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Eich mit
Hamm am Rhein (VG
Eich, Kreis Alzey-Worms)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Eich bestand eine jüdische Gemeinde bis 1936. Ihre
Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurück. 1722 werden
vier, 1743 drei jüdische Familien in Eich genannt, in Hamm
waren es in diesen Jahren zwei beziehungsweise drei jüdische Familien. 1750
lebten in Wachenheim im Zellertal
Feitel Süskind und Löb Seligmann von Eich.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie
folgt: in Eich: 1804 14, 1824 und 1830 19 jüdische Einwohner, 1861
17 (1,0 % von insgesamt 1.627 Einwohnern), 1871 38, 1880 23 (1,4 % von 1.689),
1900 39 (2,1 % von 1.891), 1910 40 (2,1 % von 1.893). In Hamm lebten 1824 36,
1828-29 37 jüdische Personen, 1902 nur noch 2. 1865 erfolgte von Hamm aus noch
die Ausschreibung der Stelle eines eigenen Lehrers (siehe unten); genannt wird
um 1860 als Religionslehrer in Hamm Emanuel Nathan (siehe Anzeige unten).
Da die Zahl der jüdischen
Einwohner in Eich zunächst nicht zur Bildung einer selbständigen jüdischen
Gemeinde ausreichte, waren die hier lebenden Juden im 19. Jahrhundert einer
Nachbargemeinde angeschlossen beziehungsweise bildeten eine Filialgemeinde.
Nachdem um 1875 im benachbarten Gimbsheim eine selbständige jüdische
Gemeinde gegründet wurde (zuvor
gehörten die Gimbsheimer, vermutlich auch die Eicher Juden zur Gemeinde in Alsheim),
war Eich Filialgemeinde zu Gimbsheim, wo sich auch eine
jüdische Volksschule befand (vergleiche unten die Ausschreibungen der Religionslehrerstelle
Gimbsheim zwischen 1889 und 1896). Die Filialgemeinde hatte ihren eigenen
Vorsteher: um 1898 erhielt Juda Guthmann für langjährige treue Dienste ein
Ehrenzeichen (siehe Artikel unten); als damals langjähriger Rechner wird 1902
Isak Haas genannt. Vermutlich nach Bau der eigenen Synagoge erhielten die Eicher Juden den Status
einer selbständigen jüdischen Gemeinde, zu der nun auch die im benachbarten
Hamm lebenden jüdischen Personen gehörten (offizielle Bezeichnung der
Gemeinde: Israelitische Religionsgemeinde Eich-Hamm). Damals gab es in beiden Orten
zusammen etwa 50 Gemeindeglieder, darunter 10 Kinder.
Die jüdischen Familien waren im Leben des Ortes völlig integriert, wie der
Bericht zur Beisetzung von Isak Haas von 1902 (siehe unten) zeigt.
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.) und
eine Religionsschule. 1904 bildeten Alsheim, Gimbsheim,
Eich und Hamm einen gemeinsamen Unterrichtsbezirk. Die schulpflichtigen
jüdischen Kinder der Eicher Gemeinde wurden durch den jüdischen Lehrer in
Alsheim unterrichtet. Ende der 1920er-Jahre (bis September 1932) unterrichtete
der jüdische Lehrer Aron Salomon (1861-1942) aus Worms als sog. Wanderlehrer die
jüdischen Kinder aus Eich und Gimbsheim. Der Religionsunterricht fand zweimal
wöchentlich in der Eicher Synagoge statt.
Die Toten der Gemeinde wurden im jüdischen Friedhof in Osthofen
(siehe Berichte unten zu Siegmund Haas 1893, Isak Haas 1902 sowie Eduard Haas
und seiner Schwester 1902), teilweise auch
in Alsheim beigesetzt. Die jüdische Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk in Worms.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Sally Guthmann
(geb. 20.8.1894 in Eich, gef. 27.8.1917) und
Berthold Haas (geb. 28.2.1894 in Eich, gef. 29.9.1915).
Um 1924, als 38
jüdische Personen in Eich gezählt wurden (1,9 % von insgesamt 2.012), waren
die Vorsteher der Gemeinde Jacob Guthmann (1. Vors.), Abraham Schott (2. Vors.)
und Simon Jakobi (3. Vors.). Dieselben bildeten auch 1932 noch den
Gemeindevorstand. 1924/32 gehörten noch vier in Hamm lebende jüdische Personen
zur Eicher Gemeinde (Familie von Frieda Heß, die in der Neugasse einen kleinen
Lebensmittel- und Kurzwarenladen betrieb; sie hatte drei zwischen 1906 und 1910
geborene Töchter: Lina, Melanie und Alma). Es waren in Eich 1924 acht, 1932 vier schulpflichtige
jüdische Kinder in Religion zu unterrichten. 1924 erteilte den Unterricht
Lehrer Salomon aus Worms.
Nach 1933 sind alle jüdischen Gemeindeglieder (1933: 37 Personen = 1,8 %
von insgesamt 2.056) auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien innerhalb von vier Jahren weggezogen beziehungsweise ausgewandert.
Bereits 1934 waren 23 der jüdischen Einwohner verzogen, großenteils
ausgewandert. Als vorletzter jüdischer Einwohner verließ 1937 Jacob Guthmann
den Ort.
Von den in Eich geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Berthold Guthmann
(1893), Jakob Guthmann (1868), Frieda Hess geb. Reichenberg (1881), Karolina
(Lina) Marx geb. Reichenbach (1882; für sie wurde 2024 in Darmstadt ein
"Stolperstein" verlegt).
Von den in Hamm wohnhaften jüdischen Personen sind umgekommen: Frieda Hess
geb. Reichenberg (geb. in Eich 1881) und Lina Heß (geb. in Echzell 1906,
Tochter von Frieda Heß). Siegfried Heß (geb. 1881, Bergen
[Frankfurt-Bergen-Enkheim], geschiedener Ehemann von Frieda und Vater der
gemeinsamen Kinder Lina, Alma und Melanie) war von Juni 1938 bis August 1941 in
den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Dachau und Buchenwald interniert, wo er am 5.
August 1941 zu Tode kam).
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet für Hamm
(1865), dann Gimbsheim und Eich 1889 /
1891 / 1896 / 1893
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Juni 1865: "Konkurrenz-Eröffnung.
Für die israelitische Religionslehrer-, Vorbeter- und Schächterstelle
dahier mit einem fixen Gehalt von 220 Gulden, einer Vergütung für
Heizung mit 10 Gulden, sowie in Aussicht stehenden 50 Gulden Emolumenten
wird hiermit Konkurrenz eröffnet und sind Offerten einzureichen bei dem
Vorstandsmitgliede
Emanuel Gutmann II. in Hamm (Kreis
Worms)." |
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Die Ausschreibung erfolgte zeitgleich
auch in der (liberalen) "Allgemeinen Zeitung des
Judentums": |
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6. Juni 1865:
"Vakante Lehrer-, Vorbeter- und Schächterstelle, die sofort
zu besetzen, mit einem fixen Gehalte von f. 200, für Heizung 10 Gulden,
in Aussicht stehende Emolumente 50 Gulden. Bewerber wollen sich wenden
an
Emanuel Guthmann II., in Hamm, Kreis
Worms." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Juni 1889:
"In der hiesigen Gemeinde mit Filiale Eich ist die Stelle eines
Religionslehrer, Kantors und Schochet per 1. September zu besetzen. Gehalt
750 Mark, sowie freie, möblierte Wohnung. Nebenverdienste mit Schechita
betragen circa 3000 Mark. Ein seminaristisch gebildeter Mann bevorzugt.
Bewerber wollen sich bei dem Unterzeichneten melden. Emil David II.
Gimbsheim bei Guntersblum." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. März 1891:
"Die Stelle eines Religionslehrers, Kantors und Schochets in hiesiger
Gemeinde, mit Filiale Eich, ist sofort zu besetzen. Anfangsgehalt 700
Mark, Nebenverdienst ca. 400 Mark, sowie freie, möblierte Wohnung. Nur
dem gewählten werden Reisekosten vergütet. Bewerber muss
Reichsangehöriger sein. - Meldungen mit Zeugnisabschriften sind zu
richten an Emil David II., Gimbsheim bei Oppenheim am Rhein." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. Mai 1893:
"Da ich durch Militärverhältnisse genötigt bin, meine Stelle zu
verlassen, wird die Stelle eines Religionslehrers, Kantors und Schächters
in Gimbsheim mit Filiale Eich (Rheinhessen) soeben vakant. Die Stelle
trägt mit Nebenverdiensten Mark 1.300 ein nebst freier möblierter
Wohnung. Kann die Stelle als unbedingt gut jedem Kollegen empfehlen.
Geeignete seminaristisch gebildete Bewerber wollen sich unter Einsendung
ihrer Zeugnisse an den Vorstand der Gemeinde Gimbsheim wenden.
J.
Ledermann, Lehrer." |
|
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. Juni 1896: "Die
Religionslehrer-, Kantor- und Schächterstelle zu Gimbsheim mit Filiale
Eich (Rheinhessen), mit einem Fixum von Mark 800, sowie Mark 400
Nebeneinkommen und freier Wohnung nebst Garten ist per 1. August oder 1.
September dieses Jahres zu besetzen. Bewerber wollen sich an den
Unterzeichneten wenden. Nähere Auskunft erteilt der seitherige Lehrer
Herr M. Oppenheimer.
Der Vorsteher: Emil David II." |
Lehrer Emanuel Nathan in Hamm hat eine Agentur für das
Institut zur Förderung der israelitischen Literatur übernommen (1860)
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 20. März 1860: "Herr Emanuel Nathan, Religionslehrer
in Hamm im Kanton Osthofen in Rheinhessen, hat eine Agentur für
das Institut zur Förderung der israelitischen Literatur
übernommen.
Dr. Philippson." |
Positive Prüfung der Religionsschule unter Lehrer
Eisenheimer (1901)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. April 1901: "Aus
dem Kreise Worms. Dass unsere Religionsschulen in ihrer äußeren Stellung
und in ihrem Verhältnisse zur amtlichen Schulbehörde, wenn auch ein
langsames Tempo, aber immerhin Fortschritte machen, bezeugt der Umstand,
dass am 27. März mit dem Herrn Rabbiner Dr. Stein mehrere
Mitglieder der Großherzoglichen Kreisschulkommission, darunter Herr
Inspektor Prof. Dr. Karg, sowie der christliche Schulvorstand in Eich, die
Religionsschule des Herrn Lehrers Eisenheimer zu Eich (Filiale zu Gimbsheim) prüften und sich lobend über das Resultat aussprachen. Es
wäre zu wünschen, dass das Verhalten der Wormser Kreisschulkommission
zahlreiche Nachahmung finde." |
Bildung eines Unterrichtsbezirkes mit Alsheim und Gimbsheim (1904)
Artikel im
"Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 5. Februar 1904: "Worms. Das Großherzogliche Ministerium plant die definitive Anstellung
israelitischer Religionslehrer, welche ein den Volksschullehrern gleiches
Gehalt beziehen und dieselben Rechte genießen sollen, sobald sie wöchentlich
20 Stunden Religionsunterricht erteilen. Die nötigen Mittel sollen von
den Gemeinden, die zu dem betreffenden Bezirk gehören, aufgebracht
werden. An die Vorstände der israelitischen Gemeinden des Kreises Worms
ist bereits der ausgearbeitete Plan gesandt worden. Nach ihm sind die
Gemeinden in vier Unterrichtsbezirke eingeteilt und zwar: 1. Alsheim,
Gimbsheim, Eich und Hamm; 2. Osthofen,
Rheindürkheim, Herrnsheim, Abenheim und
Gundheim; 3. Hessloch, Monzernheim, Eppelsheim, Gundersheim und
Westhofen; 4. Monsheim,
Hohen-Sülzen, Nieder-Flörsheim,
Wachenheim, Mölsheim, Pfeddersheim
und Pfiffligheim. Die Gemeinden Heppenheim
a.d.W. und Offstein sollen der Gemeinde Worms zugeteilt werden. Bis
zum 1. Februar müssen die Gemeinden dem Kreisamte Worms Bericht erstattet
haben." |
Berichte zu einzelnen Personen
aus der Gemeinde
Zum Tod von Siegmund Haas (1893)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Mai 1893: "Worms.
Vor kurzem ist der stud.phil. Siegmund Haas von Eich bei Worms, ein
braver, frommer, edler Mensch, gestorben. Mit ungemeinem Fleiße hatte er
sich bei Herrn Rabbiner Dr. Stein und Lehrer Rothschild dahier für den
Rabbinerberuf vorbereitet, und trat dann in das Rabbinerseminar zu
Breslau. Hier, wie auch schon in Worms, entwickelte sich sein religiöser
Sinn derart, dass er es mit der Erfüllung religiöser Pflichten bis ins
Kleinste ungemein genau nahm. Doch das angestrengte Studium warf ihn auf
das Krankenlager, sodass er ein ganzes Jahr den ferneren Studien entsagen
musste. Scheinbar wieder hergestellt, nahm er seine Studien wieder auf,
bis er selbst einsah, dass seine gefährdete Gesundheit eine Fortsetzung
seiner rabbinischen Tätigkeit unmöglich mache. Nachdem er in Darmstadt
als Einjähriger gedient, bezog er die Universität Heidelberg, um hier moderne
Philologie zu studieren. Auch hier setzte er das Talmudstudium fort. Ein
Leiden, das er sich aller Wahrscheinlichkeit nach beim Militär zugezogen
hatte, war schuld, dass dieser brave fromme Mensch, der zu großen
Hoffnungen berechtigte, im Alter von 26 Jahren seine edle, reine Seele
aushauchte. Unter großer Beteiligung von nah und fern fand in Osthofen
seine Beerdigung statt. Möge der Allmächtige den schwer geprüften Vater
und die ihm in inniger Liebe verbundenen Geschwister und Verwandten in
ihrem Schmerze aufrichten! Rschd." |
Auszeichnung für den Vorsteher der Gemeinde Juda Guthmann
(1898)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. Dezember 1898:
"Der Vorsteher der israelitischen Religionsgemeinde zu Eich, Juda
Guthmann, hat vom Großherzog anlässlich dessen Geburtstages das
allgemeine Ehrenzeichen für langjährige treue Dienste erhalten." |
Zum Tod des Kaufmanns Isak Haas (1902)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. Januar 1902:
"Eich, 23. Januar (1902). Selten dürfte die Toleranz zwischen Juden
und Andersgläubigen in einer Dorfgemeinde derart zur Geltung kommen, wie
dies am Sonntag hier geschah. Mehrere Hundert von Personen - fast
sämtliche hiesige Nichtjuden und viele von dem Umkreise - hatten sich
hier eingefunden, dem im 53. Lebensjahre verstorbenen Kaufmann Isak Haas
das letzte Geleite zur ewigen Ruhe zu geben. Am Sterbehaus hielt Herr
Rabbiner Dr. Grünfeld - Bingen, der Herrn Dr. Stein vertrat, eine wohl
durchdachte, mit den schönsten Worten der Tora gewürzte Trauerrede. Er
rühmte die vielen Tugenden, die der Verklärte besaß, insbesondere die
Anhänglichkeit zum väterlichen Glauben, seine Redlichkeit und Treue, den
steten Fleiß und seine Anspruchslosigkeit. Nur für das Wohl seiner
Familie habe er geschafft und gewirkt, jedem Menschen mit Rat und in der
Tat nahe gestanden. Der Redner spendete reichen Trost der klagenden Witwe
und den jammernden Kindern. Als der imposante Leichenzug, worunter auch
die freiwillige Feuerwehr, der Soldaten- und Kriegerverein mit schwarz
umflorten Fahnen zu sehen waren, sich in Bewegung setzte, läuteten zu
Ehren des Heimgegangenen sämtliche Glocken. Die Vereine waren in solche
Liebe und Achtung mit dem Verklärten verbunden, dass es ihnen nicht zu
viel war, sich nach dem 2 1/2 Stunden entfernt gelegenen Friedhof in
Osthofen zu begeben.
Am Grabe nahm der Präsident des Kriegervereins vom heimgegangenen
Kameraden, der voll und ganz von 1870 bis 1873 seine Aufgabe löste, tief
gerührt Abschied. Der Kommandant der freiwilligen Feuerwehr dankte dem
Entschlafenen für seine stete Pflichttreue und betonte, ein Mitglied
verloren zu haben, dem das Vereinswesen zu kräftigen, beständig am
Herzen lag.
Der Sarg wurde sodann in das Grab versenkt, und bald bildete sich dessen
Hügel. Lange Zeit noch wird man dieses großen Leichenbegängnisses
gedenken, aber noch länger den Entschlafenen, der in der jüdischen
Gemeinde jahrelang unentgeltlich das Amt eines Rechners versah, im
Gedächtnis behalten. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des
Lebens." |
Zum Tod von Eduard Haas und seiner Schwester
(1903)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 16. Juli 1903: "Eich (Kreis Worms), 14. Juli (1903).
Unsere kleine Gemeinde wurde in der vorigen Woche binnen zwei Tagen in
doppelte Trauer versetzt. Am Montag, den 6. dieses Monats, reiste Herr
Eduard Haas nach Bad Kissingen
zur Kur, abends erlitt er einen Schlaganfall, dem er nach einem Tage
erlag. Der 41 Jahre alt gewordene Mann hatte sich einer besonderen
Beliebtheit und Wertschätzung in hiesiger Gemeinde bei Juden und
Andersgläubigen zu erfreuen, denn stets stand er seinem Nächsten mit Rat
und Tat bei. Sein Leichenbegängnis, das am Freitag stattfand, legte
beredtes Zeugnis davon ab. Ein sehr großer Teil der Gemeinde begab sich
nach dem zwei Stunden entfernten Osthofen,
wohin die Leiche von Bad Kissingen
aus verbracht wurde, um dem Verstorbenen das letzte Geleite zu geben. Aber
auch aus der Ferne waren zahlreiche Bekannte und Freunde herbeigeeilt,
sodass der Leichenzug, in dem mehrere Vereine mit Fahnen sich befanden,
einen imposanten Umfang annahm. Einen Tag später starb die schon längere
Zeit leidend gewesene Schwester des Besagten im 34. Lebensjahre. Am
Sonntag Vormittag wurde sie unter einem zahlreichen Trauergefolge zu Grabe
getragen. Herr Rabbiner Dr. Stein - Worms
hielt ergreifende Trauerreden. Weil man wusste, dass seitens der
Nichtjuden die Beteiligung an der Beerdigung eine sehr große werde, ließ
der evangelische Geistliche den Morgengottesdienst am Sonntag ausfallen.
A.E." |
Todesanzeige für Juda Guthmann (1909)
Todesanzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Januar 1909:
"Freunden und Bekannten die schmerzliche Mitteilung, dass unser
lieber Vater, Schwiegervater, Großvater, Bruder, Schwager und Onkel Herr
Juda Guthmann sanft verschieden ist.
Für die trauernden Hinterbliebenen
Jacob Guthmann.
Eich (Kreis Worms), 20. Januar 1909." |
Aus dem jüdischen Gemeindeleben
Das Ende der jüdischen Gemeinde (1935)
Meldung
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. November 1935:
"Worms. Wie der 'Wormser Zeitung' aus Eich gemeldet wird, ist
dort das letzte Grundstück, das noch in jüdischem Besitz war, 730 qm
Gartenland, in nichtjüdischen Besitz übergegangen. Sämtliche früher in
der Gemeinde ansässigen Judenfamilien sind ausgewandert, zum größten
Teil ins Ausland." |
Sonstiges
Erinnerungen an die Auswanderungen im 19. Jahrhundert:
Grabstein in New York für David Aaron
aus Eich (1834-1898)
Anmerkung: das Grab befindet sich in einem jüdischen Friedhof in NY-Brooklyn.
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Grabstein für "David Aaron
Born in Eich - Germany July 15 1834
Died April 21, 1898" |
Kennkarte
aus der NS-Zeit |
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Am 23. Juli 1938 wurde
durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von
Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht
eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen
Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch"
galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste
Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt.
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv
zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände:
Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV:
Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm.
Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de |
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Kennkarte
der in Hamm
geborenen Sara Lehmann geb. Stahl |
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Kennkarte
(Dieburg 1939) für Sara Lehmann geb. Stahl (geb. 1. März 1881 in
Hamm) |
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Zur Geschichte der Synagoge
Vor dem Bau einer Synagoge war vermutlich bereits ein
Betsaal vorhanden. 1890 konnte eine Synagoge in der Altrheinstraße
erstellt werden. Sie war Zentrum des jüdischen Gemeindelebens bis nach 1933.
Bei der Synagoge handelt es sich um einen quadratischen Backsteinbau mit einer
repräsentativen Eingangsfassade (Ecklisenen, neugotisches Portal mit
Giebelverdachung). Auf dem Giebel befanden sich die Gebotstafeln, die bis heute
erhalten sind.
Nachdem die meisten jüdischen Personen von Eich verzogen waren, wurde das
Gebäude 1936 verkauft. Zunächst wurde das Gebäude als Abstellraum
verwendet (so noch bei Kriegsende 1945), später zu einem bis heute bestehenden Wohnhaus
umgebaut.
Adresse/Standort der Synagoge: Altrheinstraße 20
Fotos
Die ehemalige Synagoge vor
1971
(Quelle: Arnsberg, Bilder s.Lit.;
und Landesamt s. Lit. S.
146)
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Detailansicht
des Westgiebels der ehemaligen Synagoge |
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Die ehemalige Synagoge um
1986
(Quelle: Landesamt s. Lit. S. 145) |
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Die ehemalige
Synagoge
im Herbst 2010
(Fotos: privat,
Aufnahmedatum 3.10.2010) |
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Blick auf den
westlichen Giebel der ehemaligen Synagoge mit dem
Eingangsportal und den Gebotstafeln |
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Die Rückseite
(östlicher Giebel) des
als Wohnhaus genützten ehemaligen
Synagogengebäudes |
Die Gebotstafeln |
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Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
Januar 2016:
Zur Erinnerung an das Schicksal der Familie Heß
in Hamm |
Artikel von Wolfgang Bürkle, Gabriele
Hannah und Hans-Dieter Graf in der "Allgemeinen Zeitung" (Mainz)
vom 27. Januar 2016: "Sturm mit Äxten und Pistolen. NAZI-TERROR.
1938 erlischt jüdisches Leben in Hamm / Das Schicksal der Familie Heß..."
Link zum
Artikel (eingestellt als pdf-Datei) |
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Mai 2016:
Vortrag mit Bezügen zur jüdischen Geschichte in
Eich |
Artikel
von Ulrike Schäfer in der "Wormser Zeitung" vom 8. Mai 2016:
"Berührende Geschichten. Hans-Dieter Graf und Gabriele Hannah
referieren zum Thema 'Altrheingeschichten in der
Nazi-Zeit..."
Link
zum Artikel (kann auch durch Anklicken der Textabbildung
gelesen werden) |
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März 2019: Diskussion um
die Zukunft des Synagogengebäudes |
Verschiedene Beiträge in der "Wormser Zeitung" vom 1. März 2019:
1) Artikel von Pascal Widder: "Der Verfall einer Synagoge..."
2) Interview: "'Kein Geld' ist kein Argument. 'Juden am Altrhein' -
Autor Hans-Dieter Graf über die ehemalige Synagoge und was mit ihr passieren
sollte..."
3) "Schockiert und traurig. Eindrücke von Sanford Jacoby - dem Sohn
des letzten Jungen, dessen bar Mizwa in der Eicher Synagoge gefeiert
wurde..."
Die Beiträge können auch durch Anklicken der Textabbildung gelesen
werden.
Link zum Artikel 1) |
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Juni 2019:
Der Eigentümer des
Synagogengebäudes hält sich nicht an die Vereinbarungen mit der
Kreisverwaltung |
Artikel von Pascal Widder in der "Wormser
Zeitung" vom 19. Juni 2019: " Ehemalige Synagoge verfällt
weiter: Eigentümer hat Vereinbarungen zum Erhalt des denkmalgeschützten
Gebäudes in Eich bislang nicht umgesetzt.
EICH - Mehr als drei Monate ist es jetzt her, dass die WZ über den Zustand
der ehemaligen Synagoge in Eich berichtet hat. Ein Gebäude, dass sich seit
1936, nachdem die Juden aus Eich vertrieben wurden, in Privatbesitz
befindet. Erst wurde es als Lagerraum genutzt, später zu einem Wohnhaus
umgebaut. Es steht in der Altrheinstraße. Und das 1890 errichtete ehemalige
jüdische Gotteshaus ist in keinem guten Zustand. Der ursprüngliche
Backsteinbau ist verputzt als solcher nicht mehr zu erkennen. Die Fassade
mit ihren von Rundbögen überspannten neuromanischen Fenstern hat erkennbar
im Laufe der Zeit gelitten. Auf der Westseite, wo viele Jahre ein
Rundfenster war, klafft seit mindestens 2010 ein großes Loch. Und beim Blick
über das Hoftor, vor der repräsentativen Eingangsfassade mit neugotischem
Portal, lässt sich viel Unrat erspähen. Und das alles bei einem Gebäude, das
unter Denkmalschutz steht.
Bereits im Januar hieß es vonseiten der Kreisverwaltung, dass mit dem
Eigentümer bei einem Besichtigungstermin unter anderem vereinbart worden
sei, dass die Dachrinnen gereinigt und eine Undichtigkeit im Dachbereich
umgehend beseitigt wird. 'Somit wäre zumindest die derzeitige Substanz des
Gebäudes ausreichend gesichert', so eine Kreis-Sprecherin. Außerdem sei bei
der Besichtigung im Dezember festgestellt worden, dass das fehlende
Rundfenster, wenn auch beschädigt, noch existiert und auf dem
dahinterliegenden Dachboden liegt. 'Der Eigentümer sagte zu, die fehlenden
sechs Scheiben zuschneiden zu lassen, einzukitten und das Fenster wieder
einzubauen', hieß es von der Kreisverwaltung. Auch die Anhäufung der
Gegenstände entlang der Gebäudefassaden zu entfernen, sei zugesagt worden.
Ob die Reparatur des Daches, der Einbau des Rundfensters oder auch die
Beseitigung des Unrats: Passiert ist all das bislang nicht. Das bestätigt
die Kreisverwaltung auf erneute Nachfrage. Entsprechende Kontrollen hätten
stattgefunden. Auf die Frage, was dabei konkret festgestellt wurde, heißt es
lediglich: 'Dass das behördliche Verfahren fortgeführt werden muss.' Dabei
wurden dem Eigentümer nach Angaben der Kreisverwaltung Fristen zur
Erledigung gesetzt. Wie diese genau aussehen? Bleibt unklar. Vonseiten der
Kreisverwaltung heißt es dazu lediglich: 'Entsprechend des zu erwartenden
Zeitbedarfs der Erledigung.' Die Frage, wie lange der 'zu erwartende
Zeitbedarf' aussieht, bleibt unbeantwortet. Konkrete Zeitangaben könnten
nicht gemacht werden, 'da der Ablauf wesentlich auch vom Verhalten des
Betroffenen mitbestimmt ist'. Beispielsweise davon, ob er Rechtsmittel gegen
Verwaltungsakte einlegt, was das Verfahren erheblich verzögern könne. Ein
mögliches Zwangsgeld, das in solchen Fällen verhängt werden kann, musste der
Eigentümer jedenfalls noch nicht zahlen. Weitere Nachfragen werden von der
Kreisverwaltung mit dem Hinweis auf den Datenschutz abgeblockt. Gerne hätte
die WZ Kontakt mit dem Eigentümer aufgenommen. Die Versuche blieben
allerdings erfolglos.
Heimathistoriker Hans-Dieter Graf, der sich für den Erhalt der Synagoge
einsetzt, blickt mit Sorge darauf, dass an der Synagoge immer noch nichts
passiert ist. Seinen Infos zufolge hat das auch damit zu tun, dass man dafür
erforderliche Handwerker nicht findet. 'Das versteht man natürlich in den
USA und Israel nicht.' Dort leben viele der jüdische Nachfahren aus dem
Altrheingebiet. So wie Maddie Hanses. Die 20-Jährige war am vergangenen
Wochenende zu Besuch in Hamm und Eich. Sie besichtigte auch die ehemalige
Synagoge. Sah dort die beiden noch existierenden Gebotstafeln auf dem
Giebel, die weiter verwittern. Und mit all dem die letzte sichtbare
Erinnerung an die einst blühende jüdische Gemeinde am Altrhein
verschwindet."
Link zum Artikel (kann auch durch Anklicken der Textabbildung
gelesen werden) |
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September 2019:
Der Eigentümer des
Synagogengebäudes hat die Auflagen umgesetzt |
Artikel
von Pascal Widder in der "Wormser Zeitung" vom 10. September 2019: "Ist
der Verfall damit gestoppt?
Eigentümer der ehemaligen Synagoge in Eich hat Auflagen umgesetzt /
Rundfenster eingebaut, Dach dicht..."
Link zum Artikel (kann auch durch Anklicken der Textabbildung gelesen
werden) |
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November 2019:
Gedenken an den Novemberpogrom
1938 |
Artikel
von Ulrike Schäfer in der "Wormser Zeitung" vom 12. November 2019: "Worte,
die gesagt werden müssen. Bei Pogrom-Gedenkveranstaltung in Eich
erzählen Nachfahren geflüchteter Juden ihre Familiengeschichten.
EICH - Es war die erste Veranstaltung zum Gedenken an die Pogrome am
Altrhein überhaupt. Und die war so beeindruckend, dass die vielen Menschen
im evangelischen Gemeindehaus sie wohl so bald nicht wieder vergessen
werden. Die gut zweistündige Begegnung 'gemeinsam erinnern – gemeinsam
gestalten' war auf Betreiben des Amerikaners Prof. Dr. Sanford Jakoby, der
aus einer vertriebenen jüdischen Familie aus Eich stammt, und dem
Autorenteam des Buches 'Die Juden vom Altrhein' zustande gekommen.
Ortsbürgermeister Klaus Willius berichtete, wie tief ihn der Satz Ernst
Kahns 'Nicht wir haben Eich verlassen, die Eicher haben uns verlassen',
getroffen habe. Herzlich dankte er Jakoby für seine versöhnliche Initiative
und bat die jüdischen Nachfahren um Verzeihung. Für den Gedenktag hatte er
sogar vor dem Rathaus neben der deutschen die israelische Flagge hissen
lassen. Gabriele Hannah, die mit ihrem Bruder Hans-Dieter Graf und dessen
Frau Martina in den vergangenen Jahren die Geschichte der Juden vom Altrhein
erforscht und Kontakt mit ihren Nachfahren aufgenommen hat, hatte für die
Veranstaltung eine berührende Fotoschau mit alten Bildern zusammengestellt.
'Wir möchten die Eicher Juden wieder in unsere Mitte zurückholen', bekannte
sie. Hans-Dieter Graf berichtete über die Ereignisse am 10. November 1938 am
Altrhein. In Eich gab es zu diesem Zeitpunkt keine Juden mehr; sie hatten
das Dorf 1936 verlassen, ihre Häuser und die Synagoge verkauft. Doch die
Nazis wüteten an diesem Tag in Hamm und kamen später nach Gimbsheim, wo sie
die Wohnung der Familie Hess verwüsteten und die Frauen quälten. Die heute
91-jährige Alma wollte sich damals vor Verzweiflung das Leben nehmen, doch
ihre Mutter hielt sie davon ab. Dieser Tag habe das Schicksal der Juden im
Altrhein besiegelt, beendete Hans-Dieter Graf seinen Vortrag. 'Sie
flüchteten in die Städte, wo sie der Deportation nicht entkamen, oder
konnten nach Amerika emigrieren.' Auch Sanford Jacobys Vorfahren flohen ab
1936 nach New York. Seine Verwandten hätten sich oft an die gute alte Zeit
erinnert, über die dunklen Seiten hätten sie lange geschwiegen. Schon früh
habe es in den Altrheingemeinden Nationalsozialisten gegeben. Jacoby nannte
Beispiele, wie die ehedem gut integrierten jüdischen Familien ausgegrenzt
und misshandelt wurden. Doch blieb er nicht bei dieser Schilderung stehen:
Er forderte die Anwesenden auf, Brücken zu den Nachkommen der jüdischen
Eicher zu bauen, und sprach die Hoffnung aus, dass die Synagoge, heute in
Privatbesitz und von Verfall bedroht, dauerhaft erhalten werden könne.
Rainer Haas, der heute im Vaterhaus Sanford Jakobys wohnt, berichtete von
der ersten Begegnung mit dem Professor im vergangenen Jahr. 'Wir sind
richtige Freunde geworden', sagte er bewegt und überreichte Jakoby eine
Fahne mit dem Wappen der Ortsgemeinde Eich. 'Ich hoffe, dass du die während
unserer Kerb in deinem Garten hisst', sagte Haas. 'Und vielleicht auch zum
Feuerwehrfest.' Haas versicherte zudem: 'Die Geschichte der Synagoge wird
weitergeschrieben.' Bestürzt äußerten sich zudem der evangelische Pfarrer
Markus Kuhnt und Verbandsbürgermeister Maximilian Abstein über die
zunehmende antisemitische Stimmung in Deutschland. 'Ist das noch mein
Land?', fragte Kuhnt in die Runde. Schließlich verlas Martina Graf noch ein
zu Herzen gehendes Grußwort von Margot Marx-Nathan, die aufgrund ihres
Alters nicht anwesend sein konnte. Gegen Ende der Veranstaltung trug Sanford
Jakoby, begleitet von der Musikerin Almut Schwab, das liturgische Lied 'Anim
Zemirot' vor. Es war vor mehr als 80 Jahren zum letzten Mal in Eich gesungen
worden."
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Textabbildung gelesen werden) |
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Kommentar von Andrea Seibel in der Zeitschrift "Die Welt" vom 10. November
2019: "Rückkehr der Altrheinjuden.
Dieser Abend schwingt nach. Er will nicht aus meinem Kopf und meinem Herzen
gehen. Am 10. November gedachte man wie an vielen Orten in Deutschland auch
hier der Pogrome des 9. November 1938, in einem Örtchen namens Eich, in
Rheinhessen gelegen, zwischen Worms und Alzey. Hier, so wie im Nachbarort
Hamm (dem Geburtsort der Autorin) hatten in den umliegenden Dörfern über
Jahrhunderte Landjuden gelebt. Sie waren meist Viehhändler oder gingen
anderem Kleingewerbe nach. Sie wurden von den Nazis verjagt, vertrieben und
viele von ihnen ermordet. Gabriele Hannah, Hans-Dieter und Martina Graf
haben alle Dokumente akribisch in einem Band 'Die Juden vom Altrhein'
zusammengetragen. Der Familie von Sanford Jacoby gelang die Flucht nach
Amerika. Sein Vater Otto war einer der letzten Jungen, die in der Synagoge
von Eich ihre Bar Mitzwa gefeiert hatten. Eich hat kein Pogrom erlebt, es
war schon 1936 'judenrein'. Doch es geht nicht nur um die Synagoge, die
seither in Privatbesitz ist und als Wohnhaus genutzt wird und die Jacoby
gerne als Begegnungs- und Erinnerungsstätte umgewidmet sähe. Seiner
unermüdlichen Spurensuche, seiner Kontaktfreude und Sehnsucht nach der
gestohlenen Heimat der Eltern und Großeltern ist wohl auch das
Zustandekommen dieses Abends zu verdanken. Der evangelische Gemeindesaal
platzte aus allen Nähten, als die Veranstaltung 'Gemeinsam erinnern –
gemeinsam gestalten' begann. Es waren Nachfahren der Altrheinjuden anwesend,
ganz alte Eicher, Kinder damals, dann die nach dem Krieg Geborenen und ja,
auch Kinder und Jugendliche. Es wurden historische Fotos an die Wand
projiziert. Mehrfach fiel der Satz: 'Nicht die Juden haben Eich verlassen,
sondern Eich hat die Juden verlassen.' Und als Sandy Jacoby, nachdem er
seine Familiengeschichte erzählt hatte, Anim Zemirot von Jehudah he Hassid
auf Hebräisch sang, war klar, dass dieser Abend nicht nur Gedenken war,
sondern der Gegenwart und Zukunft gewidmet. Dem Antisemitismus, der wieder
sein Haupt erhebt, Wachsamkeit und Mitmenschlichkeit entgegenzusetzen, muss
als Bürgerpflicht in einer Demokratie selbstverständlich sein. Die Zeit der
Untertanen und Mitläufer ist vorbei, aber die Anstrengung, als Mensch
geachtet und frei zu leben, bleibt. Dass zum Ende die Anwesenden das
wunderbare Lied 'Die Gedanken sind frei' sangen, ist noch so ein
choreographisches Wunder. Die Inbrunst ließ erschauern. Sprichwörtlich
bebten die Wände. Was die beiden Polizisten, die im Vorraum Wache hielten,
wohl dachten?"
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der Textabbildung gelesen werden) |
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Artikel von Pascal Widder in der "Wormser
Zeitung" vom 20. November 2019: "Sanford Jacoby blickt auf
Gedenkveranstaltung in Eich zurück
Anfangs hatte der jüdische Nachfahre Sorge, dass kaum einer zur
Gedenkveranstaltung an die Reichspogromnacht am Altrhein kommen würde. Dass
es anders kam, hat Jacoby tief berührt.
EICH - Die Gedenkveranstaltung in Eich vor eineinhalb Wochen anlässlich der
Reichspogromnacht am Altrhein vor 81 Jahren war eine ganz Besondere. Auch,
weil sie vom jüdischen Nachfahren Sanford Jacoby, dessen Eltern 1936 aus
Eich vor den Nazis in die USA flohen, mitinitiiert wurde. Wir haben mit dem
Professor aus Kalifornien über seine Eindrücke gesprochen.
Herr Jacoby, haben Sie mit so vielen Teilnehmern gerechnet? Anfangs
hatte ich große Angst, dass nur wenige kommen. Aber je näher das Event
rückte, desto optimistischer wurde ich. Doch so viele Menschen habe ich nie
erwartet. Das hat mich sehr gefreut und tief berührt. Ich glaube, der Abend
war für jeden eine starke Erfahrung und hoffe, dass es von nun an regelmäßig
Gedenkveranstaltungen zur Reichspogromnacht am Altrhein geben wird.
Fühlten Sie sich und die anderen jüdischen Nachkommen willkommen in Eich?
Es haben noch drei andere Familienmitglieder teilgenommen, die alle in
Deutschland leben. Deshalb waren deren Gefühle sicher nicht die gleichen wie
meine. Ich habe mich willkommen gefühlt von den Leuten, die an der
Veranstaltung teilgenommen haben. Sie waren hochaufmerksam und man konnte
ihre tiefe Ergriffenheit spüren. Die Aufmerksamkeit für die Redner, die
emotionale Rede von Ortsbürgermeister Willius, das von Herzen gesungene 'Die
Gedanken sind frei' – das waren Zeichen, dass wir jüdischen Nachkommen
willkommen sind in Eich. Morgens hatte Ortsbürgermeister Klaus Willius die
israelische Flagge vor dem Rathaus hissen lassen ... Das war tief bewegend.
Den Davidstern langsam im Wind des Altrheins wehend zu sehen, vermittelte
gemeinschaftliche Unterstützung und öffentliche Anerkennung. Ich werde Herrn
Willius für seine Aufmerksamkeit immer dankbar sein.
In seiner Rede hat Willius um Verzeihung gebeten. Was bedeutet das den
Juden mit Verbindungen an den Altrhein? Ich kann nicht für die
ehemaligen Bewohner sprechen, von denen nur noch sechs leben. Ich weiß, dass
jeder von ihnen unterschiedliche Haltungen und Empfindungen hat. Dasselbe
gilt für die Nachfahren. Ich kann nur für mich sprechen. Und ich glaube an
die Kraft der Reue und des Vergebens. Höchstwahrscheinlich fühlen sich
manche der Teilnehmer der Veranstaltung reuig. Sie haben ein Gefühl der
Verantwortung. Was genau meint es für einen 20-jährigen Deutschen, um
Verzeihung zu bitten? Das ist abstrakt und vielleicht unrealistisch. Ich
denke, das bessere Wort ist Verantwortung. Und ich rede von der
Verantwortung aller Deutschen, ob deren Vorfahren Nazis waren oder nicht.
Die ehemaligen jüdischen Altrheinbewohner konnten altersbedingt nicht am
Event teilnehmen. Was werden Sie ihnen berichten? Vier der ehemaligen
Bewohner sind meine Cousins und Cousinen. Ich werde Fotos, Videos, Artikel
und Anekdoten mit ihnen teilen, ohne zu kommentieren. Meine Interpretationen
des Events wären möglicherweise nicht dieselben wie ihre. Sie tragen
Erinnerungen mit sich von dem, was am Altrhein nach 1933 passiert ist. Ihre
Leben sind vernarbt von Schmerz, Verrat und Verlust. Die Erinnerungen sind
eine Mischung aus dem Schlechtem und dem Guten. Aber die Kombination ist für
jeden anders. Das Schlechte hat manches Gute verdrängt und vielleicht auch
für immer gelöscht. Die Vergangenheit hat bei jedem Wunden hinterlassen. Ich
frage mich allerdings, ob es für die ehemaligen Bewohner bitter ist, dass
erst jetzt um Verzeihung gebeten wird. Man könnte 'besser spät als nie'
sagen, aber sie lebten 75 Jahre ohne ein offizielles Eingeständnis des
Leids, das sie erdulden mussten. Diese 75 Jahre lange Lücke ist ein Unrecht,
das nie rückgängig gemacht werden kann. Für die nächsten 75 Jahre tragen die
Bewohner eine Verantwortung, nicht nur an die Vergangenheit zu erinnern,
sondern auch die verlorene Zeit nachzuholen. Ihre Kinder müssen lernen, wer
die Altrheinjuden waren und wie sie in der dunkelsten Zeit behandelt wurden.
Als ich einen 19-jährigen Eicher fragte, was er in der Schule über die
lokale jüdische Geschichte gelernt hat, sagte der: 'Nichts.' Ich finde das
verstörend.
In Ihrer Rede fragten Sie auch: 'Wie können wir gemeinsam die
menschlichen Brücken wieder aufbauen, die von den Nazis zerstört wurden?'
Was meinen Sie, wie kann das funktionieren?
Die, die heute in Deutschland leben, müssen den ersten Schritt machen. Es
muss viel gemacht werden, aber die Agenda sollte nicht von jemandem gesetzt
werden, der in Kalifornien lebt. Das Rad braucht nicht neu erfunden zu
werden, vielmehr muss es angepasst werden. Und Räder in Bewegung zu setzen
ist nicht nur die Verantwortung der VG Eich. Die Politik – ob regional,
landesweit oder bundesweit – hat die Pflicht, kleinen Orten zu helfen, einen
effektiven Weg zu finden, um zu erinnern, zu lehren und zu handeln. 1933
lebte ein Drittel der deutschen Juden in kleinen Orten wie denen am
Altrhein. Wir dürfen die Landjuden nicht vergessen.
Wann möchten Sie wieder nach Eich zurückkommen? Ich plane nach Eich –
und an andere Orte, an denen meine Familie gelebt hat – in naher Zukunft
zurückzukehren. Ich bin vorsichtig optimistisch, dass das Rad der
Erinnerung, des Lernens und der Taten begonnen hat, sich zu drehen, wenn ich
zurückkomme. Ich habe viele gute Leute getroffen, die heute in den
Altrheindörfern leben. Ich mag zwar manchmal pessimistisch sein, aber diese
guten Leute geben mir Hoffnung für die Zukunft. Das Interview führte Pascal
Widder. "
Link zum Artikel |
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Links:
Bericht von Roland Bonk im Gemeindebrief der evangelischen Kirchengemeinde
Eich in Rheinhessen "de Giggel" Nr. 56 Dezember 2019/Februar 2020
(Gemeindebrief online:
https://evangelisch-eich.de/wp-content/uploads/Giggel_2019_Nr_56_HP.pdf)
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Frühjahr 2020:
Bericht von Sanford Jacoby in
einem Gemeindebrief der Evangelischen Luthergemeinde Mainz
|
Artikel in: Alles in Luther.
Gemeindebrief der Evangelischen Luthergemeinde Mainz - April bis Juli 2020:
Sanford Jacoby: "Ich fürchte, Thüringen und andere Vorfälle sind
Vorboten, dass der Konsens, der seit dem Krieg galt, zerbricht..."
Beitrag eingestellt als pdf-Datei
Den ganzen Gemeindebrief (mit verschiedenen Beiträgen zum Verhältnis
zwischen Christentum und Judentum kann man lesen über die Website der
Evangelischen Luthergemeinde Mainz:
Gemeindebrief 2-2020 |
Links und Literatur
Links:
| Website der VG
Eich |
| Presseartikel von Hans-Dieter Graf und Gabriele Hannah
über den Besuch von Otto Jacoby 1945 in Eich
und Osthofen:
'Einige Dinge in Ordnung gebracht' (Allgemeine Zeitung, 08.05.2015)
(auch als pdf-Datei
eingestellt) |
| Presseartikel von Gabriele Hannah und Hans-Dieter Graf über "Howard Kahn aus Israel erinnert
zum 9. November an die rheinhessische Herkunft seiner jüdischen
Familie"
Howard Kahn aus Israel erinnert zum 9. November an die rheinhessische Herkunft seiner jüdischen Familie (Allgemeine Zeitung, 09.11.2016)
Anmerkung zu den obigen Presseartikeln:: Der Viehhändler Joseph Kahn betrieb
in Eich bis 1936 eine Viehhandlung, seine Frau Paula einen kleinen
Laden. In der NS-Zeit waren sie zur Aufgabe ihres Besitzes gezwungen, den
sie weit unter Wert verkaufen mussten. Zusammen mit ihren beiden Kindern Ernst
und Gertrude zogen sie 1936 zunächst nach Frankfurt, von hier aus im
Frühjahr 1937 in die USA. Der Sohn von Ernst Kahn ist Howard Kahn.
Dieser hat mit seiner Frau Miriam im Sommer 2016 den ehemaligen Heimatort
seiner Großeltern besucht und wurde u.a. durch den Eicher
Ortsbürgermeister Klaus Willius empfangen.
Kahns Großcousin Sanford Jacoby hat bereits einige Monate zuvor mit
seiner Cousine Elvera Joseph der Gemeinde Eich einen Besuch
abgestattet. Jacobys Vater Otto Jacoby und Kahns Vater Ernst Kahn
waren die letzten Jungen, die in der Eicher Synagoge ihre Bar Mizwa
feierten. Die Väter von Jacoby und Kahn, dessen Tante sowie die Mutter von
Elvera Joseph, Hilde Forst, hatten in Eich zusammen die Schulbank
gedrückt.
Ernst Kahn und Gertrude Kahn-Halberstadt sind 2016 die letzten noch lebenden
in Eich geborenen früheren jüdischen Einwohner.
Ergänzender Hinweis von Sanford Jacoby (November 2017): In Chicago
lebt noch Margot Marx geb. Nathan, geb. 1924 in Köln. Sie verzog von Köln 1929
nach Eich, woher ihre Familie stammte. Ihr Mutter war Anna Nathan geb.
Guthmann. |
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 151. |
| ders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder -
Dokumente. S. 47. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 62-63. |
| Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz/Staatliches Konservatoramt
des Saarlandes/ Synagogue Memorial Jerusalem (Hg.): "...und dies
ist die Pforte des Himmels". Synagogen in Rheinland-Pfalz und dem
Saarland. Mainz 2005. S. 144-145 (mit weiteren Literaturangaben). |
| Gabriele Hannah und Hans-Dieter Graf: Aron
Salomon (1861-1942) - der letzte israelitische Religionslehrer am Altrhein.
In Heimatjahrbuch 2022. Landkreis Alzey Worms. S. 140 – 143.
Eingestellt als pdf-Datei. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Eich
Hesse. Established in the 18th century, the community numbered 40 (2,1 %
of the total) in 1910. By 1937 all the Jews had left.
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