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zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Bodersweier (Stadt Kehl, Ortenaukreis)
Jüdische Geschichte / Betsaal/Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In dem
bis 1736 den Grafen von Hanau-Lichtenberg, dann bis zum Anfang des 19.
Jahrhunderts zu Hessen-Darmstadt gehörenden Bodersweier bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1940. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts
zurück. Erstmals werden 1755 Juden am Ort genannt.
1811 waren es sieben Familien mit 41 Personen, 1825 60 (5,8 % von insgesamt
1.042 Einwohnern). Die höchste Zahl jüdischer Einwohner wurde um 1875 mit
116 Personen (10,3 % von insgesamt 1.124 Einwohnern) erreicht. Seit
Ende des 19. Jahrhunderts ging die Zahl der jüdischen Einwohner stark zurück:
1887 94 jüdische Einwohner, 1900 82 (7,0 % von 1.176), 1910 61 (5,0 % von
1.214).
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), ein jüdische
Gemeindehaus (neben der Synagoge) mit Schulraum (bzw. spätestens um 1892
Simultanschule) und rituellem Bad (1860
erneuert; Gebäude wurde 1940/41 abgebrochen). Die Toten der Gemeinde wurden auf
dem jüdischen Friedhof in Kuppenheim,
später (seit 1817) in Freistett
beigesetzt. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer
angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (vgl. die
Ausschreibung der Stelle unten). Als Lehrer werden u.a. genannt: um 1879 Lehrer
Schweizer, um 1884/1887 Jakob Pollaschek (Polatschek), um 1889 J. Kahn, um
1892/1894 H. Reis, um 1895/1902 Lehrer L. Jakobsohn, um 1904 Lehrer Rothschild,
um 1909/1912 Lazarus Mannheimer (danach in Kehl).
1827 wurde die Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Bühl
zugeteilt.
Von den Gemeindevorstehern werden genannt: um 1875/1876 Leo Wertheimer, um
1890/1911 Karl Bensinger.
Von den Vereinen der jüdischen Gemeinde werden genannt: der
Israelitische Wohltätigkeitsverein (um 1905 unter Leitung von J.
Wertheimer).
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde: Gefreiter Alfred
Bensinger (geb. 24.12.1895 in Bodersweier, gef. 11.8.1916) und Joseph Wertheimer
(geb. 1.8.1877 in Bodersweier, gef. 9.10.1917). Ihre Namen stehen auch auf dem
Gefallenendenkmal des Friedhofes der Ortsgemeinde.
Die jüdischen Familien waren im Leben des Ortes völlig integriert. Jüdische
Personen waren im Gemeinderat, Im Bürgerausschuss und im Musik- und Sportverein
vertreten.
Um 1924, als noch 46 jüdische Einwohner gezählt wurden (3,8 % von 1.223
Einwohnern), waren die Gemeindevorsteher Leopold Kaufmann, Emanuel Merklinger
und Ludwig Meier. Die Religionsunterricht der damals fünf schulpflichtigen jüdischen
Kinder erteilte Lehrer Mannheimer aus Kehl.
1932 waren die Gemeindevorsteher Emanuel Merklinger (1. Vors.), Eduard
Bensinger (2. Vors.) und Julius Wertheimer (3. Vors.).
Bis nach 1933 gehörten jüdischen Familien in Bodersweier die folgenden Handelsbetriebe:
Mehlhandlung Isidor Bensinger (Querbacher Straße 14), Viehhandlung Salomon
Frank (Grabenstraße 7), Eisenhandlung Leopold Kaufmann und Karl Bensinger (Querbacher
Straße 18), Kolonialwaren Ludwig Meier (Querbacher Straße 15), Viehhandlung
David Merklinger (Querbacher Straße 27), Kolonialwarenhändler Emanuel
Merklinger (Grabenstraße 8), Fellhandlung Emanuel Merklinger (Querbacher Straße
16), Viehhandlung Max Merklinger (Querbacher Straße 3), Textilhandlung Julius
Wertheimer (Rastatter Straße 13), Schuhgeschäft Simon Wertheimer (Rastatter
Straße 5, abgebrochen), Viehhandlung Leo Wertheimer (Rastatter Straße 33).
Bis 1912 hatte es ein jüdisches Schlachthaus und bis 1915 eine koschere
Metzgerei gegeben.
1933 lebten noch 34 jüdische Personen in Bodersweier.
In den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Bis 1938 mussten alle
jüdischen Gewerbebetriebe schließen oder an nichtjüdische Personen verkauft
werden. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge
zerstört (s.u.). Acht jüdische Männer wurden über Kehl in das KZ Dachau
verschleppt. Die letzten 15 jüdischen Einwohner wurden am 22. Oktober 1940 nach
Gurs deportiert. Vier Personen überlebten die Deportationsjahre, drei starben
in Frankreich, die übrigen acht jüdischen Personen sind von Gurs aus in das KZ
Auschwitz verschleppt und dort ermordet worden.
Von den in Bodersweier geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Eduard Bensinger (1880),
Elsa Bensinger geb. Bloch (1887), Fanny Bensinger geb. Ledermann (1856), Julius
Bensinger (1913), Karl Bensinger (1877), Martha Bodenheimer geb. Meier (1910),
Babette Frank geb. Wertheimer (1882), Berta Hammel geb. Bensinger (1862), Berta
Jordan geb. Wertheimer (1868), Regina Mannheimer geb. Bensinger (1889), Auguste
Meier geb. Bensinger (1881), Ludwig Meier (1881), Emanuel Merklinger (1880),
Emanuel Merklinger (1898), Ida Merklinger geb. Bensinger (1909), Lina Merklinger
geb. Kander (1890), Luise Merklinger geb. Frank (1877), Rosa Merklinger (1898),
Mathilde Wachenheimer geb. Wertheimer (1865), Berthe Weill geb. Merklinger
(1875), Elise Wertheimer geb. Crailsheimer (1886), Hanna (Mina) Wertheimer geb.
Merklinger (1870), Heinrich Wertheimer (1875), Julius Wertheimer (1884), Klara
Wertheimer geb. Kander (1884), Mina Wertheimer geb. Wertheimer
(1861).
Auf dem Friedhof der Ortsgemeinde steht neben dem Gefallenendenkmal seit 1984
ein Gedenkstein mit den Namen von 17 jüdischen Opfern der
Verfolgungszeit 1933 bis 1945.
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibung der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet
1875
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. Februar 1875: "Auskündigung
einer Religions-Schulstelle.
Die mit einem festen Jahresgehalt von
Gulden 450, freier Wohnung mit Garten und dem Schulgelde verbundene
Religionslehrer-, Vorsänger- und Schächterstelle bei der israelitischen
Gemeinde Bodersweier ist baldmöglichst zu besetzen und wollen sich
Bewerber unter Anschluss ihrer Zeugnisse bei der Bezirkssynagoge Bühl in
Karlsruhe melden.
Bodersweier, 25. Januar 1875. Der Synagogenrat: L. Wertheim,
Vorstand." |
Bei einer Versammlung der jüdischen
Lehrer des Rabbinatsbezirkes Bühl ist unter den Referenten Lehrer Pollaschek aus
Bodersweier (1886)
Artikel
in "Die jüdische Presse" vom 9. Dezember 1886: "Bühl,
4. Dezember (Original-Korrespondenz). Jüngsten Sonntag versammelten sich
hier nach vorhergegangener Einladung durch den Bezirks-Rabbiner Herrn Dr.
Mayer sämtliche israelitischen Lehrer des Rabbinatsbezirks
Bühl zur Abhaltung der auf diesen Tag
anberaumten Konferenz. Der Herr Bezirks-Rabbiner hieß die Versammelten,
denen sich auch der derzeitige Bezirksälteste Herr Dr. M. Wertheimer
und Synagogenrat S. Weil dahier angeschlossen hatten, herzlich
willkommen und hob den Anwesenden in wenigen, aber geistreichen Worten den
Wert solcher Versammlungen für den Unterricht hervor. Hierauf erteilte
derselbe dem Hauptlehrer Jacob dahier das Wort zu seinem Referate
über den biblisch-geschichtlichen Religionsunterricht. ... In
der hieran anschließenden Diskussion, an welcher Hauptlehrer Lehmann
aus Lichtenau, Lehrer Levy aus
Rheinbischofsheim, Lehrer
Maiersohn aus Rastatt und andere sich
beteiligten, wurde dieser Vereinigung beigestimmt, aber auch hervorgehoben,
dass in den so genannten Religionsschulen, denen für den Religionsunterricht
mehr Zeit zur Verfügung steht, diese Unterrichtsgegenstände ausführlicher
behandelt werden können. Hierauf sprach Lehrer Pollaschek aus
Bodersweier über den Wert des Pentateuchunterrichts und hob insbesondere
die Schwierigkeit hervor, die dem Lehrer hierbei dadurch bereitet wird, dass
so manche Eltern diesem wichtigen Unterrichtsgegenstand so wenig Sympathie
entgegenbringen. Auch von den anderen Lehrern, die an der hierauf folgenden
Besprechung sich beteiligten, wurde dieser Indifferentismus tief beklagt.
Herr Bezirks-Rabbiner Dr. Mayer legte jedoch in seiner Schlussrede den
anwesenden Lehrern dringend ans Herz, sich hierdurch nicht stören zu lassen
und ihren Obliegenheiten umso gewissenhafter nachzukommen. Im Allgemeinen
glaubte der Vorsitzende den Lehrern bezüglich des geschichtlichen
Unterrichts und unter Bezugnahme auf das Referat des Herrn Hauptlehrers
E. Jakob den Wink geben zu sollen, dass es nicht so wohl darauf ankomme,
sich bei einzelnen unerheblichen geschichtlichen Erzählungen aufzuhalten,
als vielmehr durch lichtvolle Rekapitulationen des Geschichtsstoffes
denselben dem Gedächtnisse der Kinder dauernd einzuprägen, mit anderen
Worten dem Unterricht einen mehr intensiven als extensiven Charakter zu
verleihen. Nachdem hierauf die Tagesordnung für die nächstjährige Konferenz
festgestellt war, vereinigte man sich zu einem gemeinschaftlichen
Mittagessen, bei welchem neben guten Speisen und Getränken auch der
gemütliche Teil, Toaste, gesangliche und humoristische Vorträge nicht
fehlten. Erst am späten Abend trennte man sich, mit dem Bewusstsein, einen
genussreichen Tag verlebt zu haben." |
Lehrer Pollaschek und Sohn empfehlen sich als Toraschreiber
(1887)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. März 1887:
"Gemeinden
und Privaten empfehlen wir uns bestens zur Restaurierung
alter und Anfertigung neuer Torarollen, Jahrzeittafeln mit
Berechnung auf 50 Jahre, sowie auch zu Schiur Mischnajot lernen
für Kranke und teuere Hingeschiedene und Mappot - Wimpeln malen. Alles
gegen billigste Berechnung.
Lehrer Pollaschek & Sohn, Schreiber von Torarollen usw. in
Bodersweier bei Kehl am Rhein." |
Neujahrsgrüße von Lehrer Jakobsohn und Frau (1901/1902)
Anzeige
in "Der Israelit" vom 12. September 1901: "Freunden und Bekannten senden wir
die herzlichsten Neujahrs-('Gute
Einschreibung und Besiegelung'-) Wünsche.
Lehrer L. Jakobsohn und Frau, Bodersweier."
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. Oktober 1902:
"Nur auf diesem Wege!
Freunden und Bekannten senden wir die herzlichsten Neujahrs-('Gute
Einschreibung und Besiegelung'-) Wünsche.
Lehrer Jakobsohn und Frau, Bodersweier." |
Lehrer Lazarus Mannheimer wird zum Hauptlehrer ernannt
und nach Kehl versetzt (1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 11. Oktober 1912: "Bodersweier (Baden). L.
Mannheimer wurde zum Hauptlehrer befördert und nach Kehl
am Rhein versetzt." |
Julius Bensinger wurde
Handelslehrer an der Oberrealschule in Heidelberg (1913)
Artikel
in "Das jüdische Blatt" vom 14. November 1913: "Bodersweier. Herr
Julius
Bensinger, der erst kürzlich an die Handelsschule nach
Rastatt versetzt
wurde, hat dieser Tage ein Ministerialratdekret als Handelslehrer an die Oberrealschule nach Heidelberg erhalten." |
Der Jura-Student Emil Bensinger ist
aktiv in der Bavaria-Verbindung Heidelberg (1930)
Anmerkung: Genealogische Informationen und Foto in
https://www.geni.com/people/Emil-Bensinger/6000000043129679916. Emil
Bensinger ist am 1. Juni 1903 geboren in Bodersweier als Sohn von Karl Bensinger
und seiner Frau Bertha geb. Kaufmann. Er starb am 17. Oktober 1949 in Buenos
Aires (Argentinien).
Artikel
in "KC-Mitteilungen" vom 30. November 1927: "Bavaria, Heidelberg. Dank
unserer zahlreichen Aktivitas nahm das Semester weiterhin einen guten
Verlauf. Wir beteiligten uns an den sportlichen Wettkämpfen der Universität
und konnten durch unseren o.V. Levin im 100-Meter-Lauf den 1. Preis
erringen....
Außerdem hatten wir noch eine
Aktivmeldung zu verzeichnen, da Herr stud. jur. et rer. pol. Emil Bensinger aus
Bodersweier (Baden) sich aktiv meldete..." |
Zum Tod des aus Bodersweier
stammenden Fabrikanten Simon Wertheimer (in Ludwigsburg 1931)
Artikel
in "Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs" vom 1.
Mai 1931: "Ludwigsburg. Wiederum so ist unerwartet tiefe
Trauer über unsere Gemeinde gekommen. Am 18. April wurde Fabrikant Simon
Wertheimer durch einen Herzschlag im Alter von 67 Jahren aus dem Leben
gerissen. Simon Wertheimer war erst im vorigen Jahre als Nachfolger des
verstorbenen Vorsitzenden Max Dreyfus seligen Andenkens in das
Vorsteheramt eingetreten und hat jederzeit seine Persönlichkeit und sein
reiches Wissen der Gemeinde zur Verfügung gestellt. Der Verstorbene ward in
Bodersweier geboren und zog bald nach seiner Verheiratung nach
Ludwigsburg,
wo er gemeinsam mit seinem Schwager eine Metallwarenfabrik gründete. Das
Unternehmen erfreut sich überall des besten Rufes; seine Angestellten und
Arbeiter schätzten den verstorbenen Chef im höchsten Maße. Die Trauerfeier schloss mit einem Gebet des Religionsoberlehrers
Metzger. Das
Andenken Simon Wertheimers wird stets in treuen Ehren gehalten werden." |
Aus dem jüdischen Gemeindeleben
Ergebnisse von Kollekten für den
Verein "Achawa - Verein zur Unterstützung hilfsbedürftiger israelitischer
Lehrer, Lehrer-Witwen und -Waisen in Deutschland" - bei Hochzeiten (1894/1900)
Anmerkung: genealogische Informationen zu Bernhard Hochherr (1870
Berwangen - 1942 Ghetto Theresienstadt)
siehe
https://www.geni.com/people/Bernhard-Hochherr/6000000027405006401; Marie
geb. Wertheimer (geb. 1877, gest. 1909).
Mitteilung
in "Rechenschaftsbericht der Achawah" vom 1894 S. 11: "3. August 1894:
"Sammlung bei der Hochzeit des Lehrers Jacobsohn in Bodersweier mit Fräulein Hannchen Ettlinger aus
Flehingen." |
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Mitteilung
in "Rechenschaftsbericht der Achawah" von 1900/1901 S. 10: "29. September
1900: "Teilertrag einer Sammlung anlässlich der Hochzeit von Fräulein
Marie Wertheimer aus Bodersweier mit Herrn Bernhard Hochherr in
Berwangen, durch Herrn A. Levy."
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Der Antisemitismus macht sich bemerkbar - jüdische
Einwohner wehren sich und werden angeklagt (1896)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Juli 1896:
"Gerichtszeitung.
Kehl, 9. Juli (1896). Unter dem Vorsitz des
Amtsrichters Dr. Rinteler begann heute früh die
Schöffengerichtsverhandlung gegen 19 Angeklagte aus Bodersweier und Kehl
wegen Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt,
Hausfriedensbruch, Gefangenenbefreiung, Ruhestörung, groben Unfug und
Tätlichkeiten. Die Verteidigung sämtlicher Angeklagten führte der
Rechtsanwalt Muser von Offenburg. Der antisemitische Agitator und
Redakteur Reuther aus Karlsruhe, der seit einiger Zeit das Hanauer Land
zur Agitation auserkoren, hielt am 31. Mai in Bodersweier eine
antisemitische Versammlung ab, die bekanntlich wegen Tumult der Auflösung
verfiel. Den Angeklagten wird zur Last gelegt, den Tumult verursacht und
dem Reuther Bier ins Gesicht gespuckt zu haben. Als Reuther in Bodersweier
nicht zu Worte kam, zog er nach dem 3/4 Stunden entfernten Linx, wo von
den nachgezogenen Bodersweierern eine gehörige Prügelei inszeniert
wurde, bei der Reuther getreten und zu Boden geworfen wurde, sodass er
stark blutete. Bei der Schlägerei, die bald eine allgemeine wurde,
machten sich auch einige Angeklagte des Widerstands gegen die Staatsgewalt
und Gefangenenbefreiung schuldig.
Über den Gang der Verhandlung wird berichtet: Die Angeklagten, zum Teil
Viehtreiber und Knechte, zum Teil jüdische Handelsleute, bestreiten in
der Hauptsache die erhobenen Beschuldigungen, andererseits wollen sie ohne
eigene Schuld in die Schlägerei verwickelt worden sein. Durch den Zeugen
Gendarm Baumgartner, ist festgestallt worden, dass in drei Wirtschaften in
Bodersweier vor der Versammlung Freibier gespendet wurde im Werte von 400 Mark,
welches Karl Bensinger, der Vorsteher der jüdischen Gemeinde in
Bodersweier, und Leo Wertheimer bezahlt haben. Die Aussagen der Söhne des
Wirtes, bei dem die Versammlung angehalten wurde, sind so widersprechend,
dass es schwer ist, die objektive Wahrheit festzustellen. Zeuge Reuther
erklärt, dass er im Auftrage der deutsch-sozialen Reformpartei den
siebenten Reichstagswahlkreis zu bearbeiten habe, da bei der nächsten
Reichstagswahl in diesem Bezirk ein Kandidat aufgestellt werde. Er wurde
in Linx zu Boden geworfen und mit Füßen getreten, und habe starb
geblutet. Die Schlägerei in Linx, die von den Viehtreibern inszeniert
war, geben die Angeklagten zu, ebenso, dass sie Reuther blutig geschlagen
haben.
In der weiteren Zeugenvernehmung wird u.a. festgestellt, dass Reuther in
sehr verletzender Weise gegen die Juden in seinen Versammlungen losgezogen
ist, so z.B. in Scherzheim sich geäußert, die jüdischen Soldaten
hätten auf dem Schlachtfelde toten Soldaten die Finger abgeschnitten, um
die Ringe stehlen zu können.
Muser führte als Verteidiger aus, die verletzende Art der antisemitischen
Agitation und zwar speziell Reuthers, habe im Hanauer Land eine
berechtigte Erbitterung hervorgerufen. Gerade da Generalisieren sei das
Niederträchtigste der Agitation. Reuther sei schon wegen Verbrechen gegen
den § 130 des Reichsgesetzbuches zu 6 Wochen Gefängnis verurteilt
worden.
Nach nahezu siebenstündiger Verhandlung wurden die Angeklagten zu 14
Tagen Gefängnis und zu 2 Tagen Haft verurteilt, von der Anklage des
Hausfriedensbruches freigesprochen. In der Urteilsbegründung heißt es
zum Schlusse, dass die widerlichen Ausschreitungen nicht vorgekommen
wären, wenn nicht von gewisser Seite in reichlichem Maße Freibier
gespendet worden wäre. Das Gericht lasse es dahingestellt sein, wer das
Bier bezahlt habe." |
Hinweis auf das Beschneidungsbuch (Mohelbuch) von
Mosche und Schimon Blum von Bischheim
(Elsass)
Avraham
Malthete hat in dem genannten
Mohelbuch für den Zeitraum zwischen 1817 und 1867 21 Beschneidungen in
Bodersweier gefunden; die erste war die Beschneidung von Moses Wertheimer,
Sohn von Joseph Wertheimer und Rosetta Neumann am ersten Tag
Rosch-Chodesch Ijar 5577 (= Mittwoch 16. April 1817). Die Abbildung links zeigt
die Eintragung dieser Beschneidung - oben der Ortsname "Boderschweiger".
Die ersten 18 Beschneidungen wurden durch Mosche Blum durchgeführt, die
letzten drei durch seinen Sohn Schimon Blum. Bodersweier ist in dem
Mohelbuch nicht einfach zu identifizieren, da es hebräisch als "Boderschweiger,
Boteschwiger" u.ä. geschrieben wurde. |
Die
21 Beschneidungen aus Bodersweier in einer Übersicht (xls-Datei,
Übersicht erstellt durch Abraham Malthete). |
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Moses Wertheimer
(geb. 9.4.1917, gest. 24.6.1817) |
Baruch-Löw Wertheimer
(geb. 9.5.1818) |
Löw Wertheimer
(geb. 2.7.1818) |
Zal Wertheimer
(geb. 20.2.1920) |
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Seligmann Wertheimer
(geb. 4.4.1820) |
Karl Wertheimer
(geb. 21.6.1920) |
Israel Wertheimer
(geb. 21.5.1822) |
David Wertheimer
(geb. 22.5.1822) |
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Michael Wertheimer
(geb. 2.11.1824) |
Joseph Wertheimer
(geb. 12.6.1825, gest. 2.10.1825) |
Zall Wertheimer
(geb. 11.11.1826) |
Michael Wertheimer
(geb. 2.4.1827) |
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Michael Wertheimer
(geb. 1.5.1829) |
Maier Wertheimer
(geb. 15.12.1830) |
Abraham Wertheimer
(geb. 22.11.1830) |
Elias Wertheimer
(geb. 31.12.1834) |
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Wolf Bensinger
(geb. 29.10.1835) |
Jacob Bensinger
(geb. 18.3.1838) |
Zall Wertheimer
(geb. 19.2.1851) |
Elias Wertheimer
(geb. 21.8.1865) |
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Karl Bensinger
(geb. 18.9.1867) |
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Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Verlobungsanzeige von Anna Holz und
Julius Bensinger (1919)
Anmerkung: über Familie Eduard Bensinger (aus Bodersweier) in Karlsruhe siehe
http://gedenkbuch.informedia.de/index.php/PID/12/name/262/seite/3/suche/B.html
Anzeige
in "Jüdische Rundschau" vom 28. März 1919: "Anna Holz
- Julius Bensinger
Verlobte
Karlsruhe 17. März 1919 Bodersweier
Gernsbach" |
Verlobungsanzeige von Lilly Wertheimer und Heinrich
Zimmer (1930)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 26. Juni 1930: "Gott sei gepriesen.
Lilly Wertheimer - Heinrich Zimmer. Verlobte.
Bodersweier (Baden) - Frankfurt am Main Hanauerlandstraße
44.
Empfang: Samstag, den 6. und Sonntag, den 6. Juli 1930. Hanauerlandstraße
44." |
Sonstiges
Treffen von "Bundesbrüdern" in der
Revierstube in Bodersweier (Bericht von 1919)
Artikel
in "Der jüdische Student" vom Februar 1919 S. 166: "Rudolf Herzberg.
Wir waren vier Bundesbrüder in der 88. Infanterie-Division. Ich bin der
einzige, der am Leben geblieben ist. Gegenüber der Tragik dieser Tatsache
verstummen alle Worte des Trostes. Man empfindet seine eigene Existenz
beinahe als einen Vorwurf.
Ich lernte Rudolf Herzberg am 19. Dezember 1917 in unserer Revierstube in
Bodersweier bei Kehl kennen. Er war als Feldunterarzt zu unserer Batterie
gekommen. Bis zum April lebten wir in engster Gemeinschaft. Dann kam er zu
einem Infanterie-Regiment unserer Division. Hier wurde er zum Feldhilfsarzt
befördert. Er teilte mir damals seine Beförderung mit den Worten mit: Ich
habe in militärischer Beziehung alles erreicht, was mir zu erreichen möglich
war, außer den Heldentod. Die Ahnung, dass er den Weltkrieg nicht überleben
werde, hatte er schon seit mehreren Jahren. Sie verließ ihn niemals, wenn er
es auch der Umwelt verbarg. Ein großer Schmerz war es für ihn, dass er an
der schönen Rauschhaschonohfeier (Feier des jüdischen Neujahrsfestes) in
Sedan nicht hatte teilnehmen können. Die Division war gerade auf dem
Transport nach Lothringen begriffen. Dort habe ich ihn am 12. September, am
Morgen des amerikanischen Durchbruches bei St. Mihiel, zum letzten Mal
gesehen. In der furchtbaren Abwehrschlacht bei Stenay an der Maas ereilte
ihm das Geschick. Ein Volltreffer machte seinem Leben ein Ende. Als er
gerade im Begriff war, sich in den Graben zu begeben.
Da Rudolf Herzberg immer in Süddeutschland studiert hatte, war er nur
verhältnismäßig wenigen Bundesbrüdern bekannt. Auch sein ganzes Wesen war
nicht geeignet, ihn in den Vordergrund zu drängen. Er war einer von jenen
Menschen, die alle Probleme mit sich selbst durchkämpfen müssen, die eine
gewisse seelische Schamhaftigkeit daran hindert, ihr Inneres vor der
Öffentlichkeit, sei es auch nur vor der beschränkten des Kartells, zu
enthüllen. Er war kein Mann der Worte, sondern der schlichten, stillen Tat.
Eine selten vornehme Gesinnung zeichnete ihn aus. Für unsere Sache erfüllte
ihn begeisterte Hingabe. Er hatte Palästina tatsächlich zu seinem
Lebensinhalt gemacht und den festen Vorsatz, nach dem Kriege ins Land unsere
Väter zu ziehen.
Es ist ihm ergangen wir unserem Führer Mose. Er hat das gelobte Land des
Friedens und der nationalen Zukunft unseres Volkes nur noch aus der Ferne
erblicken, aber nicht mehr selbst betreten dürfen.
Erich Cohn." |
Zur Geschichte des Betsaales / der Synagoge
1756 suchten die beiden
Bodersweier Schutzjuden Isaak Levi und Joseph Wertheimer um eine herrschaftliche
Genehmigung nach, in der Kammer eines jüdischen Hauses einen Betsaal
einrichten und "Schul halten" zu dürfen. Vermutlich wurde dem Gesuch
entsprochen und die Bodersweier Juden konnten seitdem ihre Gottesdienste feiern.
Nachdem 1811 die Zahl der jüdischen Familien auf
sieben angewachsen war, konnten in dem "engen und allzu beschränkten Raum" des
bisherigen Betsaales (möglicherweise derselbe wie nach 1756) kaum noch alle
Platz finden. Nach einer damals angefertigten Statistik waren von den insgesamt
41 Gemeindegliedern 27 "schulbesuchende" (d.h. die Synagoge besuchende) Juden,
ein Vorsänger und 13 Kinder, die noch keine Synagoge besuchen. Die Familien
baten über ihre Vorsteher beim Bezirksamt Rheinbischofsheim darum, eine Synagoge
erbauen zu dürfen und erklärten, diese "gänzlich aus ihren Mitteln und Kräften
zu erbauen und durchaus das Mitleid anderer nicht in Anspruch zu nehmen". Im
Herbst 1811 kaufte die jüdische Gemeinde von Friedrich Stölzel einen Gemüsegarten
zum Preis von 355 Gulden, auf dem die Synagoge erbaut werden sollte. Widerstand
kam freilich alsbald vom Vater des Verkäufers, Revierförster Stölzel, der auf
dem Nachbargrundstück wohnte und den Verkauf seine Sohnes überhaupt nicht gut
fand. Er protestierte beim Bezirksamt gegen eine solche, "sehr unwillkommene"
und "lärmende" Nachbarschaft. Im übrigen war er der Meinung, dass der
bisherige Betraum mit geringen Kosten durch einen Anbau erweitert werden könnte.
Und schließlich habe doch auch das Pfarramt der Judenschaft einen Acker zum
Verkauf angeboten und Jud Leib habe einen "weit bequemeren Bauplatz" für die
Synagoge in seinem Besitz. Nach einiger Zeit des Briefverkehrs mit der Behörde
gab Revierförster Stölzel nach und erlaubte den Synagogenbau, wobei ihm
wichtig war, dass der "nötige Abstand" zu seinem Grundstück eingehalten wurde.
Im Februar 1812 erteilte das Großherzogliche Badische Direktorium des Kinzigkreises die Bauerlaubnis und bestimmte, dass die kalkulierte Bausumme in Höhe von 1.092 Gulden nicht überschritten werden dürfe. Im März 1812 wurde der Synagogenbau versteigert. Valentin Merker von Bodersweier legte mit 900 Gulden das günstigste Angebot vor und bekam den Auftrag. So konnte auf dem heutigen Grundstück Querbacher Straße 25
im Laufe des Jahres 1812 die Synagoge erbaut und noch im selben oder im folgenden Jahr 1813 eingeweiht
werden. Zur Finanzierung wurden die Synagogenstühle (Betpulte) nach Abschluss der Bauarbeiten unter den einzelnen Familien versteigert. Dabei kamen für einen Stuhl bis zu 80 und mehr Gulden in die Gemeindekasse. Es stand den einzelnen Haushaltsvorständen frei, einen oder mehrere Stühle zu kaufen. Joseph Wertheimer beispielsweise erwarb vier Stühle,
'zwei für das männliche und zwei für das weibliche Geschlecht'.
Da die Zahl der jüdischen Einwohner im Laufe der kommenden Jahrzehnte weiter zunahm, war Anfang der 1830er-Jahre das Synagogengebäude zu klein geworden. Am 20. Januar
1833 beschloss eine Gemeindeversammlung die Vergrößerung und
Verbesserung der Synagoge. Zur Finanzierung sollten zum einen die in der Gemeindekasse befindlichen Gelder (ausgenommen das
'Almosengeld') verwendet, zum anderen eine wöchentliche Umlage erhoben werden. Nach dieser Umlage waren bei den Viehhandelsgeschäften bis auf weiteres an die Gemeinde für den Synagogenbau abzugeben:
'sechs Kreuzer auf jedes Stück großes Vieh, Ochsen, Kühe, Rinder, Pferde, ob sie gekauft, eingetauscht oder auf andere Weise an sich gebracht
wurden'. Nicht allen gefiel dieses Verfahren: Joseph und Mayer Wertheimer protestierten mit allen möglichen Gründen. Doch konnte man sich mit ihnen schließlich einigen.
Konfirmation in der Synagoge (gemeinsame Bar-Mizwa- und
Bat-Mizwa-Feier, 1853)
(Artikel eingestellt auf Grund eines Hinweises von Karl Britz)
Artikel
in der "Karlsruher Zeitung" vom 31. Mai 1853:
"Bodersweier. In der hiesigen Synagoge wurde vergangenen
Sabbat, den 21. dieses Monats, zum ersten Male eine feierliche Konfirmation
für die zu entlassende hiesige israelitische Schuljugend von unserem
hochwürdigen, geehrtesten Herrn Bezirksrabbiner Willstätter von
Rastatt vorgenommen.
Den Akt der Prüfung dabei nahm unser Herr Lehrer L. Kahn aus
Breisach vor, sowie auch die Leitung des
Chors.
Der ganze Akt wurde auf eine feierliche und würdige Weise vorgenommen. Die
Synagoge war bekränzt und auf dem Leuchter vor der Tribüne brannten neun
Wachslichter. Ein tiefes Schweigen und eine ernste Ruhe herrschte während
der ganzen Dauer des Gottesdienstes in den heiligen Räumen und die hohe
Andacht der zahlreichen Anwesenden war auf dem Gesichte eines Jeden
wahrnehmbar. Die Konfirmanden, sowie die übrigen an der Feierlichkeit
teilnehmenden Schülerinnen waren weiß, alle einfach und gleich gekleidet.
Unser verehrtester, hochwürdiger Herr Rabbiner bewährte auch an diesem Tage
seinen Ruf als guter Prediger. Seine Predigt, und besonders seine
Schlussrede an die Konfirmanden und sein Gebet für dieselben ergriffen alle
Herzen, und das Auge Mancher, das seit Jahren nicht geweint hatte, stand in
dieser ernsten Stunde voll Tränen. Lautes Schluchzen und Seufzen der
Konfirmanden und eigene Rührung nötigten den würdigen Redner, seine Rede für
einige Augenblicke zu unterbrechen.
Die Prüfung dauerte, obgleich sie in abgekürzter Form vorgenommen wurde,
über eine halbe Stunde, und die Konfirmanden beantworteten sämtliche Fragen
des Herrn Lehrers über die Pflichtenlehre, sowie die Zwischenfragen des
Herrn Geistlichen und die Fragen ihres Glaubensbekenntnisses von Seiten des
Letztern ohne Anstoß, laut, deutlich und mit Ausdruck. Die Lobgesänge
Israels: 'der Jigdal' und 'die Geschöpfe allesamt in der obern Welt, in der
unteren Welt etc. etc.' von dem seligen Herrn Oberrat Epstein metrisch
übersetzt, bildeten den Schluss der Prüfung.
Die Feierlichkeit und die Andacht dieser Feier wurde wesentlich erhöht durch
die Leistungen des aus der III. und IV. Klasse unserer Schuljugend und
mehreren hiesigen israelitischen Erwachsenen bestehenden Chors, sowie
besonders durch die Mitwirkung und Teilnahme beim Gesang von Seiten des
Herrn Lehrers Hemmerdinger aus
Neufreistett und mehrerer befreundeter christlichen Herrn
Kollegen unseres Herrn Lehrers von hier und der Umgegend.
Ein erhebender, freudiger, die Herzen aller Anwesenden zur brüderlichen
Eintracht auffordernder Anblick war es, wie das Lob Gottes von Israeliten
und Christen wie aus einer Brust erscholl. Israelite und Christ
vereinigten sich hier in dem Lobpreisen des Einen Gottes, des Vaters unser
Aller.
Sehr schmeichelhaft, und für unsere Gemeinde zur größten Ehre gereichend,
sowie die Feier wesentlich erhöhend, war insbesondere die hohe Anwesenheit
unseres hochzuverehrenden, allenthalben bei Christen und Israeliten
beliebten und die Religion und deren Riten, ohne Unterschied des Glaubens,
ob christlichen oder israelitischen, nach dem Vorbild unserer höchsten
Regierung in hohen Schutz nehmenden Herrn Oberamtmanns Exter von
Rheinbischofsheim und unseres hochehrwürdigen, nicht minder beliebten und
toleranten Herrn Dekans Schember von Freistett, sowie unseres
hochehrwürdigen Herrn Ortsgeistlichen, des Herrn Bürgermeisters und der
Herren Gemeinderäte. Beide Ersteren hatten die Güte, bis gegen Abend hier zu
verweilen.
Auch andere christliche Bürger von hier und der Umgegend beehrten uns durch
ihre Teilnahme an der Feierlichkeit, und wäre die Witterung an diesem Tage
etwas günstiger gewesen, so hätten wir uns gewiss einer größeren Teilnahme
noch mehrerer Herren Geistlichen, Lehrer und Bürger erfreuen dürfen.
Wir fühlen uns nun gedrungen, den hochzuverehrenden Herren Teilnehmern
dieser Feierlichkeit hiermit öffentlich unsern innigsten Dank auszusprechen.
Insbesondere fühlen wir uns auch verpflichtet, unserem würdigen Herrn
Bezirksrabbiner und unserm geliebten und allseits geachteten Herrn Lehrer
unsern aufrichtigsten Dank für ihre großen Bemühungen um unsere Gemeinde und
die Schule an den Tag zu leben.
Wäre es uns nur vergönnt, unser Herrn Lehrer, diesen würdigen und tüchtigen
Schulmann und vortrefflichen Vorsänger, noch länger in unserer Gemeinde
wirken zu sehen!
Dieser feierliche Tag wird nicht nur den betreffenden Konfirmanden, sondern
auch uns Allen, ewig im Gedächtnis bleiben.
Bodersweier, den 24. Mai 1853.
Der Synagogenrat: Jos. Wertheimer, Vorsteher, Baruch Löw
Wertheimer, Synagogenrat, Jakob Wertheimer, Synagogenrat." |
Größere Reparaturen der Synagoge wurden aus dem Jahr 1858 gemeldet. Für die Neueinrichtung eines warmen Frauenbades, die Einrichtung einer jüdischen Schule und die Reparatur der Synagoge musste damals ein Darlehen von 1.000 Gulden aufgenommen werden. 80 weitere Jahre diente dann die Synagoge Bodersweier als Mittelpunkt des dortigen jüdischen Gemeindelebens.
Eines der letzten besonderen Ereignisse in der Synagogengeschichte war die
Einweihung der Gefallenengedenktafeln im Juni 1935.
Einweihung der Gedenktafel für die Gefallenen 1914/18
(1935)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Juli 1935:
"Bodersweier, 1. Juli (1935). Die hiesige Israelitische
Kultusgemeinde weihte am Sonntag, den 16. Juni, die in der Synagoge
angebrachte Gedenktafel für ihre im Krieg gefallenen Söhne ein. Herr
Synagogenrat Eduard Bensinger sprach Begrüßungsworte, Herr Lehrer und
Kantor Mannheimer, Kehl, leitete die
Feier, an welcher die Nachbargemeinden und der Reichsbund jüdischer
Frontsoldaten teilnahmen, und verstand es, sie überaus erhebend und
würdig zu gestalten. - Für den Landesverband Baden des RjF. sprach
dessen Vorsitzender, Herr Rechtsanwalt Dr. Fritz Rosenfelder, Karlsruhe,
für die Ortsgruppe Kehl-Bodersweier deren Vorstand, Herr Paul Wertheimer,
Kehl, die den toten Kameraden ergreifende Worte des Gedenkens widmeten.
ferner sprachen ehrende Worte Herr Bezirksältester Lippmann Kahn,
Rheinbischofsheim und Herr Siegfried Kaufmann, Kehl." |
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Inneneinrichtung
der Synagoge zerstört. Die Aktionen in Bodersweier wurden von österreichischer
SS durchgeführt. Vier bis fünf SS-Leute fuhren nach einem Zeitzeugenbericht
vor der Synagoge vor, traten die Türe ein und zerschlugen das Inventar. Als
Gotteshaus war die Synagoge danach nicht mehr zu benutzen. Die Behörden waren
an einem baldigen Abbruch und einer "arisierten" Verwertung der Grundstücke
interessiert. Eine Ende April 1939 durchgeführte Besichtigung der Synagoge und
des benachbarten jüdischen Gemeindehauses ergab, dass "sich beide Gebäude in
einem derart schlechten baulichen Zustand befinden, dass sie als abbruchreif
bezeichnet werden müssen." Das Gemeindehaus war bereits im März 1939 wegen
Einsturzgefahr gesperrt worden. Im Winter 1940/41 wurde dieses Gebäude wegen
"Baufälligkeit" abgebrochen.
Das Synagogengebäude wurde zunächst noch als Garage für den Postomnibus und Schafstall zweckentfremdet. Als Grundstückeigentümer wird 1943 "Deutsches Reich - Deutsche Post" genannt. Nach dem Krieg kam das Grundstück über die Jüdische Vermögensverwaltung JRSO in den Besitz der Israelitischen Landesgemeinde Südbaden, die es ihrerseits privat veräußerte.
1951 wurde nun auch das ehemalige Synagogengebäude abgebrochen und ein Geschäftswohnhaus
errichtet.
Fotos
Historische Fotos:
(Quelle: Sammlung Hahn)
Plan und Dokument
(Quelle: Gemeinde Bodersweier, Feuerversicherungsakten;
übersandt von Karl Britz)
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Synagoge (2) und jüdisches
Gemeindehaus/Schule (1) im Plan der
Feuerversicherungsakten 1934 |
Eintragung in den
Feuerversicherungsakten über das Gebäude des Gemeindehauses:
"Abgangs-Nachweis. Das unter Querbachstraße Hausnummer 25 zur
Feuerversicherung
eingeschätzte Gebäude der Israelitischen Gemeinde...
ist im Dezember des Jahres 1940
und Januar 1941 wegen Entbehrlichkeit
abgebrochen worden. Da der Eigentümerin die
Möglichkeit genommen ist,
dasselbe wieder herzustellen, so ist die
Versicherungssumme...
abzuschreiben" |
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Fotos nach
1945/Gegenwart:
Fotos
2003:
(Fotos:
Britz,
Aufnahmedatum 11.9.2003)
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Das Gebäude (Friseurgeschäft) steht auf dem Grundstück der
ehemaligen Synagoge
und des Gemeindehauses (Querbacher Straße 25).
Die Synagoge stand links nach hinten versetzt, das Gemeindehaus rechts an
der Straße.
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Ehemalige jüdische Wohn- und
Geschäftshäuser, die
noch den
ursprünglichen Baustil erkennen lassen |
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Kolonialwarenhandlung
Ludwig Meier
Querbacher Straße 15
(in Baustil und Bauart
dem Gemeindehaus vergleichbar)
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Mehlhandlung
Isidor Bensinger
Querbacher Straße 14
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Viehhandlung
Leo Wertheimer
Rastatter Straße 33
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Eisenwarenhandlung
Kaufmann und Bensinger
Querbacher Straße 18
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Kolonialwarenhandlung
Emanuel Merklinger
Grabenstraße 8
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Viehhandlung
Salomon Frank
Grabenstraße 7
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Gedenkstein
"Den jüdischen Opfern der Verfolgung 1933 – 1945"
auf dem Friedhof von Bodersweier,
errichtet 1984
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Mahnmalprojekt
Neckarzimmern - der Beitrag aus Bodersweier
(rechts mit Foto des Steines in
Neckarzimmern: Bericht
aus der Stuttgarter Zeitung
vom 21. Oktober 2005; Fotos unten: Karl Britz,
Bodersweier)
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Bei der Gedenkfeier am 16.
Oktober 2005
in Bodersweier: Großrabbiner René
Gutmann aus Straßburg
legt einen
Stein auf die Gedenkstele |
Der Gedenkstein
bei der Kirche in Bodersweier; links mit Transparent am
Einweihungstag.
Rechts vorne: der Ring um Ortswappen von Bodersweier symbolisiert
die
Gemeinschaft aller Menschen im Dorf; der Davidstern ist herausgebrochen,
wie
die Gemeinde in der NS-Zeit herausgebrochen wurde. |
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Da oben
abgebildete Gebäude (Friseurgeschäft) steht auf dem Grundstück der
ehemaligen Synagoge
und des Gemeindehauses (Querbacher Straße 25). Die Synagoge stand links nach
hinten versetzt, das Gemeindehaus rechts an der Straße. Im Schaufenster
erinnert eine einfache Hinweistafel an die ehemalige Synagoge.
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Fotos von
2021: Gedenksteine auf dem
kommunalen Friedhof
(Fotos: Hahn; Aufnahmedatum 2.6.2021) |
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Die
Gedenksteine im kommunalen Friedhof: von links das Gefallenendenkmal
1914/1918 (siehe oben rechts) mit den Namen der jüdischen Gefallenen Alfred
Benzinger (Bensinger) und Joseph Wertheimer; dann das Gefallenendenkmal des
Zweiten Weltkrieges und der Gedenkstein für die jüdischen Opfer der
Verfolgungszeit (siehe unten). |
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Der Gedenkstein für
die jüdischen Opfer
der Verfolgungszeit 1933-1945 |
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Erinnert wird an
Eduard Bensinger, Elsa Bensinger, Julius Bensinger, Babette Frank, Ludwig
Meier, Auguste Meier, Martha Meier, Emanuel Merklinger I, Luise Merklinger,
Emanuel Merklinger III, Ida Merklinger, Fanny Bensinger, Lina Merklinger,
Rosa Merklinger, Julius Wertheimer, Elise Wertheimer, Klara Wertheimer.
Die kleine unten stehende Widmungstafel "A mes parents" = "meinen Eltern"
wurde beim Besuch von Nachkommen niedergelegt. |
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne
Berichte
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
| Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden.
1968. S. 46-47. |
| Bodersweier. Berichte, Erzählungen und Bilder aus der Geschichte
eines Dorfes im Hanauerland (Hg. Ortschaftsrat Kehl-Bodersweier). 1984. S.
49-74. |
| Ludwig Lauppe: Burg, Stadt und Gericht Lichtenau. Eine
heimatgeschichtliche Rückschau. Hemsbach 1984 (zum Antrag von 1756 des
Isaak Levi und Joseph Wertheimer: S. 163 Anm. 2). |
| Hans Nußbaum/Karl Britz: Das Schicksal der Juden von
Bodersweier. 1986. |
| Hartmut Stüwe: Kehl im Dritten Reich. Stadtgeschichte 1933-1945.
Stadt Kehl am Rhein. Kultur- und Verkehrsamt 1997 (hierin besonders: Boykott
jüdischer Geschäfte S. 36ff und Verbrechen gegen die Menschlichkeit S.
110ff). |
| Nicolas Rosenthal: Hagada des 20. Jahrhunderts - ein Vermächtnis.
Mit Beiträgen von Rold Kruse jun. und Friedrich Peter. Historischer Verein
Kehl 2000. |
| Joachim
Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als
Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte
und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt,
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial,
Jerusalem. Stuttgart 2007.
|
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Deutsche Ausgabe:
Denise und Jules Kaufmann /
Karl Britz:
Glück, ganz besonderes Glück
Verlag Medien und Dialog
ISBN 3-933231-93-0
Preis: 12,00 € |
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Französische Ausgabe:
Denise et Jules Kaufmann /
Karl Britz:
La chance de survivre, le bonheur de vivre
Edition Medien und Dialog
ISBN 3-933231-94-9
Preis: 12,00 € |
2008 jährt sich die Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 zum 70. Mal. Aus
Kehl wurde bekannt, dass hier die jüdischen Männer vor ihrer Deportation ins Konzentrationslager Dachau unter Führung der Gestapo besonders grausam erniedrigt und gequält wurden.
Das historische Datum markiert aber nur eine der vielen barbarischen Terrormaßnahmen, mit denen die Nazis die jüdische Bevölkerung im eigenen Land und in ganz Europa entrechtete, drangsalierte und in Massen tötete.
Judenhetze ab 1933, Entzug bürgerlicher Rechte nach 1935, Deportation der männlichen Juden nach Dachau und Schließung aller jüdischen Geschäfte 1938 – es schien auf deutschem Boden keine Zukunft mehr zu geben. Wer weiterexistieren wollte, ging ins Ausland. In den badischen und pfälzischen Grenzregionen war Frankreich das naheliegende Ziel.
In Kooperation mit der Bürgerstiftung Kehl ist nun in einer deutschen und einer französischen Ausgabe ein reich illustriertes Buch erschienen, in dem das hochbetagte Ehepaar Denise und Jules Kaufmann die Geschichte seines Überlebenskampfes erzählt. Jules Kaufmann war einst Bürger in
Bodersweier, seine Frau Denise stammt aus Wasselonne im Elsass. Am Beispiel dieser badisch-elsässischen Familie wird deutlich, wie sich das Schicksal vieler Juden aus unserer Grenzregion im besetzten Frankreich entschieden hat.
Nach der Schließung seiner einst florierenden Eisenwarenhandlung gewinnt Jules Kaufmann seine Zukunft nur wenige Kilometer entfernt - in Straßburg, im Elsass und in der Liebe zu Denise Roos aus Wasselonne. Sie heiraten 1938 und gründen eine neue Existenz.
Doch 1940 besetzt die deutsche Wehrmacht den größten Teil Frankreichs. Auf das Land greift der nationalsozialistische Terror gegen die Juden über.
"Missliebige Personen" müssen die besetzten Gebiete verlassen. Aber auch in der so genannten
"freien Zone" ist eine Regierung im Amt, die mit den deutschen Besatzern zusammenarbeitet.
Die Gauleiter der Grenzregionen lassen im Oktober 1940 auch die badischen und saarpfälzischen Juden nach Südfrankreich deportieren, wo sie im Pyrenäen-Lager Gurs interniert werden. Ab 1942 rollen die Züge nach Auschwitz. Denise und Jules Kaufmann werden mit ihren Familienangehörigen in diesen Strudel gerissen, müssen erleben, wie Verwandte und Freunde in die Vernichtungslager deportiert werden.
Durch Phantasie, Mut und auch List, durch die Hilfe anderer Menschen, vor allem aber mit der Kraft ihrer Liebe schaffen sie es, dass sie und ihre engsten Angehörigen in Südfrankreich die Zeit der Verfolgung überleben:
"Es war auch Glück, ganz besonderes Glück."
Das Titelbild des Buches zeigt die Bronzefigur "Begegnung" von Josef Fromm am Rhein bei Kehl. Was sie darstellt, haben Denise und Jules Kaufmann schon zu der Zeit in die Tat umgesetzt, als ihre beiden Völker als tief verfeindet galten und auch an dieser Stelle die Waffen aufeinander richteten.
Karl Britz hat die Erzählungen redaktionell bearbeitet. Außerdem berichtet er über die historischen Hintergründe und über eine aktuelle Spurensuche. Alfred Matt, früherer Leiter des Museums in Bouxwiller, besorgte die Übersetzung ins Französische. |
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Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Bodersweier Baden.
Jews first settled in the early 17th century. A new synagogue was built in 1811
and the Jewish population grew to 116 in 1875 (total 1,124). Thereafter it
declined steadily to 34 in 1933. On Kristallnacht (9-10 November 1938)
the synagogue was vandalized and eight Jews were detained at Dachau for a few
weeks after being severely beaten. Fifteen Jews left Bodersweier until 1940.
Twenty-two were deported to the Gurs concentration camp and other camps; six
survived.
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