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zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Winnenden (Rems-Murr-Kreis)
Jüdische Geschichte
Übersicht:
Zur jüdischen Geschichte
in Winnenden
In Winnenden gab es zu keiner Zeit eine jüdische
Gemeinde.
Aus dem Mittelalter gibt es vor dem 15. Jahrhundert keine Nachweise für
eine jüdische Ansiedlung. 1418 lebten jedoch ein oder mehrere Juden in
der dem Grafen von Württemberg gehörenden Stadt. Die Juden Winnendens sollten
damals zu einer außerordentlichen Reichssteuer zusammen mit den übrigen Juden
der Grafschaft 400 fl. beitragen.
Unklar ist die Herkunft des Namens der Flur "Judenkirchhof" am Bogen
links der alten Straße nach Breuningsweiler, möglicherweise die Erinnerung an
eine mittelalterliche (?) jüdische Begräbnisstätte.
Auf Grund der württembergischen Ausschließungsgesetzgebung durften sich vom
Ende des 15. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts keine jüdischen
Personen in der Stadt niederlassen.
Erst im 19./20. Jahrhundert werden bei den Volkszählungen wieder einige
jüdische Personen genannt, sowohl in der Stadt als auch in den klinischen
Einrichtungen.
1. Die Volkszählungsergebnisse nennen für
Winnenden-Stadt: 1864 2, 1867 1, 1871 0, 1880 und 1885 je 1, 1895
11, 1900 4, 1905 1, 1910 4 jüdische Personen, teilweise wird es um bei den Volkszählungen zufällig ortsanwesende und nicht um
ortsansässige Personen gehandelt haben. Bei der Höchstzahl von 11 jüdischen
Personen 1895 handelte es sich wohl insgesamt um Mitglieder der beiden Familien
Thalheimer aus Affaltrach:
Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatten in Winnenden mehrere - meist auswärts
lebende - jüdische Viehhändler ihre Niederlassungen. Der erste "Viehjude" (so im
Volksmund genannt) war wahrscheinlich Jakob Thalheimer (geb. 5. August
1859 in Affaltrach als Sohn von Arthur
Thalheimer [geb. 1824 in Affaltrach als Sohn von Bär Thalheimer und Frau
Kella] und Babette geb. Stern). Er hat sich vermutlich 1892 in Winnenden
niedergelassen, danach seit 1899 in Cannstatt,
wo er in den folgenden Jahren in der Marienstraße (heute Liebenzeller Straße)
3 lebte. Von hier aus betrieb er weiterhin den Viehhandel in Winnenden, wo er
zur Unterbringung des Viehs für Handelsgeschäfte einen Stall gemietet hatte. Er
war verheiratet mit Rebekka geb. Lindner (geb. 1865 in
Affaltrach). Die Viehhandlung Thalheimer
wird erstmals 1911 in der Winnender Zeitung genannt. Jakob Thalheimer starb 1932
in Cannstatt, seine Frau ebd. 1939 (beide beigesetzt im
jüdischen Steigfriedhof).
1892 bis 1899 lebte auch die Familie von Moritz Thalheimer (bzw.
Moses Löb, geb. 1855 in Affaltrach als Sohn von Schmayes/Jesaias Thalheimer
[1813 geborener Sohn von Bär Thalheimer und seiner Frau Kella s.o.] und seiner
dritten Frau Babette geb. Sulzbacher) mit seiner Frau Karoline geb.
Thalheimer (geb. 1858 in Affaltrach als Tochter von August Thalheimer
und seiner Frau Babette geb. Stern) in Winnenden zusammen mit ihren
Kindern Bertha (geb. 1883 in Affaltrach, später verheiratete Schöttle),
August (geb. 1884 in Affaltrach) sowie Anna (geb. 1887 in
Affaltrach). Bertha und August Thalheimer gehörten später zu den
Triebkräften der Arbeiterbewegung in Deutschland; August stand nach der
Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts 1919 an der Spitze der KPD
Deutschlands; zeitweise in Moskau als Dozent; nach 1933 in Frankreich; später
Internierung in verschiedenen Lagern; 1941 nach Kuba, wo er 1948 gestorben ist.
Bertha war zunächst in der SPD aktiv; 1918 bei den Gründungsmitgliedern der KPD.
Im Haus der Familie Thalheimer in Cannstatt (Rippoldsauer Str., ehemals
Moltkestr. 77) verkehrten lange die Großen der Sozialdemokratie Deutschlands,
häufig u.a. Clara Zetkin. Nach dem Tod von Karoline geb. Thalheimer am 1. Mai
1922 (beigesetzt im jüdischen Steigfriedhof)
verzog Moritz Thalheimer von Cannstatt.
Vgl. Wikipedia-Artikel zu August Thalheimer
https://de.wikipedia.org/wiki/August_Thalheimer und Dokumente
https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/struktur.php?bestand=51045 sowie
zahlreiche weitere Literatur und Beiträge im Internet.
Um 1910 gab es in der Stadt die Viehhandlung von Benno Buxbaum, über den
nur wenig bekannt ist; er dürfte wie der Cannstatter Metzgermeister Israel
Buxbaum aus Merchingen stammen
1911 wird in einer Zeitungsanzeige in Winnenden erstmals die Viehhandlung
Kaufmann genannt, zunächst von Isaak Kaufmann (geb. 1852 in
Zaberfeld), der mit Sidonie geb. Stern
verheiratet war. Er lebte zunächst wohl noch in Zaberfeld, spätestens seit
1923 in Cannstatt. Von beiden Orten aus betrieb Isaak Kaufmann bzw. die Söhne
den Viehhandel in Winnenden. Die Söhne Jakob und Alfred Kaufmann
übernahmen seine Viehhandlung (in einer Geschäftsanzeige im Januar 1920 in der
Winnender Zeitung unterzeichnete Alfred Kaufmann). Jakob Kaufmann ist
1883 in Zaberfeld geboren und war später verheiratet mit Klara geb. Rosenfeld
(geb. 1888 in Öhringen, 1944 ermordet im KZ
Auschwitz). Sie lebten in Cannstatt in der Schillerstraße 19. Jakob Kaufmann
starb am 10. November 1940 in Cannstatt und wurde im dortigen
jüdischen Steigfriedhof beigesetzt. Auch
seine Tochter Hanna (geb. 1923) wurde in Auschwitz ermordet. Der jüngere Bruder
Alfred Kaufmann ist 1895 in Zaberfeld geboren. Er war verheiratet mit
Karoline geb. Bonem (geb. 1899 in Metz) und lebte gleichfalls in Cannstatt. Zur
weiteren Geschichte der Familienmitglieder berichtet E. Kögel (Beitrag online
eingestellt, siehe unten bei Literatur).
Die in Winnenden lebenden jüdischen Personen gehörten der
Synagogengemeinde in Bad Cannstatt an.
In der NS-Zeit lebte 1944 bis 1945 versteckt in Winnenden (Schorndorfer Str. 56)
der (jüdische) Jurist Robert Perlen (Rechtsanwalt in Stuttgart seit 1912;
nach 1948 Präsident des Landgerichts). Robert Perlen ist 1884 in
Esslingen geboren als Sohn von Emil Perlen
und seiner Frau Henriette geb. Sänger. Er war seit 1926 verheiratet mit der
(evangelischen) Martha geb. Gerke. Seine Anwaltspraxis in Stuttgart, die er
gemeinsam mit Dr. Robert Mainzer führte, war eine der vornehmsten in
Württemberg. Ende 1938 wurde ihm die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen. Um der
Deportation zu entgehen, lebte er vom 6. Juli 1944 an versteckt in Winnenden
(Wohnung vermittelt über sein Dienstmädchen). Hier in Winnenden blieben Robert
und Martha Perlen noch bis zum 1. Dezember 1949, ehe sie wieder nach Stuttgart zogen
(Wernlinstr. 1). Robert
Perlen starb 1961 in Stuttgart. Er und seine Frau (gest. 1979) wurden in der
Familiengrabstätte Perlen im jüdischen
Friedhof (Teil des Ebershaldenfriedhofes) in Esslingen beigesetzt.
2. Die Volkszählungsergebnisse nennen für die klinischen Einrichtungen unter
"Winnenden-Anstalt": 1875 7, 1880 4, 1885 7, 1890 4, 1895 3, 1900 6,
1905 7, 1910 8, 1925 10 und 1933 7 jüdische Personen.
Auf Grund dieser Zahlen ist deutlich, dass vor allem in der früheren "Königlichen Heilanstalt Winnental"
bzw. "Heil- und Pflegeanstalt Winnental" in den Räumlichkeiten des
ehemaligen Schlosses Winnenden seit den 1870er-Jahren auch jüdische Patientinnen
und Patienten untergebracht waren. Die 1940 in der Klinik noch befindlichen
jüdischen Patientinnen und Patienten wurden zusammen mit 389 anderen Patienten
in die Tötungsanstalt Grafeneck verbracht und ermordet.
Dasselbe betrifft die Einrichtung der Paulinenpflege Winnenden, in deren
sog. "Taubstummenasyl" immer wieder jüdische Patientinnen und Patienten untergebracht waren. Bei
einer Recherche der Paulinenpflege 1985 konnten zwei Patienten festgestellt
werden (vermutlich unvollständig):
Max May (geb. 1880 in Ratibor als Sohn des Kaufmanns Isidor May und seiner
Frau Regine geb. Biermann, gest. 1921 in Winnenden): gehörloser Schuhmacher aus
Ratibor und in der Paulinenpflege seit 1910 (seine Eltern wohnten in
Charlottenburg). Max May wurde am 18. März 1921 im
jüdischen Friedhof in Hochberg beigesetzt
(das Grab ist in den Dokumentationen des Friedhofes allerdings nicht
verzeichnet).
Sarah Thalheimer (geb. 1866 in Lehrensteinsfeld als Tochter von Marx Thalheimer
und seiner Frau Kresle (?) geb. Hirschmann, gest. 1924 in Winnenden): gehörlos,
eingetreten in die Paulinenpflege 1921. Sarah Thalheimer wurde nach ihrem Tod im
jüdischen Friedhof in Affaltrach
beigesetzt, also in dem für ihre Heimatgemeinde zuständigen jüdischen Friedhof,
vgl.
http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=2-2902998.
Von den jüdischen Patientinnen und Patienten der Heil- und Pflegeanstalt
Winnental sind in der NS-Zeit
umgekommen (ermordet in der Tötungsanstalt Grafeneck; Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"; Liste vermutlich
unvollständig): Hermann Einstein (1878 Buchau), Selma Heidenheimer (1879
Stuttgart), Gertrud (Gertrude) Heilborn (1898 Ravensburg), Hedwig Mannhardt
(1894 in Gmünd bei Regensburg), Alfred Neu (1895 Weinheim), David Neumetzger
(1896 Oberdorf), Julius Schloss (1881 Mainz), Charlotte Steiner (1897 Ulm).
Aus Winnenden-Stadt ist umgekommen (nach Gedenkbuch des Bundesarchivs
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de?id=539287 und den
Angaben des United States Holocaust Memoral Museum
https://secure.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=5341138):
Alfred Komany (geb. 30. Oktober 1897 in Winnenden, 1942 deportiert ab Drancy in
das KZ Auschwitz und ermordet). Zu Alfred Komany liegen keine weiteren
Informationen vor.
Fotos
Fotos zur
jüdischen Geschichte in Winnenden sind nicht vorhanden |
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Erinnerungsarbeit vor
Ort - einzelne Berichte
Noch keine Berichte vorhanden.
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Germania Judaica III,2 S. 1658. |
| Hans Veitshans: Historischer Atlas Bd. V, S. 45. |
| Flurnamenverzeichnis der Landesstelle für Volkskunde
Stuttgart (nicht veröffentlicht). |
| Joachim Hahn: Erinnerungen und Zeugnisse der
jüdischen Geschichte in Baden-Württemberg. 1988. S. 452. |
| ders.: Jüdisches Leben in Esslingen. Geschichte, Quellen
und Dokumentation. 1994. S. 337-338. |
| ders.: Steigfriedhof Bad Cannstatt. Israelitischer Teil.
Reihe Friedhöfe in Stuttgart 4. Band. 1995 S. 70. |
| Martin Eitel Müller: Euthanasie und Sterilisation
in Winnental 1933-1945. Aus der Publikation: 175 Jahre Heilanstalt
Winnenden. Winnender Veröffentlichungen. Band 3. Verlag Regionalkultur 2008. |
| Eberhard Koegel: Oifach nemme komma -
Weg und Schicksal der Winnender Viehjuden. Artikel war ursprünglich
vorgesehen für Jahrbuch Winnenden 2009. Fassung ohne Fotos. 31 S.
Link zum Beitrag (pdf-Datei).
Im Beitrag wird u.a. ausführlich berichtet über die Viehhändlerfamilie
Kaufmann aus Zaberfeld. |
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