Eingangsseite
Aktuelle Informationen
Jahrestagungen von Alemannia Judaica
Die Mitglieder der
Arbeitsgemeinschaft
Jüdische Friedhöfe
(Frühere und bestehende) Synagogen
Übersicht: Jüdische Kulturdenkmale
in der Region
Bestehende jüdische Gemeinden
in der Region
Jüdische Museen
FORSCHUNGS-
PROJEKTE
Literatur und Presseartikel
Adressliste
Digitale Postkarten
Links
| |
zurück zur Übersicht "Synagogen in der Region"
zurück zur Übersicht "Synagogen in Hessen"
Zur Übersicht
"Synagogen im Kreis Gießen"
Allendorf (Lumda) (Kreis
Gießen)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Allendorf bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1942. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts
zurück. Bereits im 16. Jahrhundert lebten Juden am Ort: in den
1540er-Jahren ließ sich in Griedel die
Familie des Josef aus Allendorf an der Lumda nieder. 1770 gab es sechs jüdische Familien am Ort. Eine selbständige
jüdische Gemeinde bestand seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die Zahl der jüdischen Einwohner entwickelte sich im 19. Jahrhundert
wie folgt: 1825 65 jüdische Einwohner, 1861 70 (6,0 % von insgesamt 1.157
Einwohnern), 1880 84 (7,5 % von 1.120), 1895 91 (8,1 % von 1.120), 1900
81, 1905 86 (7,6 % von 1.125), 1910 73 (6,2 % von 1.177). Unter den jüdischen
Gewerbetreibenden gab es vor allem Viehhändler, Getreidehändler und
Manufakturwarenhändler. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es
mehrere für das wirtschaftliche Leben in der Stadt wichtige jüdische
Handlungen und Läden.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule, ein rituelles Bad und ein
Friedhof. Zur Besorgung religiöser
Aufgaben der Gemeinde war ein Religionslehrer angestellt, der zugleich als
Vorbeter und Schochet tätig war. 1889 wurde die Stelle gemeinsam mit der
Gemeinde Treis a.d. Lumda ausgeschrieben (siehe Anzeige unten), 1891 erfolgt die
Ausschreibung allein für Allendorf. Die Gemeinde gehörte zum
Liberalen Provinzialrabbinat in Gießen.
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Felix Spier (geb.
23.5.1895 in Leidenhofen, gest. an der Kriegsverletzung 9.3.1919). Außerdem
sind gefallen: Sally Weinberg (geb. 31.12.1896 in Allendorf a.d. Lumda, vor 1914
in Gießen wohnhaft, gef. 21.3.1917) und Max Stiebel (geb. 15.7.1893 in
Allendorf a.d. Lumda, vor 1914 in Grevenbroich wohnhaft, gef. 21.11.1916).
Um 1924, als 57 jüdische Einwohner gezählt wurden (4,75 % von etwa 1.200
Einwohner), waren die Vorsteher der Gemeinde L. Liebermann, M. Rosengarten und
F. Grünewald. Als Schochet war Lazarus Liebermann tätig. Den
Religionsunterricht der damals sieben jüdischen Kinder erteilte Lehrer Plaut.
Anmerkung: möglicherweise war nach Lehrer Plaut noch ein Lehrer Ascher Mai
tätig; Arnsberg II S. 148 berichtet in der Darstellung zu Nordeck,
allerdings ohne konkrete Jahresangabe: "als Vorbeter kam Ascher Mai aus
Allendorf".
1933 wurden noch 55 jüdische Einwohner am Ort gezählt (4,0 % von 1.362
Einwohnern). In
den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Bereits im November 1933
brüstete sich die Stadt damit, dass der traditionelle Vieh- und Krämermarkt,
der Nikelsmarkt, als erster "judenfreier Markt" abgehalten werden
würde. Zwischen 1935 und 1942 konnten 12 Personen in die USA emigrieren, zwei
nach Südamerika, je eine Person nach Holland und Palästina. Andere verzogen
innerhalb von Deutschland. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Inneneinrichtung
der (bereits verkauften) Synagoge völlig zerstört; gleichfalls wurden die
Wohnungen jüdischer Familien zerstört (siehe Bericht unten). 1939 wurden noch
30 jüdische Einwohner gezählt. Am 14. September 1942 wurden die noch in Allendorf verblieben
27
letzten jüdischen Einwohner deportiert. Die jüdischen Einwohner waren zur
Deportation auf der Marktstraße zusammengetrieben worden. Sie wurden nach
Theresienstadt, Treblinka und Auschwitz deportiert und ermordet.
Hinweis: eingestellt ist die 1962 vom Bürgermeisteramt Allendorf an der Lumda
für den International Tracing Service (Internationaler Suchdienst) in Arolsen
erstellte Liste der 1933 in Allendorf lebenden jüdischen Personen und ihrer
weiteren Geschichte:
Liste
aus Allendorf an der Lumda (pdf-Datei mit 61 Namen).
Von den in geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945", verglichen mit den Angaben nach Heimatgeschichtlicher Wegweiser s.Lit.): Ida
Bauer geb. Joseph (1889), Hermann Glück (1887), Lina (Lilly) Glück geb. Fuld
(1891), Arthur Grünewald (1908), Lilli Grünewald geb. Simon (1909), Anni Isenberg (1924), Gustine
Isenberg geb. Kugelmann (1889), Moritz Isenberg (1888), Ruth Isenberg (1922),
Rosa Jonas geb. Stiebel (1881), Karoline Joseph geb. Weinberg (1857), Emma Levi
geb. Stiebel (1877), Anna
Manela geb. Körper (1895), Heinz Manela (1930), Martin Manela (1928), Siegbert
Manela (1926), Adele Marburger geb. Spier (1897), Margot Mildenberg (1924),
Minna Mildenberg geb. Spier (1893), Johanna Plaut (1906), Rosa Plaut geb.
Stiebel (1879), Emma Pulfer geb. Joseph (1890), Adolf Reinberg (1884), Rosa
Reinberg (1863), Minna Rosenbaum geb. Liebermann (1867), Arthur Rosengarten (1901),
Julie Rosengarten geb. Joseph (1868), Max Rosengarten (1878),
Sette (Setta, Settchen) Rosengarten geb. Grünewald (1871), Lina (Mina)
Rothschild geb. Weinberg (1868), Gerd Schloss (1930), Clara (Klara)
Schloss geb. Rosengarten (1903), Walter Schloss (1900), Berta Simon geb. Stiebel
(1895), Johanna Simon geb. Joseph (1882), Flora Stiebel (1883), Betty Strauß
geb. Preuß (1892), Abraham Weinberg (1863), Betty Weinberg geb. Simon (1884), Fritz Weinberg
(1910), Hedwig Weinberg (1919), Hermann Weinberg (1874), Hermann (Herz) Weinberg
(1874), Hilde Weinberg geb. Striebel (1889), Jakob
Weinberg (1883), Jette (Jettchen) Weinberg geb. Schwalm (1877), Julius Weinberg
(1901).
Die Recherche zu Allendorf ist bei Yad Vashem mit großen Schwierigkeiten
verbunden, da zwischen den "Allendorfs" (u.a. Allendorf/Eder, Bad
Sooden-Allendorf, Stadtallendorf) nicht ausreichend differenziert
wird.
Auf dem jüdischen Friedhof erinnert seit Juli 1988 ein Gedenkstein
mit einer Bronzetafel an die frühere jüdische Gemeinde und ihre
Mitglieder. Zu den 2014/15 aufgestellten Gedenktafeln am Rosenplatz siehe
unter "Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte"
Bei Abraham Weinberg handelt es sich um den langjährigen Lehrer der
jüdischen Gemeinde in Bürgel, der 1942 mit
seiner Frau in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurde, wo er umgekommen ist
(seine Frau überlebte Theresienstadt und wandert nach 1945 in die USA aus).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Lehrers / Vorbeters / Schochet 1889 / 1891
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. Juni 1889:
"Durch Versetzung unseres Lehrers ist die Stelle als Religionslehrer,
Vorbeter und Schochet pr. sofort wieder zu besetzen. Gehalt 750 Mark nebst
freier Wohnung.
Treis a. L. und Allendorf, 9. Juni 1889.
Der Vorstand
Markus Hammerschlag. Simon Liebermann". |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Januar 1891:
"Die hiesige Lehrer-, Chasan- und Schochetstelle ist baldigst zu
besetzen. Fixes Gehalt 750 Mark nebst freier Wohnung und ca. 200 Mark
Nebeneinkünfte. Demjenigen, welcher die Stelle erhält, werden die
Reisekosten vergütet. Gefällige Offerten sind an den Unterzeichneten
einzureichen. Allendorf a.d. Lumda. Der Vorstand Simon Liebermann." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Juli 1891: "Die
Gemeinde Allendorf an der Lumda sucht einen seminaristisch gebildeten
Lehrer (ledig) zum sofortigen Eintritt. Fixes Gehalt 7-800 Mark nebst
freier Wohnung und ca. 200 Mark Nebenverdienste. Bewerber wollen sich
gefälligst an den Unterzeichneten wenden.
Der Vorstand: Simon Liebermann." |
Aus dem jüdischen Gemeindeleben
Antisemitischer Vorfall 1890
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 26. September 1890:
"In Allendorf an der Lumda, Station Lollar, einem Ort von 1.300
Einwohnern, fanden sämtliche jüdische Familien in dem Weißbrot, welches
die Juden dort am Sonnabend essen, unter der Kruste ca. 10 Stück
abgeschnittene Streichholzköpfchen. Kaufmann Stern aus Nordeck hat die
Sache der Staatsanwaltschaft angezeigt. Der Ort gehört zum Wahlkreis
Pickenbachs und wird fortwährend von antisemitischen Agitatoren
durchzogen." |
|
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. September 1890:
"Aus Oberhessen, Mitte September (1890). Als praktische Folge der
antisemitischen Hetze wird der 'Freis. Zeitung' berichtet, dass in
Allendorf an der Lumda, Station Lollar, einem Ort von 1.300 Einwohnern,
sämtliche jüdische Familien in ihrem 'Berges', Weißbrot, welches die
Juden dort am Sonnabend essen, unter der Kruste respektive unter dem
geflochtenen Berges ca. 10 Stück abgeschnittene Streichholzköpfchen
fanden. Kaufmann Stern aus Nordeck hat die Sache der Staatsanwaltschaft
angezeigt. Der Ort gehört zum Wahlkreis Pickenbachs und wird fortwährend
von antisemitischen Agitatoren durchzogen." |
Bildung eines gemeinsamen Verbandes "Jeschurun" (1905)
Mitteilung
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 14. April 1905:
"Am 26. vorigen Monats wurde aus den Synagogengemeinden Londorf,
Allendorf a.L., Treis a. L.
und Nordeck ein Verband gebildet, der
bezweckt, die idealen Interessen des Judentums zu fördern, und zwar durch
Verbreitung der jüdischen Geschichte und Literatur, durch die Pflege der
Geselligkeit in den einzelnen Gemeinden und durch die Ausübung der
werktätigen Nächstenliebe. Der Verband führt den Namen 'Jeschurun'." |
Berichte zu
einzelnen Personen aus der Gemeinde
Goldene Hochzeit von Joseph Stiebel und Frieda geb.
Rosenberg (1929)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. November 1929:
"Allendorf a. Lumda bei Gießen, 15. November (1929). Am Dienstag,
den 12. November, feierte hier Herr Joseph Stiebel und Frau das Fest der
goldenen Hochzeit. Von fern und nahe waren Verwandte und Freunde
herbeigeeilt, um an dieser seltenen Feier frohen Anteil zu nehmen. Auch
viele andersgläubige Bewohner des Städtchens, unter ihnen der
Stadtpfarrer nebst Gemahlin, bekundeten dem Jubelpaare ihre freudige
Teilnahme. Die Hauptfeier, an der fast alle Gemeindemitglieder teilnahmen,
fand in der Synagoge statt, bei der der Schwager und Bruder des greisen
Ehepaares, Herr Rabbiner Dr. Rosenberg, Berlin, eine Ansprache hielt, auf
die Bedeutung des Tages hinwies und Gottes ferneren Segen auf es
herabflehte. Bei heiterem Festmahl fand dann die Feier im Hause bis in die
späten Nachtstunden ihre Fortsetzung. Möge es dem Jubelpaare, das sich
voller geistiger und körperlicher Gesundheit erfreut, mit Gottes Hilfe
vergönnt sein, auch die diamantene Hochzeit in gleich freudiger Weise zu
begehen." |
|
Ergänzende Dokumente zu
Familie Joseph Stiebel und seiner Frau Frieda geb. Rosenberg (aus LAGIS,
siehe Links unten) sowie zur Tochter Lina (Karolina) verh. Töpfer:
|
Urkunde
zur Eheschließung (am 11. November 1879) des Handelsmannes Joseph Stiebel (geb. 20.
Januar 1856 in Allendorf an der Lumda als Sohn des verstorbenen
Handelsmannes Meier Stiebel und seiner Ehefrau Fehre geb. Berlin) mit
Frieda geb. Rosenberg (geb. 23. Mai 1852 in
Rosenthal als Tochter des Handelsmannes
Jacob Rosenberg und seiner Ehefrau Betti geb. Kaschmann).
|
Rechts: Sterbeurkunden für
Frieda Stiebel geb. Rosenberg (gest. 30. Oktober 1936 in Allendorf an
der Lumda) und für Joseph Siebel (gest. am 19. Dezember 1938 in
Allendorf an der Lumda Die Todesanzeige ist bei Frieda Stiebel
unterschrieben von ihrem Mann Joseph Stiebel, bei ihm von seiner Tochter
Flora Stiebel (geb. 1883, umgekommen nach der Deportation).
|
|
|
Links
Geburtsurkunde für die Tochter Karolina des Ehepaares Viehhändler
Joseph Stiebel und seiner Frau Frieda geb. Rosenberg: Karolina ist geboren
am 8. Januar 1885. |
Rechts: Seite zur
Erinnerung an die Lebensgeschichte von Lina (Karolina) Töpfer geb.
Stiebel verwitwete Hösch, Seite aus Coburg:
https://www.stadtgeschichte-coburg.de/Startseite/archiv/j-juedische-frauen-toepfer.aspx/2061_view-1482/.
Lina war verheiratet mit dem nichtjüdischen Robert Töpfer,
städtischer Angestellter in Coburg. Sie hatte zwei Söhne aus erster Ehe,
einen aus zweiter Ehe. Zwei ihrer Söhne waren in der NS-Zeit in
Zwangsarbeitslagern, zwei ihrer Schwester kamen im KZ um. Auf Grund ihrer
"Mischehe" wurde sie nicht deportiert. Im Juli 1945 versuchte sie, in Coburg
ein Textilgeschäft zu eröffnen, das sie jedoch 1940 aufgeben musste. Sie war
gesundheitlich schwer angeschlagen. Sie starb 1974. |
|
|
Das Ehepaar Joseph Stiebel und
Frieda geb. Rosenberg hatten außer Karolina noch sechs weitere Kinder:
1. Rosa (geb. 22. Oktober 1881 in Allendorf): später verheiratet mit
Julius Jonas, wohnhaft später in Londorf und Frankfurt; 1942 deportiert ab
Darmstadt in das Ghetto Theresienstadt, 1944 ermordet in Auschwitz.
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de?id=888998; im
Archiv Theresienstadt
https://www.holocaust.cz/en/database-of-victims/victim/17378-rosa-jonas/
2. Fanni beziehungsweise Flora (geb. 8. August 1883 in
Allendorf): blieb unverheiratet und wohnte in Allendorf; 1942 deportiert ab
Darmstadt, ermordet vermutlich im Vernichtungslager Treblinka.
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de?id=977775
nach 3. Karolina (siehe oben):
4. Johanna (geb. 3. März 1887 in Allendorf).
5. Blanka (geb. 28. März 1891 in Allendorf).
6. Franziska geb. 15. Juli 1893 in Allendorf).
7. Max (geb. 15. Juli 1893 in Allendorf): er lebte später in
Grevenbroich und ist im Ersten Weltkrieg am 16. November 1916 gefallen (vgl.
http://www.judentum-grevenbroich.de/resources/11-2014+Stattblat+-++Julius+Stern+eine+Frontkämpferbiographie.pdf).
|
Zur Geschichte der Synagoge
Zunächst war ein Betsaal oder eine erste Synagoge
vorhanden. Eine (neue) Synagoge wurden 1844 erbaut beziehungsweise in
einem gekauften Gebäude eingerichtet. Im Gebäude waren vermutlich auch die
Religionsschule und die Lehrerwohnung untergebracht. Beim Synagogengebäude
handelte es sich um ein zweigeschossiges Fachwerkhaus.
Bis 1938 diente die Synagoge als Mittelpunkt des jüdischen Lebens in Allendorf.
Noch vor dem Novemberpogrom 1938 wurde das Gebäude verkauft. Dennoch
wurde beim Novemberpogrom die Inneneinrichtung völlig zerstört.
Über die Vorkommnisse beim Novemberpogrom 1938
liegt folgender Bericht eines Beteiligten vor (zitiert nach
Heimatgeschichtlicher Wegweiser s.Lit. S. 28-29): "Zu Hause angekommen,
erfuhr ich, dass die gesamte Einrichtung und alle sakralen Gegenstände der
hiesigen Synagoge auf die Straße geworfen worden waren. Anschließend brachten
Gemeindebedienstete diese zum Sportplatz, um sie öffentlich zu verbrennen...
Nachdem das Feuer abgebrannt war, erhielten und ich drei weitere SA-Leute vom
Ortsgruppenleiter den Befehl, den örtlichen Juden einen Denkzettel zu
verpassen, an den sie ihr Leben lang denken sollten. Wir rüsteten uns im
Gasthaus Zinner mit Äxten aus und drangen in die Häuser der jüdischen
Familien Stiebel, Glück, Miltenberg, Flora Stiebel, Grünewald, Rosengarten,
Isenberg und Weinberg ein. Ich sagte den anwesenden Juden, sie sollten sich in
die Küche zurückziehen und sich ruhig verhalten. Ihnen persönlich werde nicht
geschehen. Ebenso wurde ihnen zugesagt, dass die Kücheneinrichtungen unversehrt
bleiben würde. Wir zertrümmerten die Einrichtungsgegenstände, schlitzten die
Betten auf und schlugen die Fensterscheiden ein. Im Wohnhaus der Familie Stiebel
zerstörten wir eine große Anzahl Fotoapparate, die in zwei Koffern verpackt
waren und als Startkapital zum Aufbau einer neuen Existenz in Amerika dienen
sollten. Ein größerer Teil der Allendorfer Bürger sag unserem Tun zu, und zum
Teil unterstützten sie uns mit Beifallskundgebungen. Anschließend holten sich
manche Einwohner Gegenstände und Lebensmittel unberechtigterweise aus den
beschädigten jüdischen Häusern."
Die Synagoge wurde vom neuen Besitzer in ein Wohnhaus umgebaut. Seit 1982
befindet sich neben der Eingangstüre eine Gedenktafel. Damals erfolgte
ein Umbau des Gebäudes, verbunden mit einer Instandsetzung des Fachwerks.
Adresse/Standort der Synagoge: Nordecker
Straße 3.
Fotos
(Quelle: links Altaras 1988 S. 80; rechts Stephan
Tscherny aus der Website der Stadt Allendorf an der Lumda)
Das Gebäude der ehemaligen
Synagoge
nach 1945 |
|
|
|
Das ehemalige
Synagogengebäude
(März 1985) |
Das ehemalige
Synagogengebäude
(2002) |
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
2014/2015:
Gedenktafeln zur Erinnerung an die jüdische
Gemeinde und die Opfer der NS-Zeit werden aufgestellt |
Anmerkung: im September 2014 wurden auf dem
Rosenplatz Gedenkstelen für die 27 Allendorfer Juden aufgestellt, die am
14. September 1942 in Vernichtungslager deportiert und dort ermordet
wurden. Im September 2015 wurde zusätzlich eine Tafel aufgestellt, die
über das jüdische Leben in Allendorf/Lumda informiert. |
Artikel in der "Gießener
Allgemeinen" vom 15. September 2014: "Gedenkstelen in
Allendorf am Rosenplatz eingeweiht"
Link
zum Artikel |
Artikel in der "Gießener
Allgemeinen" vom 16. September 2015: "Infotafel über
jüdisches Leben in Allendorf/Lumda eingeweiht"
Link
zum Artikel (von hier aus auch Links zu weiteren Presseartikeln
in der "Gießener Allgemeinen"
2013-2015). |
|
2019:
Publikation zur jüdischen Familiengeschichte ist erschienen
|
Artikel von Markus Bender in der "Gießener
Allgemeinen" vom 26. Juni 2019: " Einst Teil der Gemeinschaft.
Die Arbeitsgemeinschaft Heimatgeschichte hat in Kooperation mit der
evangelischen Kirchengemeinde das 'Familienbuch der Juden in Allendorf an
der Lumda' herausgegeben.
ALLENDORF/LDA - In Allendorf müsse es eine größere jüdische Gemeinde
gegeben haben, vermutete die Offenbacherin Christine Hühn von der
Vereinigung für Hessische Familiengeschichte im Zusammenhang mit den
Arbeiten am Ortsfamilienbuch Allendorf an der Lumda. Sie begann, die Daten
gesondert auszuwerten. Mit Unterstützung der Arbeitsgemeinschaft
Heimatgeschichte Allendorf/Lda. nutzte sie dabei unter anderem die von der
früheren Bürgermeisterei geführten Judenmatrikel im Zeitraum 1822 bis 1875.
Herausgekommen ist am Ende das 'Familienbuch der Juden in Allendorf an der
Lumda', das die Arbeitsgemeinschaft Heimatgeschichte und die evangelische
Kirchengemeinde gemeinsam herausgegeben haben und das erst vor wenigen
Wochen frisch aus der Druckpresse kam.
Werner Heibertshausen, der stellvertretende Vorsitzende der
Arbeitsgemeinschaft Heimatgeschichte, erläuterte die Hintergründe: 'Die Idee
entstand, insbesondere Daten für diese Bevölkerungsgruppe weiter
aufzuarbeiten und den überlebenden Nachkommen des Holocausts in einem
separaten Band verfügbar zu machen.' Heibertshausen weiter: 'Es wurden die
Allendorfer Einträge mit den Datenbanken 'Yad Vashem' und dem 'Gedenkbuch
Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 bis 1942' abgeglichen.'
Zeichen setzen. Man wolle mit dem Band für die jüdischen Mitbürger
und Familien, 'die einst Teil unserer Gemeinschaft und hier beheimatet
waren', ein deutliches Zeichen setzen, formulierte er in seinem Beitrag zu
Beginn des Buches. Das unvorstellbare Unrecht sei nicht wieder gut zu
machen. Doch könne durch die Aufarbeitung der Geschichte ein Weg zu einer
gemeinsamen Zukunft geöffnet werden. In dem etwa fingerdicken Buch werden
die Namen jüdischer Menschen mit verwandtschaftlichen Beziehungen, Geburts-
und Todesdatum und Sterbeort aufgeführt. Das letzte Drittel des kleinen
Werkes enthält aktuellere und historische Fotos, unter anderem von der
Synagoge 1948, mehrerer 'Judenhäuser', vom Viehhändler Max Stiebel oder vom
jüdischen Friedhof. Auf einer beiliegenden CD sind Fotos der Grabsteine auf
dem jüdischen Friedhof jeweils mit Vorder- und Rückseite, also mit deutscher
und hebräischer Beschriftung abgelichtet. Heibertshausen, der die Bilder
erstellt hat, erklärte, dass man auf diese Weise die teilweise verwitterten
Beschriftungen vergrößern und wesentlich besser entziffern könne.
Erinnerung bewahren. Bürgermeister Thomas Benz erklärte, dass man mit
diesem Familienbuch die Erinnerung bewahre und der jüdischen Bevölkerung
Allendorfs ein Gesicht gebe. Extremismus, egal in welcher Form, dürfe nicht
toleriert werden. Er sei überzeugt, dass in Allendorf Toleranz und Respekt
gegenüber anderen Religionen, sexueller Orientierung und anderen Kulturen
vorherrsche, das habe man in der Vergangenheit bewiesen. Die Vorsitzende des
Kulturausschusses, Brigitte Heilmann, sagte, man könne nicht beurteilen, ob
ein Teil der Bevölkerung in Allendorf das Böse nicht habe sehen und die
Untaten der Nazis nicht habe wahrhaben wollen. Auch seien dem Zweiten
Weltkrieg Jahre des 'weitgehenden Schweigens und Verdrängens der Verbrechen'
gefolgt. Sie erinnert in ihrem Beitrag daran, dass 2014 auf dem Rosenplatz
sechs Natursteinstelen zum Gedenken der deportierten Menschen errichtet
wurden. 2015 wurde der Platz zudem mit einer Informationstafel versehen.
Pfarrer Stefan Schröder findet in seinem Vorwort zum Buch klare Worte: '1933
gelang es auch infolge antisemitischer Hetze, Boykottmaßnahmen und
judenfeindlicher Gesetze, die jüdischen Familien ihrer Existenzgrundlagen zu
berauben, (...) zu vertreiben und (...) in die Todeslager zu deportieren und
zu ermorden.' Seit dieser Zeit sei jüdisches Leben in Allendorf erloschen.
Das Buch ist bei der Arbeitsgemeinschaft Heimatgeschichte Allendorf
erhältlich."
Link zum Artikel |
|
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Bei LAGIS finden sich Standesregister der Gemeinde Allendorf an
der Lumda. Bei den Einträgen finden sich auch die jüdischen Geburten, Trauungen,
Sterbefälle aus Allendorf. Online einsehbar sind sie über die Suchfunktion bei
LAGIS
unter "Allendorf an der Lumda"
https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/gsearch/page/1/sn/hadis?q=Allendorf+an+der+Lumda:
- Allendorf an der Lumda, Sterbenebenregister, 1938-1945 (HStAM
Best. 905 Nr. 39)
- Allendorf an der Lumda, Sterbenebenregister, 1896-1905 (HStAM Best. 905
Nr. 35)
- Allendorf an der Lumda, Heiratsnebenregister, 1896-1905 (HStAM Best. 905
Nr. 31)
- Allendorf an der Lumda, Sterbenebenregister, 1926-1938 (HStAM Best. 905
Nr. 38)
- Allendorf an der Lumda, Heiratsnebenregister, 1906-1925 (HStAM Best. 905
Nr. 32)
- Allendorf an der Lumda, Sterbenebenregister, 1876-1895 (HStAM Best. 905
Nr. 34)
- Allendorf an der Lumda, Sterbenebenregister, 1906-1925 (HStAM Best. 905
Nr. 36)
- Allendorf an der Lumda, Geburtsnebenregister, 1876-1895 (HStAM Best. 905
Nr. 29)
- Allendorf an der Lumda, Heiratsnebenregister, 1876-1895 (HStAM Best. 905
Nr. 30)
- Allendorf an der Lumda, Heiratsnebenregister, 1876-1912 (HStAM Best. 905
Nr. 33)
- Allendorf an der Lumda, Sterbenebenregister, 1876-1912 (HStAM Best. 905
Nr. 37).
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 26-27. |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 80. |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 68-69. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 28-29. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 67-68. |
| Christine Hühn: Familienbuch der Juden in
Allendorf an der Lumda. 2019. (vgl. Presseartikel oben) |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Allendorf
an der Lumda Hesse. Established around 1838, the community
numbered 91 (8 % of the total) in 1895. On Kristallnacht (9-10 November
1938) Jewish property was destroyed and by 1939 the Jews had mostly emigrated or
settled elsewhere. The remaining 20 werde deported in 1942.
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
|