburtsregister 1833 - 1874, jüdisches Trauregister 1832 -
1874 und jüdisches Sterberegister 1834 - 1876; enthält auch
Angaben zu Personen aus Wiesbaden-Sonnenberg https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1900022
HHStAW 365,949 Gräberliste des Friedhofs "Schöne
Aussicht" zu Wiesbaden (in alphabetischer Reihenfolge) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v5496452
HHStAW 365,916 Gräberverzeichnis des jüdischen Friedhofs
Platterstraße in Wiesbaden 1891 - 1943: enthält ein Verzeichnis der
verstorbenen Juden mit Angaben zu Personenstandsdaten und zur Grablage,
dazu auch eine Begräbnis- und Friedhofsordnung für die israelitische
Kultusgemeinde Wiesbaden mit Situationsplan des Friedhofs Platterstraße
(Druck) von 1891; dazu auch ein Merkblatt für die Hinterbliebenen vom
Krematorium Berlin-Wilmersdorf (Druck)
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v4971266
HHStAW 365,917 Heiratsurkunden von Juden aus den Ortschaften der
Stadt- und Bezirksrabbinate Wiesbaden und Mainz 1908 - 1917:
Heiratsurkunden und Traubescheinigungen, überwiegend auf Hebräisch, zum
Teil auf Deutsch
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1245121
HHStAW 365,918 Heiratsurkunden von Juden aus den Ortschaften der
Stadt- und Bezirksrabbinate Wiesbaden und Mainz 1928 - 1930:
Heiratsurkunden und Traubescheinigungen, überwiegend auf Hebräisch, zum
Teil auf Deutsch
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v3732275
HHStAW 365,943 Deportationsliste Wiesbadener Juden 1940 -
1942 https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v281127
|
Literatur:
| Abraham Kober / B. Straus: Festschrift zur
Fünfzigjahrfeier des Synagogenvereins zu Wiesbaden. Wiesbaden 1913. |
| P. Lazarus: Die jüdische Gemeinde Wiesbaden
1918-1942. New York 1949. |
| Weg und Schicksal, aus der Geschichte der Wiesbadener
Juden. Hrsg. Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden. Wiesbaden
1966. |
| Germania Judaica II,2 S. 904-905; III,2 S. 1642
(jeweils Artikel Wiesbaden) |
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. II S. 384-402. |
| ders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder -
Dokumente. S. 201-205. |
| Juden in Wiesbaden. Hrsg.: Hessisches Hauptstaatsarchiv.
Wiesbaden 1988. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 338-362. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 467-474. |
| Rolf Faber: Die vier Vorgängerbauten der
Wiesbadener Synagoge am Michelsberg. In: Nassauische Annalen 117 2006 S.
341-360. |
| Wolfgang Fritzsche: Das ehemalige jüdische Badehaus
"Zum Rebhuhn" in Wiesbaden. Zur Frage einer Gemeindemikwe. In:
Denkmalpflege und Kulturgeschichte in Hessen 2. 2001. S. 7-12. |
| Begegnungen I: ...den Verlust bewusst machen.
Über das Leben der Jüdischen Gemeinde in Wiesbaden und vom Bau der
Synagoge auf dem Michelsberg. Hrsg.: Förderkreis Aktives Museum
Deutsch-Jüdischer Geschichte in Wiesbaden. 1988. |
| Begegnungen II: Osteuropäisches Judentum in
Wiesbaden. Hrsg.: Förderkreis Aktives Museum Deutsch-Jüdischer Geschichte
in Wiesbaden. 1991. |
| Begegnungen III: Stationen. Lotte Guthmann,
Wiesbaden - Lotte Sarah Guthmann, XII/5-11- Theresienstadt
- Charlotte Opfermann, USA. Hrsg.: Förderkreis Aktives Museum
Deutsch-Jüdischer Geschichte in Wiesbaden. 1993. |
| Begegnungen IV: Willy Rink: Das
Judenhaus. Erinnerungen an Juden und Nichtjuden unter einem Dach. 1933-1945.
Hrsg.: Aktives Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden
e.V. 2008. |
| Spurensuche I: NS-Vergangenheit in Wiesbaden.
Hrsg.: Studienseminar für berufliche Schulen in Wiesbaden und Förderkreis
Aktives Museum... 1998. |
| Spurensuche II: Rundgänge in Wiesbaden. Hrsg.:
Aktives Museum Spiegelgasse... 2003. |
| Spurensuche III: Lohar Bembenek: Das Leben der
jüdischen Minderheit in Wiesbaden-Biebrich bis zum Ersten Weltkriege. 2010. |
| "memo 38" DVD. Virtuelle Rekonstruktion
der zerstörten Wiesbadener Synagoge. Hrsg.: Fachhochschule Wiesbaden. FB
Design Informatik Medien. Studiengang Innenarchitektur. 1999. |
| Rolf Faber, Karin Rönsch: Wiesbadens
jüdische Juristen. Leben und Schicksal von 65 jüdischen Rechtsanwälten,
Notaren, Richtern, Referendaren, Beamten und Angestellten. Stadtarchiv
Wiesbaden 2011. |
| Stolpersteine
in Wiesbaden 2011-2013. Dritter Band der Reihe
"Stolpersteine in Wiesbaden...". Wiesbaden 2013.
Ein erster Band (Stolpersteine in Wiesbaden: 2005-2008; "Hier
wohnte..."; ein Kunstprojekt von Gunter Demnig; hrsg. vom der
Rathausfraktion Bündnis 90, Die Grünen und dem Aktiven Museum
Spiegelgasse. Red.: Elisabeth und Jürgen Lutz-Kopp... Texte: Giesela Kunze;
200 Seiten) erschien 2008, in dem die Stolpersteine dokumentiert
wurden, die zwischen 2005 bis 2008 verlegt wurden (zu erhalten bei den
Grünen im Rathaus Wiesbaden, Schlossplatz 6, 65183 Wiesbaden, Tel.
0611-305243).
Ein zweiter Band ("Stolpersteine in Wiesbaden 2009-2010...; 234
S.) erschien 2011. |
| Wolfgang Fritzsche: 300 Jahre jüdisches Kur- und
Badewesens in Wiesbaden - 1635-1935. 4. Band der Schriftenreihe der
Paul-Lazarus-Stiftung. 2014. www.paul-lazarus-stiftung.de:
Publikationen
Dazu Presse-Artikel
im "Wiesbadener Kurier" vom 25.2.2015. |
| Vgl. zu weiteren und aktuellen Veröffentlichungen auch den
Online-Shop
des Aktiven Museums Wiesbaden |
| Marion Davies: The Bock Family from Lich. 1700s to
1874/75. Researched and compiled by Marion Davies 2023 (mit zahlreichen
Bezügen zu Wiesbaden).
Eingestellt zum Download als pdf-Datei.
|
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Wiesbaden Hesse-Nassau. A health resort
dating from Roman times, Wiesbaden hat a Jewish community in 1573. Though
subject to various restrictions (1638), it provided visitors with kosher
facilities, maintained a district rabbinate from 1708, and opened a synagogue
accomodating 200 worshippers in 1826. Avraham Geiger served as communal rabbi in
1832-38 and introduced changes in public worship; he also made Wiesbaden the
venue for the first conference of Reform rabbis in Germany in 1837. Religious
issues came to a head during the rabbinate of Samuel Suesskund (1844-84). At the
imposing new Moorish synagogue, dedicated in 1869, services were accompanied by
an organ and choir. Orthodox Jews, who already attended a separate minyan,
established a breadaway community which was recognized in 1879 under the
Prussian law of secession. Its rabbinate was headed by Leo Kahn and subsequently
by Jonas Ansbacher. The Jews of Wiesbaden, numbering 152 in 1825, played a
leading role in commerce and the professions, especially medicine. By 1905 their
number hat increased to 2.656 (3 % of the total). The historian Adolf Kober
served as Liberal district rabbi (1909-18) and Jews from Eastern Europe
(Ostjuden) boosted the cummunity's final growth to 3.463 in 1925. A Juedisches
Lehrhaus was established in 1921 to promote Jewish adult education in the
Liberal community. A conference of the German Zionist Organization held in
Wiesbaden in 1924 was attended by WZO President Chaim Weizmann. Branches of the
Central Union (C.V.), Jewish War Veterans Association, Mizrachi, Agudat Israel,
WIZO, and several Zionist youth movements were active during the Weimar Republic.
Antisemitism made little headway before Worldwar I, but the deteriorating
economic situation led to a rapid increase in anti-Jewish violence from 1930.
Once Hitler came to power in 1933, Nazi boycott measures afflicted the community
(then numbering 2.713). Jews were dismissed from public office, at least two
were murdered, and the 'Aryanization' of their stores (ober 250) began. Doctors
were among the first to leave, 33 out of 54 emigratiing by 1938. The community's
welfare workers fed and aided the distressed while the rabbi opened a district
school in 1936 and valiantly sought to sustain Jewish morale. On
Kristallnacht (9-10 November 1938), SS troops burned the Liberal synagogue to
the ground and partly destroyed the Orthodox synagogue; 23 Jews died in the
riots, after which gundreds were imprisoned in the Buchenwald concentration
camp. The number of Jews declined to 1.125 by 1939; 500 were deportted to the
east in march-June 1942 and 600 to the Theresienstadt ghetto in September 1942.
Nearly 40 Jews committed suicide before the last transport and many of the 600
converts or part-Jews (Mischlinge) died in Nazi camps. The postwar community of
Holocaust survivors, mainly from Eastern Europe, dedicated a new synagogue in
1966 and grew to about 400 in 1990.
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