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zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Nordstetten (Stadt Horb am Neckar, Landkreis
Freudenstadt)
Jüdische Geschichte / Betsaal/Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In dem vom 17. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts als österreichisches Lehen
der Familie Keller von Schleitheim verliehenen Nordstetten bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1925. Ihre Entstehung geht in das 17. Jahrhundert zurück. Erstmals
wird 1629 ein Jud Auerbacher aus Nordstetten genannt, der in Herrenberg getauft
wird. 1712 wurden durch die Ortsherren Keller von Schleitheim jüdische
Familien aus Hürben
und Kriegshaber
aufgenommen. 1772 wurden 18 jüdische Familien am Ort gezählt.
Noch im 18./19. Jahrhundert lagen fast alle "Judenhäuser" in der Nähe
des Schlosses. 1787 entschieden sich die jüdischen Familien u.a. für folgende
Familiennahmen: Auerbacher, Ochs, Frank, Rothschild, Levi, Ottenheimer, Kahn,
Kuhn, Weil, Gideon (Gidion).
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie folgt: 1807 176 jüdische Einwohner, 1824 240, höchste Zahl um 1846 mit 352
Personen in 72 Familien; 1861 201, 1886 62, 1900 65, 1910 39. Die Zahl ging
seit Mitte der 19. Jahrhunderts überaus stark durch Abwanderung in die Städte
(Horb, Stuttgart usw.) sowie durch Auswanderung nach Nordamerika zurück.
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge, eine jüdische
Schule (Konfessionsschule), ein rituelles Bad und einen Friedhof. Seit 1728
bestand eine Religionsschule. 1810 wurde in einem Teil des ehemaligen Gasthauses
"Zur Sonne" ein Schulzimmer eingerichtet, worin 1822 die erste
israelitische Volksschule Württembergs eröffnet wurde (Gebäude Hauptstraße
30; ab 1840 öffentliche Volksschule). 1844 bezogen die Kinder das dritte
Schulzimmer im 1843 erbauten Dorfschulhaus (Hauptstraße 31). 1878 wurde die öffentliche
jüdische Volksschule aufgelöst, jedoch bis 1906 noch als private jüdische
Konfessionsschule weitergeführt. Zwischen Synagoge und dem 1972 abgerissenen
Gasthaus "Ochsen" befand sich das gleichfalls nicht mehr bestehende
Gemeindehaus (sog. "Kahlhaus", Kahal hebräisch = Gemeinde). In
einem 1586 erbauten alten Wehrturm beim früheren Schloss (heute Rathaus) wurde
ein rituelles Bad eingerichtet ("Judenbad"). Das Tauchbecken ist
erhalten. Die Toten wurden zunächst in Mühringen,
seit 1797 in einem eigenen Friedhof
auf einem Hügel in Richtung Dettensee beigesetzt. Zur Besorgung religiöser
Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und
Schochet tätig war.
Nordstetten war im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts Sitz eines Bezirksrabbinates,
zu dem auch Dettensee und Haigerloch gehörten. Seit 1832 gehörte Nordstetten
zum Rabbinat Mühringen.
Die 1933 noch ansässigen jüdischen Familien lebten überwiegend vom
Viehhandel, doch gehörten auch eine Mazzenbäckerei und eine Zigarrenfabrik jüdischen
Eigentümern. An ehemaligen, bis nach 1933 bestehenden jüdischen Handels- und
Gewerbebetrieben sind bekannt: Fett-, Öl- und Seifenhandlung Siegmund
Auerbacher (Hauptstraße 50/1), Zigarrenfabrik Gebr. Gideon (Fabrikweg 12),
Mazzenbäckerei Leo Rothschild (Fabrikstraße 34/36), Viehhandlung Hermann Weil
(Fabrikweg 3).
1933 wurden noch 12 jüdische Einwohner gezählt. Von ihnen konnten
in den folgenden Jahren sieben auswandern, vier starben vor Beginn der
Deportationen in Nordstetten. Beim Novemberpogrom 1938 war die Synagoge
bereits geschlossen und abgebrochen. In der Nacht wurden die Fensterscheiben der
Wohnungen der letzten jüdischen Einwohner eingeworfen.
Von den in Nordstetten geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen
Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Marie Auerbacher
(1869), Mina Auerbacher geb. Schwab (1888), Sigmund Auerbacher (1869), Mina Bär
geb. Rothschild (1859), Sofie Erlebacher geb. Philipp (1885), Clara Jordan geb.
Rödelsheimer (1880), Ernst Levi (1892), Ludwig Levi (1896), Eugen Rothschild
(1865) Max Rothschild (1886), David Schmal (1870), Karl Schmal (1873), Flora Vooß
geb. Rotschild (1894).
In
Nordstetten ist 1812 Berthold Auerbach geboren, der im 19. Jahrhundert zu
den meistgelesenen Schriftstellern Deutschlands gehörte. Er ist 1882 in Cannes
gestorben, wurde aber in Nordstetten beigesetzt.
An ihn erinnern in Nordstetten: das Geburtshaus Fabrikweg 2 (die 1907 angebrachte Gedenktafel
wurde 1942 entfernt, vor einigen Jahren wieder ersetzt), eine seit 1962 am Schloss
befindliche Gedenktafel; ein 1986 im Schloss eingerichtetes Berthold-Auerbach-Museum und die Berthold-Auerbach-Straße.
Texte und Berichte zu Berthold Auerbach finden
sich auf einer weiteren Seite. |
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Allgemeiner Beitrag
Beitrag von Rabbiner Dr. Abraham Schweizer über
"Die israelitische Gemeinde Nordstetten" (1926)
Zum Lesen bitte Textabbildungen anklicken
Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 15. April 1926 (Teil I) |
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Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 16. Mai 1926 (Teil II) |
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Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. Juni 1926 (Teil III) |
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Aus
der Geschichte der jüdischen Lehrer und der Schule
Auszeichnung für den jüdischen Lehrer Bernhard
Frankfurter (1867)
Anmerkung: Der jüdische Lehrer Bernhard Frankfurter wurde 1822 unter
fünf Bewerbern auf die erste israelitische Volksschule Württembergs gewählt,
die auf Grund der Initiative des damaligen Gemeindevorstehers Rothschild
eingerichtet werden konnte. Die Stelle war im "Schwäbischen Merkur"
ausgeschrieben wurden. Bernhard Frankfurter (geb. 1801 in Oberdorf) war Sohn des
Rabbiners Moses Levi Frankfurter in Oberdorf
(gest. 1828). Er hatte bei Rabbiner Moses Horkheimer in Ansbach studiert; die
Prüfung für das Schulamt hatte er vor dem Evangelischen Konsistorium in
Stuttgart abgelegt. Die Schule in Nordstetten wurde 1822 mit 46 Schülern
eröffnet und genoss bald einen ausgezeichneten Ruf.
Artikel
in der Zeitschrift "Ben Chananja" vom 1. März 1867: "Aus
Württemberg. 'Den Kelch des Heils erheb ich!' Von Alexander
Elsässer. Mit innerer Genugtuung teile ich Ihnen mit, wie drei
würdige Vertreter der Schule und der Synagoge bei uns in Schwaben
Anerkennungen und Auszeichnungen erfahren haben, damit die Bediensteten an
Schule und Synagoge sich daran erfreuen und die Gemeinden zu ähnlichen
Kundgebungen ermuntert werden.
1. Der Lehrer Berthold Auerbachs, Bernhard Frankfurter in
Nordstetten.
In der letzten Zeit wurden einige Volkslehrer mit goldenen und silbernen
Medaillen dekoriert. Es kann jeder Volksfreund sich damit freuen, wenn
endlich die Lehrer des Volkes, die im Dienste der Volkserziehung und des
Jugendunterrichts ergraut, den Landjägern, Prososen, Zollschutzwächtern
etc. etc. gleichgestellt und vom Staate ausgezeichnet werden; wir hoffen,
dass eine Zeit kommen wird, in welcher die Volkslehrer mehr Ordensbänder
auf der Brust tragen werden, als andere Diener des Staates im Kriegs- und
Friedensdienste, denn der Volkslehrer ist der Pionier der Welt, er
schlägt durch Erziehung und Unterricht die Brücken von der Zeit in die
Ewigkeit. - Ein Akt der Anerkennung gegen einen im Dienste ergrauten
Volkslehrer, obwohl in einigen in- und ausländischen Blättern
mitgeteilt, hat dennoch nicht die Verbreitung gefunden, die ihm im
Interesse der wackeren Gemeinde und des tüchtigen, ehrenhaften Lehrers zu
gönnen wäre. Auf dem Boden, dem die 'Schwarzwälder Dorfgeschichten' von
Berthold Auerbach, als eine der schönsten und duftigsten Blumen des
deutschen Dichtergartens, entsprossen, in Nordstetten im
Schwarzwald wurde am 27. November vorigen Jahres ein schönes Fest
begangen. Es war der Jahrestag des 44jährigen amtlichen Wirkens des
Schullehrers und Vorsängers Bernhard Frankfurter, den die Gemeinde
dadurch feierte, dass sie ihrem Lehrer durch den Rabbiner Dr. Wassermann
einen silbernen Pokal überreichen ließ. Die israelitische Volksschule in
Nordstetten, durch Bernhard Frankfurter gegründet, war eine der ersten in
Württemberg. Aus dieser Schule gingen neben Berthold Auerbach zwei
Ärzte, ein Literat, sechs Volkslehrer und viele tüchtige Gewerbs- und
Kaufleute hervor. Auerbach hat in einer seiner Dorfgeschichten 'der
Lauterbacher' seinem Lehrer ein ehrendes Denkmal zu gesetzt. Der durch die
Anerkennung seiner Gemeinde überraschte Lehrer sagte am Schluss seiner
Dankesrede: 'Wenn einst späte Enkel fragen werden: Wie kam ein so
schönes, kostbares Geräte, wie dieser Pokal, in die schlichte, einfache
Wohnung eines Dorfschulmeisters? wird man ihnen belehrend antworten
können, dass das Verdienst am Ende in jeder Lebensstellung seine
Anerkennung finde und redlicher Eifer nie unbelohnt bleibe.' Auch der
Bruder des Jubilars, der im Mai vorigen Jahres in Hamburger früh
vollendete Tempelprediger Dr. Naphtali Frankfurter, ein bedeutender
Kanzelredner und als Erzieher eine anerkannte Autorität, hat von seinem
älteren Bruder Bernhard vorbereitenden Unterricht fürs Gymnasium und
später noch viel Anregung in seinem wissenschaftlichen leben erhalten. Es
ehrt den bedeutenden Schriftsteller Berthold Auerbach, dass er mit seinem
greisen Lehrer noch in freundschaftlichster Weise verkehrt und gerade er,
als Volksschriftsteller, weiß den Volkslehrerberuf zu würdigen." |
Tod des Lehrers Frankfurter (1867)
Meldung
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. September 1867: "Nordstetten.
Am 13. August dieses Jahres starb hier der Nestor der württembergischen Lehrer,
der pensionierte Schullehrer Frankfurter, ein Bruder des verstorbenen
Predigers in Hamburg (sc. Dr. Naftali Frankfurter), und einstiger Lehrer des berühmten
Auerbach." |
Die öffentliche jüdische Volksschule Nordstetten wird
aufgelöst und als freiwillige Konfessionsschule weitergeführt (1878)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. September
1878: "Wiederum ist eine unserer ältesten Volksschulen, die in Nordstetten,
eingegangen. Dieselbe wurde so lange gesetzlich aus den Mitteln der
politischen Gemeinde unterhalten, als die obligate Zahl von sechzig
israelitischen Bürgern in der Gemeinde vorhanden war, was jetzt nicht
mehr der Fall ist. Die Schule war über 40 Jahre Kommunalschule. Sie wird
nunmehr als freiwillige Konfessionsschule von der israelitischen Gemeinde
auf deren eigene Kosten forterhalten." |
Lehrer und Toraschreiber Erlebacher (Nordstetten) warnt
vor unbrauchbaren Mesusot (1905)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 8. Dezember
1905: "Warnung: Soeben werden mir durch den Lehrer und Sopher
Erlebacher in Nordstetten (Württemberg) 2 Mesusaus (= Mesusot,
siehe Wikipedia-Artikel
Mesusa) vorgelegt, die ein religiöser Mann hierzulande aus
Ungarn bezogen hat. Diese Mesusaus sind vollständig posul, unbrauchbar,
denn sie sind nicht nur fehlerhaft geschrieben, selbst die Schrift ist so
nachlässig und schlecht auf das Pergament hingekritzelt, dass von der
vorgeschriebenen Gestalt der Buchstaben keine Spur vorhanden ist. Die
Schrift gleicht vielmehr der rabbinischen (Raschi-)Schrift. Die Wörter
sind gar nicht von einander abgetrennt. - Wie oft muss man doch die
Warnung wiederholen, Tephilin, Mesusaus und andere Mizwoh-Gegenstände von
niemanden zu kaufen, als von solchen Männern, deren religiöse
Gewissenhaftigkeit unzweifelhaft bekannt ist! Also möge man sich niemals
auf den guten Glauben verlassen. - Um Nachdruck dieser Zeilen werden die
Redaktionen der israelitischen Zeitungen dringen ersucht. Rabb. Dr. M.K.
in E." (vermutlich: Rabbiner Dr. Moritz Kahn in Esslingen, später
Bad Mergentheim). |
Über Lehrer Sally Ottensoser (geb. 1883 in Burgpreppach, gest. 1927 bei
Markelsheim, war 1906/07 kurzzeitig Lehrer in Nordstetten)
Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 16. Oktober 1927:"Edelfingen.
Am 10.Oktober ist in der Nähe von Markelsheim Lehrer und Amtsverweser
S. Ottensoser durch einen Unfall auf dem Motorrad an der Edelfingerstr.
tödlich verunglückt. Die württembergische Religionsgemeinschaft
verliert mit ihm einen ihrer besten und treuesten Beamten. Der so jäh aus
dem Leben Gerissene war am 22. Januar 1883 in Burgpreppach
geboren. Nachdem er die Präparandie in seinem Heimatorte und das jüdische
Lehrerseminar in Würzburg absolviert, trat er im Juli 1902 sein
Lehramt in Neustadt a.d. Saale an. Schon im Jahre darauf kam er als
Amtsverweser und Vorsänger nach Markelsheim
und hierauf 1906 nach Nordstetten. Von 1907 an war er wieder in Markelsheim tätig, bis er 1927 von der
israelitischen Gemeinde in Edelfingen als Vorsänger angestellt wurde.
Seine Bestattung fand am Mittwoch unter sehr großer ehrender Beteiligung
in Edelfingen statt." |
Aus dem jüdischen Gemeindeleben
Die Zahl der jüdischen Einwohner geht stark zurück
(1864)
Bericht
in einem Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. Januar
1864. In diesem Bericht zur Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in
Württemberg wurde auch eine Statistik verschiedener Dörfer und Städte
mit den Zahlen der jüdischen Einwohner 1843 und 1861 vorgestellt. Demnach
ging die Zahl der jüdischen Einwohner in Nordstetten in diesen
Jahren von 333 auf 201 Personen zurück, |
Stiftung des Schulinspektors Pfarrer Ginter (1892)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Februar 1892:
"Nordstetten (Württemberg). Aus dem Geburtsorte Berthold Auerbachs
wird folgende tolerante Tat gemeldet. Schulinspektor Pfarrer Ginter
daselbst hat anlässlich seines jüngst begangenen 25jährigen
Pfarrer-Jubiläums auch die israelitische Gemeinde Nordstetten mit dem
Geschenke von Mark 100 bedacht, welche nunmehr seitens des israelitischen
Kirchenvorsteheramts unter Hinzufügung der gleichen Summe zu einer
'Pfarrer Ginter-Stiftung', deren Erträgnisse alljährlich am
Jubelgedenktage an Ortsarme verteilt werden, verwendet werden
sollen." |
|
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 12. Februar 1892:
"In Nordstetten, dem Geburtsorte Berthold Auerbachs, hat
Schulinspektor Pfarrer Ginter anlässlich seines jüngst begangenen
25jährigen Pfarrer-Jubiläums auch die israelitische Gemeinde mit dem
Geschenke von Mark 100 bedacht, welche nunmehr seitens des israelitischen
Kirchenvorsteheramts unter Hinzufügung der gleichen Summe zu einer
'Pfarrer Ginter-Stiftung', deren Erträgnisse alljährlich am
Jubelgedenktage an Ortsarme verteilt werden, verwendet werden
sollen." |
Gutes Verhältnis zum katholischen Pfarrer Ginter
(1896)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. März 1896: "Stuttgart,
29. Februar (1896). Ein schönes Verhältnis herrscht zwischen dem
katholischen Pfarrer Ginter und der israelitischen Gemeinde Nordstetten,
woselbst Berthold Auerbach geboren und begraben ist. Als dieser humane
Geistliche vor zwei Jahren sein goldenes Priester-Jubiläum feierte,
bedachte er in seiner Armenstiftung auch die jüdischen Ortsarmen.
Anlässlich seines 25jährigen Amtsjubiläums als Bezirksschulinspektor,
das Herr Pfarrer Ginter am 22. vorigen Monats feierte, überreichte ihm
die israelitische Gemeinde in Anerkennung seiner edlen Gesinnungen einen
Pokal mit einer Widmund." |
Spende von Privatier Moritz Rothschild an die jüdische
Gemeinde (1911)
Meldung
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 18. August
1911: "Privatier Moritz Rothschild - Baden-Baden spendete der
israelitischen Gemeinde Nordstetten 2.000 Mark und der katholischen
Gemeinde dortselbst 1.000 Mark." |
Die Zahl der Gemeindeglieder ist stark zurückgegangen
(1913)
Meldung
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 29. August
1913: Nordstetten. Unser Ort, die Geburts- und Ruhestätte Berthold
Auerbachs, zählt jetzt nur noch 34 jüdische Seelen." |
|
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 29. August 1913:
"Nordstetten, 22. August (1913). Die hiesige israelitische
Gemeinde geht immer mehr zurück. Nachdem schon am 1. April 1909 die
Schulstelle wegen mangelnder Schülerzahl aufgehoben wurde, hat nun auch
der israelitische Lehrer, der seitdem noch die Gottesdienste abhielt und
die wenigen Kinder in Religion und Hebräisch unterrichtete, jüngst für
immer Abschied genommen. Durch Tod verlor die israelitische Gemeinde in
den letzten Jahren fünf erwachsene männliche Mitglieder. Zurzeit
befinden sich hier zusammen nur noch 34 ortsanwesende israelitische
Seelen, 14 männliche und 20 weibliche, darunter 4 Kinder unter 14
Jahren." |
Ein Besucher berichtet über die klein gewordene
jüdische Gemeinde (1921)
Aus
einem längeren Bericht über die jüdischen Gemeinden im Schwarzwald auf
den Spuren Berthold Auerbachs - Artikel in der "Allgemeinen Zeitung
des Judentums" vom 16. September 1921: "So dachte ich mir
Nordstetten doch anders - mehr in waldiger Umgebung. Es liegt, von einer
unendlichen Flur umzogen, auf einer weiten Hochfläche in einer Talsenke.
Viele Häuser sind neu und teilweise städtisch. Der Ort unseres Auerbach,
der doch dem jüdischen Lehrer seiner Heimat ein so herrliches Denkmal im
Lauterbacher gesetzt hat, hat jetzt überhaupt keine jüdische Schule
mehr. Die wenigen Kinder werden von auswärts besorgt, ein Lehrer ist
nicht mehr am Platze; die kleine jüdische Gemeinde geht so unaufhaltsam
dem Verfall entgegen." |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 16. September 1921:
Nebenstehend der gesamte "Brief aus dem Schwarzwald" mit
Berichten aus Nordstetten, Mühringen, Dettensee, Haigerloch und
Hechingen. Bei Interesse bitte Textabbildungen anklicken. |
|
Ausflug des Jüdischen Lehrhauses Stuttgart nach
Nordstetten, Mühringen und Haigerloch (1929)
Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 16. Juli
1929: |
Die jüdische Gemeinde wird aufgelöst
(1936)
Artikel
im "Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt" vom
August 1936 S. 424: "Nordstetten. Die jüdische Gemeinde der
Geburtsstadt des Dichters Berthold Auerbach, in der er seinem Wunsche
gemäß neben seinen Eltern seine letzte Ruhestätte gefunden hat, ist
aufgelöst worden. Vor kurzem wurde in der Synagoge der letzte
Gottesdienst abgehalten". |
|
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 16. Juli 1936:
textgleich mit dem Artikel im "Gemeindeblatt der Israelitischen
Gemeinde Frankfurt" |
Berichte
zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde
Zum Tod des Schuhmachers Herz Löwenthal (1885)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 8. September 1885: "Bonn, 30. August (1885). Aus Nordstetten
schreibt man vom 21. dieses Monats: Ein Jugend- und Altersfreund Berthold
Auerbachs, der Schuhmacher Herz Löwenthal, wurde gestern zu Grabe
getragen. Er arbeitete bis vor 3 Jahren, somit fast 60 Jahre, auf seinem
Handwerke als gesuchter Meister und Lehrherr von über 70 Lehrlingen.
Einen tiefen Eindruck machte das der Grabrede einverleibte Urteil, das
Berthold Auerbach in seinen Briefen (Band II, Seite 39) vor etwa 15 Jahren
über den nun Verstorbenen aussprach." |
Goldene Hochzeit von Abraham Rödelsheimer und seiner Frau
(1893)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Dezember 1893: "Vom
württembergischen Schwarzwald, 30. November (1893). Der gestrige Tag
war für die Gemeinde Nordstetten ein schöner Festtag. Die Schreiner
Abraham Rödelsheimer'schen Eheleute feierten in einer seltenen,
körperlichen und geistigen Rüstigkeit die goldene Hochzeit. Auf 12 1/2
Uhr Mittags war Minchagottesdienst eingerichtet, bei welchem sich die
ganze Gemeinde, darunter die bürgerlichen und kirchlichen Ortsbehörden, beteiligte.
Nach beendigtem Gebete intonierte der 'Sängerkranz' ein stimmungsvolles
Weihelied und Lehrer- Vorsänger Strauß bestieg zu einer wirkungsvollen
Ansprache die Kanzel. Das Jubelpaar hatte vor der letzteren Platz
genommen. Zum Schlusse der Rede erhob es sich und sprach als Dankgebet die
Berachat Schehechejanu [Segensspruch, der uns hat Leben
gegeben...]. Ein weiteres Lied beschloss die gottesdienstliche Feier, die
auf Jeden einen tiefen Eindruck machte und ebenso wie das nachfolgende
Bankett den deutlichsten Beweis dafür lieferte, dass sie Familie des
'alten Schreiners', der bis vor wenigen Jahren seinem Handwerke treu oblag
und in demselben über 20 Lehrlinge ausbildete, bei der ganzen
paritätischen Gemeinde in hoher Liebe und Achtung steht und dassdas
gesellschaftliche Zusammenleben hierorts das allerbeste ist." |
Über den Sofer (Toraschreiber) und Lehrer
Erlebacher in Nordstetten (1904)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 2. Mai 1904: "Aus Süddeutschland, 26. April (1904). Schon
oft war in diesen Blättern davon die Rede, wie nachlässig das Gebot der
Tephilin, Zizis und Mesusaus in manchen Kreisen erfüllt wird. Einerseits
werden die Tephilin nicht an die richtige Stelle des Hauptes, oberhalb der
Stirne auf diejenige Stelle des Kopfes gesetzt, die oberhalb des Anfangs
des Haarwuchses ist, sondern auf den falschen Ort, auf die Stirne.
Andererseits trägt man Tephilin, die schon lange schadhaft und nicht mehr
koscher, sondern posul (unbrauchbar und ungültig) sind. Sei es nun, dass
das Bajis (= Kapsel) zerrieben, zerdrückt, aus der vorgeschriebenen
quadratischen Form gekommen ist, oder dass sie ihre schwarze Farbe
verloren haben, oder gar die Schrift der Parschiaus, innerhalb der Batim,
verlöscht oder schadhaft geworden ist. Dasselbe Elend ist auch oft bei
den Mesusaus festzustellen, die von Geschlecht zu Geschlecht, ohne
untersucht und erneuert zu werden, an den Türen der Häuser und Zimmer
belassen werden, während doch Vorschrift ist, dass sie alle 3-4 Jahre
untersucht und neu angeschlagen werden müssen. Diese Zeilen wollen nun
die verehrten Leser darauf aufmerksam machen, auf genannte Mizwaus und
deren Gegenstände die gehörige Acht zu geben. Insbesondere willen sie
dazu Anregung geben, dass man Tephilin und Mesusaus einem tüchtigen Sofer
übergebe zum Untersuchen und Wiederherrichten, respektive zur Erneuerung
verdorbener Teile. Sofrim sind fast in jeder Nummer dieser Blätter im
Annoncenteile ausgeschrieben. Auch in Württemberg befindet sich seit
einiger Zeit wieder ein Sofer, nämlich Lehrer Erlebacher in Nordstetten.
Für Siphre Tora (Torarollen) gilt ebenfalls das Obengesagte. Denn in gar
vielen Seforim ist die Tinte abgesprungen, so dass die Schrift nur schwer
oder gar nciht leserlich ist, welcher Umstand die Seforim posul macht und
ungeeignet, darin zu 'leinen' (vorzulesen) und Brocho darüber zu sagen.
Mögen die Vorstände und Lehrer darauf achten und Missbräuche in ihren
Gemeinden abstellen". |
Anzeige - und Dokumente zur Zigarrenfabrik Gebr. Gideon (1898)
Zur Geschichte des Betsaales / der Synagoge
Zunächst bestand ein Betsaal
in einem der jüdischen Häuser. 1721 wurde eine Synagoge neu erbaut beziehungsweise ein neuer Betsaal
eingerichtet.
1767 wurde an der Hauptstraße eine neue Synagoge
erstellt. In ihr ist auch ein Schulzimmer eingerichtet worden. Das Gebäude
erhielt die Hausnummer 107. Die Finanzierung des damaligen Synagogenbaus geschah
insbesondere durch den Verkauf der Synagogenplätze. Mit Erlass vom 11. Juli
1767 gab das Oberamt Horb der Gemeinde die Erlaubnis mit dem Bau der Synagoge
fortzufahren und ihn zu vollenden. Ende des 18. Jahrhunderts war als Rabbiner in
Nordstetten Moses Baruch Auerbacher (1726-1802) tätig, der Großvater des
Schriftstellers Berthold Auerbacher. Er stiftete reiche Schmuckstücke für die
Torarollen in die Synagoge, seine Frau Rees (1731-1804) einen aus rotem,
goldgesticktem Samt hergestellten Vorhang vor die heilige Lade.
Berthold Auerbach beschrieb in seinen autobiographischen
Notizen mehrfach das gottesdienstliche Leben in der Synagoge in den
1820er-Jahren. Er erinnerte sich an den Synagogendiener "Krumm Maierle, eine
verwachsene Gestalt mit spitzem Kinn" oder an seinen Großvater Schmul: er "nahm
das Leben leicht..., er kam immer, was übel vermerkt wurde, sehr spät in die
Synagoge und war einer der ersten, die davongingen". Über den
Freitagabendgottesdienst in der Nordstettener Synagoge schrieb Auerbach: "Wie
von aller Lebenslast befreit, wurde gebetet und gesungen und zum Schluss, schon
während man ging, das wundersame Jigdal gesungen... Mein Bruder Maier, der
nicht vergebens seinen Moses Mendelssohn studierte, gab sich viel Mühe, mir den
Hymnus zu erklären, und während die anderen bereits heim und zum Essen eilten,
standen wir zwei noch am Ausgang der Synagoge und sangen bis zum Schlusse... Am
Ausgang der Synagoge begrüßte man einander mit ‚Gut Schabbes’ und waren
die Oheime da, so ließ man sich mit gebeugtem Kopfe durch Handauflegen von
ihnen segnen...". Auerbach erinnerte sich auch an die offensichtlich große
Genisa auf dem Dachboden der Synagoge. Seine Mutter berichtete ihm: "Unter der
Decke, da ist ein Speicher, und da liegen die Gebetbücher von hundert und
hundert Jahren, und der Atem der Lebenden steigt auf zu den Blättern, worauf
der Atem der Verstorbenen gehaucht war und manche Träne hineinfiel, und die
Worte der Verstorbenen und der Lebenden gehen miteinander hinauf zu Gott..."
Einmal schlich Auerbach heimlich hoch auf den Synagogenboden: "da lag alles voll
Papier, aber zerfallene Einbände und Messingbuckeln erschienen wie sich
duckende und blinzelnde Kobolde, die am Boden kauerten..."
Über den "Synagogenspeicher" (Genisa) in
Nordstetten (mit den Erzählungen von Berthold Auerbach) (1929)
Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. Februar 1929 |
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1838 war eine Renovierung und Erweiterung des
Synagogengebäudes dringend erforderlich. Damals gehörten 321 Personen der jüdischen
Gemeinde an. Die Finanzierung des Umbaus stellte sich jedoch als großes Problem
heraus. Nach einem Bericht der Israelitischen Oberkirchenbehörde gehörte die
Nordstettener Gemeinde damals zu den ärmsten Gemeinden im Land. Die früher
bestehenden guten Vermögensverhältnissen seien nicht mehr gegeben. Auch war
kein Synagogenbaufonds vorhanden. Von Seiten des Staates wurde zu dem für den
Umbau hochgerechneten Betrag von 2.082 Gulden ein Zuschuss von 300 Gulden
zugesagt. So konnte er dann auch bis 1839 durchgeführt werden. Neben der
Erweiterung des Gebäudes wurde eine neue und "zweckmässige innere Einrichtung"
des Gotteshauses vorgenommen. Die Erweiterung bestand auch im Anbau eines
Gemeindehauses neben der Synagoge (Schulhaus/"Kahlhaus" von Kahal hebräisch =
Gemeinde; Gebäude Nr. 107a).
In seiner Rabbinatsbeschreibung von 1875 schrieb
Bezirksrabbiner Dr. Michael Silberstein über die Synagoge in Nordstetten: "Einen
anmutigen Anblick gewährt die (sc. im Vergleich zu Mühringen) weniger geräumige
Synagoge in Nordstetten. Auch sie ist im Rundbogenstil aufgebaut und bildet, an
der Hauptstraße befindlich, ein längliches Viereck. Vor der heiligen Lade, die
sich an der Ostseite befindet, ist eine geschmackvolle Kanzel angebracht, wo
sich Plätze für Chorsänger und Katechumen befinden. Am Fuße der Kanzel ist
das Vorbeter resp. Vorlesepult; der ganze übrige Raum ist mit Subsellien angefüllt,
die durch einen in der Mitte befindlichen Gang getrennt sind. Für die Frauen
sind auf drei Seiten Galerien angebracht". Die Synagoge bot 300 bis 350 Personen
Platz. In einem Punkt war der Bezirksrabbiner nicht zufrieden, wenn er schreibt:
"Der Synagogenbesuch an Schabbaten und Festtagen ist ein durchaus
befriedigender. Weniger befriedigend ist dagegen in einigen Gemeinden das
Verhalten der Synagogenbesucher. Jene würdevolle Haltung, die den Besuchern des
Gotteshauses so wohl ansteht, wird besonders in den Synagogen zu Nordstetten,
Rexingen, Mühlen und Wankheim vermisst".
Anfang des 20. Jahrhunderts befanden sich auf Tafeln
in der Synagoge auf Grund frommer Jahrtags-Stiftungen die Namen von insgesamt 51
Stiftern, darunter auch der Name des Ortspfarrers Matthäus Ginter (Pfarrer in
Nordstetten von 1867-1900), der bei seinem Tod die jüdischen Einwohner
Nordstettens mit einer großzügigen Spende bedachte.
Auf Grund der stark zurückgegangenen Zahl jüdischer
Einwohner Nordstettens wurde die Synagoge 1925 geschlossen und
verkauft, 1937 abgerissen.
Abbruch der ehemaligen Synagoge (1937)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Mai 1937:
"Stuttgart. Das 'Reutlinger Tageblatt' meldet: Schon vor Jahren wurde
die Synagoge in Dettensee an der
Straße nach der Ortschaft Nordstetten gänzlich abgebrochen und
beseitigt. Jetzt ist an der Stelle, wo früher die Synagoge stand, ein
Garten. Nun ist in der Nachbarschaft, und zwar in Nordstetten bei Horb,
dieser Tage eine ähnliche Arbeit vorgenommen worden. Die Synagoge, die an
das Gasthaus zum 'Ochsen' angebaut war, wurde vom Gastwirt käuflich
erworben und bis auf die Grundmauern abgebrochen." |
Der Synagogenplatz wurde - wie aus obigem
Artikel hervorgeht, noch im Frühjahr 1937 vom
benachbarten Ochsenwirt gekauft und abgebrochen. Auf dem Gelände wurde ein Wirtssaal angebaut,
der 1972 abgebrochen wurde. Inzwischen ist das Grundstück großenteils zur
Verbreiterung der Hauptstraße verwendet worden (Grundstück gegenüber Haus
Hauptstraße 52, teilweise kleiner Park). Auch das zwischen Synagoge und dem
1972 abgebrochenen Gasthaus "Ochsen" stehende jüdische Gemeindehaus besteht
schon seit 1928 nicht mehr.
Fotos / Plan
Historisches Foto / Plan
(Quelle: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe in
Württemberg. 1932. S. 112)
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Die Synagoge in Nordstetten,
Innenansicht |
Plan mit eingezeichneter Synagoge und Judenschule; zur
Orientierung siehe die Einzeichnung des Schlosses in Nordstetten;
im Turm
an der Hauptstraße befand sich das rituelle Bad |
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Fotos nach 1945/Gegenwart:
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne
Berichte
August 2008:
Nordstetter Literatur-Spaziergang auf den Spuren
Berthold Auerbachs |
Artikel in der "Südwest-Presse" -
Neckar-Chronik.de vom 13.8.2008: "Der Mann von Welt im Dorf
- Nordstetter Literatur-Spaziergang auf den Spuren Berthold Auerbachs
Auch 126 Jahre nach seinem Tod ist er noch immer der berühmteste Nordstetter: Berthold Auerbach. Und das wird, ohne gegenwärtigen Bewohnern zu nahe zu treten, noch eine Weile so bleiben. Grund genug für regelmäßige Spurensuchen im Ort und im Leben des Schriftstellers.
Nordstetten. Knapp 20 Leute von Nürtingen bis nach Baiersbronn waren am Sonntag zum Nordstetter Schloss gekommen, wo sie von Helmut Engisch und Gerhard Bossert empfangen wurden. Dort, so berichtete Engisch, war Auerbach
"als Zwischenstation der letzten Reise" aufgebahrt worden für die Fahrt auf den Friedhof am 15. Februar 1882. Dem Leichenzug voran ging die Schuljugend. Es folgte die Feuerwehr und danach der Sarg auf einem aus Rottenburg ausgeliehenen Leichenwagen. Dahinter die Frau Nina und die Kinder Ottilie, August, Eugen und Rudolf, dann die Geistlichkeit, Abgeordnete der Tübinger Burschenschaft und der Tübinger Liedertafel sowie Trauergäste aus Berlin, Wien, Breslau, Frankfurt und Mannheim. Am Ende die Landbevölkerung in dichten Scharen. Sogar Eisenbahnbedienstete waren gekommen, hatte sie doch das Ministerium eigens für die Beerdigung beurlaubt. Genau diesen Weg in Richtung Judenfriedhof, vorbei an Häusern und Plätzen, die direkt mit Auerbach in Verbindung standen, wählte die Gruppe für ihren literarischen Spaziergang.
Ums Jahr 1712 nahmen die Keller von Schleitheim Juden aus Auerbach, Hürben und Kriegshaber (Bayerisch-Schwaben) auf. Natürlich nicht aus Freundlichkeit, sondern aus finanziellen Gründen. Der oft überschuldete Landadel konnte mit der Aufnahme von
"Schutzjuden" sein Einkommen beträchtlich steigern. Jede der Nordstetter jüdischen Familien hatte an die Herrschaft eine Aufnahmegebühr von 30 Gulden, ein jährliches Schutzgeld von 15 Gulden sowie weitere Nebengebühren zu entrichten. Nur dadurch konnte Heinrich Keller von Schleitheim den Auftrag zum Schlossneubau im Jahr 1736 geben. Allein die 18 Nordstetter Juden steuerten in den 25 Jahren zuvor 7290 Gulden bei. 1721 wurde die erste Synagoge errichtet, vermutlich in einem Privathaus. Erst 1767 bauten sie dann das Gotteshaus. Dieses wurde 1839 umgebaut und vergrößert. Den jüdischen Friedhof legte die Gemeinde 1797 an, vorher hatte sie ihre Toten auf dem Mühringer Judenfriedhof bestattet. Die Nordstetter Judengemeinde löste sich, da zu klein geworden, 1925 auf. Wahrscheinlich ist, dass die Synagoge 1937 abgebrochen wurde.
Moses Baruch Auerbacher, der sich später Berthold Auerbach nannte, stammte aus einer religiös geprägten Familie. Sein Großvater väterlicherseits versah in Nordstetten ohne Lohn das Amt des Rabbiners, war ein gelehrter und angesehener Mann und galt weit über die Region hinaus als Sprecher der Juden.
Der Sabbath, der Sonntag, spielt bei den Juden eine ganz besondere Rolle. In seinen Jugenderinnerungen hat Berthold Auerbach dies detailliert berichtet. Gerhard Bossert, der passend zum jeweiligen historischen Ort aus Auerbachs Werken zitierte, verlas:
"Der Sabbath ist ein Abglanz... und sputeten sich, ins Wirtshaus zu kommen zum
Kartenspiel." Da hatten sie es nicht weit, denn gleich neben dem Eingang zur Synagoge war der Hintereingang des
"Ochsen", der Auerbachs Großvater gehörte.
Nur einen Katzensprung entfernt davon liegt Berthold Auerbachs Geburtshaus, in dem er gemeinsam mit zehn Geschwistern aufgewachsen ist. Sein Geburtstag am 28. Februar 1812 fiel auf das Purimfest. Dies ist das jüdische Fest zur Erinnerung an die Errettung der persischen Juden von der angedrohten Vernichtung. Mit 13 Jahren wurde er religionsmündig und kam er auf die Talmudschule nach Hechingen.
Immer wieder, auch nachdem er schon ein erfolgreicher und berühmter Schriftsteller war, kam Auerbach nach Nordstetten zurück. Doch mit seinen
"Schwarzwälder Dorfgeschichten", zu denen ihm sein früherer Lehrer und bester Freund an der jüdischen Volksschule (neben der heutigen Metzgerei Singer) Nordstetter Geschichten beisteuerte, schaffte er sich nicht nur Freunde.
"Die Nordstetter Bauern sind fuchsteufelswild über mich, sie sind eher geneigt mich durchzuprügeln, wenn ich heimkomme, weil ich sie lächerlich gemacht und über sie gelogen hätte", schreibt er in einem Brief an seinen Schriftstellerkollegen und Freund Ferdinand Freiligrath.
Schmerzhaft prägend für Auerbach war eine Tragödie in einem Haus rechts vom
"Bunten Ritter", das am 1. November 1821 abbrannte und sieben Menschen, darunter fünf Kinder, das Leben kostete. Ein Stück weiter die Hauptstraße hoch wurde in der
"Sonne" die erste jüdische Volksschule Württembergs errichtet, in der auch Auerbach zur Schule ging. Und gleich nebenan war das Wirthaus
"Adler", in dem der Lehrer Lauterbacher von der Christlichen Volksschule seine ländlichen Fortbildungsabende in Allgemeinwissen abhielt. Er las den Bauern aus der Zeitung vor und debattierte dann mit ihnen.
Engisch: "So verwandelte sich die Bauernwirtschaft einmal wöchentlich in eine Volkshochschule oder Dorf-Universität." Die ganz jungen Nordstetter, die noch nicht wirtshausreif waren, trafen sich auf einer Holzbeige am daneben gelegenen Latschareplatz, wie aus der Dorfgeschichte vom
"Tolpatsch" zu erfahren ist.
Der Spaziergang führte weiter zum Judenfriedhof, wo das Grab Auerbachs besichtigt wurde. Und zum Abschluss führten Engisch und Bossert noch zur einstigen Ziegelhütte und erzählten die Geschichte von der
"Kriegspfeife" und vom "Kätherle". Herrlich die Geschichte zum Schluss in der Kniebisgasse: hier lebten einst an der Abzweigung zum Pflaumengässle zwei Brüder, die nicht miteinander konnten. Erst nach einer Privataudienz beim Pfarrer änderte sich dies schlagartig, wobei bis heute niemand weiß, wie dies dem Pfarrer gelungen ist.
Nach drei Stunden wartete "Schäpfle"-Wirtin Maria Schneiderhan auf die Spaziergänger. Das
"Schäpfle" sollte es schon sein, schließlich genoss auch Auerbach dort immer seinen Schoppen."
Diesen Bericht (mit
Foto) als pdf-Datei. |
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November 2011:
In Horb und Stadtteilen (auch Nordstetten) wurden
"Stolpersteine" verlegt |
Artikel von Marion Tischbein im
"Schwarzwälder Boten" vom 28. November 2011: "Stolpersteine
erinnern an Juden.
Horb - Zum 70. Jahrestag der Deportation von 53 Rexinger Juden 1941
nach Riga wurden am Samstag an verschiedenen Orten im Horber Stadtgebiet
die ersten Stolpersteine für die in der NS-Zeit ermordeten Bürgerinnen
und Bürger gelegt..."
Link
zum Artikel - auch eingestellt
als pdf-Datei |
Zum selben Ereignis liegt auch ein Artikel
aus der "Neckar-Chronik" vom 28. November 2011 vor: "Gegen
das Vergessen - Stolpesteine erinnern an das Schicksal einstiger
jüdischer Mitbürger..."
Link
zum Artikel - auch eingestellt
als pdf-Datei . |
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Rückblick auf eine
Tagesexkursion: Jüdische Spuren rund um Horb am 25.
Oktober 2014 |
Das Evangelische Bildungszentrum Hospitalhof und das Katholische Bildungswerk Stuttgart
führten gemeinsam eine Tagesfahrt auf jüdischen Spuren rund um Horb an.
Jüdische Spuren rund um Horb am Neckar - Tagesfahrt - Sa 25.10.14, 8:00 - 19:00 Uhr
- Horb am Neckar
Das Rabbinat Mühringen/Horb war Anfang des 19. Jahrhunderts das größte Rabbinat in Württemberg. Bedeutende Rabbinerpersönlichkeiten waren für die jüdischen Gemeinden des Rabbinats verantwortlich, jüdische Kaufleute und Viehhändler spielten im wirtschaftlichen Leben eine wichtige Rolle. Für die jüdischen Familien war die Gegend am Oberen Neckar Heimat.
Ihre Geschichte(n) werden wir auf dieser Tagesfahrt an verschiedenen Stationen aufzuspüren versuchen.
In Nordstetten ist 1812 Berthold Auerbach geboren, der im 19. Jahrhundert zu den meistgelesenen Schriftstellern Deutschlands gehörte. Dort besuchen wir das Auerbach-Museum im Schloss und spazieren zu seinem Geburtshaus und Grab. Weitere Stationen sind der kürzlich renovierte jüdische
Betsaal in Horb am Neckar, der heute Gedenkstätte und Museum beherbergt, sowie die
ehemalige Synagoge in Rexingen. Auf der Rückfahrt besichtigen wir die
ehemalige Synagoge in Rottenburg-Baisingen, wo vor allem die Funde der Genisa (Sammlung religiöser Gebrauchsgegenstände) und eine ausführliche Dokumentation der Lebensgeschichten Baisinger Juden bemerkenswert sind.
Kooperation mit: Ev. Bildungszentrum Hospitalhof - Anmeldung und Informationen bei:
Katholisches Bildungswerk 0711/7050600 E-Mail: info@kbw-stuttgart.de
Website www.kbw-stuttgart.de
Direktlink zur Veranstaltung: http://www.kbw-stuttgart.de/veranstaltungen/251014-juedische-spuren-rund-um-horb-am-neckar-/
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November 2014:
Vortrag über Berthold Auerbach
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Artikel von Marion Tischbein im
"Schwarzwälder Boten" vom 14.November 2014: "Horb a. N. Was ist ein
jüdischer Autor?
Horb-Nordstetten. Zum Abschluss des Veranstaltungsjahrs 2014 referierte
Hans Otto Horch zum Thema 'Berthold Auerbach als deutsch-jüdischer
Schriftsteller'. Die Vorsitzende des Berthold-Auerbach-Literaturkreises,
Irene Vogel, konnte im voll besetzten Berthold-Auerbach-Museum mit dem
Germanisten Hans Otto Horch einen ausgewiesenen Auerbach-Kenner begrüßen,
der im Nordstetter Schloss anlässlich des Jubiläumsjahrs 2012 schon einmal
zu Gast war und sich in Auerbachs Geburtsort nach eigener Aussage schon ganz
'heimelig' fühlt. Dass die Welt voller Zufälle ist, zeigte sich schon an dem
Umstand, dass der ehemalige Inhaber der Ludwig-Strauß-Professur für
deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte an der Universität Aachen
in jungen Jahren dasselbe Stuttgarter Gymnasium besuchte, in dem schon
Berthold Auerbach die Schulbank gedrückt hatte. Und die Veranstaltung im
Berthold-Auerbach-Museum geriet für den Referenten sogar zu einem kleinen
Klassentreffen, da sich zum Vortrag drei ehemalige Schulkameraden
eingefunden hatten. Zu Beginn seines Referats befasste sich Horch mit der
Frage: Was ist ein jüdischer Autor? Horch konnte im Zusammenhang mit dem
Bindestrich-Begriff 'deutsch-jüdisch' angesichts der Vielzahl von Selbst-
und Fremddefinitionen keine eindeutige Antwort darauf geben. Die Abstammung
von einer jüdischen Mutter, wie es im religiösen Judentum üblich ist, kann
laut Horch kaum als einziges Diskriminierungsmerkmal gelten. Dasselbe gilt
für die gleichfalls religiös abgeleitete biologisch-rassistische Variante
der nationalsozialistischen Definition, nach der nur derjenige als arisch
galt, der zwei bereits getaufte Großelternpaare aufweisen konnte. Im Zuge
der fortschreitenden Säkularisation hat sich nach dem Zeitalter der
Aufklärung sowohl im Juden- wie auch im Christentum eine Vielschichtigkeit
entwickelt, die nach Jahrzehnten der Borniertheit einen
nationenübergreifenden europäischen, weltliterarischen Kulturbegriff
selbstverständlich werden ließ. So ist es nicht verwunderlich, dass sich der
Begriff 'jüdische Literatur' keineswegs auf die Herkunft der Autoren
bezieht. Jüdische Identität wird auch in den Werken nichtjüdischer Autoren
fassbar, wie an Thomas Manns Joseph-Tetralogie, in der versucht wird, in
einem jüdischen Stoff ein universales Thema menschlicher Zivilisierung
darzustellen. Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass es auf die
Frage nach einer Besonderheit der deutsch-jüdische Literatur vielfältige
Positionen gibt. Nach Horch kann Auerbach allerdings für die Entwicklung des
deutsch-jüdischen Verhältnisses wie auch für die Bedeutung deutsch-jüdischer
Literatur eine Repräsentativität beanspruchen wie wohl kein zweiter
deutschsprachiger Autor bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Allein
schon die Lebensdaten des Nordstetter Schriftstellers umfassen den Aufstieg
und den Niedergang deutsch-jüdischer Integration. Auerbach hatte die
deutsch-jüdische Symbiose herbeigesehnt und zeitweise realisiert gewähnt.
Damit ist er für seine Zeit ein wirklicher Repräsentant jener idealistischen
Vorstellung von deutsch-jüdischer Gemeinschaft, die sich im Verlauf der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als schreckliche Illusion erweisen
sollte. Um Auerbach noch gerechter zu werden, kündigte Horch für Ende
November die Neuedition von Berthold Auerbachs Briefen an seinen Freund
Jakob Auerbach an, über die er im Frühjahr im Nordstetter Museum berichten
will."
Link zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
| Paul Sauer: Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und
Hohenzollern. 1966. S. 136-139. |
| Emil Schneiderhan: Häusergeschichte von Nordstetten bei Horb. 1975. |
| Maschinenschriftliche Manuskripte zur Geschichte der Juden in Nordstetten
von H. Wagenpfeil, Nordstetten. |
| Joseph Walk (Hrsg.): Württemberg - Hohenzollern -
Baden. Reihe: Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from
their foundation till after the Holocaust (hebräisch). Yad Vashem Jerusalem
1986. S. 78-79. |
| Charles Bernard Bernstein: The Rothschilds of
Nordstetten. Their History and Genealogy. Paperback. 124 p.. Chicago 1989.
Ancestors and descendants of Moses Emanuel Rothschild who emigrated from
Germany to America, settling in the midwest in the mid 1900's. He and his
family are of Jewish heritage. |
| Joachim
Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als
Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte
und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt,
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial,
Jerusalem. Stuttgart 2007. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Nordstetten Wuerttemberg. The Jewish
community began to develop in the 16th century. Many died in a great fire in
1821 but the population grew from 175 in 1800 to 352 in 1854. A synagogue was
built in 1721 and the Jewish elementary school founded in 1822 was the first in
Wuerttemberg. Berthold Auerbach (1812-82) author and a leader of Jewish
emancipation in Germany, was born and buried in Nordstetten. In the Weimar
period Jews operated a large cigarette factory. Just 12 Jews (affiliated to the Horb
congregation) remained in 1933. Four emigrated; six perished in the Nazi era.
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